Verdammte Weihnachten - Lutz Schebesta - E-Book
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Verdammte Weihnachten E-Book

Lutz Schebesta

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Beschreibung

Eine satirische Weihnachtskomödie, die Lust aufs Fest macht  »Last Christmas« rund um die Uhr. Familientreffen. Geschlossene Geschäfte. Die besinnliche Zeit. Für Gustav ein No-Go. Der Star der Influencer-Szene kann an solchen Tagen kein Geld verdienen. Und darum geht es doch bei diesem Fest!? Der Kirchenquatsch ist doch Zeitverschwendung. Seine Community will neue frische Stories und nicht Maria & Josef zum x-ten Mal bei der Geburt begleiten. Doch als er dazu verdonnert wird, den Weihnachtsmann zu spielen, erfährt er was wirklich die Wünsche und Hoffnungen sind. Seine Weltanschauung gerät ins Wanken und er beschließt: Dieses Weihnachten wird das Beste aller Zeiten! Und zwar für alle, denen es nicht so gut geht wie ihm. »Diesem Buch muss man einfach Folgen. So nice. I like.« Farina@NovaLanaLove »Leseempfehlung für trübe Wintertage!« ((Leserstimme auf Netgalley))  »Die Story lässt den Leser schmunzeln, laut Lachen und auch Nachdenken. Ein etwas anderer Weihnachtsroman der wirklich sehr empfehlenswert ist!!!« ((Leserstimme auf Netgalley))  

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© Piper Verlag GmbH, München 2022

Redaktion: Birgit Förster

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Lutz Schebesta

Covermotiv: Lutz Schebesta

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

O du fröhliche

Vom Himmel hoch, da komm ich her

Lasst uns froh und munter sein

Kling, Glöckchen, klingelingeling

Driving Home for Christmas

Leise rieselt der Schnee

Fröhliche Weihnacht überall

Santa Claus is coming to town

Alle Jahre wieder

Aber heidschi bumbeidschi

Last Christmas

Stern über Bethlehem

In der Weihnachtsbäckerei

Schneeflöckchen, Weißröckchen

Morgen, Kinder, wird’s was geben

Süßer die Glocken nie klingen

O Tannenbaum

Stille Nacht, heilige Nacht

Ave Maria

All I want for Christmas is you

Danke

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

O du fröhliche

»Du bist einfach der Beste« schallte es aus der kleinen Box, die auf dem Küchenblock stand. Dazu blinkte und blitzte es in allen erdenklichen Regenbogenfarben auf dem dazugehörigen Display, sodass jeder Betreiber einer Dorfdisco neidisch hätte werden können. Kaum dass diese Tischparty verstummt war, ging die Show weiter: »Wow«, »Du bist beliebt«, »Tadaaa« und »Oh no« wechselten sich die Ansagen im Minutentakt ab. Auf dem großem Farbdisplay stand eine siebenstellige Zahl, die sich ganz aufgeregt nach oben und ab und zu nach unten korrigierte. Solche Zahlenräder waren im letzten Jahrhundert in jedem Flughafen zu Hause. War das doch die einzig verlässliche Möglichkeit, eine Auskunft über den Abflug oder die Ankunft zu erlangen. Doch hier in der Küche von Gustav flogen in der Regel maximal Champagnerkorken. Trotzdem war dieser Zähler hier in seiner Kochstube wichtiger als das neuste Thermomix-Modell oder sonstiger technischer Must-have-Schnickschnack.

»Das kann ja noch ewig dauern. Ich habe Hunger! Komm, lass uns in die Stadt fahren«, nörgelte Lennard.

»Ich fahre nirgendwohin, bevor da nicht die Zwei an erster Stelle steht. Ich werde doch nicht die Story des Tages, ach, was sag ich, meines Lebens verpassen. Wir können doch später Kalorien tanken«, stellte Gustav fest.

»Ey, du bist wirklich so was von lost.« Genervt stand Lennard auf und zog sich seine Jacke an.

»Wenn du jetzt gehst, brauchst du nie wiederzukommen«, blaffte Gustav ihn an.

»Dein Ernst? Ein Zähler ist dir wichtiger als unsere Freundschaft?«

»Das ist verdammt noch mal kein einfacher Zähler. Das ist mein Leben. Und du hast die Ehre, bei meinem neuen Lebensabschnitt, also quasi wie bei einer Geburt, live dabei zu sein. Da ist doch jedes Hungergefühl sofort weg … Wenn du diesen intimen Moment nicht mit mir teilen willst, bist du …«

Weiter kam Gustav nicht mehr. Der Lautsprecher mischte sich mit einer schrillen Sirene in das Gespräch ein. Das war das erhoffte Signal, und in Windeseile zog der junge Kölner sein Smartphone heraus, um diesen Moment mit einem Video für die Ewigkeit festzuhalten.

»10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1 …«

Mit Feuerwerksgeräuschen sprang der Zähler auf 2.000.000.

Gustav kamen die Tränen.

»Echt jetzt? Du weinst? Nur für die Kamera, oder?«

So genau konnte Gustav das gar nicht beantworten. Klar, bei allem, was er irgendwie öffentlich machte, war eine kleine Prise Schauspielerei dabei. Aber hier in seiner vermeintlich privaten Küche waren nur er und sein eigentlich sehr guter Freund Lennard zugegen. Die beiden kannten sich schon, bevor dieser ganze Instagram-Hype begonnen hatte. Damals besuchten sie noch eine Berufsschule beziehungsweise ließen sich von dem Begriff Kommunikationsakademie blenden. Das klang hip. Das klang nach Zukunft. Beide wollten irgendwas mit Medien machen, aber ob die Jobs als Mediengestalter und Marketingmanager die richtige Wahl waren, konnten sie nur vermuten. Doch schnell stellte sich nach ein paar Wochen heraus, dass der Mediengestalter nichts wirklich gestaltete, sondern eher der neuzeitliche Begriff für Grafiker und der Marketingmanager auch nur vom Klang her ein toller Job war. Wie der Facility-Manager in Wirklichkeit Hausmeister war, hatte ein Marketingmanager eher den Status eines schnöden Sachbearbeiters. Der Berufsschullehrer demotivierte zusätzlich, indem er die Anfänge in diesem Job als bessere Praktikantenstelle beschrieb. Warum dann überhaupt ein Studium notwendig war, blieb beiden bis heute ein Rätsel. Der einzige Vorteil der Jobwahl bestand darin, dass Lennard und Gustav sich kennenlernten. Beide waren damals neu in Köln, und so verbrachten sie nicht nur die Vormittage in der Akademie zusammen, sondern auch die Abende, bei denen auch das eine oder andere Kölsch floss. Was mit einer Schnapsidee begann: »Wir können doch auch selbst eine Medienmarke aufbauen«, stellte sich als der Gamechanger schlechthin heraus. Gustav war vor der Kamera der wirkliche Gestalter. Ihm war nichts zu peinlich, und er konnte ohne Punkt und Komma einfach drauflosquatschen. Egal, ob er Tütensuppen probierte, Enthaarungsmittel testete oder sämtliche Cocktailbars in Köln auf Herz und Nieren prüfte. Er stellte seine Filme online, und schnell fanden sich Fans, die mit seiner frischen und unverwechselbar witzigen Art eine Menge anfangen konnten. Innerhalb von wenigen Wochen hatte er die erste Instagramhürde von 10.000 Followern genommen. Lennard war von Beginn an der Mann hinter den Kulissen gewesen. Er schnitt die Filme, recherchierte die Produkte und Locations und kümmerte sich direkt um mögliche Kooperationen. Und da der eine nicht ohne den anderen konnte, vereinbarten sie, alle Einnahmen fair fifty-fifty untereinander aufzuteilen. Wenn es also eine ehrliche Situation im Leben von Gustav gab, dann hier und jetzt mit seinem Geschäftspartner und Kumpel.

»Ey, Alter. Zwei Millionen ist soooooo krass. Damit bin ich jetzt definitiv in den Top Ten in Deutschland!«

Lennard applaudierte sarkastisch.

»Hui, ui, ui. In den Top Ten. Und jetzt? Der DHL-Mann muss doch schon Extraschichten wegen dir schieben. Noch mehr Werbung kannst du doch gar nicht mehr machen! Dein Account unterscheidet sich jetzt schon kaum noch von den Homeshopping-Kanälen.«

»Du bist doch nur neidisch«, sagte Gustav gefasst und zog dem Zähler den Stecker, der sich trotzdem brav mit einem »Bis bald, mein Freund« verabschiedete.

»Auf dein Bankkonto vielleicht. Aber garantiert nicht auf deine Follower. Dieses Vierundzwanzig-Stunden-Big Brother, dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr ist echt nichts für mich!«

»Dich will doch eh keiner sehen … aber deinen Hinweis nehme ich mir zu Herzen. Ich habe mir schon länger überlegt, ob ich nicht einen zweiten Kanal aufmachen soll, um dort …« In diesem Moment unterbrach ein lautes Bellen, gefolgt von einem fordernden Herbeilaufen, die zwei Streithähne: After Eight! Gustavs dreijähriger Golden Retriever spürte angeblich negative Energie und erstickte diese gerne im Keim. Zumindest glaubte das der Instagramstar. Es konnte aber auch sein, dass After Eight einfach davon überzeugt war, dass es wieder Zeit für ein leckeres getrocknetes Schweineohr oder irgendeine andere Knabberei war. Immerhin lebte nicht nur Gustav in einer Art Paradies. Alle um ihn herum profitierten von seinem Job. Natürlich konnte Lennard ohne seinen Kumpel essen gehen, aber mit ihm lag die Wahrscheinlichkeit, dass die Rechnung nicht bezahlt werden musste, bei knapp neunundneunzig Prozent. Der Restaurantbesitzer schmückte sich gerne mit dem Social-Media-Promi. Nicht nur der Post konnte für neue Gäste sorgen, nein, allein wenn Gustav in seinem Gastraum saß, brachte das enorme Umsatzsteigerungen. Win-Win für alle. Und wenn doch eine kleine Rechnung zu bezahlen war, wurde diese im Endeffekt von einem anderen Kooperationspartner bezahlt. Da reichte es bereits, wenn Gustav einen neuen Pullover oder eine Mütze werbewirksam trug. Wobei es schon immer sehr lächerlich war, in einem beheizten Raum oder sogar im Sommer mit einer Wollmütze am Tisch zu sitzen. Vor Gustav und seinen Kollegen hätte so eine Mütze auch nur wenige Euro gekostet. Jetzt mussten die Follower schnell weit über hundert Euro dafür auf den Tisch legen. Schließlich konnte Gustav nicht allein davon leben, ein Gratis-Dasein zu führen. Also blieb es nicht nur dabei, dass der Hersteller der Mütze die Restaurantrechnung übernahm, nein, für jedes verkaufte Exemplar bekam der Social-Media-Star eine Provision. Das wiederum führte dazu, dass Gustav nur zu gerne in seinen Storys einen Link zum Produkt teilte, denn bei diesen Verkäufen war seine Beteiligung noch höher. Egal, was er am Tag machte, nichts war ungeplant, wirklich spontan und schon gar nicht umsonst. Dafür hatte Lennard gesorgt. Wenn auch mittlerweile aus der gerechten Fifty-fifty-Teilung ein siebzig zu dreißig geworden war.

🎄

Auch After Eight musste für Content herhalten. Denn sobald er etwas Tolles, Kluges oder Neckisches anstellte, kam das sofort in eine Story. Dafür gab es dann meistens eine Belohnung vom Herrchen, die dann wieder von der Handykamera eingefangen wurde. Das weitere Dominosteinchen lieferte der Hersteller von Hundefutter und Snacks, indem er diese Produkte ebenfalls mit der Schubkarre zu Gustav transportieren ließ. Der Hund hatte somit schon lange erkannt, dass sein Futtervorrat im Prinzip endlos war. Aber für Gustav war die Annahme, dass After Eight etwas ganz Besonderes konnte, natürlich viel schöner, als zuzugeben, dass er einfach nur verfressen war. In dem Punkt unterschied er sich im Übrigen kaum von seinem Herrchen. Nicht ohne Grund hatte der Retriever nach seinem Einzug bei Gustav einen neuen Namen bekommen: Die Pfefferminztäfelchen liebte sein Herrchen über alles. Der Hersteller dieser edlen Süßigkeit fand das sehr schnell absolut traumhaft und belieferte Gustav nicht nur monatlich mit unzähligen Probierpackungen, sondern spendete auch ein nagelneues Körbchen, natürlich im Look der Täfelchen, für den Hund. Doch trotz allem war der heutige Tag ein so wichtiger Meilenstein für Gustav, dass er für niemanden Verständnis hatte, der einfach nur seinen einfachen Gelüsten nach Nahrung nachging.

»After Eight, aus! Lennard, stopp!«

Der Hund schaute wie ein typischer Vierbeiner und wartete einfach darauf, dass sein Leckerli in seiner Schnauze landete. Mit dem Befehl seines Herrchens konnte er nichts anfangen. Lennard hingegen zeigte mit einer Geste, dem virtuellen Scheibenwischer, an, dass Gustav nun wirklich den Bogen überspannte.

»Soll ich vielleicht auch noch Sitz machen? Gustav, du weißt schon, dass wenn uns hier jemand beobachten würde, er dich für absolut arrogant und oberflächlich halten würde, oder?«, frotzelte Lennard weiter.

»Mir sind andere echt egal! Ich kann machen, was ich will.«

Jetzt gesellte sich auch ein aufrichtiges Kopfschütteln zu der Gestik des Nicht-Instagramstars. Er stand auf, zog sich seine Jacke an und war fest entschlossen, Gustavs Wohnung zu verlassen.

»Stoß doch mit deinem Instagram-Counter-Dings an. Und da du ja wahrscheinlich gleich wieder den Kindergartenmove machst und mich überall blockst: Denk dran, morgen Abend ist die Premiere von Comedy Killer. Die haben dich dafür bezahlt, dass du pünktlich auf dem roten Teppich erscheinst. Ich werde so lange nicht dein Kindermädchen sein, bis du dich entschuldigt hast!«

Gustav steckte in diesem Moment sein neues Spielzeug wieder in die Stromversorgung und wedelte seinen Freund Lagerfeld-like aus seinem Blickfeld.

Vom Himmel hoch, da komm ich her

Gustav war tatsächlich sauer auf Lennard. Allerdings kam ein Streit in der besten Beziehung vor. Somit war es für ihn auch selbstverständlich, dass er die geplanten Termine einhielt und natürlich nicht bockig wie ein Elefant im Porzellanladen etwas zerstörte. Davon hatte schließlich keiner was. Bereit für eine Entschuldigung war er allerdings nicht. Vielmehr wollte er seinem Glückskeksratschlag vom letzten Chinarestaurantbesuch folgen: Zeit heilen alle Wunden. An dem Abend hatte er mit Lennard noch herzlich darüber gelacht. Zum einen wegen der katastrophalen deutschen Übersetzung dieser Lebensweisheit – und das war keine Ausnahme, denn bei Lennard stand: Ware Liebe kannst du nicht kaufen! – und zum anderen wegen des Kellners, der nie das verstand, was man bestellte. Aus einer Cola wurden zwei Cola. Aus der gebackenen Ente, süßsauer, Hähnchen, scharf. Beide hatten kurz überlegt, ob sie so lange Bestellungen aufgeben sollten, bis das gewünschte Gericht dabei war. Lennard schlug zudem vor, einfach im typischen Chinesen-Slang zu ordern, aber Gustav hatte Angst, dass irgendein Follower dieses Verhalten mitbekommen würde. Ein Video war schnell gedreht. Der Shitstorm würde nicht lange auf sich warten lassen. Den Zeitaufwand, um so etwas wieder aus der Welt zu schaffen, wäre der Scherz nicht wert gewesen. Abgesehen davon lag es ihnen fern, etwas Rassistisches oder Diskriminierendes zu sagen. So lachten sie einfach die ganze Zeit. Das sorgte dann auch beim Kellner für gute Laune, der davon überzeugt war, dass diese Fröhlichkeit am guten Essen und dem zauberhaften Ambiente lag. So weit können Annahme und Wirklichkeit auseinanderliegen.

🎄

Da Lennard als »Chauffeur« für den Abend heute ausfiel und Gustav nun wirklich nicht als Selbstfahrer auf eine Party gehen wollte, rief er sich ein Taxi. Solche Fahrten musste er tatsächlich erst einmal selbst bezahlen. Wobei Lennard ihm versicherte, dass mit einer Quittung diese Ausgaben von der Steuer absetzbar wären. Doch davon hatte der Instagramstar nun so überhaupt keine Ahnung, und er fragte sich, warum die Veranstalter ihm keinen Shuttleservice angeboten hatten. Leicht schlecht gelaunt, stand Gustav am Straßenrand und wartete, dass der Fahrer endlich kam. Mit seiner weißen Jogginghose, die natürlich mit feinen goldenen Buchstaben die Applikation des Herstellers werbewirksam darstellte, war es doch ein wenig kalt im Schritt. Gut, Ende November sind neun Grad eigentlich normal, aber Gustav wollte auch keinen Spaziergang unternehmen, sondern gleich auf der sicherlich warmen Premierenparty gut aussehen. Zumal zwei Stunden im Kinosaal sitzen jegliches andere Outfit zerknittert hätte. Das passende Oberteil, also auch ganz in Weiß mit goldener Schrift, war sehr körperbetont geschnitten und wärmte ebenfalls kaum.

»Wenn es jetzt anfängt zu regnen, bin ich geliefert!«, stellte Gustav fest.

Endlich wurde er erlöst, und ein elfenbeinfarbenes Mercedes-Taxi fuhr vor. Der Social-Media-Star riss die Beifahrertür auf und stieg ein.

»Sitzheizung, Sitzheizung, Sitzheizung«, blaffte er den Fahrer an.

»Kenn ich nicht. Ist das ’ne neue Kneipe? Ich bräuchte da schon den Straßennamen zu!«, antwortete der Taxifahrer.

»Erst lassen Sie mich ewig auf der Straße stehen und dann auch noch schwer von Kapee?«, maulte Gustav weiter.

»Ich glaub, du brauchst mehr Bewegung«, verabschiedete sich nun auch die freundliche Art des Fahrers.

Er machte ein Handzeichen, dass Gustav wieder aussteigen sollte.

»Geht’s noch? Ich werde garantiert nicht aussteigen. Sie haben eine Beförderungsdingsdapflicht! Mit Sitzheizung meinte ich, dass mir kalt ist.«

»Nicht mein Problem«, antwortete der Taxifahrer und machte weiterhin keine Anstalten loszufahren.

»Wissen Sie nicht, wer ich bin?«

»Doch, klar!«

»Na also. Dann kann es doch jetzt losgehen …«

»Wieso?«

»Na, weil Sie doch wissen, dass ich es eilig habe.«

»Dann hoffe ich, du bist gut zu Fuß!«

»Sind Sie irre? Ich bin kein Spaziergänger! Das sollten Sie doch wissen.«

»Wieso?«

»Na, ich dachte, Sie wissen, wer ich bin«, versuchte Gustav weiter, den Fahrer dazu zu bewegen, endlich loszufahren.

»Ja, du bist ein nerviger ungehobelter Fahrgast, der jetzt entweder bei drei aussteigt oder bei vier von mir rausgeschmissen wird«, hielt der Taxifahrer an seiner Entscheidung fest.

Gustav schäumte innerlich, aber er hatte keine Lust, jetzt wieder in der Kälte zu stehen und ein anderes Taxi rufen zu müssen. Zumal er dann der Telefonzentrale auch erst mal erklären müsste, warum er ein weiteres Taxi oder, besser gesagt, einen anderen Fahrer benötigte.

»Okay, es tut mir leid«, log Gustav und fügte schnell hinzu: »Ich mache Ihnen ein Angebot. Ich verdoppele gleich den Fahrpreis, wenn wir angekommen sind.«

»Verdreifachen!«, raunzte der Fahrer.

Gustav ergab sich und nickte. Gut, vielleicht war er etwas aufbrausend gewesen, und der Fahrer konnte auch nichts für seinen Streit mit Lennard. Aber unterm Strich durfte er doch als Fahrgast etwas mehr Freundlichkeit erwarten. Das nun finanziell so auszunutzen war sicherlich auch nicht der richtige Weg gewesen. Trotzdem, was für ein blöder Kerl, dachte er sich und beschloss, später eine Story darüber zu posten.

Der Taxifahrer hatte die nahezu gleichen Gedanken. Nur mit dem Unterschied, dass er diese Geschichte nicht ins World Wide Web stellen, sondern bei der nächsten Pause seinen Kollegen erzählen würde.

»Ich muss in den Cinedom«, nannte Gustav nun das Fahrtziel, und endlich nahm der Taxifahrer den Fuß von der Bremse.

Da die Sitzheizung immer noch nicht eingeschaltet war und Gustav somit weiter fror, beschloss er, ohne weiter zu fragen, nun selbst den Schalter dafür zu suchen, um endlich die Kälte aus seinem Körper zu bekommen.

»Finger weg! Das ist hier kein Selbstbedienungsladen. Was glaubst du denn, wer du bist?«

»Das Thema hatten wir doch schon! Ich bin Gustav Greider. Aber eine Autogrammkarte habe ich nicht dabei«, polterte der Fahrgast weiter rum, hielt mit seinem Finger vor dem gesuchten Schalter und drückte drauf.

Sofort bremste der Taxifahrer.

»So. Gustav. Wenn du Gustav Gans wärst, hättest du jetzt Glück und ich würde einfach weiterfahren. Aber da du nur ein ganz normaler Gustav bist: Raus hier!«, schimpfte der Taxifahrer.

Der Instagramstar war verzweifelt. Normalerweise waren die Leute immer ganz begeistert, wenn sie ihn persönlich kennenlernen durften. Doch hier saß er wohl neben einem Menschen, der beschlossen hatte, Instagram zu ghosten. Wenn er nicht doch wieder aussteigen wollte, musste er kleine Brötchen backen.

»Vierfach?«, bot Gustav an und dachte dabei, wie absurd dieses Angebot war.

»Fünffach, und nur wenn du dich ab jetzt benimmst! Letzte Warnung.«

Gustavs Puls war mittlerweile auf über hundertachtzig gestiegen. Aber er ergab sich seinem Schicksal und nickte zähneknirschend. Die Fahrt konnte fortgesetzt werden. Natürlich schaltete der Taxifahrer vorher die Sitzheizung wieder aus.

»Können Sie wenigstens die normale Heizung anmachen?«, fragte Gustav bemüht freundlich.

»Ist an.«

»Aber ich friere …«

»Dann solltest du nicht mitten im Winter in Sommersachen vor die Tür gehen«, blaffte der Taxifahrer.

»Wir haben Herbst, aber das ist auch egal, denn schließlich gibt es ja Heizungen!«

»Ja, ja, so ist deine Generation. Von morgens bis abends über uns Ältere schimpfen, was wir denn für Klimaverpester wären. Freitags nicht mehr zur Schule gehen, um zu demonstrieren, weil ja eure Zukunft so grausam und schrecklich ist. Aber dann im Winter in Badehose im Auto sitzen und die Heizung auf dreißig Grad drehen wollen? Ihr habt doch den Schuss nicht mehr gehört …«

Der Taxifahrer bremste erneut.

»Hallo? Was habe ich denn jetzt schon wieder gemacht? Warum fahren Sie nicht weiter? Wir hatten einen Deal.«

»Und der beinhaltet, dass ich über rote Ampeln fahre?«, fragte der Chauffeur kopfschüttelnd.

Gustav blickte entsetzt aus dem Fenster und musste zu seiner Schande gestehen, dass er diesmal wirklich im Unrecht war.

»’tschuldigung«, nuschelte Gustav.

Den Rest der Fahrt hatte Gustav eigentlich vor zu schweigen. Doch er hatte die Rechnung ohne den Fahrer gemacht. Die Stille ertrug der nicht, und so schaltete er das Radio ein.

»Last Christmas, I gave you my heart«, schallte es aus den Boxen und zauberte ein Lächeln in das Gesicht des Taxifahrers. Seine Finger wippten im Takt mit. Gustav hatte sogar das Gefühl, dass dieser mitsummte.

»Oh, bitte nicht!«, unterbrach Gustav die vorweihnachtliche Zeremonie.

»Waaaas?«, fragte der Taxifahrer genervt und drehte den Lautstärkeknopf nach links. Sofort war der Straßenlärm wieder das Hauptgeräusch im Auto.

»Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber diese Weihnachtsmucke ist doch nun wirklich der absolute Graus. Jedes Jahr im Winter, egal, wo man ist. Immer dieses Lied.«

»Ach, jetzt gibst du es also zu, dass wir Winter haben«, stellte der Taxifahrer triumphierend fest.

»Streiche Winter, und ersetze es durch Weihnachtszeit«, verbesserte Gustav sich.

»Also ich bin ja kein Doktor oder so, aber soweit ich weiß, ist die Weihnachtszeit auch immer im Winter.«

»This year, to save me from tears«, der Taxifahrer drehte die Lautstärke wieder hoch.

»Mir kommen gleich auch die Tränen!«, veralberte Gustav das Lied. Extralaut, um gegen das Lied zu bestehen, fügte er hinzu: »Dieser ganze Hokuspokus ist doch ein Witz. Weihnachten ist absolute Zeitverschwendung. Die Geschäfte haben alle geschlossen. Familien täuschen sich gegenseitig Liebe vor. Dabei geht es in Wahrheit nur darum, möglichst viele Geschenke abzukassieren. Und wehe, es ist nicht das Richtige dabei, dann gibt es statt Liebe schnell ein paar Hiebe. Auf Weihnachtsfeiern sind es hingegen billige Triebe, die unter dem Deckmäntelchen der friedlichen und besinnlichen Zeit versteckt werden. Ne, ich habe keinen Bock auf diesen Bullshit. Und so ganz nebenbei: Last Christmas ist gar kein Weihnachtslied. Der Typ wird nach dem ›Fest‹ verraten, und seine Ex reißt ihm bildlich gesprochen das Herz raus. Aber Hauptsache, Sie haben Spaß dabei!«

Kaum dass Gustav seinen Monolog beendet hatte, bremste der Taxifahrer und das Auto blieb stehen.

»Kommen Sie eigentlich aus der DDR, oder in welcher Diktatur sind Sie aufgewachsen? Mir wird von Ihrer ständigen Bremserei noch ganz schlecht«, stellte Gustav genervt fest. Von seinem Vorhaben, sich nicht weiter aufzuregen, war er mittlerweile meilenweit entfernt.

»Aussteigen!«

»Ich dachte, wir sind über diesen Punkt hinweg. Deal ist Deal!«

»Da hast du recht. Aber Gott sei Dank ist hier der Cinedom. Und ich glaube nicht, dass unsere Geschäftsbeziehung Zukunft hat«, maulte der Taxifahrer.

Dazu deutete er auf den Taxameter, um Gustav anzuzeigen, dass dieser nur noch bezahlen und dann endlich verschwinden sollte. Mit hochrotem Kopf kam der Social-Media-Star dieser Aufforderung nach, stieg aus und ließ die Beifahrertür einfach offen.

»Du bist wirklich ein fieser Möpp«, hörte er den Taxifahrer noch schimpfen.

Auf dem Weg zum VIP-Gästecounter konnte Gustav aus dem Augenwinkel heraus sehen, wie der Taxifahrer umständlich aus seinem Fahrzeug stieg und einmal die Seite wechseln musste, um die offene Tür zu schließen.

Na, wem ist jetzt kalt?, dachte Gustav und konnte sich ein verschmitztes Grinsen nicht verkneifen. Wobei: so richtig stolz war er nicht auf seine Aktion. Taxifahrer zu ärgern gehörte definitiv nicht zu seinen Hobbys, aber so ganz ungestraft wollte er ihn auch nicht davonkommen lassen.

Lasst uns froh und munter sein

Der Film war tatsächlich lustig. Und das, obwohl ein Comedian mitspielte, der so gar nicht sein Fall war: Oliver Pocher. Aber in dieser Rolle war er der absolute Hit. Insoweit hatte der Abend also doch noch einen guten Verlauf genommen. Auf dem roten Teppich war Gustav wieder sehr froh über sein Outfit gewesen. Er fiel auf, jeder Fotograf bat um ein Foto von ihm, und darum ging es doch schließlich bei solchen Veranstaltungen. Zudem konnte er so einmal Content produzieren, ohne sein Gehirn groß einschalten zu müssen. Die Bilder von dieser Premiere waren auch bei seinen Fans im Netz sehr beliebt.

Im Saal selbst war es wie zu erwarten sehr heiß. Bei dem einen oder anderen Premierengast versagte das Deo schon zur Hälfte des Films. Aus diesem Grund war Gustav sehr froh, als endlich die erlösenden Worte vom Moderator kamen: »Die Party ist eröffnet!«

Auch wenn er es fast schade fand, dass damit der gemütliche Teil des Abends vorbei war. Raus aus dem Kinosaal, rein in das Foyer, das zur Partylocation umgebaut worden war. Eigentlich wollte Gustav auch nur noch ein paar Kölsch trinken, hier und da mal ein kurzes »Hallo« platzieren und dann früh nach Hause gehen. Doch sein Plan wurde schon an der ersten Station jäh zerstört.

»Ein Kölsch, bitte!«, bestellte er an der Bar.

»Sorry, wir haben nur Wein und Cocktails. Kölsch gibt’s auf der anderen Seite«, antwortete der Bartender freundlich, aber bestimmt und zeigte auf die weit entfernte Theke.

Gustav musste unweigerlich die Augen verdrehen. Gerade als er sich auf den Weg zu dem Kölschstand machen wollte, sah er die Schlange, die sich davor auftat.

Um Himmels willen, dachte er sich und winkte dem Bartender erneut, um sich umzuentscheiden und ein Glas Weißwein zu bestellen. Natürlich wäre ihm ein leckeres Kölsch viel lieber gewesen, aber wenn Gustav eines hasste, dann war es, sich für irgendetwas anstellen zu müssen. In einer Schlange stehen hatte etwas von Bittsteller sein. Nein, für ein Kölsch würde er dieses Opfer sicherlich nicht bringen. Der Wein war schnell eingeschenkt, und wenige Augenblicke später genoss der Instagramstar den leckeren Tropfen und beobachtete das illustre Treiben auf der After-Show-Party. Es war immer das Gleiche. Sobald es etwas umsonst gab, waren sowohl die A- als auch alle restlichen Buchstaben-Promis des Alphabets kaum aufzuhalten. Dabei war wohl das Ziel, den Teller immer schön vollzumachen, aber niemals aufzuessen. Bei den Drinks war es ähnlich. Sobald der Cocktail nicht mehr kalt genug war oder das Kölsch keinen Schaum mehr hatte, holte man sich einfach ein neues Getränk. Auch wenn Gustav aufs Geld achtete und Einladungen gegenüber offen war, fand er, dass solche Verhaltensweisen irgendwie etwas Prolliges hatten.

Aber wer weiß, vielleicht gibt es auch den ein oder anderen ach so erfolgreichen Partygast hier, der in Wirklichkeit kaum noch seine Miete zahlen kann. Der muss dann für die nächsten Wochen auf Vorrat futtern, überlegte der Instagramstar.

»Hey, bist du nicht Gustav Greider?«, riss ihn eine weibliche Stimme aus seinen Gedanken.

»Wer will das wissen?«, antwortete er einladend und drehte sich zu ihr um.

Was er sah, gefiel ihm schon mal: Er schätzte sie auf Anfang zwanzig, groß genug, um gute Chancen in einer Modelshow zu haben, und hübsch genug, um ihm einen netten Abend zu bereiten. Allerdings hatte er sich auch vorgenommen, endlich echte Liebe in seinem Leben stattfinden zu lassen. Oberflächlichkeiten waren da der falsche Anfang.

»Ich heiße Lena«, sagte sie und strahlte ihn verführerisch an.

»Hallo Lena. Ja, richtig, der bin ich. Folgst du mir etwa?«

Eigentlich war Gustav die Antwort klar, aber es war einfach zu schön, eine Bestätigung zu bekommen, dass wildfremde Menschen sein Leben verfolgten.

»Ne, ich bin echt eingeladen worden und wusste nicht, dass du auch dabei bist«, erklärte Lena bierernst.

Damit hatte der sonst so schlagfertige Social-Media-Star nicht gerechnet.

»Äh … ja. Na ja, aber du kennst mich anscheinend. Cool. Und woher kenne ich dich?«

»Gar nicht. Aber trotzdem würde ich gerne ein Pic mit dir machen, okay?«

»Natürlich gerne, wobei …«, weiter kam er nicht. Ruck, zuck packte Lena ihr Handy aus und machte das gewünschte Selfie. Kaum war das erledigt, verabschiedete sie sich direkt wieder.

»Danke. Vielleicht sehen wir uns später auf der Tanzfläche«, sagte sie lächelnd, nahm Gustav sein Weinglas aus der Hand und verschwand damit im Trubel der anderen Gäste.

»Kann ich bitte ein neues Glas Wein haben?«, bestellte der Sechsundzwanzigjährige und schüttelte dabei den Kopf über das gerade Erlebte.

»Die werden echt immer verrückter«, stellte er fest und trank das Glas in einem Rutsch aus.

An der Fingerfood-Fütterungsfront gab es weiterhin keine Entspannung.

Schade, so einen kleinen Happen hätte ich auch gerne genommen, dachte Gustav und bestellte sich ein weiteres Glas Wein.

Dabei schielte er auf die verschiedenen Früchte, die der Bartender für die Cocktails vorbereitet hatte und die nur auf ihren Einsatz warteten.

»Entschuldigung. Meinen Sie, ich könnte ein paar von den Maraschinokirschen zum Wein haben?«, fragte Gustav freundlich.