Vergiss die Liebe nicht - Leni Behrendt - E-Book

Vergiss die Liebe nicht E-Book

Leni Behrendt

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Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Mit kühnem Schwung nahm der Zweisitzer die Kurve, die von der Straße zu der großen Tankstelle führte, und fuhr unverweilt durch das große Tor in die riesige Garage, die in Boxen aufgeteilt war. Gleich darauf wurde der Schlag geöffnet, eine Dame stieg aus und grüßte freundlich zu dem Mann hin, der eilfertig nahte. »Guten Tag, Borwe, sieht arg aus, mein ›David‹, wie?« »Bei dem Dreckwetter gar kein Wunder, gnädiges Fräulein. Soll aber wieder bald in Glanz erstrahlen, unser Guter. Wird er morgen gebraucht?« »Nein, da kann er genauso faulenzen, wie es Frauchen zu tun gedenkt. Also können Sie sich mit der Verschönerung Zeit lassen.« Während sie sprach, ließ sie ein Geldstück in der braunen Männerfaust verschwinden, gewissermaßen als Privileg für den biederen Alten, der sich neben seiner Rente noch einen Nebenverdienst in der Tankstelle geschaffen hatte. »Denn schönen Dank auch, gnädiges Fräulein.« »Bitte, gern geschehen.« Auch das waren immer die gleichen Worte, die diese beiden verschiedenen Menschen am Wochenende zu wechseln pflegten. Zwar waren diese fünf Mark für die Sekretärin Kirsten Sörlund auch Geld, doch sie gab es gern, weil sie dafür ihren »David« in zuverlässiger Betreuung wußte. Ganz leicht war es ihr nicht gefallen, den bescheidenen Wagen anzuschaffen, der ja nicht nur den Kaufpreis erforderte, sondern darüber hinaus Benzin, Garage und Pflege kostete. Aber sie wollte sich lieber einschränken, als auf die Bequemlichkeit eines eigenen Fahrzeuges verzichten. So richtig vom Schicksal bevorzugt kam sich Kirsten Sörlund wieder einmal vor, wenn sie an ihr schmuckes Heim dachte, das sie bald wie mit linden Armen umfangen würde. über ihren Etat, aber dafür hatte sie das Renommee, nicht mit »Krethi und Plethi« unter einem Dach hausen zu müssen, was für die Sekretärin des Seniorchefs der Firma Bronthusen und Söhne, ein großes Unternehmen von Ruf, nur von Nutzen sein konnte. Die Untergebenen waren stolz, sich zu ihm zählen zu dürfen, weil nur einwandfreie Mitarbeiter darin geduldet wurden.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Leni Behrendt Bestseller – 33 –Vergiss die Liebe nicht

Leni Behrendt

Mit kühnem Schwung nahm der Zweisitzer die Kurve, die von der Straße zu der großen Tankstelle führte, und fuhr unverweilt durch das große Tor in die riesige Garage, die in Boxen aufgeteilt war. Gleich darauf wurde der Schlag geöffnet, eine Dame stieg aus und grüßte freundlich zu dem Mann hin, der eilfertig nahte.

»Guten Tag, Borwe, sieht arg aus, mein ›David‹, wie?«

»Bei dem Dreckwetter gar kein Wunder, gnädiges Fräulein. Soll aber wieder bald in Glanz erstrahlen, unser Guter. Wird er morgen gebraucht?«

»Nein, da kann er genauso faulenzen, wie es Frauchen zu tun gedenkt. Also können Sie sich mit der Verschönerung Zeit lassen.«

Während sie sprach, ließ sie ein Geldstück in der braunen Männerfaust verschwinden, gewissermaßen als Privileg für den biederen Alten, der sich neben seiner Rente noch einen Nebenverdienst in der Tankstelle geschaffen hatte. »Denn schönen Dank auch, gnädiges Fräulein.«

»Bitte, gern geschehen.«

Auch das waren immer die gleichen Worte, die diese beiden verschiedenen Menschen am Wochenende zu wechseln pflegten. Zwar waren diese fünf Mark für die Sekretärin Kirsten Sörlund auch Geld, doch sie gab es gern, weil sie dafür ihren »David« in zuverlässiger Betreuung wußte.

Ganz leicht war es ihr nicht gefallen, den bescheidenen Wagen anzuschaffen, der ja nicht nur den Kaufpreis erforderte, sondern darüber hinaus Benzin, Garage und Pflege kostete. Aber sie wollte sich lieber einschränken, als auf die Bequemlichkeit eines eigenen Fahrzeuges verzichten.

So richtig vom Schicksal bevorzugt kam sich Kirsten Sörlund wieder einmal vor, wenn sie an ihr schmuckes Heim dachte, das sie bald wie mit linden Armen umfangen würde. Zwar ging die Miete der Wohnung auch

über ihren Etat, aber dafür hatte sie das Renommee, nicht mit »Krethi und Plethi« unter einem Dach hausen zu müssen, was für die Sekretärin des Seniorchefs der Firma Bronthusen und Söhne, ein großes Unternehmen von Ruf, nur von Nutzen sein konnte. Die Untergebenen waren stolz, sich zu ihm zählen zu dürfen, weil nur einwandfreie Mitarbeiter darin geduldet wurden.

Ebenso wie in dem Haus, wo Kirsten in der zweiten Etage ihre kleine Wohnung hatte. Daß sich da keine zwielichtigen Elemente einschleichen konnten, dafür sorgte ein Portier mit Umsicht und Strenge.

Also mußte sich auch die junge Dame eines gründlichen Verhörs unterziehen, die in diesem behüteten Haus Einlaß begehrte. Und die Fragen des Gestrengen hätten sich wohl gummibandartig ausgedehnt, wenn die dazukommende Kirsten ihnen nicht ein Ende gesetzt hätte. Erst ein Zögern, ein Stutzen, und dann der freudige Ruf: »Ja, Birthe, darf ich meinen Augen trauen? Bist du es wirklich?«

»Geliebte Base, hab’ Erbarmen und zweifle auch du nicht noch an meiner Echtheit, wie der Herr da«, kam es lachend zurück. »Ich bin wahr und wahrhaftig deine Base Birthe Sörlund, ehelich geboren, einundzwanzig Jahre, absolut nichts auf dem Kerbholz, zweimal mit Erfolg geimpft…«

»Und mit einem flinken Zünglein behaftet«, fiel Kirsten in das hellklingende Lachen ein. »Mädchen, was habe ich doch bloß für eine Mordsfreude, dich endlich wieder vor mir zu sehen.«

»Also«, warf die so freudig Anerkannte dem ›Zerberus‹ einen schiefen Blick zu, »werden Sie mich auch jetzt noch an die frische Luft setzen, wie Sie es liebend gern getan hätten?«

»I bewahre«, wehrte er schmunzelnd. »Ich heiße im Gegenteil die Dame herzlich willkommen. Und nichts für ungut.«

Wohlgefällig sah er den beiden Mädchen nach, die leichtfüßig die Treppe emporstiegen. Dann zog er sich beruhigt mit dem Bewußtsein zurück, seine Pflicht und Schuldigkeit getan zu haben.

Indes hatten die Damen auch die letzten Stufen erklommen und standen nun in einem Flur. Ein roter Läufer lag auf dem Linoleumboden, und in rotem Schleiflack prunkte auch die kleine Garderobe.

»Sehr hübsch«, meinte der Gast anerkennend. »Wenn die andern Räume das halten, was der Korridor verspricht.«

Und sie hielten es. Waren zwar einfach, aber behaglich eingerichtet.

»Nun, wie gefällt es dir bei mir?« fragte Kirsten die Base. »Es ist klein, aber mein.«

»So wohnst du hier allein?«

»Gott sei Dank. Doch nun wollen wir mal erst die Mäntel ausziehen und es uns dann gemütlich machen.«

Man tat’s in den Sesseln, die nebst der Couch einen niederen Tisch umstanden, und nun nahm Kirsten die Base erst einmal näher in Augenschein.

»Mädchen, du bist in den zwei Jahren, da wir uns zuletzt sahen, noch hübscher geworden«, stellte sie sachlich fest. »Ist das nicht unbequem?«

»Mich stört es nicht. Aber beklagen werde ich mich, da du so selten schriebst. Und dann auch immer nur eine Karte irgendwie aus der Weltgeschichte, dazu noch ohne Absender, so daß ich dir nie antworten konnte.«

»Die Antwort hätte mich nie erreicht, da ich ein wahres Zigeunerleben führte, indem ich mit meinem arbeitsbesessenen Chef heute hier, morgen dort war. Und das wäre auch heute noch der Fall, wenn der Mann, der mit seinen Kräften förmlich Raubbau trieb, nicht eines Tages schlappgemacht hätte.

So mußte er denn notgedrungen in die Heimat zurück, wo er denn auch bald starb. Doch vorher legte er mich seinem guten Freund Bronthusen gewissermaßen noch warm ans Herz, sonst hätte ich wohl den Posten in dem Betrieb nicht bekommen, der nur erstklassige Kräfte einstellt.

Und du, mein Liebes? Ich hätte mir nach unserer lieben Lilimutz’ Tod bestimmt Sorgen gemacht, wenn ich dich bei deinem Vormund nicht in den besten Händen gewußt. Wie geht es dem prächtigen alten Herrn?«

»Er starb vor einer Woche.«

»Aber mein Gott, Birthe, dann stehst du jetzt ja ganz allein«, sagte Kirsten betroffen. »Wie gut, daß ich mich aufraffte und dir vor einigen Wochen den Brief schrieb, obwohl ich mir die Zeit dafür förmlich abstehlen mußte, sonst hättest du mich ja gar nicht finden können.«

»Und hätte dann wirklich nicht gewußt, wohin ich mich wenden sollte, denn du bist ja meine einzige Zuflucht«, entgegnete das Mädchen leise, während ihm die hellen Tränen über das Gesicht liefen.

Doch schon sprach eine Stimme tröstend: »Weine nicht, mein Kleines, du bleibst jetzt bei mir. Kannst die Wirtschaft führen, während ich Brötchen verdiene.«

»Na, dazu kann ich wahrlich meinen Teil beitragen«, lachte Birthe schon wieder, während ihr die Tränen noch an den Wimpern hingen. »Denn so dumm bin ich nun auch wieder nicht, wie du anzunehmen scheinst. Habe ja schließlich mein Abitur gemacht, die Handelsschule absolviert, also die gleiche Ausbildung wie du, und habe außerdem noch meinen Vormund beerbt. Er hatte nämlich schon einige Monate vorher seine Praxis verkauft, weil ihm das Herz zu schaffen machte. Und da er keine Angehörigen besaß, vermachte er seiner langjährigen Wirtschafterin die Wohnung nebst einigen tausend Mark und mir das andere Geld.«

»Nun machen wir uns guten Kaffee.«

Man ging nach der Küche, die zwar klein, aber schmuck war. Kirsten stellte den blanken Kessel auf die Gasflamme, tat Bohnen in die Mühle und reichte sie der Base.

»So, mein Herzchen, nun nuddle mal fleißig. Zur Feier des Tages sind es drei Bohnen mehr. Bist du hungrig?«

»Nicht sehr, ich aß im Speisewagen Mittag.«

»Sehr vernünftig. Überhaupt vernünftig, am Sonnabend zu erscheinen, weil der Nachmittag frei ist. An andern Tagen hättest du mich kaum vor sechs oder gar sieben Uhr hier angetroffen.«

In dem Moment pfiff der Kessel, und Kirsten brühte den Kaffee, während Birthe unter ihrer Anleitung im Zimmer den Tisch deckte. Kuchen fand sich in einer Büchse auch noch vor, also konnte das Schmausen beginnen.

*

Eine Woche weilte Birthe Sörlund nun schon im Heim ihrer Base, das mancherlei Änderungen erfahren hatte. So wurde denn ein Bett sowie ein Schrank gekauft, was beides im Schlafzimmer Platz hatte. Geschirr mußte ergänzt werden und anderes mehr.

Birthe war glücklich, eine so traute Unterkunft gefunden zu haben, und Kirsten freute sich, daß sie diesem ihr so lieben Menschenkind ein solches bieten konnte.

Die Arbeitsbeschaffung für Birthe wollte immer noch nicht so recht klappen. Und zwar deshalb, weil Kirsten den gestrengen Herrn, der für die Einstellung der Lehrlinge kompetent war, immer noch nicht unter vier Augen sprechen konnte.

Doch heute schien es endlich zu klappen. Es war bereits nach Feierabend, als Kirsten den Gestrengen in seinem Arbeitszimmer verschwinden sah, und schon ging sie ihm nach. Allerdings unter Herzklopfen, was sie jedoch damit beschwichtigte: Ach was, den Kopf wird’s schon nicht kosten.

»Herein!« klang es markig auf ihr Klopfen, schon ein Zeichen, daß diese Stimme keinem Schwächling gehören konnte.

Und das war er auch wirklich nicht, der Graukopf von untersetzter Statur und energischem Gesicht. Über die Lesebrille hinweg lugten zwei scharfe Augen der Eintretenden entgegen, doch dann umzuckte ein Schmunzeln den schmalen Mund.

»Ei, sieh da, das charmante Fräulein Chefsekretärin. Man immer hereinspaziert in die gute Stube. Platzieren Sie sich und erleichtern Sie Ihr Herz. Wo zwickt’s denn, hm? Ist er wenigstens Ihrer wert?«

»Falsch getippt«, lachte Kirsten so hellklingend, daß wieder das vergnügte Schmunzeln sichtbar wurde.

»Dieser Er ist vorläufig noch ein Vexierbild und macht mir daher keinen Kummer. Aber meine Base Birthe Sörlund ist’s.«

Damit sprach sie auf ihn ein, der aufmerksam zuhörte. Erst als sie schwieg, fragte er: »Ist die Kleine hübsch?«

»Leider. Sogar von einer gefährlichen Schönheit.«

»Schon faul. Denn Sie wissen ja, was für Schürzenjäger wir im Betrieb haben, den schönen Sigesmund an der Spitze. Ist die Kleine kokett?«

»Bestimmt nicht, Herr Wörler. Sie ist ein herzfrohes Menschenkind, an dem alles blitzblank ist.«

»Hm, das läßt sich schon eher hören. Abitur hat sie, Handelsschule auch, dazu bei einem Anwalt halbjährige Praxis. Wissen Sie zufällig den Namen des Herrn und seine Anschrift?«

»Ja, hier ist sie, ich habe sie mir auf alle Fälle geben lassen.«

»Ausgezeichnet. Na, dann wollen wir mal…« Er griff nach dem Telefonhörer und stellte die Verbindung her, die auch gleich kam. Und da die Sache einen guten Verlauf nehmen sollte, meldete sich der Anwalt persönlich.

»Herr Dr. Grammert? Klappt ja großartig. Hier spricht Wörler, ein Prokurist der Firma Bronthusen. Ist Ihnen bekannt. Um so besser. Ich hätte nämlich gern eine Auskunft über Fräulein Birthe Sörlund. Aber bitte ohne Schönmalerei, kurz und präzise. Sie möchte hier nämlich als Lehrling eintreten.«

Und dann lauschte er der Stimme am andern Ende.

Dann endlich, endlich sprach Wörler wieder:

»Also wirklich keine Schönfärberei, auf Ehre nicht? Nun, das dürfte dann ja wohl genügen. Schicken Sie bitte der Kleinen ein Zeugnis zu, so der Ordnung halber. Besten Dank für die Auskunft, Herr Doktor.«

Lachend legte er den Hörer auf und blinzelte Kirsten zu.

»Mädchen, Sie machen ja Angstaugen wie eine schüchterne Maid vor dem ersten Kuß. Bin ich denn so ein Baubau?«

»Es geht an«, gab sie lachend zurück. »Aber augenblicklich scheint die hohe Laune gut zu sein. Also muß ich das Eisen schmieden, solange es noch warm ist. Wie war die Auskunft?«

»Ausgezeichnet. Und ich möchte sie sogar für bare Münze nehmen, da der Mann sachlich blieb. Warum haben Sie mir übrigens verschwiegen, daß die Kleine Geld hat?«

»Ich hielt es für unwichtig.«

»Hm. Auch, daß Ihre Birthe bereits zwei Körbe austeilte?«

»Tatsächlich?« gegenfragte sie aufs höchste überrascht. »Davon weiß ich wirklich nichts.«

»Also ein Zeichen, daß die Kleine keine Angeberin ist, sonst hätte sie sich bestimmt damit gebrüstet.

Und nun hören Sie mal zu, Fräulein Sörlund: Ich will es mit Ihrer Base versuchen. Allerdings kann ich ihr bei der Prüfung nichts schenken. Im Gegenteil, ich muß sie noch strenger führen als gewöhnlich, damit man uns keine Protektion nachsagen kann. Kapiert?«

»Und wie. Ich danke. Ihnen, Herr Wörler.«

»Schon gut. Bringen Sie die Kleine morgen mit, und nun ab mit Ihnen.«

Damit schob er sie aus der Tür, und Kirsten machte sich vergnügt auf den Heimweg. Als sie die Tür aufschloß, stieg ihr ein lieblicher Duft in die Nase.

Und dann stand sie zuerst einmal sprachlos vor einer Ente, die Birthe gerade tranchierte. Allerliebst sah sie aus mit der weißen Kittelschürze und dem malerisch um den Kopf geschlungenen bunten Tuch. Die Wangen glühten vor Eifer, die Augen strahlten.

»Ja, Mädchen, was fällt dir denn ein«, fand Kirsten endlich die Sprache wieder.

»Der Festtagsschmaus hat schon seine Richtigkeit, Geburtstagskind«, lachte Birthe lustig.

»Ach du liebes bißchen, den hatte ich ja ganz vergessen!«

»Aber ich nicht. Geh schon vor, ich bringe sogleich das lukullische Mahl nach.«

In dem Zimmer gab es für Kirsten eine neue Überraschung. Denn da prangte auf dem kleinen Tisch ein Rosenstrauß, niedliche Kleinigkeiten lagen daneben, und auf der Sessellehne hing der helle elegante Flauschmantel, den sie bei einem Bummel durch die Straßen in einem Schaufenster so sehr bewunderte.

»Leider kann ich ihn mir nicht kaufen«, hatte sie resigniert zu Birthe gesagt. »Denn dieser sündhafte Preis ist nichts für mein Portemonnaie.«

Und nun lag dieses begehrte Kleidungsstück plötzlich so lockend vor ihr, also kein Wunder, daß der Beschenkten die Tränen kamen. Zärtlich nahm sie das weiche Gesichtchen der Base in die Hände und drückte einen Kuß auf die frischen Lippen.

»Birthelein, ich danke dir«, sagte sie leise. »Ich nehme es gern, weil ich weiß, wie gern es gegeben wird.«

Wenig später saßen sie dann an dem zierlich gedeckten Tisch, dem Birthe durch Blumen eine festliche Note gegeben hatte. Die Sektgläser darauf waren neu.

Vergnügt ließ man sich den knusprigen Vogel schmecken. Und als das köstliche Naß so verlockend perlte, stieß Kirsten mit der Base an und sagte verschmitzt: »Ich hab’ aber auch ein Geschenk für dich, du sollst morgen zur Prüfung antreten.«

»Waas?« Da hätte Birthe vor Überraschung fast das Glas fallen lassen. »Ist das auch kein Scherz?«

»Mit schwerwiegenden Dingen pflege ich keinen Scherz zu treiben, Liebes. Und schwerwiegend sind sie – leider; denn dein Prüfer wird dich nicht zu knapp in die Zange nehmen.«

Sie erzählte nun ausführlich, und mit fast atemloser Spannung hörte Birthe zu. Je länger die Base sprach, um so banger wurde ihr zumute.

*

Auf dem Riesengelände der chemischen Werke Bronthusen und Söhne wimmelte es wie im Ameisenhaufen; denn da eilten Hunderte von Menschen an ihre Arbeitsstätte.

Da gab es Fahrzeuge, vom schmucken Auto angefangen bis zum einfachen Fahrrad. Von allen Ecken strömten die Menschen herbei, doch die meisten kamen von der Werksiedlung, die sich hinter dem Gelände sauber und gar stattlich hinzog und den Bronthusenleuten, wie sie allgemein genannt wurden, schmucke Heime bot.

Als letztes Gefährt kam »David« angebraust, wohlweislich von Kirsten so eingerichtet. Wenn sie dadurch auch etwas verspätet an ihren Arbeitsplatz kam, so war das immer noch besser, als daß man sich über ihre bildschöne Begleiterin die Zungen zerriß. Das konnten sie immer noch, wenn diese hier angestellt werden sollte.

»So, jetzt ist die Luft rein«, sagte Kirsten zufrieden, nachdem sich auch die Säumigsten verzogen hatten. »Hopp, mein Mädchen, jetzt wird die Sache ernst.«

Fort ging’s durch ein riesiges Portal, über Treppen und Gänge, bis Kirsten vor einer Tür haltmachte, die ein Schild mit der Aufschrift trug: »Wörler – Erster Prokurist«. Sie klopfte, das markige »Herein« klang auf, dann wurde Birthe energisch durch die Tür geschoben, die sich lautlos hinter ihr schloß.

Was sie zuerst erspähte, war ein breiter Rücken, dem sich ein grauer Hinterkopf anschloß. Dann wurde der Kopf mit aufreizender Langsamkeit herumgedreht, und zwei durchdringende Augen musterten das Mädchen über die Brille hinweg.

So muß es sein, wenn eine Schlange auf ein Kaninchen starrt, schloß es Birthe durch den Sinn. Und so furchtsam schaute sie auch dem Mann entgegen, der sich nun erhob und auf sie zutrat.

»Birthe Sörlund.«

»Also die Base unserer charmanten Chefsekretärin«, blitzte es in seinen Augen humorvoll auf. Doch nur augenblicklang, dann schauten die Augen wieder streng. Und so klang auch seine Stimme.

»Nehmen Sie Platz, Fräulein Sörlund. So – und nun bitte ich um Ihre Personalien.«

Automatisch leierte Birthe diese herunter und wartete dann bangklopfenden Herzens der Dinge, die da kommen sollten.

»Na ja«, rieb der Gestrenge sich das Kinn. »Soweit wäre ja alles in Ordnung. Fragt sich nur, ob Sie das Wissen haben, das hier von einem Lehrling verlangt wird. Wollen Sie sich der gewiß nicht leichten Prüfung unterwerfen?«

»Ich bitte darum.«

»Na schön. Wie steht es mit den Sprachen?«

»Englisch und Französisch ziemlich perfekt, Spanisch weniger.«

»Na, denn man los.«

Und nun folgten Fragen, hin und her, kreuz und quer. Dann kam die Stenographie, die Schreibmaschine und zwischendurch immer wieder Fragen, Fragen.

Jetzt fragt er bestimmt noch, warum die Kuh einen Schwanz hat, dachte Birthe verzweifelt. Allein, die Frage unterblieb, dafür erfolgte jedoch eine nicht weniger verblüffende: »Was ist Papier?«

»Papier ist geduldig«, entgegnete das geplagte Wesen mit dem Fatalismus, der ja bekanntlich auf alles gefaßt ist, und horchte dann auf das amüsierte Lachen, wie auf eine Ungeheuerlichkeit.

»Na, lassen wir es jetzt genug sein des grausamen Spiels«, sprach dann die gefürchtete Stimme ganz freundlich. »Gehen Sie nach Hause, reichen Sie Ihren Lebenslauf ein – alles Weitere wird sich finden.«

Wie bedammelt verließ Birthe Sörlund den Ort der Qual. Und als Kirsten in dem traulichen Heim erschien, fand sie ihre sonst so couragierte Base in kläglicher Verfassung vor.

»Ex –«, war alles, was sie zuerst sagte. Doch nach und nach folgte eine ausführliche Schilderung über das verpatzte Examen.

»Mach dir nichts draus, mein Liebes«, tröstete Kirsten. »Wenn es nicht diese arroganten Bronthusen-Werke sein können, dann sind es eben andere. Denn überall wird ja Brot gebacken und mit Wasser gekocht, wie ein Sprichwort es so treffend ausdrückt. Du kommst bestimmt irgendwo anders unter, wo man nicht auf einem so hohen Roß reitet.«

»Lohnt es überhaupt, meinen Lebenslauf einzureichen?«

»Auf alle Fälle kannst du es ja tun. Aber gib dich dabei keinen großen Hoffnungen hin.«

Das tat die enttäuschte Birthe nun wirklich nicht und war daher nicht wenig erstaunt, als sie eine Woche später den brieflichen Bescheid bekam, unter angeführten Bedingungen ihren Dienst in den Bronthusen-Werken sofort anzutreten, da morgen der erste Dezember war.

*

Wie in allen großen Betrieben, so waren auch in den Bronthusen-Werken die Angestellten in Gruppen eingeteilt, die einem Personalchef unterstanden, und diese Chefs hatten wiederum als nächste Instanz den Ersten Prokuristen Wörler über sich. Also eine durchaus einflußreiche Persönlichkeit, die bei den beiden »Hoheitschefs« ein großes Ansehen genoß. Daher fürchtete man ihn mehr, als man ihn liebte.

Doch daraus machte der sich herzlich wenig. Ging unbeirrt seinen Weg und kümmerte sich nicht um Klatsch und Tratsch, wie es unter so vielen Menschen ja nicht ausbleiben kann.

Man war bei ihm auch an allerlei Überraschungen gewöhnt. Doch daß er am ersten Dezember so ganz sang- und klanglos mit einem Lehrling anrückte, das fand der Abteilungsleiter Kreuth, der in dieser Abteilung drei so untergeordnete Wesen zu betreuen hatte, denn doch etwas stark.

»Ich bitte Sie, Herr Wörler, ich habe doch schon drei Lehrlinge zu betreuen«, wagte er einzuwenden, doch eine kurze Handbewegung schnitt ihm das Wort ab.

Die Tür klappte zu, und Birthe Sörlund stand da wie bestellt und nicht abgeholt.

Die vier Augenpaare, die sie förmlich suggerierten, waren ihr unbequem. Hauptsächlich das des Mannes, den man mit »geschniegelt« und »gebügelt« bezeichnen konnte. Tadellos gekleidet, mittelgroß, mit einem weichlichen Gesicht, zu regelmäßigen Haarwellen und dreisten dunklen Augen, die das vor ihm stehende Mädchen ganz ungeniert musterten. Die Stimme war reichlich perfid, die nun fragte: »Wie heißen Sie?«

»Birthe Sörlund.«

»Sind Sie etwa mit der Chefsekretärin verwandt?«

»Sie ist meine Base.«

»Aha. Na, Schwamm drüber. Fräulein Liebnitz, Sie machen wohl Ihre Kollegin mit dem Nächstliegenden

bekannt, ich habe jetzt anderes zu tun.«

Damit ging er ins Nebenzimmer, die Tür schloß sich geräuschvoll, und dann war Birthe unter ihresgleichen. Die mit Fräulein Liebnitz Betitelte musterte den unverhofften Zuwachs kritisch mit den runden Kirschenaugen, bis Birthe spöttisch fragte: »Nun, Musterung zur Zufriedenheit ausgefallen?«

Zuerst lief das kecke Gesichtchen rot an, doch dann gruben sich zwei Grübchen in die rosigen Wangen.

»Na, es geht. Eigentlich sind Sie zu schön, um wahr zu sein. Nun ziehen Sie mal Ihren Mantel aus und hängen ihn in diesen Schrank, den wir alle redlich miteinander teilen müssen.«

So gingen die Belehrungen weiter, bis Birthe soweit war, endlich an dem langen Tisch Platz nehmen zu können, der schräg an das breite Fenster gerückt war und den vier Mädchen bequem Platz bot.

»So, nun platzieren Sie sich«, wurde Birthe von der Kirschäugigen, die hier wahrscheinlich das Wort führte, bedeutet. »Und da wir höfliche Leute sind, sei Nam’ und Art erklärt. Das da ist Wilma, die Sanfte, das hier ist Bärbel, die Lachtaube, meine Wenigkeit benamst sich mit Inge, die Kedie – und Sie?«

»Mit Birthe Sörlund.«

»Genügt nicht, ein Beiname muß her.«

»Die Schöne«, gurrte die Lachtaube dazwischen, was sofort anerkannt wurde, dann setzte Inge sich in Positur und erklärte pathetisch: »Alles hört auf mein Kommando weil ich der älteste Lehrling hier bin.«

»Hört, hört, Heiterkeit links.«

»Die du mal jetzt unterdrücken wirst meine alberne Lachtaube. Und Sie, Neuling, sind Sie gewillt, sich den Statuten unseres Klubs zu beugen?«

»Dazu müßte ich sie erst einmal kennen«, gab Birthe todernst zurück, während ihre Augen lachten. »Erstens…?«

»Wir nennen uns du, von wegen der Solidarität.«

»Ich bin mit dem größten Vergnügen dabei.«

»Schon sehr günstig. Gepetzt wird hier nicht, verstanden?«

»Jawohl.«

»Nach Männern geschielt wird nicht im Dienst.«

»Sonst ja?«

»Meine liebe Birthe, ich bitte mir mehr Achtung vor meiner seriösen Persönlichkeit aus. Also: Geschielt wird hier nicht nach Männlichkeiten. Wohin das führt, haben diverse Entlassungen bewiesen. Dann mußten sie zurück zu Muttchen und weinten sich die allzu schieligen Augen aus. Willst du das?«

»O nein«, blieb Birthe immer noch todernst. »Ich habe nämlich gar kein Muttchen und wohne bei meiner Base Kirsten Sörlund.«

»Na, da bist du ja in bester Hut, also ist jeder Kommentar überflüssig.«

»Ganz meine Meinung«, kam es von der Tür her, durch die der Abteilungsleiter Kreuth soeben schritt. »Und mein Kommentar ist, daß Sie hier zum Arbeiten da sind und nicht zum Albern. Was haben Sie bisher gemacht, Fräulein Sörlund?«

»Gar nichts. Ein Lehrling muß ja schließlich angeleitet werden.«

»Die kecke Sprache gewöhne ich Ihnen schon noch ab«, stieg dem Mann die Zornesröte ins Gesicht. »Unerhört! Hier haben Sie eine Liste mit Zahlen, addieren Sie diese.«

Ein Blatt krachte auf den Tisch – und die Tür hinter dem aggressiven Herrn zu.

»Hingeschmissen wie für einen Hund«, stellte Inge ungerührt fest. »Schade, daß es keinen Kursus für unhöfliche Abteilungsleiter gibt, der würde diesem Flegel bestimmt zugute kommen. Du scheinst für diesen ein rotes Tuch zu sein, warum?«

»Keine Ahnung«, entgegnete Birthe achselzuckend. »Vielleicht gefällt ihm meine Nase nicht.«

»Aber die ist doch sehr schön«, lachte die Taube. »Na, tun wir unsere Pflicht.«

Nach Feierabend fuhren die beiden Basen im »David« gemeinsam nach Hause. Während der Fahrt wurde nur wenig gesprochen, weil Kirsten auf die Fahrbahn achten mußte, die ziemlich glatt war. Denn es hatte bis vor einer Stunde noch geregnet und dann plötzlich Frost eingesetzt. Dazu wehte ein kalter Wind, also war es recht ungemütlich draußen. Doch um so gemütlicher war es in dem kleinen Heim, wo die Zentralheizung eine wohlige Wärme verbreitete.

»Schön ist das«, sagte Birthe, sich in den Sessel schmiegend und nach einer Zigarette greifend.

»Erzähle, wie der erste Tag deines Dienstes verlief«, fragte Kirsten interessiert.

»Soweit ganz zufriedenstellend. Die drei Mädchen sind nett, es wird sich gut mit ihnen auskommen lassen. Nur dieser Kreuth ist einfach unleidlich. Ich weiß nicht, was er gegen mich hat.«

»Schikanierte er dich?« fragte Kirsten hastig dazwischen.

»Man könnte es so bezeichnen.«

»Tja, da werde ich dir wohl klaren Wein einschenken müssen, wie man so sagt. Also: Kannst du dich noch darauf besinnen, daß ich während meiner Lehrzeit die Stelle wechselte?«

»O ja. Warum geschah das eigentlich? Du sowie Lilimutz wolltet nie so richtig mit der Sprache heraus.«

»Aus dem Grunde, weil du damals noch ein Kind warst.«

»Du, sag mal, war Kreuth etwa dein erster Chef?«

»Ganz recht.«

»Daher kam mir der Name auch so bekannt vor. Aber sprich nur weiter.«

»Ich trat als Lehrling in seine Fabrik ein und avancierte schnell. Warum? Weil mein Chef nicht nur eins, sondern beide Augen auf mich geworfen hatte.

Das ahnte ich damals jedoch nicht, denn ich war ja in einer reinen Atmosphäre groß geworden. Ich freute mich sogar darüber, daß mein Chef so nett zu mir war – bis – ja, bis er eines Tages zudringlich wurde – das riß mich denn doch aus meiner Harmlosigkeit. In meiner Empörung rutschte meine Hand aus – was ja bekanntlich kein solcher Abgott vertragen kann – also wurde ich fristlos entlassen.«

»Und was sagte Lilitmutz dazu?«