Verhängnisvoller Kontakt - JC Spark - E-Book

Verhängnisvoller Kontakt E-Book

JC Spark

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Beschreibung

Was tut man, wenn sich ein Fremder direkt vor deiner Nase in seine Bestandteile auflöst?


Diese Frage stellte sich Steve schon, als er elf Jahre alt war.


Zwei Jahrzehnte später, jetzt als Physiker, hat er immer noch mit den Folgen dessen zu kämpfen, was er miterlebt hat.


Da sein Leben und das Überleben der Menschheit auf dem Spiel stehen, muss er sein gesamtes Wissen einsetzen, um die Wahrheit hinter seinem unerklärlichen Erlebnis aufzudecken, auch wenn er dabei seinen Verstand verlieren könnte.


Das Leben nimmt eine unerwartete Wendung für Steve, seine Freunde und sogar seine Feinde.


Je tiefer sie graben, desto mehr Geheimnisse finden sie, und während ihrer eigenen Geheimnisse aufgedeckt werden, müssen sie entscheiden, wem sie vertrauen wollen, bevor es für alle zu spät ist.


Du betrittst jetzt die Space Welt:


sei bereit für einen Verhängnisvollen KONTAKT, ein langsam aufflammendes Feuerwerk aus Science-Fiction, Spannung und Rätseln, das sich immer weiter aufbaut, bis du merkst, dass die Kerze tatsächlich an beiden Enden angezündet wurde!


Wissenschaft kollidiert mit Mythos und ein neues Universum wird geboren, das in einer alternativen Realität angesiedelt ist, in der die Entdeckung einer unbekannten physikalischen Kraft das Leben der Protagonisten und die Ordnung der Welt auf den Kopf stellt.


Enthält anthropomorphe Personifikationen, FBI-Agenten, Physiker, Hirnforscher, eine Bäckermeisterin, Katzen und Hunde, eine neugierige Nachbarin, eine zickige Reporterin, einen Polizeidetektiv und Polizisten, köstlichen Kuchen und verbrannte Makronen, Physik und physikalisch unmögliche Kräfte, einen Abrissunternehmer, einen ganz gewöhnlicher ungewöhnlichen Jungen, eine Spur von Toten, Verschwundenen und Verwirrten und das Ende der Welt, wie wir sie kannten – oder vielleicht nur das Ende dessen, was wir dachten, dass sie ist?


Wenn Good Omens und Dr. Who ein Kind hätten – dann wäre das Verhängnisvoller Kontakt!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 657

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Für meine einzigartige Frau, die diesen Traum möglich gemacht hat und für die ich die Space Welt erschaffen habe. Danke für deine Liebe für meine krausen Gedanken, die Unterstützung bei allen Teilen dieses Projekts – und dafür, dass du den Witz verstehst!

Auf den letzten beiden Seiten befindet sich ein Glossar, in dem alle Namen und Begriffe aufgeführt sind.

Deutsche Erstausgabe von LuxurInk BooksCharakterzeichnungen von Elliott CasselUmschlagentwurf von JC SparkUmschlagdesign von Violet ValkyrieIllustrationen von Violet Valkyrie Lektorat von Viktoria KravtschenkoKorrektorat von Jill DolisyISBN 978-3-68953-002-0Copyright © 2024 von JC SparkAlle Rechte vorbehalten.Kein Teil dieser Veröffentlichung darf in irgendeiner Form oder auf irgendeine Weise reproduziert, verteilt oder übertragen werden, einschließlich durch Fotokopieren, Aufzeichnen oder andere elektronische oder mechanische Verfahren, ohne die vorherige schriftliche Genehmigung des Verlags oder Autors, es sei denn, dies ist durch das deutsche Urheberrecht gestattet.Dieses Buch ist ein Werk der Fiktion. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder das Produkt der Vorstellungskraft des Autors oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebenden oder verstorbenen, Ereignissen oder Orten ist rein zufällig.

Inhalt

?1.Steve2.Steve 3.Cain4.Steve5.Cain6.Steve7.Rena8.Zen9.Gray10.Rena11.Mark12.Will13.Zen14.Will15.Nick16.Steve17.Rena18.Cain19.Steve20.Cain21.Nick22.Cain23.Steve24.Cain25.Gray26.Zen27.Cain28.Zen29.Steve30.Zen31.Rena32.Will33.Nick34.Rena35.Will36.Cain37.Steve38.Rena39.Steve40.Gray41.Rena42.Steve43.Rena44.Steve45.Rena46.Cain47.Rena48.Steve49.Rena50.Cain51.Zen52.Steve53.Zen54.Steve55.Cain56.Will57.Rena58.Will59.Cain60.Will61.Steve62.Cain63.Will64.Fan Ting65.Zen66.Steve67.Cain68.Steve69.Zen70.Rena71.Steve72.Zen73.Cain74.Steve75.Rena76.Steve77.Cain78.Zen79.Will80.Zen81.Rena82.Zen83.Rena84.Steve85.Rena86.Zen87.Cain88.Will89.Rena90.Cain91.Nick92.Cain93.Will94.Cain95.Zen96.Rena97.Cain98.Rena99.Cain100.Will101.Steve102.Cain103.Steve104.Will105.Steve106.Will107.Steve108.Will109.Cain110.Nick111.Rena112.Will113.Cain114.Rena115.Steve116.Will117.Steve118.Cain119.Steve120.Will121.Steve122.Rena123.Will124.Steve125.Nick126.Cain127.Steve128.Cain129.Steve130.CainMehr Bücher von JC SparkAutorenseite Glossar

Raum.Die erste Erinnerung, die ich besitze.Die Erfahrung von Raum um mich herum.Raum überall außerhalb und innerhalb von mir.Alles war Raum.Weit.Offen.Unendlich.Aber ich erkannte es nicht.Ich existierte nur.Bis ich es bemerkte.Und ich fiel, gefolgt von - einem Schatten?

Zeit.Ich spürte den ersten Augenblick vergehen.Etwas war davor, das nicht mehr ist.Tot, unerreichbar.Alles vergeht.Ich verstand nicht, was es bedeutete, nur, dass ich nicht verging. Und auch etwas anderes nicht, etwas, das mich in diesen Abgrund gerissen hatte, in den ewigen Tod.Es fiel und zog mich mit, zerriss die Unendlichkeit.Und alles, was blieb, war der Tod, der mich umgab, doch nie meiner sein konnte.Aber vielleicht der meines Feindes.

2006, Montag, 28. August, Concord, New Hampshire, USA

Was tust du, wenn sich ein Fremder direkt vor deiner Nase in seine Bestandteile auflöst? fragte sich der elfjährige Steve, dem genau das gerade passiert war. Und ob es einen Unterschied machte, dass es ein Fremder war. Sollte es, oder nicht?

Zehn Minuten vorher:

Steve duckte sich hinter einer Hecke und unterdrückte ein Niesen, als ihm der Staub einiger vertrockneter Blätter in die Nase stieg. Er lauschte dem aufgeregten Getuschel der anderen Jungen in der abendlichen Stille, als sie sich, nachdem sie die gestohlenen Zigaretten unter sich aufgeteilt hatten, ein Versteck zum Rauchen suchten. Es ging um einen 'total coolen' Film mit Superhelden, den sie alle in den Sommerferien gesehen hatten.

Keiner bemerkte, dass er fehlte. Vielleicht war es ein Fehler, ihnen nicht zu folgen. Als der Neue an der Schule hätte er sich besser an sie dranhängen sollen. Aber die waren alle mindestens zwei Jahre älter als er und redeten über Sachen, die ihn nicht interessierten, wie diese X-Men. Vermutlich jede Menge unrealistischer Quatsch – auch wenn er gerne auch mal bei so etwas dabei wäre.

Steve wollte gerade aufstehen, als das Geräusch von Schritten auf dem trockenen Feldweg ihn innehalten ließ. Er spähte durch das spärliche Blattwerk seines Verstecks. Ein älterer Mann kam schwankend den Weg herauf. Er trug einen eher altmodischen Anzug und als er an Steve vorbei ging, wurde die Luft dick von Pfeifentabakrauch. Er überlegte, ob das ein Professor war, den er noch nicht kannte und was er wohl unterrichten könnte. Und was machte er um diese Uhrzeit auf dem Weg? Der führte zwischen Feldern hindurch zu einem kleinen Wäldchen am Rand des Schulgeländes. Was hatte er vor?

Die Art, wie der Mann sich bewegte, machte Steve neugierig. Der Gang war, obwohl langsam, doch zielstrebig. Aber was konnte das Ziel sein? Soweit Steve bisher herausgefunden hatte, gab es in dieser Richtung nur noch mehr Hecken und Felder, nichts, was einen so gepflegten älteren Herrn so spät in der Nacht interessieren würde. Sofort stellte sich Steve alle möglichen aufregenden Szenarien vor, geheime Treffen, unbekannte Arten, die es zu beobachten galt, vielleicht sogar etwas Kriminelles.

Aufgeregt stand er leise auf und folgte dem Mann. Als der die Hecken hinter sich gelassen hatte, hielt er auf einmal an und drehte sich um. Steve blieb erschrocken stehen, aber bevor er reagieren konnte, bemerkte er, dass der Mann ihn gar nicht ansah, sondern über ihn hinweg nach oben starrte. Nicht direkt in den Himmel, eher als versuchte er etwas zu fixieren, das über Steve war. Doch als er den Kopf in den Nacken legte und dem Blick des Mannes folgte, sah er nichts außer dem dunkler werdenden Nachthimmel. Als er wieder zu dem Mann schaute, öffnete dieser den Mund, aber kein Laut kam heraus. Dann verzog er das Gesicht und griff sich an den Kopf, als hätte er Schmerzen und ließ dabei einen Schlüsselbund fallen. Reflexartig bückte sich Steve, hob die Schlüssel auf und als er sich wieder aufrichtete … war der Mann verschwunden.

Aber da war noch etwas, direkt, bevor er ihn nicht mehr sah … Eine Art Licht, bläulich, eine Bewegung von etwas Unsichtbarem …

Er blinzelte, das ergab doch keinen Sinn. Seine Augen waren trocken und brannten, als hätte er zu lange in die Sonne geschaut. Was auch immer er beobachtet hatte, es war weg und ein heftiger Schmerz breitete sich in seinem Kopf aus. So sehr er sich trotz der Kopfschmerzen anstrengte, er konnte sich das Gesehene nicht wieder ins Gedächtnis rufen.

Vorsichtig drehte er den Kopf und schaute sich um, aber in der Dunkelheit konnte er nicht mehr erkennen als vorher: Den von der Hitze ausgetrockneten Sandboden des Feldweges unter seinen Füßen, die umliegenden Felder, ein Stück entfernt einige Hecken und noch weiter weg die Umrisse der Mauern, die das Gelände der St. Pauls Schule umgaben.

Er kniete sich auf den noch immer warmen Boden und betrachtete die Stelle genauer, an der der ältere Herr gerade noch gestanden hatte. Auch da war nichts zu sehen, außer ein paar verdorrten Grashalmen und kleinen Steinen auf dem Weg. Nur der Tabakgeruch hing noch immer in der Luft. Steve fuhr sich mit der Hand über die Augen und spürte wieder den stechenden Schmerz im Kopf.

Seit er entdeckt hatte … Seine Erinnerung fühlte sich ungewohnt verschwommen an, jedes Mal, wenn er sie zu fassen versuchte, entglitt sie ihm.

»Betest du oder musst du kotzen?«

Ein unsanfter Stoß in den Nacken ließ ihn aufspringen und zu einigen Mitschülern herumfahren. Viel zu ruckartig, er schwankte und ihm wurde leicht übel, ihr Kichern ließ ihn den Schlüsselbund noch fester umklammern. Sie betrachteten ihn spöttisch, während sie langsam einen Kreis um ihn bildeten. Er versuchte das Erlebte in Worte zu fassen.

»Ich habe einen Mann gesehen und dann hat er sich atomisiert.«

Aus dem Kichern wurde Gelächter und Steve spürte, wie sein Gesicht heiß wurde. Er wusste, wie blöd seine Worte klangen – aber genau so war es gewesen.

»Klar, vermutlich bist du ein X-Men, du bist ja eh so super schlau und was Besonderes.«

Der Junge war fast einen Kopf größer als Steve und stank nach Zigarettenrauch. Und er stand viel näher vor ihm, als es Steve lieb war. Steve machte einen Schritt zurück und wollte sich zum Gehen wenden, da stieß er gegen einen der anderen Jungen, der ihn hastig wegstieß.

»Such dir einen anderen zum Kuscheln.«

»Ich will nicht mit dir kuscheln.« Steve wich weiter zurück, alles, was er wollte, war nach Hause zu gehen und nachzuforschen, wie man einen Menschen atomisieren konnte. Das war die aufregendste Sache gewesen, die er je erlebt hatte – und auch die unheimlichste. Er nahm die anderen Jungen kaum wahr, seine Augen waren auf der Suche nach dem blauen Licht, das er noch kurz vorher gesehen hatte. Wenn er sich bloß erinnern könnte, was dieses andere gewesen war, das er …

»Ach so, ich bin dir wohl nicht gut genug.«

Der Schmerz von einem Schlag in den Rücken ließ ihn auf- schreien. Bevor er reagieren konnte, begannen sie, ihn grölend zwischen sich hin und her zu schubsen. Der Klang von Schritten kam näher und jemand rief: »Der denkt, er wäre ein X-Men!«

Das lenkte ihn ab und der nächste Stoß schickte ihn zu Boden. Seine Brille flog ihm von der Nase und er schlug die Arme über den Kopf. Aber es folgten keine weiteren Schubse oder Schläge, sondern ein kurzes Gerangel, dann sagte eine neue Stimme:

»Offensichtlich ist er keiner.« Wieder lachten alle, aber weniger überheblich als vorher. Jemand zischte »Mr. Dean kommt« und dann klang es, als würden sich alle aus dem Staub machen. Er nahm die Arme vom Kopf und schaute auf – zu einer Hand, die ihm entgegengestreckt wurde und er ergriff sie.

Ein Junge zog ihn hoch und reichte ihm seine Brille.

»Worum ging's denn?«

Steve blinzelte, setzte seine Brille wieder auf und musterte den anderen. Nun erkannte er ihn, die dicke Lippe vom letzten Eishockeytraining war unverkennbar. Cain, den Namen hatte er sich gemerkt, wie den des Zwillingsbruders Abel. War nicht leicht zu vergessen, auch wenn sie sich für Zwillinge nicht sehr ähnlich waren - Abel schien sich mit den anderen Jungen abgesetzt zu haben.

»Ich habe ihnen gesagt, dass ich einen Mann gesehen habe, der atomisiert wurde.«

»Was, wie der Professor?«

»Was für ein Professor? Es war, als ob er in einem Moment da war und im nächsten nicht mehr.«

»Du weißt schon, wie bei den X-Men, als der Professor atomisiert wurde … aber solche Sachen passieren nur im Film, nicht im wirklichen Leben.«

»Ist es aber. Ich habe seine Schlüssel – er hat sie fallen lassen, und als ich sie aufgehoben habe, um sie ihm zurückzugeben, hat er sich atomisiert.«

»Hat er sich nun selbst atomisiert oder war es jemand anderes? Ist auch egal, so etwas kann nämlich in Wirklichkeit gar nicht passieren.«

»Es kann, aber du wirst das nicht verstehen.«

»Hey, ich bin nicht dumm.«

»Das habe ich nicht gesagt, nur, dass du es nicht verstehen wirst, so wie ich Sport nicht verstehe.«

»Was gibt es bei Sport zu verstehen?« Cain grinste. »Aber was auch immer passiert ist, du solltest es einem Lehrer erzählen.«

Steve zögerte einen Moment, bevor er nickte. »Okay.«

Cain klopfte Steve den Sand vom Pulli. Schweigend gingen sie zurück Richtung Schulgelände. Steve warf Cain einen verstohlenen Blick zu.

Warum ist er so nett zu mir? Denkt er, dass ich irre bin, oder interessiert ihn tatsächlich, was ich sage?

Steve spürte, dass ihm die Antwort wichtig war. Es wäre schön, einen Freund zu haben, jemanden, mit dem er reden konnte, Dinge herausfinden, Rätsel lösen, jemanden der – ihn mochte.

Er fröstelte trotz der warmen Sommernacht, seine Schritte wurden langsamer und er ging noch dichter neben Cain. Etwas an Cain gab ihm das Gefühl, weniger allein zu sein, als könnte der ihn vor mehr als seinen Klassenkameraden beschützen. Steve glaubte nicht an Übernatürliches oder Vorahnungen, aber er konnte die Furcht nicht abschütteln.

Etwas ist passiert, etwas Eisiges hat mich berührt, und jetzt fühlt es sich, als würde mir ein Schatten folgen. Es fühlt sich einsam an, kalt – und zornig.

Bloß nicht durchdrehen, es gibt keine Geister oder so ein Zeug, das sind nur Gruselgeschichten. Es gibt eine vernünftige Erklärung dafür, irgendeine Kraft hat das verursacht. Aber was kann einen Menschen einfach so atomisieren?

Was wäre passiert, wenn ich einen Meter weiter gegangen wäre, wenn ich da gestanden hätte, wo der Mann verschwunden ist? Wäre ich jetzt – tot? Oder etwas ganz anderes?

Steves Kopf hämmerte und ihm trat kalter Schweiß auf die Stirn. Aber trotz seiner Furcht beschäftigte ihn noch etwas anderes.

»Cain, was sind X-Men?«

2029, Sonntag, 15. April, Boston

Aus der kleinen, aber gut ausgestatteten Küche, zog der Geruch von frischen Mandel-Makronen ins Wohnzimmer herüber, vermischt mit dem leicht bitteren Geruch verbrannter Kekse. Das war eher ungewöhnlich, aber Dr. Steve Floros, der Urheber sowohl des köstlichen Geruchs als auch dessen peinlicher Unternote, wurde heute von einer Nachricht auf Mac abgelenkt.

Physik war spannend – zumindest hatte sie Steve seit dreiundzwanzig Jahren unter Strom gesetzt. Auf seiner Suche nach einer Antwort auf die Frage, die ihn seit dem Tag im Sommer vor so vielen Jahren verfolgte, hatte er Dinge gesehen, die unmöglich erschienen. Und trotz der verheerenden Folgen für sein Leben konnte er nicht aufgeben. An eine Sache glaubte er wie andere Menschen an Gott: an Physik und eine physikalische Erklärung für alles. Und daran, dass diese Antwort ihm letztendlich die Chance geben würde, ein Leben jenseits dieser Suche zu führen.

Die Alternative wäre niederschmetternd. Falls er nicht gefeuert würde, dann wäre seine Zukunft angefüllt mit Theorien, Konferenzen, Berechnungen von Dingen, die ihn, wenn er ehrlich war, nicht sehr interessierten. Sein einziger Fokus war es, eine Antwort auf die Frage zu finden: Wie konnte sich jemand in seine Bestandteile auflösen und wie konnte Steve beweisen, dass so etwas möglich war? Darauf war sein gesamtes Leben ausgerichtet, seit er zwölf Jahre alt war: jede Ausbildung, jede Reise, jede Ausgabe, jede freie Stunde seiner Zeit.

Und heute war ein Tag, an dem er hoffte, der Lösung des Rätsels einen gewaltigen Schritt näher zu kommen. Mac, sein allgegenwärtiger Laptop und Assistentenersatz, hatte eine Menge vielversprechender Berichte bei einem Routine-Scan der Medien im näheren Umfeld von Boston gefunden. So viele, dass Steve eine Meldung mit dem Vorschlag einer Vor-Ort-Überprüfung von Mac bekam.

Ein Blick auf die Karte genügte, damit für Steve aus 'vielversprechend' 'aufregend' wurde: Alle Berichte der letzten Tage stammten aus Concord. Concord kannte er nicht nur gut, sein bester Freund lebte dort. Einen Besseren konnte Steve sich nicht vorstellen, nicht nur, weil er sein einziger Freund war und Steve ihn an einem Sonntagnachmittag anrufen konnte, um ihn auf die Jagd nach etwas zu schicken, das er nicht erklären wollte.

Sein Magen knurrte und Steve schaute auf die Uhr. Der Duft aus der Küche war trotz des Missgeschicks verlockend, aber es würde nur noch ungefähr zwei Stunden hell bleiben. Und wenn er selbst nach Concord fuhr? Cain würde sich zweifellos über die Makronen freuen und über den Besuch – aber er würde Steve auch bestimmt dazu überreden wollen, sich mit ihm einen gemütlichen Sonntagabend zu machen. Eine Versuchung, der er nur entkommen konnte, indem er zu Hause blieb. Steve seufzte und griff nach dem Telefon. Ein weiteres Mal verschob er heute das Essen, und so gerne er auch zu Cain gefahren wäre, Concord könnte eine zu heiße Spur sein.

2029, Sonntag, 15. April, Concord, New Hampshire

Cain Raptis verdrehte die Augen, als 'Crazy' von Gnarls Barkley eine dramatische Szene unterbrach. Er wischte seine krümeligen Hände an der Jeans ab und griff nach dem Telefon, ohne den Blick vom Bildschirm zu lösen. »Hm?«

»Heute schon was in die Luft gejagt?«

»Heute schon eine wissenschaftliche Sensation entdeckt?«

Er hörte Steve lachen. »Nein, noch nicht ganz, deshalb rufe ich an – ich brauche dich für ein Experiment.«

Cain rappelte sich aus seinem gemütlichen Sofa hoch und setzte sich aufrechter hin. Das klang ein wenig besorgniserregend, aber so, wie er Steve kannte, konnte 'ein Experiment' vieles bedeuten, warum immer gleich das Schlimmste annehmen?

»Hm, heute ist Sonntag und du rufst von zu Hause an. Lass mich raten: Was in der Küche? Entweder kaputt oder du brauchst ein Versuchskaninchen für eine neue Spezialität à la Steve?«

Bitte lass es so was sein – aber heute war nicht sein Glückstag.

»Bis vor einer Stunde hättest du richtig geraten und die Antwort wäre gewesen: die Makronen, die du so magst, mit einer Extrageschmacksnote. Aber dann kam eine Meldung von Mac und die Makronen sind angebrannt. Es ist etwas Spannendes – und es ist in Concord.«

»Was gibt´s Spannendes in Concord – von mir abgesehen?«

»Magnetfeldstörungen! Sowohl Störungen von Magnetfeldern, als auch durch Magnetfelder verursachte Störungen.«

Steve war so im Nerd-Mode, er würdigte nicht einmal Cains Kommentar. Und die Makronen zu erwähnen – fies, jetzt hatte er den Duft in der Nase! Es wäre schön, wenn es zur Abwechslung um etwas Normales ginge, worüber sie witzeln und es über einem guten Film vergessen könnten. Aber mit Steve … Cain versuchte, sich zu konzentrieren.

»Aha. Und wieso brauchst du mich? Du weißt, reparieren kann ich fast alles, oder es zumindest zum vorübergehenden Funktionieren bringen. Aber diese genialen Fähigkeiten sind nicht das, was du von mir willst, oder?«

»Richtig, auch wenn ich die sehr zu schätzen weiß – aber heute brauche ich dich, um mit mir so etwas wie eine Spritztour durch Concord zu machen.«

Cain blinzelte irritiert. »Und wohin?«

»Kann ich dir nicht sagen, einfach drauf los, was verstehst du denn sonst unter einer Spritztour? Komm schon, reiß dich von deinem Crowley los und dreh mit mir ein paar Runden.«

Verflixt, die Serie läuft noch! »Läster nicht, sonst muss ich erwähnen, dass du Good Omens übers Telefon an der Musik erkennst.« Cain schaltete den Player aus.

»Ich kenne dich eben gut. Ruf mich an, wenn du unterwegs bist … und nimm dein CB-Funkgerät mit.«

»Mein Funkgerät? Was ist das für eine seltsame Art von Experiment?«

Cain wartete einen Moment, aber Steve hatte bereits aufgelegt.

Für Steve in der Stadt herumfahren, mit meinem Funkgerät? Cain hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. Steve klang auf die Art aufgeregt, die Cain zu gut kannte. Er war kurz davor, einer seiner fixen Ideen nachzujagen. Und vermutlich wieder einmal nichts zu erreichen.

Was, wenn ich einfach hierbleibe und es mir gemütlich mache? Er hat nicht mal gewartet, bis ich Ja sage. Typisch. Nicht, dass ich ihm nicht helfen will, aber es ist frustrierend, das mit anzusehen. Jedes Mal ist er so aufgeregt und denkt, dass er doch noch seine Antworten findet.

Seufzend stand Cain auf, schaute an seinen zerknautschten Klamotten hinab, verabschiedete sich schweren Herzens vom Rest seiner Pizza und strich sich die Haare zurück. Er musste nicht weit fahren und wäre zur Stelle, wenn sich die Sache wieder als Flop herausstellte. Warum konnte Steve es nicht gut sein lassen?

Steve stellte mit einem bekümmerten Blick die Dose mit den spärlichen Resten seines Lieblingstees ins Regal zurück – zu ärgerlich, dass er den nur ein paar Mal im Jahr von einem Kollegen in Deutschland bekam. Er goss den Tee in den grünen Froschbecher und grinste. Er hatte Cain nie gesagt, dass das Ding undicht war, seit Cain ihm den etwas unförmigen, und auf jeden Fall mehr für den Inhalt einer Kanne als eines Bechers gemachten Froschpot zum zwölften Geburtstag geschenkt hatte. Mindestens einmal im Jahr verpasste Steve ihm eine neue Innenglasur – der Becher war verdammt unpraktisch, aber er hing an dem Ding. Er setzte sich mit seinem frischen Mate-Tee wieder an seinen Schreibtisch, als Cain anrief.

»Okay, ich habe den Truck genommen, Funkgerät habe ich. Was soll ich jetzt tun – und vor allem, warum soll ich es tun?«

»Das Was ist leicht erklärt.« Steve öffnete auf einem Bildschirm verschiedene Karten von Concord, um die Meldungen und Auswertungen auf Mac ergänzen zu können.

»Ich möchte, dass du herumfährst, und die ganze Zeit das Navi, das Funkgerät und das Handy eingeschaltet hast. Fahr von dir aus nach Norden Richtung St. Pauls, aber nimm nicht die Interstate, sondern die Nebenstraßen.«

»Soweit klar.« Cain ließ den Motor an, und kurz darauf verkündete das Navi »Route wird berechnet.«

»Na gut, bin unterwegs – und jetzt sag mir, warum ich diesen Nonsens mache?«

»Weil du mein bester Freund bist und bereit, der Wissenschaft einen Dienst zu erweisen?« Als er Cains vertrautes Schnaufen hörte, beeilte sich Steve, weiterzumachen. »Im Ernst, ich bin auf etwas Interessantes gestoßen. Mac hat seit einiger Zeit Magnetfeldstörungen in einem großen Gebiet an der Ostküste aufgezeichnet, viel häufiger als es die Statistik vermuten lässt.«

»Ha!«

»Den Ton kenne ich und ich kann dich beruhigen: Ich habe das Raster absichtlich weit gewählt, damit Mac nicht gleich bei jeder zufälligen Unregelmäßigkeit Alarm schlägt. Die Häufung in den letzten zwei Wochen war so gewaltig, dass sie trotzdem den Alarm ausgelöst hat. Und zwar nicht, oder nicht nur, wegen der Anzahl, sondern weil sie sich auf Concord konzentrierten und die Häufigkeit zunahm. Verstehst du?«

»Nicht wirklich.« Steve konnte Cains skeptisches Gesicht fast vor sich sehen. Er wartete.

»Wenn du von Vorfällen sprichst, ein Wort, das du recht inflationär verwendest, was meinst du in diesem Fall damit?«

Steve wollte gerade antworten, als ein kurzer Pfeifton aus Cains Auto, dann ein Knistern, gefolgt von den Worten »Route wird neu berechnet« ihn aufspringen ließ.

»Das! Genau das meine ich damit! Halt sofort an – wo bist du jetzt?«

»An der Ecke Silk Farm Road und Clinton Street. Hier ist ein Schulungszentrum, das Tierheim und irgendeine gemeinnützige Einrichtung – was soll hier Spannendes sein?«

Wenn Cain nur verstehen würde, was das hier bedeuten könnte, und seine Begeisterung teilen würde. Er zwang sich, ruhig zu bleiben und sich die Aufregung nicht anmerken zu lassen.

»Dein Funkgerät und Navi hatten kurze Störungen – die könnten durch ein ungewöhnliches Magnetfeld verursacht worden sein. Aber ohne Messungen mit anderen Geräten kann ich das nicht genau sagen.«

Cain murmelte »natürlich kannst du das nicht« und ließ den Motor an. »Wohin jetzt?«

»Fahr bis zur St. Pauls, über die 202 ins Zentrum, weiter über die 9 und rechts die Airport Road runter. Auf die Art decken wir ein weites Gebiet ab – und ich muss dir nicht vorhersagen, wo mögliche Hotspots sind, sonst sagst du nachher, ich hätte dich beeinflusst.«

»Ah, bin ich jetzt Schrödingers Katze?«

Steve verkniff sich eine Korrektur des Vergleichs, er wusste, Cain hasste das und benutzte Schrödingers Katze ohnehin meist nur, um Steve damit zu provozieren.

Als er in die Nähe der St. Pauls kam, schien sich Cains Stimmung zu heben. »Hast du gehört, dass zwei Typen von der Schule ins Nationalteam aufgerückt sind?«

Steve genügte ein kurzer Blick in seinen Chat mit Mac. »Ah, ja klar, Godwin und Hartley.«

Er stellte sich vor, wie Cain entgeistert auf die Freisprechanlage starrte und kicherte, bis Cain empört schnaubte.

»Oh Mann, wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst Mac nicht mithören lassen! Dabei fühle ich mich unwohl.«

»Sorry, muss sein, Mac prüft die ganze Zeit die Daten. Aber ganz unter uns …«, Steves Stimme nahm einen verschwörerischen Ton an, »ich glaube, Mac ist genauso ein großer Eishockeyfan wie du.«

Er wartete auf Cains Lachen, aber nach einem Moment der Stille, fragte der stattdessen: »Mac ist ein was?«

Steve stutzte. »Eishockeyfan – hast du mich nicht gehört?«

»Nö, du hast gesagt, Mac ist ein – und dann kam nichts mehr.«

Steve sprang auf und schrie ins Telefon. »Stopp! Wo bist du?«

Cain schwieg einen Augenblick und Steve dachte schon, die Verbindung wäre wieder abgebrochen. »Gerade am Krankenhaus vorbei.«

»Oh.« An den Ort hatten sie beide düstere Erinnerungen.

Nach einer Weile fragte Cain: »Soll ich weiterfahren?«

»Ja, das Krankenhaus steht auf der Hotspotliste, aber das könnte viele Gründe haben.«

Eine Weile schwiegen sie einvernehmlich und hingen ihren Erinnerungen nach, aber Cains Neugier siegte – so sehr er auch immer versuchte, Steve seine Forschungen auszureden, so neugierig war er trotzdem immer wieder.

»Warum sind Magnetfeldstörungen so wichtig? Ich meine, solche Schwankungen können immer auftreten.«

Steve seufzte. Damit starb seine Hoffnung, Cain lange genug mit dem Herumfahren zu beschäftigen. Diese Frage wäre einfacher zu beantworten, nachdem sie gefunden hatten, worauf Steve hoffte. Aber wenn er es Cain nicht erklärte, würde der nicht verstehen, warum die Sache wichtig war, und es wieder als verrückte Idee abtun – oder Schlimmeres.

»Du weißt, was elektromagnetische Wechselwirkung ist, oder?«

»Es ist eine der physikalischen Grundkräfte, das, was Atome zusammenhält, die Maxwellschen Gesetze und so, richtig?«

»Kann man so ausdrücken.« Ein Geräusch ließ Steve aufhorchen – Cain hatte abrupt gebremst.

»Jetzt sag mir nicht, dass du nach der Weltformel suchst.«

Steve lachte erleichtert; wenn Cain sich über so etwas Gedanken machte, dann war alles im grünen Bereich. »Du magst ja glauben, ich wäre clever, aber davon ist mein Hirn Lichtjahre entfernt. Nein, um so etwas geht es nicht. Fahr einfach weiter, ich erkläre es dir – wo bist du jetzt?«

Cain ließ den Motor wieder an. »Ich bin gerade auf die Airport Road gefahren und komme gleich am Flughafen vorbei. Los, jetzt spuck es aus, was versuchst du zu finden?«

Steve holte tief Luft. An diesem Punkt waren sie nicht zum ersten Mal. Er wollte so sehr glauben, dass er es dieses Mal finden würde. »Wenn es eine Kraft gibt, die Atome zusammenhält – und jemand könnte die Kraft manipulieren … dann könnte man damit Atome auflösen – also Dinge atomisieren.«

Er wartete angespannt auf den Ausraster von Cain, der immer kam, wenn Steve das Wort 'atomisieren' verwendete. Heute nicht. Am anderen Ende des Telefons war es absolut still.

Hab ich es zu weit getrieben? Hätte ich Cain vorher erklären sollen, worum es geht? Aber dann hätte er nur versucht, es mir auszureden und … was, wenn er jetzt ernsthaft sauer ist? Steve stieß die Luft aus, die er angehalten hatte. »Cain? Bist du sauer?«

Keine Antwort. »Cain?« Nichts.

Steves Blick zuckte von Macs Bildschirm zur Karte von Concord – und der Ansammlung von Markierungen an der Airport Road kurz hinter dem Flughafen. »Das ist es, das muss es sein! Wahnsinn, ich hab’s gefunden, Cain hat es gefunden, ich … steh hier wie ein Trottel und rede mit dem blöden Computer! Sorry, Mac, so hab’ ich das nicht gemeint, es ist nur …«

Steve hielt inne, schloss die Augen und atmete bewusst einige Male tief ein und aus, bevor er sich langsam wieder an seinen Schreibtisch setzte. Was auch immer das hier bedeutete, Cain musste etwas gefunden haben – nur konnte er Steve das nicht mehr sagen, die Kommunikation war schlagartig unterbrochen.

Ein lautes Knacken, fast wie ein Knall, ließ Cain so zusammenzucken, dass er fast den Wagen verriss. Dann knatterte und knarrte es schaurig. Vermutlich war es sein CB-Funkgerät, sein Handy und das Navi glotzten ihn jedenfalls nur aus leeren Bildschirmchen unschuldig an. Schwer atmend fuhr er langsam rechts ran, machte die Warnblinker an und stieg mit leicht wackeligen Beinen aus. Aus seinem Wagen kamen seltsam schnarrende Geräusche und Cain fühlte sich so unbehaglich, dass er sich ein Stück weiter entfernte.

Das Letzte, was er von Steve gehört hatte, war »wenn es eine Kraft gibt, die Atome zusammenhält – und jemand könnte die Kraft manipulieren … dann …«.

»Dann was, du Irrer?«

Auch wenn es unlogisch war, das Schreien beruhigte ihn. Er machte damit weiter und ließ all das raus, was er Steve nicht ins Gesicht sagen mochte.

»Wieso tust du mir das an? Wieso tust du dir das an? Hör endlich auf, diesem Irrsinn hinterher zu jagen, irgendwann wird dich das endgültig in die Klapse bringen! Können wir nicht einmal nur eine gute Zeit miteinander haben? Wie früher?«

Cain hielt inne. Ja, sie hatten gute Zeiten gehabt, und auch furchtbare, aber dieser Teil von Steve war immer auch ein Teil ihrer Freundschaft gewesen. Er holte tief Luft und setzte sich auf den Boden. Immer noch kalt, aber nun konnte er klarer denken.

Er lehnte sich zurück, schaute in den dunkler werdenden Himmel und sog die kalte Luft tief ein. Die Vorstellung von Steve ohne seine Besessenheit von 'der Wahrheit' funktionierte nicht. Und Cain hatte gelernt, damit zu leben, aber nie geglaubt, dass Steve finden könnte, wonach er suchte. Und heute?

Etwas störte in der Gegend Signale, so viel war klar. Obwohl er bei seiner Arbeit kaum Verwendung dafür hatte, verfügte Cain über Wissen im Bereich Elektrotechnik. Als Kind hatte er an allem herumgebastelt, von Fahrrädern und Rasenmähern bis hin zum Moped seines Nachbarn, und hatte ein Faible für Maschinen.

Nach einem Zwischenfall mit dem Staubsauger schickten ihn seine Eltern zu einem Kurs, damit er mit seinen Basteleien nicht versehentlich das Haus in Brand steckte. Stattdessen fing Cain Feuer und hatte so viel gelernt, es würde für einen zweiten Beruf reichen. Für Cain war Elektrotechnik ein Hobby und wenn er ehrlich war, etwas, mit dem er gehofft hatte, Steve besser zu verstehen.

Seufzend stand er wieder auf. Hier zu sitzen, brachte nichts außer einer dreckigen Hose. Die Matschigkeit des Bodens hatte er deutlich unterschätzt. Cain fröstelte. Er musste sich zumindest so weit von der Quelle dieser Störung entfernen, dass seine Geräte wieder funktionierten. Als er ins Auto stieg, war kein Knarren mehr zu hören, aber Handy und Navi waren nach wie vor nicht zu gebrauchen.

Es war seltsam, das hier allein zu erleben, sonst war immer Steve dabei, wenn Cain sich wie in diesem Moment fühlte: aufgeregt, irgendwie erschöpft, aber vor allem verwirrt. Und die Tatsache, dass er Steve gerade vermisste, machte ihn richtig sauer. Angespannt fuhr er weiter, bis nahe dem Highway die ersehnte Navi-Stimme verkündete: »Route wird neu berechnet.« Er packte sein Handy, als wollte er es erwürgen, und haute auf die Kurzwahl 1.

Steve stand einmal mehr vom Schreibtisch auf, diesmal, um sich unnötigerweise die Hände zu waschen. Cain nicht erreichen zu können, machte ihn unruhig. Sicher gab es keinen Grund zur Sorge. Aber was, wenn doch … Er ging in die Küche, holte sich eine Makrone und legte sie, nachdem er sich wieder gesetzt hatte, zu den beiden anderen, die bereits unbeachtet neben Mac lagen.

Steve versuchte, die Zeit mit weiteren stochastischen Modellen zu füllen. Aber in den Daten waren keine Muster zu erkennen.

Nichts schien einen Sinn zu ergeben, schon gar nicht die Standorte der Hotspots. Das Krankenhaus könnte eine Rolle spielen, aber dort gab es nur schwache Messwerte. Am wahrscheinlichsten wäre der Flughafen, wenn jemand mit den Störungen etwas bewirken wollte – aber dort war alles okay, die Störung war zu weit entfernt, um direkt eine Auswirkung haben zu können. Dafür konnte man dankbar sein; eine solche Störung am Flughafen könnte in einer Katastrophe enden.

Die Verteilung war willkürlich, oder sah zumindest so aus, obwohl sich Steve weigerte an einen Zufall zu glauben. Doch egal, wie sehr er auch darüber nachgrübelte und mit welcher Methode er die Störungsverteilung, die Daten, die Abstände analysierte, sie ergaben einfach keinen Sinn.

Als das Telefon endlich klingelte, nahm er hastig ab. »Hey, alles okay bei dir?«

»Nein, es ist absolut nicht alles okay bei mir!« Cain schnaubte. »Hast du eine Ahnung, wie ich mich gefühlt habe, als dieser gruselige Ton aus meinem Funkgerät kam und das Handy tot war? Hättest du mich nicht warnen können? War dir der blöde Effekt so wichtig, dass du mich da reinfahren lassen musstest?«

Steve schwieg erschrocken. Das kam unerwartet. So sauer hatte er Cain ewig nicht mehr erlebt, er musste eine Scheißangst gehabt haben. Aber Cain klang nicht nur wütend, es war mehr. Er kann doch nicht denken, dass ich das absichtlich gemacht habe, oder?

»Tut mir leid, ich habe nicht darüber nachgedacht. Sorry, ich wusste nicht, dass … sorry.«

Er hörte Cain fluchen und tief Luft holen. »Na schön, war dein Experiment erfolgreich, darf ich jetzt nach Hause fahren? Ich war kurz davor, einen U-Turn zu machen, aber ich wollte nicht wieder in diese Gegend zurück «

Cains Tonfall ließ Steve zusammenzucken. Er beschloss, es in diesem Moment nicht drauf ankommen zu lassen. »Klar, fahr nach Hause und vielen Dank, du hast mir sehr geholfen. Ich werde noch eine Weile wach sein und Berechnungen machen, wenn du nachher reden willst …« Er ließ den Satz in der Luft hängen und auch Cain schwieg eine Weile.

»Okay, bis später, ich melde mich.«

Steve lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Das habe ich verbockt. Warum denke ich nie lange genug über so was nach? Cain hat es nicht verdient, dass ich ihn da habe unvorbereitet rein rauschen lassen. Außerdem wusste ich nicht genau, was passieren würde, wenn Cain etwas finden würde. Vielleicht habe ich nicht einmal mehr daran geglaubt.

Dennoch, die heftigen Magnetfeldstörungen, in die Cain hineingefahren war, waren nicht da, wo sie nach den Auswertungen von Mac zu erwarten gewesen wären. Steve begann mit weiteren Berechnungen von Wahrscheinlichkeiten unter Berücksichtigung der neuen Daten, ging noch einmal die letzten Aufzeichnungen der Sonneneruptionen durch, versuchte es mit allen Zeitreihenanalysen, die mit Mac möglich waren.

Er sprach mit Mac über Anomalie-Erkennung und kam sich, wie üblich, etwas irre vor, als ihm auffiel, dass er mit ihm redete wie mit … vielleicht am ehesten jemandem, mit dem er zusammenlebte.

Cain würde sagen, ich sollte mir eher Sorgen darüber machen, dass ich mit Mac redete, als über die Formalitäten. Steve seufzte, Cains Witzeleien zu vermissen, machte die Arbeit nicht einfacher.

Als sich ihr Dauerchatfenster zu Steves Erleichterung eine Stunde später wieder öffnete, hatte er nur Ergebnisse für die Tonne produziert, alle völlig unglaubwürdig.

>Bin zu Hause und hab mir ein Bier gegönnt. Das war echt ein Schreck.<

>Sorry.<

>Was hast du herausgefunden?<

Steve zögerte.

>Dass ich ein Idiot bin – oder nicht rechnen kann. Alles, was mir die Ergebnisse sagen, ergibt in meinen Berechnungen keinen Sinn.<

>Shit, dann habe ich mir umsonst fast in die Hose gemacht?<

Das entlockte Steve trotz seiner Enttäuschung ein Lächeln.

>Jep, das war gratis. :-)<

>Du bist sicher enttäuscht.<

Typisch Cain! Wie sehr er sich auch über mich ärgert, er weiß fast immer, wie ich mich fühle.

>Ja, klar, ich dachte, diesmal hätte ich es. Aber das wäre ja auch irre, so eine Kraft manipulieren zu können … denkst du, ich bin verrückt?<

Der Cursor blinkte lächerlich lange, bevor die Antwort kam.

>In welcher Hinsicht verrückt?<

Ah, das ist ein Ja.

>Ich weiß nicht, wie du es mit mir aushältst, also erlöse ich dich für heute von mir und gehe ins Bett.<

>Okay, aber wenn du noch reden willst, ist das okay.<

>Danke, schon gut, hab noch einen schönen Abend mit deinem Demon.<

Als er auf Herunterfahren klicken wollte, kam noch eine Nachricht von Cain.

>Alles okay mit dir?<

Steve schluckte. Nein, war es nicht, aber er klappte Mac zu und ging ins Bett.

2028, Freitag, 10. November, Boston, MassachusettsUSA

Rena eilte durch den übertrieben beleuchteten Korridor der besseren Etagen des FBI-Gebäudes zum Büro ihres Vorgesetzten. Eine Sekretärin rauschte mit klappernden Absätzen und einem vorwurfsvollen Blick auf Renas Schuhe an ihr vorbei in den Feierabend. Rena bewegte sich versuchsweise behutsamer weiter. Das verhinderte jedoch nicht das unangenehm quietschende Geräusch, das ihre Außendienstschuhe auf dem polierten Steinboden verursachten. Was soll´s. Sie beschleunigte wieder, um den ereignislosen Tag zu beenden.

Es erstaunte Rena, so kurz nach einer unspektakulären Befragung zum Director gerufen zu werden, direkt vor dem Wochenende. Ging es um die Effizienz-Studie, die sie eingereicht hatte? Als sie eintrat, telefonierte Director Gray und forderte sie mit einer Geste auf, sich zu setzen. Rena nahm in einem der eher praktischen als eleganten Stühle vor Grays Schreibtisch Platz.

Während sie den unmöglichen Versuch unternahm, auf diesem Stuhl eine vorteilhafte Sitzposition zu finden, überlegte sie, ob und wie sie die Unfähigkeit ihres Kollegen in ihrem Bericht unterbringen sollte. Bei Grays ungehaltenem »Nie wieder« blickte sie auf – Gray sprach mit ihr.

»Was meinen Sie mit 'nie wieder', Director Gray? Ich weiß, Sie haben keine Studie zur Mitarbeitereffizienz angefordert, aber es passte zu der Weiterbildung, die ich mache und ich habe sie in meiner Freizeit erarbeitet.«

Er ignorierte diese Anmerkung und sein stechender Blick unter den zusammengezogenen, zu dünnen Augenbrauen traf Rena unvorbereitet.

»Nie wieder, Agent Lynch. Sie haben versprochen, dass es nie wieder vorkommen wird. Und hier habe ich vier Beschwerden über Sie. Vier! Sie waren nicht einmal so viele Tage an dem Fall dran. Was ist Ihre Ausrede?«

»Wer hat sich beschwert und worüber?«

Rena fragte nicht aus echtem Interesse, mehr um Zeit zu gewinnen.

Es geht also nicht um meine Studie – ich glaube nicht, dass die jemand gelesen hat.

»Das wissen Sie nicht, oder, Lynch? Nehmen wir Ihre letzte Befragung heute, weiter müssen wir nicht zurückgehen. Worüber denken Sie, könnte sich da jemand beschweren?«

Rena überlegte – nicht, wer sich worüber beschwert hatte, sie wusste, dass sie keinen Fehler gemacht hatte. Sie fragte sich, woher Gray eine Beschwerde von einem Einsatz hatte, der keine zwei Stunden zurücklag.

Sie richtete sich im Stuhl so weit auf wie möglich und schaute ihn direkt an.

»Ich habe nichts falsch gemacht. Sie werden nichts finden, was ich nicht nach Vorschrift erledigt hätte.«

»Und das ist der einzige Grund, warum Sie den Job noch haben, Lynch. Die Leute beschweren sich darüber, wie Sie sie behandeln. Zum Beispiel, die Frau, die Sie in der Klinik befragt haben. Sie sagte, Sie hätten sie wie« – er schaute in die Akte, die ein wenig zerfleddert vor ihm auf dem imposanten Schreibtisch lag – »wie ein Möbelstück behandelt, das Ihnen im Weg stand.« Gray sah sie prüfend an. Rena schwieg und schaute irritiert auf die Akte.

»Sie haben nicht gegen irgendwelche Vorschriften verstoßen, das tun Sie nie. Aber hätten Sie die Frau sich nicht fertig anziehen lassen können, bevor Sie sie befragten? Sie hatte gerade ein … unangenehmes Erlebnis, um das Mindeste zu sagen, und Sie saßen da und arbeiteten den Fragebogen ab.«

Das klang, als wäre er dabei gewesen.

»Deshalb bin ich da hingeschickt worden. Agent Drake war aus dem gleichen Grund da und hat die Zeugin nach mir ebenfalls befragt.«

Und dann war sie sich mit einem Mal ganz sicher, woher Gray die Beschwerde hatte.

Von wegen, er hat was vergessen. Deswegen hat Drake meine Zeugin nochmal befragt.

»Genau, aber niemand hat sich über ihn beschwert. Das ist der Punkt. Und das verstehen Sie offenbar nicht.«

Renas Blick folgte Grays Fingern, als er sich damit in einer heftigen Bewegung durch sein makellos frisiertes, grau werdendes Haar fuhr – keine Verbesserung.

Sie ballte die Fäuste. Klar hatte sich niemand über Ken den Schleimer beschwert, der hatte ja auch nichts weiter getan, als aufgesetzte Nettigkeiten zu verströmen.

Gray schnippte die Akte zu. »Niemand will mit Ihnen arbeiten. Agent Drake war der Letzte auf meiner Liste, und er sagte mir, er würde zukünftig lieber mit einem anderen Partner zusammenarbeiten. Was soll ich mit Ihnen machen, Lynch?«

Rena witterte ihre Chance, darauf hatte sie schon lange gewartet.

»Ich kann allein am nächsten Fall arbeiten.«

»Nein, das können Sie nicht, Sie sollten am besten wissen, dass die Vorschriften das nicht zulassen!«

»Außer in den Fällen, in denen es erlaubt ist. Sie können mir einen von denen geben.«

Mist!Da war mein Mundwerk schneller gewesen als mein Verstand. Ich will keinen von diesen Fällen.

»Sie haben immer gesagt, dass diese Fälle langweiliges Neulings-Zeug sind.«

Ja, sind sie auch – aber, wenn ich nur die Wahl zwischen Langeweile und Drake habe … einen Versuch ist es wert.

»Da gibt es sicher Fälle, ... die ein wenig anspruchsvoller sind. Ich bin schließlich kein Trainee mehr und sehr wohl in der Lage ...«

»Ich habe eine sehr genaue Vorstellung davon, wozu Sie in der Lage sind - und wozu nicht. Und selbst wenn nicht, ich trage die Verantwortung.«

Gray warf ihr mit einem schmalen Lächeln einen scharfen Blick zu, bevor er sich in seinem Stuhl zurücklehnte.

»Gut, Sie haben es so gewollt, ich werde Ihnen einen dieser Fälle zuteilen, weil ich keine andere Chance sehe, Sie in der Abteilung behalten zu können. Sie verstehen, Agent Lynch, das ist Ihre letzte Chance. Wenn ich wieder Beschwerden über Sie bekomme, werden Sie das Team verlassen.«

»Diesmal wird es keine Beschwerden geben, Director Gray.« Rena legte so viel Überzeugung in die Worte, wie sie aufbringen konnte.

»Ich hoffe, dass Sie Recht behalten. Sie sind eine gute Agentin in vielen Bereichen, also lernen Sie endlich den Umgang mit Menschen. Bei unserer Arbeit geht es um Menschen. All diese Fakten, Analysen und Daten sind nützlich, aber letztendlich geht es um Menschen. Wenn Sie das nicht lernen, werden Sie nie das Zeug zu einem Special Agent haben, Lynch. Sie geben am Montag ihr erstes Solo. Seien Sie vorbereitet.«

Mit diesen Worten wandte er seinen Blick ab und griff wieder zum Telefon – Rena war entlassen.

Als sie den blassen Korridor zu ihrem Großraumbüro entlang ging, langsamer als gewöhnlich, damit es nicht wie eine Flucht wirkte, versuchte sie, sich zu beruhigen, um nicht den nächstbesten Trainee mit einem Wutausbruch zu verschrecken.

Erst geht er mir den ganzen Tag auf die Nerven und dann beschwert sich der Kerl über mich. Und wenn ich heute noch einmal hören muss, wie jemand in diesem hochtrabenden Ton 'Menschen' sagt, dann flippe ich aus!

Rena bemerkte schmerzhaft, dass sie mal wieder anfing, mit den Zähnen zu knirschen, und riss sich zusammen.

Ich muss das als Chance sehen. Vielleicht bekomme ich einen langweiligen Fall. Aber ohne einen Partner an den Hacken, der mich irritiert und nur in vorgefertigten Bahnen denkt, macht vielleicht sogar so etwas Spaß.

Sie musste nur noch ihre Tasche für das Wochenende holen, blieb aber vor der Tür zu ihrem Büro stehen, als sie Agent Drakes Stimme hörte.

»Ihr habt es mir gesagt, aber ich habe nicht geglaubt, dass sie so nervig sein kann. Hatte einer von euch mal das Vergnügen, mit ihr zu fahren?«

»Oh ja, einmal, aber das war genug. Ist Rena gefahren oder du?«

Sebastian, war klar, immer in der ersten Reihe beim Lästern.

»Ich natürlich, zumindest auf dem Weg in die Klinik.«

Ja, klar, 'ich natürlich'. Fast hätte Rena bei seinem überheblichen Ton der Glastür die Zunge rausgestreckt. Sie sah Drake, Sebastian und Francesca, war aber selbst noch nicht entdeckt worden und presste ihren Rücken gegen die weiß getünchte Wand neben der Tür.

Drake lamentierte weiter. »Gibt es etwas, das man in ihren Augen richtig machen kann? Ich war zu schnell, hielt nicht genug Abstand, bremste zu abrupt, achtete nicht auf den Verkehr. Wir brauchten zwanzig Minuten, um anzukommen, und es fühlte sich wie Stunden an.«

»Und ich wette, du hast sie auf dem Rückweg fahren lassen, nur um dich nicht die ganze Zeit belehren zu lassen? Und dachtest, das wäre eine schlaue Idee?«

Rena stöhnte innerlich und trat gegen die Wand hinter sich. Francescas Stimme klang selbst dann noch niedlich, wenn sie etwas Gemeines sagte.

»Ah, du hattest die gleiche brillante Idee? Ja, und wie ihr euch vorstellen könnt, nörgelte sie dann über die anderen Fahrer. Es hätte besser sein können, als mich ständig zu belehren, aber sie hielt sogar an, damit sie hingehen und jemandem sagen konnte, welche Verkehrsregeln er gerade verletzt hatte. Mit dieser Frau zusammen zu … was auch immer, ist einfach nur peinlich!«

»Sie ist intelligent. Erzähl mir nicht, dass du aus einem anderen Grund bereit warst, mit ihr zu arbeiten. Hast gedacht, du könntest ihre Rechercheergebnisse abgreifen. Selbst schuld, du Faultier!«

Francesca kicherte. »Aber vielleicht sollten wir dankbar dafür sein, dass sie sich nicht wie ein normaler Mensch benehmen kann? Sie hätte die Beförderung sonst bestimmt schnell in der Tasche. Jetzt sieht es eher danach aus, dass sie Ende des Monats gefeuert wird.«

Rena starrte auf ihre Füße. Alles in ihr wollte einfach losrennen, nur weg, Tasche hin oder her. Erst recht, weil ihre Tritte hässliche Schuhabdrücke auf der Wand hinterlassen hatten. Aber den Triumph gönnte sie den Ratten im Büro nicht.

Sie holte tief Luft, bereit für einen Bluff und öffnete die Tür zum Büro, in dem sich die Kollegen um Ken Drakes Schreibtisch versammelt hatten.

»Nein, das wird sie nicht. Sie wird am Montag ihr erstes Solo haben. Wenn ihr sie also entschuldigen würdet, sie muss sich darauf vorbereiten.«

Damit schnappte sie ihre alte Ledertasche vom Schreibtisch, stürmte mit einem hämischen »Vielen Dank für die Empfehlung an Director Gray, das hat mir mein Solo eingebracht!« an Ken vorbei und war weg, bevor jemand reagieren konnte.

Rena schaute nicht zurück oder blieb stehen, bis sie ihr Auto erreicht und einige Meilen zwischen sich und ihre Kollegen gebracht hatte. Dann parkte sie den Wagen am Bordstein, schlug hart eine Weile auf das kalte Lenkrad ein und fluchte gründlich, bevor sie den Wagen wieder startete.

Was ist so falsch daran, sich an Vorschriften zu halten? Dazu sind die doch wohl da. Und wie können die sagen, ich wäre peinlich? Was ist mit ihrem Gehabe? Wenn ich mich jedes Mal beschweren würde, wenn deren Dummheit mir peinlich ist, dann wären die längst gefeuert! Immerhin erkennt Francesca, dass ich intelligent bin – was auch immer die davon versteht.

Rena musste sich sehr beherrschen, um nicht auf der Fahrt erneut auf das Lenkrad einzudreschen. Menschen sind einfach bösartig und dumm!

Sie zuckte erschrocken zusammen. Menschen! Jetzt habe ich das selbst gesagt und auch noch in diesem ätzenden Ton.Ich denke schon wie mein Vater. So weit haben die mich jetzt gebracht. Aber ich werde es ihnen zeigen! Und wenn es bedeutet, dass ich lernen muss, mich so zu verstellen, dass sich niemand beschwert, dann werde ich das tun.

Sie hatte sich nicht bis hierher durchgekämpft, um dann wegen der Lästereien von ein paar dämlichen Kollegen aufzugeben – und schließlich gab es keine Regeln, die sie nicht auswendig lernen konnte.

Als Rena vor ihrem Wohnblock parkte und auf die Uhr schaute, musste sie über die Ironie lachen. Sie hatte sich so in ihre Wut hineingesteigert, dass sie offenbar einige Geschwindigkeitsbegrenzungen missachtet hatte.

Sie verbrachte den Abend auf dem Sofa, mit Salami-Pizza, ihrem Laptop und der Recherche nach hilfreichen Büchern à la 'Wie man mit Menschen umgeht'. Der Menge an Literatur zu dem Thema nach zu urteilen, schien sie keineswegs alleine mit ihren Schwierigkeiten zu sein.

Nachdem sie sich einige E-Books besorgt hatte, erstellte sie einen Lernplan für das Wochenende. So schwierig konnte das nicht sein – sie fand es nur langweilig und vermutlich würde sie sich ärgern, weil die meisten Menschen so unlogisch waren.

Aber wenn es irgendeine Anleitung dafür gab, wie man damit klarkam, dann würde Rena sie finden, Recherche war schließlich ihre Spezialität. Sie würde nicht gefeuert werden; sie würde diejenige sein, die nächstes Jahr die Beförderung bekam.

Diesen Satz sagte sich Rena während des gesamten Wochenendes immer wieder vor wie ein Mantra – an dessen Nutzen sie genauso wenig glaubte, wie an den der Bücher, die sie las.

'Wie du lernst, gut mit Menschen umzugehen (und dabei du selbst zu bleiben)' Bah, wenn sie so etwas las, dann gingen bei Rena die Alarmglocken an! Aber immerhin gab es reichlich 'Checklisten':

- Echtes Interesse zeigen … wie blödsinnig, wie sollte man echtes Interesse zeigen, wenn einen etwas nun mal nicht interessierte?!

- Ernsthaft zuhören … das mache ich doch schon, inklusive Notizen.

- Ein Lächeln schenken … daraus kann ich vermutlich was machen.

- Echte Wertschätzung zeigen … puh, die Autoren schienen nicht viel Erfahrung in der realen Welt zu haben, sonst wüssten sie, dass sie da etwas Paradoxes verlangen.

- Verletzbarkeit zeigen … als Taktik, oder was? Klingt übel.

Am Sonntagabend war Rena von der Menschheit im Allgemeinen und den Autoren von Selbsthilfebüchern im Besonderen so genervt, dass sie aufgegeben hätte, wäre da nicht ihre Erinnerung an ihren Vater.

Es war eine Sache, Probleme mit dem Verhalten anderer Menschen zu haben – aber sie würde sich deshalb nicht wie er in Wahnvorstellungen verkriechen, sie würde sich ihren Platz in der Welt erkämpfen, auch wenn sie dazu vielleicht einen Spickzettel brauchte.

2029, Sonntag, 15. April, Concord

Zen beherrschte sich, um nicht vor Aufregung aus dem Wagen zu springen und einen Anschiss seines Vaters zu kassieren, als seine Mutter vor dem Tierheim parkte. Nicht heute, wo Zen sein Kätzchen bekommen würde.

Er wusste zwar, dass es nicht allein sein Haustier sein würde, aber er – oder viel mehr seine Kopfschmerzen – waren der Grund, warum sich sein Vater dazu hatte überreden lassen. Es war beinahe so, als wollte jemand, dass er ein Kätzchen bekam: Seine Mutter fand einen Bericht über den heilsamen Einfluss von Haustieren auf die Psyche, dann kam kurze Zeit später eine Doku über Katzen in der Schmerztherapie bei Kindern im Fernsehen. Die Tatsache, dass ein Kätzchen wesentlich weniger Kosten und unangenehme Erklärungen bedeutete als ein Aufenthalt in einer Klinik, überzeugte schließlich auch seinen Vater. Zens Medizin waren Kopfschmerztabletten und ein Kätzchen.

Und auch wenn sein Bruder sagte, dass es ihr gemeinsames Kätzchen sein würde – Zen wusste, dass es für ihn war. Das war nur gerecht, schließlich hatte auch nur er seit Wochen diese fiesen Kopfschmerzanfälle. Zen verzog das Gesicht und setzte dann schnell ein Grinsen auf. Seine Eltern sollten nicht merken, dass sein Kopf gerade wieder zu pochen begann, sonst überlegten sie es sich vielleicht anders.

»Komm schon, du Schlafmütze!« Sein Bruder Alex brüllte ihm ins Ohr und schob Zen vor sich aus dem Wagen.

»Ich wollte dir nur einen Vorsprung geben.« Zen rannte los Richtung Eingangstür, dicht gefolgt von Alex und der Stimme seiner Mutter im Rücken. »Nicht rennen, Jungs!«

Kurze Zeit später führte sie eine müde aussehende Frau in den Raum, wo die jungen Katzen untergebracht waren.

»Schau dir diese Kätzchen an!« Zens hohe Kinderstimme hallte leicht an den gekachelten Wänden des Tierheims wider. Mit Alex beobachtete er, wie die kleinen Fellknäuel in einer Box aufwachten. Einige begannen, sich zu strecken und auf wackeligen Beinen auf sie zu zukommen.

Sein Vater blieb an der Tür stehen, blickte missmutig in den stickigen Raum, verzog das Gesicht und lehnte sich vorsichtshalber nirgends an, während seine Mutter hinter sie trat. »Denkt dran, dass wir nur eine mitnehmen können.«

Zen ignorierte ihre überflüssige Erinnerung ebenso wie seine heftigen Kopfschmerzen und strahlte die Kätzchen an. Die rochen sogar süß, im Vergleich zu dem abgestandenen Geruch des Tierheims an einem Sonntagnachmittag.

»Können wir sie streicheln?« Alex streckte die Hand aus.

»Nur, wenn sie von sich aus zu dir kommen. Deine Eltern haben unterschrieben, dass du weißt, dass du gekratzt werden kannst, aber wir wollen trotzdem nicht, dass das passiert.« Die Frau vom Tierheim zwinkerte ihnen zu, klang aber von ihrem lahmen Humor gelangweilt. Sie öffnete den aufgeregten Jungen die nächstgelegene Box.

»Streckt einfach nur eine Hand aus und wartet.«

Einige Kätzchen waren neugierig genug, um ein paar vorsichtige Schritte auf sie zu zu tapsen – manche waren in Spiellaune und machten aufgeregte Quietschgeräusche, andere wirkten schüchterner, wollten aber gestreichelt werden, einige versteckten sich. Nur eines bewegte sich nicht, sondern starrte aus großen Augen Zen an.

Zen starrte zurück. Von seinen Kopfschmerzen wurde ihm fast schwindlig, aber er konnte den Blick nicht von den leuchtend blauen Augen des kleinen Tieres abwenden und streckte die Hand aus.

Scheinbar im nächsten Augenblick blickte er von dem Käfig auf und Alex grinste ihn an. Seine Mutter sagte: »Okay, Zen, wenn du sagst, sie muss es sein, dann muss sie es sein.«

Zen starrte zurück. Von seinen Kopfschmerzen wurde ihm fast schwindlig, aber er konnte den Blick nicht von den leuchtend blauen Augen des kleinen Tieres abwenden und streckte die Hand aus.

Scheinbar im nächsten Augenblick blickte er von dem Käfig auf und Alex grinste ihn an. Seine Mutter sagte: »Okay, Zen, wenn du sagst, sie muss es sein, dann muss sie es sein.«

Zen blickte nach unten. Er hielt das Kätzchen auf dem Arm, das ihn immer noch anstarrte. Ein wenig verwirrt schaute er zwischen dem Käfig und dem Kätzchen hin und her und bemerkte, dass sein Kätzchen – cool, endlich hatte er ein Kätzchen – genau wie eines der anderen aussah, weiß, mit einem getigerten Fuß hinten links. Aber das identisch aussehende Kätzchen stolperte einfach zurück zu den anderen und schlief ein. Der kleine Körper in Zens Armen fühlte sich seltsam warm an, schien fast kein Gewicht zu haben und das Fell war federweich unter seinen Fingern.

»Sie heißt Rose – wollen Sie sie gleich mitnehmen?« Die Frau vom Tierheim blickte auf die Uhr und klopfte mit einem Kuli auf ihr Klemmbrett.

»Sie ist so eine süße Kleine, schaut euch ihre kleine rosige Nase an – Rose ist perfekt!« Sogar die Stimme seiner Mutter klang rosa.

Sein Vater verdrehte die Augen und Alex wandte sich ihr mit angewidertem Gesichtsausdruck zu. »Wir können sie nicht Rose nennen, Mom, das ist peinlich.« Dann sah er ihr Grinsen und kicherte.

Zen unterbrach das Gekicher in eigenartig ernstem Tonfall. »Ihr Name ist nicht Rose, er ist Thorn.« Er hatte keine Ahnung, woher dieses Wissen kam. Aber das Kätzchen sah zufrieden aus, entspannte sich noch mehr und begann zu schnurren – Zens Kopfschmerzen ließen nach und ihm war zum ersten Mal seit Tagen wieder warm.

Endlich.Kontakt.Auch wenn es Zeit gebraucht hat und Fehler.Aber Kommunikation?Was nützt Kontakt, wenn der Mensch nicht versteht?Dieses mal wird es funktionieren, der Mensch erfüllt aller Kriterien.Er hat mir einen Namen gegeben, wir sind verbunden.Es muss funktionieren, die Zeit wird knapp.Menschen können Ideen haben.Lösungen finden, auch wenn sie unglaublich lange brauchen.Wenn ich wüsste, wie das geht . . . Ich will, dass es vorbei ist, dieses Ich.Nur eine Idee des Menschen und dann bin ich wieder frei.

Auf der Heimfahrt umklammerte Zen den Griff von Thorns Transportbox, während er aus dem Fenster auf nasse Straßen und matschige Auffahrten starrte. Er fragte sich, wie er auf den Namen Thorn gekommen war. Sicher, da war der Name Rose und Rosen hatten schließlich Dornen. Trotzdem, das war nicht seine normale Art zu denken.

Aber der Name passte, sie war anders. Zen grinste. Mit Thorn würde er etwas ganz Besonderes erleben.

Seine Mutter parkte den Ford vor dem Haus neben der Einfahrt, in der noch immer der silberne Lincoln seines Vaters stand. »Ich habe dir gesagt, dass es mit dem kleinen Kätzchen keinen Dreck gibt, Edward – wir hätten auch dein Auto nehmen können.«

Sein Vater seufzte ungehalten.

»Nachdem ich ihn gerade gewaschen habe, weil es endlich mal einen Tag nicht regnet? Auf keinen Fall. Du weißt, dass sie für die Reinigung nicht bezahlen, wie sich einige von uns vom letzten Mal noch erinnern sollten. Wie lange habt ihr nur die Hälfte vom Taschengeld bekommen, Alex? Acht Wochen?«

»Neun, aber es war nicht meine Schuld – er hätte nicht meine Lakritze nehmen sollen.«

»Du magst sie nicht mal, du hättest teilen können.« Zen schubste Alex.

»Warum? Du hattest eigene.«

»Aber ich liebe sie – ich hätte dir was anderes gegeben.«

»Du hättest fragen sollen!«

»Du hättest eh Nein gesagt.«

»Wenn du das wusstest, warum hast du sie genommen?«

»Hört auf, ihr beiden!« Ihr Vater öffnete bereits die Tür. »Zen macht es nicht noch einmal, und Alexander – gib ihm die verdammten Dinger nächstes Mal – wir alle wissen, dass du sie immer übriglässt, weil du den Geschmack nicht magst. Und jetzt – steigt aus und nehmt das haarige Ding mit, bevor ich es mir anders überlege.«

Alex sah etwas beleidigt aus, und wenn er nicht so neugierig auf das Kätzchen gewesen wäre, hätte er vielleicht eine Diskussion angefangen – er tat das, wenn er glaubte, dass er Recht hatte. Aber heute rollte er nur heimlich mit den Augen, so, dass ihr Vater es nicht mitbekam.

Zen schnappte sich die Box mit Thorn und schlüpfte aus dem Auto.

Sein Vater stieg auch aus und schaute zu den Autos zurück.

»Kannst du nicht einmal richtig parken, Nora?«

Zen trat von einem Fuß auf den anderen. Thorn war sicher schon kalt in der Box – mussten die sich schon wieder streiten?

»Wenn dein Prachtstück nicht in der Einfahrt stehen müsste nur damit die Nachbarn es sehen, dann hätte ich hier gar nicht parken müssen. Außerdem ist genug Platz für dich, um morgen rauszukommen – und niemand außer einem …«

Seine Mutter seufzte. »Er steht nur ein bisschen schief – es ist nicht so, als würde ich die ganze Straße blockieren. Du bist manchmal so ein Pedant!«

Sein Vater murmelte etwas, was seine Mutter nicht zu hören vorgab. Sie antwortete nicht, sondern schob lediglich wortlos die Jungs Richtung Haustür.

Zen riss sich seine Jacke runter und rannte voraus. Alex lief ihm nach und Zen stellte die kleine Box mit Thorn zwischen ihnen im Wohnzimmer auf den Boden. »Sie kann bei mir schlafen.« Zen setze sich vor die Box.

»Kommt nicht in Frage, wieso soll sie bei dir schlafen, sie ist unsere Katze!«

»Lass uns einfach die Box aufmachen und sehen, zu wem sie geht.« Zen war sich sicher, wohin sein Kätzchen laufen würde.

Seine Mutter unterbrach sie mit ihrer 'Ihr seid zu alt für so etwas!'-Stimme, als sie hereinkam. »Okay, meine Herren, worum geht es und warum hat keiner von euch das arme Kätzchen rausgelassen?«

Zen öffnete den Mund, aber Alex sprang auf. »Er sagt, wir sollten sie rauslassen und schauen, zu wem von uns sie geht – und in dessen Zimmer wird sie schlafen. Das ist nicht fair – er hat sie schon einmal gehalten, also hat er einen Vorteil.«

»Aber das ist der beste Weg, es zu entscheiden.« Auch Zen war aufgestanden.

Sein Vater erschien in der Tür – er sah sie alle nur mit gerunzelter Stirn und einem Kopfschütteln an und ging weiter in sein Arbeitszimmer, um die Nachrichten zu sehen – was die Börsenberichte bedeutete.

Das Geräusch der zuschlagenden Tür war seine übliche Art zu sagen »Ich bin raus, klärt das unter euch«.

Zen schaute seine Mutter hoffnungsvoll an, aber sie schien richtig sauer zu sein.

»Niemand wird das Kätzchen heute Nacht in seinem Zimmer schlafen lassen. Lasst Thorn raus; ihr könnt ihr zeigen, wo das Katzenklo ist, und sie füttern. Nachdem sie etwas gefressen hat, werden wir einen guten Platz für ihr Körbchen finden – hier unten.«

Sie ignorierte den Protest beider Jungen und öffnete selbst die Box. »Seid vorsichtig mit ihr, sie ist noch so klein … und bringt sie später zum Füttern rüber in die Küche.«

Zen beobachtete Thorn, die gerade den Kopf aus der Box streckte und biss sich auf die Lippe. Was, wenn sie nun doch zu Alex ging? Aber sie stolperte nur ein wenig unbeholfen aus der Box, und sah sich um, bis Zen und Alex sich zu ihr setzten und anfingen, sie zu streicheln.

Später, nachdem sie alle zu Abend gegessen und Thorn ihr Futter hatte verschwinden lassen, schlug Zen vor, Thorn ihr neues Zuhause zeigen, und beendete den Rundgang in seinem Zimmer. Aber am Ende mussten sie Thorn wieder nach unten zu dem kleinen Korb mit dem roten Kissen bringen bringen und sie rollte sich darin zusammen.