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Daniel Shapiro

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Beschreibung

Die nächste Stufe der Harvard-Verhandlung Ob politische Konflikte, knirschende Geschäftsbeziehungen oder scheiternde Ehen: Daniel Shapiro, Gründer und Direktor des Harvard International Negotiation Program, stellt in seinem Buch eine bahnbrechende neue Methode vor, Gräben durch Verhandlung zu überwinden. Konfliktlösung gelingt nur dann, so Shapiro, wenn wir wissen, dass es neben rationalen und emotionalen Differenzen im Kern um Identität geht. Um die eigene und die des anderen. Beim Verhandeln geht es auch um Glaubenssätze, Rituale, Loyalitäten, Werte und Prägungen. Wenn diese verletzt werden, sind Probleme programmiert. Shapiro erklärt uns die Mechanismen und Eskalationsstufen in menschlichen Beziehungen und zeigt praxisnah, wie wir Verhandlungen erfolgreich führen und dabei Konflikte nicht nur lösen, sondern diesen auch vorbeugen. - Daniel Shapiro hat die Harvard-Verhandlungsmethode auf eine neue Stufe gehoben. - Sein Ansatz geht in seiner psychologisch-emotionalen Dimension weit über das "Harvard-Konzept" hinaus. - Wer Shapiros Prinzip verinnerlicht, kann beim Verhandeln nicht verlieren.

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Seitenzahl: 545

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Daniel Shapiro

Verhandeln

Die neue Erfolgsmethode aus Harvard

Aus dem amerikanischen Englisch Jürgen Neubauer

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Ob politische Konflikte, knirschende Geschäftsbeziehungen oder scheiternde Ehen: Daniel Shapiro, Gründer und Direktor des Harvard International Negotiation Program, stellt in seinem Buch eine bahnbrechende neue Methode vor, Gräben durch Verhandlung zu überwinden. Konfliktlösung gelingt nur dann, so Shapiro, wenn wir wissen, dass es neben rationalen und emotionalen Differenzen im Kern um Identität geht. Um die eigene und die des anderen. Beim Verhandeln geht es auch um Glaubenssätze, Rituale, Loyalitäten, Werte und Prägungen. Wenn diese verletzt werden, sind Probleme programmiert.

Shapiro erklärt uns die Mechanismen und Eskalationsstufen in menschlicher Beziehungen und zeigt praxisnah, wie wir Verhandlungen erfolgreich führen und dabei Konflikte nicht nur lösen, sondern diesen auch vorbeugen.

- Daniel Shapiro hat die Harvard-Verhandlungsmethode auf eine neue Stufe gehoben.

- Sein Ansatz geht in seiner psychologisch-emotionalen Dimension weit über das »Harvard-Konzept« hinaus.

- Wer Shapiros Prinzip verinnerlicht, kann beim Verhandeln nicht verlieren.

Vita

Daniel L. Shapiro ist Gründer und Direktor des Harvard International Negotiation Program, Professor für Psychologie an der Harvard Medical School und Dozent im Program on Negotiation (PON) an der Harvard Law School, der Wiege des Weltbestsellers »Das Harvard-Konzept«. Shapiro ist international anerkannter Experte für Verhandlung nach der Harvard-Methode und berät seit Jahrzehnten Staatsoberhäupter in Krisengebieten, Fortune-500-Unternehmer und CEOs bei Geschäftsverhandlungen sowie Familien bei privaten Konflikten. Er ist Autor zahlreicher Bücher, darunter »Erfolgreich verhandeln mit Gefühl und Verstand« (2007, mit Roger Fisher), und lebt mit seiner Frau und seinen drei Söhnen in Massachusetts (USA).

Für Mia,Noah, Zachary, Liam,Mom & Dad, Maddie & Mike, Steve & Shira,Margaret, Betsy & Peter und Susan,von denen ich gelernt habe, dass im Leben nur eines nicht verhandelbar ist: die Liebe.

INHALT

Kapitel EinleitungWarum dieses Buch?

Das fehlende Teil des Puzzles

Die Methode

TEIL 1IM SOG DES KONFLIKTS

Kapitel 1Emotional aufgeladene Konflikte sind schwer zu lösen

Kapitel 2Eine Frage der Identität

Die Urkraft des Konflikts

Dimensionen der Konfliktlösung

Homo economicus

Homo emoticus

Homo identicus

Wie sich die Macht der Identität aufbrechen lässt

Kapitel 3Ist Identität verhandelbar?

Ein Ausweg: Das Doppelwesen der Identität

Wer bin ich?

Werden Sie sich Ihrer Kernidentität bewusst

Identität ist plural

Auch die Kernidentität ist nicht in Stein gemeißelt

Die Macht der Beziehungsidentität

Schaffen Sie Verbundenheit

Respektieren Sie die Autonomie, sonst …

Aus zwei mach eins

Zusammenfassung

Kapitel 4Wie Sie dem Sog des Konflikts entkommen

Achtung Stammesdenken!

Woher wissen Sie, dass Sie dem Stammeseffekt erliegen?

1.Konfrontativ

2.Selbstgerecht

3.Verschlossen

Was provoziert den Stammeseffekt?

Schützen Sie sich vor dem Sog des Stammesdenkens

Zusammenfassung

TEIL 2BEFREIEN SIE SICH

Kapitel 5Befreien Sie sich vom Schwindelgefühl

Die Sogwirkung des Schwindelgefühls

Hindernisse

1.Das Schwindelgefühl befällt uns, ohne dass wir es bemerken

2.Schwindel beeinträchtigt unsere Fähigkeit zur Selbstreflexion

Ohne zu denken, verfallen wir in ein Konfliktdrehbuch

Wir verlieren die Fähigkeit zu selbstreflexiven Emotionen

Wir stecken andere in Schubladen

3.Schwindel beeinträchtigt unsere Wahrnehmung von Raum und Zeit

Verzerrung der Zeit

Verzerrung des Raums

4.Schwindel fixiert uns auf das Negative

Vergangenes Leid verfolgt uns

Erinnerungen an die befürchtete Zukunft verzehren uns

Wie Sie sich aus dem Schwindelgefühl befreien

Schritt 1: Machen Sie sich die Symptome des Schwindelgefühls bewusst

1.Lernen Sie, die Symptome des Schwindelgefühls zu erkennen

2.Halten Sie inne

3.Benennen Sie es

Schritt 2: Reißen Sie Ihre Beziehung aus dem tranceartigen Zustand

Rufen Sie sich Ihr eigentliches Anliegen ins Gedächtnis

Nutzen Sie die Macht der Überraschung

Rufen Sie eine anerkannte Autorität hinzu

Wechseln Sie das Thema

Schritt 3: Weiten Sie den Blick

Weiten Sie Ihre Raumwahrnehmung

Korrigieren Sie Ihre Zeitwahrnehmung

Schritt 4: Externalisieren Sie das Negative

Benennen Sie die Dynamik

Fallbeispiel: Zachary und die dunkle Seite der Macht

Zusammenfassung

Kapitel 6Widerstehen Sie dem Wiederholungszwang

Die Anatomie des Wiederholungszwangs

1.Emotionale Verletzung

2.Verdrängung schmerzhafter Emotionen ins Unbewusste

3.Wachsamkeit gegenüber Reizen, die ähnliche emotionale Verletzungen zur Folge haben können

4.Unbewusster Versuch, die schmerzlichen Empfindungen zu lindern

Warum wir uns nicht vom Wiederholungszwang frei machen

1.Der Wiederholungszwang ist ein Automatismus

2.Der Wiederholungszwang scheint lernresistent

3.Der Wiederholungszwang übernimmt die Kontrolle über unsere Gefühle

4.Der Wiederholungszwang scheint fest verwurzelt

Wie Sie sich vom Wiederholungszwang befreien

1.Erkennen Sie den Wiederholungszwang im frühestmöglichen Moment

a. Der Auslöser

b. Der Streitzyklus

c. Die Auswirkungen

Nutzen Sie Ihre Erkenntnisse!

2.Widerstehen Sie dem Sog der Wiederholung

Erkennen Sie den Sog des Wiederholungszwangs

Akzeptieren Sie den Sog, aber geben Sie ihm nicht nach

3.Gewinnen Sie die Macht über Ihre Gefühle zurück

Klären Sie die emotionalen Aspekte Ihres aktuellen Konflikts

Stellen Sie Gefühle ruhig, die nichts mit der Sache zu tun haben

Verarbeiten Sie alte Verletzungen

4.Fügen Sie Ihrem Repertoire eine neue Routine hinzu

Schützen Sie sich vor einem Rückfall

Überprüfen Sie Ihr Selbstbild

Entwickeln Sie einen Plan gegen den Rückfall

Lassen Sie sich nicht auf dem falschen Fuß erwischen

Zusammenfassung

Kapitel 7Erkennen Sie Tabus an

Ein Vorfall in Marrakesch

Was sind Tabus?

Verbot

Strafe

Schutz

Warum stolpern wir über Tabus?

1.Wir sind uns des Tabus nicht bewusst

2.Wir fürchten ein Gespräch über das Tabuthema

3.Fehlende Handhabe

Umgang mit Tabus

Schritt 1: Machen Sie sich Tabus bewusst

Erkennen Sie Tabuthemen

Erkennen Sie Tabus, die der anderen Seite Beschränkungen auferlegen

Schritt 2: Schaffen Sie einen geschützten Bereich

1.Klären Sie Ihre Ziele

2.Klären Sie die Grenzen des Gesprächs

3.Erörtern Sie Tabuthemen unverbindlich

4.Richten Sie einen Prozess der moralischen Bekräftigung ein

Schritt 3: Stellen Sie einen Handlungsplan auf

Wollen Sie das Tabu akzeptieren?

Wollen Sie das Tabu geduldig abtragen?

Oder wollen Sie das Tabu mit einem Ruck niederreißen?

Praktischer Umgang mit Tabus

Schaffen von Tabus, um kontraproduktives Verhalten einzuschränken

Umgang mit Tabus in der Praxis

Zusammenfassung

Kapitel 8Achten Sie das Heilige

Willkommen in der Welt des Heiligen

Was ist das Heilige?

Unendlichkeit

Immanenz

Unantastbarkeit

Wir haben unterschiedliche Auffassungen vom Heiligen

Hindernisse bei der Verhandlung um das Heilige

1.Wir sind uns des Heiligen nicht bewusst

2.Wir vermischen Heiliges und Profanes

3.Wir verweigern dem Heiligen den angemessenen Respekt

4.Wir gehen in heiligen Dingen keinen Kompromiss ein

Eine Strategie für Verhandlungen über das Heilige

1.Sensibilisieren Sie sich für das Heilige

2.Trennen Sie Heiliges und Profanes

Unterscheiden Sie das Wichtige vom Heiligen

Erwägen Sie, Probleme als heilig oder profan umzuformulieren

3.Erkennen Sie an, was jeder Seite heilig ist

Sprechen Sie die Sprache des »Heiligen«

Finden Sie eine gemeinsame Grundlage im Heiligen

4.Suchen Sie Lösungen innerhalb der Identitätssphäre beider Seiten

Schneiden Sie Ihre Botschaft auf die Identitätssphäre der anderen zu

Suchen Sie Optionen, um die Trennung zu überwinden

Lösen Sie die Probleme und bekräftigen Sie die Identität

Zusammenfassung

Kapitel 9Nutzen Sie Identitätspolitik, um zu vereinen

Die kriselnde Ehe

Grabenkämpfe im Unternehmen

Staatskrise

Was ist Identitätspolitik?

Die Fallstricke der Politik

1.Kartieren Sie die politische Landschaft

Die zwei Ebenen des politischen Einflusses

Die Leiter: Wer ist der Boss?

Das Netzwerk: Wer sind Ihre Verbündeten?

Verfolgen Sie die politische Landschaft aktiv

Werden Sie wachsam, wenn andere Ihre Identität formen wollen

Sensibilisieren Sie Ihre Antennen für den politischen Druck der anderen

Achtung Saboteure!

2.Schaffen Sie eine positive Identität

Das unnachgiebige Wir

Definieren Sie Identität in positiven Begriffen

3.Entwickeln Sie einen integrierenden Entscheidungsprozess

Die ABEI-Methode

In Mehrparteien-Konflikten: Bilden Sie Gruppen

4.Schützen Sie sich vor Ausbeutung

Benennen Sie die Dynamik und schlagen Sie eine Alternative vor

Stärken Sie Ihre strukturelle Macht

Schmieden Sie gute politische Beziehungen

Zusammenfassung

TEIL 3WIE SIE BEZIEHUNGEN VERSÖHNEN KÖNNEN

Kapitel 10Vier Schritte, um den Graben zu überwinden

Herkömmliche Methoden der Konfliktlösung sind ungenügend

Feilschen?

Problemlösung?

Die Macht der integrierenden Dynamik

Prinzipien der integrierenden Dynamik

1.Das Ziel: Harmonie, nicht Sieg

2.Der Weg zur Harmonie ist nicht gradlinig

3.Der Weg zur Harmonie führt über Vergangenheit und Zukunft

4.Der Weg zur Harmonie verlangt emotionalen und strukturellen Wandel

Wie ein Berg entsteht

Kapitel 11Verstehen Sie den Mythos der Identität

Die unbewusste Macht des Mythos

Wie der Mythos funktioniert

Ein Mythos gibt unsere emotionale Wirklichkeit vor

Ein Mythos hat biologische und biografische Wurzeln

Ein Mythos vertieft die persönliche Bedeutung eines Konflikts

Die Strategie der kreativen Introspektion

1.Schaffen Sie einen Raum für aufrichtigen Dialog

2.Klären Sie, was auf dem Spiel steht

Erkennen Sie die Ebenen der menschlichen Motivation

Suchen Sie die tiefere Bedeutung des Konflikts

Hören Sie zu und lernen Sie – selbst in den schwierigsten Momenten

3.Entdecken Sie Ihren Mythos und den der anderen Seite

Finden Sie eine Metapher für Ihre Konfliktbeziehung

Klären Sie die Beziehung zwischen den Bildern

4.Passen Sie den Mythos auf Ihre Situation an

Stellen Sie sich eine bessere Beziehung zwischen den Bildern vor

Setzen Sie Ihre Erkenntnis in der Praxis um

Was, wenn die anderen mächtiger sind?

Gewinnen Sie die Kontrolle über Ihren Mythos zurück

1.Machen Sie sich bewusst, welchen Mythos Ihnen die andere Seite überstülpen will

2.Fragen Sie sich, woher die andere Seite ihre Macht nimmt

3.Fragen Sie sich, welche Formen der Macht Sie nutzen können

4.Holen Sie sich Ihren Mythos zurück

Was, wenn sich die andere Seite dem Dialog verschließt?

Ein Fallbeispiel

Zusammenfassung

Kapitel 12Verarbeiten Sie emotionale Verletzungen

Was heißt Verarbeitung?

Sind Sie bereit? Überprüfen Sie Ihre BAG

Schritt 1: Gestehen Sie sich die Verletzung ein

Sehen Sie den Schmerz

Spüren Sie den Schmerz

Verstehen Sie die Bedeutung des Schmerzes

Schritt 2: Trauern Sie um Ihren Verlust

Erkennen Sie den Verlust an

Arrangieren Sie sich mit dem Verlust

Schritt 3: Erwägen Sie Vergebung

Die einzigartigen Qualitäten der Vergebung

Das Unverzeihliche verzeihen?

Die Bitte um Verzeihung: Die andere Seite der Vergebung

Was ist eine aufrichtige Entschuldigung?

Entschuldigen Sie sich, aber rechtfertigen Sie sich nicht

Zusammenfassung

Kapitel 13Stellen Sie Querverbindungen her

Die Macht der Querverbindungen

Schritt 1: Bewerten Sie die Qualität der Verbindung

Wie eng ist Ihre Beziehung?

Ebene 1: Anerkennung der Existenz des anderen

Ebene 2: Mitfühlendes Verstehen

Ebene 3: Verbundenheit

Ebene 4: Zuneigung

Ebene 5: Seelenverwandtschaft

Bewerten Sie Ihre Beziehung

Schritt 2: Stellen Sie sich eine bessere Beziehung vor

Schritt 3: Fragen Sie sich, ob Sie willens und bereit sind, etwas zu verändern

Sind Sie willens, Ihre Beziehung zu vertiefen?

Sind Sie bereit, Ihre Beziehung zu vertiefen?

Schritt 4: Stärken Sie Ihre Verbindungen

Die Macht der physischen Verbindung

Machen Sie sich bewusst, welche räumlichen Hindernisse einer Verbindung im Weg stehen

Planen Sie den Ort so, dass er die Verbindung erleichtert

Die Macht der persönlichen Verbindung

1.Versetzen Sie sich in zentrale Aspekte des Lebens der anderen

2.Zeigen Sie wichtige Aspekte aus Ihrem eigenen Privatleben

3.Stellen Sie sich auf die persönliche Chemie ein

4.Achten Sie auf Annäherungsversuche

5.Schaffen Sie Rituale der Verbindung

Die Macht der strukturellen Verbindung

1.Suchen Sie nach Berührungspunkten

2.Schaffen Sie eine Gemeinschaft von Stämmen

3.Betonen Sie Verbindungen höherer Ordnung

Zusammenfassung

Kapitel 14Gestalten Sie die Beziehung neu

Das Problem lässt sich nicht von innen heraus lösen

Gestalten Sie die Beziehung neu

Klären Sie, welche Rolle die Identität in Ihrem Konflikt spielt

Stellen Sie sich Szenarien für eine harmonische Koexistenz vor

1.Was wäre, wenn Sie Ihre Identitäten trennen?

2.Was wäre, wenn Sie sich an die anderen assimilieren oder umgekehrt?

3.Was wäre, wenn Sie eine Synthese aus den Identitäten herstellen?

Zurück zum Weihnachtsbaum

Bewerten Sie, welches Szenario die Unterschiede am besten harmonisiert

Wägen Sie Vor- und Nachteile ab

Streiten Sie sich nicht um die Beziehung – bauen Sie sie gemeinsam auf

Vorsicht vor Machtkämpfen

Zurück zu Park51

Zusammenfassung

TEIL 4WIE SIE ÜBER DAS NICHT-VERHANDELBARE VERHANDELN

Kapitel 15Die Beziehungsdialektik

Eine kurze Geschichte der Dialektik

Wie Sie mit inneren Widersprüchen umgehen können

Dialektik 1: Akzeptanz versus Veränderung

Wir sehnen uns danach, akzeptiert zu werden

Wir widersetzen uns der Veränderung

Akzeptanz oder Veränderung?

Dialektik 2: Versöhnung versus Vergeltung

Rache ist süß

Gerechtigkeit

Macht

Katharsis

Rache ist bitter

Neues Unrecht

Vergängliche Macht

Flüchtige Katharsis

Dampf ablassen: Ein Mittelweg?

Suchen Sie Versöhnung, nicht Vergeltung

1.Finden Sie den Mut, nach innen zu blicken

2.Haben Sie Mitgefühl mit dem Leid der anderen

3.Stärken Sie Ihre moralische Entschlossenheit

Dialektik 3: Autonomie versus Zugehörigkeit

Revierstreitigkeiten

Invasion

Zusammenfassung

Kapitel 16Der Geist der Versöhnung

Versöhnung ist Ihre freie Entscheidung

Kleine Veränderung, große Wirkung

Warten Sie nicht

DANK

Die Wissenschaftsgemeinde

Die internationale Gemeinde

Gemeinschaft der Reviewer

Die Verlagsgemeinde

Heilige Gemeinschaft

ANHANG 1 EMOTIONAL AUFGELADENE KONFLIKTE BEWÄLTIGEN

ANHANG 2 DIE LEITER DES SEINS

Ebene 1: Reines Sein

Ebene 2: In-Beziehung-Sein

Ebene 3: In-Beziehungen-Sein

Ebene 4: In-der-Welt-Sein

Ebene 5: Universelles Sein

ANMERKUNGEN

Warum dieses Buch?

Eine Frage der Identität

Ist Identität verhandelbar?

Wie Sie dem Sog des Konflikts entkommen

Befreien Sie sich vom Schwindelgefühl

Widerstehen Sie dem Wiederholungszwang

Erkennen Sie Tabus an

Achten Sie das Heilige

Nutzen Sie Identitätspolitik, um zu vereinen

Vier Schritte, um den Graben zu überwinden

Verstehen Sie den Mythos der Identität

Verarbeiten Sie emotionale Verletzungen

Stellen Sie Querverbindungen her

Gestalten Sie die Beziehung neu

Die Beziehungsdialektik

Der Geist der Versöhnung

AUSGEWÄHLTE LITERATUR

REGISTER

DIE AUFGABE

Jede Generation hält sich für reifer, fortschrittlicher und moderner als alle anderen vor ihr.

Doch egal wie weit sich die Gesellschaft entwickeln mag, sind und bleiben wir Menschen in Konflikten immer eines: Menschen.

Die größte Herausforderung sind Konflikte, in denen unsere Grundwerte auf dem Spiel stehen.

Wie können wir verhandeln, wenn es um Dinge geht, die nicht verhandelbar sind?

Kapitel EinleitungWarum dieses Buch?

Verhandeln stellt eine neue Erfolgsmethode zur Konfliktlösung vor – eine, die das Herz genauso anspricht wie den Kopf. So wie Naturwissenschaftler herausgefunden haben, was die physische Welt im Innersten zusammenhält, habe ich mit meiner Forschung auf dem Gebiet der Konfliktlösung die emotionalen Kräfte aufgezeigt, die uns in Konflikte treiben. Diese Kräfte sind zwar unsichtbar, doch ihre Wirkung ist umso spürbarer: Sie können Freundschaften zerstören, Ehen zerbrechen lassen, Unternehmen zersetzen und Nationen zerreißen. Wenn wir nicht lernen, mit diesen Kräften umzugehen, verstricken wir uns immer wieder in dieselben unbefriedigenden Konflikte mit demselben unbefriedigenden Ausgang. Dieses Buch bietet Ihnen die Instrumente, die Sie brauchen, um diese Dynamik zu durchbrechen und einen emotional aufgeladenen Konflikt als Chance für beide Seiten zu nutzen.

Wie dringend wir ein neues Paradigma benötigen, wurde mir vor 25 Jahren in einem Café im vom Bürgerkrieg zerrissenen Jugoslawien klar. Ich hatte gerade einen einwöchigen Konfliktlösungs-Workshop1 für jugendliche Flüchtlinge abgehalten – Serben, Bosnier und Kroaten –, und nun saß ich mit einigen Teilnehmern zusammen und unterhielt mich mit ihnen darüber, wie sich der Alltag in Jugoslawien von dem in den Vereinigten Staaten unterscheidet. In den Köpfen der Jugendlichen hallte noch das Maschinengewehrfeuer nach, aber nun saßen wir mitten im Auge des Wirbelsturms zusammen, tranken türkischen Kaffee und plauderten über Fußball und darüber, wer in unserem Kurs in wen verknallt war. Eine der Teilnehmerinnen war Veronica, ein siebzehnjähriges Mädchen mit langen Haaren und blauen Augen, das mit dunklem Blick vor sich hin starrte. Während des gesamten Workshops hatte sie kaum ein Wort gesagt, weshalb es mich umso mehr überraschte, als sie in einer kurzen Gesprächspause plötzlich zu sprechen anfing.

»Es war vor neun Monaten«, sagte sie zur Einleitung und starrte dabei unverwandt auf ihren Teller. »Ich war bei meinem Freund, und wir haben zu Mittag gegessen. Jemand hat an die Tür geklopft. Dann sind drei Männer mit Gewehren reingekommen.« Einen Moment lang sah sie auf, als wisse sie nicht, ob sie fortfahren solle. »Sie haben meinen Freund an die Wand gedrückt. Er hat sich gewehrt, aber sie waren stärker. Ich wollte schreien, aber ich habe keinen Laut rausgebracht. Ich wollte Hilfe holen, irgendwas. Aber ich war vollkommen erstarrt.«

Ihre eintönige Stimme war noch lebloser geworden, sie hatte die Pupillen weit aufgerissen.

»Sie haben mich an den Schultern gepackt und an die Wand gedrückt. Dann haben sie sein Gesicht vor meins gehalten. Ich habe die Angst in seinen Augen gesehen. Er wollte sich befreien, aber sie haben ihn festgehalten.«

Wieder schwieg sie eine Weile, dann sprach sie weiter: »Einer hat ein Messer gezogen. Und ich habe zugesehen, wie sie ihm die Kehle durchgeschnitten haben.«

Das Café fiel in Schweigen. Betäubt sah ich sie an, als hätte man mich an meinen Stuhl gefesselt. Ich spürte das Bedürfnis, sie zu trösten, ihr irgendetwas zu sagen, doch mein Kopf war leer. Und dann, genauso plötzlich wie Veronica die Erinnerung an diesen entsetzlichen Moment überkommen hatte, schwieg sie wieder.

Meine Kollegen und ich hatten nur noch diesen einen Abend in Jugoslawien, am kommenden Morgen sollten wir mit dem Zug nach Budapest fahren. Die Teilnehmer des Workshops waren mir ans Herz gewachsen, sie hatten uns in dieser albtraumhaften Kriegslandschaft ihre Geheimnisse anvertraut, und ich war traurig, sie zurückzulassen. Aber mehr noch als Trauer verspürte ich Schuld: Ich kehrte in mein behagliches und behütetes Leben in den Vereinigten Staaten zurück, während sie in ihrer Verzweiflung zurückblieben.

Als wir am nächsten Morgen mit dem Auto am Bahnhof vorfuhren, spürte ich einen dicken Kloß im Hals. Alle 24 Teilnehmer des Workshops standen am Bahnsteig und winkten mir zu. Eine davon war Veronica. Sie ging auf mich zu, um sich von mir zu verabschieden.

»Machen Sie es nicht so wie die anderen, die hierher kommen, um zu helfen«, sagte sie. »Sagen Sie nicht, dass Sie sich an uns erinnern werden, nur um uns dann zu vergessen.«

Ich gab ihr mein Wort.

Das fehlende Teil des Puzzles

Was treibt uns Menschen in derart vernichtende Konflikte? Sind wir psychologisch darauf programmiert, wieder und wieder in dasselbe Muster zu verfallen, trotz der oft so fürchterlichen Folgen? Und wie können wir in emotional aufgeladenen Konflikten, in denen unsere heiligsten Überzeugungen auf dem Spiel stehen, eine Lösung finden? Diese lebenswichtigen Fragen stehen im Mittelpunkt meiner Arbeit.

Ich hoffe sehr, dass Sie sich niemals in einer derart schrecklichen Situation wiederfinden wie Veronica. Doch emotional aufgeladene Konflikte werden Sie nicht vermeiden können. Sie gehören zum Menschsein dazu. Wir ärgern uns über unseren Partner, grollen einer Kollegin oder verzweifeln an sich verschärfenden ethnischen Konflikten. In der folgenden Tabelle finden Sie einige Beispiele für die zahllosen Situationen, in denen sich Konflikte emotional zuspitzen können:

Beispiele für emotional aufgeladene Konflikte

Ehepartner streiten um die Werte, die sie in ihrer Beziehung verwirklichen wollen. Wie sollen sie ihre unterschiedlichen Einstellungen zu Geld, Haushaltspflichten oder Politik unter einen Hut bringen?

Eltern wollen verhindern, dass ihre Kinder außerhalb ihrer Religionsgemeinschaft, sozialen Klasse oder ethnischen Gruppe heiraten. Ein Kind, das diese Möglichkeiten auch nur entfernt in Erwägung zieht, wird verstoßen.

Die Angehörigen einer Arbeitsgruppe können sich nicht einigen, wer die Führung übernehmen soll, und sind in zwei Lager mit unterschiedlichen Kulturen oder Erfahrungen gespalten. Jede Seite misstraut der anderen und spricht hinter verschlossenen Türen über sie; die Ergebnisse sind erbärmlich.

Abteilungsleiter streiten um die Verteilung des Unternehmensbudgets und darum, für welche Werte das Unternehmen stehen soll. Sollte der kurzfristige Gewinn im Vordergrund stehen? Der langfristige Ruf? Oder der Dienst an der Gemeinschaft?

Ein Stadtviertel wird von einem regionalen Streit in zwei ethnische Lager gespalten. Die beiden Gruppen sprechen nicht mehr miteinander, und die Angst vor Gewalt geht um.

Eine Region befürchtet, von einer übergreifenden oder »globalen Kultur« geschluckt zu werden und seine Bräuche und Werte zu verlieren.

Angehörige einer politischen Gruppierung benutzen die Auseinandersetzung um Ressourcen zur Schärfung ihrer kollektiven Identität und greifen zu den Waffen, um für ihre Rechte zu kämpfen.

Eine Nation debattiert über den Verlust ihrer Werte und nationalen Identität, inmitten stärker werdender kultureller, religiöser und profaner Einflüsse von außen.

Um solche und ähnliche Konflikte zu lösen, muss man sie an der Wurzel packen, doch diese sitzt viel tiefer als unsere Vernunft und sogar noch tiefer als unsere Emotionen in unserem eigentlichen Seinsgrund: unserer Identität. In der Regel definieren die Konfliktparteien ihre Identität in Abgrenzung zu den anderen: ich gegen dich, wir gegen die. Wir zeigen mit dem Finger auf die anderen, weisen ihnen die Schuld zu und erklären: »Das ist eure Schuld.« Doch dieses Aufeinanderprallen von Identitäten verschärft den Konflikt nur. Wie viel sinnvoller wäre es, die Probleme gemeinsam anzupacken, die wahren Interessen aller Beteiligten zu klären und sich auf eine Lösung zu einigen, die für alle gleichermaßen von Vorteil ist. Doch in einem emotional aufgeladenen Konflikt, sei es in einem Ehestreit oder in einer Auseinandersetzung zwischen zwei Ländern, erweist sich die gemeinsame Problemlösung oft als schwierig. Warum ist das so?

Erstens, weil sich Emotionen nicht lösen lassen. Verärgerung oder Demütigung zu überwinden, ist eine ganz andere Sache, als eine mathematische Aufgabe zu lösen. Emotionen sind eigenwillig, keine mathematische Formel kann mit Sicherheit vorhersagen, wie die andere Seite reagieren wird. Wenn wir uns bei unserem Partner entschuldigen, können wir heute einen Sturm ernten und morgen wahre Wunder bewirken.

Zweitens, selbst wenn wir unsere Beziehungen zum Beispiel zu Partnern oder Vorgesetzten mit rationalen Mitteln in Ordnung bringen wollen, dann provozieren uns emotionale Impulse oft, weiter zu streiten. In einem emotional aufgeladenen Konflikt blockiert irgendetwas in uns die gemeinsame Problemlösung: Ein hartnäckiger Unmut, eine Ahnung, dass die andere Seite uns nichts Gutes will, und eine Stimme, die uns einredet: »Vertrau denen nicht.« Egal ob wir mit jemandem streiten, den wir lieben oder den wir hassen: Oft verspüren wir ein inneren Widerstand gegen die Kooperation, der einer Lösung im Weg stehen kann.

Und schließlich können wir uns nicht einfach die Überzeugungen der anderen Seite zu eigen machen. In einem hitzigen Konflikt steht unsere Identität auf dem Spiel, und dabei handelt es sich eben nicht um eine Ware, die wir mir nichts, dir nichts austauschen könnten. Unsere Überzeugungen sind nun mal unsere Überzeugungen.

Aber wie lassen sich emotional aufgeladene Konflikte dann lösen?

Diese Frage treibt mich seit Jahrzehnten um, und dabei habe ich einige wichtige Beobachtungen und Entdeckungen gemacht. Das Ergebnis ist dieses Buch. Am Anfang von Verhandeln, das ich hier in Cambridge und auf meinen Forschungsreisen des Nachts in Cafés geschrieben habe, stand eine wichtige Erkenntnis: Wir können das Gefühl haben, dass emotional aufgeladene Konflikte unmöglich zu verhandeln sind – und trotzdem lassen sie sich beilegen. Und schließlich entstand das Buch aus der Überzeugung heraus, dass niemand das Leid durchmachen muss, das Veronica erlitt.

Die Methode

Ich habe eine praktische Methode entwickelt, mit der sich noch die tiefsten emotionalen Gräben überwinden lassen. Diese Methode nutzt einen Aspekt des Konflikts, der immer übersehen wird: den Raum zwischen den beiden Seiten. Allzu oft sehen wir Konflikte als eine binäre Angelegenheit – ich gegen dich, wir gegen die – und versuchen, unsere eigenen Interessen durchzusetzen. Aber der Konflikt besteht buchstäblich zwischen uns, in unserer Beziehung, und in diesem Raum herrscht eine komplexe emotionale Dynamik, die eine gemeinsame Suche nach einer Lösung unmöglich zu machen scheint. Um zu verstehen, wie wir aus einem emotional aufgeladenen Konflikt eine Chance für beide Seiten machen können, müssen wir lernen, diesen Zwischenraum besser zu nutzen.

Mir ging es darum, diesen Raum zwischen den Konfliktparteien zu verstehen und Methoden zu entwickeln, mit denen sich diese hartnäckigen Emotionen, polarisierenden Dynamiken und widerstreitenden Überzeugungen überwinden lassen. Das Ergebnis ist eine Methode, die ich als »Relationale Identitätstheorie« bezeichnen würde und die mit wenigen praktischen Schritten eine ganz neue Dynamik in Gang bringt. Es ist gar nicht so schwer: Es sind kaum mehr Handgriffe nötig als zur Entzündung eines Holzstapels, mit denen die neue Dynamik des Feuers in Gang gesetzt wird.

Das größte Hindernis auf dem Weg zur Konfliktlösung ist der Stammeseffekt – eine innere Haltung, die polarisiert und in den anderen automatisch den Feind sieht. Solange wir in dieser Denkweise verhaftet sind, bleiben wir Geiseln des Konflikts. Fünf Kräfte – die fünf Sogkräfte des Stammesdenkens – ziehen uns in diese Denkweise hinein, und diese fünf Kräfte müssen wir überwinden, um mithilfe einer integrierenden Dynamik positive Beziehungen aufbauen zu können. Dabei treffen wir unvermeidlich auf Spannungen – die Beziehungsdialektik –, die uns das Gefühl vermitteln, dass wir in einem Konflikt nur verlieren können. Dieses Buch zeigt Ihnen, wie Sie diese scheinbar unüberwindlichen Hindernisse doch überwinden können.

Zur Entwicklung meiner Methode habe ich im Labor Experimente durchgeführt, Tausende Forschungsartikel gelesen, Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft beraten, streitende Familien und Paare begleitet und Hunderte Experten von Politikern über Bürgerinitiativen bis hin zu Staatenlenkern befragt. Außerdem leite ich das Harvard International Negotiation Program, das die Wurzeln von Konflikten in Emotionen und Identität erforscht, Verhandlungsmethoden entwickelt und diese unterrichtet.

Aus diesen Erfahrungen habe ich viel gelernt, und diese Erkenntnisse möchte ich hier an Sie weitergeben.2 Dieses Buch soll Ihnen helfen, Ihre nervenaufreibendsten Konflikte zu lösen, und es ist mein Versuch, Wort zu halten. Ich möchte mein Versprechen einlösen, das ich Veronica und den 23 anderen Teilnehmern des Workshops gegeben habe, sowie all den übrigen Menschen in Konflikten helfen, denen im Namen der Identität Leid zugefügt wird. Ich glaube, dass es einen besseren Weg gibt. Es muss ihn geben.

Dieses Buch ist Zeugnis dieser Vision.

Daniel Shapiro

Cambridge, Massachusetts

TEIL 1

IM SOG DES KONFLIKTS

Kapitel 1Emotional aufgeladene Konflikte sind schwer zu lösen

Jeder von uns kennt emotional aufgeladene Konflikte und hatte schon mit ihnen zu kämpfen. Sie treffen uns zu Hause, in der Arbeit oder in unserem sozialen Umfeld und verlangen uns einen hohen Preis ab. Ehepaare lassen sich scheiden. Familien zerbrechen. Unternehmen gehen an inneren und äußeren Streitigkeiten zugrunde. Länder werden zerrissen und versinken in Gewalt. Diese Konflikte sind derart stark, dass sie unsere Leben beherrschen, uns zutiefst belasten und ganz und gar unlösbar erscheinen. Doch sie lassen sich lösen, und dieses Buch zeigt Ihnen wie. Mithilfe neuer Erkenntnisse aus der Psychologie und der Konfliktlösung erklärt es Ihnen, wie Sie eine Brücke über diese Gräben schlagen können.

Emotional aufgeladene Konflikte können extrem frustrierend sein, weil kein Ansatz zu ihrer Lösung zu taugen scheint. Wenn wir unseren Standpunkt darstellen, hält die andere Seite dagegen, und der Streit läuft aus dem Ruder. Wenn wir uns den Forderungen der anderen beugen, sind wir verärgert. Wenn wir unsere Meinungsverschiedenheiten nicht austragen, gären sie unter der Oberfläche weiter. Jeder Versuch der rationalen Problemlösung scheitert. Wie oft haben wir vergeblich versucht, einen Streit mit Angehörigen oder Kollegen beizulegen?

Also suchen wir nach einfachen Lösungen für unsere Beziehungsprobleme, als ob sie sich mit einem Zauberstab aus der Welt schaffen ließen. Aber so ist das Leben nun mal nicht. Es sind Zeit und Mühe nötig, um feste Muster zu durchbrechen, wie sie unsere dysfunktionalen Beziehungen prägen.

Dieses Buch bietet eine allgemein anwendbare Methode, mit der wir zum Kern Ihrer Konflikte gelangen und diese erfolgreich beilegen können. Wir müssen hinter Sachfragen wie Geld, Methoden und Ressourcen blicken und die Rolle der Identität in unserem Zusammenleben ernst nehmen. In dem Moment, in dem wir uns in unserer Identität bedroht fühlen, wird eine ganze Reihe von emotionalen Kräften aktiv und zieht uns in eine Auseinandersetzung hinein wie in einen Strudel. Aus dieser Streithaltung kommen wir nicht mehr heraus. Wenn wir jedoch lernen, diesen Sogkräften zu widerstehen, öffnen wir den emotionalen Raum, den wir benötigen, um unsere Konflikte beizulegen und unsere Beziehungen in Ordnung zu bringen.

Auf den folgenden Seiten werden wir uns diese Methode im Detail ansehen. Jedes Kapitel baut auf den vorhergehenden auf, und die meisten enden mit Arbeitsfragen, die Ihnen bei der Anwendung dieser Werkzeuge helfen sollen. Die Arbeitsfragen sind wichtig für den Veränderungsprozess und bieten zusammen mit der Theorie eine umfassende Methode, um selbst schwer zerrüttete Beziehungen zu versöhnen.

Um zu zeigen, welche Macht die Identität über uns hat, wollen wir mit einem Fallbeispiel beginnen. Die Situation mag ein wenig unrealistisch anmuten, doch die Dynamik ist es nicht. Wenn Sie dieses Beispiel lesen, denken Sie darüber nach, inwieweit es Konflikte in Ihrem eigenen Leben und in unserer turbulenten Welt wiedergibt.

Kapitel 2Eine Frage der Identität

In Davos flog die Welt in die Luft. So geschehen vor einigen Jahren während des alljährlichen Weltwirtschaftsforums in den schneebedeckten Schweizer Alpen. In einem kleinen Raum fern der Augen und Ohren der Weltpresse hatte ich 45 Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft versammelt. Diese Männer und Frauen hatten in den schwierigsten Konflikten der Welt verhandelt, doch auf das, was sie nun erwartete, waren sie nicht vorbereitet – eine Verhandlung der sonderbarsten Art, die weit über die Flure des Forums hinausreichen und unser aller Leben betreffen sollte.1

Das Ganze begann recht harmlos. Während die Teilnehmer den Raum betraten, erhielten sie einen Schal mit einer bestimmten Farbe und wurden zu einem von sechs Tischen geführt. Ich sah zu, wie der Direktor eines globalen Konzerns Platz nahm, gefolgt von einer stellvertretenden Ministerpräsidentin, die den Direktor mit einem diplomatischen Kopfnicken begrüßte. Ein bekannter Universitätspräsident setzte sich neben einen Sicherheitsexperten, während an einem der Nachbartische eine Künstlerin mit einem Professor plauderte. Im Hintergrund spielte leise Musik, die Stimmung war gelöst.

Um Punkt ein Uhr hörte die Musik auf und ich trat in die Mitte des Raums. »Herzlich willkommen!«, sagte ich ein wenig nervös, als ich in die illustre Runde blickte, die mich erwartungsvoll ansah. »Es ist mir eine Ehre, Sie heute hier begrüßen zu dürfen.«

Während auf einem Bildschirm hinter mir das Wort »Stämme« aufschien, begann ich mit meiner Einführung. »Unsere Welt verwandelt sich immer mehr in eine Welt der Stämme. Dank des Zusammenwirkens der weltweiten Vernetzung und der neuen Technologien können wir mit immer mehr Menschen in Kontakt treten. Doch diese Vernetzung, die aufkeimende globale Gemeinschaft, bedroht grundlegende Aspekte unserer Identität. Daher ist es nur verständlich, dass wir uns in den Schutz und die Gemeinschaft von Stämmen zurückziehen.«2

Die Gruppe schien interessiert. Ich fuhr fort. »Jeder von uns gehört zu einer ganzen Vielzahl von Stämmen. Ein Stamm ist eine Gruppe von Menschen, mit denen wir bestimmte Dinge gemeinsam haben, zum Beispiel die Religion, die ethnische Herkunft oder auch nur den Arbeitgeber. Wir spüren eine Verwandtschaft mit den übrigen Angehörigen des Stammes, und wir laden den Stamm emotional auf. So kann sich auch eine religiöse Gemeinschaft oder eine Nation anfühlen wie ein Stamm, genau wie eine Familie oder ein Weltkonzern. Stämme sind allgegenwärtig.

Heute wollen wir uns ansehen, welche Macht diese Stämme haben. Sie und die anderen an Ihrem Tisch bekommen die Gelegenheit, sich kennen zu lernen und einen eigenen Stamm zu gründen. Sie haben fünfzig Minuten, um ein paar nicht ganz einfache Fragen zu beantworten, mit denen Sie die zentralen Eigenschaften Ihres Stammes festlegen. Bitte beantworten Sie diese Fragen durch Konsens, nicht durch Abstimmung. Und bleiben Sie dabei Ihren persönlichen Werten treu.«

Die Teilnehmer schienen die Anweisungen verstanden zu haben, bis ich das Arbeitsblatt mit den Fragen austeilte. Die Hand des Professors schoss in die Luft. »Diese Fragen sollen wir durch Konsens entscheiden? In fünfzig Minuten? Soll das ein Witz sein?«

Er war zu Recht entrüstet, denn die Teilnehmer sollten ethisch ausgesprochen kontroverse Fragen beantworten, zum Beispiel »Steht Ihr Stamm für die Todesstrafe?« oder »Befürwortet Ihr Stamm die Abtreibung?« oder »Was sind die drei wichtigsten Werte Ihres Stammes?«

»Ich habe dieses Experiment schon Dutzende Male durchgeführt«, erklärte ich dem Professor. »Ich versichere Ihnen, es hat noch jedes Mal geklappt. Geben Sie Ihr Bestes, und achten Sie darauf, alle Fragen innerhalb der vorgegeben Zeit zu beantworten.« Er nickte widerstrebend, und die Teilnehmer machten sich an die Arbeit. Ein Stamm brachte fast eine halbe Stunde damit zu, seine Werte zu benennen und nach ihrer Wichtigkeit zu ordnen, ein anderer blieb bei der Diskussion um die Todesstrafe stecken. Die Angehörigen eines Stammes in der Ecke lachten und scherzten wie Freunde in einer Kneipe, während sich der Stamm am Nachbartisch konzentriert in die Aufgabe vertiefte.

Nach fünfzig Minuten wurde es plötzlich stockdunkel im Raum. Bedrohliche Musik setzte ein, eine Orgel dröhnte. »Was ist los?«, flüsterte ein 85-jähriger Banker. Dann wandte er erschrocken den Kopf um, als jemand laut an eine Seitentür hämmerte. Es krachte, und alle Anwesenden verstummten und warteten angespannt auf das, was da kommen würde. Ein Alien mit hellgrüner Haut und riesigen Fliegenaugen stürmte in den Raum. Er schlängelte sich durch die Tische hindurch, vorbei am entsetzten Banker, und strich dem Professor mit seinen langen grünen Tentakeln durchs Haar. »Ihr lächerlichen Erdlinge«, höhnte der Alien mit dröhnender Stimme. »Ich bin gekommen, um euren Planeten zu zerstören!«

»Aber ich gebe euch eine Chance, die Erde vor der völligen Zerstörung zu retten«, rief er. »Ihr müsst einen eurer sechs Stämme als den einen auswählen, dem ihr alle angehören wollt. Alle müssen die Eigenschaften dieses einen Stammes annehmen. Ihr könnt keine der Eigenschaften des Stammes ändern. Ihr habt drei Verhandlungsrunden. Wenn ihr zu keinem Ergebnis kommt, wird Eure Welt ZERSTÖRT!« Das Wesen breitete die Arme aus und lief mit einem schrillen Lachen aus dem Raum.

Die Lichter gingen wieder an und alle blickten verwirrt um sich. Einige kicherten, dann steckten die Teilnehmer an den Tischen die Köpfe zusammen, um ihre Strategie für die anstehenden Verhandlungen zu besprechen.

In der Mitte des Raums standen sechs Barhocker, einen für jeden Abgesandten eines Stammes. Ich läutete die erste Runde ein, und jeder Stamm schickte einen Teilnehmer in die Verhandlung. Die erste Runde verlief recht freundschaftlich, die sechs Stämme wollten sich zunächst einmal mit den Eigenschaften der anderen vertraut machen.

Nach einigen Minuten sagte der Direktor eines Unternehmens mit Sitz in Dubai: »Wir sollten uns auf ein Verfahren einigen. Wie wollen wir hier eine Entscheidung treffen?« Das war eine vernünftige Frage, wie sie die meisten Verhandlungslehrbücher empfehlen. Doch der Direktor wurde vom Zeitschriftenherausgeber aus dem Fröhlichen Stamm übertönt, der sich genötigt sah, Werbung für seinen eigenen Stamm zu machen und klagte: »Warum hört niemand unserem Stamm zu?«

»Sie bekommen schon noch die Gelegenheit«, versicherte ein Vertreter des Kosmopolitischen Stammes. Doch bis zum Ende der Runde kam es nicht mehr dazu.

In der zweiten Runde stieg die emotionale Temperatur im Raum. Jetzt waren die Delegierten entschlossen, die Welt zu retten. Der charismatische Sprecher des Regenbogen-Stammes, ein elegant gekleideter Manager, verkündete: »Wir glauben an alle Farben, Geschlechter und Ethnien. Kommt zu uns! Wir nehmen euch alle auf!« Er breitete die Arme aus, und zwei Stämme folgten seinem Aufruf sofort. Ein Banker verschränkte die Arme, starrte den Abgeordneten des Regenbogen-Stammes an und beschwerte sich: »Wenn wir alle gleich sind, warum schließt ihr euch dann nicht unserem Stamm an!«

In der dritten Runde kam Hektik auf. Die neuen Abgeordneten, fünf Männer und eine Frau, stritten sich, ob Menschlichkeit als zentraler Wert wichtiger war als Mitgefühl. Die Männer überschrien die Frau, die derart wütend wurde, dass sie auf ihren Stuhl stieg und mit feuerrotem Kopf schrie: »Das ist doch nur wieder ein Fall von männlichem Imponiergehabe! Schließt euch alle meinem Stamm an!« Nur ein Stamm folgte ihrem Aufruf.

Wenigen Augenblicke später flog die Welt in die Luft.

Die Urkraft des Konflikts

Wir würden es uns zu leicht machen, wenn wir uns einreden würden, dass die Dynamik dieses Stammesexperiments nur für die Teilnehmer in Davos zutrifft: Sie und ich haben genau dieselben Instinkte. In den vergangenen zwei Jahrzehnten habe ich dieses Experiment Dutzende Male mit Jura-, Wirtschafts-, Psychologie- und Politikstudenten durchgeführt, aber auch mit Entscheidungsträgern aus Unternehmen und Politik aus aller Welt. Nur in einigen wenigen Fällen3 ist die Welt am Ende nicht in die Luft geflogen. Der Stammesdynamik zu entrinnen, scheint derart unmöglich zu sein, dass die Teilnehmer ihr eigentliches Ziel, nämlich die Rettung der Welt, vollkommen aus den Augen verlieren, nur um eine Identität zu schützen, die sie in noch nicht einmal einer Stunde erfunden hatten.

Im Laufe meiner Forschung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass in diesem Stammesexperiment dieselbe emotionale Dynamik wirksam wird wie in echten Konflikten. Denken Sie nur daran, wie schnell die Welt von streitenden Ehepaaren, konkurrierenden Abteilungen oder rivalisierenden Gruppen in die Luft fliegt. Und wenn es heute auf unserem Planeten um gemeinsame Probleme wie Sicherheit, Klimawandel und Welthandel geht, bringt dieses tief verwurzelte Stammesdenken zunehmend die gesamte Menschheit in Gefahr.

Aber wer in dieser Dynamik gefangen ist, bemerkt sie oft gar nicht. Nach dem Stammesexperiment in Davos kam ein Rabbiner auf mich zu und bekannte beschämt: »Meine Eltern und ich wären beinahe im Holocaust ermordet worden. Ich habe mir geschworen, ›nie wieder‹. Und hier akzeptiere ich ohne jeden Widerspruch die Zwänge des Experiments, bis es zu spät ist.«

Ein Wissenschaftler merkte an: »Ich wollte einigend wirken oder mich zum Demagogen aufschwingen und die Spielregeln durchbrechen. Aber ich habe nichts davon getan und die Geschichte und die Menschheit enttäuscht.«

Dimensionen der Konfliktlösung

Dieses Buch bietet einen Schlüssel zur Lösung emotional aufgeladener Konflikte.4 In Davos hätte sich die Welt retten lassen, wenn die Teilnehmer die entscheidenden Dimensionen jeder Konfliktlösung einbezogen hätten: Vernunft, Emotion und Identität.1 Viele Wissenschaftler betrachten diese Dimensionen unabhängig voneinander, doch die Hirnforschung zeigt, dass sie miteinander zusammenhängen.5 Nur wenn wir uns um alle drei kümmern, können wir hoffen, in emotional aufgeladenen Konflikten eine befriedigende Lösung zu finden.6

Homo economicus

Die erste Dimension des Konflikts betrachtet den Menschen als rationalen Akteur und basiert auf einem Verhaltensmodell, das auch unter dem Stichwort Homo economicus bekannt ist. Dieses Modell geht davon aus, dass unser zentrales Interesse die möglichst effiziente Befriedigung unserer Bedürfnisse ist. Wenn wir die Interessen der anderen Seite dabei gleich mit berücksichtigen können, umso besser. Aus dieser Vorstellung ergibt sich eine Verhandlungsmethode, die auf eine Gewinnmaximierung für alle Beteiligten zielt oder zumindest die Interessen einer Seite befriedigt, ohne die der anderen zu beeinträchtigen.

Dieses Modell wirkt auf den ersten Blick attraktiv, doch der Weltuntergang von Davos zeigt seine Grenzen auf. Die Teilnehmer des Stammesexperiments hatten nicht nur alle Instrumente der Vernunft zur Verfügung, sie konnten auch auf einen außergewöhnlichen Erfahrungsschatz aus der Krisenbewältigung zurückgreifen. Diese Instrumente versuchten sie zu nutzen, etwa als der Manager aus Dubai vorschlug, sich auf ein Verhandlungsverfahren zu einigen. Die Teilnehmer hatten zudem einen starken Anreiz, die Welt zu retten und die Demütigung eines Scheiterns zu vermeiden. Doch obwohl der rationale Ansatz so aussichtsreich erschien, flog ihnen am Ende die Welt um die Ohren; mehr noch, mit ihrem Verhalten verschuldeten sie dieses Ergebnis sogar noch.

Homo emoticus

Eine neue Forschergeneration beschäftigt sich mit einer zweiten Dimension der Konfliktlösung: den Emotionen. Wir treffen nicht nur rationale Entscheidungen. Jenseits der Vernunft liegen die Emotionen, die auf unser Verhalten und unser Denken einwirken. Mit anderen Worten sind wir auch ein Homo emoticus7, ein emotionaler Mensch. Dieser Vorstellung zufolge können Emotionen die Lösung eines Konflikts erleichtern – vorausgesetzt, wir hören auf sie. So wie uns der Hunger auf die Notwendigkeit der Nahrungsaufnahme aufmerksam macht, weisen uns Emotionen auf unbefriedigte psychische Bedürfnisse hin. Frustration deutet beispielsweise auf ein Hindernis hin, Schuldgefühle veranlassen uns, Fehlverhalten zu korrigieren. Emotionen sind Botschafter und teilen uns mit, wann sich eine Situation zu unseren Gunsten entwickelt. Es liegt an uns, diese Signale zu nutzen und unser Verhalten entsprechend anzupassen.

Emotionen können einer Konfliktlösung jedoch auch im Wege stehen. In Davos versuchten die Teilnehmer mit emotionalen Appellen, die anderen in ihren Stamm zu holen, doch sie scheiterten. Wut, Stolz und Ärger vertieften die Gräben zwischen den Stämmen so sehr, dass die Verhandlungen in einer Sackgasse endeten.8 Nach dem Weltuntergang fragte ich die Teilnehmer: »Wie viele von Ihnen waren der Ansicht, dass sich andere in diesem Experiment irrational verhalten haben?« Fast alle hoben die Hand. Eine stellvertretende Ministerpräsidentin sprach für viele Teilnehmer, als sie sagte: »Wir leben in einer Welt der Stämme. Wenn wir nicht konstruktiv mit unseren Emotionen umgehen, dann sind wir verloren.«

Homo identicus

Um zu verstehen, warum in Davos die Welt unterging, und warum sie unserem eigenen Leben untergehen kann, müssen wir über die Vernunft und sogar über die Emotionen hinausblicken und uns dem Bereich der Identität zuwenden. Für diese dritte Dimension des menschlichen Verhaltens steht ein Modell, das ich als Homo identicus bezeichnen würde, und das darauf basiert, dass wir Menschen Sinn in unserer Existenz suchen.

Ein emotional aufgeladener Konflikt ist deshalb »aufgeladen«, weil er elementare Aspekte unserer Identität angeht: Wer sind wir? Was ist uns wichtig? Was ist der Sinn unseres Lebens? Mit anderen Worten bedroht uns dieser Konflikt in unserem Daseinsgrund.

Im Mittelpunkt von emotional aufgeladenen Konflikten stehen meist Unterschiede wie Religion, Politik, Loyalität gegenüber der Familie und so weiter, aber im Grunde sind wir Menschen in der Lage, zu fast jedem Aspekt unseres Lebens eine starke Identifikation zu entwickeln und ihn mit tiefer Bedeutung aufzuladen. Auch hier ist das Experiment von Davos lehrreich: Fünfzig Minuten reichten den Teilnehmern schon aus, um sich zu einer neuen und künstlichen Identität zu bekennen und dieser sogar die Welt zu opfern. Wie viel schwerer werden dann erst kooperative Verhandlungen in der wirklichen Welt, in der fest verwurzelte Überzeugungen und Werte bedroht scheinen? Wie soll zum Beispiel ein Weltkonzern mit den kulturellen Unterschieden seiner chinesischen, deutschen, südafrikanischen und lateinamerikanischen Mitarbeiter umgehen, die jeweils in ihren Heimatländern sitzen und versuchen, die Kultur des Unternehmens mit der ihres Landes in Einklang zu bringen? Wie sollte eine kenianische Vermittlerin der Vereinten Nationen möglichst produktiv in einem politischen Konflikt zwischen Muslimen und Juden in Jerusalem wirken? Konflikte wie diese lassen sich nur dann lösen, wenn wir uns der Dimension der Identität bewusst werden.

Homo identicus umfasst nicht nur unsere Identität als Einzelpersonen, sondern auch den Raum zwischen uns und den anderen. Wie sieht unsere Beziehung aus? Wenn zwei Ehepartner unablässig streiten, dann ist dieser Raum voller Spannung; wenn Freunde das bemerken, fragen sie: »Was geht zwischen den beiden vor?« Dieser Raum kann kalt und abweisend oder warm und einladend sein, und die emotionale Dynamik kann zwei Menschen trennen oder einander näher bringen. Im Weltall ist der Raum zwischen zwei Sternen nicht leer, sondern hier wirkt die Anziehung, die ihre Beziehung bestimmt.9 Ganz ähnlich bestimmt der emotionale Raum zwischen uns und anderen eine Beziehung als Freundschaft oder Feindschaft, Liebe oder Verrat.

Wie sich die Macht der Identität aufbrechen lässt

Dieses Buch bietet eine wirkungsvolle Methode zum Umgang mit den komplexen Spielarten von Identität. Fakten können wir mit einiger Sicherheit kennen, aber uns selbst kennen wir nie ganz. Am nächsten kommen wir uns in der Selbstreflexion. Je mehr wir nachdenken, umso mehr wissen wir über uns selbst.10 Während Sie dieses Buch lesen, denken Sie also darüber nach, welche Rolle die Identität in Ihren schwierigsten Konflikten spielt. Sie werden unsichtbare Kräfte entdecken, die zerstörerische Beziehungen nähren, aber auch solche, die Lösungen ermöglichen.

Im Experiment von Davos strauchelten die Teilnehmer in diesem Prozess. Nach dem Untergang der Welt verstummten sie. »Wie geht es Ihnen?«, fragte ich. Alle wirkten niedergeschlagen, bis auf einen: den Professor. Er stand auf und zeigte mit hochrotem Kopf auf mich. »Das ist Ihre Schuld!«, rief er. »Sie haben uns eine Falle gestellt, damit wir die Welt in den Untergang führen – mit den ganzen Fragen, die wir beantworten sollten, und dem knappen Zeitrahmen.« Er schüttelte den Kopf und wiederholte: »Das ist alles Ihre Schuld!« Er setzte sich wieder hin und starrte mich mit verschränkten Armen an.

Ich hatte erwartet, dass mir im Falle eines Weltuntergangs jemand die Schuld geben würde. Ich war schließlich eine einfache Zielscheibe – in vielerlei Hinsicht war das auch gerechtfertigt. Trotzdem überraschte mich der Zorn des Professors. Alle Augen waren nun auf mich gerichtet.

»Sie haben Recht«, erwiderte ich. »Ich habe alles getan, um das Experiment so aufzubauen, dass die Welt untergeht. Ich habe Ihnen Fragen vorgelegt, in denen Sie fast unmöglich eine Einigung finden konnten. Ich habe Ihre Verhandlungszeit begrenzt. Der Alien hat verlangt, dass Sie sich für einen Stamm entscheiden. Ja, Sie haben Recht.«

Der Blick des Professors wurde milde, als ich meine Verantwortung eingestand.

»Aber«, fuhr ich langsamer fort. »Am Ende hatten Sie die Wahl. Sie hätten eine Einigung finden können. Sie hätten sich den Spielregeln widersetzen können. Aber das haben Sie nicht getan. Sie … hatten … die Wahl.«

Der Professor nickte, noch immer rot. Ich hatte den Finger in die Wunde gelegt, die er nicht sehen wollte: Er und die anderen Teilnehmer hatten es in der Hand gehabt, die Welt zu retten, und sie waren gescheitert. Sie hatten sich selbst in einer engen Definition der Identität eingesperrt und die Welt in Flammen aufgehen lassen. Ihr Konflikt war nie unvermeidlich gewesen, auch wenn es sich so angefühlt hatte.

Kapitel 3Ist Identität verhandelbar?

In Lewis Carrolls skurrilem Roman Alice im Wunderland1 trifft die junge Hauptfigur auf eine Wasserpfeife rauchende Raupe, die ihr eine vermeintlich einfache Frage stellt: »Wer bist du denn?«

Alice antwortet zögernd: »Ich – im Moment weiß ich es nicht genau, Sir – aber jedenfalls weiß ich, wer ich war, als ich heute Morgen aufgestanden bin. Ich glaube aber, seitdem bin ich mehrere Male verwandelt worden.«

Alice muss sich mit komplizierten Fragen der Identität herumschlagen. Wer ist sie? Wie ist sie das geworden, was sie ist? Und woher weiß sie, dass sie ist, was sie zu sein glaubt? Wenn sie zu dem Schluss kommt, dass sie sich seit dem Aufstehen mehrmals verändert haben muss, dann versteht sie, dass ihre Identität ständig im Fluss ist. Aber obwohl sie das weiß, spürt sie eine Kontinuität in ihrer gelebten Erfahrung, und das beunruhigt sie. Sie weiß, dass sie sich verändert hat, aber sie fühlt sich immer noch genauso.

Dieser Widerspruch führt uns mitten hinein in die Konfliktlösung. Wenn Identität absolut fest und unveränderbar wäre, dann ließe sich der Konflikt nur lösen, indem wir unsere Identität verraten oder die andere Seite dazu bringen, ihre zu verraten. Ein Konflikt wäre damit eine Angelegenheit, bei der eine Seite gewinnt und die andere verliert. Und wenn unsere Identität andererseits vollkommen im Fluss wäre, dann könnten wir nicht sicher sein, dass sich die andere Seite an eine Vereinbarung hält. Wie kann jemand für eine Entscheidung von gestern zur Rechenschaft gezogen werden, wenn er heute schon ein ganz anderer ist?

Ein Ausweg: Das Doppelwesen der Identität

Alice entkommt dem Dilemma mit einer Erkenntnis, die auch für die Konfliktlösung entscheidend ist: Einige Aspekte ihrer Identität verändern sich, andere bleiben gleich. Ihre Identität ist fließend und fest zugleich.2

In einem Konflikt verlieren wir dies jedoch leicht aus den Augen. Wenn unsere Identität bedroht scheint, nehmen wir die Fäuste hoch und betrachten sie als eine feste, unveränderbare Größe. Das nenne ich den »Denkfehler der festen Identität«, und aufgrund dieses Denkfehlers bestehen wir darauf, dass die anderen Seite unseren Blickwinkel, unsere Sicht von Richtig und Falsch und unsere Werte akzeptiert. Wenn die andere Seite von derselben egozentrischen Annahme ausgeht, stecken wir in einer Sackgasse, aus der wir nicht mehr herauskommen, und der Konflikt scheint unlösbar.

Das ist jedoch eine Illusion. Wenn wir von Anfang an annehmen, dass ein Konflikt unlösbar ist, begraben wir jede Aussicht auf eine Einigung. Emotional aufgeladene Konflikte sind zwar schwer zu lösen, doch es ist sinnvoller, das Augenmerk auf diejenigen Aspekte der Identität zu richten, die sich verändern lassen, als auf diejenigen, die unveränderbar erscheinen. In der Tat sind fast alle Aspekte unserer Identität ein Stück weit fließend, wenngleich einige leichter zu verändern sind als andere.3

Dieses Kapitel legt die Grundlage für den Rest des Buchs und gibt Ihnen Werkzeuge an die Hand, um den »Denkfehler der festen Identität« zu korrigieren. Obwohl die Wirkung der Identität so weitreichend ist, wissen die Konfliktparteien nur selten, worum es sich handelt und wie sie sich ihrer annehmen sollen. Dieses Kapitel gibt Ihnen eine Orientierung, wie Sie die wichtigsten Aspekte der Identität in einem Konflikt erkennen und nutzen können.

Wer bin ich?

Unsere Identität besteht aus einem ganzen Spektrum fester und fließender Eigenschaften, die uns zu dem machen, was wir sind. Diese Eigenschaften fügen sich zu einem Ganzen zusammen, zu dem Körper und Geist genauso gehören wie unser gesamter neurologischer Apparat und unsere gesellschaftliche Position, unsere unbewussten Abläufe und unsere bewussten Gedanken, unser festes Selbstgefühl und unsere flüchtigen Beobachtungen.

Diese Eigenschaften definieren uns, aber wir definieren umgekehrt auch sie.4 Diese Wechselbeziehung wird in M. C. Eschers Zeichnung »Drawing Hands« sinnfällig, auf der sich die Hände des Künstlers selbst zeichnen. Als ich meinen sechsjährigen Sohn Zachary fragte, was ihm zu dem Bild einfiele, sagte er: »Der macht sich selbst!« Das gilt auch für unsere Identität: Wir machen uns selbst.

In Anerkennung dieser Wechselbeziehung meinen einige Verhandlungstheoretiker, Identität sei »die Geschichte, die wir uns über selbst erzählen«.5 Das stimmt zwar, doch das ist noch nicht alles. Wir sind eine Geschichte, die wir nicht nur erzählen, sondern auch fühlen. Wir sind also gleichzeitig Verkörperung und Erzähler unserer Geschichte.6 Der Psychologe William James nannte die gelebte Erfahrung das »Ich«, und die Geschichte, die wir uns über uns selbst erzählen, das »Mich«.7 Alles, was wir in einem Konflikt erleben – eine Woge der Scham, ein Fluchtinstinkt, ein Bedürfnis zu schreien –, leben und fühlen wir nicht nur, sondern wir erzählen es uns auch gleichzeitig in Echtzeit.

Zwei Facetten der Identität sind entscheidend bei der Lösung eines emotional aufgeladenen Konflikts: unsere Kernidentität und unsere Beziehungsidentität. In den folgenden Abschnitten beschreibe ich diese beiden Aspekte und zeige, wie Sie mit ihrer Hilfe einen Konflikt lösen können.

Werden Sie sich Ihrer Kernidentität bewusst

Unsere Kernidentität ist ein Spektrum von Eigenschaften, die uns als Einzelne oder als Gruppe ausmachen. Dazu gehören zum Beispiel unser Körper, unsere Persönlichkeit, unsere religiösen Überzeugungen oder unsere kulturellen Gepflogenheiten.8 Wenn wir keine Kernidentität hätten, würde die Welt im Chaos versinken. Länder hätten weder Verfassungen noch Flaggen, Unternehmen keine Marken und Menschen keine Namen oder Persönlichkeiten. Unsere Kernidentität ist der feste Punkt, von dem aus wir unsere Erfahrungen zu einem in sich schlüssigen Selbstgefühl zusammenfügen. Für Menschen, die sich ihrer Kernidentität nicht sicher sind, und die nicht wissen, wer sie sind oder wofür sie stehen, werden Entscheidungen jeder Art schwierig.

Identität ist plural

Zu unserer Kernidentität gehören unsere persönlichen Vorlieben und persönlichen Eigenschaften genauso wie unsere Identifizierung mit bestimmten gesellschaftlichen Gruppen. Sehen Sie sich als Amerikanerin? Japaner? Deutsche? Spanier? Protestantin? Muslim? Jüdin? Hindu? Atheistin? Als Student? Mutter? Manager? Sozialdemokratin? Konservativer? Weil wir zu einer Vielzahl von Gruppen gehören, haben wir viele gesellschaftliche Identitäten. Ein Mensch kann zum Beispiel Afroamerikaner, Protestant, Lehrer und konservativ sein.

In einem Konflikt müssen wir uns entscheiden, welche dieser gesellschaftlichen Identitäten uns am wichtigsten ist.9 Unsere Religionszugehörigkeit, Herkunft, politischen Ansichten und Staatsangehörigkeit können uns in verschiedene Richtungen ziehen. Vielleicht ist uns unsere Religion am wichtigsten, aber um uns in unser Viertel zu integrieren, betonen wir unsere Staatsangehörigkeit. Selbst in zwanglosen Gesprächen unter Freunden müssen wir uns überlegen, ob wir uns über Politik, Religion oder Arbeit unterhalten wollen, denn jede Entscheidung wirkt sich auf die Konturen unserer Identität aus.

Aber nicht nur wir selbst identifizieren uns als Angehörige bestimmter Gruppen, sondern wir werden auch von anderen identifiziert und in Schubladen gesteckt. Wenn Sie in Ihrem Unternehmen einem Arbeitskreis zum Thema kulturelle Vielfalt angehören und die einzige Türkin sind, dann werden Ihre Kollegen dafür sorgen, dass Sie sich dieser Identität besonders bewusst sind, auch wenn Sie diese Identität vollkommen vergessen, wenn Sie mit einer Freundin in einem Café sitzen. Aber wir sind dieser Art der Etikettierung nicht hilflos ausgeliefert. Diese Beobachtung machte Professor Henri Tajfel, Begründer der Theorie der sozialen Identität, im Zweiten Weltkrieg. Er war polnischer Jude, studierte in Frankreich und meldete sich zu Beginn des Kriegs als Freiwilliger zur französischen Armee. Nach der Besetzung Frankreichs geriet er in deutsche Kriegsgefangenschaft und wurde fünf Jahre lang von einem Lager zum anderen verschoben. Immer wieder wurde er von den Deutschen verhört: Sind Sie Jude? Woher kommen Sie? Er gestand seine jüdische Identität, weil er vermutete, dass die Deutschen eine Lüge durchschauen würden. Aber weil er erkannte, dass seine Identität nicht vollkommen fest war, beschloss er, sich als französischer Jude auszugeben. Hätten die Deutschen seine Identität als polnischer Jude erkannt, dann wäre dies sein sicherer Tod gewesen.10

Unsere Kernidentität ruht auf fünf Säulen: Überzeugungen, Rituale, Bindungen, Werte und emotional bedeutsame Erfahrungen. Diese Säulen bieten einen Rahmen, um zu verstehen, was in einem emotional aufgeladenen Konflikt auf dem Spiel steht. Wird eine dieser Säulen bedroht, löst dies eine Existenzkrise aus, weil wichtige Aspekte unserer Kernidentität in Gefahr scheinen.

Die Aufgabe der Identität besteht nicht darin, uns am Leben zu erhalten oder unsere Gene weiterzuvererben, sondern Sinn im Leben zu finden.11 Die fünf Säulen verleihen unserer Existenz diesen Sinn. So unerlässlich wie Hirn, Herz und Lungen für das Überleben unseres Körpers sind, so unerlässlich sind die fünf Säulen für das Überleben unserer Identität. Sie erklären auch, warum im Stammesexperiment ein ums andere Mal die Welt in die Luft fliegt: Den Teilnehmern geht es weniger darum, die Welt zu erhalten, als darum, die wahrgenommene Bedeutung ihres Stammes zu bewahren.

Je eher wir erkennen, welche unserer fünf Säulen bedroht ist, umso eher können wir uns um diese Säule kümmern und das Augenmerk auf die Lösung unseres Konflikts richten.

Die fünf Säulen der Identität

Überzeugungen sind konkrete Vorstellungen, die wir für wahr halten.

Rituale sind für uns persönlich sinnvolle Gepflogenheiten und feierliche Handlungen, Übergangsriten, regelmäßige Gebete oder Mahlzeiten im Kreise der Familie.

Bindung ist die Loyalität gegenüber Einzelpersonen oder Gruppen, zum Beispiel Angehörigen, Freunden, Autoritätsfiguren, Nationen oder Ahnen.

Werte sind Leitprinzipien und übergreifende Ideale, die oft in einem einzigen Schlagwort wie Gerechtigkeit, Mitgefühl oder Freiheit auf den Punkt gebracht werden.

Emotional bedeutsame Erfahrungen prägen uns im positiven wie im negativen Sinne. Dazu gehört unsere Hochzeit genauso wie die Geburt des ersten Kindes, eine Ohrfeige der Mutter oder die Erinnerung an Gewalt gegen unsere Gruppe.

Wenn sich Ihr Konflikt emotional auflädt, dann gehen Sie die fünf Säulen der Identität durch und sehen Sie sich an, welche bedroht zu sein scheint. Ist eine Ihrer zentralen Überzeugungen gefährdet? Bedroht die andere Seite Ihre Bindungen zu Ihrer Familie oder Religionsgemeinschaft? Nachdem Sie Ihre eigenen Säulen überprüft haben, überlegen Sie, was für die andere Seite auf dem Spiel stehen könnte. Weder Sie noch die andere Seite wird sich auf eine Vereinbarung einlassen, die eine wichtige Säule bedroht.

Auch die Kernidentität ist nicht in Stein gemeißelt12

Mein zehnjähriger Sohn Noah nahm unlängst an einem Fußballspiel teil und erzielte sieben Tore für seine Mannschaft, während die Gegenseite kein einziges schoss. Kurz vor Ende des Spiels fiel dem Sportlehrer ein, ihn in die gegnerische Mannschaft zu stecken. Noah erzielte zwei weitere Tore für seine neue Mannschaft und »verlor« das Spiel 7 : 2. Den ganzen Abend schmollte er, weil er verloren hatte: Binnen Sekunden war seine Loyalität von einer Mannschaft auf die andere übergegangen.

Aber Noahs Kernidentität war natürlich nicht vollständig auf den Kopf gestellt worden. Er war im Ferienlager und fühlte weder zu der einen noch der anderen Mannschaft eine besonders starke Bindung. Wäre es dagegen eine Weltmeisterschaft gewesen, dann wäre es ihm nach einem solchen Wechsel sehr schwergefallen, seine Bindungen neu zu ordnen. Auch die Kernidentität ist zu einem gewissen Grad fließend, auch wenn die tiefsten Säulen der Identität fest zementiert sind.

Auch für eine Gruppe kann sich die Kernidentität verändern. Ein Unternehmen kann sich eine neue Philosophie geben, aber immer noch dasselbe Unternehmen sein, und eine politische Partei kann ihr Programm neu ausrichten und immer noch mehr oder weniger dieselbe Partei sein. In Wirklichkeit verhandeln Gruppen die Ränder ihrer Identität ständig neu aus, sie entscheiden darüber, wer dazu gehört und wer nicht, und was Zugehörigkeit überhaupt bedeutet. Es ist, als würde ein Kreis um die Gruppe gezogen, und die Angehörigen debattieren ständig darüber, welche Werte, Überzeugungen und Rituale in diesen Kreis gehören. Politische, religiöse und gesellschaftliche Gruppen behalten oftmals ihre traditionellen gesellschaftlichen Etiketten, auch wenn sie die Bedeutung dieser Etiketten neu definieren.

Während sich unsere Kernidentität der Veränderung widersetzt, ist eine andere Facette der Identität formbarer und eröffnet ausgezeichnete Möglichkeiten, selbst hochemotionale Konflikte zu lösen.

Die Macht der Beziehungsidentität

Ihre Beziehungsidentität ist das Spektrum von Eigenschaften, die unsere Beziehung zu bestimmten Personen oder Gruppen definieren.13 Spüren Sie im Umgang mit Ihrem Partner Distanz oder Nähe? Fühlen Sie sich eingeengt oder haben Sie das Gefühl, so sein zu können, wie Sie sind?14 Während unsere Kernidentität den Sinn der Existenz sucht, sucht die Beziehungsidentität den Sinn in der Koexistenz.15 Weil wir unsere Beziehung ständig neu verhandeln, verändert sie sich dauernd, und deshalb haben wir hervorragende Möglichkeiten, sie zu gestalten.16

Um das Konzept der Beziehungsidentität zu verdeutlichen, sehen Sie sich die Abbildung 3.1 an. Ehe Sie weiterlesen, beantworten Sie diese Frage: Welches Feld ist dunkler – A oder B?

Abbildung 3.1

Die Antwort: Sie sind identisch. Obwohl in unserer Wahrnehmung Feld A dunkler ist als Feld B, sind sie in Wirklichkeit gleich. (Wenn Sie mir nicht glauben, decken Sie das Bild bis auf die Felder A und B ab.) Die optische Täuschung ist das Ergebnis der Tatsache, dass wir die Felder nicht so wahrnehmen, wie sie objektiv sind, sondern in ihrer Beziehung zu ihrer Umgebung.

Ähnlich verhält es sich mit unserer Wahrnehmung von unterschiedlichen Identitäten. Wir haben eine Kernidentität, doch bei der Lösung eines Konflikts geht es nicht nur um diese, sondern auch um unsere Beziehungsidentität – wie wir uns in Beziehung zu anderen wahrnehmen und umgekehrt.

Kommen wir noch einmal auf Davos zurück. In dem Experiment begannen die Stämme ihre Verhandlungen mit dem Wunsch, die Welt zu retten. Doch schon bald brachen die Beziehungen der einzelnen Stämme untereinander zusammen – die wachsenden Spannungen hatten so gut wie nichts mit den Unterschieden der Kernidentität der Stämme zu tun. Nachdem sich der Fröhliche Stamm in der ersten Runde zurückgewiesen fühlte, versuchte er, in den folgenden Runden die Zügel in die Hand zu nehmen. Der Abgeordnete des Regenbogen-Stammes schaffte es, zwei weitere Stämme in ein Bündnis zu holen. Die zentrale Frage, die alle Stämme beschäftigte, war: »Wem fühlen wir uns verbunden, und von wem fühlen wir uns zurückgewiesen?«

Es lässt sich nicht exakt nachmessen, wie stark wir uns der anderen Seite verbunden fühlen. Der beste Gradmesser ist, wie wir uns in einer Beziehung fühlen. Aber da sich die Kernidentität meist über konkrete Eigenschaften definiert (»Ich bin Psychologin und lege Wert auf Authentizität.«), bleiben die der Beziehungsidentität eher abstrakt (»Ich habe das Gefühl, unsere Beziehung verkümmert.«).17

Auch wenn die Beziehungsidentität ein wenig vage erscheinen mag, hat sie zwei konkrete Dimensionen: Verbundenheit und Autonomie.18 Wenn Sie sich dieser Dimensionen bewusst werden und verstehen, wie sie wirken, können Sie in einem Konflikt kooperative Beziehungen herstellen.19

Schaffen Sie Verbundenheit

Verbundenheit meint unsere emotionale Beziehung zu einem Menschen oder einer Gruppe. Stabile, konstruktive Beziehungen bewirken tendenziell positive Emotionen und den Wunsch zur Zusammenarbeit, selbst in schwierigen Zeiten.20 Als ich Generalleutnant H. R. McMaster interviewte, der seinerzeit Kommandant des Dritten Panzerregiments in Tal Afar im Irak war, erklärte er mir, dass die amerikanischen Truppen bei der Befriedung des Landes vor allem dann erfolgreich waren, wenn es ihnen gelang, Verbundenheit mit den Irakern herzustellen.21 Daher hatte McMaster ein Trainingsprogramm aufgelegt, in dem die Soldaten zum Beispiel lernen sollten, sich erst mit den Einheimischen zusammenzusetzen und Tee zu trinken, und sie erst dann respektvoll um Informationen zu bitten.22 Diese scheinbar einfachen Gesten der Verbundenheit hatten große Auswirkungen auf das Ausmaß der Zusammenarbeit und der Weitergabe von Informationen, und sie sorgten für Sicherheit.

Das Gegenteil der Verbundenheit ist Zurückweisung. Wenn Ihr Vorgesetzter Ihre Kollegen zu einem wichtigen internen Gespräch ruft und Sie nicht dazu bittet, und das obwohl Sie auf dem betreffenden Gebiet eine Koryphäe sind, dann sind Sie vermutlich verärgert. Sie fragen sich, wie Sie Ihre Stellung in diesem Kreis verloren haben, und fürchten, dass sich alle gegen Sie verschworen haben. In anderen Lebensbereichen ist Zurückweisung nicht weniger schmerzhaft. Wenn alle in der Familie eine Einladung zu einem Treffen der Großfamilie bekommen, nur Sie nicht, dann verursacht das vermutlich emotionalen Schmerz.

Hirnforscher haben beobachtet, dass der aus sozialer Zurückweisung entstehende Schmerz den anterioren cingulären Kortex aktiviert – dieselbe Hirnregion, die auch bei körperlichem Schmerz aktiv wird.23 Unser Gehirn reagiert auf Zurückweisung genauso wie auf einen Schlag in die Magengrube: Wenn wir geschlagen werden, verweigern wir die weitere Zusammenarbeit, auch wenn wir damit unseren rationalen Interessen schaden. Und damit wird es schwieriger, unseren Konflikt beizulegen.24

Respektieren Sie die Autonomie, sonst …

Unter »Autonomie« verstehen wir die Möglichkeit, frei von unserem Willen Gebrauch zu machen – also ohne allzu große Einschränkungen durch andere denken, fühlen, handeln und sein zu können, wie wir wollen. Unlängst wurde ich in einem Café Zeuge eines Streits zwischen einem Pärchen. »Beruhige dich!«, zischte der Mann. Die Frau funkelte ihn an und blaffte: »Sag mir nicht, dass ich mich beruhigen soll! Beruhig du dich doch!« Worum es in dem Streit der beiden auch immer ursprünglich gegangen sein mochte, jetzt ging es um die Autonomie. Keiner wollte sich vom anderen vorschreiben lassen, was er zu tun oder zu lassen hatte. In dem Moment, in dem wir das Gefühl haben, dass jemand unsere Autonomie gefährdet, werden wir wütend und wollen zurückschlagen.25

Das Konzept der Autonomie erklärt, warum etwas scheinbar so Einfaches wie der Name eines Landes zum Auslöser schwerer internationaler Konflikte werden kann. Nach dem Zerfall von Jugoslawien kam es zu Spannungen, als einer der Teilstaaten unter dem Namen »Republik Mazedonien« seine Unabhängigkeit erklärte. Das sorgte für endlose Probleme mit dem Nachbarland Griechenland, dessen nördliche Region Mazedonien heißt. Hier leben drei Millionen Menschen, die sich als Mazedonier bezeichnen und erklären, sie hätten den alleinigen Anspruch auf den Namen.26