Valeria die Wüstenkriegerin - Tom Knocker - kostenlos E-Book

Valeria die Wüstenkriegerin E-Book

Tom Knocker

0,0
0,00 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Als Valeria und Viktor mit einem kleinen Drachen durch ein Dimensionsportal stürzen, landen sie in einer mysteriösen Wüste. Hier herrscht die nackte Clankriminalität. Eine Erz-Dämonin bietet den Verbannten einen Deal an, um zurückzugelangen. Aber können sie sich wirklich darauf einlassen?
Ihr gemeinsamer Feind entpuppt sich als ein böser Gott. Eigentlich hat Valeria schon genug Probleme damit, dass sie einen Drachen zu einem moralischen Wesen erziehen muss. Die Horden des Chaos kennen jedoch kein Erbarmen.

Tom Knocker ist ein Pseudonym von Thomas Neukum. Dieser VALERIA-Roman erschien auch mit dem Untertitel: Der Bann der Kriegerin.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Tom Knocker

VALERIA

Die Wüstenkriegerin

Dark Fantasy Parodie IV © 2025

Inhaltsverzeichnis

Karte

Vorbemerkung

Prolog

Wüstenland

Die Einsiedelei

Aussteigerwissen

Sand und Frust

Entschlusskraft

Die wüste Stadt

Sklavenmarkt

Das Quartier der Wüstenelfen

Ein Händelabkommen

Die Nomaden

Gedanken auf heißen Sohlen

Ein verdammter Hinterhalt

Erste Hilfe

Der Slum

Rücksprache in hohen Tönen

Eine Botin vom Clan der Blutmonde

Drævina

Die Enträtselung

Wetterumschwung

Flor des Todes

Der massakrierte Lindwurm

Dreisiedler

Eine heiße Nacht

Sinkflug

Ein dämonischer Auftrag

Amayas Entführung

Höllische Lust

Ein Besuch in den Schlachthallen

Die bravourösen Metzger

Straßenkämpfe

Komplott

Unerwartete Verbündete

Das alte Tunnelsystem

Tunteprinz

Horden des Unheils

Die Quadratur des Tempelritters

Entsicherung

Der Seelenturm

Ein Mysterium

Der Gott des Chaos

Endkampf

Verrat

Epilog

Nachbemerkung

Personenverzeichnis

 

Karte

Vorbemerkung

Im alten Ägypten war Seth der Gott des Bösen. Wir würden so einen Kerl eher als Teufel bezeichnen. Die Griechen setzten ihn wiederum mit Typhon gleich. Er galt als ein Scheusal, das den Olymp erobern wollte. Wenn man sich aber die Abbildungen von Seth und Typhon anschaut, dann haben sie komischerweise gar nichts miteinander zu tun.

Die weitsichtigsten Gelehrten erblicken in diesen beiden auch noch Loki aus der nordgermanischen Mythologie, womit wir bei einer Dreifaltigkeit von erlesener Perversion wären. Selbstverständlich versucht die Religionswissenschaft das alles zu ordnen. Doch es bleiben Absurditäten.

Daher habe ich diese Gedankengebilde mit künstlerischer Freiheit bearbeitet und die Zielsetzung gewissermaßen umgedreht. Ich wollte nicht etwas Unlogisches so darstellen, alshätte es einen höheren Sinn. Stattdessen fragte ich mich:Wie erzähle ich den Unsinn so, dass er mit viel Fantasie logisch erscheint?

Ich hoffe, dass ich entsprechend gute Unterhaltung mit dieserDark Fantasy Komödie bieten kann. Für eine bessereÜbersicht findet sich hinten im Roman ein alphabetisches Verzeichnis der exotischen Personen. Mir ist klar, dass ein Wüstenszenario über weite Strecken sonnig anmutet. Doch keine Sorge, die Horden der Finsternis warten schon …

Prolog

Valeria hatte das Gefühl, dass sie gemeinsam mit den anderen nicht schneller vorankam als ein Trupp Schildkröten auf der Jagd nach einem Salat aus der Hexenküche.Dabei drängte die Zeit! Der blonde Zopf der Schwertkämpferinwogte, als sie hoch zu Ross mit sieben Gesandten von König Goldspitz II. über Feldwege undWiesen trabte. Wie abgesprochen, war Viktor dabei.

Mehrere Kratzer auf seiner silbernen Rüstung zeugten von den überlebten Metzeleien. Seine Haare waren braun, seine Augen himmelblau und dieGesichtszüge ebenso markant wie nachdenklich.

Die Gesandten des Königs trugen hingegen Kettenhemden mit Tuniken darüber und standardmäßige Eisendeckel auf den Köpfen. Folglich waren sie Soldaten.Der Jüngstehatte ein Stoppelbärtchen an seinem eckigen Kinn und konnte nicht aufhören, Valeria von hinten anzuschmachten.

Entrückt flüsterte er: „Schau dir nur ihre Schenkel und die Figur an! Sie kann bestimmt mit Bravour auf allem und jedem reiten.“

„Träum weiter“, sagte neben ihm ein Älterer auf seinem schon erschöpften Gaul. „Möglicherweise hat dieser Viktor eine Chance bei ihr, aber zu dir blickt sie sich nicht einmal um.Außerdem würdest du’s unter dieser Kampfblondine maximal für die Dauer eines Lidschlages durchhalten.“

„Oh, mag sein, aber für sie erdulde ich gern alles. Wenn sie mich mit saftigen Ohrfeigen belohnen würde, dann erklängen für mich die Engelsposaunen!“

Der Ältere lächelte kopfschüttelnd und erwiderte: „Passlieber auf, dass du nicht gegen einen Ast bumst.“

Zusammen gelangten sie in einen Mischwald mit Laub-und Nadelbäumen. Als sich die Abenddämmerung herabsenkte, rastete der Trupp bei einem gurgelnden Bach.

Die Pferde schlürften das erquickende Wasser, und Viktor hackte mit drei Soldaten fleißig Brennholz. Währenddessen öffneten zwei andere Männer die Satteltaschen und holten Wildschweinfrikadellen heraus, Hasenwürstchen,Butterkäse, Wegezwieback, Rosinen, grüne Oliven und schwarze Bananen.

Valerias Reisesack wog zwanzig Pfund. Er war nur locker verschnürt und bewegte sich, als hätte sie die ganze Zeit so etwas wie einen kleinen Hund herausschauen lassen. Dennoch erschien das Gepäckstück seltsamerweise leer. Mit einem Mal verlor es sein gesamtes Gewicht, und auf dem Waldboden war eine Hopserei zu hören.

Die Schwertkämpferin spähte ringsum, begab sich in die Hocke und sagte: „Na, du Schlawiner? Du kannst dich hier ruhig sichtbar machen.“

Daraufhin zeigte sich ein goldschuppigesWesen mit kurzen Vorder-, aber starken Hinterbeinen. Im Verhältnis zu den Flügelchen und dem Körper waren seine Klauen bereits so groß, dass es drollig anmutete. Nichtsdestoweniger hatte das Geschöpf messerscharfe Reißzähne undfeuergelbe Reptilienaugen. Wie so viele Tiere und Untiere konnte es gleich nach der Geburt gut genug laufen, um auf die Schnauze zu fallen. Ein Menschensäugling bekamnicht einmal das hin. Ganz zu schweigen von dem Talent dieses Wesens, sich unsichtbar zu machen! Es musste intelligent sein, da es mehr oder weniger verstand, wasValeria ihm mitteilte. Trotzdem tat sich der Kleine mit demSprechen und Fliegen noch schwer. Er gehörte zoologisch zu den goldenen Drachen, die imArcheland extrem selten vorkamen.

Genau genommen war dieseArt ausgestorben und erder letzte. Dass sich Valeria mit Viktors Hilfe um ihn kümmerte, geschah nicht grundlos. Sie war pragmatisch veranlagt und überließ die absonderlichen Ideen grundsätzlich den Poeten, Magiern, Politiktreibenden und Dämonen. Darum nannte sie den goldenen Drachenjungen schlichtweg „Goldarius“.

Er spielte mit einem Holzstück, biss rein und schütteltees aufgeregt wie eineBeute. Versehentlich traf es Valeria am Oberarm.

Sie packte Goldarius derart schnell, dass er zusammenzuckte. „Hey, wenn hier jemand Stöckchen wirft, dannich! Bis zu deinem Erwachsenenalter musst du erstens lernen, dass ich dasAlphatier sei, und zweitens vergessen, dass du es bist. Alles andere wäre zu gefährlich. Klar?“

Seine Mimik war so schwer zu deuten wie die Gemütsverfassung eines Mosaiks. Auch wenn er die Fundamentalforschung in derStöckchen-Moral noch nicht begriff, so wirkte er doch irgendwie schuldbewusst.

Die Schwertkämpferin tätschelte ihn. Mittlerweile hatte Viktor die Holzscheite aufgeschichtet, weshalb Valeria den kleinen Drachen dorthin drehte und sagte: „Mach Feuer, Goldarius.“

Viktor trat beiseite. Obwohl er bekräftigend nickte, war der kleine Drache nun verunsichert.

„Was ich dir befehle, darfst du auch tun“, erklärte ihm Valeria. Sie unterstrich diese Worte mit ihrer unmissverständlichen Körpersprache. „Los, spuck Feuer!“

Dementsprechend blähte Goldarius das Näslein, sperrte sein Maul aufund stieß eineFlammenwolke hervor. Dasknarzende Holz brannte sofort.Valeria klatschte Beifall, und der kleine Drache fiepte vor Freude.

Viktor lobte ihn ebenfalls: „Dir ist es vorherbestimmt, dass etwas Großes aus dir wird.“

Dagegen wahrten die sieben Soldaten perplex einen Sicherheitsabstand. Es war nicht deutlich zu erkennen, ob sie gerade die Pferde beruhigten oder die Pferde sie.

„Ihr steht da, als hättet ihr noch nie einen Drachenjungen gesehen“, seufzte Valeria. „Wollten wir nicht grillen?Sind die Hasenwürstchen in euren Hosen verlorengegangen?“

Der ranghöchste Militärgesandte mit angegrauten Schläfenlocken räusperte sich. Er war der Urtyp eines adligen Kundschafters, wenngleich er für die Soldatenausbildung in seinerJugend gar nicht so vieleHalbwahrheiten und Schmiergelder benötigt hatte. „MitVerlaub, wir bleiben skeptisch. Uns allen ist bekannt, dass Drachen katastrophale Launen entwickeln können und sich nicht unbedingt als Schoßhündchen eignen. Warum müsst Ihr ihn mitführen?“

„Das habe ich euch allen doch schon erklärt“, antwortete die Schwertkämpferin entnervt. „Setzt euch wie Männer ans Feuer und lasst uns essen. Ich rekapituliere es noch einmal.“

Der Jüngste, der so sehr für Valeria schwärmte und ganz inbrünstig als Mann gelten wollte, gesellte sich mit Viktor umgehend zu ihr. Angesichts dessen setzten sichauch die anderen Soldaten auf den Waldboden, um furchtlos ihre Frikadellen aufzuspießen.

Valeria fütterte Goldarius mit Zwieback und zermatschten Bananen, die er schnabulierte. „Seht ihr, er macht sich gar nichts aus Menschenfleisch und ist im Gegensatz zu euch ein vorbildlicher Vegetarier.“

Die Soldaten grummelten.

„Also noch einmal“, fasste Valeria zusammen. „MeineFreundeShadarzu, Olof, Lyriell und ich haben ein versteinertes Drachen-Ei entdeckt. Wir brachten es Viktor.Ihm ist es bereits vor langer Zeit gelungen, ein Ritual zu finden, mit dem sich die ursprüngliche Lebensenergie in allem und jedem wiedererwecken lässt.Denn unser Viktor hat nicht nur Verdienste als Paladin erworben, sondern es auch noch geschafft, sich selber von einem Vampir zurück in einen Menschen zu verwandeln. Wer außer ihm kann das schon von sich behaupten?“ Anerkennend strich die Schwertkämpferin über seine Schulter.

Viktor empfand ihre Berührung als angenehm, aber diese Vampirsache war ihm aufgrund seines anständigen Charakters peinlich. Bescheiden sortierte er eine Rosine unter den Oliven aus, kaute und lenkte das Gespräch erneut auf dasDrachen-Ei: „Ich musste es schlüpfen lassen. Ob Valeria es wahrhaben will oder nicht, sie ist laut Prophezeiung dazu auserkoren, dass sie als Drachenreiterin gegen die Armeen der Finsternis mit Kreaturen wie den Mondragonern vorrückt.“

„Wenn ich mir den Kleinen so anschaue, bezweifle ich es mehr denn je“, erwiderte die Schwertkämpferin. Sie hielt Goldarius mit einem Arm fest, damit er nicht wieder Faxen machte. „Tja, meine Gruppe musste sich trennen.Shadarzu und Lyriell, aber auch unser ZwergenmönchOlof sind unterwegs zu so einem Schmied der Hochlandelfen. Angeblich kann er mein verzaubertes Bauchkettchen reparieren, das zerrissen ist. Mein Vater, der frühere König, hatte es einer freigelassenenSklavin geschenkt,meiner Mutter. Wie ihr wisst, sind beide leider schon gestorben.“

„Ja, sie wurden von einemDrachen getötet“, sagte derranghöchste Militärgesandte. Er klang irgendwie pikiert.

„Das war ein schwarzer Drache, der unter ausgeprägten Störungen litt und in seiner Kindheit vermutlich nicht genug Zuwendung bekam“, entgegnete Valeria. „Ich habe mit ihm gekämpft und geredet. Ohne ihn wäre ich nicht zu derjenigengeworden, die ich heute bin.“

Ein Soldat mampfte zustimmend. „Dieser sagenhafte Kampf hat Euch berühmt gemacht. Wir würden von Euch gerne mehr darüber erfahren.“

„Danke, aber das ist eine andere Geschichte. Vergesst nicht, dass mir meine Freunde dabei geholfen haben“, sagte Valeria mit gefurchten Brauen.

Die Trennung ihrer Gruppe machte sie unglücklich. Sie liebte Shadarzu. Gedankenversunken fasste Valeria an das Amulett an ihremHals, das er ihr als Abschiedsgeschenk und Ersatzhilfe gegeben hatte.Mit diesem amethystfarbenen Schmuckanhänger ließ sich wohl ein Geist beschwören.Shadarzu hatte das Amulett lange bei sich getragen,aber als Nekromant mit einem beachtlichen Repertoire an Zaubersprüchen selber nie benötigt. Trotz allem wussteValeria nicht, ob er ihr treu war.Womöglich wälzte er sich schlaflos im Bett einer Herberge hin und her, weil rein zufällig die elfische Lyriell oder eine schicke Zombiebraut unter ihm lag.

„Ich bin froh, dass wenigstens du an meiner Seite bist, Viktor“, wandte sich Valeria leise an denPaladin. Sie gabihm Goldarius, schluckte einen großenBissen und erhobsich mit ihrem Wasserschlauch.

Während sie denselben am Bach nachfüllte, sagte sie zu den Soldaten: „Eigentlich wollte ich meine Freunde begleiten und selber mein Bauchkettchen reparieren lassen. Doch dann seid ihr amHorizont aufgekreuzt und habt mir dieses Pergament mit dem Siegel von König Goldspitz II. überreicht, meinem Halbbruder. Mir gehen seine Worte nicht aus dem Kopf. ›Die Mächte des Bösen planen einen Angriff auf unser Schloss, um es zu okkupieren. Es wäre zu gefährlich, Einzelheiten in diesem Brief mitzuteilen. Kommt schnell!‹ So ungefähr hat er’s mit majestätischem Schwung hingekritzelt. Könnt ihr mir wirklich nicht Genaueres darüber sagen?“

„Seine Majestät hat uns lediglich g…“

Unvermittelt ließ sich einGeraschel aus zwei verschiedenen Richtungen hören.Goldarius machte sichwieder unsichtbar, und der Instinkt eines kleinen Drachen war nicht geringzuachten. Besonders verdächtig fand Viktor den Umstand, dass die Geräusche so laut wirkten, als sollte man die Heimlichtuerei bemerken. Doch vielleicht wardieser Gedankengang zu vertrackt. Denn welche Banditen würden so vorgehen, falls es sich überhaupt um Banditen handelte?

Die Schwertkämpferin gab den anderen ein Zeichen und zückte ihre höchst ungewöhnliche Allzweckwaffe, denĐämønenschlächŧer. Viktor gebrauchte außer einer langenKlinge mit schnörkellosem Griff auch noch seinen Schild.Zusammen pirschten Valeria und er nach links, die Soldaten nach rechts, aber nicht alle von ihnen. Ein Teil blieb wachsam bei den Pferden am Lagerfeuer stehen.

Nach ein paar Schritten vernahm Valeria nochmals einRascheln, ohne dass sie in der Dunkelheit und dem Unterholz jemanden sehen konnte. Sie verstand jedoch schnell,dass es von Goldariuskam, der neben ihr tapste. Das war nicht unbedingt vorteilhaft.

Gleich darauf stürzte sich ein Schatten auf Valeria! Sie hob dank ihrer geübten Reflexe ihr Schwert, das beimBlocken des feindlichen Stahls klirrte und sirrte. Zudem gewahrte sie aus den Augenwinkeln, dass Viktor mit dem Schild einen weiteren Feind wegstieß und seinerseits zu Attacken ausholte. Die Klingen kreuzten sich wild.

Doch es erschien ein dritter, vierter und fünfter Schatten. Valeria wirbelte geschickt mit ihremSchwert und duckte sich unter einem Schlag hinweg.Dennoch konnte siediese Gestalten nicht scharf erkennen.Wie denn auch? Siewaren maskiert, mit finsteren Harnischen gerüstet, mindestens zwei Meter groß und imGefecht bewandert. Menschenähnlich, aber unmenschlich!

Viktor und Valeria kämpften Rücken an Rücken, als der markerschütternde Schrei einesSoldaten durch den Wald hallte. Ganz in der Nähe ertönte hingegen ein schrilles Knurren, fast ein Quietschen. Eine Gestalt strauchelte,weil sie über den unsichtbaren Drachenjungen gestolpertwar. Hoffentlich hatte sich Goldarius nicht verletzt! Allerdings konnte sich dieser Angreifer rasch fangen, weswegen Valeria schlussfolgerte, dass sein Fehltritt in gewisser Weise leichtfüßig und ohne Wucht erfolgt war.

Sie machte sich zu einem Schwertstreich bereit. Doch die Feinde rannten völlig unerwartet davon. Flüchteten sie etwa?Der Grund war schwer zu begreifen, zumal sie sich in derÜberzahl befanden. So einfach wollte Valeria sie jedenfalls nicht entwischen lassen.

„Wer und was ist das hier bloß? Wir müssen sichergehen, dass uns diese Schurken nicht noch einmal auflauern“, sagte sie zu Viktor. „Ihnen nach!“

Die beiden nahmen die Verfolgung auf und entfernten sich noch weiter von der Lagerstätte. Auf dem Waldboden lagen vermehrt Steine und sogar Felsbrocken, die imMondschein grau schimmerten. Die Schwertkämpferin registrierte über ihr Gehör, dass Goldarius wie ein Terrier mit ihrdahinfegte.Hauptsache, er würde sich nicht mitKaracho den Schädel anschlagen …

Valeria undViktor bewegten sich so zackig, dass sie ein schlechtes Ziel für Pfeile abgäben. Zu ihrer Verwunderung kam aber kein einziger Schuss. Der Paladin wollte schon anraten, dass sie besser umkehren sollten, da tauchte vor ihnen erneut ein Schatten auf.

Also spurteten die beiden mit ganzer Kraft und erhobenen Waffen drauflos. Doch was zum Teufel geschah dann?Urplötzlich verschwanden sie unter einem farbensprühenden Aufblitzen, als hätte sich für eine Sekunde einRiss in derWelt aufgetan und sie –verschluckt.

Wüstenland

Im vollen Laufschritt fanden sich Valeria und Viktor mit dem kleinen Drachen unter dem Sternenhimmel in einerganz anderen Atmosphäre wieder. Trockener, wärmer und fremdartig! Sie waren auf einer offenen Terrasse und wollten noch abbremsen, aber das sah extrem knapp aus.

„Vorsicht! Oh, verdammt“, schrie Valeria.

Alle drei stürzten über den Rand hinunter. Goldarius machte sich vor Schreck sichtbar und flatterte mit seinenFlügelchen. Obwohl sich der freie Fall dadurch verlangsamte, dauerte er ohnehin beängstigend lange. Es war doch nirgendwo eine so tiefe Schlucht gewesen?! Viktor spürte den Druck der Raserei in seiner Brust und kniff die Augenlider zu. Er vermutete, dass er wie auch Valeria beim Aufprall zerschmettert und tot wären.

Doch es kam anders.

Sie landeten weich, wobei Sand aufstob. Dann rutschten sie schräg eine Düne hinab. Statt liegen zu bleiben, rappelten sich Valeria und Viktor jedoch kampfbereit auf.

Wusch!Da kullerte auch Goldarius zu ihnen. Ansonsten war aber weit und breit keinLebewesen auszumachen, ja nicht einmal ein Baum. Das ließ sich erstaunlich gut erkennen, was nicht nur daran lag, dass plötzlich kein Wald mehr das Schummerlicht wegnahm. Vielmehr beobachteten die Schwertkämpferin und der Paladin atemlos in dieser Einöde, wie die Nacht angesichts der Morgenstunde verblasste.

„Wir sind in der Wüste“, ächzte Valeria.

Viktor ergänzte: „Und die Sonne geht schon auf.“

„Soeben war noch später Abend!Wie kann das sein?“

„Zeitverschiebung“, mutmaßte der Paladin.

„Zeit… was? Sag mal, aus welcher Ebene im Multiversum stammt dieser Begriff?“ Valeria folgte dem Blick desPaladins weit nach oben und sah die gelbbraune Terrasse,die weder von einer Wand noch von einer Säule getragen wurde. Von nichts!

„Sehr merkwürdig“, murmelte Viktor.

„Das ist stark untertrieben, mein Lieber. Diese Plattform schwebt frei in der Luft, so dass man behaupten kann, wir seien aus dem Himmel gefallen. Was befindet sich auf dieser Terrasse? Wie ist das alles überhaupt möglich?“

Hierauf kratzte sich Viktor an der Stirn. „Ich glaube, wirsind durch ein Dimensionsportal gerannt.“

„Wieso das? Warum?“, rätselte die Schwertkämpferin.

Goldarius brabbelte mindestens ebenso verwirrt. Vielleicht wollte er Viktor undValeria nachahmen, aber er brauchte auf alle Fälle mehr Beachtung. Darum steckten die beiden endgültig ihre Waffen ein und kauerten sich zu ihm.

„Hat er irgendeine Wunde?“, fragte Valeria.

Der Paladin verfügte über ein Grundlagenwissen in der weißen Magie. Es war nicht viel und hatte sich trotzdemschon als hilfreich erwiesen. Indem er dieHand bei dem kleinen Drachen auflegte, konstatierte Viktor: „Hm, er hatein paar Stauchungen.“

Also vertiefte sich der Paladin in eine Meditation, bis ein warmes Leuchten um seine Finger herum entstand.Die Heilkraft floss in den kleinen Drachen. Er fiepte wohlig wie in einem Schaum- beziehungsweise Sandbad. Doch kurz danach sauste er völlig überdreht hin und her.

„Hey, Goldarius, komm her und stolpere nicht gleichwieder über deine Beine!“, rügte ihn Valeria. Genau wie Viktor hatte sie sich abermals aufgerichtet. Sie fragte ihn von der Seite: „Bist du dir sicher, dass du nicht zu viel Energie in den Kleinen reingepumpt hast?“

Viktor machte eine vage Handbewegung und erkundigte sich dann bei Valeria: „Wie geht’s dir? Bist du auch unverletzt?“

„Na, das fragst du mich aber früh.“

„Entschuldige bitte.“

„Keine Ursache“, erwiderte sie. „Ich bin wohlauf und wollte schon lange einmal meine Seele im Urlaub baumeln lassen. Kopfzerbrechen bereitet mir nur, dass michmein königlicher Halbbruder zu einem Arbeitseinsatz erwartet. Hast du eine Idee, an wen wir uns mit diesem Problemchen wenden könnten?“

Viktor und Valeria schauten sich im Niemandsland um.Allmählich erhob sich die Morgenröte zuOrangetönen und sorgte für wunderbare, lebensfeindliche Aussichten. Sogar dem kleinen Drachen wurde es öde, so dass er nicht länger herumtollte und der Schwertkämpferin doch noch gehorchte.

„Das ist vermutlich eine geeignete Situation, um deinmagisches Amulett auszuprobieren“, sagte Viktor ernst.

„Ach ja! Ich hoffe, es erscheint ein weiser Geist.“

„Wir sollten auf alles gefasst sein“, meinte der Paladin.

Demgemäß versuchte sich Valeria an die Beschwörungsformel zu erinnern, die Shadarzu ihr eingetrichtert hatte.Er sagte, dass ich den Schmuckanhänger zwischen Daumen undMittelfinger reiben muss, während ich tranceartig in das Tal meines Busens schaue. Letzteres hat er bestimmt nur hinzugefügt, um mich zu foppen, aber es kann nicht schaden. So, und jetzt muss ich das Zauberwort aussprechen:„Bimsalabums!“

Unverzüglich zischte ein lilablauer Nebel aus dem Amulett und begann Form anzunehmen. Goldarius ging nervös hinter seinerErzieherin in Deckung. Entweder war er schon sehr klug oder noch sehr naiv, denn er machte sich vor dem psychophysischen Etwas nicht unsichtbar.

Der Geist fixierte alle drei mit seinen Augen, die an glimmende Schwarzkohlen denken ließen. Er war pfundweise mit Ohrringen behangen und verschränkte seine muskulösen Arme vor der nackten Brust. Nichtsdestoweniger fehlte ihm ein wichtiges Merkmal – die Beine. Sein Unterleib verdünnte sich stattdessen wie ein Wirbelwind, der an Ort und Stelle verharrte. Insgesamt verströmte derGeist einen düsteren Charme, als wäre er dem neunten Untergeschoss des Pandämoniums entstiegen.

„Ihr wünscht?“, fragte er. „Es ist stets interessant, woman sich morgens mit wem wiederfindet, nicht wahr? Wenn mir die Bemerkung erlaubt sei, so seht Ihr entgeisterter aus als ich.“

Die Schwertkämpferin fasste vorsichtshalber an den Griff ihres Đämønenschlächŧers, mit dem sie sogar Geister zerfetzen konnte. Gleichwohl wirkten sie und Viktorbeherrscht, wobei er ihr das Reden überließ: „Wir hatten irgendwie eine andere Vorstellung von Euch. Nichts für ungut, ich bin Valeria und das …“

„Mir ist bekannt, wer Ihr seid.“

„Echt? Scheinbar sind wir noch berühmter als gedacht.“

„Ha, in Eurem Hirn, ja“, lachte der Geist sarkastisch.

„Ihr riskiert eine dicke Lippe.“

„Mach ich gerne für Euch, meine Gebieterin.“

„Sag endlich, wieso du mich und Viktor kennst!“

„Shadarzu hat es mir zugeflüstert.“

Valeria stemmte eineHand in die Hüfte. „Offenbar hater Euch besser unterwiesen als uns. Denn ich für meinen Teil weiß nicht, wer oder was genau Ihr seid.“

Der Geist sah Viktor an. „Habt Ihr auch keine Ahnung?“

„Nun, ich vermute, Ihr seid ein Dschinn.“

„Oho, der edle Herr im Blechanzug tippt richtig!“

„Ein Dschinn?“, stutzte Valeria. Sie konnte noch nicht entscheiden, ob sie sich darüber freuen sollte. „Das ist doch ein eigenartiger Zufall.“

„Wie kommt Ihr auf so etwas?“, fragte der Geist.

Da sie ihn nun kennenlernte und er sich so aufspielte, beschloss Valeria, ihn aus Trotz zu duzen. „Als Dschinn bist du doch in der Wüste heimisch, oder nicht?“

„Quatsch! Das sagt Ihr bloß, weil Ihr selber ›zufällig‹in der Wüste herumsteht. Um Antworten auf Eure Fragen zu erhalten, müsst Ihr ein bisschen weiterdenken.“

„Hat man dich nirgends Respekt gelehrt, Freundchen?“

„Doch, ich habe mich aber umgeschult, Verehrteste.“

Goldarius streckte seine Nüstern hinter Valerias Waden hervor und knurrte. Bevor sie und der Dschinn einander zankten, schaltete sich Viktor ein: „Wo stammt Ihr her, und wer war Euer erster Gebieter?“

„Ihr verlangt, dass ich mein Überlangzeitgedächtnis anstrenge. Also gut! Mein erster Gebieter war ein speckiger Sultan in einer Stadt mit Kuppeldächern und Bauchtänzerinnen auf Dauerdiät. Ich wurde gestohlen, kam zu Seefahrern in die vier Winde und wechselte über die Epochen hinweg mehrfach den Besitzer. Solche Drachen wie ihn habe ich übrigens schon mal gesehen, aber in groß und nicht so putzig“, sagte der Dschinn beiläufig. Er berichtete sofort weiter: „Jedenfalls hatte ich es satt, gewissen Halunken tausendundein Hürchen vor die Füße zu zaubern! Ich begann zu mucken.Jetzt gehorche ich nur noch, sofern ich selber Lust dazu habe oder ein Magier wie Shadarzu mich zwingen würde. Ihr seht allerdings anders aus, meine Gnädigste.“

„Anders als wer, was oder wie?“, erwiderte Valeria. Irritiert betrachtete sie ihren Schmuckanhänger und fragte anschließend den Dschinn: „Solltest du nicht in einer Flasche beziehungsweise Öllampe wohnen?“

„Warum denn das? Glaubt Ihr, dort wäre es bequemer als an Euren Titten? Nein“, schüttelte der Dschinn den Kopf. „Solche Märchen geben keinen Sinn. Letztendlich entstamme ich dem Geisterreich und werde über dieses Amulett gerufen. Das ist doch evident!“

„Wenn du so schlau bist, dann kläre uns gefälligst über unsere Lage auf“, befahl Valeria. Sie zeigte zur schwebenden Terrasse und wieder nach unten. „Warum sind wir hier gelandet? Vorhin liefen wir noch durch einen Wald.“

„Ihr seid durch ein Dimensionsportal gestürzt.“

Valeria blickte vieldeutig zu Viktor.

„Genau wie befürchtet“, äußerte er.

Hiernach sagte die Schwertkämpferin zum Dschinn: „Kannst du uns das genauer erklären? Oder besser noch, bring uns einfach zurück!“

„Ihr solltet EureAnsprüche herunterschrauben, illegitime Königstochter. Diese Wünsche vermag ich nicht zu erfüllen.“

„Kannst du nicht oder willst du nicht?“, zürnte Valeria.

„Das ist für jedes vernünftige Wesen dasselbe. Nur Blödmänner und Träumer wollen, was sie nicht können. Trotz all meiner Grandiosität, die man mir unbestreitbar anmerkt, binich weder allwissend noch allmächtig. Denn sonst wäre ich Zeus. Sehe ich etwa wie Zeus aus?“

Nein, wie eine protzige Klatschtante, dachte Valeria.

Viktor hingegen überlegte laut: „Seid Ihr eigentlich ein guter oder ein böser Dschinn?“

„Och, Ihr solltet das alles nicht so schwarz-weiß sehen, wenn Ihr weiterkommen wollt. Ich bin in der Moral ebenso flexibel wie in der Metaphysik und nicht derart prinzipienstarr.“ Der Dschinn breitete seine Hände aus und grinste Valeria an. „Allerdings gefällt Ihr mir als neue Gebieterin. Man kann schön mitEuch herumdiskutieren, obwohl Ihr keinen blassen Schimmer habt, worum es geht. Deshalberteile ich Euch den wohlmeinenden Rat, dass Ihr exakt nach Nordosten und keineswegs noch weiter in den Süden wandern solltet.“

„Warum? Was ist im Nordosten?“, fragte Valeria.

„NiedereSchmortemperaturen. Darf ich nun gehen?“

Genervt antwortete sie: „Jaja, verzieh dich!“

Damit verschwand der Dschinn, so dass sich nochmals ein farbiger Nebel bildete.Das Amulett schien ihn aufzusaugen.

Was hat sich Shadarzu bloß bei diesem Geschenk gedacht?Na, warte! Ich werde mich nie wieder beschweren, wenn ich von einem Mann nur einen Flakon bekomme, dem nichts weiter als ein Parfum entströmt,schwor sich Valeria.

Viktor schien ihre Gedanken zu erraten. Statt sie unverblümt darauf anzusprechen, sagte er: „Beinahe unser ganzes Gepäck ist in dem Wald zurückgeblieben. Wir haben nur einen Wasserschlauch, aber wie ich sehe, trägst du eine kleine Umhängetasche bei dir. Darf ich fragen, was drin ist?“

„Nur das, was eine Frau in ihrer Handtasche eben an die unmöglichsten Orte mitschleppt:Pflegeöl, Minzbonbons, Ersatzunterwäsche, Lippenstift aus Kirschmark …“

„Lippenstift?“

„Ja, warum?“

„Wir könnten mit ihm dieses Gestrüpp da und dort markieren, um wieder zur schwebenden Terrasse zurückzufinden“, schlug Viktor vor.

„Das ist eine gute Idee.“

Goldarius reckte seinen Hals, als würdeer zustimmenund Ausschau halten. Anscheinend wollte er ebenfalls von hier weg.

„Also nach Nordosten!“, sagte Valeria.

Und die drei stapften los.

Die Einsiedelei

Sie wanderten und wanderten durch die flimmernde Hitzeder Wüste. Da Goldarius getragen werden wollte, taten ihm Valeria und Viktor gelegentlich diesen Gefallen. Die beiden schwitzten jedoch so arg, dass sie sich mit staubtrockenen Zungen abquälten.

Irgendwann blieb die Schwertkämpferin stehen, um den Wasserschlauch wie eine große Dörrpflaume zu quetschen und zu schwenken. Es war immerhin ein leises Plätschern zu hören.

„Ein Schluck ist noch drin“, sagte Valeria.

Viktors Mund war rissig und starr, weshalb er Schwierigkeiten hatte, die Worte zu formen: „D-drink du es. Du siehsd schon dod aus.“

„Ich sehe schon tot aus? Herzlichen Dank!“

„Nein, dod wie dein Lippendifd!“

„Aha, du meinst ›rot‹. Um die Wahrheit zu sagen, bist du dagegen leichenblass, Viktor. Dein Körper braucht offensichtlich mehr Wasser als meiner.“

Goldarius wollte mitreden: „Brabrabra!“

„Der Kleine quengelt, was aber daran liegen dürfte,dass er seine Unlust auf diesen Marsch und seinen Hunger nicht so gut unterdrücken kann wie wir. Wahrscheinlich kommt er als feuerspeiendes Reptil dafür länger ohnedas nasse Element aus“, sagte Valeria. Sie gab Viktorden Wasserschlauch. „Trink bitte!“

Er saugte das letzte Tröpfchen heraus, spülte den Mundund schluckte. Unwillkürlich entwich ihm ein Seufzen. „Es geht schon etwas besser, und ich kann wieder die Silben auf der Spur halten.“

„Freut mich“, gratulierte Valeria durstig.

„Ich hoffe nur, dass wir nicht vom Weg abgekommen sind.“ Der Paladin schirmte mit einer Hand seine Augen ab und orientierte sich am Sonnenstand.

Doch Valeria murrte: „In dieser endlosen Sandkistegibt’s sowieso keinen Weg. Man braucht Idiotenglück, um ›exakt‹ eine Himmelsrichtung zu treffen. Möglicherweise wollte sich der Dschinn mit seinem Tipp über uns lustig machen, damit wir hier krepieren.“

„Was hätte er davon? Er wirkte zwar spöttisch, aber geradeheraus und ehrlich. Unsere einzige Überlebenschance besteht darin, seinem Rat zu folgen“, meinte Viktor.

Daher trotteten die drei weiter.

Endlich sichteten sie ein einsames Haus aus weißem Stein mit einem Feldvoller Kakteen, Dattelpalmen und Tamarindenbäumen! Sie hielten es fast schon für eine Fata Morgana. Doch als sie näherkamen, ließ sich die Solidität des Anwesens nicht mehr anzweifeln. Es gab sogar eine Zisterne.

Auf einmal rannte der kleine Drache gerne los, flatterte mit den Flügeln und sprang. Er fraß die Früchte.

„Goldarius, das darfst du nicht!“, rief Valeria.

Viktor erklärte warum: „Was der Erde entwächst, scheintzwar niemandem außer derErde zu gehören. Doch sobaldes auf einem Grundstück ist, gelten die Eigentums- und nicht mehr die Naturrechte.

„Schwer verständlich“, bekrittelte Valeria.

„Ja, aber so ist es.“

Unmittelbar darauf schlurfte der Eigentümer mit einem ausgeblichenen Gewand argwöhnisch aus dem Haus und überraschte sie durch sein Erscheinungsbild. Auch wenn er die Größe eines Menschen hatte, so glich er doch einem leicht gebücktenDrachen mit Brille. Ein alter Lindwurm!

Valeria grüßte ihn einfach mal: „Ähm, guten Tag.“

„Wo kommt denn ihr her?“, fragte er. Da Viktor und Valeria so kriegerisch anmuteten, blieb der Lindwurm sicherheitshalber im Türrahmen stehen. Er linste fassungslos zu Goldarius.

„Wir bitten um Verzeihung für dieses Verhalten“, sagte der Paladin. „Leider sind wir durch die Wüste geirrt, undder Kleine schafft es noch nicht, sämtliche Anstandsregeln über seine Bedürfnisse zu stellen.“

Valeria zerrte Goldarius von denDattelpalmen weg.Sofort stieß er ein Geschrei wie ein Truthahn aus, aber er getraute sich nicht, die Schwertkämpferin anzugreifen.

Der Lindwurm nahm seineBrille ab, rieb sich die Äuglein und setzte sie wieder auf.„Bei allenGöttern! Sehe ichrichtig, dass dieses Jungchen ein goldenerDrache ist? Oderbin ich über einem Schmöker mit Legenden eingeschlafen und am Träumen?“

„Wir könnten uns dasselbe fragen, aber Goldarius hier ist wirklich so einExemplar“, antwortete Valeria. Während sie den kleinen Drachen beidarmig vor ihrem Körper festhielt, blickteer forschend den Lindwurm an und beruhigte sich sogar.

„Aber wer seid ihr zwei Menschen?“

Valeria und Viktor gaben dem Lindwurm einen etwaslückenhaften Kurzbericht, um sich mit ihm bekanntzumachen. Dabei betonte der Paladin: „Wir sind in ein Dimensionsportal geraten und von einer schwebendenTerrasse heruntergestürzt.“

Der Lindwurm schwieg gedankenversunken. Mit gerunzelter Stirn ging er zur Zisterne und erwiderte bloß: „Hm, hm, hm. Ich heiße übrigens Lurkolibri.“

„Wie?“, fragte Valeria.

„Lurk-o-lib-ri.“

„Ein erlesener Name“, versicherte sie.

Er bemühte sich, einen vollenWassereimer aus demBrunnenschacht zu hieven. Eilends halfen ihm Viktor und Valeria. Die Schwertkämpferin hätte am liebsten ihr ganzes Gesicht in den Eimer getaucht.

„Ihr braucht dringend Speis und Trank. Kommt mit mir ins Haus“, bat Lurkolibri. „Dort erzähle ich euch mehr.“

 

Aussteigerwissen

Das einstöckige Haus des Lindwurms machte teils einen spartanischen, teils einen behaglichen Eindruck. Er ließ seine Gäste auf Bodenteppichen an einem niedrigen Steintisch Platz nehmen.

Hier reichte er ihnen Schalen mit Wüstenfrüchten und füllte Wasser in Keramikkrüge. Valeria kippte die Flüssigkeitso schnell in sich, dass er den Eimer zum Nachschenken gleich bei ihnen stehen ließ. Darüber hinaus rangelte die Schwertkämpferin mit Goldarius um das Vorrecht,ihr Nahrungsbedürfnis nun mit aller gebührlichen Gier zu befriedigen, aber Viktor bekam auch etwas ab. Lurkolibri werkelte derweil an einer Kochstelle herum.

Ein offener Durchgang mit einem Rundbogen erlaubte einen Blick in den angrenzendenRaum. Dort befandsich eine beeindruckende Bibliothek mitRegalen aus Akazienholz, was den Gästen schon beimBetreten des Hauses aufgefallen war.

„Ganz bemerkenswert,Lurkolibri! Du bist ein echter Bücher- und nicht nur ein Lindwurm“, sagte Valeria.

Trotz ihres wohlgemuten Tonfalls sah er sie irgendwie resigniert über dieSchulter an. „Ja, so kann man mich ebenfalls nennen. Tatsächlich bin ich aber als Mensch geboren worden.“

Damit verdutzte er auch Viktor.

„Ich werde heute wohl auf meine gewohnten Selbstgespräche verzichten und euch noch so manches darlegen müssen“, erkannte Lurkolibri. „Über die Jahrzehnte las ichneben allerleiChroniken so viele verzauberte Bücher undDrachenromane, dass sich meine Daseinsform eben zueinem alten Lindwurm gewandelt hat. Tja, das kann passieren. Ich bin ein drachenähnliches Männlein mit tatterigen Beinen. Also Finger weg von diesen Büchern über Magie!“

„Ist das etwa dein Ernst?“, fragte Valeria.

„Wenn ich jemals Witze reißen möchte, wäre auch in ihnen der Wurm drin“, erwiderte Lurkolibri.

Goldarius wiegte den Kopf: „Kwarum?“

„Ei, ei, ei, dich finde ich faszinierend, kleiner Drache! Wie spitz und hell deine Zähnchen sind! Ich besitze nur drei Stummel, aber ich kann damit noch kauen. Vielleicht palavere ich nachher mehr über mein Leben“, sagte Lurkolibri und rührte in einer Pfanne.

Viktor hätte sehr gerne mehr erfahren. Eigentlich wollte er sich schon die ganze Zeit erkundigen, wiediese Wüste hieß, aber ihm drängte sich eine andere Frageauf: „Was duftet hier denn so würzig?“

Lurkolibri servierte weißes, knuspriges Fleisch und einebraune Paste in Schüsselchen. Neugierig langten Valeria und Viktor zu.

„Es schmeckt unglaublich lecker“, lobte die Schwertkämpferin. Natürlich gab sie auch Goldarius einen Happen.

„Das ist Tamarindenpaste mit dem Fleisch von Riesentaranteln“, sagte der Lindwurm.

Sogleich hielt Valeria im Kauen inne. Sie schob den Bissen in den äußersten Winkel ihrer Backentasche und sagte zögernd: „Spinnen? Ganz toll.“

Viktor lächelte und aß weiter. Weil er so etwas erwartet und schon Grausigeres zu sich genommen hatte, fragte er Lurkolibri sachlich: „Wie fängst du die Riesentaranteln?“