Urfaust - Johann Wolfgang von Goethe - E-Book

Beschreibung

Unter dem "Urfaust" (auch als Faust in ursprünglicher Gestalt bekannt) versteht man Goethes ersten Entwurf für sein späteres Theaterstück Faust. Er entstand, parallel zu Die Leiden des jungen Werthers, 1772 bis 1775 in Frankfurt am Main. Auslöser für die stoffliche Bearbeitung war die Verurteilung und Hinrichtung der Kindesmörderin Susanna Margaretha Brandt, deren Gerichtsprozess Goethe verfolgt haben muss, wie die nach seinem Tod bei ihm gefundenen Kopien von Prozessakten zeigen. 1775 las Goethe erstmals am Hof zu Weimar, danach unter anderem auch im Erfurter Schloss Stedten, das im Besitz der mit ihm befreundeten Familie Keller war, aus dem Urfaust vor. Das Publikum war von der unkonventionellen Form und Sprache begeistert. Goethe wurde im Anschluss immer wieder auf Fertigstellung des Stückes gedrängt, unter anderem von seinem Freund Friedrich Schiller.

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Urfaust

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Urfaust

Johann Wolfgang von Goethe

Urfaust

Nacht

In einem hochgewölbten engen gotischen Zimmer.

Faust unruhig auf seinem Sessel am Pulten.

faust.

Hab nun, ach, die Philosophei,

Medizin und Juristerei,

Und leider auch die Theologie

Durchaus studiert mit heißer Müh.

Da steh ich nun, ich armer Tor,

Und bin so klug, als wie zuvor.

Heiße Doktor und Professor gar,

Und ziehe schon an die zehen Jahr’

Herauf, herab und quer und krumm

Meine Schüler an der Nas’ herum

Und seh, daß wir nichts wissen können,

Das will mir schier das Herz verbrennen.

Zwar bin ich gescheuter als alle die Laffen,

Doktors, Professors, Schreiber und Pfaffen,

Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,

Fürcht mich weder vor Höll noch Teufel.

Dafür ist mir auch all Freud entrissen,

Bild mir nicht ein, was Rechts zu wissen,

Bild mir nicht ein, ich könnt was lehren,

Die Menschen zu bessern und zu bekehren;

Auch hab ich weder Gut noch Geld,

Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt.

Es möcht kein Hund so länger leben!

Drum hab ich mich der Magie ergeben,

Ob mir durch Geistes Kraft und Mund

Nicht manch Geheimnis werde kund.

Daß ich nicht mehr mit saurem Schweiß

Rede von dem, was ich nicht weiß.

Daß ich erkenne, was die Welt

Im Innersten zusammenhält,

Schau alle Würkungskraft und Samen

Und tu nicht mehr in Worten kramen.

O sähst du, voller Mondenschein,

Zum letztenmal auf meine Pein,

Den ich so manche Mitternacht

An diesem Pult herangewacht!

Dann über Bücher und Papier,

Trübselger Freund, erschienst du mir.

Ach könnt ich doch auf Bergeshöhn

In deinem lieben Lichte gehn,

Um Bergeshöhl’ mit Geistern schweben,

Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,

Von all dem Wissensqualm entladen

In deinem Tau gesund mich baden!

Weh! steck ich in dem Kerker noch?

Verfluchtes dumpfes Mauerloch,

Wo selbst das liebe Himmelslicht

Trüb durch gemalte Scheiben bricht!

Beschränkt von all dem Bücherhauf,

Den Würme nagen, Staub bedeckt,

Und bis ans hohe Gewölb hinauf

Mit angeraucht Papier besteckt,

Mit Gläsern, Büchsen rings bestellt,

Mit Instrumenten vollgepfropft,

Urväter Hausrat drein gestopft –

Das ist deine Welt, das heißt eine Welt!

Und fragst du noch, warum dein Herz

Sich inn in deinem Busen klemmt?

Warum ein unerklärter Schmerz

Dir alle Lebensregung hemmt?

Statt all der lebenden Natur,

Da Gott die Menschen schuf hinein,

Umgibt in Rauch und Moder nur

Dich Tiergeripp und Totenbein.

Flieh! Auf! hinaus ins weite Land!

Und dies geheimnisvolle Buch

Von Nostradamus’ eigner Hand –

Ist dir das nicht Geleit genug?

Erkennest dann der Sterne Lauf,

Und wenn Natur dich unterweist,

Dann geht die Seelenkraft dir auf,

Wie spricht ein Geist zum andern Geist.

Umsonst, daß trocknes Sinnen hier

Die heilgen Zeichen dir erklärt.

Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir,

Antwortet mir, wenn ihr mich hört!

Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus.

Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick

Auf einmal mir durch alle meine Sinnen.

Ich fühle junges heilges Lebensglück,

Fühl neue Glut durch Nerv und Adern rinnen.

War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb,

Die all das innre Toben stillen,

Das arme Herz mit Freude füllen

Und mit geheimnisvollem Trieb

Die Kräfte der Natur enthüllen?

Bin ich ein Gott? mir wird so licht!

Ich schau in diesen reinen Zügen

Die würkende Natur vor meiner Seele liegen.

Jetzt erst erkenn ich, was der Weise spricht:

»Die Geisterwelt ist nicht verschlossen,

Dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot.

Auf! bade, Schüler, unverdrossen

Die irdsche Brust im Morgenrot.«

Er beschaut das Zeichen.

Wie alles sich zum Ganzen webt,

Eins in dem andern würkt und lebt!

Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen

Und sich die goldnen Eimer reichen!

Mit segenduftenden Schwingen

Vom Himmel durch die Erde dringen,

Harmonisch all das All durchklingen!

Welch Schauspiel! aber, ach, ein Schauspiel nur!

Wo faß ich dich, unendliche Natur?

Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,

An denen Himmel und Erde hängt,

Dahin die welke Brust sich drängt –

Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht ich so vergebens?

Er schlägt unwillig das Buch um und erblickt das Zeichen des Erdgeistes.

Wie anders würkt dies Zeichen auf mich ein!

Du, Geist der Erde, bist mir näher;

Schon fühl ich meine Kräfte höher,

Schon glüh ich wie vom neuen Wein.

Ich fühle Mut, mich in die Welt zu wagen,

All Erden Weh und all ihr Glück zu tragen,

Mit Stürmen mich herumzuschlagen

Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen.

Es wölkt sich über mir –

Der Mond verbirgt sein Licht!

Die Lampe schwindet!

Es dampft! Es zucken rote Strahlen

Mir um das Haupt. Es weht

Ein Schauer vom Gewölb herab

Und faßt mich an.

Ich fühls, du schwebst um mich,

Erflehter Geist!

Enthülle dich!

Ha! wie’s in meinem Herzen reißt!

Zu neuen Gefühlen

All meine Sinne sich erwühlen!

Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!

Du mußt, du mußt! Und kostet’ es mein Leben.

Er faßt das Buch und spricht das Zeichen des Geists geheimnisvoll aus. Es zuckt eine rötliche Flamme, der Geist erscheint in der Flamme in widerlicher Gestalt.

geist.

Wer ruft mir?

faustabwendend.

Schröckliches Gesicht!

geist.

Du hast mich mächtig angezogen,

An meiner Sphäre lang gesogen,

Und nun –

faust.

Weh! ich ertrag dich nicht.

geist.

Du flehst eratmend mich zu schauen,

Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn.

Mich neigt dein mächtig Seelenflehn.

Da bin ich! Welch erbärmlich Grauen

Faßt Übermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?

Wo ist die Brust, die eine Welt in sich erschuf,

Und trug, und hegte, und mit Freudebeben

Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben?

Wo bist du, Faust, des Stimme mir erklang,

Der sich an mich mit allen Kräften drang?

Du! der, den kaum mein Hauch umwittert,

In allen Lebenstiefen zittert,

Ein furchtsam weggekrümmter Wurm.

faust.

Soll ich dir Flammenbildung weichen?

Ich bins, bin Faust, bin deinesgleichen.

geist.

In Lebensfluten, im Tatensturm

Wall ich auf und ab,

Webe hin und her!

Geburt und Grab,

Ein ewges Meer,

Ein wechselnd Leben!

So schaff ich am sausenden Webstuhl der Zeit

Und würke der Gottheit lebendiges Kleid.

faust.

Der du die weite Welt umschweifst.

Geschäft’ger Geist, wie nah fühl’ ich mich dir!

geist.

Du gleichst dem Geist, den du begreifst,

Nicht mir!Verschwindet.

faustzusammenstürzend.

Nicht dir?

Wem denn?

Ich, Ebenbild der Gottheit,

Und nicht einmal dir?Es klopft.

O Tod! ich kenns, das ist mein Famulus.

Nun werd ich tiefer tief zunichte!

Daß diese Fülle der Gesichte

Der trockne Schwärmer stören muß!

Wagner im Schlafrock und der Nachtmütze, eine Lampe in der Hand.

Faust wendet sich unwillig.

wagner.

Verzeiht, ich hört Euch deklamieren.

Ihr last gewiß ein griechisch Trauerspiel?

In dieser Kunst möcht ich was profitieren,

Denn heutzutage würkt das viel;

Ich hab es öfters rühmen hören,

Ein Komödiant könnt einen Pfarrer lehren.

faust.

Ja, wenn der Pfarrer ein Komödiant ist;

Wie das denn wohl zu Zeiten kommen mag.

wagner.

Ach, wenn man in sein Museum gebannt ist,

Und sieht die Welt kaum einen Feiertag,

Man weiß nicht eigentlich, wie sie zu guten Dingen

Durch Überredung hinzubringen.

faust.

Wenn Ihrs nicht fühlt, Ihr werdets nicht erjagen,

Wenns Euch nicht aus der Seele dringt

Und mit urkräftigem Behagen

Die Herzen aller Hörer zwingt.

Sitzt Ihr einweil und leimt zusammen,

Braut ein Ragout von andrer Schmaus

Und blast die kümmerlichen Flammen

Aus Eurem Aschenhäufchen aus!

Bewundrung von Kindern und Affen,

Wenn Euch darnach der Gaumen steht!

Doch werdet Ihr nie Herz zu Herzen schaffen,

Wenn es Euch nicht von Herzen geht.

wagner.

Allein der Vortrag nützt dem Redner viel.

faust.

Was Vortrag! der ist gut im Puppenspiel.

Mein Herr Magister, hab Er Kraft!

Sei Er kein schellenlauter Tor!

Und Freundschaft, Liebe, Brüderschaft,

Trägt die sich nicht von selber vor?

Und wenns Euch Ernst ist was zu sagen,

Ist’s nötig Worten nachzujagen?