Vergessenes Sylt - Thomas Herzberg - E-Book

Vergessenes Sylt E-Book

Thomas Herzberg

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Beschreibung

Sylt, im Herbst: Der vorangegangene Fall steckt Hannah Lambert immer noch tief in den Knochen. Schließlich wurde sie entführt und hätte ihre Hilfsbereitschaft beinahe mit dem Leben bezahlt. Ausgerechnet in ihrem schwächsten Moment wird sie mit einem neuen Mordfall konfrontiert, der sofort alte Erinnerungen weckt. Um dem Täter das Handwerk zu legen, muss Hannah weit in ihre eigene Vergangenheit reisen und sich mit abscheulichen Bluttaten auseinandersetzen, die seinerzeit auf Sylt für Angst und Schrecken sorgten …

"Vergessenes Sylt" ist Teil 13 der Reihe "Hannah Lambert ermittelt".
Jeder Fall ist in sich abgeschlossen. Es kann allerdings nicht schaden, auch die vorangegangenen Fälle zu kennen ;)


Bisher erschienen:
"Ausgerechnet Sylt"
"Eiskaltes Sylt"
"Mörderisches Sylt"
"Stürmisches Sylt"
"Schneeweißes Sylt"
"Gieriges Sylt"
"Turbulentes Sylt"
"Düsteres Sylt"
"Funkelndes Sylt"
"Brennendes Sylt"
"Vergangenes Sylt"
"Trügerisches Sylt"
"Vergessenes Sylt" - JETZT BRANDNEU!

"Hannah Lambert ermittelt" ist mit über 1 Mio. verkauften Exemplaren eine der erfolgreichsten Krimi-Serien der letzten Jahre. Alle Teile sind als eBook, Taschenbuch und Hörbuch verfügbar (der neueste Teil als Hörbuch folgt in Kürze).

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ähnliche


VERGESSENES SYLT

HANNAH LAMBERT ERMITTELT

BUCH 13

THOMAS HERZBERG

Verlag:

Zeilenfluss

Werinherstr. 3

81541 München

Deutschland

ISBN: 978-3-96714-626-4

Cover: MT-Design

Korrektorat: Dr. Andreas Fischer

Satz: Zeilenfluss

Copyright © Thomas Herzberg 2025

Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Sämtliche Äußerungen, insbesondere in Teilen der wörtlichen Rede, dienen lediglich der glaubhaften und realistischen Darstellung des Geschehens. Ich verurteile jegliche Art von politischem oder sonstigem Extremismus, der Gewalt verherrlicht, zu selbiger auffordert oder auch nur dazu ermuntert!

Fassung: 1.0

HANNAH LAMBERT ERMITTELT

"Vergessenes Sylt" ist Teil 13 der Reihe "Hannah Lambert ermittelt". Jeder Fall ist in sich abgeschlossen. Es kann allerdings nicht schaden, auch die vorangegangenen Fälle zu kennen ;)

Bisher erschienen:

"Ausgerechnet Sylt""Eiskaltes Sylt""Mörderisches Sylt""Stürmisches Sylt""Schneeweißes Sylt""Gieriges Sylt""Turbulentes Sylt""Düsteres Sylt""Funkelndes Sylt""Brennendes Sylt""Vergangenes Sylt""Trügerisches Sylt""Vergessenes Sylt"

"Hannah Lambert ermittelt" ist mit über 1 Mio. verkauften Exemplaren eine der erfolgreichsten Krimi-Serien der letzten Jahre. Alle Teile sind als eBook, Taschenbuch und Hörbuch verfügbar (der neueste Teil als Hörbuch folgt in Kürze).

INHALT

Sylt, im Herbst: Der vorangegangene Fall steckt Hannah Lambert immer noch tief in den Knochen. Schließlich wurde sie entführt und hätte ihre Hilfsbereitschaft beinahe mit dem Leben bezahlt. Ausgerechnet in ihrem schwächsten Moment wird sie mit einem neuen Mordfall konfrontiert, der sofort alte Erinnerungen weckt. Um dem Täter das Handwerk zu legen, muss Hannah weit in ihre eigene Vergangenheit reisen und sich mit abscheulichen Bluttaten auseinandersetzen, die seinerzeit auf Sylt für Angst und Schrecken sorgten …

VORWORT

»Rüm hart, klaar kiming« (weites Herz – klarer Horizont): Ein Zitat, das den inselfriesischen Kapitänen zugeordnet wird. Damit beschreiben sie – neben der Mentalität der Menschen, die dort zu Hause sind – auch eine in Deutschland einzigartige Landschaft. Sylt ist vermutlich der bekannteste Teil davon. Aber wer glaubt, auf der beliebten Ferieninsel nur Schickimicki vorzufinden, irrt gewaltig. Denn wer genauer hinsieht und einen kleinen Fußmarsch nicht scheut, stößt hier auf einmalige Orte, die man nie wieder vergisst. Es heißt nicht umsonst: »Wer sich in Sylt verliebt, den lässt die Leidenschaft nie wieder los.« Vom Millionär und Gentleman-Playboy Gunter Sachs stammt folgendes Zitat zum anderen Gesicht der Insel: »Ich fühle mich in Kampen auf Sylt ein bisschen wie ein Affe im Zoo … aber mit lieben Besuchern.«

Klar, wer den Sound neuester Sportwagen, Champagner und teure Boutiquen zum Glücklichsein braucht, wird auf Sylt ebenfalls fündig. Jeder wie er mag … und ich glaube, das beschreibt die Mentalität der Menschen hier am besten.

Sylt in Zahlen:

Länge von Nord nach Süd: 38 Kilometer

Breite von West nach Ost: 12,6 Kilometer (an der schmalsten Stelle sind es weniger als 500 Meter)

Und weil eben keine Straße nach Sylt führt, erfolgt die Anreise nur per Autozug, Fähre oder Flugzeug. Wer sich auf den Weg macht, dem wünsche ich viel Spaß auf der Insel. Vielleicht laufen wir uns ja zufällig bei Gosch über den Weg und essen zusammen ein Fischbrötchen. Aber Vorsicht: Nicht nur ich, sondern auch die Möwen dort sind verdammt hungrig ;)

Wir danken dem Hartung-Verlag/Neumünster für die Zurverfügungstellung des Motivs (Design: Stephanie Wilm).

1

»Darf ich dir nachschenken?«, fragte Rechtsanwalt Doktor Burdinski. Er wartete keine Antwort ab, sondern langte nach der edlen Karaffe und ließ einen großzügigen Schluck von deren goldbraunem Inhalt in einen erlesenen Cognacschwenker fließen. »Immerhin gibt es was zu feiern. Oder siehst du das anders?«

Alexander Stoll – seines Zeichens ebenfalls Doktor, allerdings der Humanmedizin – schaute eine Weile in sein Glas und inhalierte genüsslich, bevor er reagierte. Zunächst mit einem Nicken, zu dem er immer breiter lächelte. »Wie hast du das eigentlich angestellt?«

Burdinski hob abwehrend die Hände, sein Gesicht hätte es mit der fleischgewordenen Unschuld aufnehmen können. »Angestellt … wo denkst du hin, mein Lieber?«

»Die Frau ist durch mein Verschulden gestorben«, räumte Alexander Stoll flüsternd ein. Gleichzeitig richtete er sich vor dem Schreibtisch kerzengerade auf und stellte sein Glas ab. Offenbar hatte er soeben die Lust am kostspieligen Cognac verloren. »Ich weiß zufällig, dass einige Kollegen ihre Zulassung schon für weniger abgeben mussten. Also … wie hast du das Wunder fertiggebracht?«

»Sekunde! Du hattest vielleicht nicht deinen besten Tag im OP und hättest merken müssen, dass du bei dem Routineeingriff die Bauchaorta angekratzt hast. Aber ich muss dir doch hoffentlich nicht erklären, wie oft das im Klinikalltag passiert?«

Stoll zuckte mit den Schultern.

Was den Anwalt umso energischer auf den Plan rief: »Erfreulicherweise ist dein Missgeschick einem vom Nachtdienst aufgefallen, und man hat …« Ein Blick in die Unterlagen war erforderlich. »… Jasmin Eckert ein weiteres Mal operiert. Bei dem Eingriff konnte die Bauchaorta verschlossen und die Patientin vorerst gerettet werden.«

»Vorerst!«, betonte Stoll mit erhobenem Finger. Er wollte zum Cognacschwenker greifen, besann sich jedoch eines Besseren. »Diese Frau Eckert ist dem Tod im wahrsten Sinne des Wortes von der Schippe gesprungen.«

»Und später einer Infektion zum Opfer gefallen. Richterin, Staatsanwaltschaft und ich waren uns sofort einig, dass man dich nicht für alle multiresistenten Keime dieser Welt verantwortlich machen kann. Jasmin Eckert ist tot – ja! Aber sie ist nicht allein durch deinen Fehler, sondern durch die allgemeinen Umstände in unseren Krankenhäusern gestorben. Punkt!«

Jetzt langte Alexander Stoll doch zu seinem Glas und leerte es mit einem großen Schluck.

»Noch einen?«, fragte Burdinski.

»Ich muss noch fahren! Also nein … lieber nicht.«

»Was ist mit der Zeitung, die dich als Dr. Tod verunglimpft und durch den Kakao gezogen hat? Soll ich die Schmierfinken auf Schadenersatz verklagen oder zumindest eine Gegendarstellung einfordern?«

Während Stoll überlegte, starrte er in sein leeres Glas, als wäre dort eine Antwort zu finden. Dann hob er den Blick und stöhnte leise. »Kann ich mir die Geschichte ein paar Tage durch den Kopf gehen lassen. Ehrlich gesagt habe ich die Nase voll von …«

»Es geht um deine Reputation, Alex! Um deinen guten Ruf als Arzt und um …«

»Ich bin freigestellt, und mein Ruf ist ohnehin erst mal ruiniert. Glaubst du, daran ändert sich was, wenn deine Schmierfinken auf der letzten Seite eine Gegendarstellung veröffentlichen?«

»Es ist allein deine Entscheidung.« Burdinski umrahmte seinen Schreibtisch mit weit ausholender Geste. »Ich kann mich über Arbeitsmangel nicht beklagen, und wenn ich die Sache für dich übernehme, dann nur aus langjähriger Verbundenheit. Immerhin habe ich schon deinen Vater in sämtlichen juristischen Angelegenheiten betreut.«

»Das ist nett«, nuschelte Alexander Stoll und erhob sich im selben Atemzug. Unter ihm knirschte das edle Leder des Besucherstuhls.

»Was macht denn dein neues Auto?«, fragte Burdinski, nachdem Hände geschüttelt und die üblichen Floskeln ausgetauscht worden waren. »Bist du zufrieden? Vollelektrisch wäre ja nicht so mein Ding. Wahrscheinlich bin ich zu alt für diesen neumodischen Schnickschnack.«

Stoll verharrte in der Bewegung. Sein Blick fiel durch ein Panoramafenster, das in diesem Büro beinahe eine komplette Wand einnahm. Dahinter war es Anfang November und gegen sieben Uhr abends längst dunkel.

Burdinski hatte dieser nicht vorhandenen Aussicht etwas hinzuzufügen: »Wenn man sich im Sommer auf Zehenspitzen stellt, kann man ganz links und mit viel Fantasie ein Stück vom Weststrand sehen. So viel, dass es dem Makler eine Erwähnung im Exposé wert war.«

»Ich bin ja nur auf Sylt unterwegs«, murmelte Stoll gedankenversunken.

Es dauerte einen Moment, bis Burdinski den Sinn dieser Aussage verinnerlicht hatte: »Ach so … du redest von deinem neuen Auto. Geht das mit dem Laden wirklich so schnell?«

Entweder hatte Alexander Stoll die Frage nicht gehört, oder er überging sie einfach. Jetzt hob er zum Abschied müde die Hand. »Wegen der Sache mit den Schmierfinken melde ich mich. Bis spätestens Ende der Woche.«

Vorbei am verwaisten Schreibtisch einer Sekretärin und mit angehaltenem Atem durch zwei Türen erreichte Stoll kurz darauf das Treppenhaus. Dort roch es nach Putzmitteln und der Spießigkeit eines Bürogebäudes, in dem ausschließlich Anwälte und Ärzte residierten. Für Westerländer Verhältnisse handelte es sich eher um die sogenannte zweite Reihe. Trotzdem durfte man für höchstens sechzig Quadratmeter locker einen siebenstelligen Betrag hinblättern.

Draußen auf der Straße inhalierte Stoll die kühle salzige Luft einige Male, bevor er sich wieder in Bewegung setzte. Seinen brandneuen Tesla hatte er in der nächsten Querstraße an einer Ladesäule geparkt. Eigentlich perfekt. Man erledigte die Dinge, die erledigt werden mussten, und nebenbei füllte das Schätzchen seine Akkus. Wenn man gerade nichts zu erledigen oder die Ladesäule einen schlechten Tag hatte, nervte dieser Vorgang jedoch kolossal.

Mit jedem Schritt ließ die Anspannung ein wenig nach.

Als Stoll keine fünf Minuten später zuerst das Ladekabel entfernte und dann auf den Fahrersitz plumpste, war das Gespräch mit Burdinski und dessen Anlass für einen Moment beinahe vergessen.

Doch das Thema holte ihn mit brutaler Gewalt wieder ein. Eine Frau war tot, und er hatte zweifellos seinen Teil dazu beigetragen.

Und genau deshalb mussten Patienten vor einer OP einen Berg von Formularen unterschreiben. In jenem Fall hatte die Mutter dreier Kinder brav ihre Unterschriften geleistet. Natürlich, ohne das kleingedruckte Fachchinesisch zu lesen. Wer tat das schon?

»Sechs, drei und anderthalb«, flüsterte Alexander Stoll, schließlich erinnerte er sich an das Alter der Kinder, denen er die Mutter genommen hatte. »Dr. Tod macht’s möglich«, fügte er verbittert hinzu und stieß ein hysterisches Lachen aus. Eines, für das man ihm anderenorts ohne die leisesten Bedenken eine Zwangsjacke verpasst hätte.

Er schüttelte den Kopf und versuchte, auf diese Weise all die lästigen Gedanken zu vertreiben. Burdinski hatte recht: Wie viele ärztliche Kunstfehler wurden vertuscht oder passierten offiziell gar nicht, weil sie unentdeckt blieben? Auf den OP-Tischen dieser Nation starben jedes Jahr tausende Patienten, die nicht hätten sterben müssen – zumindest noch nicht! Jasmin Eckert war nur eine von vielen.

»Eine, die drei Kinder und einen Mann hinterlässt«, murmelte er an sich selbst gerichtet, bevor sein rechter Fuß endlich das Bremspedal fand. Und er wollte gerade den Fahrmodus aktivieren, als er hinter sich etwas hörte. Die Scheiben rundherum waren beschlagen, und das galt auch für den Innenspiegel.

Noch glaubte Stoll an jemanden, der neben seinem Wagen Position bezogen hatte. Wahrscheinlich wieder einer von diesen Weltverbesserern, die ausgerechnet ihm vorhalten wollten, dass er einen Tesla fuhr und wen er damit unterstützte. Solche Diskussionen hatte er zuhauf hinter sich und war sie leid.

Er horchte und atmete schon erleichtert aus, da vernahm er abermals ein Geräusch. Es klang, als würde jemand einen Draht spannen …

2

POLIZEIREVIER WESTERLAND AM NÄCHSTEN MORGEN

»Der Typ steht da also vor dem Steakhouse in der Paulstraße, brüllt seine Frau an und schlägt auf sie ein. Hinter ihm zwei Kinder, die um die Wette heulen … und ich mittendrin«, berichtete Ole Friedrichsen, als ginge es um einen Actionfilm und seine Hauptrolle darin.

Das Publikum – Ralf Jansen hinter dem einen und Martin Clausen hinter dem anderen Schreibtisch – lauschte mehr oder weniger gebannt.

Ole fuhr im Tonfall eines Westernhelden fort: »Ich war ja nur zufällig da, weil ich Hunger hatte, und hab mich sofort als Polizist zu erkennen gegeben. Aber glaubt ja nicht, das hätte den Typen von irgendwas abgehalten. Der packt mich mit seiner Linken am Kragen, holt mit der Rechten aus, und was mache ich …?«

»Jetzt sag schon!«, kam es von Ralf. Dem war anzuhören, dass er genug von dieser vermeintlichen Räuberpistole hatte.

»Ich greife in die Trickkiste!«, ging es mit verschmitztem Lächeln weiter. »Wozu mache ich denn seit Monaten Kung-Fu?«

»Du hast auf jeden Fall nichts abgekriegt«, bestätigte Clausen, während er Ole musterte.

Der stand auf und fuchtelte mit den Armen. »Die Sache ist eigentlich ganz einfach, schaut genau hin! Mit der linken Hand unter den Arm des Angreifers, mit der rechten oben drüber. Dann verdreht man beide gegeneinander, und … der Typ lag schneller am Boden, als er Piep sagen konnte. Das hab ich gelernt, als ich …« Ole verstummte, weil hinter ihm die Tür aufflog.

Als kurz darauf Hannah Lambert mitten im Raum stand, herrschte dort einstweilen Stille.

Ralf brachte mühsam eine Begrüßung hervor. »Morgen, Chefin … Kaffee? Oder hatten Sie auf dem Weg schon welchen?«

Hannahs volle Aufmerksamkeit gehörte Ole. Ihr Gesicht verzog sich, wirkte beschämt und wütend zugleich. »Erzählst du gerade von meiner gestrigen Pleite?«

Oles Hände schossen empor, als wollte er sich ergeben. »Ich hab kein Wort von dir gesagt! Nur, dass ich den Typen …«

»Heißt das, du warst auch dabei?«, mischte sich Martin Clausen ein.

Hannah nickte. »Ich bin in sicherer Entfernung stehen geblieben und hab unserem Aushilfs-Bruce-Lee bei seinen Verrenkungen zugesehen. Außerdem hab ich Verstärkung gerufen, als Ole irgendwann am Boden lag.«

»Davon hat er bis jetzt gar nichts erzählt«, steuerte Ralf grinsend bei.

»Weil ich noch nicht fertig war! Als der Typ da lag, dachte ich, er würde endlich Ruhe geben. Stattdessen hat er eins meiner Beine gepackt und mich …«

»Was macht denn deine Schulter?«, fragte Hannah dazwischen. »Wolltest du nicht zum Arzt?«

Ole umfasste den lädierten Körperteil und schüttelte den Kopf. »Ich hab ‘ne Salbe von deiner Mutter draufgeschmiert, und es ist nicht mehr halb so schlimm wie gestern Abend.«

Erneut machte sich Schweigen breit. Eines von der unangenehmen Sorte, das Martin Clausen brach und dabei Hannah ansah. »Wie geht’s dir?«

»Besser.«

»Das sagst du seit Monaten und trotzdem …«

»So was braucht eben seine Zeit!«, giftete Hannah. Sie warf einen Blick in die Runde und schaute ihre Kollegen nacheinander an. »Hat hier einer den Eindruck, dass ich meine Arbeit nicht ordnungsgemäß erledige? Oder fühlt sich einer von euch durch mich bedroht und meint, ich sollte lieber nicht mehr …?«

»Du bist in erster Linie eine Gefahr für dich selbst«, stellte Ole klar. Er setzte einen Schritt nach vorne, wollte Hannah in den Arm nehmen, doch sie stieß ihn von sich und wirbelte in Richtung Tür herum. Einen Atemzug später war sie verschwunden.

»So geht das nicht weiter«, rekapitulierte Ole mit leiser Stimme. »Wenn sie nicht langsam wieder in die Spur kommt, geht sie über kurz oder lang vor die Hunde.«

»Die Chefin hat ein Extremerlebnis hinter sich«, gab Ralf zu bedenken. »Das volle Programm: Entführung, Nahtoderfahrung … das verkraftet niemand so schnell.«

Ole nickte, hatte allerdings etwas hinzuzufügen: »Sie muss sich dienstunfähig schreiben lassen und in die Hände eines Experten begeben! Wenn sie weiter jeden Tag in ihrem eigenen Morast herumstapft und sich nicht helfen lässt, dann …«

Abermals flog die Tür auf. Und wieder war es Hannah, die dieses Mal wie ausgewechselt wirkte. Ihre Stimme strotzte vor Tatendrang. »Habt ihr es schon mitbekommen?«

»Was mitbekommen?«, fragte Ole, der der Tür am nächsten stand.

»Boysenstraße … dort steht ein Tesla mit ‘ner Leiche drin.«

»Da ist wahrscheinlich einer sein Schmuckstück nicht losgeworden und hat deshalb keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als es auf die Weise zu beenden.«

»Hör mit deinen blöden Witzen auf und lass uns los, sonst …« Hannah zögerte einen Moment. »Ich kann das notfalls auch allein erledigen. Vielleicht lasst ihr mich hinterher in Ruhe und haltet mich nicht mehr für ‘ne völlig kaputte Allgemeingefahr.«

»Hast du dir mal Gedanken über meinen Vorschlag von letzter Woche gemacht«, erkundigte sich Ole kurz darauf im Auto vorsichtig.

Hannah saß neben ihm auf dem Beifahrersitz, die Hände gefaltet und zwischen den Knien eingeklemmt. »Welchen meinst du? Dass ich Urlaub machen soll, einen auf dienstunfähig oder …?«

»Ich rede von dem Arzt, den ich dir empfohlen habe. Und von der Klinik, in der man bereits einigen Kollegen geholfen hat.«

Hannah befreite ihre Hände aus der Umklammerung und nutzte ihre Rechte, um Ole einen Vogel zu zeigen. »Bad Lauterberg im Harz, du hast sie doch nicht mehr alle!«

»Die Klinik dort ist auf psychologische Extremfälle spezialisiert. Und wenn du erst mal nur ein paar Tage …?«

»Nicht einen einzigen! Nicht mal ‘ne Stunde!«

Ole stieß seine nächste Frage hektisch hervor, schließlich würden sie demnächst in der Boysenstraße ankommen. »Verrätst du mir dann bitte mal, wie es weitergehen soll? Mit dir, uns … der Arbeit?«

Hannah schaute ihn ehrlich entrüstet an. »Keine Ahnung, wovon du da redest. Ja, verdammt – ich hab ‘ne schwere Zeit hinter mir und bin bestimmt nicht zu hundert Prozent da. Aber das, was von mir übrig ist, reicht locker, um …«

»Während ich mich gestern Abend um einen tollwütigen Familienvater gekümmert habe, hast du dich im Hauseingang versteckt, und ich wusste nicht mal, wo du abgeblieben warst.«

Hannah zuckte mit den Schultern. »Ich hab immerhin Verstärkung gerufen, die dir schlussendlich den Arsch gerettet hat. Sonst hätte dich der tollwütige …«

»Darum geht’s doch gar nicht, Hannah! Früher wärst du selbst eingeschritten oder hättest mir wenigstens geholfen.« Ole schnaubte wie ein Walross. »Und heute? Verdünnisierst du dich und lässt mich die Kohlen allein aus dem Feuer holen.«

»Du hattest die Sache einigermaßen im Griff. Gut, als der Typ später auf dir gekniet hat und …« Hannah hielt inne und zeigte durch die Windschutzscheibe nach vorne. »Wir sind da. Am besten stoppst du da links hinterm Streifenwagen und lässt mich vorher raus.«

»Dann kommt hier niemand mehr durch.«

»Und genau so will ich es haben! Oder ist dir lieber, dass die Leute stehen bleiben, ein paar hübsche Selfies mit ‘ner Leiche machen und die sofort viral gehen?«

»Natürlich nicht, aber …«

»Nichts, aber! Du parkst hinter dem Streifenwagen und blockierst so die komplette Straße!«

Ole trat auf die Bremse und blieb ein gutes Stück vor dem erklärten Ziel stehen. »Ist das alles? Willst du mich wieder so abfertigen?«

»Was soll ich denn deiner Meinung nach sonst tun? Hier neben dir einen spontanen Seelenstriptease hinlegen und tränenüberströmt aussteigen? Gerne! Wenn du mir verrätst, wem damit geholfen ist. Na los, lass hören!«

»Du sollst dir endlich helfen lassen, egal, von wem«, flüsterte Ole resigniert.

Hannah deutete erneut nach vorne, brachte sogar ein schwaches Lächeln zustande. »Wird erledigt, Herr Friedrichsen. Aber erst mal kümmern wir uns um einen Toten …«

3

»Wenigstens ist nicht viel los«, murmelte Hannah nach dem Aussteigen. »Zu der Jahreszeit und bei dem Wetter hocken die meisten Touris in ihren Unterkünften und fragen sich, warum sie nicht zu Hause geblieben sind.«

»Ich mag deine positive Lebenseinstellung«, lobte Ole vor Sarkasmus triefend. »Ist das die Frau, die früher von stundenlangen Strandspaziergängen bei Nieselregen und steifer Brise geschwärmt hat?«

»Das ist die Frau, die dich nächstes Mal im Büro lässt«, konterte Hannah, wobei sie sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte. »Außerdem ist es was anderes, ob man spazieren geht oder …«

»Ich hab’s kapiert!« Ole begrüßte einen der Streifenkollegen – einen robust gebauten Hünen mit Knollnase – per Handschlag. Ein zweiter, wesentlich jüngerer Beamter hatte sich neben der Fahrertür des Tesla aufgebaut und empfing seine Kripokollegen mit aufgeregter Stimme: »Wir haben nichts angefasst und brav auf euch gewartet.«

»Habt ihr schon gecheckt, auf wen der Wagen zugelassen ist?«

»Das Teil ist erst zwei Monate alt und auf einen Dr. Alexander Stoll registriert. Wir haben uns mal sein Foto im Melderegister näher angesehen und …« Eine kurze Pause entstand, garniert mit einem Fingerzeig. »… das sieht dem Typen da hinterm Lenkrad verdammt ähnlich.«

Hannah nickte und beugte sich nach vorne, um einen Blick durch das Seitenfenster zu werfen.

»Der ist so was von tot«, meldete sich Streifenkollege Knollnase hinter ihr zu Wort.

Hannah reagierte nicht, sondern streckte Ole ihre offene Linke hin. »Handschuhe!«

»Wenn du so nett drum bittest.«

Hannah zog sich einen der Handschuhe über und langte mit spitzen Fingern zur äußersten Kante des Türgriffs.

»An der breiteren Stelle drücken«, ermahnte sie der jüngere Uniformierte. »Dann kommt der Griff automatisch raus.«

»Na dann … hoffentlich ruiniere ich damit keine Fingerabdrücke.«

Inzwischen stand Ole direkt hinter Hannah, um nichts zu verpassen. Während die Fahrertür Stück für Stück aufschwang, schlug ihm der typische Gestank entgegen. Die Tatsache, dass der menschliche Körper im Augenblick des Todes für gewöhnlich sämtliche Schleusen öffnet, wird nicht nur in Hollywood gern ignoriert. Hier in Westerland, Auge in Auge mit der Realität, drehte sich Ole fast der Magen um.

Sein Fazit lieferte er würgend: »Der hängt aber auch nicht erst seit ‘ner Stunde tot hinterm Lenkrad.«

Hannah, die sich trotz des Gestanks weiter nach vorne und in den Wagen hineinbeugte, fuhr zurück und wäre im Rückwärtsgang beinahe gestolpert.

»Keine Ahnung, wie ihr das aushaltet«, murmelte einer der Uniformierten.

»Alles okay?«, fragte Ole, der einen beherzten Schritt gemacht und seine Chefin durch entschlossenes Zupacken vor dem Schlimmsten bewahrt hatte.

Hannah brauchte einen Moment, bevor sie zu Worten imstande war.

»Nichts ist okay«, schniefte sie.

Weil eine Erklärung ausblieb, machte sich Ole auf den Weg, inhalierte noch einmal die weitgehend frische Luft und beugte sich nun ebenfalls in den Tesla hinein. Zuerst gab er grunzende Laute von sich, dann war es ein Knurren. Nachdem er sich wieder gestreckt und ein Stück auf Abstand gegangen war, schnappte er gierig nach Atem und wandte sich an seine uniformierten Kollegen.

»Wir haben es definitiv mit einem Tötungsdelikt zu tun.« Er deutete in die Runde. »Ihr sperrt hier alles ab und ordert ‘nen Abschlepper. Das Schätzchen geht samt Leiche nach Kiel. Hab ich was vergessen?«, fragte er an Hannah gewandt.

Kopfschütteln. Trotzdem winkte sie ihn herbei.

»Was ist denn? Doch noch was?«

Hannahs Miene war eine Mischung aus Verzweiflung und blanker Panik. Sie zeigte zum Tesla, dessen offene Fahrertür ein Bild des Schreckens bot. »Das ist niemals Zufall.«

»Was meinst du? Kennst du den Typen, hab ich schon wieder was versäumt oder …?«

Hannah schüttelte den Kopf, wirbelte herum und stapfte bereits davon. Kurz darauf krachte sie auf den Beifahrersitz ihres Dienstwagens und schlug die Tür zu.

»Alles in Ordnung?«, fragte die Knollnase mit Uniform, die plötzlich neben Ole stand.

Der zweite Kollege gesellte sich hinzu und wies hinüber zu Hannah, die den Eindruck machte, als wäre sie innerhalb von Sekunden eingeschlafen. »Deine Chefin wirkt schon länger reichlich angeschlagen. Vielleicht solltest du mal mit ihr reden und …«

Oles Rechte schoss empor und sorgte für Ruhe. Ihm lag so einiges auf der Zunge, aber er schaffte es, alles zu verschlucken, und wandte sich zum Tesla. »Macht bitte die Tür zu, damit das hier kein Horrorfilm wird. Hat einer von euch den Abschlepper alarmiert?«

»Ist auf dem Weg. Am besten kümmerst du dich um deine Chefin, und wir sorgen dafür, dass sich eure Leiche auf die Reise nach Kiel macht.«

Ole überlegte und nickte dann. Eine halbe Minute später ließ er sich vorsichtig auf dem Fahrersitz neben Hannah nieder. Er schaute sie bewusst nicht an und hatte auch nicht vor, sie mit einer Frage zu nerven. Entweder fing sie von allein an oder sie würden sich eben schweigend auf den Rückweg zum Revier machen.

Zu seiner Überraschung begann Hannah jetzt leise: »Ich hab das schon mal gesehen.« Sie lachte kurz auf, ein klares Anzeichen von wachsender Verzweiflung. »Ein oder zwei Straßen weiter – auf jeden Fall nicht weit von hier.«

»Redest du von jemandem, der auf ähnliche Weise gestorben ist?«

»Auf haargenau dieselbe! Wenn ich mich nicht irre, sah die Garotte, mit deren Hilfe man damals einen gewissen Dr. Hildebrand umgebracht hat, ganz genauso aus.«

»Wie lange ist das her?«

»Keine Ahnung. Ich war neu bei der Kripo – also mindestens dreißig Jahre.«

»Erinnerst dich aber trotzdem noch an den Namen von diesem Doktor und daran, wie die Garotte ausgesehen hat? Du wirst mir langsam unheimlich, Hannah. Wenn du nicht irgendwann loszulassen lernst, dann …«

»Seinerzeit hat es nicht nur diesen Hildebrand erwischt! Und falls es dich beruhigt: Ich bin mir nicht mal sicher, ob wir es mit drei oder vier Todesopfern zu tun hatten. Ansonsten blieben sämtliche Fälle ungelöst.«

»Heißt das, ihr habt den Mörder nicht gefunden?«

»Was sollte ungelöst denn sonst heißen?«, stieß Hannah genervt hervor. Sie entschuldigte sich schwach lächelnd für ihr rüdes Auftreten und fuhr ein wenig sanfter fort: »Das war einer meiner ersten Fälle. Mein damaliger Chef wäre beinahe verrückt geworden, weil hier auf der Insel ein Arzt nach dem anderen dran glauben musste und ständig Druck von oben gemacht wurde.«

»Weil ein Doktortitel immer weit mehr bewegt, als wenn es Lieschen Müller erwischt«, setzte Ole fort. »Als wäre ein Menschenleben mehr wert, wenn …«

Hannah packte Ole am Arm und sorgte damit für abruptes Schweigen. »Der Täter von damals ist zurück.«

»Nach über dreißig Jahren? Hat der inzwischen Winterschlaf gehalten oder wieso …?«

Hannah unterbrach Ole abermals, dieses Mal jedoch mit einer hektischen Handbewegung. Sie zeigte hinüber zum Tesla, den die beiden Uniformierten nur gelegentlich vor neugierigen Passanten abschirmen mussten. »Ich will das volle Programm! Am besten wickelt unsere SpuSi das Teil in Folie und packt es erst in Kiel wieder aus. Ich will jeden Fingerabdruck und jedes Staubkorn aus dem Inneren.«

»Dann sollten wir den Abschlepper schnellstens canceln und uns was anderes einfallen lassen.«

Hannah schwieg, irgendwann nickte sie ansatzweise.

»Alles wie immer«, fasste Ole in seiner Not zusammen.

»Nicht alles wie immer … wir legen uns richtig in die Riemen, und ich schwöre dir: Wenn das derselbe Täter ist, bringe ich ihn dieses Mal zur Strecke. Ein zweites Mal kommt der mir nicht ungeschoren davon …«

4

»Alexander Stoll«, las Ralf von seinem Bildschirm ab. »Mitte dreißig, ledig …«

»… und neuerdings tot«, vervollständigte Martin Clausen, der mit seiner Ablage beschäftigt war. »Woher hast du überhaupt jetzt schon den Namen?«

»Hab mit einem der Streifenkollegen vor Ort telefoniert. Dieser Stoll hängt wohl seit gestern Abend tot hinterm Lenkrad seines Tesla. Die SpuSi ist unterwegs und soll das Umfeld näher unter die Lupe nehmen. Der Wagen geht – so, wie er ist – nach Kiel.«

»Was ist mit Hannah und Ole?«

Ralfs Gesicht verzog sich zu einem gequälten Lächeln. »Die hocken ein Stück weiter im Auto. Sieht so aus, als würden sie sich streiten.«

Clausen ließ einen Stapel Formulare auf seinen Schreibtisch klatschen und starrte kopfschüttelnd zur Decke. »Ich kenne Hannah seit Ewigkeiten, aber so hab ich sie nie erlebt. Diese Entführung und das ganze Drumherum stecken ihr immer noch in den Knochen.«

»Und es wird jeden Tag schlimmer, statt besser.«

»Weil sie sich nicht helfen lässt. Wenn das so weitergeht, müssen wir uns irgendwann zusammentun, sie überwältigen, in einen Sack stecken und in eine Klinik fahren.«

Ralf wollte etwas erwidern, doch sein Handy hielt ihn davon ab. Er schaute aufs Display und grinste, bevor er das Gespräch annahm.

»Wenn man vom Teufel spricht. Was gibt’s, Chefin?«, meldete sich Ralf.

»Auf jeden Fall ‘ne Menge Arbeit.«

»Darf ich den Lautsprecher anmachen, damit Martin …?«

»Von mir aus.«

»Stift und Zettel liegen bereit, kann losgehen.«

»Sie müssen alles über einen alten Fall in Erfahrung bringen«, begann Hannah. »Die Geschichte liegt gute dreißig Jahre zurück.«

»Dann muss wohl jemand ins Archiv und suchen.«

Hannah zögerte einen Moment. Jetzt klang sie in erster Linie nach künstlichem Frohsinn. »Ich wüsste jemanden, dem ich das zutraue und der …«

»Verstanden, Chefin! Noch was?«

»Es ging seinerzeit um eine Mordserie, hier auf Sylt, mit mindestens drei Opfern. Die SOKO, die damals mit der Aufklärung betraut war, trug den Namen Schneeweißchen.«

»Ist das ein Scherz?«

»Klinge ich, als wäre mir nach Scherzen zumute.«

»Schneeweißchen«, wiederholte Ralf, während er den absonderlichen Namen notierte. »Noch was?«

»Ich will alles: jede Akte, jede Mitschrift von Verhören, jedes Foto, jede …«

»Ist angekommen!«, unterbrach Ralf. Er fasste sich ein Herz. »Geben Sie mir wenigstens einen kleinen Tipp, wieso ein uralter Fall heute noch von Interesse ist?«

Hannah beschränkte sich auf eine denkbar kurze Antwort: »Der Mörder ist zurück.«

Ralf schaute hinüber zu Clausen, auf dessen Stirn man hätte Waschbrett spielen können. »Sind Sie sich sicher?«

»Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie alles zusammenhaben?«

»Selbstverständlich und falls …« Den Rest verschluckte Ralf, schließlich hatte seine Chefin das Gespräch beendet.

»Sie ist momentan ein echter Kotzbrocken«, urteilte Clausen mit dazu unpassendem Grinsen.

Ralf starrte auf seine Notizen. »Sagt dir die SOKO Schneeweißchen was?«

»Da war ich noch nicht hier auf Sylt. Ich hoffe mal, dass die Akten nach so vielen Jahren nicht längst im Schredder gelandet sind.«

»Hör bloß auf!«, reagierte Ralf beinahe panisch. »Wenn das der Fall ist, bringt mich die Chefin um und …«

»Weil ein anderer irgendwelche verstaubten Akten schreddern lässt?« Clausen überlegte. Jetzt verhieß auch seine Miene aufkeimende Sorgen. »Hast recht: Immerhin reden wir von Hannah, da ist der Irrsinn Programm.«

* * *

»Darf ich oder muss ich weiter hier draußen im Regen stehen?«, fragte Ole, der in der offenen Fahrertür stand und sich in den Wagen hineinbeugte.

»Klar darfst du«, erwiderte Hannah abwesend, während sie auf ihrem Smartphone wischte.

Ole fuhr mit seiner Beschwerde erst fort, nachdem er auf dem Fahrersitz gelandet war. »Das hörte sich vorhin aber ganz anders an. Da hast du mich aus dem Wagen geworfen und meintest, du müsstest unbedingt telefonieren. Allein!«

»Bin fertig. Was macht der Abtransport?«

»Hier kommt jede Minute ein Lkw mit Koffer an, der den Tesla mit nach Kiel nimmt. Außerdem warten wir auf einen Gabelstapler, der …«

»Sorgt der nicht für Schäden am Fahrzeug?«

Vor seiner Antwort stieß Ole hörbar sämtlichen Atem aus und holte ebenso heftig neue Luft. »Die Räder kommen in Stahlschienen, und der Stapler ist wohl so ‘n Monster, das auch locker zehn Tonnen trägt und üblicherweise für Notfälle bei der Bahnverladung gedacht ist. Keine Ahnung, wie genau es funktioniert, aber angeblich …«

»Ist gut«, unterbrach Hannah und winkte ab.

»Erzählst du mir, mit wem du unter vier Ohren telefonieren musstest?«

»Zuerst mit Ralf.«

»Ich weiß, er hat mich eben kurz angerufen.«

Hannah drehte sich zur Seite, zog die Brauen hoch. »Was wollte er? Herausfinden, ob ich jetzt völlig verrückt geworden bin?«

»Ich soll ihm und Martin nachher was von der neuen Dönerbude mitbringen. Davon abgesehen bin ich mir sicher, dass du nicht nur mit Ralf telefoniert hast. Da darf ich nämlich normalerweise zuhören. Weil sich richtige Kollegen, die etwas füreinander übrig haben, regelmäßig austauschen.«