Unverhoffte Weihnachten - Emma S. Rose - E-Book

Unverhoffte Weihnachten E-Book

Emma S. Rose

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Beschreibung

Kann ein Schneesturm zum Kuppler werden? Lexi ist guter Dinge, als sie sich kurz vor Weihnachten in ihr Auto setzt, um in die Heimat zu fahren. Blöderweise sorgt ein starker Wintereinbruch dafür, dass sie nicht vor dem gemütlichen Kamin ihrer Familie, sondern hochkant in einem Graben landet. Während sie noch mit ihrer Situation hadert, taucht plötzlich Ben auf – ein großer, breitschultriger Kerl aus dem naheliegenden Dorf. Er rettet sie nicht nur aus ihrer Lage, sondern bietet ihr auch einen Unterschlupf. Und er bringt ihr Blut zum Kochen. Während das Wetter sich zuspitzt, lässt sie sich auf ein wenig Spaß ein, in dem Wissen, dass sie ihn schon bald nicht mehr wiedersehen wird. Wenn da nicht dieses Kribbeln wäre ... Schnee, Kaminfeuer, Weihnachten - der perfekte Mix für eine romantische Geschichte. Lass dich mitreißen!

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Unverhoffte Weihnachten

Emma S. Rose

Unverhoffte Weihnachten

Emma S. Rose

 

1. Auflage

Oktober 2018

© Emma S. Rose

Rogue Books, Inh. Carolin Veiland, Franz - Mehring - Str. 70, 08058 Zwickau

[email protected]

Buchcoverdesign: Sarah Buhr / www.covermanufaktur.de unter Verwendung von Bildmaterial von zzveillust; aquatti; Supertrooper; tomertu; Romanova Ekaterina / Shutterstock sowie Mikhaylova / depositphotos

Alle Rechte sind der Autorin vorbehalten.

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung und Vervielfältigung - auch auszugsweise - ist nur mit der ausdrücklichen schriftlichen Genehmigung der Autorin gestattet.

Alle Rechte, auch die der Übersetzung des Werkes in andere Sprachen, liegen alleine bei der Autorin. Zuwiderhandlungen sind strafbar und verpflichten zu entsprechendem Schadensersatz.

Sämtliche Figuren und Orte in der Geschichte sind fiktiv. Ähnlichkeiten mit bestehenden Personen und Orten entspringen dem Zufall und sind nicht von der Autorin beabsichtigt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Für meinen Mann, der kurz vor Weihnachten in Windeseile mein Leben auf den Kopf gestellt hat.

Alles, worauf die Liebe wartet, ist die Gelegenheit.

Miguel de Cervantes

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Epilog

Danksagung

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Über den Autor

Der Schnee fällt in dichten, riesigen Flocken vom Himmel. Alles um mich herum ist von einer weißen Schicht überzogen, die nur dazu einlädt, eingemummelte Spaziergänge zu machen, eine Schneeballschlacht zu beginnen oder einen Schneemann zu bauen. Erinnerungen an eben solche Spaziergänge aus Kindertagen drängen sich mir auf - Spaziergänge, bei denen ich die Zunge ausstreckte, um einzelne Flocken aufzufangen und die kühle Feuchte zu schmecken. Mit heißem Kakao und Spekulatius in Aussicht machte es immerzu doppelt Spaß, durch den Schnee zu stapfen, und die Sorgen ließ ich dann stets sehr weit hinter mir.

Jahre ist es her, dass ich so viel Schnee gesehen habe, denn in der letzten Zeit waren die Winter immer wärmer geworden, und seit ich in der Stadt lebe, bekomme ich von extremen Wetterkapriolen inklusive Schneeverwehungen erst recht nichts mehr mit. Mit der Zeit wurde ich dann auch älter - logischerweise - und ganz abgesehen vom fehlenden Schnee hätte ich mich sowieso nicht mehr tanzend nach draußen gestellt. Zu peinlich und so.

Jetzt, wo ich die nervige Phase des »Ich-will-cool-Seins« hinter mir habe, sieht es wieder anders aus. Schneespaziergang mit anschließendem Kakao (mit Schuss)? Unbedingt. Schneeballschlacht? Na ja, wieso nicht? Und ein Schneemann ist doch irgendwie selbstverständlich. Unter anderen Umständen würde ich es durchaus zu schätzen wissen, dass der weiße, kühle Niederschlag wieder da ist. Ich würde mich freuen und mich warm einpacken ...

Wenn ich mich nicht gerade mit der Motorhaube voraus in einem Graben befinden würde.

Jepp.

So viel zum friedlichen Schneetreiben und gemütlichen Spaziergängen und anschließendem, heißem Kakao.

Anstatt mit meinem kleinen Ford Ka weiter über die rutschigen Straßen zu tuckern, um über die Feiertage meine Familie zu besuchen, befinde ich mich in absoluter Schräglage, starre auf eine weiße Wand direkt vor meinem Fenster und krampfe mich ungläubig an meinem Lenkrad fest.

So ein verdammter Mist.

Langsam sinke ich mit dem Kopf nach vorne, bis das kühle Leder meine Stirn berührt, und stöhne ungehemmt los. Eben noch habe ich mich auf der verfluchten Straße befunden, habe mich mit jedem geschafften Meter meiner Familie genähert. Und dann ... zack. Wusch. Wie auch immer man das Geräusch beschreiben soll, wenn man plötzlich die Kontrolle über den Wagen verliert, das Heck ausbricht, und man dann beinahe in Zeitlupe in den Graben rutscht. Bestimmt nicht mit Fanfarenzug, aber definitiv weniger spektakulär, als man vermuten würde.

Das habe ich ja mal wieder großartig geschafft.

»Komm doch lieber mit dem Zug. Der Wetterfrosch hat einen echten Wintereinbruch vorausgesagt, und du bist es nicht mehr gewohnt, im Schnee Auto zu fahren.«

Die Worte meiner Großmutter hallen mir mehr als deutlich durchs Ohr, während ich die Augen zusammenkneife und so tue, als würde ich mich gerade wirklich in einem gut beheizten ICE befinden. Zu deutlich, wenn ihr mich fragt. Ihr hatte die Idee gar nicht gefallen, dass ich mich ins Auto schwingen wollte. Ihr und meinem Opa und meinen Tanten - und schon gar nicht meinem übervorsichtigen Vater, der sogar beinahe selber ins Auto gesprungen wäre, um mich abzuholen, nur weil ich von der Idee, mit dem Zug zu fahren, nicht so angetan war.

Und wisst ihr was? Sie alle hatten recht. Jeder Einzelne mit seinen Bedenken und der Schwarzmalerei, verdeckt unter der krassen Vorsicht. Sie hatten recht. Wie üblich.

Ich hasse es, das zugeben zu müssen.

Ja, es war nicht gerade meine beste Idee, im Winter über 500 Kilometer auf mich zu nehmen, um nach Hause zu fahren. 500 Kilometer, die mich durch ein Gebirge führen, durch zivilisationslose Ebenen, und dann auch noch direkt in einen Graben. Tja, wer hätte ahnen können, dass ich mich wieder einmal maßlos selbst überschätze?

Jeder, ausnahmslos jeder. Abgesehen von mir natürlich.

Gereizt klopfe ich mehrfach mit der Stirn gegen das Lenkrad, ehe ich mich wieder aufrichte und versuche, mich zu sammeln. Es bringt gar nichts, mich jetzt in diesen negativen Gedanken zu verlieren. Okay, ich bin im Graben gelandet. In einer filmreifen, peinlichen, langsam rutschenden Szene habe ich den Halt verloren und bin im Schneckentempo hineingerutscht. Aber was soll’s? Hier komme ich auch wieder raus. Ich war nicht zu schnell unterwegs, und so langsam, wie ich gerutscht bin, kann auch nicht viel passiert sein. Wir reden hier immerhin von einem stinknormalen Graben neben der Straße, nicht vom Mariannengraben, der tiefsten Stelle im Ozean oder so.

Das zumindest rede ich mir immer und immer wieder ein.

Bestimmt komme ich einfach so wieder raus. Es muss einfach klappen!

Energisch drehe ich den Zündschlüssel, doch mehr als ein leises Tuckern ertönt nicht. Hm, merkwürdig. Ich versuche es ein weiteres Mal, doch noch immer will der Wagen einfach nicht anspringen. Was auch immer hier los ist, was meinem kleinen Ka passiert ist, offenbar lässt es sich nicht auf diesem Weg klären.

Nun, einen Versuch war es wert.

Mit einem sinkenden Gefühl taste ich nach meinem Handy, das bis vorhin noch auf meinem Beifahrersitz gelegen hat. Der unfreiwillige Ausflug in die Schräglage hat es vom Sitz rutschen lassen, und ich löse meinen Gurt, um danach zu tasten. In Gedanken gehe ich bereits die Optionen durch - rufe ich erst den ADAC an oder doch zunächst meine Familie?

Letztere Option sagt mir nicht gerade zu, denn schon jetzt habe ich die vorwurfsvollen »Ich habe es doch gesagt«-Ausrufe im Ohr, und darauf kann ich gerade getrost verzichten. Vielleicht besteht ja sogar die Hoffnung, dass ich aus dem Graben gezogen werde und weiterfahren kann, als wäre nichts passiert - dann könnte ich meiner Familie dieses kleine Intermezzo einfach verschweigen. Ich habe bewusst keine konkrete Ankunftszeit genannt, damit mich nicht ab Zeitpunkt X regelmäßige Anrufe und Nachrichten malträtieren. Ich gehöre zwar durchaus zu den Leuten, die es für sinnvoll erachten, während der Fahrt nicht mit dem Handy herumzufummeln, aber wenn das Ding ständig herumpiepst, lenkt es mich trotzdem ab. Keine Zeitangabe bei meiner Familie also, die Verzögerung dürfte ich locker verschweigen können.

Gut, ADAC.

Mit zittrigen Fingern scrolle ich durch mein Telefonverzeichnis. Ich bin mir sicher, die Nummer vom Pannendienst eingespeichert zu haben, und schnell werde ich fündig. Erfüllt von einer Mischung aus Unglaube und Resignation, weil ich tatsächlich zum ersten Mal diesen Dienst in Anspruch nehmen muss, klicke ich auf anrufen ...

Und es tut sich nichts.

Stumpf drücke ich ein zweites Mal auf den kleinen Hörer, dann ein drittes Mal, doch noch immer passiert genau gar nichts. Eine bittere Vorahnung baut sich in mir auf. Fast wage ich es nicht, nachzusehen, ob meine Vermutung stimmen könnte oder nicht, doch dann habe ich ja doch keine andere Wahl. Mein Blick huscht zur Netzanzeige, und dort erwartet mich gähnende Leere.

Kein Signal. Kein Balken, nicht einmal der kleinste.

Nada, niente.

Es braucht eine Sekunde, bis ich begreife, was ich dort sehe, denn ich glaube, dass mir das noch nie passiert ist - außer, ich habe mein Handy in den Flugmodus versetzt. Aber dann sieht man kein gähnendes Loch, wo die Balken sein sollten, sondern dieses winzige Flugzeugsymbol ...

Ungläubig reiße ich die Augen auf und lasse das Handy sinken. Prima. Jetzt bin ich nicht nur inmitten eines großen Wintereinbruchs mit meinem kleinen, roten Flitzer in den Graben gerutscht, ich kann nicht einmal den Pannendienst anrufen, weil ich mir offenbar eines der wenigen verbliebenen Fleckchen auf der Erde ausgesucht habe, wo es einfach kein verdammtes mobiles Signal gibt!

Toll. Großartig. Ich bin im wahrsten Sinne des Wortes aufgeschmissen.

»Ruhe bewahren«, murmle ich mir zu. »Ganz ruhig.«

Es bringt jetzt rein gar nichts, in Panik zu verfallen. Dann habe ich hier in diesem blöden Graben eben kein Netz. Das kann schonmal passieren. Alles, was ich tun muss, ist aus dem Auto klettern und ein paar Schritte gehen, dann sieht die Welt auch schon anders aus.

Ja, so werde ich es machen.

Erfüllt von neuer Energie schiebe ich das Handy in die Hosentasche und ziehe an dem kleinen Hebel, der die Türverriegelung öffnet.

Und wieder tut sich nichts.

Eine zweite Welle des Unglaubens erfüllt mich, und dieses Mal hat sie den schalen Beigeschmack eines verfluchten Déjà-vus. Erneut ziehe ich an dem Hebel, drücke gegen die Tür, doch noch immer bewegt sie sich nicht, und als ich verzweifelt aus dem Fenster schaue, sehe ich auch, wieso. Der Schnee aus dem Graben reicht auf dieser Seite locker bis zum Fester, eher noch ein Stückchen höher. Mit einem Schlag wird mir die Schieflage bewusst, in der ich mich befinde. Natürlich kann ich das Auto durch die Fahrertür nicht verlassen, ich stecke in einem verdammten Schneehaufen fest.

Nun entkommt meinen Lippen ein hysterischer Laut, der unter anderen Umständen eventuell als Lachen hätte durchgehen können.

Ich atme schnaubend aus. Okay, kein Problem - dann nehme ich eben die andere Tür. Ich mag keine Sportskanone sein und mit Grazie habe ich auch noch nie bestochen, aber ich werde es wohl schaffen, über die Mittelkonsole auf den Beifahrersitz zu klettern. Von dort aus kann ich die andere Tür öffnen, die auf gar keinen Fall vom Schnee blockiert sein wird, und dann freudestrahlend in die Freiheit gelangen.

Dieser Plan klingt gut. Ich atme ein letztes Mal tief durch, spreche mir Mut zu, wende mich Richtung Beifahrerseite - und schreie spitz los, als ich sehe, wie ein fremdes Gesicht mit gerunzelter Stirn und besorgter Miene durchs Fenster auf mich hinab starrt.

Jetzt ist offiziell der Punkt gekommen, an dem ich meine Nerven verliere.

»Kann ich helfen?«

Dumpf dringen die Worte durch die geschlossene Tür. Seine Stimme klingt nur im ersten Moment besorgt. Ich bin mir ganz sicher, da noch etwas anderes herauszuhören - etwas, das teuflisch sehr nach Belustigung klingt.

Super, genau das, was ich jetzt gebrauchen kann. Ein Kerl, der sich über mich lustig macht. Davon hatte ich in meinem Leben weiß Gott schon genug - und jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, diese Liste zu erweitern.

Wütend starre ich nach oben, in dieses blöde Gesicht, und versuche zu ignorieren, dass es verdammt attraktiv ist.

»Nein, alles gut. Ich habe es eigentlich bequem hier!«, erwidere ich so schnippisch wie möglich und richte meinen Blick nach vorne, auf die weiße Wand vor mir, verschränke sogar bockig die Arme vor der Brust.

Dann höre ich es leise Klicken, als der Kerl die Tür aufmacht.

Sofort rieselt Schnee auf mich herab. Aufgewirbelter Schnee aus dem Graben und dicke, weiche Flocken vom Himmel, die unablässig nachrücken. Mit der geöffneten Tür verfliegt die restliche Wärme, die sich noch im Innenraum befunden hat, und nun ist es offiziell: Ich friere. Erneut starre ich ihn wütend an.

»Was soll das?«

Er lacht los, diesmal eindeutig ungläubig. »Ich glaube nicht, dass du es dir gerade wirklich hier bequem machst. Komm, ich helfe dir raus.«

»Nein«, kommt es mir über die Lippen, ehe ich es verhindern kann.

»Nein?« Nun wirkt er ernsthaft belustigt. »So ein Quatsch. Komm schon, raus aus dem Wagen. Alles Weitere können wir hier draußen besprechen.« Dann wird sein Blick misstrauisch. »Wo ist deine Jacke?«

Ich könnte mich über tausend Dinge aufregen, zum Beispiel, warum der Typ mich so selbstverständlich duzt oder darüber, dass er sich einfach so in meine Situation einmischt, aber Fakt ist nun einmal, dass er Recht hat. Es wird kalt, es ist ungemütlich, und eigentlich habe ich nicht die Absicht, länger als nötig hier herumzuhängen.

»Im Kofferraum«, erwidere ich knurrig und ziehe den Schlüssel, um ihn in meine andere Hosentasche zu schieben. »Beim Autofahren stört die nur.«

Der Kerl hat die Dreistigkeit, mich anzugrinsen. »Aktuell fährst du aber nicht. Du holst dir eher einen Schnupfen.«

»Ist ja gut«, fauche ich gereizt. Mir liegen noch einige andere, weitaus unschönere Worte auf den Lippen, doch anstatt meiner Wut freien Lauf zu lassen, atme ich tief durch. In erster Linie richtet sich mein Ärger schließlich gegen mich selbst. Nicht der Kerl hat mich in diesen Graben befördert, auch wenn es sich verdammt gut anfühlen würde, ihn dafür verantwortlich zu machen, sondern einzig und allein ich, und es würde vielleicht doch ein bisschen merkwürdig wirken, wenn ich mich jetzt vor seinen Augen selbst beschimpfte.

Ich weiß nicht wieso, aber etwas scheint sich zu ändern, denn plötzlich verlässt all der Schalk seine Miene, und er blickt mich ernst an. »Komm schon, holen wir dich hier raus.« Er reckt mir seine Hand entgegen. Eine ziemlich große Hand, die aus einem dicken, dunkelblauen Ärmel heraus lugt. Ich kann nicht anders, mir fallen all die Adern auf, die auf seinem Handrücken deutlich sichtbar sind, und ein vollkommen unzusammenhängender Gedanke schießt mir durch den Kopf.

Wow, der sieht kräftig aus.

Okay, alles klar. Hätten wir darüber also auch schon gesprochen. Offensichtlich wird er in der Lage sein, mich hier rauszuziehen. Seufzend ergebe ich mich meinem Schicksal und ergreife sein Angebot, mich aus meiner Lage zu befreien.

Es klappt wesentlich besser als gedacht. Klar, ich muss ein wenig klettern und kraxeln, ganz sicher sehe ich dabei auch alles andere als elegant aus, aber dann schaffe ich es über die Konsole, und von dort aus gelange ich ziemlich schnell an die frische Luft. Ein Schauder durchfährt mich, als ich vollends im Graben stehe, dicht gefolgt von einer schmerzhaften Gänsehaut. Verflucht, ich brauche meine Jacke. Unsicher mache ich einen Schritt, versinke jedoch knöcheltief im Schnee und gerate ins Wanken.

»Vorsicht«, ruft mein unfreiwilliger Retter und umfasst meine Schultern, um mich zu stabilisieren.

Nun drängt sich ein weiterer Gedanke auf, der gerade sogar stärker ist als die Kälte, und mein Blick wandert an ihm hinauf.

Oh mein Gott, der Kerl ist riesig!

Für einen winzigen Moment überrollt mich eine Welle der Panik. Ich stehe hier in einem eingeschneiten Graben neben meinem verunglückten Wagen und bin alleine mit einem Riesen von Mann, der mich mühelos aus dem Auto hieven konnte. Sollte er Mist im Kopf haben, wäre ich ein gefundenes Fressen ...

Nein, stopp. Mühsam schiebe ich den Gedanken beiseite. Ich habe weder die Zeit noch die Kraft, mich irgendwelchen panischen Hirngespinsten hinzugeben. Jetzt zählt vor allem erstmal eines: Ich muss an meinen Kofferraum. Dort wartet mein dicker Wollmantel darauf, mich zu wärmen.

»Danke«, murmle ich dem Kerl zu, weil ich tief in mir drin ja doch auch Benehmen habe, dann versuche ich mich in einem weiteren Schritt. Mir entkommt ein Keuchen, als kalter Schnee in meine Schuhe dringt. Natürlich habe ich keine wadenhohen Boots angezogen, als ich losgefahren bin. Meine Schuhe gehören mehr in die Kategorie »Schicker Winterläufer«, mit einem Pseudoprofil und dick gefüttert, aber lediglich auf Knöchelhöhe. Eher hübsch als funktional - nichts anderes braucht man in der Stadt. Nun jedoch bereue ich es bitterlich, mich nicht für eine andere Variante entschieden zu haben, denn mir drängt sich die Frage auf, wie schnell man Körperteile durch Erfrierungen verlieren kann.

»Warte, ich helfe dir.«

Als wüsste er genau, was mir durch den Kopf geht, legt der Riese einen Arm um meine Taille und zieht und schiebt mich irgendwie aus diesem Loch heraus. Grundgütiger, von unten sah der Graben nicht so verdammt tief aus!

Auf halber Höhe erreichen wir meinen Kofferraum, der Gott sei Dank frei zugänglich ist. Schnee bedeckt bereits den Großteil des Hecks, er rutscht in meinen Nacken und in meine Schuhe - das verfluchte Zeug ist einfach überall. All diese Visionen eines Winter-Wonderlands - einfach so verschwunden. Ich kann nicht einmal an die Option eines Heißgetränks am Ende dieses unsäglichen Nachmittags denken. Genau genommen funktioniere ich gerade in erster Linie nur.

Gereizt öffne ich den Kofferraum, sorge dafür, dass noch mehr Schnee auf mich rieselt, und greife blind nach meiner Jacke. In einer einzigen, wenig eleganten aber effizienten Bewegung schlüpfe ich in den kühlen Stoff und hoffe, dass er schon sehr bald seinen Zweck erfüllen wird.

»Nimm deinen Koffer mit«, sagt der Kerl schräg hinter mir.

Ich erstarre in meiner Bewegung. »Was?«

»Nimm deinen Koffer mit. Du hast doch Sachen dabei. Nimm sie mit.«

»Wieso das?« Ich starre ihn mit offenem Mund an. »Ich habe nicht vor, hier Wurzeln zu schlagen.«

Plötzlich wirkt er ein wenig verlegen. »Vielleicht bleibt dir keine andere Wahl ...«

»Was?« Ich bin wie vom Donner gerührt.

Er zuckt mit den Schultern. »Es ist Samstag. Ich fürchte, unsere Werkstatt hat zu, und die wird auch vor den Feiertagen nicht mehr öffnen. Es könnte also einen Moment dauern, bis du hier weg kommst.«

»Warte, warte.« Ich hebe meine Hand. »Wen interessiert eure Werkstatt? Ich rufe gleich den ADAC und dann werden die mich hier schon wegholen ...«

Nun wird seine Miene weicher. »Lass uns darüber reden, wenn wir im Dorf sind. Hier draußen wird es immer ungemütlicher.«

Ich habe offiziell den Anschluss an die Situation verloren. Meine Vorstellung davon, hier schnell wegzukommen, zerbröselt vor meinen Augen, und ich fühle mich außer Stande, etwas dagegen zu tun. Widerstandslos sehe ich zu, wie der Typ kurzerhand selber meinen Koffer heraushebt. Nur kurz scheint er zu zögern, als er all die bunten Päckchen sieht, die quer im Kofferraum herumfliegen, dann knallt er die Tür zu und ergreift meinen Arm erneut. Mit wenigen Schritten zieht er mich aus dem Graben, und dann stehen wir endlich auf der Straße.

Ich: Durchgefroren, zitternd, leicht geschockt.

Er: Groß, selbstbewusst, meinen sonnengelben Koffer in der Hand.

Oh bitte, lass es einfach nur ein dummer Traum sein. Eine Warnung vor der Abfahrt, die mich dazu bringt, doch noch last minute ein überteuertes Zugticket zu erstehen.

Aber nein, so viel Glück werde ich wohl nicht haben.

»Komm«, murmelt er mir zu. »Da vorne steht mein Wagen. Ich fahre dich ins Dorf -«

»Nein!«, presse ich eilig hervor. Auf keinen Fall steige ich jetzt zu einem Fremden ins Auto.

Er wirft mir einen ungläubigen Blick zu. »Deine Vorsicht in allen Ehren, aber willst du wirklich hier draußen stehen bleiben?«

Betont ziehe ich mein Handy aus der Tasche, doch noch immer habe ich kein Netz. Ohne auf ihn einzugehen, beginne ich, am Straßenrand entlang zu staksen, die Hand in die Höhe gereckt, damit ich so besser ins Netz gelangen kann. Ärgerlicherweise folgt der Kerl mir auf dem Fuße.

»Du wirst hier kein Signal finden, so leid es mir tut«, sagt er - und klingt wieder einmal ein bisschen zu amüsiert. »Hier sind die Funklöcher größer.«

Ich werfe ihm einen vernichtenden Blick zu. »Das gibt es heutzutage doch gar nicht mehr!«

Er schüttelt den Kopf. »Du kommst aus der Stadt, nicht wahr? Da verliert man schonmal den Anschluss ans Wesentliche ...«

Empört bleibe ich stehen. »Also jetzt reicht es mir aber!«

»Gut.« Ich schaffe es noch so gerade, das Funkeln in seinen Augen wahrzunehmen, dann fliegt die Welt schon an mir vorbei, und plötzlich befinde ich mich in der Luft. Ich kreische lautstark auf, klopfe wütend mit den Fäusten auf den Rücken des Typen, und kann doch nicht verhindern, dass er mich kurzerhand zu seinem Auto trägt wie ein verfluchter Neandertaler.

»Lass mich runter!«, brülle ich ihn an. Mühsam versuche ich, einen Rest Würde zusammenzukratzen, aber das ist leichter gesagt als getan, wenn man durch die Gegend getragen wird, kopfüber und den Hintern in die Höhe. Ein Hintern, der vielleicht nicht gerade in bester Form ist, im Übrigen. Gott, ist das peinlich! Unsanft knallt meine Wange gegen seinen Rücken und ich beginne, immer schneller auf ihn einzutrommeln. »Jetzt sofort!«

»Nein«, erwidert er knapp, in einer perfekten Parodie meiner selbst.

Mir wird schwindelig, als er in die Knie geht, um mit seiner anderen Hand meinen Koffer zu schnappen, und dann trägt er mich und meine Habseligkeiten mühelos zu seinem Wagen. Erst, als er die Beifahrertür geöffnet hat, schwingt er mich über seine Schulter, und ehe ich mich versehe, befinde ich mich schon im Inneren eines ziemlich robust aussehenden Jeeps.

»Sitzenbleiben!«, knurrt er mich an. Zum ersten Mal erscheint er mir wirklich furchteinflößend, weshalb ich sogar auf ihn höre.

Mal ehrlich - meine Chancen, lebend aus dieser Nummer rauszukommen, wenn er mir wirklich ans Leder will, sind mehr als gering. Wer mich einfach so über die Schultern werfen kann, holt mich auch ein, wenn ich panisch kreischend davonrenne. Da kann ich mich genauso gut auf seinem bequemen Sitz ausstrecken und die Restwärme im Innenraum genießen und hoffen, dass vielleicht doch keine Zehen absterben. Nicht, dass ich die noch brauche, wenn ich einem Psycho in die Hände geraten bin, aber irgendwie sind sie mir schon wichtig.

Misstrauisch beobachte ich, wie der Kerl meinen Koffer auf die Rückbank schmeißt und dann mit eiligen Schritten zur Fahrertür läuft, als würde er tatsächlich befürchten, ich könnte jeden Moment türmen. Als wenn ich dazu wirklich in der Lage wäre. Stöhnend strecke ich meine Finger aus. Sie sind tiefrot und prickeln schmerzhaft, nun, da sie langsam wieder auftauen. Immer noch fällt es mir schwer, einen Zusammenhang herzustellen. Eben noch fuhr ich gut gelaunt durch die eingeschneite Landschaft, mit der Aussicht, bald schon meine Familie wiederzusehen ...

Und jetzt befinde ich mich im Wagen eines Fremden, der mich in irgendein ominöses Dorf fahren will.

Und. Es. Gibt. Hier. Kein. Handynetz. Hallo?

Wo bin ich und was ist hier geschehen, verdammt?

Vorsichtig werfe ich dem Typen einen Blick zu.

---ENDE DER LESEPROBE---