VERLIEBT IN DAS LEBEN - Osho - E-Book

VERLIEBT IN DAS LEBEN E-Book

OSHO

0,0
12,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In seinen Diskursen über ausgesuchte Fragmente aus Nietzsches Zarathustra wird klar, wie sehr Osho beide schätzt: Nietzsche, den großen deutschen Denker und Philosophen, und Zarathustra, diesen geheimnisumwitterten, persischen Mystiker. Wir machen beim Lesen dieses Buches eine faszinierende Entdeckung, bei der uns gezeigt wird, welche Fülle das Leben für uns bereithält - in Oshos Reflexionen, Nietzsches Philosophie und Zarathustras Weisheiten. Hier hat die zeitlose Wahrheit das Sagen, die unser Bemühen,ganz zu werden und zu heilen, unterstützt: Alle drei sind absolut für das Leben.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 315

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Alle Osho Diskurse sind als Originale publiziert worden und als Original-Audios erhältlich. Audios und das vollständige Text-Archiv finden sie unter der Online-Bibliothek „Osho Library“ bei www.osho.com

Titel der Originalausgabe:

In Love with Life – Reflections on Friedrich Nietzsche’s Thus Spake Zarathustra Selected Chapters from Zarathustra: A God That Can Dance, # 1, 2, 7, 9, 21 and Zarathustra: The Laughing Prophet, # 3, 5, 8, 14, 23

Ebook-Ausgabe 2019

Umschlaggestaltung: Bunda S. Watermeier, www.watermeier.net

Übersetzung: Prem Nirvano

Copyright© 1987, 2013 Osho International Foundation, Zürich, Schweiz www.osho.com/copyrights

Copyright© 2014, Innenwelt Verlag GmbH, Köln

Alle Rechte vorbehalten

OSHO® ist eine registrierte Handelsmarke der Osho International Foundation, www.osho.com/trademark

Nachdruck und fotomechanische Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags, www.innenwelt-verlag.de

eISBN 978-3-947508-27-3

OSHO

Verliebt

in das Leben

Neue Sichtweisen über Nietzsches

„Also sprach Zarathustra“

INHALT

Vorwort

1.Zarathustras Vorrede – Erstes Stück

2.Zarathustras Vorrede – Zweites Stück

3.Von den drei Verwandlungen

4.Vom Leben und von der Liebe | Vom Krieg und Kriegsvolke

5.Von den Mitleidigen

6.Von den Gelehrten

7.Von der Erlösung

8.Der Wanderer

9.Von den drei Bösen

10.Vom Lachen und Tanzen

VORWORT

Es ist das Schicksal des Genies, missverstanden zu werden. Wenn ein Genie nicht missverstanden wird, dann ist es auch kein Genie. Wenn die gemeine Masse es verstehen kann, heißt dies, dass der Betreffende die Durchschnittsintelligenz anspricht.

Friedrich Nietzsche wird missverstanden, und dieses Missverständnis hat katastrophale Auswirkungen gehabt. Aber das ließ sich vielleicht nicht vermeiden. Um einen Mann wie Nietzsche zu verstehen, muss man zumindest dieselbe Bewusstseinsebene haben, wenn nicht eine höhere.

Adolf Hitler ist so zurückgeblieben – einfach undenkbar, dass er verstehen kann, was Nietzsche gemeint hat! Doch ausgerechnet er machte sich zum Propheten von Nietzsches Philosophie. Und so zurückgeblieben, wie er war, interpretierte er ihn auch… interpretierte nicht nur, sondern setzte seine Interpretationen auch in die Tat um – und der Zweite Weltkrieg war das Ergebnis.

Wenn Nietzsche vom „Willen zur Macht“ spricht, meint er damit nicht den Willen, andere zu unterwerfen, aber genau das haben die Nazis ihm unterstellt. Nietzsches „Wille zur Macht“ ist der diametrale Gegensatz eines Unterwerfungswillens.

Unterwerfungswille beruht auf einem Minderwertigkeitskomplex: Wer andere untwerfen möchte, will sich nur selber beweisen, dass er nicht unter- sondern überlegen ist. Aber das muss er sich deshalb beweisen, weil er sich sonst minderwertig. fühlt. Und das muss er durch viele Beweise vertuschen, immer und immer wieder.

Der wirklich überlegene Mensch braucht keinen Beweis, sondern ist einfach nur überlegen. Muss eine Rose etwa ihre Schönheit beweisen? Muss der Vollmond etwa seine Herrlichkeit beweisen? Wer überlegen ist, weiß es einfach und braucht es nicht erst zu beweisen. Folglich will er auch niemanden unterwerfen. Er hat zweifellos einen „Willen zur Macht“! Hier aber gilt es einen sehr feinen Unterschied zu machen …

Sein Wille zur Macht heißt, dass er sich restlos zum Ausdruck bringen möchte. Er vergleicht sich gar nicht erst mit anderen, ihm geht es einzig und allein um seine Individualität. Er möchte aufblühen, möchte all die verborgenen Blumen hervorbringen, die in ihm angelegt sind, möchte so hoch wie möglich in den Himmel wachsen. Weder vergleicht er sich noch will er sich über andere erheben – sein einziger Wunsch ist sein Potenzial voll zu entfalten. Sein „Wille zur Macht“ ist absolut individuell. Er möchte zum Zenith des Himmels tanzen, er möchte Zwiesprache halten mit den Sternen, ist aber nicht daran interessiert, andere als unterlegen hinzustellen. Er will weder mit anderen konkurrieren noch sich vergleichen

Adolf Hitler und seine Anhänger, die Nazis, haben einen unvorstellbaren Schaden angerichtet, indem sie die Welt davon abhielten, Friedrich Nietzsche und seine wahre Botschaft zu verstehen. Und zwar nicht nur in diesem einen Punkt, sondern was seine Philosophie insgesamt betrifft – sie haben ihn durch und durch verfälscht.

Was für ein trauriges Schicksal! Dergleichen ist vor Nietzsche keinem großen Mystiker und keinem großen Dichter widerfahren. Dass man Jesus gekreuzigt oder Sokrates vergiftet hat, ist nicht so schlimm wie das Schicksal, das Friedrich Nietzsche ereilt hat – so gründlich verfälscht zu werden, dass Adolf Hitler es schaffen konnte, mehr als acht Millionen Menschen im Namen Friedrich Nietzsches und seiner Philosophie zu ermorden. Es wird eine Weile dauern … Erst wenn Adolf Hitler und die Nazis und der Zweite Weltkrieg vergessen sind, wird Nietzsche in seinem wahren Licht zurückkehren. Angefangen hat seine Wiederentdeckung bereits …

Doch Friedrich Nietzsche muss erneut interpretiert werden, damit wir all den Unfug, mit dem die Nazis seine großartige Philosophie entstellt haben, endlich auf den Müll werfen können. Die Leute verstehen immer nur gemäß ihrem eigenen Horizont. Dass Nietzsche den Nazis in die Hände fiel, war reiner Zufall. Sie brauchten ein Ideal, für das sie kämpfen konnten, und da kam ihnen Nietzsches „Übermensch“ wie gelegen: Die nordische Rasse der germanischen Arier wurde ausersehen, Nietzsches neue Herrenrasse zu sein und seinen Übermenschen zu gebären. Sie wollten die ganze Welt beherrschen, und da war Nietzsche sehr hilfreich, da ihm zufolge der „Wille zur Macht“ die tiefste Sehnsucht des Menschen ist. Daraus machten sie einen „Unterwerfungswillen“.

Jetzt hatten sie ihre ganze Weltanschauung: Die nordisch germanischen Arier sind die überlegene Rasse, denn sie wird den Übermenschen hervorbringen. Sie haben den Willen zur Macht und werden die ganze Welt beherrschen. Das ist ihre Bestimmung – über die minderwertigen Menschen zu herrschen. Ein simples, eingängiges Einmaleins: der Überlegene muss den Unterlegenen beherrschen. Schöne Ideale …

Nietzsche hätte sich im Traum nicht vorgestellt, dass sie dereinst so gefährlich werden und sich als ein solcher Menschheitsalptraum entpuppen würden. Aber niemand kann verhindern, missverstanden zu werden – dagegen ist kein Kraut gewachsen. Sobald etwas ausgesprochen ist, hängt alles davon ab, was andere daraus machen.

Aber Nietzsche ist so ungeheuer wichtig, dass er von all der Jauche gereinigt werden muss, den die Nazis über seine Vorstellungen geschüttet haben … Wenn Nietzsche nichts anderes geschrieben hätte als Also Sprach Zarathustra, hätte er damit der Menschheit einen unschätzbaren, unersetzlichen Dienst erwiesen… mehr ist von keinem Menschen zu erwarten. Schließlich war der historische Zarathustra praktisch vergessen.

Erst Nietzsche hat ihn zurückgeholt und ihm zur Wiedergeburt, zu seiner Wiederauferstehung verholfen. Also Sprach Zarathustra wird die Bibel der Zukunft sein.

1. Kapitel

ZARATHUSTRAS VORREDE

Erstes Stück

Als Zarathustra dreißig Jahre alt war, verließ er seine Heimat und den See seiner Heimat und ging in das Gebirge. Hier genoß er seines Geistes und seiner Einsamkeit und wurde dessen zehn Jahre nicht müde.

Endlich verwandelte sich sein Herz —, und eines Morgens stand er mit der Morgenröte auf, trat vor die Sonne hin und sprach zu ihr also: „Du großes Gestirn! Was wäre dein Glück, wenn du nicht die hättest, welchen du leuchtest!

Zehn Jahre kamst du hier herauf zu meiner Höhle: du würdest deines Lichtes und dieses Weges satt geworden sein, ohne mich, meinen Adler und meine Schlange.

Aber wir warteten deiner an jedem Morgen, nahmen dir deinen Überfluss und segneten dich dafür.

Siehe! Ich bin meiner Weisheit überdrüssig wie die Biene, die des Honigs zuviel gesammelt hat, bedarf ich der Hände, die sich ausstrecken.

Ich möchte verschenken und austeilen, bis die Weisen unter den Menschen wieder einmal ihrer Torheit und die Armen wieder einmal ihres Reichtums froh geworden sind.

Dazu muss ich in die Tiefe steigen: wie du des Abends tust, wenn du hinter das Meer gehst und noch der Unterwelt Licht bringst, du überreiches Gestirn!

Ich muss, gleich dir, untergehen, wie die Menschen es nennen, zu denen ich hinab will.

So segne mich denn, du ruhiges Auge, das ohne Neid auch ein all-zugroßes Glück sehen kann!

Segne den Becher, welcher überfließen will, dass das Wasser golden aus ihm fließe und überallhin den Abglanz deiner Wonne trage!

Siehe! Dieser Becher will wieder leer werden, und Zarathustra will wieder Mensch werden.“

… Also begann Zarathustras Untergang.

Friedrich Nietzsche ist vielleicht der grösste Philosoph, den die Welt je gesehen hat. Er ist auch in einer anderen Dimension noch groß – von der viele Philosophen keinerlei Ahnung haben: Er ist ein geborener Mystiker.

Seine Philosophie kommt nicht nur aus dem Kopf, sondern ist tief im Herzen verwurzelt, und ein paar Wurzeln reichen sogar bis tief hinunter in den Kern seines Seins. Sein Pech ist nur, dass er im Westen geboren wurde.

Darum ist er auch nie einer Mysterienschule begegnet. Seine Kontemplation ging tief, aber er hatte absolut keine Ahnung von Meditation. Seine Gedanken haben manchmal die Tiefe eines Meditierers, manchmal den Höhenflug eines Gautam Buddha; aber diese Dinge scheinen ihm spontan zuzufallen.

Er weiß nichts von den Wegen der Erleuchtung, von dem Pfad, der zum eigenen Sein hinführt. Von daher rührt die furchtbare Zerrissenheit seines Daseins. Seine Träume greifen nach den Sternen, aber sein Leben bleibt sehr platt. Ihm fehlt die Aura, die aus der Meditation kommt. Seine Gedanken sind für ihn nicht wie Blut, Mark und Knochen. Sie sind ungemein schön, aber irgendetwas fehlt, und zwar das Leben selbst. Seine Worte sind tot – sie atmen nicht. Da schlägt kein Herz.

Aber ich spreche aus einem ganz bestimmten Grund über ihn, und zwar weil er der einzige Philosoph in West oder Ost ist, der die höchsten Höhen des menschlichen Bewusstseins zumindest gedacht hat. Er mag sie nicht erfahren haben … Er hat sie ganz gewiss nicht erfahren. Und er hat auch nicht versäumt, wieder Mensch zu werden. Auf diese Idee, wieder von den Höhen niederzusteigen zum Marktplatz, von den Sternen niederzusteigen zur Erde, ist außer ihm noch kein Mensch gekommen.

Er hat etwas von Gautam Buddha – vielleicht unbewusst mitgebracht aus früheren Leben –, und er hat etwas von Alexis Sorbas. Beiden fehlt etwas; aber er ist der einzige Beweis, dass sich Buddha und Sorbas begegnen können, dass alle, die die höchsten Gipfel erklommen haben, nicht dort zu bleiben brauchen. Sie dürfen auch gar nicht dort bleiben. Sie schulden der Menschheit etwas. Sie schulden der Erde etwas.

Sie wurden unter Menschen geboren; sie haben in der gleichen Dunkelheit und im gleichen Unglück gelebt. Und jetzt, wo sie das Licht gesehen haben, ist es ihre Pflicht, auch alle die zu wecken, die fest schlafen, ihnen die gute Nachricht zu bringen, dass die Dunkelheit nicht alles ist, dass unsere Unbewusstheit selbstgewählt ist.

Sobald wir beschließen, bewusst zu werden, kann alle Unbewusstheit und alle Dunkelheit verschwinden. Aus eigener Wahl leben wir in den dunklen Tälern. Sobald wir beschließen, auf den sonnenbeglänzten Gipfeln zu leben, kann uns das niemand verwehren, denn auch das ist in uns angelegt.

Aber die Menschen, die die sonnenbeglänzten Gipfel erklommen haben, vergessen völlig die Welt, aus der sie kommen. Gautam Buddha ist nie hinabgestiegen, Mahavira ist nie hinabgestiegen. Sie haben sich bemüht die Menschheit wachzurütteln, aber sie riefen nur von ihren sonnenbeglänzten Gipfeln herab. Der Mensch ist so taub, so blind, dass er Leute, die von höheren Bewusstseinsebenen herab reden, praktisch unmöglich verstehen kann. Er hört zwar das Rufen, aber der Sinn dringt nicht bis zu ihm durch. Nietzsche ist in dieser Hinsicht einmalig. Er hätte ein außergewöhnlicher, sehr übermenschlicher Philosoph bleiben können. Aber er lässt keinen Augenblick den gewöhnlichen Menschen aus den Augen. Das ist seine Größe. Obwohl er nie die höchsten Gipfel erreicht hat und er nie die größten Mysterien erfahren hat, treibt ihn dennoch das Verlangen, seine Erfahrungen mit seinen Mitmenschen zu teilen. Sein Wunsch, mit andern zu teilen, ist ungeheuer.

Ich habe beschlossen, über ein paar Passagen zu sprechen, die euch vielleicht bei eurem spirituellen Wachstum helfen können. Nietzsche selbst hatte sich Zarathustra zu seinem Sprachrohr gewählt; und so müssen zunächst ein paar Dinge klargestellt werden, die Zarathustra betreffen. Nietzsche hat sich in Zarathustra – unter Tausenden von großen Mystikern, Philosophen, Erleuchteten – einen sehr unbekannten, von der Welt fast vergessenen ausgesucht.

Die Anhänger Zarathustras leben heute auf einen sehr engen Raum beschränkt in Bombay. Sie waren aus Persien nach Bombay gekommen, als die Moslems die Perser zwangen, sich entweder zum Islam zu bekehren oder sich töten zu lassen. Tausende wurden getötet; Millionen wurden aus Angst Moslems, aber ein paar wagemutige Seelen konnten aus Persien fliehen und landeten in Indien. Das sind die Parsen von Bombay, vielleicht die kleinste Religion der Welt. Und man fragt sich staunend, wieso Nietzsche sich dermaßen für Zarathustra interessierte, dass er das Buch „Also Sprach Zarathustra“ schrieb. Die erwähnten Passagen stammen aus diesem Buch.

Er entschied sich aus dem gleichen Grund für Zarathustra, wie ich mich für ihn entschied: Zarathustra ist unter allen Religionsgründern der einzige lebensbejahende, nicht lebensfeindliche, der eine Religion der Lebensfreude, der Dankbarkeit gegenüber der Existenz lehrt. Er ist nicht gegen die Genüsse des Lebens, und er hält nichts davon, der Welt zu entsagen. Im Gegenteil, er verlangt geradezu, sich an der Welt zu erfreuen, da außer diesem Leben und dieser Welt alles nur hypothetische Ideologie ist – Gott, Himmel und Hölle. Das alles sind Projektionen des menschlichen Hirns, keine authentischen Erfahrungen. Es sind keine Realitäten.

Zarathustra wurde zur gleichen Zeit geboren, als auf der ganzen Welt eine große Renaissance stattfand. In Indien standen Gautam Buddha, Mahavira, Goshalok, Sanjay Bilethiputta, Ajit Keshkambal und andere auf dem gleichen Gipfel der Erwachtheit. Das ist fünfundzwanzig Jahrhunderte her. In China waren es Konfuzius, Menzius, Laotse, Tschuangtse, Liehtse und viele andere. In Griechenland Sokrates, Pythagoras, Plotinus, Heraklit – und im Iran Zarathustra.

Welch seltsamer Zufall, dass plötzlich eine Bewusstseinsflut über die Welt hereinbrach und viele Menschen erweckte. Oder existiert auch eine Kettenreaktion der Erleuchtung? Wann immer erleuchtete Menschen auftreten, provozieren sie auch in anderen die gleiche Revolution. Die Anlage dazu hat jeder. Man braucht nur einen gewissen Anstoß, eine Herausforderung; und wenn man sieht, wie so viele Menschen zu so schönen Höhen der Anmut aufsteigen, kann man nicht bleiben, wo man ist. Plötzlich regt sich auch in dir ein ungeheurer Drang: „Irgendetwas muss passieren. Während ich mein Leben verplempere, haben andere ihre eigentliche Bestimmung erfüllt und alles Erkennenswerte erkannt, die höchste Glückseligkeit und Ekstase erfahren … Und was mache ich? Sammle Muscheln am Strand!“

Aus all diesen Menschen ragt Zarathustra unverwechselbar heraus. Er ist als einziger nicht lebensfeindlich, für das Leben. Sein Gott steckt nicht sonstwo, sein Gott ist nichts weiter als ein anderer Name für das Leben selbst. Nur darauf beruht alle Religion: total zu leben und voller Freuden zu leben, so intensiv wie möglich zu leben. Mich verbindet eine tiefe Wahlverwandtschaft mit Zarathustra. Aber vielleicht fand er ja nur deshalb nicht viele Anhänger, weil er lebensbejahend und nicht lebensverneinend war. Dies gehört zu den seltsamen Zügen des Menschen – dass er alles, was leichtfällt, nicht genug schätzt, um es sich zum Ziel zu setzen. Sein Ziel muss schwer und hart sein! Dahinter steckt unser Egoismus, das Ego will immer das Unmögliche. Denn nur mit dem Unmöglichen kann es überhaupt existieren. Du wirst nie dein Verlangen erfüllen können, aber das Ego wird dich immer mehr in diese Richtung treiben – mehr Gier, mehr Macht, mehr Geld, mehr Härte, mehr Spiritualität, mehr Disziplin. Bedenkt, wo immer ihr dem „mehr“ begegnet, hört ihr die Sprache des Ego. Und man kann das Ego unmöglich zufriedenstellen: Es fordert immerzu mehr.

Der ganze Ansatz Zarathustras gleicht dem Tschuangtses: „Leicht ist richtig. Richtig ist leicht.“ Erst wenn du vollkommen entspannt bist, dich wohl und zu Hause fühlst – so entspannt, dass du sogar vergessen hast, wie wohl du dich fühlst, dass du vergessen hast, wie richtig du liegst, und du so unschuldig geworden bist wie ein Kind – bist du angekommen. Aber das interessiert das Ego nicht. Dieser ganze Prozess ist eine Art Selbstmord des Ego. Und so ist es zu erklären, dass ausgerechnet diejenigen Religionen, die dem Ego schwierige Aufgaben, unbezwingbare Wege, unnatürliche Ideale empfohlen haben, Millionen von Menschen an sich gezogen haben.

Zarathustras Anhänger kann man an den Fingern abzählen. Und so hat natürlich kein Hahn nach Zarathustra gekräht. Erst nahezu vierundzwanzig Jahrhunderte später fand plötzlich Nietzsche etwas an Zarathustra. Er war gegen Jesus Christus und er war gegen Gautam Buddha; aber er war für Zarathustra. Das zu verstehen ist ausgesprochen wichtig.

Wieso war derselbe Mann, der gegen Jesus Christus war, der gegen Gautam Buddha war – für Zarathustra? Weil Nietzsche dieselbe Einstellung, denselben Lebensansatz hat. Er hat gesehen, dass all diese Religionen, diese großen Religionen, immer nur noch mehr Schuldgefühle erzeugen, die Menschheit immer nur noch mehr ins Unglück stürzen, Kriege anzetteln und andere bei lebendigem Leibe verbrennen, dass sie allen möglichen Unsinn reden, für den sie keinerlei Beweise oder Anhaltspunkte haben; dass sie die ganze Menschheit in Dunkelheit und Blindheit leben lassen. Denn ihre Lehren verlangen Glauben. Und Glaube ist Blindheit.

Jeder Glaube ist blind. Denn ein Mensch mit Augen glaubt nicht, dass es Licht gibt, er weiß es. Er braucht es nicht zu glauben. Nur der Blinde glaubt an das Licht, das er nicht kennt. Glaube setzt Unwissenheit voraus. Und weil alle Religionen, außer ein paar Ausnahmen wie Zarathustra und Tschuangtse, die weder große Anhängerschaften finden noch große Traditionen stiften konnten – allesamt Glauben verlangen, mit anderen Worten Blindheit verlangen. Nietzsche hasste sie. Sein Symbol für den Osten war Gautam Buddha, sein Symbol für den Westen war Jesus Christus.

Gegen diese Leute war er – aus dem einfachen Grund, weil sie lebensfeindlich waren, und weil sie gegen alle Menschen waren, die sich mit einfachen Dingen begnügten, Menschen, die spielerisch leben, die lachen, Menschen, die Sinn für Humor haben, statt tierischen Ernst, Menschen, die gern singen und musizieren, und Menschen, die gern tanzen und lieben. Nietzsche fühlte sich von Zarathustra angezogen, weil er als einziger erkannte, dass in der gesamten Geschichte nur dieser eine Mann nicht gegen das Leben war, nicht gegen die Liebe war, nicht gegen das Lachen war. In diesen Passagen werdet ihr ungeheuer bedeutsame Aussagen finden, und sie können die Grundlage für eine lebensbejahende Religion werden.

Ich bin absolut für das Leben. Es gibt nichts, wofür man das Leben opfern darf. Wohl aber darf man alles für das Leben opfern. Alles darf Mittel zum Zweck des Lebens sein, aber das Leben ist ein Zweck in sich. Hört genau zu, denn Friedrich Nietzsche schreibt in sehr komprimierter Form. Er ist kein Prosaiker. Er schreibt in Aphorismen. Wo andere ein ganzes Buch geschrieben hätten, schreibt Nietzsche nur einen Absatz. So gedrängt ist sein Stil, dass man ihn leicht missversteht, wenn man ihm nicht sehr genau zuhört. Man darf ihn nicht wie einen Roman lesen. Diese Passagen sind fast so gedrängt wie die Sutras der Upanishaden. In jedem einzelnen Sutra, jedem einzelnen Aphorismus steckt so viel, so viele Nebenbedeutungen … und ich möchte gern auf all diese Feinheiten eingehen, damit ihr Nietzsche nicht missversteht; denn er ist einer der missverstandensten Philosophen der Welt. Und der Grund, warum er missverstanden wurde, war der, dass er einen so komprimierten Stil hatte. Er hat nie erklärt, er ging nie detailliert auf alle denkbaren Nebenbedeutungen ein.

Er ist ein Mann der Symbole; und er ist deshalb so symbolhaft, weil er so zum Bersten voll von neuen Einsichten war, dass er nicht genug Zeit hatte zum erklären oder Abhandlungen zu schreiben. Es gab so viel mitzuteilen und zu geben … und das Leben ist so kurz. Aber da er sich dermaßen komprimiert und kristallisiert ausdrückte, verstanden ihn erstens die meisten gar nicht und zweitens missverstanden ihn die wenigen, die ihn verstanden. Drittens fanden sie ihn unlesbar. Sie wollten alles erklärt haben, und Nietzsche schrieb nicht für Kinder. Er schrieb für reife Menschen. Aber Reife ist etwas sehr Seltenes – bei einem geistigen Durchschnittsalter des Menschen von kaum mehr als vierzehn Jahren!

Bei einer solchen „geistigen Reife“ verkennt man Nietzsche mit Sicherheit. Seine Gegner verkennen ihn, seine Anhänger verkennen ihn. Denn alle sind unreif.

Als Zarathustra dreißig Jahre alt war, verließ er seine Heimat und den See seiner Heimat und ging in das Gebirge.

Ihr müsst wissen, dass Gautam Buddha, als er neunundzwanzig Jahre alt war, seinen Palast verließ. Jesus begann zu lehren, als er dreißig Jahre alt war. Zarathustra ging ins Gebirge, als er dreißig Jahre alt war. Denn mit dem Alter so um die Dreißig herum hat es so seine Bewandtnis; genauso wie man mit vierzehn sexuell reif wird … Wenn wir einmal von einem normalen Durchschnittsleben von siebzig Jahren ausgehen, dann kommt es alle sieben Jahre – das haben diejenigen entdeckt, die das Leben bis in die Wurzeln erforscht haben – zu einer Veränderung, einem Wendepunkt.

Die ersten sieben Jahre sind unschuldig. Die zweiten sieben Jahre ist man vor allem damit beschäftigt viel zu lernen und neugierige Fragen zu stellen. Vom vierzehnten bis zum einundzwanzigsten Jahr tritt die Sexualität in den Vordergrund. Ihren absoluten Höhepunkt erreicht die Sexualität, ihr werdet staunen, bei ca. achtzehn oder neunzehn Jahren. Und die Menschheit hat seit je her alles unternommen, um diese Phase zu umgehen – mithilfe von Erziehungsprogrammen, Hochschulen, Universitäten und indem man Jungen und Mädchen getrennt hielt. Dabei ist genau das die Zeit, da ihre Sexualität und ihre sexuelle Energie zum Höhepunkt kommt.

In diesen sieben Jahren, von vierzehn bis einundzwanzig, hätten sie ohne weiteres die Erfahrung des sexuellen Orgasmus machen können. Und der sexuelle Orgasmus ist ein Lichtblick, der den Drang nach seligeren Reichen in euch wecken kann; denn im sexuellen Orgasmus verschwinden zwei Dinge: Erstens das Ego, und zweitens das Denken – und für ein paar Sekunden steht die Zeit still. Aber diese drei Dinge sind die wesentlichen. Zwei Dinge verschwinden völlig: Du bist kein Ich mehr. Du bist zwar noch da, aber ohne Ich-Gefühl. Dein Geist ist da, aber ohne alle Gedanken. Eine tiefe Stille … Und plötzlich steht – weil das Ich verschwindet und die Gedanken verschwinden – auch die Zeit still. Denn um die Zeit zu erfahren, sind die wechselnden Gedanken des Geistes erforderlich; anders ist die Bewegung der Zeit nicht zu erfahren.

Stellt euch einfach zwei Züge vor, die gleich schnell nebeneinander herfahren. Durch das Fenster seht ihr den anderen Zug, das gleiche Fenster, das gleiche Abteil –, und man hat das Gefühl stillzustehen. Genauso werden die Fahrgäste im anderen Zug das Gefühl von Stillstand haben. Seine Bewegung nehmt ihr nur deshalb wahr, weil die Bäume stehen, während euer Zug fährt, weil die Häuser stehen und sich nicht bewegen. Bahnhöfe und Bahnsteige kommen und gehen. Nur weil rechts und links alles statisch ist, merkt ihr im Vergleich dazu, merkt ihr an dieser Relation, dass euer Zug sich bewegt. Und vielleicht habt ihr schon einmal diese bizarre Erlebnis gehabt: Dein Zug steht am Bahnsteig, auf der anderen Seite steht ein anderer Zug. Dein Zug setzt sich in Bewegung, und du hast den Eindruck, als würde sich der andere Zug in Bewegung setzen … es sei denn, du schaust gleichzeitig auf den unbeweglichen Bahnsteig. Bewegung ist eine relative Erfahrung. Wenn sich im Geist kein Gedanke bewegt, ist man in der Leere. Die Zeit bleibt stehen, weil man sie ohne Bewegung nicht messen kann: Du bist nicht da, der Verstand ist nicht da, die Zeit ist nicht da – und es herrscht Friede – und alles entspannt sich!

Ich vermute, dass der sexuelle Orgasmus überhaupt die Ursache dafür war, wieso die Menschen eine erste Ahnung von Meditation bekommen konnten. Daraufhin müssen irgendwelche Genies angefangen haben zu experimentieren: „Wenn wir es schaffen die Gedanken anzuhalten, und unser Ich aufzugeben sodass der Verstand aussetzt, die Zeit aussetzt, dann brauchen wir keinen sexuellen Orgasmus.“ Man kann die gleiche orgasmische Erfahrung aus sich heraus machen, aber dann ist sie nicht mehr sexuell, dann ist es eine spirituelle Erfahrung. Der sexuelle Orgasmus muss die erste Ahnung geweckt haben, dass die gleiche Erfahrung auch ohne Sex möglich ist. Sonst hätte der Mensch niemals die Meditation entdeckt. Meditation ist kein natürliches Phänomen.

Der sexuelle Orgasmus ist ein natürliches Phänomen, aber alle Gesellschaften verhindern, dass ihre Kinder den sexuellen Orgasmus erfahren. Niemand erwähnt auch nur ein Wort davon. Das ist die Strategie. Und es ist eine sehr gefährliche Strategie, ein krimineller Akt gegen die gesamte Menschheit; denn Kinder, die um den sexuellen Orgasmus betrogen werden, werden niemals den Drang nach Meditation verspüren. Oder ihr Drang wird so schwach sein, dass sie nichts dafür aufs Spiel setzen wollen.

Um das einundzwanzigste Lebensjahr herum erreicht also der Sex seinen Höhepunkt. Wenn man ihm freien Lauf lässt – so wie es bei Gautam Buddha der Fall war, der alle schönen Mädchen seines Reiches bekam, der von lauter schönen Mädchen umringt war, der tiefe Orgasmuserfahrungen gemacht hatte – dann beginnt zwischen einundzwanzig und achtundzwanzig die Suche, also in den nächsten sieben Jahren. Denn der sexuelle Orgasmus ist biologisch: bald versiegt die Energie, und man bekommt keinen Orgasmus mehr. Zweitens braucht man dazu einen anderen Menschen, eine Frau, einen Mann. Das macht euch unfrei, was ein sehr hoher Preis dafür ist.

Wenn ein Mensch also ganz natürlich weiterwächst, ganz natürlich aufwachsen darf, dann wird er zwischen dem einundzwanzigsten und dem achtundzwanzigsten Jahr nach Mitteln und Wegen forschen und suchen, wie er die Physiologie, die Biologie überwinden und doch in der Lage bleiben kann, zu immer tieferen orgasmischen Erfahrungen vorzudringen.

Zwischen achtundzwanzig und fünfunddreißig sind all diese Leute – Gautam Buddha, Zarathustra, Laotse, Tschuangtse, Jesus – zu höheren Seinsebenen vorgestoßen. Und um nicht belästigt zu werden, um nicht von anderen abgehalten zu werden, um nicht abgelenkt zu werden, haben sie sich als Einsiedler in die Berge zurückgezogen. So wie ich es sehe, taten sie das nicht aus Lebensfeindlichkeit, sondern suchten einfach nur einen stillen Ort, wo es keine Ablenkungen gab und wo sie die größte orgasmische Erfahrung machen konnten, die es gibt … das, was William James den „ozeanischen Orgasmus“ genannt hat, bei dem du dich völlig im Ozean der Existenz auflöst, so wie ein Tautropfen, der vom Lotusblatt in den See gleitet.

Das dreißigste Jahr hat es also in sich. Alle großen Sucher sind zwischen achtundzwanzig und fünfunddreißig als ihre Suche begann. Das ist der Zeitpunkt des Suchens und Forschens, des Forschens nach einer Dimension, die nicht körperlicher, sondern geistiger Natur ist.

Hier genoss er seines Geistes und seiner Einsamkeit und wurde dessen zehn Jahre nicht müde.

Er blieb zehn Jahre im Gebirge. Seine Einsamkeit, seine Stille, sein Friede vertiefte sich zusehends, und er war voller Seligkeit. Obgleich er allein war, konnte er gar nicht genug davon bekommen.

Endlich aber verwandelte sich sein Herz –, und eines Morgens stand er mit der Morgenröte auf, trat vor die Sonne hin und sprach zu ihr also …

An diesem Punkt schlägt Zarathustra einen neuen Weg ein. Mahavira verharrte in seiner Abgeschiedenheit, Buddha verharrte in seinem Alleinsein, und wer immer auch Zeuge davon wurde, erkannte, dass etwas geschehen war – etwas, das über alle Begriffe ging: Diese Menschen waren Verwandelte. Sie waren strahlend geworden. Sie strahlten vor Freude. Ein gewisses Flair umgab sie. Sie hatten etwas erkannt. Ihre Augen hatten eine Tiefe, wie nie zuvor, und ihre Gesichter hatten eine Anmut, die etwas ganz Neues war. Und auf diese Weise kam ganz unmerklich ein Missverständnis auf. Alle, die Zeuge davon wurden, meinten, diese Menschen hätten, weil sie in die Berge gezogen waren, dem Leben entsagt. Und so wurde der Verzicht auf das Leben zu einem Grundstein aller Religionen. Dabei hatten sie dem Leben durchaus nicht entsagt.

Ich würde gern die Geschichte der Welt von A bis Z neu schreiben, vor allem was diese Menschen betrifft. Denn ich kenne sie, aufgrund meiner eigenen Erkenntnis. Ich brauche mich nicht um Fakten zu scheren. Ich weiß die Wahrheit. Diese Menschen hatten sich nicht vom Leben abgewandt – sie hatten einfach nur die Abgeschiedenheit gesucht. Sie wollten doch nur allein sein. Sie hatten sich nur allen Ablenkungen entzogen. Aber der Unterschied zwischen Gautam Buddha und Zarathustra kommt dort zum Vorschein, wo Gautam Buddha, nachdem er zu sich gefunden hat, nicht erklärt: „Jetzt brauche ich kein Einsiedler, kein Mönch mehr zu sein, ich kann zurückkehren und ein einfacher Mensch unter Menschen sein, mitten im Trubel der Welt.“

Vielleicht gehört dazu noch mehr Mut, als zum Rückzug aus der Welt. Zur Welt zurückzukehren erfordert mehr Mut. Bergauf zu steigen ist hart, aber sehr befriedigend. Du steigst höher und höher und höher, und wenn du erst mal am höchsten Gipfelpunkt angelangt bist, gehört enorm viel Mut dazu, wieder abzusteigen, zurück in die dunklen Täler, die du verlassen hast – einfach nur, um den Menschen die Botschaft zu bringen: „Ihr braucht nicht ewig im Dunkeln zu bleiben, ihr braucht nicht immer Leid und Hölle zu ertragen.“

Denn vielleicht werden gerade diejenigen diesen Abstieg verdammen, denen du helfen möchtest. Solange du aufsteigst, bist du ein großer Heiliger, aber wenn du nach unten zurückkehrst, hält man dich vielleicht für einen Gefallenen – du bist von deiner Größe, von deiner Höhe gefallen.

Es gehört zweifellos der größte Mut auf Erden dazu, wieder ganz gewöhnlich zu werden, nachdem du an die Höhen des Absoluten gerührt hast. Zarathustra beweist diesen Mut. Es ist ihm egal, was die Leute sagen werden – dass man ihn verdammen wird, dass man glauben wird, er wäre von seinen Gipfeln gestürzt und sei nun kein Heiliger mehr. Ihm ist es wichtiger, seine Erfahrung mit allen zu teilen, die dafür vielleicht bereit, empfänglich und offen sind, und mögen es auch noch so Wenige sein.

Und eines Morgens stand er mit der Morgenröte auf, trat vor die Sonne hin und sprach zu ihr also: „Du großes Gestirn! Was wäre dein Glück, wenn du nicht die hättest, welchen du leuchtest!

Die Tragweite dieser Worte ist ungeheuer. Zarathustra sagt hier: Die Vögel jubeln, denn die Sonne ist aufgegangen. Der ganze Planet scheint sich zu freuen, wach und voller Energie zu sein, voller Hoffnung auf den kommenden Tag. Die Sonne ist aufgegangen …

Aber er will mit diesen Worten auch sagen, dass die Sonne ebenfalls erfreut sein muss, weil so viele Blumen aufgeblüht sind, so viele Vögel singen. Wären keine Vögel da und keine Blumen, und würde niemand auf sie warten – die Sonne wäre traurig. Was damit gemeint ist, ist klar: Wir alle hängen zusammen. Selbst der kleinste Grashalm hängt mit dem größten Stern am Himmel zusammen. Diese Zusammenhänge sind nur nicht sichtbar. Wir wissen, dass mit der Sonne, falls sie eines Tages nicht aufgehen sollte, alles Leben von diesem Planeten verschwinden würde. Ohne die Wärme und lebensspendende Energie der Sonne kann hier nichts mehr leben.

Aber die Mystiker haben seit jeher auch den Umkehrschluss betont: Würde alles Leben von der Erde verschwinden, dann würde die Sonne nicht mehr aufgehen. Für wen denn?

Zarathustra will damit Folgendes sagen: „Ich ströme über von Freude, von Frieden. Jetzt brauche ich jemanden, der es mir abnimmt. Ich bin übervoll. Ich muss es mit anderen teilen, sonst wird mir selbst das Glück zu schwer.“ Selbst das Glück kann schmerzvoll werden, wenn man es nicht mit anderen teilt.

Du großes Gestirn! Was wäre dein Glück, wenn du nicht die hättest, denen du leuchtest!

Zehn Jahre kamst du hier herauf zu meiner Höhle: du würdest deines Lichtes und dieses Weges satt geworden sein, ohne mich, meinen Adler und meine Schlange.

Zarathustra hat zwei Symbole: den Adler und die Schlange. Die Schlange steht für Weisheit, und der Adler steht für den Mut, furchtlos ins Unbekannte zu fliegen. Er hatte Adler und Schlange bei sich. Man muss so bewusst, so weise und so intelligent sein wie nur möglich; und man muss den Mut aufbringen, immer von Neuem ins Unbekannte und schließlich ins Unerkennbare vorzudringen. Der Sprung ins Unerkennbare ist der Sprung in die Göttlichkeit der Existenz.

Aber wir warteten deiner an jedem Morgen, nahmen dir deinen Überfluss ab und segneten dich dafür.

Was immer du uns gegeben hast – für dich war es Überfluss, du hattest zu viel davon, es lastete schwer auf dir, du wolltest es mit jemandem teilen. Und wir haben dir deine überflüssige Energiefülle abgenommen, und dafür haben wir dich gesegnet.

Siehe! Ich bin meiner Weisheit überdrüssig …

So wie du deines Lichtes überdrüssig bist, und es mit jemandem teilen möchtest, bin auch ich meiner Weisheit überdrüssig. Sie wird mir zu viel. Ich kann sie nicht länger bei mir halten. Ich muss jemanden finden, mit dem ich sie teilen kann. Ich muss mich entlasten.“ Was für eine ungeheure Einsicht – dass einem sogar Weisheit zur Last fallen kann … Aber Zarathustra hat absolut recht …

… wie die Biene, die des Honigs zuviel gesammelt hat, bedarf ich der Hände, die sich ausstrecken.

Ich möchte verschenken und austeilen, bis die Weisen unter den Menschen wieder einmal ihrer Torheit froh geworden sind …

So etwas kann nur einer sagen, der erkannt hat. Ein gewöhnlicher Mensch, der einfach nur viel weiß, aber dessen Wissen geborgt ist, kommt noch nicht einmal auf den Gedanken. Nietzsche sagt – durch den Mund Zarathustras:

Ich möchte verschenken und austeilen, bis die Weisen unter den Menschen wieder einmal ihrer Torheit und die Armen wieder einmal ihres Reichtums froh geworden sind.

Der wahrhaft Weise ist nicht ernst – er ist spielerisch. Denn er versteht, dass die ganze Schöpfung spielerisch ist. Die wahren Weisen mögen den Leuten ein bisschen wirr und albern vorkommen, denn die gewöhnliche Menschheit weiß ganz genau, was ein Weiser ist – dass er ernst ist, dass er nicht verspielt sein darf, dass er nicht lachen kann, dass er nicht tanzen darf. Dererlei Dinge tun nur alberne Leute. Und Zarathustra sagt: „Ich will meine Weisheit mit euch teilen, bis die Weisen unter den Menschen so weise geworden sind, dass sie sogar Dinge akzeptieren, die dem gewöhnlichen Menschen albern vorkommen.“

… und die Armen wieder einmal ihres Reichtums froh geworden sind.

Denn was den inneren Reichtum betrifft, so hat die Natur den Armen so gut damit ausgestattet wie den Reichen. Und der Reiche befasst sich zu sehr mit der äußeren Welt, um noch den Weg oder die Zeit zu finden nach innen zu gehen. Da ist der Arme glücklicher dran. Er hat nichts da außen, was ihn beschäftigt hält. Er kann die Augen schließen und nach innen gehen. Und Zarathustra sagt: „Um die Weisen so weise zu machen, dass sogar Torheit zur bloßen Spielerei wird, und um die Armen so glücklich zu machen, als hätten sie den größten Schatz gefunden …

… dazu muss ich in die Tiefe steigen: wie du des Abends tust, wenn du hinter das Meer gehst und noch der Unterwelt Licht bringst, du überreiches Gestirn!

Ich muss, gleich dir, untergehen, wie die Menschen es nennen, zu denen ich hinab will.

So segne mich denn, du ruhiges Auge, das ohne Neid auch ein allzugroßes Glück sehen kann! Segne den Becher, welcher überfließen will, dass das Wasser golden aus ihm fließe und überallhin den Abglanz deiner Wonne trage! Siehe! Dieser Becher will wieder leer werden, und Zarathustra will wieder Mensch werden.“

Dies ist einmalig an Zarathustra. Es hat Unzählige gegeben, die gern Übermenschen wären, die gern Buddhas, Jainas, Heilande, Avatare wären. Aber Zarathustra will als Einziger in der Menschheitsgeschichte nur wieder Mensch sein. Eben weil er die Gipfel kennt, die Abgründe kennt, um die letzte Einsamkeit weiß, voller Weisheit ist, will er hinabgehen und einfach nur Mensch unter Menschen sein – kein Überlegener.

Also begann Zarathustras Untergang.

Dieser „Untergang“ Zarathustras ist so einmalig und so bedeutsam, dass das Schicksal der Menschheit sich nicht eher wenden kann, als bis jeder Weise denselben Mut aufbringt. Wäre jeder Gautam Buddha und jeder Jesus von Nazareth und jeder Moses und Mohammed zur Menschheit zurückgekommen, einfach als Mensch, dann hätten sie der Menschheit zu Würde verholfen, hätten sie der Menschheit enormen Mut eingeflößt, wären sie Quellen großer Inspiration geworden. Aber dafür sind sie viel zu erhaben – der Abstand ist so riesig, dass er nur entmutigen kann. Nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Jünger haben alles daran gesetzt, die Kluft immer noch zu vertiefen.

So ist zum Beispiel Jesus das Kind eines jungfräulichen Mädchens! Da kann ja kein Mensch mehr mithalten; denn ihr seid Kinder „der Sünde“. Er ist der eingeborene Sohn Gottes, und wer seid ihr? Noch nicht einmal seine Vettern! Und warum ist Gott so kleinlich, dass er nur einen einzigen Sohn gezeugt hat? Trat er für Geburtenkontrolle ein? Wo doch alle Christen dagegen sind! Trotzdem, eine Tochter hätte wenigstens noch drin sein müssen; aber nur, um die Gesamtheit der Frauen zu demütigen, darf Gott keine Tochter haben. Eine Frau hat er auch nicht. Dafür aber einen Sohn. Sein Sohn geht auf dem Wasser – ihr könnt das nicht. Er holt Tote ins Leben zurück – ihr könnt das nicht. Er wird gekreuzigt – kommt aber wieder zurück – und steht von den Toten auf. So etwas kriegt ihr nicht hin. Natürlich ist da die Kluft zu groß. Du bist ein bloßer Mensch. Er ist ein Gott. Allenfalls kannst du ihn anbeten …

Er ist für euch eine Demütigung. Er ist eine einzige Beleidigung für die ganze Menschheit. Und all seine Wunder sind Märchen. Niemand hat je diese Wunder vollbracht, aber was haben sich seine Anhänger nicht alles einfallen lassen, um die Kluft zwischen euch und Jesus zu vertiefen!

Mohammed stirbt zwar – aber nicht wie ein gewöhnlicher Sterblicher. Genauer gesagt, er stirbt nicht so, wie Menschen sterben – er springt lebendigen Leibes in den Himmel. Und nicht nur er, sondern weil er auf einem Pferd sitzt, natürlich sein Pferd gleich mit. Auch das Pferd kommt sofort ins Paradies. Es ist kein gewöhnliches Pferd, sondern Hasrat Mohammeds Pferd. Ihr würdet euch im Traum nicht zur gleichen Kategorie zählen.

Mahavira schwitzt nie. Zweiundvierzig Jahre lang zog er nackt durch die indische Sommerhitze, noch dazu von Bihar, auf den staubigen Straßen, – aber er hat nie geschwitzt! Das geht nur, wenn der Körper nicht mit Haut, sondern mit Plastik überzogen ist. Denn unser Körper ist mit Haut bedeckt, und die Haut atmet, und Schwitzen ist ein absolut notwendiger lebenswichtiger Prozess, weil man sonst stirbt. Der Schweiß ist ein Schutz. Wenn es zu heiß ist, tritt durch die Poren Wasser aus dem Körper, damit die Hitze sich besser damit befasst euren Schweiß zu verdunsten als eure Temperatur zu erhöhen. Auf diese Weise bleibt eure Temperatur gleich.

Würde der Körper nicht schwitzen, dann würde eure Temperatur immer höher steigen. Und euer Lebensspielraum ist nicht sehr groß – zwischen 35 und 44 Grad. Ganze neun Grade! Ein Grad mehr und Mahavira kratzt ab. Er kann nicht weiterleben. Aber um ihn hochzujubeln … Er nimmt auch kein Bad – wozu auch? Wenn er nicht schwitzt, braucht er auch nicht zu duschen. Oder: Er wird von einer Schlange gebissen, und statt Blut fließt Milch! …