Vergeltung (Wegners erste Fälle) - Thomas Herzberg - E-Book

Vergeltung (Wegners erste Fälle) E-Book

Thomas Herzberg

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Beschreibung

November 1980: Das erste Herbst-Hochwasser hinterlässt auf dem Hamburger Fischmarkt nicht nur Treibholz und Verwüstung: Arbeiter finden die Leiche einer jungen Frau. Doch das ist nur der Anfang. Wegner und Kallsen bekommen es mit einem alternden Kiez-Boss zu tun, der bei seiner Suche nach Vergeltung für blutige Tatsachen sorgt. Ein neuer Fall, der die Kommissare vor eine folgenschwere Entscheidung stellt ... (Jeder Wegner-Fall ist eine in sich abgeschlossene Geschichte. Aber es kann natürlich nicht schaden, wenn man auch die vorangegangenen kennt ...;) 
Lektorat/Korrektorat: Michael Lohmann
 
Aus der Reihe Wegners erste Fälle:

  • »Eisiger Tod« (Teil 1)
  • »Feuerprobe« (Teil 2)
  • »Blinde Wut« (Teil 3)
  • »Auge um Auge« (Teil 4)
  • »Das Böse« (Teil 5)
  • »Alte Sünden« (Teil 6)
  • »Vergeltung« (Teil 7)
  • »Martin« (Teil 8)
  • »Der Kiez« (Teil 9)
  • »Die Schatzkiste« (Teil 10)
Aus der Reihe Wegner & Hauser (Hamburg: Mord)
  • »Mausetot« (Teil 1)
  • »Psycho« (Teil 2)
Aus der Reihe Wegners schwerste Fälle:
  • »Der Hurenkiller« (Teil 1)
  • »Der Hurenkiller – das Morden geht weiter …« (Teil 2)
  • »Franz G. - Thriller« (Teil 3)
  • »Blutige Rache« (Teil 4)
  • »ErbRache« (Teil 5)
  • »Blutiger Kiez« (Teil 6)
  • »Mörderisches Verlangen« (Teil 7)
  • »Tödliche Gier« (Teil 8)
  • »Auftrag: Mord« (Teil 9)
  • »Ruhe in Frieden« (Teil 10)
Aus der Reihe Wegners letzte Fälle:
  • »Kaltes Herz« (Teil 1)
  • »Skrupellos« (Teil 2)
  • »Kaltblütig« (Teil 3)
  • »Ende gut, alles gut« (Teil 4)
  • »Mord: Inklusive« (Teil 5)
  • »Mörder gesucht« (Teil 6)
  • »Auf Messers Schneide« (Teil 7)
  • »Herr Müller« (Teil 8)
Aus der Reihe "Hannah Lambert ermittelt":
  • »Ausgerechnet Sylt« (1)
  • »Eiskaltes Sylt« (2)
  • »Mörderisches Sylt« (3)
  • »Stürmisches Sylt« (4)
  • »Schneeweißes Sylt« (5)
  • »Gieriges Sylt« (6)
  • »Turbulentes Sylt« (7)
Aus der Reihe "Zwischen Mord und Ostsee":
  • »Nasses Grab« (1)
  • »Grünes Grab« (2)
Weitere Titel aus der Reihe Auftrag: Mord!:
  • »Der Schlitzer« (Teil 1)
  • »Deutscher Herbst« (Teil 2)
  • »Silvana« (Teil 3)
Unter meinem Pseudonym „Thore Holmberg“:
  • »Marthas Rache« (Schweden-Thriller)
  • »XIII« (Thriller)
Weitere Titel:
  • »Zwischen Schutt und Asche« (Nachkrieg: Hamburg in Trümmern 1)
  • »Zwischen Leben und Tod« (Nachkrieg: Hamburg in Trümmern 2)
  • »E.S.K.E.: Blutrausch« (Serienstart E.S.K.E.)
  • »E.S.K.E.: Wiener Blut« (Teil 2 - E.S.K.E.)
  • »Ansonsten lächelt nur der Tod«
Noch mehr Bücher, aktuelle Informationen und einen Newsletter-Service findet ihr auf meiner Homepage

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Ähnliche


Thomas Herzberg

Vergeltung (Wegners erste Fälle)

Hamburg Krimi

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Titel

 

Vergeltung

Wegners erste Fälle (7. Teil)

Thomas Herzberg

 

Alle Rechte vorbehalten

Fassung: 1.02

 

Cover: Titel: john krempl / photocase.de; Hamburg Skyline: pixelliebe/stock.adobe.com

Covergestaltung (oder Umschlaggestaltung): Marius Gosch, www.ibgosch.de

 

 

Die Geschichte ist frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und/oder realen Handlungen sind rein zufällig. Sämtliche Äußerungen, insbesondere in Teilen der wörtlichen Rede, dienen lediglich der glaubhaften und realistischen Darstellung des Geschehens. Ich verurteile jegliche Art von politischem oder sonstigem Extremismus, der Gewalt verherrlicht, zu selbiger auffordert oder auch nur dazu ermuntert!

 

Ein großes Dankeschön geht an:

Michael Lohmann (Lektorat, Korrektorat: worttaten.de)

Nicolas (für seine Hilfe bei Konzept und Entstehung)

Meine lieben Testleser/innen Birgit, Lia, Dagmar und (ganz neu!) Hans-Elmar

 

 

Inhalt

 

November 1980: Das erste Herbst-Hochwasser hinterlässt auf dem Hamburger Fischmarkt nicht nur Treibholz und Verwüstung: Arbeiter finden die Leiche einer jungen Frau. Doch das ist nur der Anfang. Wegner und Kallsen bekommen es mit einem alternden Kiez-Boss zu tun, der bei seiner Suche nach Vergeltung für blutige Tatsachen sorgt. Ein neuer Fall, der die Kommissare vor eine folgenschwere Entscheidung stellt ... (Jeder Wegner-Fall ist eine in sich abgeschlossene Geschichte. Es kann jedoch nicht schaden, auch die vorangegangenen Fälle zu kennen ...;)

Lektorat/Korrektorat: Michael Lohmann - worttaten.de

Wegner in chronologischer Folge

 

Aus der Reihe Wegners erste Fälle:

»Eisiger Tod« (Teil 1)»Feuerprobe« (Teil 2)»Blinde Wut« (Teil 3)»Auge um Auge« (Teil 4)»Das Böse« (Teil 5)»Alte Sünden« (Teil 6)»Vergeltung« (Teil 7)»Martin« (Teil 8)»Der Kiez« (Teil 9)»Die Schatzkiste« (Teil 10)

Aus der Reihe Wegner & Hauser (Hamburg: Mord)

»Mausetot« (Teil 1)»Psycho« (Teil 2)

Aus der Reihe Wegners schwerste Fälle:

»Der Hurenkiller« (Teil 1)»Der Hurenkiller – das Morden geht weiter …« (Teil 2)»Franz G. - Thriller« (Teil 3)»Blutige Rache« (Teil 4)»ErbRache« (Teil 5)»Blutiger Kiez« (Teil 6)»Mörderisches Verlangen« (Teil 7)»Tödliche Gier« (Teil 8)»Auftrag: Mord« (Teil 9)»Ruhe in Frieden« (Teil 10)

Aus der Reihe Wegners letzte Fälle:

»Kaltes Herz« (Teil 1)»Skrupellos« (Teil 2)»Kaltblütig« (Teil 3)»Ende gut, alles gut« (Teil 4)»Mord: Inklusive« (Teil 5)»Mörder gesucht« (Teil 6)»Auf Messers Schneide« (Teil 7)»Herr Müller« (Teil 8)

Aus der Reihe "Hannah Lambert ermittelt":

»Ausgerechnet Sylt« (1)»Eiskaltes Sylt« (2)»Mörderisches Sylt« (3)»Stürmisches Sylt« (4)»Schneeweißes Sylt« (5)»Gieriges Sylt« (6)»Turbulentes Sylt« (7)

Aus der Reihe "Zwischen Mord und Ostsee":

»Nasses Grab« (1)»Grünes Grab« (2)

Weitere Titel aus der Reihe Auftrag: Mord!:

»Der Schlitzer« (Teil 1)»Deutscher Herbst« (Teil 2)»Silvana« (Teil 3)

Unter meinem Pseudonym „Thore Holmberg“:

»Marthas Rache« (Schweden-Thriller)»XIII« (Thriller)

Weitere Titel:

»Zwischen Schutt und Asche« (Nachkrieg: Hamburg in Trümmern 1)»Zwischen Leben und Tod« (Nachkrieg: Hamburg in Trümmern 2)»E.S.K.E.: Blutrausch« (Serienstart E.S.K.E.)»E.S.K.E.: Wiener Blut« (Teil 2 - E.S.K.E.)»Ansonsten lächelt nur der Tod«

 

Weitere Titel, Informationen und einen Newsletter-Service gibt es auf meiner Homepage: ThomasHerzberg.de

 

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1

 

»Hier hast du Miststück dich also verkrochen – hatte ich mir schon gedacht.«

Natalia glaubte zuerst sogar noch, sie hätte sich verhört. Schließlich wütete ein Orkan über Hamburg. Und der sorgte, Anfang November, fürs erste Hochwasser auf dem Fischmarkt.

Hochwasser. Überall sprachen die Leute darüber. Natalia wusste mit dem Wort allein nicht mal etwas anzufangen. Aber die Tatsachen machten eine Erklärung weitestgehend überflüssig: Dort, wo nachts sonst haufenweise Touristen und Erlebnishungrige die Straßen unsicher machten, war alles wie ausgestorben. Selbst auf dem Autostrich, den Natalia aus eigener Erfahrung bestens kannte, hatte an diesem Abend – im wahrsten Sinne des Wortes – tote Hose geherrscht.

»Du blöde Kuh glaubst doch nicht, dass du auf diese Weise davonkommst, oder?«

Erneut diese tiefe Stimme, die allein schon gereicht hätte, um ihr genug Angst einzujagen. Aber dabei blieb es nicht: Natalia spürte eine Hand an ihrem Oberarm. Die Umklammerung glich einem Schraubstock.

Ihre Gedanken kehrten zum Beginn dieses Sonntagabends zurück. Nach der letzten Mahlzeit – in ihrem Fall zwei Scheiben Brot mit Leberwurst und Kräutertee – hatte sie allen Mut zusammengenommen und sich auf den Weg gemacht. Sie wusste nicht wohin. Und weil sie sich nur auf St. Pauli einigermaßen gut auskannte, trugen sie ihre Beine wie von allein in Richtung Fischmarkt. Dort wurde sie von Dunkelheit, peitschendem Regen und Einsamkeit empfangen. Nicht unbedingt ideale Voraussetzungen, wenn man sich gerade am Tiefpunkt seines Lebens angekommen sah.

Hochwasser! Langsam hatte sie eine Vorstellung davon, was das bedeutete. Auf der Suche nach einem passenden Unterschlupf hatte sie sich zwischen zwei Lagerhallen versteckt und dort ein einigermaßen trockenes Plätzchen gefunden. Aber offensichtlich war auch das ein Fehler gewesen.

»Steh auf, du dämliche Schlampe!«

Die Umklammerung an ihrem Arm verstärkte sich sogar noch. Ihr Körper wurde hochgerissen und im nächsten Moment gegen das Tor geschleudert, vor dem sie bis eben noch gekauert hatte. Daran hing ein Schild, auf dem ›Notausgang‹ stand. Sie wusste in etwa, was dieses Wort bedeutete und wünschte sich aktuell nichts sehnlicher als eine Möglichkeit zu entkommen. Egal wohin.

Und anstatt schützend die Arme zu heben, umschlang Natalia das Bündel darin noch ein Stück fester. Das Baby bewegte sich. Sie spürte heiße Tränen, die ihre Wangen herunterliefen.

»Was ist das denn?«, brüllte die Stimme vor ihr. »Sag nicht, du hast den kleinen Bastard sogar dabei?«

Natalias Arme umschlangen nicht nur den Säugling vor ihrer Brust, sondern auch ihren eigenen Oberkörper. Mit sich selbst und ihrem traurigen Schicksal hatte sie sich längst abgefunden. Aber was sollte aus dem Baby werden? Aus dem Mädchen, das vor etwa vier Wochen zur Welt gekommen war. Ohne Arzt! Nur mithilfe einer Frau, die in ihrem Heimatland, der Ukraine, früher als Krankenschwester gearbeitet hatte.

Heimat! Das klang, sogar als bloßer Gedanke, wie Musik in Natalias Ohren.

Als sie vor nicht mal einem Jahr aus der Ukraine nach Deutschland gekommen war, kam ihr zu Beginn noch alles wie ein Traum vor: Keine ständige Kontrolle; dazu nicht enden wollende Partys und Männer, die einen nicht schlugen oder einfach so nahmen – wie ein wertloses Stück Fleisch. Hierzulande hatten die Verehrer laufend Komplimente parat. Dazu gab es Sekt, manchmal sogar Champagner. Ein prickelnder Traum, der viel zu schnell geplatzt war.

Mittlerweile wusste Natalia, dass der Unterschied zwischen Deutschland und der Ukraine gar nicht so groß war – zumindest für sie nicht. Die Geschichte fing nur anders an, um auf identische Weise zu enden. Rückblickend sogar weit schlimmer?

»Du blödes Miststück hast mich lange genug an der Nase herumgeführt!«

Eine flache Hand klatschte in Natalias Gesicht. Sie hatte sich vom ersten Schock nicht mal richtig erholt, da folgte eine zweite Attacke, jedoch in Form einer Faust.

Sie schmeckte Blut. Dazu wurde ihr schwarz vor Augen. Alles kam ihr plötzlich vor, als nähme sie es durch einen Nebel hindurch wahr. Sie versuchte, das Bündel in ihren Armen noch ein Stück fester zu umklammern, doch sie spürte, wie ihr nach und nach jegliche Kraft abhandenkam.

Vor vier Wochen, nachdem die Kleine unter erbärmlichsten Umständen das Licht der Welt erblickt hatte, wollte die Geburtshelferin wissen, welchen Namen der neue Erdenbürger tragen sollte.

Natalia hatte nicht geantwortet. Schließlich hatte sie damals nicht mal das Recht dazu. Heute war das anders, trotzdem war die Kleine bis zum heutigen Tag namenlos geblieben. Eine traurige Geschichte, denn nicht nur ihr eigenes, sondern auch das Leben ihrer Mutter war von Beginn an verflucht gewesen. Welchen Unterschied machte da ein Name?

Die nächste Faust traf Natalias Eingeweide. Säure schoss aus ihrem Magen empor und löste den Blutgeschmack in ihrem Mund auf bittere Weise ab. Von einer Sekunde zur anderen war das Bündel aus ihren Armen verschwunden. Sie glaubte, noch einen Zipfel der Decke zwischen ihren Fingern zu spüren. Oder nicht?

»Mit einer wie dir kann ich nichts anfangen!«

Natalia war sich nicht ganz sicher, was diese Worte bedeuten sollten. Aber sie hatte eine gewisse Ahnung. Und die wurde schon im nächsten Moment bestätigt: Zwei Fäuste prasselten abwechselnd auf ihren Körper ein. Irgendwann merkte sie, dass sie am Boden lag. Tritte kamen hinzu. Kurz bevor ihr Verstand abschaltete, lieferte der ihr noch eine Idee, die an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt völlig fehl am Platz war:

Irina! Ja ... hätte sie jetzt noch die Gelegenheit, dann würde sie die Kleine wahrscheinlich Irina nennen. Ein schöner Name!

 

 

2

Manfred Wegner hatte es sich am Sonntagabend, pünktlich zur Spätausgabe der Nachrichten, auf seinem Sofa gemütlich gemacht. Selbst Dagmar Berghoff sprach gleich zu Beginn über die aktuelle Sturmflut an der Nordseeküste und ein Hochwasser, das Hamburg in dieser Nacht bevorstünde.

Aber selbst dieser aufziehende Orkan schaffte es nicht, Wegners schlechtes Gewissen zu beruhigen oder als Entschuldigung herzuhalten. Gerade als seine verstaubte Mattscheibe auf das Testbild umsprang, fasste er einen Entschluss, notgedrungen. Und auch, dass am nächsten Morgen sein erster Arbeitstag seit Monaten in der Hamburger Mordkommission bevorstand, änderte nichts an einer Notwendigkeit. Ein schlechtes Gewissen kennt eben keine Müdigkeit.

Fünf Minuten später stand Wegner vor seinem Dienstwagen und brach in Richtung Altona auf. Es war weit nach Mitternacht, als er dort hinter dem Bahnhof parkte und kurz darauf die Gleise entlangmarschierte.

Wieder einmal kam er sich so vor, als wäre er in eine andere Welt abgetaucht: Selbst Anfang der Achtzigerjahre sah es in Altona mancherorts noch so aus, als wäre der Zweite Weltkrieg erst seit gestern vorüber. Der Senat investierte fleißig Millionen in Prestige-Projekte, da blieb viel zu wenig Geld für die Bedürfnisse des kleinen Mannes, der nicht an der Alster, am noblen Elbufer oder im schicken Eppendorf residierte.

Hier, hinterm Bahnhof, reihten sich verfallene Gemäuer an herrenlose Baracken; dazwischen allerlei neuere windschiefe Gebäude, die der Bundesbahn für alle möglichen Zwecke dienten.

Wegner ließ einen Güterzug passieren und stemmte sich danach mit aller Kraft gegen den Sturm, der immer heftiger wütete. Der Lärm einer Diesellok ließ langsam nach, dafür schmeckte er die Abgase sogar in seinem Mund und spuckte ein paar Mal aus, um daran etwas zu ändern. Regentropfen prasselten in sein Gesicht. Jeder einzelne fühlte sich wie ein Nadelstich an. Sein Parka war jetzt schon völlig durchnässt. Nicht mehr lange, dann dürfte sich das Wasser auch seinen Weg durch die Schichten darunter gebahnt haben. Ein Wunder, wenn das Ergebnis dieses ohnehin wahnwitzigen Ausflugs nicht auch noch eine ausgewachsene Erkältung wäre.

Endlich lag sein Ziel vor ihm: Eine winzige Baracke, die sich zwischen zwei Stellwerken schon seit etlichen Jahren versteckte. Durch den Schlitz unter der Tür drang ein Lichtschimmer nach draußen. Es war also jemand zu Hause.

Wegners hob den Arm. Der wog zwar eine gefühlte Tonne, brachte aber trotzdem ein zaghaftes Klopfen zustande. Er horchte. Doch selbst, wenn in der Baracke jemand gebrüllt hätte, wäre dieser Schrei mit Leichtigkeit von Sturm und Regen verschluckt worden.

Vielleicht eine Einladung, einfach umzudrehen?

Wie war er überhaupt auf diese selten blöde Idee gekommen?

Womöglich hätten Wegners Füße wie von selbst den Rückwärtsgang eingelegt, wenn nicht ein anderer Tatsachen geschaffen hätte. Die Tür öffnete sich knarrend vor ihm. Und schon die Begrüßung klang wie ein kraftvoller Tritt in die männlichen Kronjuwelen: »Du hast Mut, hier aufzutauchen!«

***

»Hast du Natalia gefunden?« Im Telefon rauschte und knisterte es. Der Orkan über Hamburg setzte offensichtlich auch den Leitungen der Deutschen Post ernsthaft zu.

»Hab ich!«

»Und?«

»Was, und? Was willst du von mir?«

»Wissen, was mit Natalia ist.«

»Mach dir keine Sorgen. Die hat ihre Lektion bekommen.«

»Heißt das ...?«

»Das heißt gar nichts! Außerdem: Seit wann muss ich mich eigentlich vor dir rechtfertigen?«

»Ich meine ja nur, Paps. Wenn du eine Kuh schlachtest, gibt sie hinterher keine Milch mehr. Ist doch logisch, oder?«

»Womit wir beim Thema wären: Wusstest du, dass sie ein Kind hat? Besser gesagt: hatte.«

Am anderen Ende der Leitung herrschte betretenes Schweigen.

»Also hast du davon gewusst.«

»Ja, aber. Natalia hat nicht ...«

»Nichts, aber! Wir können momentan alles gebrauchen, aber nicht auch noch solche Probleme.«

»Also hast du dich auf deine Weise um das Problem gekümmert.« Die Stimme wurde immer dünner. »Sag schon, Paps ... endgültig?«

»Ich hab jetzt keine Lust, darüber zu reden. Leg auf, wir besprechen das morgen!«

***

»Nach so langer Zeit tauchst du hier auf?« Hermann Bonsel lachte leise. Aber dieses Lachen hatte nichts mit Freude zu tun. »Was willst du?«

Auf seinem Weg raus nach Altona hatte Wegner viel Zeit gehabt, sich über die Antwort auf diese erste – leicht vorhersehbare – Frage Gedanken zu machen. Und schon als er hinter dem Bahnhof ausgestiegen war, hatte er beschlossen, es mit der Wahrheit zu versuchen: »Ich wollte mich einfach mal melden ...«

Bonsel löste den Blick für einen kurzen Moment von seiner aktuellen Arbeit. Dabei handelte es sich um einen Reisepass, der dem Original aus der Bundesdruckerei zum Verwechseln ähnlichsah. Aber der Fälscher schwieg eisern.

»Ich war ’ne Zeit lang auf einigen Schulungen und ...«

»Sechs Monate lang!«, korrigierte ihn Hermann Bonsel mit wütender Stimme. »Bin gespannt, wie du mir das erklärst. Ganz davon abgesehen, dass du mir damals was versprochen hast. Aber so was gerät wohl leicht in Vergessenheit, wenn man erst mal hat, was man will.«

Wegner war klar, dass es keinen Sinn ergab, sich zu rechtfertigen. Also fuhr er mit der Wahrheit fort: »Ich erinnere mich an jedes Versprechen! Aber ich bin in den letzten Monaten einfach nicht dazu gekommen, den Mörder Ihres Vaters zu suchen.«

»Was du nicht sagst!«, prustete Bonsel ehrlich amüsiert heraus. »Und ich hab gedacht, du hättest ihn längst gefunden und vielleicht nur meine Adresse vergessen.«

»Soll ich Ihnen wirklich erklären, warum ich ...?«

»Du sollst gar nichts!«, fuhr Bonsel wütend dazwischen. »Doch: Mach dich vom Acker!«

»Ich fange morgen an«, flüsterte Wegner, weil plötzlich Totenstille herrschte.

»Womit fängst du an?«, erkundigte sich der Fälscher.

»Mit dem Suchen. Ich finde den Kerl, der Ihren Vater auf dem Gewissen hat.«

Bonsel nickte. Er war schon wieder mit dem Reisepass beschäftigt, als seine Finger plötzlich innehielten. Er schaute auf, Wegner direkt in die Augen. »Ich geb dir zehn Tage. Wenn bis dahin nichts passiert ist, hänge ich die letzte Sache, die ich für Kallsen und dich gemacht hab, an die große Glocke. Danach grillen sie eure Ärsche auf dem Rathausplatz. Verlass dich drauf!«

Wegners überhastete Antwort war – im Nachhinein betrachtet – wohl die schlechteste Wahl: »Haben Sie denn Beweise?«

Bonsels Gesicht verzog sich zu einem schiefen Grinsen. »Vielleicht hast du’s vergessen, Jungchen: Ich bin Fälscher!«

Diesen Wink mit dem Zaunpfahl hatte Wegner verstanden. Das Ergebnis war ein vorsichtiges Schulterzucken.

»Und was jetzt?«

»Hast du zehn Tage Zeit, um den Scheißkerl zu finden, der meinen Vater getötet hat.« Bonsel zeigte bereits zur Tür, aber ihm fiel plötzlich doch noch etwas ein: »Ich hab’s dir schon mal gesagt: Am besten fragst du Kallsen, der weiß genau, was Sache ist.«

Wegner hatte sich erhoben und stapfte vorsichtig auf die Tür der Baracke zu. Davor drehte er sich noch mal um. »Und was ist, wenn ich länger als zehn Tage brauche? Immerhin ist der Mord an Ihrem Vater Ende der Fünfziger gewesen. Da kann es sein, dass ich ...«

»Zehn Tage! Und was danach passiert, hab ich dir gesagt, Jungchen. Also, mach lieber hinne!«

3

»Ich weiß gar nicht, warum die Leute so viel Rummel um das erste Hochwasser in diesem Jahr machen. Heut Morgen ist der ganze Zauber wieder vorbei und in den Ecken liegen höchstens ein paar tote Makrelen rum.« Hauptkommissar Kallsen saß kopfschüttelnd auf seinem Stuhl. Die Unterschenkel-Prothese hatte er wie üblich auf der Schreibtischplatte geparkt. Es war allerdings nicht viel von ihm zu sehen, weil er beinahe vollständig hinter seiner Zeitung verschwunden war. Das hatte gute Gründe: An diesem Montagmorgen sah es im Büro der Hamburger Mordkommission aus, als stünde ein Staatsbankett bevor.

Schon seit einer halben Stunde zog Irmie – ihres Zeichens Schreibkraft und gute Seele der Mordkommission – immer wieder neue Dosen oder Tütchen aus einer ihrer Taschen. Und sie wurde es offensichtlich nicht müde, beinahe liebevoll auch die nächsten Leckereien auf Tellern und Platten anzurichten.

Ähnliche Ausdauer zeigte Kallsen, wenn es ums Mosern ging: »Als ich das letzte Mal auf ’ner Fortbildung war, hab ich hinterher nicht mal’n Stück Kuchen bekommen.«

Irmie wirbelte herum und funkelte ihren Chef wütend an. »Du warst einen halben Nachmittag lang unterwegs. Außerdem ging es auf deiner sagenhaften Fortbildung um die neuen Kostenstellen und du hast am Ende sogar vergessen, mir die Listen mitzubringen. Die musste ich hinterher bei einer Kollegin aus dem dritten Stock abstauben.«

»Trotzdem!« Kallsen deutete mit wütenden Blicken auf das wachsende Buffet rechts und links neben der Bürotür. »Ich möchte gerne mal wissen, womit Manni das verdient hat?«

»Er war fast ein halbes Jahr lang auf Schulungen«, erklärte Irmie Wort für Wort. »Und falls du es vergessen hast: Das hatte er dir zu verdanken!«

Diese Erklärung sorgte nur für ein Schulterzucken. Aber Kallsen hätte sicherlich noch einen weiteren Einwand parat gehabt, wäre in diesem Augenblick nicht die Bürotür aufgeflogen.

Wegner trat herein. Seine Augen fanden zuerst Irmie, die er beinahe umgerannt hätte. Und er kam auch nicht dazu, einen weiteren Schritt zu tun, denn mittlerweile hing die Schreibkraft der Mordkommission mit beiden Händen in seinem Nacken fest.

»Du glaubst gar nicht, wie ich dich vermisst habe, Manfred!«

Wegner drehte sich samt Irmie ein Stück und fand Kallsen, der voll und ganz mit seiner Zeitung beschäftigt war und nicht mal aufschaute. Das führte zum logischen Ergebnis: »Doch ... ich kann es mir ein bisschen vorstellen.«

Irmie ließ ihn los und stand wieder stabil auf ihren Füßen. Sie zeigte nacheinander auf die Köstlichkeiten, die es mit jedem Fünf-Sterne-Hotel hätten aufnehmen können. »Ich hab ein bisschen was zum Essen gemacht.«

»Ein bisschen!«, knurrte Kallsen hinter seiner Zeitung. »Man könnte fast glauben, Irmies Sohn wäre aus drei Jahrzehnten Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt.«

Wegner zeigte auf eine der Platten. »Sind das diese Würstchen im Speckmantel?«

Irmie nickte aufgeregt und boxte ihm freundschaftlich gegen die Schulter. »Ich weiß doch, dass du die besonders gerne magst.«

Kallsens Zeitung raschelte. »Sagt einfach Bescheid, falls ich euch störe. Könnte ja sein, dass Manni zur Begrüßung sein eigenes Würstchen in ...«

»Kalle!« Irmie machte sogar zwei Schritte auf ihren Chef zu und hob die Arme, als wolle sie ihn zum Boxen auffordern. »Wenn du nicht die Klappe hältst, dann ...«

»Was dann?«, erkundigte sich Kallsen gelangweilt. Er hatte seine typische Revolverheld-Miene aufgesetzt. »Willst du mir etwa drohen, Irmie Maria Block?«

Wegner ruderte mit den Armen und lachte ein bisschen zu laut, um die Situation zu entschärfen. »Jetzt macht mal halblang, Kollegen!« Er schnappte sich einen Teller, platzierte einige Köstlichkeiten darauf – unter anderem drei Würstchen im Speckmantel – und hielt ihn Kallsen entgegen.

Der tat noch ein bisschen beleidigt, langte am Ende aber mit zufriedenem Grinsen danach. »Hast du wenigstens was gelernt?«, nuschelte Wegners Chef an allerlei Essbarem vorbei.

»Kannst du nicht vorher runterschlucken?«, beschwerte sich Irmie. »Jeden Abend finde ich dein halbes Essen auf den Teppichboden.«

Das Telefon klingelte und bewahrte sie vor einer rüden Antwort. Kallsen langte zum Hörer. »Wasch gibsch’n?«

Wegner fand Irmies Blick. Die beiden übten sich in gemeinsamem Kopfschütteln. Eine Disziplin, in der sie sich bestens auskannten. Daran hatten selbst sechs Monate Entzug nichts geändert.

Unterdessen grunzte Kallsen unverständliches Zeug, nickte oder schüttelte den Kopf. Nachdem der Hauptkommissar endlich heruntergeschluckt hatte, war er zur ersten klaren Stellungnahme imstande: »Ist in Ordnung ... ich schick ihn gleich hoch zu dir.«

»Wer war das?«, erkundigte sich Wegner, weil dieses Telefonat offensichtlich ihm galt, und wohl nicht mit einer Information zu rechnen war, ohne dass er nachfragte.

»Du sollst zu Paul raufkommen«, gab Kallsen grinsend zurück. »Wahrscheinlich hat er auch für dich gekocht und du darfst sogar auf seinem Schoß hocken.«

***

»Sie ist weg!«

»Wer ist weg?« Renate Hülse schaute verwirrt auf. Ihr Gesicht machte klar, dass sie noch zum größten Teil mit der Arbeit auf ihrem Schreibtisch beschäftigt war. Als Leiterin der ›Lila Laterne‹ – einem Zufluchtsort für obdachlose Frauen – hatte sie viel zu häufig mit Papierkram zu kämpfen.

»Natalia«, erwiderte ihre Kollegin Waltraut Rademacher in verzweifeltem Ton. »Sie hat ihre Sachen gepackt und ist verschwunden. Offensichtlich schon gestern Abend.« Die Frau schaute zur Decke. Ihr Blick verlor sich im Nichts. »Ich kann es nicht begreifen! Du?«

»Bist du denn sicher?«

Waltraut nickte nur. Sie presste die Lippen zusammen und blinzelte. Ein sicheres Zeichen für bevorstehende Tränen.

Renate Hülse erhob sich mühsam und stöhnte dabei geräuschvoll.

»Rückenschmerzen?«, fragte Waltraut. Ein willkommener Themenwechsel.

»Dieser scheiß Schreibtischjob sorgt nicht nur für Rückenschmerzen ...«, begann ihre Chefin zu fluchen, »... sondern hat im Laufe der letzten Jahre auch mindestens zwanzig Kilo zu viel auf meinen Hüften hinterlassen. Und seit mein Benno sich mit einer seiner Studentinnen aus dem Staub gemacht hat, hab ich nicht mal mehr einen guten Grund, was daran zu ändern.«

Beide Frauen lachten. Das sorgte wenigstens für vorübergehende Entspannung.

Renate Hülse hatte mittlerweile ihren Schreibtisch umrundet und steuerte zielsicher auf ihre Mitarbeiterin zu. Kurz darauf schlangen sich jeweils zwei Arme um den voluminösen Körper der anderen.

»Machst du dir wegen Natalia und ihrem Baby Sorgen?«, flüsterte Renate.

»Natürlich! Ich hab mich schließlich in den letzten zwei Wochen beinahe rund um die Uhr um die beiden gekümmert.«

Renate Hülse wirkte noch relativ unbeeindruckt. »Hast du nicht gesagt, sie hätte einen Freund hier in Hamburg – einen Typen, der vielleicht sogar der Vater von ihrem Baby ist?«

»Glaubst du an solche Geschichten?«, erkundigte sich Waltraut in verbittertem Ton. »Ich nicht!«

Renate beließ es bei einem Kopfschütteln.

»Ich hab keine Ahnung, was ich machen soll.« Waltraut hatte den Kampf gegen die Tränen verloren. »Es ist furchtbar: Du gibst alles und bekommst zum Dank nicht mehr als einen Arschtritt und ...«

»Lass gut sein!«, fuhr Renate dazwischen. »Wir mussten alle lernen, damit umzugehen. Wer zu viel erwartet, ist in unserem Job falsch aufgehoben.«

Waltraut weinte und lachte zugleich. »Glaubst du, ich bekomme das hin?« Nicht nur ihre Hände, sondern auch ihre Lippen zitterten. »Bin ich irgendwann auch so weit, dass mir alles am Allerwertesten vorbeigeht?«

»Es klingt vielleicht etwas zu hart: Aber wenn du selbst nicht untergehen willst, dann ist das der beste Schutz davor.« Renate Hülse lachte vorsichtig. »Und warte ab – morgen steht deine Natalia wahrscheinlich wieder vor unserer Tür und fragt nach was Warmem. Glaub mir: So ist es fast immer.«

4

Wegner hatte nicht den Fahrstuhl, sondern die Treppen genommen. Aktuell stand er vor der Bürotür von Paul Franke, dem Präsidiumsleiter. Nachdem Wegner seinem Oberboss vor nicht allzu langer Zeit mit der Enthüllung von brisanten Unterlagen gedroht hatte, war das Verhältnis zwischen den beiden tendenziell eher frostig.

Trotzdem: Wenn der Herr rief, ließen seine Untertanen den am besten nicht lange warten. Sonst drohte Ungemach.

Wegner hob schwerfällig die Hand und klopfte. Eine Aufforderung zum Eintreten blieb aus, also drückte er die Klinke und schob die Tür auf. Insgeheim fühlte er sich an den vergangenen Abend und die letzte Begegnung mit Hermann Bonsel erinnert. Bis jetzt fehlten hier Sturm und Regen, aber wer wusste denn, was hinter der Tür auf ihn wartete?

Paul Franke hockte an seinem Schreibtisch, hinter einem Berg von Akten. Die sollten wohl den Anschein eines viel beschäftigten Mannes erwecken. Aber Wegner wusste es besser und lachte in sich hinein.

»Guten Morgen, Kollege«, begann der Präsidiumsleiter mit aufgesetzter Freundlichkeit. »Kommen Sie rein und setzen Sie sich.«

Wegner tat, wie befohlen. Und da er selbst nichts auf dem Herzen hatte, schwieg er einfach.

Zur Einleitung wedelte Paul Franke mit einer dünnen Pappmappe. »Das sind Ihre Prüfungsergebnisse.«

Wegners Magen zog sich zusammen. In diesem Moment bereute er es, vor seinem Aufbruch in die Höhle des Löwen nicht noch zwei oder drei der Würstchen vertilgt zu haben. Die viel zitierte ›Henkersmahlzeit‹.

»Sie waren insgesamt sechs Monate auf verschiedenen Lehrgängen.« Franke lachte kurz auf. »Das ist mit einer Reise kreuz und quer durch die Republik verbunden, oder?«

Wegner nickte nur. Was sollte er auch sagen?

»Ziel der Lehrgänge war, Ihre Qualifikation als Dienstgruppenleiter sicherzustellen.«

Wegner überlegte, ob ein weiteres Nicken als Antwort reichte. Aber es schien sinnvoll, auch mal etwas zu sagen: »Das Ergebnis wollten uns die Dozenten nicht mitteilen. Meinten, dafür seien andere zuständig.«

Genau dieses Ergebnis flatterte mittlerweile in einer Pappmappe vor Wegners Nase herum. Und er hatte auch nicht umsonst ein mulmiges Gefühl, denn mit zwei der Dozenten hatte er sich gleich auf Anhieb nicht unbedingt verstanden. Kritische Worte waren auf solchen Seminaren nicht gefragt. Der Schäfer ordnete an, die Herde folgte besser brav. Und wer – wie Wegner – mal zu laut blökte, eckte damit schnell an, was sich am Ende in Noten niederschlug. Ein Scheißspiel!

Paul Franke klatschte die Mappe auf seinen Schreibtisch und schlug sie auf. Er begann mit einer Stimme, als würde er einen Hinrichtungsbeschluss vorlesen. »Kriminalistik: Ausreichend! Sie sollten sich vielleicht mal ...«

»Das kann ich erklären«, fuhr Wegner dazwischen. Aber er kam nicht weiter, denn Paul Frankes Hand schoss empor.

»Zuhören: Ungenügend!« Der Präsidiumsleiter präsentierte ein eiskaltes Lächeln. »Halten Sie die Klappe und sperren Sie die Lauscher auf!«

Wegner nickte und presste die Lippen zusammen.

»Kriminaltechnik: ebenfalls ausreichend.« Paul Franke schaute auf und nahm zufrieden zur Kenntnis, dass sein Gegenüber die Hände im Schoß gefaltet und das Reden aufgegeben hatte. »Vielleicht sollten Sie wirklich mal überlegen, ob Sie sich den richtigen Job ausgesucht haben.«

Wegner zuckte nur mit den Schultern. Schließlich fehlte ihm noch eine Redeerlaubnis.

Derweil hellte sich Frankes Miene deutlich auf. Und auch seine Stimme klang plötzlich ganz anders. »Ich weiß nicht, wie Sie’s hinbekommen haben ...« Er blätterte in der Mappe eine Seite weiter. »Sie haben bei Koslowski in den Fächern ›Organisation‹, ›Personalführung‹ und ›Budgetplanung‹ dreimal Bestnoten abgeräumt. Und das ausgerechnet bei einem wie Koslowski – können Sie mir das bitte mal erklären?«

Wegners Kopf wippte hin und her. Erst als Paul Franke sich lautstark räusperte, sorgte das für eine Antwort: »Schätze, ich hab doch so meine Talente.«

»Ausgerechnet, wenn es um Papierkram geht? Von Kallsen können Sie das aber nicht gelernt haben. Der braucht doch schon Hilfe, wenn er einen neuen Kugelschreiber oder Büroklammern bestellen will.«

Wegner verzichtete auf jede Antwort. Die wichtigste Information stand schließlich noch aus: Daumen hoch oder runter.

Und als könne sein Oberboss Gedanken lesen, folgte die auf den Fuß: »Ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen, Kollege: Sie haben bestanden! Insgesamt mit Ach und Krach, aber bestanden ist bestanden.«

Weil nichts mehr folgte, kam Wegner gleich mit der nächsten Frage daher: »Und was bedeutet das jetzt? Ich meine, für die Zukunft?«

»Ganz einfach: Sie haben ab sofort – zumindest theoretisch – die Qualifikation, eine Dienststelle der Kriminalpolizei zu leiten.« Paul Franke machte eine Pause, die er dazu nutzte, Wegners Prüfungsergebnisse in einer Schreibtischschublade verschwinden zu lassen. Vermutlich auf Nimmerwiedersehen. »Aber machen Sie sich so schnell keine Hoffnungen. Ich kann keinen Jungspund von nicht mal Ende zwanzig zum Leiter der Mordkommission machen. Auch wenn ich Kallsen am liebsten sofort zum Teufel schicken würde.«

»Ich hab mich an ihn gewöhnt«, erklärte Wegner mit voller Überzeugung. Dabei schaffte er es sogar, sich ein Lachen zu verkneifen. »Aber wenn es irgendwann so weit ist, dann ...«