Unterwegs zwischen zwei Bergen - Annelies Hess-Fröhlich - E-Book

Unterwegs zwischen zwei Bergen E-Book

Annelies Hess-Fröhlich

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Beschreibung

Die Autorin Annelies wächst in Zürich auf, wo sie die höhere Töchterschule besucht und dort vieles über Kunst und Kultur lernt. In den Ferien besucht sie zusammen mit ihrer Familie die mannigfaltige Kunst Italiens, ahnungslos, was das Leben ihr an Fremdartigem noch bieten würde. Als sie später, nach ihrer Berufsausbildung zur medizinischen Laborantin, ihrem zukünftigen Mann Urs begegnet, einem unabhängig denkenden Arzt, ändert sich ihre Lebensperspektive für viele Jahre und sie erlebt die Weiten der unvergesslichen Welt Ostafrikas.... Ein faszinierender Einblick in die Tagebuchnotizen einer in Zürich geborenen Schweizerin, die einen ebenso authentischen wie bezaubernden Eindruck des turbulenten Lebens in Tansania vermitteln, - Informativ, spannend, berührend

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Seitenzahl: 452

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2025 novum publishing gmbh

Rathausgasse 73, A-7311 Neckenmarkt

office@novumverlag.com

ISBN Printausgabe: 978-3-7116-0043-1

ISBN e-book: 978-3-7116-0044-8

Lektorat: Alexandra Eryiğit-Klos

Umschlagabbildung, Innenabbildungen & Autorenfoto: Annelies Hess

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Vorwort

Aufgewachsen bin ich in der Stadt Zürich. Mein Vater liebte den Süden, besonders die Farben und die Kultur Italiens. Diese Liebe hatte er mir weitergegeben.

Meine Ausbildung in der höheren Töchterschule, wie man Mittelschulen damals nannte, erlebte ich in den Räumlichkeiten des ehemaligen Chorherrenstifts des Grossmünsters. Viel über Kunst, Kultur und Sprachen erlernte ich dort – eine schöne Zeit. Später, nach meiner Ausbildung auf dem Laborgebiet, arbeitete ich im medizinischen Sektor, wo ich meinen späteren Mann kennenlernte. Zusammen forschten wir auf dem Gebiet der Immunologie, speziell über die Erfassung von Parasiten-Erkrankungen bei Tropenerkrankungen. Ein Einsatz in Afrika war naheliegend zum Nachweis und der Bestätigung solcher Tests.

Traumreise nach Afrika: Ksiti Island (Koralleninsel)

Wie Nils Holgersson flieg ich dahin,

Unter mir Rom nachts im Lichtermeer,

Mondlicht, das gleitet als glitzerndes Band,

Und mit mir wandert zum fernen Land.

Dann Afrikas Küste, die Steppe und Wüste,

Tief unter mir nichts als erloschener Sand,

Kein Spiegel des Mondes, nur dumpfes Land,

Kein Licht, kein Leben – sehr lang, und dann …

Ich tauche und fliege im Traum über Blumen,

Korallen mit Fischen, die fächeln und ruhen,

Kleine, gestreifte, auch gelbe und feine,

Grüne mit Punkten und rosa mit Funken,

Blaue mit Ringen und silberne bunte,

Türkis am Kopfe und rot getupft hinten,

Lange und dünne, ganz schnelle und flinke,

Kurze und stumpfe, auch lustige plumpe,

In Blumen und Blüten und Blättern mit Streifen,

In Knospen wie Ballen und flatternden Zweigen,

Fliegen und fließen und schweben sie hin,

Sind sie im Wasser? Sind sie im Wind?

Habe ich Flügel und ist es der Wind?

Tief unten im Flachen des Meerbodens liegen

Die großen Stummen, wartenden Blassen,

Verschlossen sind ihnen die Gärten der Blumen,

Der Beete aus Farben, des Wunders im Meer.

Und weiter, ganz draußen, im tiefblauen Wasser,

Da springen Delfine gemeinsam im Licht,

Sie werfen sich drehend und spielen den Reigen,

Und spritzen und glänzen in weißer Gischt.

Ich tauche auf,

Gleißende Sonne,

Blau-grünes Meer,

Bin ich zu Hause?

Ich bin zu Haus!

Fernweh

Wie aus dem Nichts schuf ich die Bilder,

von einem Leben, da wart ihr noch Kinder.

Bäume der Träume, Licht, eine Pracht,

Stimmen im Wind der dunklen Nacht!

War es der Löwe, ein Hippo, das Zebra?

die Hyäne, ein Schakal, fern oder nah?

Lasst es mich wissen und lasst mich dann still sein,

niemand will stören die Ruhe der Nacht!

Euch Tieren der Steppe und Tieren der Weite,

Euch ist die Sonne, das raschelnde Gras.

Mit knackenden Lauten und schleichenden Schritten,

kommt ihr heran – wer es auch war.

Ihr Elefanten auf weichen Sohlen

werdet nicht wecken, der Euch nicht stört!

Ist es denn wahr – ein Paradies auf Erden?

Das wünscht’ ich von Herzen ganz unbeschwert!

Von Neuem geboren, ganz ohne Furcht,

vor Angst und Hunger, vor Flinte und Pirsch.

Hier ist meine Heimat, ohne das Leiden,

für Euch ist es Frieden, für mich das Ziel!

Frauen auf der „Liemba“ (Lake Tanganyika)

Schwatzende Frauen vor dem Kabinenfenster!

Schön sind sie, anmutig und stolz,

mit baumelnden Kinderköpfen auf ihren Rücken,

ebenholzfarbig ihre Haut, besonders wenn feucht

Paradiesvögel

Weiße Männer, schillernde Wesen der Tropen,

glanzvoll, farbig und bunt!

Sich selbst bewundernd, ihrer Eitelkeit wegen,

von andern beneidet, ihres Mutes wegen,

sich selbst überschätzend, ihres Einflusses wegen,

von vielen verachtet, ihrer Überheblichkeit wegen.

Weiße Männer, sie tanzen gefährlich,

immer nahe, ganz nahe am Abgrund.

Scorpions: Tanzania visitors

They shared the table and constellation,

They shared the chair and observation,

They shared the bed even and shared the view,

But only in a chronological queue.

Amöben-Studie: Schweizerischer Nationalfond (1976–77)

Swissair-Angestellte mit Durchfallerkrankungen waren in der Schweiz falsch diagnostiziert und wiederholt erfolglos gegen Amöben behandelt worden. Die von uns am Institut für Parasitologie der Universität Zürich entwickelte Methode sollte die im normalen Stuhl vorkommenden Makrophagen von den krank machenden Amöben (Entamoeba histolytica) mithilfe der Immunfluoreszenz unterscheiden (Publikation: Tropenmedizin und Parasitologie September, 1979).

Für diese Studie reisten Urs (ehemaliger Jugendfilmschauspieler), Mediziner/Immunologe und Angestellter des Institutes für Parasitologie der Universität Zürich und ich als MTA im Dezember 1976 für ein halbes Jahr nach Moshi ans KCMC (Kilimanjaro Christian Medical Centre) in eines der größten Consultant Hospitälern von Tansania, welches am Fuß des Kilimandscharo liegt. Viele internationale Spezialärzte arbeiteten dort, unterstützt durch kirchliche Organisationen und Entwicklungshilfen. Wir wohnten in einem Appartement der Blue Flats im Ärzte-Compound in der Nähe des Spitals.

Geschichtlich gehörte Tanganjika, zusammen mit Burundi und Ruanda, zur deutschen Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ (1885–1918). Im Jahr 1893 wurde Moshi (800 m ü. M.) zum Verwaltungssitz eines der Bezirke der deutschen Kolonialverwaltung. Damals bestand Moshi aus einigen Hütten mit circa 800 Einwohnern. Die heimische Bevölkerung der Chagga lebte in den höher gelegenen Dörfern am Kilimandscharo, was ihnen einen besseren Schutz vor Gefahren gab, vor drohenden Raubtieren, der Malaria und vor Überfällen verfeindeter Stämme. Später kamen im Schutz der deutschen Kolonialmacht Missionare nach Moshi, welche die kühlen Orte am Berghang bevorzugten, wie die Gegenden um Old Moshi, Kibosho, Machame, Marangu und Rombo. Unter ihrem Einfluss wurde der Arabica-Kaffee angebaut.

1889 bestieg der Deutsche, Hans Meyer, zum ersten Mal den höchsten Berg Afrikas, den 5895 Meter hohen Kilimandscharo.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 wurde Tanganjika UNO-Mandatsgebiet unter britischer Herrschaft. 1961 erlangte Tanganjika die Unabhängigkeit. Julius Nyerere wurde 1962 zum ersten Staatspräsidenten des Landes gewählt. Im Jahr 1964 fusionierte Tanganjika mit Sansibar zum gemeinsamen Staat Tansania. Nyerere führte das Land bis zum Jahr 1985. Allerding scheiterte seine sozialistische Vision.

Um mit unserer Arbeit, welche durch afrikanische Umstände verzögert wurde, unabhängiger und schneller vorwärtszukommen, kauften wir in Nairobi einen VW Käfer, mit dem wir Gesundheitszentren in der Umgebung von Moshi besuchten und Stuhlproben sammelten und auf Amöben untersuchten. Wir lernten die fremde Art und Weise dieses Landes kennen und lieben. Nach politischen Spannungen zwischen Tansania und Kenia wurde die Grenze zwischen den beiden Ländern jedoch geschlossen und wir mussten befürchten, das kenianische Auto würde konfisziert. Anstatt der vorgesehenen drei Monate hatten wir für die Studie fast sechs Monate gebraucht. Im Mai 1977 kehrten wir in die Schweiz zurück.

Vor der Abreise verkauften wir unser kenianisches Auto dem Inder Achmed in Moshi. Ein Auto war im sozialistischen Tansania sehr gefragt. Der Verkauf geschah ganz auf Vertrauensbasis. Unser Nachbar, Zahnarzt am KCMC, holte nach der Übergabe des Autos den vereinbarten Geldbetrag bei Achmed ab, überwies uns das Geld in harter Währung auf unser Schweizer Bankkonto und verbrauchte die Tansania-Schillinge für seine Alltagsausgaben, denn ausführen durfte man Tansania-Schillinge nicht. So lernten wir ein neues Leben kennen mit anderen Regeln und Gesetzen.

Rückreise in die Schweiz

Auf der Heimreise fuhren wir mit dem Bus nach Dar es Salaam, in die Hauptstadt, von wo wir heimzufliegen planten. Der nahe Flughafen KIA war nach dem Kollaps der gemeinsamen Tansania/Kenia Airline geschlossen worden. Wir hatten einen zusätzlichen Koffer voller schwerer Makonde-Schnitzereien, welcher wegen seines Gewichtes das zulässige Fluggepäck-Limit überstieg. Swissair-Angestellte in Dar es Salaam waren auch in ihrer Freizeit 24-Stunden-Vertreter ihrer Fluggesellschaft und warnten uns vor den Hürden und Kosten der Export-Lizenz, welche den Wert des Koffer-Inhalts wahrscheinlich übersteigen würde.

Wir wohnten an der Oyster Bay in einem schönen Hotel vor der Stadt. Die Zimmer waren klimatisiert, die Möbel aus dunklem Tropenholz – alles perfekt, nur die Bettlaken waren zu kurz. Noch heute überkommt mich beim Betreten eines tansanischen Hotelzimmers der Zwang, die Bettlaken zu kontrollieren, ob das Unterleintuch die Matratze auch am Fußende bedecken würde, wo Hunderte Gäste vor mir bereits ihre verschwitzten Füße abgestreift hatten. Das staatliche Touristen-Unternehmen hatte vermutlich massenweise Stoffballen zu Bettlaken verarbeiten lassen und nicht damit gerechnet, dass der Stoff beim Waschen eingehen würde. Vielleicht hatten die Bettlaken auch chinesischen Ursprung, wo die Betten kürzer waren. Jedenfalls lösten die Zimmermädchen dieses Problem dadurch, dass sie die Bettlaken am Kopfende schön stramm zogen, was aber später eine unangenehme Überraschung am Fußende beim Zubettgehen ergab.

Das Hotel war in traumhafter Lage. Der tiefblaue Indische Ozean gleißte in der Sonne. Die Palmen raschelten im Wind. Das English Breakfast, auf der Terrasse serviert und mit Fliegennetzen geschützt, war ein Selbstbedienungsbüfett. Darunter lagen Ananas-Tranchen, Papaya-Schnitze, würfelförmig eingeschnittene Mangos und kleine Fingerbananen. Fried eggs, soft eggs, scrambled eggs, ham, bacon, englische rote Bohnen erweiterten das Angebot und vieles mehr, was alles zum Frühstücksbüfett eines alten englischen Kolonialhotels gehörte. Diese Auswahl war herrlich nach den darbenden Zeiten im abgelegenen Moshi unter dem sozialistischen Regime von Julius Nyerere. Die staatlichen Hotels hatten zudem ein Monopol für bessere Angebote, wie auch WC-Papier und Glühbirnen, was dem gemeinen Volk nicht zustand, welches diese möglicherweise auch nicht benötigte.

Die Luft während der Regenzeit war schwül und heiß. Schweiß tropfte von der Stirne und die Kleider waren dunkel verschwitzt. Zur Abkühlung legten wir uns nach dem Besuch der Ämter am flachen Sandstrand an den Wassersaum, umspült von sanften Wellen, ganz dem Vergessen hingegeben. Urs spielte mit einem herumtollenden Hund. Eine Russin neben uns warf die Arme hoch und rief dem über uns einfliegenden Aeroflot-Flugzeug zu: „Russian, Russian!“ Sie war damals die billigste und auch risikoreichste Fluglinie, welche Dar es Salaam anflog.

Dann verblassen die Erinnerungen. Der Versand des Koffers war offenbar erfolgreich gewesen, denn viele Jahre später fanden wir, nachdem wir 1989 definitiv in die Schweiz zurückkehrten – „to leave for good“, nennen dies die Engländer –, beim Auspacken des in der Schweiz eingelagerten Haushaltguts die Souvenirs aus jener Zeit. Es waren zwei wunderschöne Makonde-Schnitzereien aus dem schweren Grenadill, dem afrikanischen Blackwood, auf Swahili „Mpingo“, welches dem Ebenholz gleicht. Die eine war ein kleiner Lebensbaum voller aufeinanderstehender Figuren, die andere war ein geschnitzter, durchbrochener, halbhoher Lampenständer. Der Stamm der Makonde aus dem Süden Tansanias sind Schnitzer, welche eindrückliche Holzfiguren schnitzen und heutzutage vor allem in Dar es Salaam arbeiten, wo sie im Mwenge Woodcarvers Market ihre Arbeiten verkaufen – ein unvergesslicher Ort.

Zurück in Zürich, arbeitete ich zwischenzeitlich auf dem Gebiet der Karies-Forschung. Die zelluläre Immunität bei Karies-Befall wurde untersucht. Urs bereitete sich auf die neue Stelle im KCMC vor. Die Anfrage des KCMC-Spitals an die Schweizer Entwicklungshilfe, mit der Bitte um Unterstützung beim Errichten eines Parasiten-Immunologie-Labors, gab Urs die Möglichkeit, auf seinem bevorzugten Gebiet in Afrika an Ort und Stelle weiterzuarbeiten, und zwar als Labormediziner und Forscher bei Malaria- und Schistosomiasis-Feldprojekten. Zusätzliche Unterstützung für das zu errichtende Zentrum erhielt er von Prof. Rüttner, dem damaligen Vorsteher Pathologie Unispital Zürich und Zuständiger für Entwicklungshilfe-Projekte an der Pathologie des Universitätsspital Muhimbili in der Hauptstadt von Tansania, Dar es Salaam.

Moshi/Tansania (1978)

Kilimanjaro Christian Medical Center (KCMC) Moshi

Kilimandscharo

Kilimanjaro Christian Medical Center (KCMC)

KCMC: Consultant, referral, and teaching hospital of Tansania

Moshi Town

Tansania-Karte

Tansania-Karte

Wieder Tansania (1978–1989)

Nach einem Jahr in der Schweiz reisten wir Ende März 1978 mit einem Zweijahresvertrag der Schweizerischen Entwicklungshilfe (heute DEZA) zurück nach Moshi – es war ein Vertrag, den wir noch einige Male verlängern sollten. Die Engländer nennen dies „to go out“, was heißt, hinaus in die Welt ziehen, in eines ihrer Kolonialländer. Als wie 1978 nach Moshi kamen, zählte die Stadt etwa 50.000 Einwohner. Heute (2021) sind es über 200.000 Einwohner.

Kilimanjaro Christian Medical Center (KCMC)

Wir lernten nun dieses über 500 Betten verfügende Consultant und Teaching Spital besser kennen, zuständig für über 15 Millionen Menschen der nördlichen, östlichen und zentralen Zone von Tansania. Es gehört noch heute der evangelischen lutherischen Kirche (ELCT) unter der Leitung des Good Samaritan Foundation (GSF). Patienten kommen von weit her angereist und werden zum Teil auch mit dem Flying Doktor eingeflogen. Für Notfälle steht der kleine Flugplatz in Moshi den Flugzeugen von AMREF (Flying Doctors) und MAF (Mission Aviation Fellowship) zur Verfügung.

Aufgebaut wurde das Spital nach langer Planung durch die lutherische und anglikanische Kirche, vorwiegend unter der Leitung des deutschen Arztes, Prof. Dr. Otto Walter, des späteren ersten Direktors. Die Eröffnung war im Jahr 1971.

Viele Ärzte, Spezialisten und medizinisches Personal aus aller Welt arbeiteten hier. Sie kamen unter anderem aus Europa (vor allem aus Deutschland, England, Skandinavien, Holland), den USA, Australien, Neuseeland und Asien. Auch Ingenieure und Piloten lebten hier. Entwicklungshilfen und Missionen unterstützten sie finanziell, wie beispielsweise „Brot für die Welt“. Die meisten der Ausländer wohnten im Ärzte-Compound in der Nähe des Spitals. Dieser besteht noch heute aus über 30 Häusern, kleineren und größeren, belegt je nach Bedarf und Größe der Familien. Der Sinn war, das Gesundheitssystem zu unterstützen, bis Tansania bereit war, die Spezialärzte selbst zu stellen. Um gute Fachärzte rekrutieren zu können, wurde für deren Kinder in der Nähe die Internation School gebaut (ISM), bei welcher man mit dem International Baccalaureate (IB) abschloss, was den Schülern später ermöglichte, an internationalen Universitäten zu studieren.

Im KCMC errichteten wir das Immunologische Labor im Teaching Lab gegenüber des Clinical Labs. Die uns zugewiesenen Laboranten führten wir in die serologischen Untersuchungsmethoden ein. Mithilfe der Immunfluoreszenz wurde Patientenserum auf extraintestinale Parasitosen untersucht, vor allem auf Schistosomiasis, Filariose und invasive Formen der Amoebiasis. Später kamen Feldprojekte in der Kileo-Ebene hinzu zur Bekämpfung der Bilharziose (Schistosomiasis). Die von uns installierten Wasserhandpumpen hatten den Zweck, die Bevölkerung abzuhalten, in den mit den übertragenden Schnecken infizierten Gewässern Wasser zu holen. Nach weiteren Jahren führten wir unter dem Druck der sich ausbreitenden HIV-Infektionen die Aids-Tests ein. Mit Unterstützung der Tuberkulose-Liga errichteten wir das Tbc-Labor. Wegen den vielen Aids-Erkrankungen war die Anzahl der Tbc-Fälle angestiegen.

1987 beendete die Schweizer Entwicklungshilfe die Unterstützung unseres Projektes, da sie sich nur noch für Basisprojekte einsetzen wollte. Mit der Organisation „Brot für die Welt“ schloss Urs sein letztes Projekt ab. Dies war die Malaria-Feldstudie in der malariaverseuchten, südlich von Moshi gelegenen Ebene, der TPC-Zuckerrohrplantage. Der Sinn war gewesen, die Bevölkerung gegen die Übertragungsformen der Malaria zu behandeln. Die infektiösen Formen, die Gametozyten, wurden durch die regelmäßige Einnahme von Primaquin vernichtet, welche zwar nicht selbst krank machten, jedoch für die Malaria-Übertagung verantwortlich sind. Diese Medikamenteneinnahme war für die Bevölkerung etwas schwierig nachzuvollziehen, weil sie nur indirekt davon profitierte.

Heute ist unser Labor im KCMC verwaist. Dafür gibt es nun seit 2006 ein Research Centre in einem neuen Gebäude neben dem KCMC, das „Kilimanjaro Clinical Research Institute“. Das Tbc-Labor, mit Urs’ Hilfe aufgebaut, funktioniert noch mit den alten Laboranten, die uns bei einem Besuch nach über 30 Jahren sofort wieder erkannten – eindrücklich, die Treue der Afrikaner.

Das Leben in Moshi und im Doctors Compound (1978)

Moshi war geprägt von der englischen Kolonialkultur. Einige Häuser aus der deutschen Zeit findet man noch in der Stadt. Andere Häuser waren später von Indern und Engländern gebaut worden.

Es gab englische Clubs. Die bekanntesten waren der Golf Club, der Mountain Club, der Drama Club und der Garden Club. Bridge wurde vor allem in TPC (Zuckerrohrplantage im Süden von Moshi) gespielt. Die International School befriedigte musische Bedürfnisse und oft wurden nach dem Einnachten in den Gärten der Expatriates Dramastücke gespielt und klassische Musik gehört. Es gab einen Art Club, wo man zusammen zeichnete und malte. Den Ideen waren keine Grenzen gesetzt, denn es fehlten andere Unterhaltungen während des Niedergangs unter dem sozialistischen System Nyereres. In einem maroden Kino konnte man selten indische Liebesfilme sehen, was für Moshi ein Höhepunkt war. Einmal besuchte ein indischer Zirkus Moshi. Unvergesslich der Motorradfahrer, der in der Gitterkugel rundum fuhr!

Viele christliche Kirchen verschiedenster Glaubensrichtungen gab es. Sie waren durch Missionare gegründet worden. Neben der lutherischen, römisch-katholischen und anglikanischen Kirche, wie die St. Margaret’s Anglican Church, welche vor allem von Weißen besucht wurde, gab es den Hindu-Tempel, den Sikh-Tempel und die Moscheen.

Etwa die Hälfte der Bevölkerung von Tansania sind Christen, ein Drittel Muslime und ein kleiner Teil sind Hindus. Daneben gibt es viele Naturreligionen. Die meisten Muslime leben im Küstengebiet.

Nach der Enteignung unter Nyerere war das wirtschaftliche Leben zum Stillstand gekommen und viele Inder, Engländer und Südafrikaner hatten das Land verlassen.

Das Leben im Compound war farbig, denn zu den über 33 Haupthäusern gehörten auch die Servants-Häuser. Anfänglich waren sie nur als Aufenthaltsort während der Arbeitspausen geplant. Später wurden sie ausschließlich zum Wohnen benützt. Meistens waren diese durch viele Kinder der Bediensteten überbelegt. So spielten alle miteinander, was ein farbiges Leben war, dazwischen die Hunde, Katzen und Hühner. Alle waren wir voneinander abhängig.

Afrika schenkte Farben und Licht. Die grenzenlose Freiheit war allgegenwärtig, damit verbunden waren entsprechende Risiken und Gefahren.

Der fremde Kulturkreis und der afrikanische Alltag zwangen, persönliche Stärken und Schwächen auszuloten. Mitgebrachte europäische Auffassungen und Pläne endeten in Sackgassen oder waren undurchführbar. Legale Wege blieben oft verschlossen. Man begann die Gefahr der schrankenlosen Freiheit zu erahnen und sah die Versuchung, Chancen auszunützen und die ethischen Grenzen den eigenen Bedürfnissen anzupassen. Afrika verlangte den Mut und den Willen, den eigenen Weg zu finden, oft bis an die Grenzen der eigenen Ethik, um sich zwischen „richtig“ und „falsch“ zu entscheiden. In der Schweiz war dies einfach, denn das Elternhaus sowie die Erziehung in Schule und Kirche hatten uns das vorgegeben und unsere Lebenshaltung geprägt.

Afrika wurde deswegen zum Brennpunkt und gab dem eigenen Leben einen neuen, einen anderen Sinn.

Doctors Compound vom KCMC

Orientierungs-Wegtafel im Compound

Unser erstes Haus C12

Clearing and Forwarding Agent in Tanga

Unser Seegepäck mit dem Haushaltgut wurde im Hafen von Tanga erwartet. Wir reisten in diese kleine Hafenstadt, eine halbe Wegstrecke zwischen Moshi und Dar es Salaam. Tanga stammt noch aus der deutschen Kolonialzeit und ist vorwiegend muslimisch, wie die meisten Küstenstädte in Tansania. Im lutherischen Gästehaus fanden wir Unterkunft. Die Möbel im Eckzimmer waren aus dunklem Tropenholz. Über unseren Betten kreiste surrend ein wackliger Ventilator. Auf der höchsten Stufe rotierend, entzog er uns die Atemluft, kühlte jedoch dafür unsere feuchtheißen Körper. Der alte deutsche Friedhof lag in der Nähe, wo zahlreiche junge deutsche Männer, Beamte und Soldaten des ehemaligen deutschen Kolonialreiches ihr Leben verloren hatten und begraben liegen, ereilt durch einen frühen Tod, wie man las, im Krieg mit den Engländern im Ersten Weltkrieg und durch Malaria.

Dann schlenderten wir durch die Stadt und fanden einen Haarschneider, der seine Haarschnitte noch aus der deutschen Zeit als Reklameschild im Schaufenster ausgestellt hatte – in der damaligen Mode für die deutschen Kolonialisten. Urs wollte diese Gelegenheit nicht verpassen. Der Haarschneider kämmte Urs’ Haare nass herunter und schnitt sie unten horizontal ab. Aber die lockigen Haare von Urs waren widerspenstig und zogen sich sofort wieder zusammen. Urs sah aus wie ein umgekehrter Tannenbaum. Alle Haare standen oben ab. Der Haarschneider war verzweifelt und gab sein Vorhaben schließlich auf. Er kannte nur afrikanisches kleinkrauses oder deutsches glattes Haar, aber kein lockiges.

Deutscher Haarstyle

Resultat bei Urs

Man hatte uns den Clearing and Forwarding Agenten „Babul“ in Tanga empfohlen. Er war Inder, war groß und dick und kaute ununterbrochen Betel, den er jeweils, in ein Blatt eingewickelt, in den Mund schob. Roter Speichel rann aus seinen Mundwinkeln. Der Mann war unangenehm. Für das Auslösen der Kiste aus dem Seehafen, für die Zollabfertigung sowie für all die vielen Handänderungsgebühren und nicht nachkontrollierbaren kleineren und größeren Bestechungsgelder wie auch für den Weitertransport der schweren Seekiste per Lastwagen nach Moshi – für das alles bezahlten wir einen erstaunlich hohen Geldbetrag.

Jahre später vertraute man uns an, dass brave Entwicklungshelfer auf seine Nötigung hin bei ihm Geld schwarz getauscht hätten. Er hätte danach behauptet, dieses Geld wäre nie auf seinem ausländischen Konto eingegangen. Aussage stand gegen Aussage.

Heirat (17. Juni 1978)

Ohne Heirat erhielt ich keine Aufenthaltsbewilligung in Tansania und auch keinen Lohn für meine Laborarbeit. Das Schicksal hatte entschieden und es war uns recht. Die Ausreise war überstürzt gewesen und zum Heiraten hatte uns die Zeit gefehlt. Wir kannten das Land und wir wollten zurück nach Afrika!

Klaus Becker und Irmgard Kilian, unsere deutschen Nachbarn im KCMC-Compound, freuten sich über ihre Aufgabe, unsere Trauzeugen zu sein. Klaus war Gynäkologe und Irmengard, die Frau des Spital-Apothekers Rüdiger, war Lehrerin an der International School.

Die zur Heirat benötigten beglaubigten Dokumente lagen bereit und der Termin stand fest. Am 17. Juni sollten wir auf der Boma erscheinen, dem Verwaltungssitz in Moshi, zusammen mit den beiden Trauzeugen. Zufällig war dies der Tag der Deutschen Einheit.

Auf der Boma in Moshi: Irmengard + Rüdiger Kilian und Klaus Becker/Trauzeugen (17.06.1978)

Der Samstag, der 17. Juni 1978, brach an. Urs wählte den olivgrünen, also den besseren seiner beiden Anzüge und nicht den Jeansanzug. Ich besaß ein glänzendes Designerkleid in leuchtenden Pastellfarben. Es war hauteng und sehr schön. Ich hatte es trotz des hohen Preises einmal gekauft. Dazu trug ich eine selbst gehäkelte blau-goldene Kette aus winzigen Perlen, ähnlich wie die Arbeiten von Sophie Taeuber-Arp. Rüdiger holte uns vor unserem Haus ab. Er trug seinen ehemaligen Hochzeitsanzug. Man hatte ihm vor der Ausreise empfohlen, für offizielle Anlässe einen dunklen Anzug mitzunehmen. Bis zu diesem Anlass hatte sich für ihn noch keine Gelegenheit ergeben, ihn zu benützen. In dieser Kleidung stach er uns alle aus. Klaus, in seiner beigefarbenen Jeans und der über einem Riss aufgebügelten roten Karotte in Kniehöhe, dazu seine schwarze Strickjacke über dem weißen Hemd, band sich rasch noch seine einzige rote Krawatte um. Er trug seine Lieblingsfarben und fuhr uns in seinem roten VW Golf, gefolgt von Kilians in ihrem VW Käfer, zur Boma hinunter nach Moshi.

Standesamt

Standesamt

Man hatte uns erwartet. Die Vertretung der Standesbeamtin in ihrer prallen Hose trug ein kleines Kopftuch. Sie empfing uns fröhlich und nahm mit ihrer herzlichen Heiterkeit dem steifen Akt den Ernst. Im Standesamt, einem kahlen Zimmer mit einem Tisch und vier Stühlen in der Mitte, forderte sie uns auf, uns zu erheben. Sie gab Urs und mir einen Zettel mit dem aufgedruckten Heiratsversprechen, das wir laut vorzulesen hatten. Des Swahili unkundig, lasen wir unwissend alles ab, was darauf stand, und waren erstaunt über das Gelächter der Trauzeugen. Wir hatten beide versprochen, einen Mann zu heiraten. Urs erhielt einen neuen Zettel, auf dem stand nun, dass er eine Frau heiraten wolle. Er durfte dann wählen, ob er in Zukunft eine oder mehrere Frauen zu heiraten gedenke oder ob er sich momentan noch nicht festlegen möchte. Wegen unserer Gegenwart war seine Entscheidung schnell gefällt und die Angelegenheit rasch erledigt. Alle lachten und wir waren verheiratet. Wir unterschrieben das Dokument und wurden fotografiert zusammen mit der Standesbeamtin. Im Coffee-House beim Clocktower- Kreisel trafen wir einige Nachbarn und Mitarbeiter vom Spital, welche am Samstag nach dem Einkaufen dort am Kaffeetrinken waren. Ich erinnere mich noch

„Marangu“-Hotel (altes Kolonialhotel)

an Dr. Eshlemann, den Urologen, welcher Galoschen über seinen Schuhen trug, um seine Schuhe bei Regen zu schonen. Es wurde eine fröhliche Gruppe.

Wir planten anschließend im geschichtsträchtigen „Marangu“-Hotel das Mittagessen einzunehmen. Klaus fuhr auf der Old Moshi Road auf seinem Motorrad, der Yamaha 125 cc voraus. Wir folgten auf der Suzuki 125 cc, unserem Motorrad mit den dicken Pneus, denn unser Peugeot 504 war noch unterwegs auf einem Schiff zwischen Europa und Afrika. Der Regenwald leuchtete sattgrün nach der Regenzeit. Über das Schweizer Kapuziner Nonnenkloster „Maua“ erreichten wir das alte „Marangu“-Hotel, ein ehemaliges deutsches Farmhaus, das seit Langem als Hotel und Restaurant fungierte. Kilians warteten dort bereits auf uns.

Ruhig war die Stimmung im Speisesaal, englisch und gediegen. Man sprach mit gedämpfter Stimme. Die Tische und Stühle im düsteren Speisesaal waren aus dunklem Tropenholz. Blau karierte Tischtücher bedeckten die Tische und auf jedem Tisch stand eine ziselierte Messingvase mit Blumen aus dem Hotelgarten. Die Anrichte, ein schönes Möbel aus Tropenholz, stand direkt neben dem Eingang. Die stillstehende große Wanduhr in einem Holzgehäuse zeigte auf zwanzig nach acht. Gegenüber erinnerten alte Schwarz-Weiß-Fotos an die ersten Kilimandscharo-Besteigungen.

Wir fünf waren die einzigen Gäste. Die dampfende Suppenschüssel wurde herumgereicht. Als nächster Gang folgte die englische Kidney Pie. Dazu gab es Salat und Karotten aus dem Gemüsegarten, ergänzt mit gedämpften Kartoffeln. Das Essen wurde über den Vorhof aus der gegenüberliegenden Küche herangetragen. Die Kellner waren schweigsam und freundlich, zurückhaltend und wohlerzogen, nach englischer Gepflogenheit. Zwei ältere Damen führten das Hotel. Sie wussten alles über die alten Zeiten. Auch sie selbst waren bereits „history“. Ihr Hund „Prinz“ war ein Boxer-Hund. Er sollte später Bewunderer unserer Hündin „Jua“ werden. Den Kaffee nahm man nach dem Essen auf der Veranda ein. Von dort aus hatte man über die hinunterführende Treppe die Sicht auf den Garten und über den dicht mit Bougainvillea überwachsene Pavillon. Später würden die Taufen von Simone und Andreas auf Fotos vor diesem Pavillon festgehalten werden.

Wir setzten uns auf die Treppenstufen und waren glücklich. Das Essen hatte uns verwöhnt und die tropische Blumenpracht zwischen Jasmin und den lila-weißen Yesterday-today-tomorrow-Blüten, den Brunfelsia, war traumhaft. Wir wanderten durch den Gemüsegarten am sonnigen Abhang entlang oberhalb des Flusses, wo der alte Gärtner mit scharfem Auge sein Reich bewachte. Anschließend fuhren wir mit den Motorrädern und mit Kilians in ihrem VW Käfer hinunter in die Ebene, wo die beiden Vogelliebhaber, Klaus und Rüdiger, in der Steppe von Kileo bei den Baobab nach Graupapageien Ausschau hielten.

Bei Großmanns gab es abends im Compound eine Party. Wir wurden begrüßt als frisch verheiratetes Paar – es war der Einstand für elf weitere Jahre in Afrika.

Urs und Annelies/„Marangu“-Hotel

Dar es Salaam: Mbudya Island (1978)

Während der anschließenden Reise wohnten wir im Africana Village, einer Hotel-Bungalow-Anlage nördlich von Dar es Salaam, die es heute nicht mehr gibt. Unsere junge Hündin „Jua“ war mit uns unterwegs und begleitete uns auf einem Motorboot-Ausflug zum vorgelagerten Riff, der Mbudya-Insel. Der Südmonsun wehte und wühlte das Wasser auf. Wir waren die einzigen Fahrgäste. Nur mit Mühe erreichten wir bei Flut und hohem Wellengang die kleine Koralleninsel.

Da näherte sich ein anderes Motorboot. Es brachte Gäste vom Nachbarhotel „Kunduchi“ zur Insel. Zu jener Zeit gab es kaum Touristen. Die Grenze nach Kenia war geschlossen nach dem Zusammenbruch der East African Community. Unter Nyereres Sozialismus bot Tansania keinen Luxus. Es waren magere Zeiten. Wir vermuteten deshalb, dass die Fahrgäste Entwicklungshelfer waren mit Verwandten, die zu Besuch waren.

Das Boot fuhr zum Landen möglichst nahe an die Insel heran. Unter den Fahrgästen gab es ältere Leute, die Kleider trugen und keine Badeanzüge. Das Aussteigen ohne Leiter war für sie schwierig. Sie warteten, bis eine Wellenserie vorbeigezogen war, und sprangen dann während einer Wellenpause vom Bootsrand ins niedrige Wasser, von wo aus sie, gegen den Sog des zurücklaufenden Wassers ankämpfend, dem Land zustrebten. Bei Flut jedoch fiel der Meeresboden stark ab, was bei dem trüben Wasser schlecht zu erkennen war. Jedenfalls gab ihnen der weiche, aufgewühlte Meeressandboden keinen Halt. Eine mächtige Welle rollte heran und warf sie alle um, überrollte sie und zog sie mit – für eine geraume Zeit sah man sie nicht mehr! Vereinzelt tauchten Köpfe auf. Wie Schiffbrüchige kämpften sie gegen den Sog, schwammen und strampelten, schlugen um sich gegen die Brandung und bemühten sich, aus den sie immer wieder neu erfassenden Wellenbergen und dem nachfolgenden Wassersog zu entkommen. Schließlich erreichten sie das ansteigende sandige Ufer. Ein älterer dünner Mann, dessen schwarze Hose ihm an den mageren Beinen klebte und aus dessen Hemdärmeln Wasser und Sand rannen, bot ein Bild des Jammers. Er vermisste nicht nur seine Brille, sondern er hatte offensichtlich auch sein Gebiss im wilden Wasser verloren – ein Unglück, das in Europa noch zu verschmerzen gewesen wäre – in Tansania aber ein katastrophaler Verlust bedeutete, denn hier gab es, außer gelegentlich Secondhandbrillen, ganz sicher nirgendwo ein künstliches Gebiss!

Meerestiere

Pangani: Tage am Meer (März 1979)

Wir planten für einige Tage ans Meer zu fahren. Die internationale School vermietete ihr Haus an der Mkoma Bay in der Nähe der alten deutschen Stadt Pangani. Dort konnte man mit der Fähre übersetzen und entlang des Meeres möglicherweise Dar es Salaam erreichen. Davor gelagert waren die Amboni-Sisalplantagen, wo Schweizer auf den Estates die Plantagen leiteten.

Wir richteten uns im Garten des alten Hauses ein, welches auf der Klippe über der Mkoma Bay lag. In der Nähe gab es noch weitere Häuser. Da war das YMCA Guesthouse, in welchem wir bei unserem ersten Aufenthalt 1977 einige Tage zugebracht hatten und wo nachts Ratten durch unser Zimmer gehuscht waren. Wir hatten daraufhin die Esswaren an einer Schnur aufgehängt, welche durch das Zimmer gespannt war. Auch Nic und Sylvie Emmanuel’s Beachhouse stand in der Nähe, die auch unsere Nachbarn aus Machame bei Moshi waren. Es war ein einfaches, idyllisches Haus. Ich zählte damals neben unserem Haus drei weitere Häuser. Man sagte, in einem hätte Hemingway gewohnt, als er in Tansania gelebt hatte. Später wurde das dritte Haus, welches dem Leiter der Simba Farm aus West-Kilimandscharo gehörte, Mr. Christofersen, dem KCMC zum Kauf angeboten für 10.000 US-Dollar, zusammen mit dem Boot. Einige Ärzte am KCMC hatten sich einen Kauf überlegt. Aber am Schluss wollte niemand das Risiko eingehen, in diesem unberechenbaren Land noch einen „Koffer“ zu besitzen.

Das kleine Ferienhaus der ISM, in dem wir wohnten, lud nicht richtig zum Wohnen ein und wir improvisierten. Am Tag aßen wir im Freien unter dem Moskitonetz, welches wir in Tanga vorher gekauft hatten, indem wir uns mit dem Campingtisch und Stühlen daruntersetzten, geschützt vor Massen von Fliegen. Nachts ersetzten wir den Tisch durch Luftmatratzen und schliefen somit mückenfrei an der frischen Luft. Im Städtchen Pangani roch es auf den Straßen nach Kokosöl und in den kleinen Shops wurden Pickles angeboten. Sonst gab es nur noch frischen Fisch vom Fischer, der bei uns vorbeikam. Das Baden unten in der Bucht war einsam und schön. Bei der Sisalplantage Mwera jenseits des Pangani-Flusses besuchten wir Schweizer auf ihrer Plantage und fuhren mit ihnen auf einem Auslegerboot hinaus zur Turtle Island, einer Sandinsel, wo Meeresschildkröten ihre Eier legten.

Auf der Rückreise nach Moshi kamen wir mit unserem Saloon Car, dem Peugeot 504, in Schwierigkeiten. Es war bereits Anfang der Regenzeit. Die Erdstraßen standen unter Wasser. Wir waren auf einer Abkürzung unterwegs Richtung Muheza, als wir im Lehm stecken blieben – hoffnungslos und allein. Nach einer Weile kam uns ein Land Rover entgegen, darin ein hilfsbereiter Muslim, der uns mit seinem Auto aus dem Schlamm zog. Vollständig verdreckt kehrten wir um, nochmals zurück zum Haus über der Klippe, wo wir uns mitsamt den Kleidern unter die Außendusche stellten. Der Peugeot eignete sich offensichtlich nicht für „rough roads“, wie wir feststellten.

Pangani ISM House an der Mkoma Bay (28.03.1979)

Taufe von Simone und Andreas (24. Februar 1980 und 9. Januar 1983)

Simone wurde am 16. November 1979 im KCMC geboren. Am 24. Februar 1980 feierten wir in der kleinen Anglican Church in Moshi, der St. Margaret’s Church, ihre Taufe. Pastor Baker, ein Engländer, war ein netter hagerer Mann, der die Predigt liebevoll gestaltete, wie auch später diejenige von Andreas am 9. Januar 1983.

Ich hatte Stoff von Laura Ashley geschenkt erhalten, lila-weiß mit kleinen Blumenmotiven, aus dem ich Taufkleider genäht hatte. Simone erhielt ein Röckchen mit Volants und Andreas einen Hosenanzug, beide dazu ein Hütchen – ich besitze sie jetzt noch. Die Kirche war voll besetzt mit Freunden aus dem Spital und der International School, denn die Predigt bot neben der Gemeinschaft auch Unterhaltung und man hörte dazu die neusten Geschichten aus Moshi und der ganzen Welt von Verwandten

St. Margaret’s Church in Moshi

und Freunden, besonders, wenn sie erkrankt waren. Dann betete man für sie – mit anderen Worten – es war interessant, ja fast spannend. Dazu wurden englische Lieder gesungen, begleitet von einer Lehrerin der ISM auf dem Harmonium. Sylvie Emmanuel, die Engländerin aus Machame, war jeweils für die Blumendekoration in der Kirche verantwortlich, was sie mit viel Geschick und Hingabe tat. Sylvie war Mitglied des Garden Clubs. Vor Weihnachten motivierte sie uns jeweils, aus getrockneten Jakaranda-Blütenkapseln Christbaumdekorationen zu machen, indem man sie farbig oder bestenfalls golden anmalte und am Baum aufhängte – ein Ersatz für die Weihnachtskugeln.

Zucker und Mehl waren schon lange Mangelware, ohne welche man keinen Kuchen backen konnte. Ich hatte zum Glück auf dem Markt Mehl kaufen können. Auf den großen Säcken stand aufgedruckt: „Donated for the people of Tanzania“, was die Gelegenheit bot, gleich Kopfkissen voll mit Mehl einzukaufen – die gängige Art, Mehl in großen Mengen aufzubewahren. Ich lagerte sie in unserem Tiefkühler, um die „Dudus“, die Mehlwürmer darin, abzutöten – ein Weg, verderbliche Ware langfristig aufzubewahren. Über all die Jahre waren insgesamt drei Tiefkühler zusammengekommen, abgekauft von „leaving“ Expatriates. Das Mehl aus den USA war makellos, ohne modrigen Geschmack. Zucker hatte ich vorher langfristig aufgespart für diese Feier. Ich machte mich also ans Backen von Torten, alle nach den Rezepten aus dem Fülscher-Kochbuch. Neben Rüblitorten gab es Brownies, Linzertorten und Engadiner Nusstorten, allerdings nicht mit Baumnüssen belegt, sondern mit den erhältlichen Erdnüssen. Das ergab am Schluss zwölf Torten, die wir zur St. Margaret’s Church hinunterfuhren, sorgsam gelagert im Auto. Viele der Besucher hatten seit Monaten kaum mehr Süßes gehabt und als wir nach dem Gottesdienst die Tische freigaben – Urs hatte vorher noch zu zweit ein Klavier ins Freie tragen müssen als musikalische Untermalung des Kirchenkaffes draußen –, war die Freude groß über den kulinarischen Genuss.

Dasselbe wiederholte sich nach drei Jahren an der Taufe von Andreas. Er war am 30. April 1982 ebenfalls im KCMC geboren worden, am Geburtstag von Urs. Auch nach dieser Taufe in der Kirche fuhren wir anschließend mit den Freunden, die uns am nächsten standen – Joachim, unser langjähriger Freund war überraschend mit seiner Frau auf Besuch gekommen –, in unser geliebtes, idyllisches „Marangu“-Hotel zum Mittagessen, wo wieder die ziselierten feinen Vasen mit Blumen aus dem Hotelgarten auf den Tischen standen, wie bei unserer Hochzeit und der Taufe von Simone. Die große Suppenschüssel wurde wieder auf den Tischen herumgereicht. Die Kidney Pie trugen die alten Kellner aus der gegenüberliegenden Küche über den Hotelinnenhof heran und erfüllten wie immer still und ergeben im Auftrag der beiden alten Damen, der Hotelbesitzerinnen, Mrs. Peggy Bennett und Erika von Lany, ihre Aufgabe.

Danach setzten wir uns auf die Veranda, wo der Kaffee ausgeschenkt wurde und von wo man die Aussicht über den Garten und über das mit Bougainvillea überwachsene Pavillon genoss, wohin die große Treppe hinunterführte und wo wieder Fotos gemacht wurden. Es war zu unserer Tradition geworden.

Taufe Simone (24. Februar 1980)

Taufe Andreas (9. Januar 1983)

Alltag in Moshi (1978–1989)

Soziales Leben und Versorgungslage im sozialistischen Land

Zum Glück gab es die ISM, die International School, mit ihren ausländischen Lehrern, welche mit ihren Klassen an Schulveranstaltungen Singspiele und Theaterstücke vorführten. Dazu gab es im Areal der Schule einen Swimmingpool, wo man sich traf – eine beliebte Abwechslung im Alltag der Frauen, welche vor allem daraus bestand, sich gegenseitig auszutauschen, sich Neuigkeiten und Ratschläge weiterzugeben, wo man in Moshi etwas einkaufen konnte oder wie man etwas Köstliches kochen konnte – und dies beim akuten Mangel an Mehl, Zucker, Reis, Eiern – was wirklich ein Kunststück war. Ein besonderer Mangel betraf WC-Papier, Glühbirnen und Seife. Letztere konnte man, wenn man Glück hatte, bei fliegenden Händlern unterwegs an einsamen Orten am Straßenrand kaufen, welche einem versteckt zuwinkten. Diese Handseifen wurden über die Grenze aus Kenia herübergeschmuggelt. Ich vergesse nicht, wie köstlich der Geruch von „Lifeboy“ und „Lux“ war. Man konnte nicht aufhören, an ihnen zu riechen. Es waren karge Zeiten unter Julius Nyerere, dafür unvergessliche. Seltene Esswaren genoss man besonders. Aber ich erinnere mich auch, wie schnell man diese versteckte, sollte ein Besucher vor der Türe stehen und „Hodi“ rufen – das Swahili Wort für „Hallo“.

Die warmen Farben, die Ruhe, das flimmernde Licht des afrikanischen Nachmittags, sie gehörten mir. Die Farben von Grün über Orange bis zum Braun der Erde, nur unterbrochen durch einige rote und weiße Farbtupfer der Bougainvillea-Hecke und des gelben Oleanders leuchteten durch die Louver (Klappfenster) herein. Der riesige Bambus in der Mitte des Gartens, wo immer der Wasserhahn tropfte, raschelte im aufkommenden

Unser zweites Haus B10 mit Garten

Dasselbe Haus mit Garten

Abendwind. Leise und immer lauter würde der Wind gegen Abend durch das Haus wehen, oft heulen und den Weg durch die nicht dicht verschließenden Klappfenster finden. Von unserem Sitzplatz aus sah man kurz vor Sonnenuntergang die runde Schneekuppe des höchsten Berges Afrikas im rosafarbigen Abendlicht über dem Dunst schweben – dem Dach Afrikas. Der Gipfel des Kilimandscharo war immer höher, als man ihn vermutet hatte. Eine Missionarin erklärte einmal ehrfürchtig, so wäre es mit Gott – dieser sei auch immer höher, als man ihn vermute.

Das Kilimandscharo-Massiv ist ein Wunder – vier erloschene Vulkane stehen nebeneinander. Von Moshi aus sieht man weit entfernt bei Arusha, dort, wo die Sonne untergeht, den Mount Meru (4562 m). In unserer Nähe folgten die anderen drei Vulkane: links das Shira-Plateau (3962 m) – es ist eine Caldera eines kollabierten Vulkans. In der Mitte dominiert der Kilimandscharo (5895 m) und rechts von ihm ist der Mawenzi (5148 m). Dieser ist ein Restschlot eines Vulkans und deswegen ein schwierig zu besteigender Berg des spröden Gesteins wegen.

Mount Meru bei Arusha

Shira-Plateau ganz links – Kilimandscharo – Mawenzi

Mein besonderer Lieblingsberg aber ist der Mount Meru bei Arusha. Zwischen den beiden Vulkanmassiven erstreckt sich die Sanya-Juu-Ebene. Seine dreieckige dunkle Silhouette hebt sich jeweils gegen den roten Abendhimmel ab – ein Bild, das mich später in der Schweiz beim Anblick des ähnlich aussehenden Berges „Niesen“ am Thunersee immer an ihn erinnern würde. Oft verwechsle ich dann ihre Namen.

Unsere Kinder wurden im KCMC geboren, Simone 1979, Andreas 1982. Simone lebte hier und jetzt und war ganz Afrikanerin. Unser Hausmädchen, Joyce, nannte sie „Simoni“ und Andreas nannte sie „Andreasi“. Beide besuchten den „Moshi Kindergarden“, wohin sie von uns Müttern hingefahren wurden. Später gingen sie zu Fuß in die nahe internationale Schule Moshi (ISM). Diese war für die Kinder von ausländischen Fachärzten des Spitals erbaut worden. Wenn es genügend freie Plätze in den Klassen gab, wurden diese durch ansässige Schüler aufgefüllt, deren Eltern in der Lage waren, eine Privatschule zu bezahlen. Diese durften dann kostengünstig und in lokaler Währung bezahlen. Dies waren vorwiegend Kinder von Indern

Bananenstauden

und von besser gestellten Afrikanern. Das ergab ein buntes Völkergemisch! Blonde bis dunkle Haarschöpfe aus Nordeuropa, Amerika, Australien, Asien und Japan vermischten sich im Spiel mit schwarzen Kraushaarköpfen und tiefschwarz glänzenden Haarschöpfen von Inder-Kindern. Selbstverständlich und kritiklos akzeptierten sie die andere Kultur und Denkweise.

Bananenstauden

Das Inselartige ihres Lebens war den Schülern kaum bewusst. Fast jedes Jahr erhielten die Klassen andere Lehrer. Meistens kamen diese aus England, den USA oder aus einem anderen nordeuropäischen Land.

Unsere Kinder liebten die Schule. Weinerlich wurde Simone nur, wenn die Schulaufgaben sie zu lange vom Spielen mit Kindern abhielten, welche bereits vor der Haustüre auf sie warteten oder ihr beim Lernen durchs Fenster zuguckten. Befreit, rannte sie dann los. Ich kannte ihre Stimme aus der Ferne. Ihr helles, offenes, sich überschlagendes Lachen klang heraus. Meist führte sie die Gruppe an, spontan, direkt und nachgiebig, aber auch zielbewusst. Mit der Zeit lernte sie, die Mädchenintrigen in der Schule allein durchzustehen, ein Reifungsprozess, der schwierig und schmerzhaft war, aber sie viel lehrte.

Unser drittes Haus 14A

Unser drittes Haus 14A

Andreas hatte eine andere Art. Ihn erkannte man an seiner kritischen Stimme, die gerne ins Vorwurfsvolle umschlug. Dann rannte er weinend nach Hause. Er hatte ausdrucksvolle Augen, war nachdenklich und konnte sich gut ohne andere Kinder beschäftigen, war aber doch ganz auf Simone ausgerichtet und hing von ihren Taten und Plänen ab. Er bewunderte sie sehr, übernahm liebend gerne ihre zu klein gewordenen Kleider, auch wenn auf dem Pyjama stand „I am a good girl“. Er war gerne mit Erwachsenen zusammen, die ihn alle liebten. Seine Blumen zeichnete er verkehrt herum. Er begann unten mit den Blumenköpfen und zeichnete die Blumenstiele vertikal nach oben. Er war Linkshänder wie sein Vater, was seine andere Denkweise erklärte. Zudem hatten er und Urs am selben Tag Geburtstag. Süßigkeiten liebte er sehr, vor allem den Schokoladenkuchen, den ich aus dem

Plan Haus A14

englischen Brownie-Rezept backte. Er war ehrgeizig und hartnäckig und war einer der Besten in seiner Klasse – immer brav und artig, scheu zu fast allen, außer zu seinen Favoriten. Das waren die beiden ruhigen Knaben, Jacobo und Jan, aber auch die beiden aufgeweckten unternehmungslustigen Knaben, Abraham und Benjamin. Vor allem liebte er die Mädchen. Zu rau schien für ihn der Pausenplatz und er zog es vor, mit dem Einverständnis der ihn umsorgenden Lehrerin im Zimmer zu bleiben, um dort mit den Mädchen zu zeichnen und zu schwatzen. Er wurde nie gehänselt oder geplagt, obwohl er seine eigenen Wege ging. Die australische Lehrerin, Mrs. Clarke sagte, die lebhaften Knaben würden mit ihm ruhig werden. Oft dachte ich, dass ihm Afrika einmal weniger fehlen würde als Simone.

Andreas

Simone

Das Swahili-Gespräch der Kinder mit ihren farbigen Spielkameraden rund um das Haus war friedlich. Ich verstand nie alles und musste deshalb nur selten eingreifen. Die Kinder wussten, dass sie Konflikte selbst lösen und die Konsequenzen selbst tragen mussten. So war es einfach für mich, darauf vertrauen zu dürfen. Ich achtete nur auf den Lärmpegel und weniger auf den Inhalt ihrer Gespräche. Swahili war ihre Spielsprache und die Servant-Sprache. Schweizerdeutsch war die Familien-Sprache und Englisch die Schulsprache an der International School Moshi. Im Schulfach „mother tongue“ lernten sie Hochdeutsch (eine Stunde pro Woche).

„Jua“, unsere schwarze Hündin, lag auf dem kühlen Steinboden mir zu Füßen. Sie war ein Mischlingshund. Im Schlaf stieß sie gelegentlich tiefe Atemstöße aus. Es war ihr wohl auf ihrem Lieblingsplatz neben meinem Pult. Jeden Nachmittag schlich sie sich vor meine Schlafzimmertür, wenn ich oft Briefe schrieb, winselte, bis ich ihr öffnete. Dann kam sie wedelnd heran und ließ sich neben mir schwer auf den Boden fallen, sodass ich ihre Knochen aufschlagen hörte. Stand ich auf, war sie sofort hellwach, sprang auf und folgte mir, immer in der Hoffnung, ich könnte in der Küche am Schlüsselbrett zum Hausschlüssel greifen, ein Zeichen, dass ich mit ihr und den Kindern nachmittags zum Swimmingpool der ISM zum täglichen Bad hingehen würde. Sie saß dort dann versteckt am Zaun angebunden und schaute uns durch die Hecke zu.

Beim Einnachten gingen wir jeweils mit ihr auf den Abendspaziergang zum Spital, um Urs abzuholen. Sie liebte diese Ausflüge zusammen mit ihrem älteren Hundebruder Simba. Urs fuhr mit uns jeweils zu viert auf dem Motorrad heim, die beiden Hunde bellend hinter uns herlaufend. Später, als Frida oder Aika, die Tochter der Nachbarn, mit uns kam, reichte der Platz nicht mehr für alle auf dem Motorrad und ich ging dann zu Fuß wieder zurück.

Simone, Aika, Urs, Andreas

Der kleinen schwarz-weißen Katze Pitschi war es ebenfalls heiß. Aber sie zog es vor, im Haus auf dem Segeltuch-Sofa zu schlafen. Obwohl sie winzig war, konnte sie sich so sehr ausstrecken, dass niemand neben ihr mehr Platz fand. Sie war ein Jahr alt und immer noch schmal und leicht, sodass sie mühelos über die dünnsten Baumäste balancieren konnte auf der Jagd nach Vögeln, was sie vor allem morgens früh und in der Dämmerung tat. Nachts aber hing sie außen an den Fliegengittern der Fenster und holte sich dort die schleichenden Geckos herunter. Die Taubenpärchen taten mir leid, wenn plötzlich nur noch eine Taube morgens vor dem Haus gurrte.

Die Light-Sussex-Hühner gackerten auf dem Rasen herum. Am Nachmittag gab ich ihnen freien Auslauf und sie durchsuchten jeweils fleißig unseren Garten nach Körnern. Leider pickten sie auch zarte Salatblätter aus meinem Gemüsegarten und die heimatlichen Walderdbeeren, kultiviert aus importierten Samen. Zuerst scharrten sie ausgiebig, machten einen Schritt zurück, musterten mit den Augen den Boden, indem sie den Kopf zackig hin und her bewegten. Der Gockel war sozial zu seinen Hennen. Hatte er gute Körner gefunden, so rief er seine

Unsere Hühner – Light Sussex, Leghorn und Rhode Island

Hühner. Sie flatterten gackernd heran und pickten unter seiner Obhut die Körner weg. Die Ranghöheren unter ihnen vergaßen jedoch nicht, die Rangniedrigeren zu vertreiben. Man erkannte die Ranghöheren an ihren kahlen Stellen auf dem Rücken, wo der Gockel ihnen jeweils aufsaß. Die Rangniedrigeren hingegen waren erkennbar an den Wunden, die von den sie pickenden Schnäbeln der ranghöheren Hühner herrührten.

Hühnerstall

Simba, der alte, treue Compound-Hund, ein Halbbruder von Jua, welchen wir in seinen alten Tagen übernommen hatten, schlief auf der Terrasse. Er hörte und sah nicht mehr gut. Auf einem Auge hatte er den grauen Star. Nur selten hob er die Augenlider. Wenn es ihm draußen wegen der Kinder zu laut wurde, erhob er sich von seinem schattigen Lieblingsplatz auf der Veranda und verzog sich in eine ruhigere Ecke, meistens unter den entfernten Jakaranda-Baum oder zwischen die Maulbeerbäume, gelegentlich auch hinter das Hühnerhaus. Er tolerierte die Kinder uneingeschränkt. Die Hühner durften sogar aus seinem Napf die letzten Reste herauspicken, die er, sosehr er den Blechnapf jeweils auch auf dem Steinboden scheppernd mitschleifte und sich bemühte, mit den Zähnen angetrocknete Maisreste abzulösen, doch nicht mehr ganz herauszuholen vermochte. Sein chronisches Hautleiden zog viele Fliegen an. Trotz guter Pflege, Salben und Lotionen gehörten sie zu seinem Bild. Ich war nie ganz erfolgreich gewesen bei der Behandlung.

Simba und Jua

Dies war der Grund, weshalb wir ihn am Tag nicht ins Haus ließen. Wir wären die Fliegen wegen der Fliegengitter an den Fenstern nicht mehr losgeworden und sie wären im Haus dauernd wild um unsere Köpfe geschwirrt. Abends legten wir ihm einen Jutesack hin im Wohnzimmer und träufelten ein altes Aftershave von Urs darauf als Deodorant. Er freute sich unendlich, wenn er hereinkommen durfte. Nur eines Abends hatten wir einen Besuch aus Europa. Dieser benützte das gleiche Aftershave, was alle etwas verwirrte.

Der Rasen war noch grün. Die vergangene kleine Regenzeit, meist von November bis Dezember, hatte verspätet eingesetzt. Aber der Regen war ausreichend gewesen. Sogar neue Bambussprösslinge schossen aus dem Boden. Einen Fuß hoch wuchsen sie pro Tag!

Jetzt aber brannte die Sonne heiß vom Himmel und der Schweiß brach uns bei der kleinsten Gartenarbeit aus allen Poren. Glücklicherweise hatte ich einen tüchtigen Gärtner, auch wenn er etwas einfältig war und immer wieder für Aufregung sorgte.

Hausangestellte

Joyce Kimandai Lyimo

Zu unserem Haushalt gehörten drei Servants. Das waren Joyce, Apasiana und der Gärtner Simon. Joyce kam ein Jahr nach unserer Ankunft zu uns. Das vorherige Hausmädchen Rosy war gleichzeitig mit mir schwanger geworden und wir suchten für die Zeit meiner Niederkunft Ersatz. Marisella, das aufgeweckte Hausmädchen von Klaus und Kilians, mit einem guten Ruf als langjährige tüchtige, emanzipierte Haushilfe im Compound, empfahl uns Joyce. Diese war dick und rund und etwa gleich alt wie ich damals, also um die 32 Jahre alt. Als alleinstehende Mutter von vier Kindern, wie dies hier die meisten Mütter waren, brauchte sie dringend einen Verdienst. Vorher hatte sie bei einer holländischen und dann bei einer belgischen Familie gearbeitet. Sie erzählte später immer von „Mama Dutch“ und „Mama Belgian“. Franz, der Gynäkologe, der unsere Simone zur Welt bringen half, war dabei, als sie sich vorstellte. Er fand, dass die dicke Runde besser zu uns passte als der junge Mann, der sich gleichzeitig mit Joyce um die Stelle beworben hatte. Er sagte: „Nehmt doch die Dicke.“ Später, als unsere kleine Simone heranwuchs, fand sie bequem Platz auf Joyce’ ausladenden Hüften. Von dort aus sah sie Joyce zu, wie sie einhändig kochte. Beide hatten es lustig zusammen und Joyce erzählte ihr unmögliche komische Geschichten. Ich musste nie schlechten Gewissens aus dem Haus, denn Joyce überbot mich an Liebe und Aufmerksamkeit für unser Kind. Nie werde ich ihr das vergessen. Möglicherweise war ihre Liebe wegweisend gewesen für unsere Kinder. Sie war ihnen eine wahre Mutter. Ich unterstützte sie in allem und sie war überglücklich in der Rolle der Ersatzmutter. Auch Andreas war zwei Jahre später besser bei ihr aufgehoben als bei mir. Sie war nie ungeduldig. Ich aber war immer beschäftigt, wenn nicht mit Arbeit am KCMC, dann mit dem Beschaffen von Lebensmitteln oder dem kaum erhältlichen Benzin. Später, als Simone und Andreas ins Schulalter kamen, brauchte es mich mehr für ihre Erziehung. Joyce wohnte noch immer in unserem nahen Servant-Haus. Ihre Kinder waren fast alle ausgezogen. Wilson, der Älteste, trat ins Business ein und wurde ein Snob. Urs verhalf dem zweitältesten Sohn, Kennedy, zu einer Lehrstelle in der Swedish Technical School. Georgy tat nicht gut. Er kiffte, trank Bangi, eine Art Schnaps, und wurde viele Jahre später im Fluss bei Himo tot aufgefunden. Neema machte auch Probleme, aber schließlich fand sie doch eine Stelle als Sekretärin in Arusha. Aber das geschah viele Jahre nach unserer Abreise. Jetzt aber, noch immer hier als Kleinkinder, liefen Simone und Andreas, wenn es sie langweilte, zu Joyce ins kleine Servant-Häuschen bei unserer Einfahrt. Sie schwatzten dort, lachten, ließen sich Suka (Zöpfchen) drehen, sahen beim Kochen zu, aßen Bohnen und Maisbrei mit den Händen und fühlten sich dort überglücklich. Als Simone eines Abends jedoch nicht mehr wusste, wo sie wirklich zu Hause war und sich auf dem Weg zwischen dem Servant-Haus und unserem Wohnhaus auf den Boden warf und weinte, da musste ich die Grenzen enger stecken.

Gegen Ende unseres Aufenthalts konnte Joyce in Himo Land pachten, einem Marktort an der Straße nach Marangu, in der Nähe der Grenze zu Kenia. Ihr Bauvorhaben brauchte unsere Unterstützung.

Joyce arbeitete nach unserem Weggang im „Marangu“-Hotel und lebte bis zu ihrem Lebensende (Nov. 2016) in diesem Haus dort. Ich werde Joyce immer dankbar sein für ihre Liebe zu unseren Kindern und werde ihr das nie vergessen.

Joyce mit Simone beim Kochen

Das kleine Haus für Joyce, gebaut in Himo (1989)

Apasiana Essaya

Wir stellten Apasiana kurz vor Andreas’ Geburt als Haushilfe ein zur Entlastung von Joyce. Sie arbeitete drei Tage die Woche, putzte und bügelte, was sie besser konnte als Joyce, die mit ihrer Leibesfülle einfach etwas bequem war. Apasiana war älter und behände. Sie war über 50 Jahre alt. Ihr genaues Alter wusste ich nicht. Sie war mager und um einiges größer als Joyce. Zudem war sie leise, umsichtig und klug und hatte die Augen überall. Niemals ließ sie die Milch überkochen, was mir öfter und Joyce eigentlich immer passierte. Dafür nahm sie gelegentlich etwas mit, was ihr Joyce schwer anlastete und was sie mir sofort erzählte. Ich wollte das gar nicht so genau wissen. Bei gröberen Ungereimtheiten griff ich dann ein, versuchte aber immer wieder ein Auge zuzudrücken, denn Apasiana war weitaus fleißiger als unsere liebenswerte, dicke Joyce, die mit anderen Mitteln zum Ziel kam, indem sie mit mir plauderte und mich um den Finger wickelte und ich ihre Wünsche dann erfüllte, mit ihr die Sorgen teilte oder ihr welche abnahm. Jedenfalls hatte Joyce mehr Vorteile als Apasiana, da Joyce mir nach den gemeinsamen Jahren näherstand.

Apasiana besaß ein eigenes Häuschen außerhalb des Compounds. Das Land um ihr kleines Steinhaus herum bearbeitete sie selbst und lebte dort mit ihren Enkeln, den Kindern der beiden erwachsenen Töchter, und zusammen mit einigen Ziegen, für welche sie selbst einen Stall gebaut hatte. Es hieß, dass sie einen kleinen Pombe-Shop betrieb, wo Simon Mola, unser Gärtner, jeweils abends hinging, dort mit den Afrikanern über alles Mögliche tratschte und sich dann gelegentlich mit ihr stritt. Er erzählte dann, was Apasiana über uns Weiße gesagt hatte, und überbrachte Joyce die Neuigkeiten, um mit ihr dann über die Bösartigkeit Apasianas herzuziehen. Ich versuchte nicht darauf zu achten. Ich kannte auch die Fehler der Überbringer der Geschichten, welche einfach zum Alltag gehörten, und nahm sie nicht ganz ernst, was das Zusammenleben nicht einfacher machte, dafür farbiger.

Wir alle hatten aber den Weg gefunden, in Treue durch all die Jahre hindurch zueinanderzustehen, und bildeten eine Art Schicksalsgemeinschaft. Wir teilten gute und schlechte Tage miteinander und bildeten eine Insel, die schützte und Sicherheit bot, wenn auch nur eine vorübergehende. Das wussten wir alle, aber wir versuchten immer wieder dieses Gespenst der Vergänglichkeit zur Seite zu schieben.

Apasiana verstarb 2020 in ihrem Häuschen.

Apasiana mit Andreas

Simon Mola (Gärtner)

Die Afrikaner nannten ihn nur „Mola“, wir aber nannten ihn Simon. Er hatte also fast denselben Namen wie unsere Tochter und war etwa 50 Jahre alt. Das Alter in Afrika wurde meistens geschätzt, und es erstaunte mich nicht, wenn das Alter nicht konstant anstieg, sondern nach oben oder unten korrigiert wurde. Geburtsausweise hatten nur die wenigsten. Am Berg soll es alte Leute gegeben haben, die über 120 Jahre alt waren, hieß es.

Simons Aussehen war koboldartig. Er war klein und schmal gebaut. Ein Bein war kürzer und dünner als das andere. Er zog es leicht nach, wahrscheinlich ein Gebrechen, das von einer Kinderlähmung herrührte. Trotzdem – er war zäh und kräftig. Seiner Panga – ein Buschmesser – fiel alles zum Opfer, was ihm in die Quere kam. Er entfernte Äste, ohne viel zu überlegen. Als wir einmal nach Hause kamen, glaubte ich meinen Augen nicht. Die Zitronenbäume sahen gänzlich verunstaltet aus, einseitig waren die Äste abgesägt und bei einem Baum war nur noch der Baumstamm vorhanden. Ich hatte zwischenzeitlich dazugelernt. Um eine Katastrophe zu verhindern, war ich immer anwesend, wenn es um das Bäumestutzen ging. Ich half auch mit bei dieser harten Arbeit, was ihn erstaunte, denn weiße Frauen taten dies nicht und schwarze in meinem Status sowieso nicht. Aber eine weiße Frau war für die Afrikaner sowieso keine richtige Frau, höchstens eine „Mama yangu“, wenn Hilfe nötig war, vor allem finanzielle! Anfänglich hatte ich mit meinen bescheidenen Swahili-Kenntnissen nicht gemerkt, dass er stotterte. Selbst jetzt verstand ich ihn noch kaum. Er hatte von den Schwarzen den Übernamen „Radio“ erhalten, weil er von Weitem zu hören war und Gespräche mit anderen Gärtnern und Hausangestellten über viele Hecken und zahlreiche Grundstücke hinweg führte. Oft sang er bei der Arbeit Kirchenlieder, pietistische emotionale Lieder, die man schlecht vergessen konnte. Ich sehe ihn noch, wie er den ratternden Rasenmäher vor sich herstieß und aus vollem Hals „Gott ist die Liebe sang“ auf Swahili und dabei die Richtung beim Rasenmähen im Zickzack änderte.

Er war rasch beleidigt, eine häufig begegnete Charaktereigenschaft der Schwarzen. Er zog es dann vor, über Wochen hinweg auf den geliebten und sagenhaft süßen Tee mit Milch, Zucker und die Honigbrote auf der Veranda unseres Hauses zu verzichten, um sich dann doch gelegentlich, und später wieder regelmäßig, zu unseren beiden Angestellten hinzuzusetzen während der Zehnuhrpause.

Vor einigen Jahren fehlte ihm eines Tages ein Schneidezahn. Unser damaliger Nachbar Klaus, mit dem wir zusammen Simons Stelle teilten, fand heraus, dass er am Vorabend beim Pombetrinken (Maisbier) Streit gehabt hatte. Es war zu Tätlichkeiten gekommen. Und dies waren dann auch die Probleme, welche wir mit ihm hatten. Es hätte ihn fast sein Zimmer im Servant-Haus gekostet, denn er kam oft wutentbrannt, lamentierend, streitsüchtig und tobend abends vom Pombe-Shop nach Hause. Einmal verlor er unterwegs die ihm zu großen, von Klaus geerbten Sandalen. Die Kinder liefen hinter ihm her und lachten ihn aus.



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