Verlieb dich nie in einen Herzensbrecher - Sarah Ockler - E-Book

Verlieb dich nie in einen Herzensbrecher E-Book

Sarah Ockler

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Beschreibung

Wenn dein Glück den falschen Namen trägt

Jude Hernandez hat eine Menge von ihren Schwestern gelernt, aber die wichtigste Regel lautet: Verlieb dich nie in einen Vargas! Sogar einen Blutseid hat sie darauf geschworen. Jetzt lebt Jude als einzige der Schwestern noch bei ihren Eltern, es ist der letzte Sommer vor dem College. Um ihren kranken Vater aufzuheitern, hat sie einen jungen Mechaniker angeheuert, der das Vintage-Motorrad ihres Vaters reparieren soll. Kann sie etwas dafür, wenn er gut aussieht? Und unerwartet süß ist? Und Emilio Vargas heißt? Schließlich handelt es sich um eine reine Geschäftsbeziehung und von einer Vargas-Flirtattacke lässt sie sich schon mal gar nicht durcheinander bringen. Aber Judes eiserne Abwehr erhält erste Risse. Wird zum dritten Mal ein Vargas das Herz einer Hernandez brechen?

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Seitenzahl: 466

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Sarah Ockler

Verlieb dich nie

in einen Herzensbrecher

Aus dem Amerikanischen

von Katrin Weingran

cbt ist der Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House

Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform

© 2013 für die deutschsprachige Ausgabe

cbt Verlag in der Verlagsgruppe

Random House GmbH, München.

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

© 2013 by Sarah Ockler

Die amerikanische Ausgabe erschien 2013

unter dem Titel »The Book of Broken Hearts« bei

Simon Pulse, New York.

Übersetzung: Katrin Weingran

Lektorat: Ulrike Hauswaldt

Umschlaggestaltung: Zeichenpool, unter Verwendung

der Motive von Gettyimages (MariaPavlova);

he · Herstellung: kw

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-11876-1

www.cbt-jugendbuch.de

Für Zoe Strickland,

meinem Lieblingsbücherwurm

1

Das Gesetz der Wahrscheinlichkeit sieht vor, dass ein Mädchen mit drei älteren Schwestern wenigstens ein Paar süße Shorts erben sollte, die ihm tatsächlich passen. Sind wir uns da einig?

Bzzz! Schön, dass Sie mitgemacht haben! Bitte versuchen Sie es erneut.

Wenn diese Dinger der Sprache mächtig gewesen wären, hätten sie freudig gerufen: Hi! Wir sind Aracelis alte, abgeschnittene Jeans! Und ich hätte erwidert: Respekt, dass ihr eure Bestimmung erfüllt, indem ihr jegliche Blutzirkulation in den lebenswichtigen weiblichen Organen unterbindet! Gebt mir fünf!

Tatsächlich saßen sie im Schritt so eng, dass es eher wie ompf mpff mpff hrmm geklungen hätte, wenn sie hätten sprechen können.

Wie bitte?

Genau.

»Bereit für die Show?« Ich stellte den Motor aus und lächelte Papi an, der neben mir auf dem Beifahrersitz saß. Er äußerte sich weder so noch so, kniff bloß die Augen zusammen, als ich mich vorbeugte, um mit einem Blick in den Rückspiegel mein Lipgloss aufzufrischen.

»Du siehst alt aus, mi querida.«

»Sagt der Typ, der seine Socken in die Mikrowelle steckt?«

»Sie waren kalt.« Er zuckte mit den Schultern. Also echt. Als wäre ich die Verrückte bei dieser Aktion.

»Zum Glück hast du keinen Brand ausgelöst.« Ich sprang aus dem Truck und nahm unseren Golden Retriever Pancake an die Leine, der plötzlich diesen Wackel-Wedel-Schüttel-Tanz mit seinem Hundepopo machte – ganz schön niedlich.

Ich zupfte mir die Ex-Jeans meiner Schwester aus der Poritze und wandte mich wieder Papi zu. »Schon mal davon gehört, man solle sich dem Anlass entsprechend kleiden? Wenn sie uns ernst nehmen, ziehen sie uns vielleicht nicht über den Tisch.«

Er taxierte Aracelis Shorts und das im Namen der Authentizität zerrissene Van-Halen-T-Shirt, das ich aus Lourdes’ Stapel abgelegter Sachen stibitzt hatte. »Jude Catherine Hernandez. Ich möchte zu gerne jemanden sehen, der in diesem Outfit Motorrad fährt.«

Ich verkniff mir ein Augenrollen. Viejito war seit dreißig Jahren nicht mehr Motorrad gefahren, ich dagegen war so was von drin in der Materie. Ich hatte praktisch sämtliche Videotagebücher der Sturgis-Bike-Week heruntergeladen, die je gepostet worden waren, und dank einiger mithilfe von Red-Bull-Transfusionen und Oreokeksorgien durchwachter You-Tube-Nächte war mein Expertenstatus auf dem ebenso weiten wie dubiosen Feld der Bikerkultur zum Greifen nah.

Leder, Ketten und schamloser BH-Verzicht? Immer her damit!

Papi sah mich erneut mit zusammengekniffenen Augen an. »Du siehst aus wie …«

»Deine Lieblingstochter? Erzähl mir mehr.« Ich ließ meinen Arm um seine Taille gleiten. Abgesehen von meiner eindeutigen Pro-Unterwäsche-Haltung fühlte ich mich zu mindestens siebenundachtzig Prozent als wahres Biker Babe, während ich die Fifth Street entlangspazierte, die Schultern fein säuberlich unter den Arm eines Mannes geschmiegt, der mein Vater hätte sein können.

Okay – der Fairness halber –, er war mein Vater, aber trotzdem. Künstlich generierte Authentizität? War das Motto des Tages, Leute!

»Duchess: Motorräder wie maßgeschneidert.« Papi las den Schriftzug ausgerechnet in dem Moment von dem Schild ab, als mein Blick auf die Glasscheibe fiel, in der wir uns spiegelten. Wir boten einen extrem zusammengewürfelten Anblick. Er hatte darauf bestanden, ein gefüttertes Flanellhemd anzuziehen und seinen gratis abgestaubten Cowboyhut mit dem Spruch Danke, dass du den Western-Kanal abonniert hast, Kumpel, obwohl draußen ungefähr zweihundert Grad herrschten, und ich hätte mit einer Rolle Nähgarn und etwas Isolierband sehr viel mehr von mir verhüllen können als mit den paar Stofffetzen, die ich am Leib trug.

Beim Barte des Westernhelden Jeremiah Johnson, was waren wir für ein Paar!

Papi öffnete die Tür, und ich zappelte mit Pancake hinterdrein, weil ich immer noch versuchte, die gnadenlosen Shorts zu bezirzen, mir mehr Raum zu gewähren. Die Leute dachten wahrscheinlich, ich hätte irgendein medizinisches Problem, was ganz schön ironisch war, wenn man bedachte, warum ich mich überhaupt auf dieses wilde Abenteuer eingelassen hatte.

Trotz seines hochherrschaftlichen Namens erfüllte das Duchess meine recherchegestützten Erwartungen. Es war staubig. Schmierig. Tapeziert mit Postern spärlich bekleideter Damen, die sich auf Motorrädern räkelten. Ich passte dermaßen gut hierher! Aber als sich die Tür erst einmal hinter uns geschlossen hatte, beleidigte der Gestank nach Motoröl und Schweiß meine Nase, und mir schossen die vielen Dinge durch den Kopf, die ich während des endlos langen Sommers nach dem Abschluss eigentlich hätte tun sollen: Sachen fürs Wohnheimzimmer kaufen. Sommertheater mit der Upstart-Crow-Truppe spielen. Eiskalten Javakaffee im Witch’s Brew schlürfen und mit den Kanuten von der Ostküste flirten, die Blackfeather jeden Juni überschwemmten.

Das Gefühl von Papis warmer Hand auf meiner Schulter holte mich in die Gegenwart zurück. Wir waren vor dem Ladentresen angekommen. Durch die Glastür dahinter konnte man in die Garage gucken, einen großen Raum mit Zementfußboden, in dem überall Motorradteile und Lappen und ölverschmierte Mechaniker verteilt waren.

Der Typ, der durch die Tür kam, hatte einen schmalen Mund, den er unter einem struppigen blonden Bart verbarg. Bei seinem Anblick musste ich an die Kerle mit den Fuchsschwänzen denken, die den ganzen Sommer über durch Old Town cruisten. Er wischte sich die Hände an einem schmutzigen Lappen ab, als er uns begrüßte, und sein Blick blieb an meinem T-Shirt hängen, das er kritisch beäugte.

Jesses. Ich nehme mal an, Pancake wollte nur nett sein, als er meinem Outfit am Morgen das beifällige dreifache Wuff-Wuff gegeben hatte.

»Wir benötigen einige Infos über die Reparatur einer alten Harley mit Panhead-Motor«, sagte ich. »Und einen Mechaniker, der bei uns zu Hause an ihr arbeitet. Bei Blackfeather Harley haben sie gemeint, Sie könnten meinem Dad einen besseren Deal anbieten.«

Das Lächeln des Typen wurde wärmer, als ich Dad sagte, und ich entspannte mich. Aber nur ein bisschen, da besagte Shorts noch immer versuchten, via Pobacken-Pass in den Sonnenuntergang zu reiten, und es eine ziemliche Herausforderung war, stillzustehen.

»Wir können es zumindest versuchen, Täubchen.« Er sprach um einen abgenagten Zahnstocher herum, der wahrscheinlich schon seit den Siebzigern in seinem Mund steckte. »Mein Name ist Duke. Was habt ihr für mich?«

»Einundsechziger mit Duo-Glide. Hab sie ihrem ursprünglichen Besitzer achtundsiebzig in Buenos Aires abgekauft.« Papi ratterte die Fakten herunter, bis hin zum Tachostand und den Anpassungen, die er vorgenommen hatte, bevor er mit siebzehn auf dem Motorrad durch sein Heimatland gebrettert war.

Die Story war von der Sorte, die einen echt umhaut – ich hatte bis jetzt nicht mal alles zu hören bekommen –, und Dukes Miene leuchtete, während er der Erzählung lauschte.

Sie war abenteuerlich.

Wagemutig.

Was für beinharte Jungs.

Das war der Bär Hernandez, den alle kannten und liebten. Nicht der Typ, der seine Socken grillte oder den Weg von der Arbeit nach Hause vergaß. Papis Augen strahlten, während er redete, und er drückte meine Schulter, und mein Herz legte genau hinter Van Halens Gesicht einen Trommelwirbel hin.

Mein alter Papi war noch immer irgendwo da drinnen – ich wusste es einfach.

Das Motorrad würde ihn zurückbringen. Wir mussten es nur wieder zum Laufen bringen. Ein paar neue Teile, einmal überlackieren, und es würde so gut wie neu sein.

Ich reichte Duke mein Handy, um ihm die Fotos zu zeigen, die ich am Morgen gemacht hatte.

»Wow«, sagte Duke. »Sie hatten sie die ganze Zeit über eingemottet?«

»Sí. Für sie hieß es Leerlauf, seit …« Papi musterte Pancake mit zusammengekniffenen Augen, als stünde die Antwort in seinen großen braunen Hundeaugen geschrieben. »Ich bin ziemlich sicher, dass Reagan noch regierte, als ich sie das letzte Mal gefahren bin. Sie springt nicht mehr an. Die Bremsschläuche sind auch hinüber, wenn ich mich recht entsinne.«

»Die Reifen sind ganz matschig«, warf ich um Hilfe bemüht ein. »Und ein paar dieser Dingsbumsrohre an der Seite sind lose.« Ich zog den Saum meines T-Shirts über den Streifen Haut, der sich jedes Mal zeigte, wenn ich zu tief Luft holte. Dingsbumsrohre. Matschige Reifen. Meine ausgiebige Recherche hatte sich offenbar nicht auf die technischen Fachbegriffe erstreckt.

Duke inspizierte das Foto. Die Farbe war verblasst, sie war von Rost und Staub überzogen, aber es fiel nicht schwer, sich ihre glorreichen Tage auszumalen. Babyblau und Cremeweiß, Chrom, der funkelte wie helles Licht. Einst war sie bestimmt unbesiegbar gewesen, hatte Meile um Meile jener argentinischen Bergstraßen gefressen.

Und dann hatten meine Eltern geheiratet. Waren in die Staaten gezogen. Hatten Lourdes bekommen. Araceli. Mariposa. Und acht Jahre darauf mich.

Überraschung!

In der Garage röhrte ein Motor los, die Mechaniker jubelten. Pancake wimmerte und rollte sich an meinen Füßen zusammen.

Harleys. Für mich war es nur schwer vorstellbar, dass Papi eine von ihnen fuhr, aber ich schätze mal, in jenen Tagen war er ziemlich hardcore drauf gewesen. Er hatte eine Gang und alles: Las Arañas Blancas. Die weißen Spinnen.

»Queridita.« Papi grinste, als das Röhren erstarb. »Das ist der Klang der Glückseligkeit, hm?«

Um ehrlich zu sein, kamen in meiner persönlichen Vorstellung von Glückseligkeit weniger Maschinenteile und Testosteron vor, als einem die durchschnittliche Harley bot, aber ich erwiderte sein Lächeln. Trotz meines Fehlgriffs in Sachen Garderobe und der generellen Gefahren, die einen dieser Tage erwarteten, wenn man mit Papi in der Öffentlichkeit unterwegs war, hatten wir bereits ein leckeres Frühstück in Rubys Mountainside Café genossen und es geschafft, den ganzen Weg vom Pick-up bis zum Duchess zurückzulegen, ohne dass Papi versucht hätte, ein Auto zu klauen oder die Frau eines anderen zu küssen.

Bis jetzt war der Tag ein echter Knaller gewesen.

»Ich habe gute und schlechte Neuigkeiten.« Duke gab mir mein Handy zurück. »Die gute? Sie is’ ’ne wahre Schönheit und wir kriegen sie auf jeden Fall wieder hin.«

Papi sah plötzlich zur Ladentür, als müsse er sich vergewissern, wo der Ausgang war, als müsse er so schnell wie möglich raus hier, und ich hielt den Atem an und betete, dass, was immer als Nächstes aus dem Mund des Kerls kommen würde, keinen von Papis Ausrastern auslöste und ihn zur Tür hinausstürmen ließ.

Mom würde mich umbringen, wenn ich ihn erneut verlöre. Sie würde jeden einzelnen Knochen in meinem Körper brechen und mich von einer Klippe schmeißen, und die heilige Dreifaltigkeit meiner allwissenden Schwestern würde dastehen, sich meine Asche aus den Haaren schütteln und die Augen darüber verdrehen, dass ich selbst post mortem nicht fähig war, Anweisungen zu befolgen.

Bleib mit ihm in der gewohnten Umgebung. Sorge dafür, dass er genug Ruhe bekommt und sich nicht aufregt.

Aber sie waren nicht dabei gewesen, als ich vor einer Woche das Motorrad im Schuppen entdeckt hatte, als ich es von Kisten voller Weihnachtsdekorationen und alten Zeugnissen befreite und die staubige blaue Abdeckplane wegzog und Papi bat, mir alles darüber zu erzählen.

Sie hatten das Licht in seinen Augen nicht gesehen, hatten nicht erlebt, wie es sich nach Monaten der Finsternis flackernd entzündete.

Und ich hatte nicht vor, an diesem Tag etwas zu verlieren, mal abgesehen von einem klein wenig Würde und der Fähigkeit, normal laufen zu können; was den Shorts zuzuschreiben und daher von vorübergehender Natur war.

»Und die schlechte Neuigkeit?«, fragte ich.

»Zeit und Geld, Süße.« Duke ließ den Zahnstocher von der einen Seite seines Mundes zur anderen schnellen. »Reparaturen, Farbe, Schnickschnack … da gibt’s höllisch viel zu tun. Ich bin nich’ sicher, ob wir die großen Jungs im Preis überhaupt schlagen können. Ich sag’s nich’ gern, aber ihr würdet wahrscheinlich ’nen besseren Deal machen, wenn ihr sie in Zahlung gebt und dem alten Herrn was Neueres besorgt.«

Hitze schoss mir ins Gesicht. »Er ist nicht alt.«

»Wir reden hier von einer Sie. Und ein Eindundsechziger Modell hat mehr als fünfzig Jahre auf dem Buckel, Schätzchen. Da sind nicht mehr besonders viele Meilen drin, wenn du verstehst, was ich meine.«

Oh ja, durchaus.

Ich hakte mich bei Papi ein und lehnte mich an seine Schulter. Pancake, der zu meinen Füßen saß, stieß ein leises Jaulen aus.

»Wir geben sie nicht in Zahlung.« Das alles hatte ich bereits bei Blackfeather Harley durchgekaut. »Hören Sie, ich will vollkommen ehrlich zu Ihnen sein, Mr Duchess …«

»Duke.«

»Duke. Wir haben nicht endlos Kohle zur Verfügung. Wie wär’s, wenn wir gebrauchte Ersatzteile verwenden?« Ich erwiderte seinen Blick und hielt ihm stand, während ich gleichzeitig hoffte, es würde nicht erforderlich sein, meine Tränendrüsen anzuzapfen. Ein paar Tränen hervorzupressen war durchaus eine Option, aber die sieben Pfund Mascara, die meine Wimpern an diesem Tag umhüllten, ließen die Aussicht darauf ziemlich unattraktiv erscheinen.

Er strich sich über die struppigen Barthaare, als würde er ernsthaft über unser Dilemma nachgrübeln. Zumindest darüber, wonach es für ihn aussehen musste. Absoluter Preisschildschocker: Ein kleines Mädchen, das seinem Daddy zu helfen versucht, hat gerade mal genug Babysittergeld, um die Basics zu finanzieren.

»Die Teile sind nicht das Problem.« Er kaute immer noch wild entschlossen auf diesem Zahnstocher rum, was irgendeine Art Bikercode sein musste; ich hatte es in den Videos auch schon beobachtet. »Es sind die Arbeitsstunden. Ich habe nur einen Mann, der Erfahrung mit Oldtimermaschinen hat, und der ist nicht gerade billig. Und Zeit hat er im Moment auch keine, er ist bis Herbst ausgebucht. Wann wollt ihr sie denn fertig haben?«

»Ich fahre im August mit Freunden weg«, sagte ich. Ich hoffte nur, dass Zoe und Christina nicht längst alles ohne mich unter Dach und Fach gebracht hatten. »Also vorher?«

Duke holte zischend Luft. »Das wird eng. Für einen Nebenjob zum niedrigsten Tarif könnte ich nur meinen Nachwuchsmechaniker erübrigen. Er hat noch nicht alle Prüfungen abgelegt.«

Ich spähte in die Garage. Die Männer hatten sich auf verschiedene Motorräder und Motorcrossmaschinen verteilt. Die meisten von ihnen trugen Jeans und zerrissene T-Shirts und ihre nackten Arme waren mit Motoröl beschmiert. Ihre Unterhaltung wurde von der Glasscheibe gedämpft, aber dass sie gut gelaunt rumflachsten, war unmissverständlich.

Duke deutete durch die Scheibe auf ein dunkelblaues Motorrad, dessen Hinterteil nackt bis auf das stählerne Gerippe war. Ein Typ kniete davor – ein wenig jünger als der Rest vielleicht, aber gleichermaßen von sich überzeugt. Einer seiner Arme steckte tief in dem Bike, auf dem Boden um ihn herum lagen Werkzeuge und Lappen verteilt, und seine Schultern hoben und senkten sich, während er irgendeinen riesigen Bohrer bediente.

»Das da drüben ist er, der mit dem blauen Kopftuch«, sagte Duke. »Guter Junge, weiß, was er tut. Aber wie ich schon sagte, er ist noch nicht lange ohne Stützräder unterwegs.«

»Sieht für mich nicht wie ein blutiger Anfänger aus.« Ich verschob unauffällig die Hüfte. Verdammt. Diese Shorts verfolgten eine Mission; meine Konzentrationsfähigkeit wurde allmählich ernsthaft untergraben. »Außerdem ist uns vollkommen egal, wie alt er ist. Uns kümmert nur, dass er die Reparaturen günstig erledigen kann.«

Papi nickte, aber sein Blick verriet, dass er in Gedanken meilenweit weg war.

Duke klopfte an die Scheibe und winkte den jungen Mechaniker zu uns rüber.

Der Typ sprang auf und wischte sich die Hände an einem Tuch ab, das aus seiner hinteren Hosentasche hing. Er hielt den Kopf gesenkt, als er die Tür öffnete, sodass ich seine Augen nicht sehen konnte. Nur Bartstoppeln. Grübchen. Eine Narbe am Kinn. Sein Arm war ebenfalls mit zackigen weißen Narben übersät.

Gefährliche Sache, so ein Bikerleben.

»Wie lange schraubst du schon an den Maschinen?«, fragte Duke.

»Äh … schon immer?«

»Hier, Klugscheißer. Bei mir.«

»So zwei oder drei Monate, schätze ich. Wieso?« Seine Aufmerksamkeit war komplett auf den Boss gerichtet, aber meine Haut kribbelte, als würde ich beobachtet. Nicht auf die unangenehme Art – sondern auf eine vertraute. So als hätte ich diesen Kerl schon mal gesehen, aber wegen des Kopftuchs und der dicken Schmutzschicht konnte ich ihn nicht zuordnen. Auf keinen Fall aus der Schule oder vom Sommertheater. Vielleicht war er der Cousin von jemandem?

»Du bist noch nicht bereit, Junior.« Duke köderte den armen Kerl. Aber so was von. »Nicht für eine Einundsechziger Hog.«

»Willst du mich verarschen? Eine Einundsechziger?« Er drehte sich endlich zu mir um, ein breites Grinsen im Gesicht. Seine Grübchen waren ziemlich entwaffnend, wenn sie wie jetzt ihre volle Kraft entfalteten, aber ich schaffte es, mich unbeeindruckt zu geben, als er mich von oben bis unten musterte.

Unter seinem forschenden Blick wurde mir ganz heiß. Ich wünschte mir sehnsüchtig, Zoe hätte mir an diesem Morgen bei meinem Outfit geholfen. Ich mochte Van Halen nicht mal, und darauf hätte sie mich genüsslich hingewiesen und mir so die Kopfschmerzen erspart, die inzwischen hinter meinen Augen pochten.

Sich dem Anlass entsprechend kleiden? Mal ehrlich, Jude. Eines Tages wird dein Hang zur Dramatik noch dein Untergang sein.

»Eine Einundsechziger Panhead«, sagte ich schließlich.

Seine Augenbrauen schossen überrascht beziehungsweise anerkennend nach oben. Vielleicht beides. »Du fährst?«

»Nein. Ich …«

»Sie gehört mir«, sagte Papi. »Und soweit es mich betrifft, hast du den Job, wenn du ihn willst.«

Der Junge plapperte rasend schnell auf Spanisch los, tief und leise. Mit puerto-ricanischem Akzent, glaube ich. Es klang schneller und weniger umständlich als das argentinische Zeugs, mit dem ich aufgewachsen war. Er versuchte Duke zu überzeugen, dass er das packen würde, el dinero – die Kohle – außerdem für irgendeinen Motorradtrip im Sommer bräuchte.

»Gentlemen«, sagte ich. Der Juniormechaniker drehte sich wieder zu mir um und sah mich an, aber ich hielt den Blick fest auf Duke gerichtet. »Wir wollen kein Museumsstück. Wir müssen sie nur wieder auf die Beine bekommen. Falls er also helfen kann …«

»Ich kann helfen.« Er wandte sich erneut Duke zu. Das Spiel seiner Armmuskeln zeichnete sich unter seiner Haut ab, als er den Verkaufstresen mit festem Griff umklammerte. »Ich habe letztes Jahr meine eigene Hog repariert.«

»Das ist eine Achtundsiebziger, Junge. Und dazu noch eine Sportster.«

Er zuckte mit den Achseln. »Mal abgesehen vom Kickstart hat sich die Mechanik nicht groß verändert.«

»Duke, bitte«, sagte ich. »Wir müssen sie unbedingt wieder zum Laufen bekommen.«

Ohne dass ich darum gebeten hätte, prickelten Tränen in meinen Augen. Vielleicht war es albern, so viel Hoffnung in die Reparatur eines Motorrads zu setzen, so fest zu glauben, dass dieses Abenteuer Papi tatsächlich heilen könnte.

Aber es war unser letzter Versuch – die eine Sache, die den Ärzten entgangen war, der schwache Schimmer eines Vielleicht, den die medizinische Forschung und die Fallstudien aus irgendeinem Grund übersehen hatten.

Ich räusperte mich und holte tief Luft. »Was ich damit meine, ist … es ist zwingend erforderlich, dass wir bei der Wiederherstellung den geplanten Zeitrahmen einhalten.«

Papi schüttelte den Kopf, sein Lächeln kehrte endlich zurück. »Meine Tochter … sie versteht es, mit Worten umzugehen.«

Duke beäugte mich skeptisch, aber er stand eindeutig unter dem Bann unseres Vater-Tochter-Charmes. Sogar der Zahnstocher hörte auf, hin- und herzuwandern. »Okay, was der Kunde will, das bekommt er auch. Selbst wenn es sich um den Jungen handelt, der noch grün hinter den Ohren ist.«

»Genau den wollen wir«, bestätigte Papi. Er strahlte wieder, war vollkommen im Hier und Jetzt angekommen. »Du bist engagiert.«

»Sie werden es nicht bereuen.« Der Junge schüttelte erst Papis Hand, dann war ich an der Reihe. Ich presste automatisch meine Handfläche in seine, doch als meine Haut sich in seinem Griff erwärmte, machte etwas in mir klick, etwas Vertrautes und Gefährliches, und ich riss die Hand zurück und starrte darauf, als hätte mich etwas gestochen.

Freakshow!

Meine Wangen brannten, aber bevor er eine Bemerkung über meine seltsame Reaktion machen konnte, legte Duke eine fleischige Hand auf die Schulter des Jungen. »Ich hoffe für dich, dass du tatsächlich so weit bist, Emilio.«

Emilio?

Mein Kopf fuhr hoch, als mich urplötzlich die Erkenntnis durchzuckte, die unmöglich wahr sein konnte. »Wie war dein Name noch gleich?«

»Emilio.« Seine Lippen bildeten das Wort und es wirbelte Silbe für Silbe in einem Strudel aus Vertrautheit und brennend heißer Schuld in meine Ohren. Diese karamellbraunen Augen. Schwarze Haare, die sich unter dem Rand eines ölbefleckten Kopftuchs hervorlockten. Er lächelte jetzt nicht mehr, aber seine Grübchen waren noch da. Sie lauerten direkt unter der Oberfläche, als wollten sie mich herausfordern.

Ich war davor gewarnt worden, dass diese Grübchen mein Untergang sein würden. War darauf gedrillt worden, ihnen aus dem Weg zu gehen; eine Aufgabe, die mir sehr erleichtert worden war, als er vor zwei Jahren ohne jede Erklärung von der Blackfeather High abgegangen war. Einen Monat vor dem Abschluss.

Und doch stand er nun vor mir. Erwachsener, mit einem Dreitagebart um die Kieferpartie, das T-Shirt auf sämtliche Arten ausfüllend, von denen zuvor nicht die Rede gewesen war. Mich praktisch angaffend.

Der Knallertag, den ich bis dato gehabt hatte?

Ging. In. Flammen. Auf.

Der einzige Mensch in ganz Blackfeather, der uns helfen konnte – der Kerl, den wir gerade unbedingt hatten anheuern müssen –, war ausgerechnet der, den zu ignorieren ich den weiblichen Mitgliedern der Hernandez-Familie bei meinem Blut, bei meiner Ehre und unter Androhung des Verlustes sämtlicher Gliedmaßen geschworen hatte.

Ich mache keine Witze, was das Blut angeht. Es gab einen Schwur und alles, der sorgfältig in ein skandalumwittertes schwarzes Buch gekritzelt worden war, das einst sämtliche Geheimnisse meiner Schwestern in sich barg.

Ich hätte beinah gelacht.

Natürlich musste ausgerechnet er es sein.

Emilio fucking Vargas.

2

Ich, Jude Hernandez, schwöre, mich niemals, nie, unter gar keinen Umständen, egal, ob sie sich meiner Kontrolle entziehen oder nicht, selbst wenn das Schicksal der Menschheit davon abhinge, selbst wenn mein eigenes Leben in Gefahr wäre, mit einem Vargas einzulassen …

Zurück in der herrlich jungenfreien Umgebung unserer Küche hackte ich auf eine Tomate ein, bis ihre Innereien hervorquollen. Es waren fünf Jahre vergangen, und ich war die einzige Hernandez-Schwester, die noch zu Hause lebte, aber der uralte Schwur hallte so klar in mir nach wie der Schrei eines Falken in einer Schlucht.

»Verdorben«, flüsterte ich.

»Oh, sie sind nur ein bisschen weich.« Mom brachte hinter mir einen Stieltopf voll Paprika und Pilzen zum Brutzeln. ¡Caliente! ¡Cuidado! Ofen und Herd sind nur zum Kochen.Nicht allein benutzen. Die Karteikarte auf der Dunstabzugshaube wellte sich im Dampf. »Wie war Papi heute drauf? Seid ihr zwei angeln gegangen?«

Bäh. Angeln und Brettspiele – Moms Vorstellung ungetrübter Sommerfreuden. Es war erst Juni und Papi, Pancake und ich hatten bereits jedes lebende Wesen aus dem Animas gefischt. Und Viejito schummelt wie verrückt beim Scrabble. Ihr solltet mal die Wörter sehen, die er sich ausdenkt, um den dreifachen Buchstabenwert zu bekommen. Hallo?Manches davon steht weder im englischen noch im spanischen Wörterbuch.

»Wir sind zum Frühstücken in die Stadt gegangen«, sagte ich. »Waren auf der Fifth bummeln, haben uns in ein paar Läden umgeschaut.«

Moms Paprikamix zischt etwas lauter. »Und, was Süßes entdeckt?«, fragte sie.

Und der Preis in der Kategorie Untertreibung des Jahres geht an …

»Niemanden. Nichts.« Ich drehte den Wasserhahn auf. Rechts für kalt/frío. Links für heiß/caliente. »Zum Schluss sind wir in dieser Motorradwerkstatt gelandet. Papi hat einen Typen angeheuert, diesen Jungen, der dort arbeitet.«

Sobald Papi und Duke sich auf einen Stundenlohn für Emilio geeinigt hatten und alle Papiere unterzeichnet waren, hatte ich ihn hastig aus dem Duchess gelotst, und Papi hatte kein Wort mehr gesagt. Als wir nach Hause kamen, zog ich mir normale Sachen an, und er machte es sich für einen Westernmarathon auf dem Sofa gemütlich. Jetzt brauchte ich Moms Zustimmung für die Motorradpläne, ohne Namen zu nennen. Es war ein paar Jahre her, aber ich war mir ziemlich sicher, dass Vargas in unserem Haus nach wie vor ein Schimpfwort war.

Jedenfalls für diejenigen, die sich daran erinnerten, wofür es stand.

»Mi amor.« Moms Akzent wird stärker, wenn sie aufgeregt oder besorgt ist, und ich drehte mich um, damit ich ihre Lippen sehen konnte, nur für alle Fälle. »Vielleicht solltest du ihm wegen der Reparatur dieses alten Schrotthaufens keine Flausen in den Kopf setzen. Es ist teuer und Papi … für ihn ist es nicht gut, ständig Fremde im Haus zu haben.«

In letzter Zeit hatte sie begonnen, Besucher abzuwimmeln – hauptsächlich Nachbarn, die es gut meinten, und ehemalige Arbeitskollegen – und ihnen zu erzählen, Papi sei müde, beschäfigt, unabkömmlich. Jetzt sprach sie wieder von Fremden im Haus, als hätte ich jeden Tag nonstop Party gemacht, seit ich den Highschoolabschluss in der Tasche hatte. Klar, diese Scrabblerunden konnten ganz schön ausufern. Und an dem einen Tag hatte Pancake sein ganzes Fressen aus der Schüssel katapultiert und überall auf dem Boden verteilt. Einfach ab-ge-fah-ren, mein Leben!

»Mach dir mal keine Gedanken deswegen«, sagte ich, den Blick wieder auf die Spüle gerichtet. Runterdrücken um Wasser abzustellen, wenn fertig. Die ganze Angelegenheit bereitete auch mir Bauchschmerzen, nur nicht aus denselben Gründen. Und dennoch, hier ging es nicht um irgendwelche Fremde, und es ging auch nicht um einen alten Schwur und einen Jungen, der seine Seele dem Teufel verkauft hatte. Es ging darum, für Papi da zu sein. »Ich behalte die Dinge im Auge. Und Papi freut sich total, an der Harley zu schrauben – so haben wir diesen Sommer noch was anderes zu tun als angeln.«

»Hm.« Mom seufzte und hob die Pfanne an, wendete das Gemüse mit einem perfekten Schwung aus dem Handgelenk. Während alles noch dampfte, löffelte sie die Mischung auf Teigkreise und faltete jeden fachmännisch zusammen. Dann verschloss sie die Ränder mit den Zinken einer Gabel. Ich fand es schlimm, dass sie so viel arbeitete, nur um dann nach Hause zu kommen und zu kochen, aber das war ihr Ding. Darauf bestand sie. Es war ihr Anker, der sie mit der Normalität verband. Früher hatte Papi immer behauptet, er habe sich zuerst in ihre Kochkünste verliebt und dann in ihre Seele, und vielleicht war das der Grund, warum sie nach wie vor kochte. Ich setzte meine Hoffnungen auf das Motorrad, aber vielleicht dachte Mom, die Form ihrer empanadas würde seiner Erinnerung auf die Sprünge helfen; dass ihr halbmondförmiger Anblick ihn zurückbringen würde.

»Hm. Vielleicht sollten wir deine Schwestern fragen, was sie von der Idee mit dem Motorrad halten, queridita?«

»Nein!« Ich hätte beinah mein Messer fallen gelassen, aber ich riss mich schnell wieder zusammen und stützte mich mit den Händen auf die Anrichte. »Ich meine … sie haben superviel zu tun und wir müssen ihnen wegen meiner Sommerpläne mit Papi keinen Stress machen. Ich habe alles im Griff, Mom.«

Mom nickte endlich und ich wandte mich wieder meinen matschigen Tomaten zu. Sie erinnerten mich an Herzen, und ich musste blinzeln, als mir Lourdes’ Abschlussballkorsage einfiel, die zerdrückt im Müll gelegen hatte. Und dann, sieben Jahre später, Aracelis tränenüberströmtes Gesicht.

Die ganze Familie ist verflucht, hatte Mari an Aracelis Abend gesagt. Schwarze Seelen, alle miteinander.

Du darfst dich niemals im Leben mit einem Vargas einlassen? Von jener Nacht an war es eins der Dinge, die wir fraglos zu akzeptieren hatten, so wie die Art und Weise, auf die Mom eine Gabel in ihre empanadas drückte, weil Abuelita es ihr so beigebracht hatte. Es spielte keine Rolle, ob es eine bessere Methode gab, etwas Neues, das man hätte ausprobieren können. Es war nun mal auf diese Weise von Generation zu Generation weitergegeben worden und genauso Teil der Familiengeschichte wie unsere olivenfarbene Haut oder die langen braunen Locken.

Na ja, Mari schnitt sich die Locken ab und wurde sexbombenblond, aber nicht jede Tradition lässt sich mit einer Schere und einer Schachtel Nice ’n Easy Blond abschaffen.

Die Backofentür öffnete sich mit einem Quietschen, und ein Hitzeschwall ergoss sich über meine nackten Beine, als Mom die empanadas in den Ofen schob.

»Noch zehn Minuten«, sagte sie. »Wie geht’s mit dem Brunnenkressesalat voran?«

Ich verteilte rote Zwiebelringe über die Tomaten. »Fertig.«

»Er sieht perfekt aus.« Sie zwinkerte mir über meinen ensalada de berros zu, als ob sie von Anfang an gewusst hätte, dass es so sein würde.

Falls unser Haus je von Zombiehäschen angegriffen werden sollte, würde Pancake sofort Alarm schlagen, aber für den Moment war die Luft rein, und er hatte es sich auf dem Boden bequem gemacht, drückte die Schnauze gegen die Fliegengittertür und lauschte unserer Unterhaltung, während wir beim Abendessen saßen.

Papi erzählte zum dritten Mal von den Blaubeerpfannkuchen, die wir im Mountainside Café gegessen hatten, und der Kopf des armen Hundes schnellte unentwegt zwischen Papi und der Tür hin und her. Pfannkuchen-Häschen-Pfannkuchen-Häschen-Pfannkuchen-Häschen.

Als Papi zum Teil mit dem Duchess kam, gab ich ihm ein unauffälliges Zeichen, ehe er Emilios Namen erwähnen konnte, und er streckte mir die Zunge raus und zupfte an seinem Ohrläppchen, als wären wir die Schiedsrichter bei einem Baseballspiel.

»Alles okay mit dir?«, fragte Mom ihn.

»Que?«

»Alles okay?«, wiederholte sie lauter. »Stimmt etwas mit deinen Ohren nicht?«

Er winkte ab und schaufelte sich mit der Gabel Salat auf den Teller.

»Dios mío, benutz das Salatbesteck.« Sie sprang von ihrem Stuhl und häufte ihm Salat auf den Teller. Dann verteilte sie noch Öl und Essig darüber.

Manchmal fragte ich mich, wie es wohl wäre, davonzufliegen, so weit weg, wie ich konnte, so wie Lourdes und Celi es bei der ersten Gelegenheit getan hatten, die sich ihnen bot. Nicht bloß nach Denver, wohin ich im Herbst aufs College gehen würde.

Weit, weit weg.

»Ay, Rita. Nicht so viel Dressing.« Papi lud auf ihren Teller, was ihm zu viel war. Er gab ihr einen Klaps auf den Po, und sie wehrte ihn händewedelnd ab, aber sie lächelte breit dabei.

»Du machst viel zu selten empanadas.« Papi schaufelte sich noch ein paar auf den Teller.

»Por favor«, erwiderte Mom. »Es gab erst letzte Woche welche.«

Er wackelte mit dem Zeigefinger. »Du versuchst mich reinzulegen, Frau.«

Spanien. Dorthin würde ich gehen. Oder vielleicht auch nach Südamerika, Papis alte Bikerkumpel aufsuchen, den Spuren folgen, die er vor all diesen Jahren hinterlassen hatte.

»Gab es wirklich«, sagte Mom. »Juju, sag du es ihm.«

»Ich erinnere mich nicht«, sagte ich schließlich.

»Das liegt daran, dass es keine gab.« Papi nahm sich noch eine empanada. Da Cholesterin auf der Liste von Dingen, die einen umbringen, wenn man es am wenigsten erwartet, etliche Positionen eingebüßt hatte, konnte er guten Gewissens ein paar mehr essen. »Wenn ich sterbe, begrabt mich bitte mit einem Teller von denen hier.«

Mom lachte. »Ich würde nicht wollen, dass empanadas in der Erde verrotten, die man noch wunderbar essen kann. Und da wir gerade von Geldverschwendung reden, was wolltest du über den Jungen vom Duchess erzählen?«

»Scheint ein guter Junge zu sein«, sagte Papi mit vollem Mund. »Sein Name war … wie hieß er noch gleich, Juju?«

»Kau erst mal zu Ende«, sagte Mom.

»Es war etwas … Simples.« Ich rückte meinen Stuhl näher an Papis heran. »Oh, Eddie. Das war’s. Eddie.« Sie erinnerte sich vielleicht nicht an den Namen eines jeden einzelnen Vargas, aber es wäre dumm gewesen, ein unnötiges Risiko einzugehen.

»Wie viel nimmt dieser simple Eddie?«, fragte Mom.

»Er ist günstig«, sagte Papi.

»Und was wäre, wenn ihr es selbst macht?« Mom lud noch eine empanada auf meinen Teller. »Vielleicht könntet ihr die Teile, die ihr braucht, bei diesem Eddie bestellen und dann ein paar Anleitungen lesen …«

»Sei nicht albern. Juju und ich, ein Motorrad vollkommen neu zusammensetzen? Oh, mi amor, du schaffst mich.«

Papi hatte recht. Falls einer von uns versuchte, die Harley allein zu reparieren, würden wir am Ende mit dem teuersten Toaster der Welt dastehen.

»Ich sage dir, es ist ein sehr guter Deal. Und es wird ein tolles Gefühl sein, ein bisschen mitzuwerkeln.« Papi pochte sich an die Stirn. »Ich erinnere mich an alles, was mit diesem Motorrad zusammenhängt. Wir werden El Demonio schon zeigen, wer hier der Boss ist, he, Juju?«

So nannte er es – den Dämon. Das teuflische Ding, das sich durch sein Gehirn fraß und seine Erinnerungen verschlang. Ich stellte es mir ebenfalls so vor, als roten, der Hölle entsprungenen Drachen aus Schatten und Feuer, der eine Spur der Verwüstung hinter sich herzog.

Die Ärzte hatten einen anderen Namen dafür: früh einsetzender Alzheimer.

Ich betrachtete ihn aufmerksam und fragte mich, ob er irgendetwas davon bewusst wahrnahm, ob die Wörter und Bilder vor seinen Augen in Rauch aufgingen, während er hilflos zusehen musste. Oder ob es eher so war, als versuche man, eine Datei auf dem Computer zu öffnen, die man längst gelöscht hatte, eine, von der man dachte, sie sei letztes Mal noch da gewesen, es aber nicht mit Sicherheit wusste, und alles, was man als Antwort bekam, war diese nervige Nachricht. Wieder und wieder.

Datei nicht gefunden.

Ich wartete darauf, dass er sich endlich danach erkundigte, warum wir das Duchess so überstürzt verlassen hatten, oder Eddie-Schrägstrich-Emilio erwähnte und dass ihm die Familienähnlichkeit aufgefallen sei und er seine Meinung geändert habe.

Aber Papi kaute und lächelte weiter. Er hatte keine Vorstellung davon, wer Emilio war.

… niemals, nie, unter gar keinen Umständen …

Dios mío, der Schwur war total kindisch gewesen. Die Kerzen. Das Messer. Die verbrannten Haare. Das schwarze Buch. Mari war so eine Drama-Queen. Außerdem hätten meine Schwestern in jener Nacht alles gesagt, um Celi zum Lachen zu bringen. Und ich war erst zwölf Jahre alt gewesen – sicherlich würde kein Gericht der Welt einen Vertrag für bindend erklären, zu dessen Unterzeichnung ein Kind genötigt worden war. Und falls mich irgendjemand darauf festnageln wollte: Einen Vargas zu engagieren, um Papis Motorrad zu reparieren, war ganz gewiss nicht dasselbe, wie sich mit einem einzulassen, was ich in einer Million Jahren nicht tun würde, Schwur hin oder her. Ich stand hundertprozentig zu meiner Pro-Unterwäsche-Haltung. Und die war ohne Zweifel unvereinbar mit dem Lebenswandel eines Vargas.

»Dir gefällt dieser Junge also, Juju?«, fragte Mom.

»Was? Nein! Wie kommst du darauf?«

Sie musterte mich über den Rand ihres Weinglases hinweg mit zusammengekniffenen Augen. »Das begreife ich nicht. Wieso hast du ihn engagiert, wenn er dir nicht gefällt?«

»Er gefällt mir ja. Aber nicht so, als wollte ich ihn zum Freund.«

»Freund?« Mom setzte ihr Glas ab. »Juju, wovon redest du um Himmels willen?«

Ich griff mir mein Wasserglas und stürzte seinen Inhalt in einem Zug hinunter. Wofür ich ungefähr zehn Minuten brauchte. Dann stellte ich es zurück auf den Tisch und tat ihre Verwirrung mit einem Handwedeln ab. »Schlechter Freund. Guter Mechaniker. Und da wir einen Mechaniker gesucht haben und keinen Freund, haben wir noch mal Glück gehabt.«

»Juju …« Ihre Augenbrauen waren gerunzelt, ihr Blick schoss zwischen Papi und mir hin und her. »Vertraust du darauf, dass der Junge gute Arbeit an dem Motorrad leisten wird? No estoy seguro … Ist das mit ihm eine gute Idee?«

Nein. Unter gar keinen Umständen, weder auf Spanisch noch auf Englisch, ist das mit Emilio Vargas eine gute Idee.

Aber vom anderen Ende des Tisches leuchtete mir Papis sorglose Miene entgegen, sein Blick war aufgeregt und voller Hoffnung, und ich wusste, wir hatten heute das Richtige getan. Papis Seele war untrennbar mit der Harley verbunden, die seine unverfälschte Essenz bewahrte. Emilio Vargas’ Name brachte mich vollkommen durcheinander, aber wir brauchten ihn. Ohne ihn waren wir mit unserem Latein am Ende. Er war unsere einzige Hoffnung.

Meine einzige Hoffnung war, dass der Jüngste aus einer Familie notorischer Herzensbrecher keinerlei Erinnerung mehr daran besaß, dass wir einst, in einer Galaxie weit, weit weg, so dicht dran gewesen waren, eine Familie zu werden.

»Sí«, sagte ich, und Papi strahlte wie tausend Watt. »Es ist eine großartige Idee.«

3

Den Schuppen trennte höchstens ein schwankender Kartonstapel von einer Folge »Raus aus dem Messie-Chaos«, aber es standen eine alte Werkbank und einige Tische darin, die Papi aufgestellt hatte, als er noch mit Elektrowerkzeugen hantieren durfte. Er und ich hatten den Morgen damit verbracht, Platz zu schaffen, und jetzt stand die Harley inmitten von allem auf ihrem Ständer unter der staubigen blauen Abdeckplane.

»Das ist euer Mädchen, hm?« Emilio strahlte uns über das Motorrad hinweg an, und ich kam mir völlig nackt vor, so als trüge ich ein noch knapperes Outfit als tags zuvor.

Weiß er, wer ich bin?

Nein. Unmöglich. Er hatte mich seit zwei Jahren nicht gesehen, und selbst als wir noch auf dieselbe Schule gegangen waren, hatten sich unsere Wege nicht gekreuzt. Zoe und ich waren unzertrennlich, und später kam dann noch Christina dazu, und er verbrachte seine Highschooltage umringt von einem undurchdringlichen Wall aus Mädchen, die ihn umschwärmten wie eine Masse hin- und herflitzender kleiner Elektronen.

Und davor? Wir bekamen nie die Gelegenheit, uns bei einem offiziellen Familientreffen kennenzulernen. Dafür sorgte sein Bruder Johnny.

Ich nahm Haltung an und schüttelte die Wolke aus Nervosität und Schuldgefühlen ab, die mich umhüllte. Wir waren nicht hier, um in Erinnerungen an die verpasste Gelegenheit zu schwelgen, mein Brautjungfernkleid zu tragen, das fliederfarben gewesen war und immer noch irgendwo im Schuppen hing, frisch gewaschen und gebügelt.

»Wir überlassen dir die Ehre«, sagte ich.

Emilio schälte die Abdeckung von der Harley, bis sie entblößt vor uns stand. Ihr fehlte der Glanz, und sie war etwas angeschlagen, aber ihre Schönheit leuchtete ungebrochen von all diesen Meilen, all dieser Zeit. Emilio ließ die Hand der Länge nach über sie gleiten, wobei seine federleichte Berührung an ihren Rundungen verweilte. Seine Stirn war eindringlich gerunzelt, als bemühe er sich, mit ihrer Seele in Kontakt zu treten.

»Haben Motorräder eine Seele?«, fragte ich.

»Das kannst du aber glauben.« Papi stand an der Werkbank, wo er durch alte Werkzeuge stöberte. Seine Hände waren staubverschmiert, sein Blick hellwach. Der Schuppen schien eine bewusstseinsschärfende Wirkung auf ihn zu haben. Vielleicht lag es am schwachen Geruch nach Öl und Gas, dem vertrauten Klirren, mit dem Werkzeug und Metall aufeinandertrafen. Oder vielleicht gefiel es ihm auch bloß, weit weg von all den Karteikarten zu sein, die Mom auf jeden potenziell gefährlichen Gegenstand im Haus gepappt hatte. Der Schuppen war eine beschriftungsfreie Zone.

»Sie haben ihren eigenen Zauber«, fuhr Papi fort. »Besonders Valentina – sie ist etwas ganz Besonderes.«

»Valentina?«

»So heißt sie. Wir zwei sind schon seit Langem ein Paar, waren an unzähligen Orten. Hab ich dir je von Paraguay erzählt? Wir sind einem Jaguar davongefahren. Das Biest hat uns ich weiß nicht wie lange die Straße entlanggejagt.« Papi fuhr sich über die Augen. »Falls man nicht an Gott glaubt? Ist das einer der Tage, an denen man religiös wird.«

Ich verdrehte die Augen. Ein Jaguar? Also ehrlich.

Emilio sagte nichts, er musterte Valentina nur aus zusammengekniffenen Augen, klopfte und tätschelte sie, beobachtete und lauschte. Ich hatte Leute schon so mit Pferden umgehen sehen, aber nicht mit Motorrädern. Papi schien es jedoch nicht zu stören. Vielleicht war es normales Biker-Gehabe, so wie die Sache mit dem Zahnstocher.

Ich zog das Handy aus meiner Hosentasche und schoss ein Foto. Emilio blickte hoch.

»Es ist für meinen Vater«, sagte ich.

»Viele Mädchen wollen ein Bild von mir.«

Papi lachte.

»Eigentlich wollte ich ein Foto von dem Motorrad machen, aber dein monströser Kopf war im Weg.« Ich wandte mich wieder Papi zu. »Du bist lieber still. Ich habe es für dich gemacht.«

»Sprich mit mir, Valentina.« Emilio kniete auf dem Boden und presste sein Ohr an den Tank.

Was für ein Angeber!

»Sagt sie irgendwas?«

Emilio sah zu mir hoch, dann zurück zum Motorrad. »Ich kann sie nicht hören.«

»Das ist merkwürdig«, erwiderte ich. »Du musst leicht abzulenken sein. Denn hier ist es meistens ziemlich ruhig. Außer wenn Pancake ein Kaninchen entdeckt und durchdreht. Oder wenn es regnet. Dann klingt es, als würde jemand einen Haufen Vierteldollarmünzen auf das Dach prasseln lassen, und man kann sich selbst nicht mehr denken hören, weil …«

»Juju?« Hinter mir klatschte Papi in die Hände, um sie vom Staub zu befreien. »Lass den Mann seine Arbeit machen.«

Meine Wangen begannen zu glühen und ich hielt die Klappe.

Schön. Ich konnte schweigend zusehen. No problema. Überhaupt gar keins. Seht her, so bin ich, wenn ich vollkommen leise bin. Und den Mann seine Arbeit machen lasse.

Auf dem staubigen Boden gähnte Pancake und streckte sich der Länge nach aus. Wir warteten gemeinsam, bis Emilio Papi schließlich herüberwinkte, um sich mit ihm zu beratschlagen. Die zwei kauerten sich dicht vor die Maschine und unterhielten sich in einer fremden Sprache. Soll heißen eine, die nicht Spanisch war.

Ich hüpfte von der Werkbank. Offenbar war ich keine große Hilfe in Sachen Motorradreparatur, und es war komisch, einfach nur rumzusitzen und hübsch auszusehen, wie es so schön heißt. Außerdem war mein Hintern eingeschlafen.

Emilio verstummte und sah hoch, als könnte ich versucht sein, ein paar Worte einzuflechten, aber dem war nicht so. Er und Papi brauchten die stumme Jude, also bekamen sie auch die stumme Jude.

»Getränke.« Meine Lippen bildeten das Wort tonlos, während ich den Akt des Trinkens pantomimisch mit meiner rechten Hand darstellte und mit der linken auf unser Haus zeigte.

Ja, meine Freunde, so etwas kommt dabei raus, wenn man auf sechs Jahre Schauspielunterricht für Fortgeschrittene zurückgreifen kann!

Als ich zurück in den Schuppen kam, saß Emilio auf dem Boden und untersuchte ein paar Teile, die er vom Motorrad abgeschraubt haben musste. Papi sah ihm aufmerksam zu, aber er war verstummt, seine Miene erschöpft und bleich.

»Kommt raus in den Garten und macht eine Pause«, sagte ich zu ihnen. Dieses Mal laut, kein weiterer Ausdruckstanz.

Wir gingen zum Gartentisch hinüber, auf den ich ein paar Dosen Cola, eine Auswahl an kalten empanadas vom Vorabend und eine große Schüssel Doritos gestellt hatte.

Papi ließ sich auf seinen Stuhl fallen und griff nach einem Nacho. Er drehte und wendete ihn in den Händen und zerkrümelte ihn, doch als die Krümel auf den Tisch fielen, starrte er sie mit offenem Mund an, als hätte er ein vollkommen anderes Ergebnis erwartet.

»Ich hoffe, sie schmecken nicht alt«, sagte ich. »Trink etwas Cola, Papi.«

Uns gegenüber knusperte Emilio laut, und ich betete, er wäre zu tief im BlazinBuffalo and Ranch-Delirium versunken, um Papis Aussetzer zu bemerken.

»Sind die schlecht?« Papi drückte seinen Daumen in die Schweinerei auf dem Tisch.

»Sie sind nicht gerade gesund.« Emilio nahm sich noch eine Handvoll. »Aber sie sind der Hammer.«

Endlich schob sich Papi ein paar Chips in den Mund. »Ich bin im Grunde kein Morgenmensch«, sagte er, die Lippen mit Krümeln übersät. »Ich zelte gern.«

ENDE DER LESEPROBE