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In diesem Buch beschreibt der Autor seine Erlebnisse in der sozialistischen DDR-Diktatur. Als ehemaliger BDJ-Angehöriger verbrachte er die Zeit zwischen 1952 und 1956 als politischer Gefangener in einem Cottbuser Zuchthaus und bei der STASI in der Lindenstraße in Potsdam. In diesem Buch beschreibt er das dortige Leben, die menschenverachtenden Verhöre durch die Staatsorgane, welche auch vor körperlicher und psychischer Gewalt nicht zurückschreckten, die Planung der Flucht bis hin zur Entlassung. Dieses Buch ist eine Aufarbeitung der Erlebnisse und soll den Menschen als Mahnung dienen, dass wir dieses Kapitel der deutsch-deutschen Geschichte nicht vergessen.
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Seitenzahl: 207
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Vergessen: Nie
Neuauflage, erschienen 4-2023
Umschlaggestaltung: Romeon Verlag
Text: H. Werner Gründemann
Layout: Romeon Verlag
ISBN (E-Book): 978-3-96229-638-4
www.romeon-verlag.de
Copyright © Romeon Verlag, Kaarst
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H. Werner Gründemann
VergesseN: nie
Die Macht der Lüge
In schicksalsvoller Dramatik
konnten sie den Stolz nicht brechen.
ChronologieTatsachen-Roman
Dieses Buch ist meiner verstorbenen Mutter, Helene Gründeman, geb. Preuß, geb. 24.01.1892 in Breslau, gest. 14.12.1978 in Bielefeld, in großer Dankbarkeit gewidmet.
Harry-Werner Gründemann
Vorwort
Die Textgestaltung und die Ausdrucksformen sind in den Darstellungen im Buch so wiedergegeben, wie ich im Alter zwischen zwanzig und sechsundzwanzig Jahren fühlte und mich in meiner Erlebniswelt zwischen Recht und Unrecht, Willkür und Frieden – auch die Liebe spielte eine gewisse Rolle – bewegte.
Die Zuchthausjahre von 1952 bis 1956, politisch zu sechs Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Ehrverlust durch die Staatsorgane der DDR verurteilt, sind psychisch für einen jungen Menschen nicht ohne Folgen geblieben.
Durch eine stabile Kindheit, trotz Verlust von Vater und Schwester, hatte ich eine gute Erziehung durch eine kluge Mutter, eine Lehrerin alter Prägung. Eine weitere Formung erfolgte als Praktikant bei einer großen Weltzeitung.
Die Verhaftung durch den Staatssicherheitsdienst, Stasi genannt, der DDR, hatte mich hart getroffen, obwohl ich wusste, wie die Schergen einzuschätzen sind; als ehemaliger Angehöriger des BDJ, Bund Deutscher Jugend, in der Bundesrepublik, waren uns die Stasi-Leute bekannt. Es gehörte bei den vielen Verhören der Stasi-Vernehmer, Tag und Nacht, viel Gespür dazu, um nicht ins offene Messer zu laufen, von brutalen Maßnahmen ganz abgesehen.
Meiner Mutter habe ich unendlich viel zu verdanken. Sie sprach in Ost-Berlin bei der DDR-Regierung zweimal vor und forderte meine Freilassung. Es ist kaum zu glauben, aber meine Mutter schaffte es, dass ich nach vier Jahren Haft aus dem Zuchthaus in Cottbus entlassen wurde, nachdem sie sich selbst angeboten hatte, den Rest meiner Strafe, zwei Jahre Zucht, abzusitzen.
Große Unterstützung bekam zu der Zeit meine Mutter durch die Geistlichkeit und besonders von Herrn Kaplan Andreas im katholischen Pfarrhaus in Cottbus. Ich möchte hiermit nochmals meinen großen Dank an das Pfarrhaus in Cottbus richten.
Die Erinnerungen aus der Stasi-Zeit quälen mich noch heute im Schlaf und Traum mit 86 Jahren.
Der Hohn der Zeitgeschichte ist, der Chef der Stasi in der DDR, Erich Mielke, sagte in seiner letzten Rede vor der Volkskammer 1989: „Ich liebe euch, ich liebe doch alle Menschen.“
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Der Autor
Inhaltlicher Ablauf
Abreise aus der Bundesrepublik Deutschland in die DDRAnkunft in Niedergörsdorf, DDR, alte HeimatVerhaftung durch den Staatssicherheitsdienst in JüterbogSechs Monate Stasi-Verhöre in Jüterbog und PotsdamVerurteilung durch das Bezirksgericht in Potsdam zu einer Strafe von sechs Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Ehrverlust als Handlanger der ImperialistenTransport von Potsdam über Jüterbog nach Cottbus ins ZuchthausZuchthausleben und Sklavenarbeit bei der Arbeit auf dem neuen Flugplatzgelände in der Nähe von CottbusFluchtvorbereitung mit zwei KameradenNach vier Jahren Befreiung aus dem Zuchthaus durch meine MutterDank dem katholischen Pfarramt in Cottbus, besonders Herrn Kaplan Andreas für die große Unterstützung meiner MutterDer Alltag nahm seinen Lauf, wie immer die gellenden Rufe der Zeitungsverkäufer. Besondere Sensationen? Flugzeugabsturz, Mord, Familientragödie oder etwas aus der Ostzone, irgendeine besondere Neuigkeit lag doch in der Luft! Nun, es ist das Geschäft der Zeitungsverlage, man lebt vom Leben und vom Tode. In der heutigen Ausgabe forderte die Bundesregierung die Freilassung der politischen Gefangenen, die zum Teil schon viele Monate auf ihren Prozess warteten. Viele junge Leute unter 18 Jahren mussten besonders lange warten. Weil sie noch nicht volljährig waren, konnte man sie noch nicht verurteilen.
Auch ich, mein Name ist Harry-Werner Gründemann, 21 Jahre alt, trat an den Zeitungsverkäufer heran: „Hallo, bleib mal bitte stehen.“ „Was ist los?“ „Gib mir ein Blatt. Was ist denn passiert?“ Er schaute mich ganz komisch an, ich hatte keine Zeit, mir seine Antwort anzuhören. Es war schon spät, die Arbeitszeit ruft. Schnell lief ich in die nächste Straße und verschwand mit meinem Blatt im achtstöckigen Verlagshaus meines Arbeitgebers. Der alte Pförtner, Herr Bode, war wohl nach der langen Nacht eingeschlafen. Ich lief an ihm vorbei zum Paternoster. Ach, der Büroschlüssel! Wieder zurück. Herr Bode gab mir ganz verstört den Schlüssel. Mit dem Paternoster, Vorsicht war beim Einsteigen geboten, in die fünfte Etage in mein kleines Büro und ich sah sofort, heute wird es spät. Es lag viel Arbeit auf dem Schreibtisch.
Kaum setzte ich mich an meinen Schreibtisch, ging die Tür auf, mein Abteilungsleiter und Ausbilder, Herr Alfred Grunewald, trat ein und kam auf mich zu. „Wie ist es mit dem Urlaub, Werner?“ Er duzte mich. „Wenn Sie nichts dagegen haben, Herr Grunewald, würde ich ihn gerne in Anspruch nehmen. Meine Mutter ist sehr krank geworden. Ich meine, wenn es geht, schon nächste Woche.“ „Natürlich fährst du so schnell wie möglich zu deiner kranken Mutter. Und die Einreisegenehmigung, Werner? Wie ist es damit?“ „Da meine Mutter schon länger krank ist, habe ich die Besuchsgenehmigung vorsichtshalber vor vier Wochen eingereicht. Jetzt habe ich sie erhalten. Ja, lieber Herr Grunewald, ich bin schon zwei Jahre nicht mehr zu Hause gewesen.“ „Dann wird es Zeit, mein Junge, dass du am Montag deinen Urlaub antrittst.“ „Danke, Chef, danke.“ Was sollte ich auch sonst noch sagen. Ich reichte ihm meine Zeitung. Er sprach auf einmal von der DDR, schüttelte seinen Schädel. Behäbig sagte er nur. „Ich möchte einmal wissen, wie viele unschuldige Menschen die Stasi wirklich in den Lagern und Zuchthäusern eingesperrt hat? So was nennt sich Arbeiter- und Bauernstaat.“ Wir waren uns einig, dass dieser SED-Parteistaat nur im Schlepptau des Bolschewismus sich überhaupt behaupten kann. Dem DDR-Staat konnte alles recht sein, Gewalt, Unmenschlichkeit, Stasi-Kantonisten. Hauptsache, sie behielten ihre Macht.
In Gedanken war ich in dem Moment bei meiner Mutter, die sich in dieser Unrechtzone befand und krank war. In Briefen war es auch nicht möglich, alles so zu berichten, wie es den Tatsachen entsprach. Die Kontrolle war dort überall, sogar vor Fenstern, ob Westfernsehen gehört und gesehen wurde. „Chef, bei meiner Rückkehr werde ich Ihnen vom Leben in der DDR berichten.“ In Gedanken packte ich schon meinen Koffer. Die Kollegen in meiner Abteilung werden auch ohne mich auskommen, es gingen einem vor so einer Reise die unmöglichsten Gedanken durch den Kopf, man fuhr eben in eine Diktatur, in einen Überwachungsstaat.
Mein Vater war in den Kriegsereignissen verstorben, meine kleine Schwester Irmgard lebte auch nicht mehr, meine große Schwester Marianne lebte verheiratet mit ihrem Ehemann Helmut und ihrem Sohn Volkmar, dem ganzen Stolz der Eltern, in Wismar an der Ostsee.
Meine Mutter, eine frühere Lehrerin, lebte allein in Niedergörsdorf bei Jüterbog und gab ab und zu Kindern Nachhilfeunterricht. Die Freude, meine Mutter nach zwei Jahren in die Arme nehmen zu können, überwog, so wurden alle Bedenken zur Seite geschoben.
Grunewald saß immer noch hinter meinem Schreibtisch. „Ja, lieber Herr Grunewald, bis Montag. Ich kann es gar nicht erwarten, das Wochenende wird noch sehr lang für mich.“ Mein Chef nickte nur. „Ich wünsche dir eine gute Reise und einen Gruß an deine Mutter.“ Am Montag war Grunewald nicht im Büro, Dienstag war mein erster Urlaubstag und am Donnerstag erfolgte meine Reise in die DDR, es war der 9. Oktober 1952. Nach einer Stunde saß mein Chef noch immer hinter meinem Schreibtisch und beschäftigte sich mit seiner Zigarrentasche, aber die Zigarre, die er anzündete, wollte nicht so richtig brennen. „Das ist mir ja noch nie passiert“, murmelte er, „ich habe die falschen Zigarren gekauft.“ Er stand auf. „Nochmals eine glückliche Reise, Werner“. Aber sein Gesichtsausdruck gefiel mir gar nicht. Er war voller Sorge.
Ich hatte an dem Tag sowie am Montag noch genug Arbeit zu verrichten und musste mich nach meiner Rückkehr auf einen erweiterten Arbeitsbereich vorbereiten. Als Praktikant wurde ich oft als Springpferd eingesetzt, so nannte man die Praktikanten, die Quecksilber im Hintern haben, immer auf der Suche nach einer neuen Story. Mit froher Laune und mit mir selbst zufrieden verließ ich am Abend mein Kabuff, wie wir oft zu sagen pflegten. Noch ein Blick zu meinen Kollegen, mit raschen Sätzen zum Paternoster und schnell beim Pförtner vorbei. Der gute Herr Pförtner Bode hätte nicht im Traum geglaubt, mich in den nächsten vier bis sechs Jahren nicht mehr zu sehen.
In den kommenden sechs Tagen, die Zeit verging wie im Fluge, Koffer packen, noch ein Anruf – Auf Wiedersehen Essen. Ich fuhr mit dem Interzonenzug von Essen über Hamm, Hannover, Grenzübergang Helmstedt, Berlin, Jüterbog nach Niedergörsdorf. Die Heimat war erreicht. Eine leichte Nervosität kam in mir auf. Ist es ein Wunder, nach zwei Jahren wieder in der alten, aber auch in der neuen Welt des SED-Staates zu sein.
Alles, was man sah, auch schon im Zug, war trist und roch nach Chemie. Oder war alles nur Einbildung? Mein Herz schlug noch höher auf dem Weg vom Bahnhof zum Dorf. Rechts, das sechste Haus, ein wunderschönes altes Pfarrhaus. Ob wohl die Mutter vor der Tür stand? Na ja, das waren meine letzten Gedanken vor dem Ziel. Meine Mutter stand tatsächlich vor der Tür, neben der alten Linde. Hocherfreut nahm sie mich in ihre Arme, trotz großer Schmerzen, die Galle machte wieder großes Theater. „Schön, mein Sohn, dich nach zwei Jahren wiederzusehen.“ Wir gingen in das Haus. Es war der alte Geruch der Kindheit. Ich fühlte mich einfach zu Hause.
„Mutter, wie geht es dir?“ „Ach, Junge, die Galle kommt und geht. Ich muss damit leben.“ Tränen standen ihr in den Augen. Ich nahm meine Mutter noch einmal fest in die Arme, wie glücklich sie in dem Moment war. Nun gab es viel zu erzählen und Mutter fragte: „Wie lange bleibt du, mein Sohn?“ „Vierzehn Tage will ich bei dir bleiben, dann können wir viel unternehmen!“„Junge, du musst dich auf jeden Fall morgen anmelden bei der Polizeistation in Jüterbog. Die sind hier sehr genau.“ „Mach ich“, und dachte, hoffentlich geht alles gut.
Am gleichen Tag am frühen Abend traf ich mich noch mit meinem alten Schulfreund Dieter Schulze im Dorf. Auch hier gab es viel zu erzählen. Dieter, der Sohn eines Landwirtes, klagte, dass die DDR-Führung ihnen alles genommen hatte, also die Enteignung hatte für alle Bauern stattgefunden. „Die Idioten“, sagte ich, „und das nennt sich Arbeiter- und Bauernstaat.“ Ja, das ist Kommunismus, der große Menschenfreund! „Bis bald, Dieter, ich muss zurück.“
Meine Mutter empfing mich an der Haustür und hämmerte mir noch mal ein, morgen nicht zu verschlafen, gleich mit dem Zug zur Anmeldung. Ich sagte, ich vergesse es nicht.
In der Nacht konnte ich kaum schlafen. Vieles ging mir wieder durch den Kopf. Kann es möglich sein, dass die Polizei bei der Anmeldung weiß, dass ich Mitglied bei der BDJ bin, der Jugendorganisation in der Bundesrepublik in Westdeutschland?
Rückblick 1950 – 1952
Im Herbst 1950, der 5. Oktober genau, nachdem ich die Bergschule in Eibenstock im Erzgebirge absolviert und im zweiten Semester das Bergtechnikum in Freiberg verlassen hatte, bin ich nach West-Berlin gezogen, dies durch eine Zugbekanntschaft, ein Student der F. Uni aus West-Berlin, saß mir im Zugabteil bei der Heimfahrt gegenüber. Wir führten ein nettes Ost-West-Gespräch. Er nannte mir seinen Namen, Wolfgang Kaufmann.
„Kannst mich mal in West-Berlin besuchen kommen.“ Er gab mir noch seine Adresse. Selbstverständlich hatte ich mich über die Einladung gefreut und sie angenommen. Er gab mir auch zu verstehen, in der Bundesrepublik gäbe es auch die Möglichkeit, auf einem Bergbautechnikum weiter zu studieren. „Also, komm mich besuchen. Über das Studium unterhalten wir uns dann weiter.“ „Okay.“ In der DDR hatte mich so sowieso nicht viel gehalten. Ich hatte schon öfter nach dem Westen geschaut – und nun diese Zufallsbekanntschaft.
Im Oktober 1950 war es so weit, ich brach alle Brücken zum SED-Staat ab. Ein kleiner Rückblick ist erlaubt, mache ich alle richtig? Aber der Hintergrund war die Bevormundung des SED-Regimes. Jeder Weg wurde von der Partei vorgeschrieben. In der FDJ wurde gesungen: „Adenauer, dieser Zwerg“, und noch mal: „Hängt ihn auf in Petersberg“. Bei allen Veranstaltungen wurde die Strophe von den Funktionären angestimmt, obwohl sie Konrad Adenauer weder kannten, noch gesehen hatten. Es lag auch nicht in meinem Interesse, Mitglied in der Antifa und vor allen Dingen in der „Deutsch-Russischen-Freundschaft“ zu sein. Die ganze Verbrüderung, der muffige Parteiklüngel, war keine echte Demokratie, wie ich sie mir vorstellte. Es gab noch viele andere Gründe, die mich zur Umkehr meiner Gesinnung, zur Umkehr von Ost- nach Westdeutschland bewogen. Mein Studium wollte ich auf jeden Fall in der Bundesrepublik fortsetzen. Es kam alles anders.
In West-Berlin, Dahlem, Wildenow Straße, wurde ich bei vielen Studenten mit Hallo herzlich aufgenommen. Es war Kaffeezeit. Wolfgang Kaufmann stellte mir die anwesenden Studenten vor. Wir kannten uns ja bereits aus dem Zug. Eine angenehme Atmosphäre. Wolfgang Kaufmann stand auf, ein toller Mann. „So, lieber Werner Gründemann, du hast großes Glück. Unser erster Vorsitzender, Norbert Hamacher, ist heute Gast bei uns und du kannst ihn gleich bei deinem Kommen begrüßen.“
„Hallo, Werner Gründemann, du kommst gerade zur richtigen Zeit zu uns. Wir BDJ’ler sind eine Jugendorganisation, die sich auf die Fahne geschrieben hat, die DDR unter der SED-Führung muss weg. Wir müssen es schaffen, bis 1953 einen Aufstand zusammen mit der Opposition in der DDR auszubereiten, dass die Bürger wieder frei sind von der Diktatur der Kommunisten. In diesem Monat sind noch Volkskammerwahlen in der DDR. In den nächsten zwei Wochen erwartet uns hier in West-Berlin eine harte Arbeit, mit allen Mitteln, die uns zurzeit bleiben, die Opposition in Ost-Berlin zu unterstützen, gegen die Wahl zu stimmen.“ Ich war auf jeden Fall bereit, meine ganze Kraft für eine gute Sache einzusetzen und den BDJ’lern bei ihrem Kampf zu helfen. „Die Volkskammerwahlen sind die eine Sache in diesem Monat, aber das große Ziel des BDJ ist der Aufstand, der für 1953 geplant ist. Es wird sehr schwer werden, Aktionen in der DDR durchzuführen. Die Opposition muss in der DDR unterstützt werden, die Stasi ist zu mächtig, versucht, jede Unruhe sofort zu unterdrücken, sperrt die Menschen sofort ein. Das ehrliche Wort, die ehrliche Meinung wird hier hart bestraft.“ Ich war begeistert, ja Feuer und Flamme von dem Vortrag, Hamacher hat toll gesprochen, alle klatschten. „Der BDJ ist eine großartige Jugendorganisation, ich kann mich immer nur wiederholen.“
Wir diskutierten bis tief in die Nacht hinein, um gute Lösungen zu finden, wie wir unbemerkt Aktionen mit vielen Freiheitskämpfern in der DDR bis 1953 durchführen konnten.
So wurden jetzt einzelne Fahrten von Wolfgang Kaufmann in die DDR unternommen, die Volkskammerwahlen standen doch vor der Tür. Wir anderen jungen Leute fuhren hauptsächlich mit der S-Bahn nach Ost-Berlin und trafen uns mit jungen DDR-Bürgern und übergaben Flugblätter an sie mit der Aufschrift „Stimmt mit Nein gegen die Volkskammerwahlen!“ „Toll, toll“, sagten sie, „wir werden alle Blätter verteilen.“
Die nächste große Aufgabe, die vor uns stand, war die Luftballonaktion. Wir starteten tausende Ballons mit Flugblättern in Richtung DDR mit der Aufschrift „Mit Nein stimmen“. Eine ganze Woche haben wir bei acht Stunden Auffüllen mit Propangas täglich durchgehalten. Der Himmel war manchmal so bunt, dass man die Wolken nicht sehen konnte. Diese Aktion wurde aus dem Garten des BDJ-Hauses durchgeführt. Viele Menschen standen auf der Straße, um das Schauspiel mit zu beobachten. Spione aus Ost-Berlin standen unter den Schaulustigen, um den Standort zu ermitteln. Das ganze Objekt wurde von kräftigen BDJ-Jungen, aber auch von Sympathisanten abgesichert.
Am Abend führten wir dann den Einsatz am Anhalter-Bahnhof mit dem Verteilen von Flugblättern an die Reisenden in die DDR durch. Hier konnte man auch hin und wieder Ost-Polizisten begegnen. Uniformierten konnten wir ausweichen, aber die in Zivil waren gefährlich, sie konnten uns verhaften. Der Anhalter-Bahnhof war Ost-Gebiet.
In den letzten beiden Tagen unserer Luftballonaktion wurden ganze Spruchbänder, bis zu zwei Meter lang, an zwanzig Ballons gehängt. Es war eine Schufterei für die Jungen und Mädchen, aber wir wollten doch den Menschen in Ost-Deutschland helfen und damit unsere Sympathie für ihren Kampf zum Ausdruck bringen.
Dann die Meldung: Ein Kamerad von uns war Vorabend von der VoPo in Zivilkleidung verhaftet worden. Es wurde sofort die Flugblattverteilung eingestellt. Jede gute Sache hatte eben auch seinen Preis, so schlimm es auch war. Drei Jahre soll er für Hetze gegen die DDR bekommen haben, so hörte man es in späteren Jahren. Die Parteigerichte duldeten keine freie Meinung. Macht war im Kommunismus Tradition, siehe Lenin und Stalin, neben Hitler die großen Massenmörder in den letzten einhundert Jahren. Hat den Zweiten Weltkrieg mitgewonnen, kaum einer sprach von den grauenhaften Morden, Erschießungen in Russland.
Na ja, ich will nicht abweichen von unserer heutigen Arbeit, Freiheit in der DDR. Leider hatte die im Ergebnis der Volkskammerwahlen nicht viel gebracht. Wie immer bei den Wahlen in der DDR: 99,1 Prozent hatten sich für die DDR entschieden und die Kommunisten hatten wieder einen Sieg davongetragen Ja, einen mit gefälschten Zahlen.
Aber wir arbeiteten ja dran, dass 1953 es gelingen würde, mit einem Großaufstand das Regime zu stürzen. Man musste eben warten können. Geduld haben, gute Vorbereitungen treffen, dann hat sich auch unsere Arbeit bezahlt gemacht.
Im April 1951 kam eine große Veränderung auf mich zu. „Werner Gründemann“, sprach mich Kaufmann nach dem Abendessen etwas resolut an. Ich dachte nach, was kommt jetzt, hast du etwas falsch gemacht? Kaufmann sprach weiter: „Du bis von uns im Oktober 1950 aufgenommen worden. Wir kannten uns wenig, aber du hast uns in deinem Wesen, in deiner Hilfsbereitschaft und Aufrichtigkeit einen großen Dienst erwiesen, uns bei der wichtigen Arbeit gegen den Unrechtsstaat DDR voll und ganz unterstützt. Du bis ein ganzer BDJ’ler und Freund zugleich.“ Alle anwesenden Jungen und Mädchen standen auf, erhoben ihr Glas, prosteten mir zu und wünschten mir alles Gute für die neue Aufgabe und die anstehende Reise nach Essen in die Hauptzentrale des BDJ im Ruhrgebiet. Ich war kaum imstande, etwas zu dieser Order zu sagen. Kaufmann merkte, dass es in mir arbeitete. „Du sollst Agitator für unsere Jugendorganisation im Ruhrgebiet sein und dort Vorträge halten über unsere Arbeit hier in Berlin.“ Ich dankte Wolfgang Kaufmann und auch den Anwesenden für das große Vertrauen.Stoff hatte ich ja genug, um Vorträge zu halten, aber es war eben eine völlig neue Aufgabe als Agitator Reisen zu unternehmen. Die neue Aufgabe fand ich gut und konnte so nebenbei auch andere Orte in der Bundesrepublik kennenlernen.
Am 10. April, das weiß ich heute noch, am 13. April habe ich Geburtstag, flog ich mit dem Flugzeug nach Hamburg und dann fuhr ich mit der Eisenbahn nach Essen. Die Adresse war der Rauhölterberg im Bezirk Steele. Büroleiter Franz Wermelskirchen empfing mich sehr herzlich. „So, lieber Werner Gründemann, du bist jetzt Gast im Hause Wermelskirchen. Unser Stammlokal der BDJ ist hier in Steele. Morgen haben wir wieder einen Heimabend, um 19.00 Uhr fangen wir an. Ich stelle dich dann unseren BDL’lern vor und du kannst Fragen stellen. Wolfgang Kaufmann hat mir in einem Telefonat viel von den Einsätzen in West- und Ost-Berlin von dir erzählt. Wir alle sind sehr gespannt auf dein Referat.“ Es war mir vollkommen klar, was die jungen Leute von mir erwarteten, Exemplifikationen zu hören, spannende Darstellungen von unserer Arbeit vor allen Dingen in Ost-Berlin zu vernehmen. Franz stellte mir vor dem Abendbrot noch seine Eltern und zwei Schwestern vor, alles nette Menschen. Ein gemütliches Zimmer im ersten Stock sollte in den nächsten Monaten mein Zuhause sein. Noch schnell eine Notiz für den nächsten Abend, dann fielen mir schnell die Augen zu.
„Frühstück, bitte zu Tisch kommen!“ Eine fröhliche Stimme weckte mich gegen 8.00 Uhr. Also los, ich hatte großen Hunger. Ein schnelles Waschen und die Treppe herunter. Der Kaffeeduft stieg schon in die Nase. „Guten Morgen.“ Alle saßen am Tisch, es wurde gebetet, danach ließen es sich alle gut schmecken. Der Hausherr fragte mich nur, ob ich gut geschlafen hatte. „Ja, das habe ich, Herr Wermelskirchen. Ich danke nochmals für die freundliche Aufnahme.“ „Viel Erfolg für Ihre Aufgabe hier im Ruhrpott. Die Menschen sind hier nicht zu vergleichen mit den Berlinern.“
Als ich an dem Abend mit Franz, dem Objektleiter, das Stammlokal betrat, ich war gerade zwanzig Jahre alt geworden, hörte ich mein Herz lauter schlagen. Da muss ich durch, dachte ich und wünschte allen einen guten Abend. Es waren bestimmt achtzig Jungen und Mädchen im Stammlokal anwesend. „Hallo, Werner!“, riefen sie. „Herzlich Willkommen in unserem Stammlokal in Essen.“ Ich nahm neben Franz und einem Mädchen Platz. Alle starrten auf mich. Franz sagte ein paar einleitende Worte. „Du hast jetzt das Wort, Werner.“
„Liebe Kameraden und Gäste, ich werde euch heute nicht die Vorgeschichte erzählen, wie ich zum BDJ kam, sondern von unseren mühevollen Aktionen in Ost-Berlin berichten. Wie ich zum Bund Deutscher Jugend kam, ist eine Story für sich. Aber lasst es mit unseren gefährlichen Einsätzen in- und außerhalb Ost-Berlins für heute genug sein.“ Ich hatte mir zwei Stunden Redezeit genommen, dann war ich k.o. Es kamen viele Rückfragen aus der Menge der jungen Leute. Ich gab mir große Mühe, alles korrekt zu beantworten. Die Einsätze in Ost-Berlin, Flugblätterübergabe an die dortige Opposition, eine Gefahr, die man kaum beschreiben konnte. Es war in dem Moment alles still im Raum, die Anspannung. Ja, man merkte es vielen an, die dachten: Hätte ich das auch getan, bei so großer Gefahr? Die Mehrheit bekannte sich zum Kampf. Es gab im Ruhrgebiet genug Arbeit, um den Kommunisten das Leben mit ihrer Weltfremdheit schwerzumachen. Aufgabenverteilung bei unserem nächsten Treffen hier im Stammlokal. Alle klatschten und bedankten sich für den langen Vortrag. Franz gab mir die Hand und sagte: „Hast du gut gemacht. Mach weiter so. Die jungen Leute unserer Organisation brauchen Auftrieb.“ Okay, es war 23.00 Uhr, bis ich ins Bett kam, aber es war ein gelungener Abend für uns und für Deutschland.
Nach dem Frühstück am anderen Tag schaute ich mir die Stadt Essen ein bisschen näher an. Ich war traurig durch die Straßen und Gassen gegangen. Jede zweite Straße lag noch in Trümmern, die Bomben hatten hier ganze Arbeit geleistet. Die armen Menschen, die in diesen Trümmern umgekommen sind oder alles verloren haben. In Berlin war es genau so gewesen, aber ich habe es durch unsere Aktionen nicht so wahrgenommen. In einer kleinen Bude an einem Trümmerfeld nahm ich gegen Mittag einen kleinen Imbiss ein. Hunger hatte ich nicht mehr. In diesem Augenblick dachte ich an die großen Nationen, die mit Atombomben drohten! Nach dem Imbiss schlenderte ich weiter und ging zu Fuß zu meinem Domizil am Rauhölterberg. Am Abend diskutierte ich lange mit Franz, informierte mich über die brutalen Methoden der Kommunisten hier im Ruhrgebiet. Ich war ahnungslos, was die Partei hier alles anstellte. Franz war Steiger in einem Bergwerk, er kannte manchen Burschen aus der Grube. „Franz“, sagte ich, „die müssen in ihre Schranken verwiesen werden. Gib mir bitte bis zu unserer nächsten Sitzung die Standorte der KPD bekannt.“
Die nächsten Tage bis zu unserem Stammlokaltreffen vergingen sehr schnell. Durch einige Ausflüge bekam ich einen guten Überblick dieser gebeutelten Metropole. Die Straßenbahn fuhr in alle Bezirke, auch in Randgebiete, sodass ich überall Besuche abstatten konnte.
Es war so weit, mit Franz ging ich um 18.45 Uhr zu unserem Treffen im Stammlokal. Es kam mir vor, als wären an diesem Tag noch mehr Jugendliche gekommen. Mir sollte es recht sein. Mit einem lauten Hallo wurden wir empfangen und sie riefen immer wieder. „Werner und Franz“. Das fand ich gut. Franz war ihr Ruhrgebietsleiter, ich wollte die Huldigung nicht alleine für mich in Anspruch nehmen. Die Tür ging nach unserem Kommen noch einmal auf, sie wurde von unserem Wachpersonal während der Veranstaltung bewacht. Man konnte ja nie wissen. Es war der Bundesvorsitzende Norbert Hamacher aus Köln. Er kam direkt auf mich zu, gab mir die Hand. „Ja, ich musste doch vor Ort mal sehen, wie Sie hier in Essen angekommen sind und aufgenommen wurden.“ „Ich bin begeistert, Herr Hamacher.“ „Werner Gründemann, dann legen Sie mal los. Ich bin bespannt, was Sie heute am zweiten Heimabend zur Verbesserung unserer Aktivität zu sagen haben.“ Hamacher und seine zwei Begleiter setzten sich an einen Nebentisch, nachdem Hamacher die tapferen Freiheitskämpfer, die dies erst noch werden wollten, herzlich begrüßt hatte. Alles war auf einmal still. Die Stille war auf die große Erwartung gerichtet: Werner wollte heute Aufgaben an uns verteilen. Was für eine Atmosphäre gegenüber der FDJ, der angeblichen DDR-Elite, die keine richtige Freiheit kannte. Aber singen konnten sie, ich werde es nie vergessen: „Adenauer, dieser Zwerg, hängt ihn auf dem Petersberg!“