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Als Ancellas Vater stirbt ist sie erschöpft von Monaten aufopfernder Fürsorge am Krankenbett. Der Familienarzt empfiehlt ihr Sonne und Meer, und vermittelt ihr eine Stelle als Krankenschwester einer in die Jahre gekommenen russischen Prinzessin – in Monte Carlo. Umgeben von Glückspiel, Luxus und Intrigen trifft Ancella auf den attraktiven Prinzen Viadimer, den Sohn der Prinzessin, in den sie sich sofort verliebt. Doch er scheint den Avancen der verführerischen Marquise von Chiswick nicht abgeneigt zu sein. Wird sie sein Herz für sich gewinnen können?
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Seitenzahl: 200
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Barbara Cartland
Barbara Cartland E-Books Ltd.
Vorliegende Ausgabe ©2017
Copyright Cartland Promotions 1985
Gestaltung M-Y Books
„Es tut mir unendlich leid, daß Ihr Vater so plötzlich von uns gehen mußte“, sagte Sir Felix Johnson, dessen beruhigende und einfühlsame Art am Krankenbett viel dazu beigetragen hatte, ihn zu einem beliebten und gesuchten Arzt zu machen.
„Es war besser so“, erwiderte Lady Ancella Winn. „Ich hätte es nicht ertragen können, wenn Papa noch lange hätte so leiden müssen wie in den vergangenen Monaten.“
„Er war ein sehr schwieriger Patient“, stellte Sir Felix fest. „Ein Glück für ihn, daß er die liebevollste und aufopferndste Tochter besaß, die mir in meiner ganzen Laufbahn begegnet ist.“
„Vielen Dank, Sir Felix!“ Ancella lächelte leicht.
„Was mich vor allem bekümmert, ist, daß sein Tod ein furchtbarer Schock für Sie gewesen sein muß“, sagte Sir Felix.
„Oh, nein“, entgegnete sie, „ich habe nichts anderes erwartet.“
Sir Felix blickte ein wenig überrascht drein. Um die Gesundheit des Grafen von Medwin hatte es zwar schon geraume Zeit nicht zum Besten gestanden, sein Leiden war jedoch von der Art, das sich gewöhnlich ins Unendliche hinzog.
Da er so offensichtlich auf eine nähere Erklärung wartete, fuhr Ancella leicht errötend fort: „Ich kann bestimmte Dinge manchmal im Voraus erkennen, zum Beispiel wußte ich bereits vor Mamas Tod, daß es keine Hoffnung für sie gab.“
„Wollen Sie damit andeuten, daß Sie das Zweite Gesicht haben?“
„Wenn Sie es so nennen wollen. Es ist einfach so, daß ich schon als Kind gewisse Tatsachen vorausgeahnt habe, die sich dann später unerklärlicherweise bestätigten.“
„Höchst interessant“, murmelte Sir Felix, „haben Sie denn auch eine Ahnung, was Sie jetzt tun sollen?“
Ancella reagierte mit einer kleinen, hilflosen Handbewegung.
„Offen gestanden nein“, mußte sie zugeben.
„Eben das bereitet mir große Sorgen“, sagte er.
Sir Felix war dem verstorbenen Grafen während der letzten zwanzig Jahre nicht nur als Arzt, sondern auch als Freund zur Seite gestanden und hatte dessen einzige Tochter, Lady Ancella Winn, tief ins Herz geschlossen. Sein forschender Blick folgte ihr, wie sie durch den Raum ging und ans Fenster trat, um in den ungepflegten Garten hinauszusehen, der an diesem trüben Januarmorgen keinen einladenden Eindruck machte.
Obwohl sie blaß und geradezu erschreckend durchsichtig wirkte, besaß sie einen ungewöhnlichen Liebreiz, der seinen Eindruck auf Sir Felix nicht verfehlte.
Als sie die großen, grauen Augen auf ihn richtete, fragte er: „Sollten Sie sich nicht darüber klarwerden, was Sie tun wollen, bevor der zukünftige Erbe des Titels und Ihre anderen Verwandten eintreffen?“
„Soviel ich weiß, will Cousin Alfred auf keinen Fall hier leben“, entgegnete sie. „Er hat nicht die Absicht, Geld für Reparaturen in ein Haus zu stecken, das ihm verhaßt ist. Wenn Papa nicht gestorben wäre, hätte er sich hier sowieso nicht mehr lange halten können.“
„Dessen bin ich mir wohl bewußt“, erklärte Sir Felix, „zudem kann keine Rede davon sein, daß Sie allein mit Ihrem Vetter hier leben.“
„Selbstverständlich nicht“, stimmte Ancella zu. „Im Übrigen will ich das auch gar nicht. Ich konnte Cousin Alfred noch nie leiden, Papa war er sogar aus tiefster Seele verhaßt.“
„Das ist mir bekannt“, warf Sir Felix ein, „aber welche Alternative bleibt Ihnen dann?“
„Tante Emily oder Tante Edith“, erwiderte Ancella „Oh Sir Felix, ich glaube nicht, daß ich auch nur eine der beiden auf die Dauer ertragen könnte“, brach es aus ihr heraus.
Der Arzt konnte sie nur zu gut verstehen, wenn er an die säuerlichen alten Jungfern dachte, die nie versäumt hatten, ihrer Mißbilligung über die Unabhängigkeit, deren sich Ancella nach dem Tode ihrer Mutter erfreute, Ausdruck zu geben.
Ihr Vater hatte ihr keine Beschränkungen auferlegt, solange sie ihm das Haus führte und ein williges Ohr lieh, wenn er sich in endlosen Tiraden über seinen Geldmangel und seine ständigen Streitereien mit der Familie erging.
Als er krank wurde, lehnte er eine Krankenschwester ab, die sie sich auch nicht hatten leisten können, und verließ sich in jeder Beziehung auf Ancella, die von früh bis spät auf den Beinen war, um seine Wünsche zu erfüllen. Obwohl sie regelmäßig auch nachts geweckt wurde, beklagte sie sich nie. Sir Felix hatte sich oft gefragt, ob irgendein anderes Mädchen ihres Alters sich so bereitwillig in ihr Schicksal gefügt hätte. Wenn er sich ihre Verwandten ins Gedächtnis rief, wußte er, daß sie ihr das Leben zur Hölle machen wurden. Sie waren so engstirnig und puritanisch in ihren Ansichten, daß der Graf sie sicher nicht zu Unrecht als eine Bande psalmensingender Heuchler bezeichnet hatte.
„Wenn ich doch nur irgendwelche Talente hatte“, sagte Ancella seufzend. „Ich kann reiten, nähen, tanzen und spreche mehrere Sprachen. Nichts davon scheint mir in meiner gegenwärtigen Lage von Nutzen zu sein.“
„Sie sprechen also Französisch?“ fragte Sir Felix.
„Wie eine Pariserin, wenn ich meiner alten Lehrerin Glauben schenken darf.“
„Das bringt mich auf einen Gedanken“, sagte er. „Sie mögen meinen Vorschlag als impertinent oder lächerlich empfinden, er konnte aber eine Lösung Ihres Problems bedeuten.“
Ancella legte ihm die Hand auf den Arm.
„Ich weiß, daß Sie nur mein Bestes im Auge haben“, versicherte sie. „Was hätten wir nur während der vergangenen Monate ohne Sie angefangen, als Papa immer schwieriger wurde.“ Sie seufzte tief, bevor sie fortfuhr: „Sie waren der einzige Mensch, dem er vertraute. Ich habe mir oft gedacht, daß wir Ihre Freundschaft weidlich ausgenutzt haben, wenn wir Sie ständig herbeiriefen, obwohl Sie in London ein vielbeschäftigter Mann sind.“
Sir Felix umschloß ihre zarten Finger mit seiner kräftigen Hand.
„Bitte glauben Sie mir, daß ich es gern getan habe“, beruhigte er sie.
„Und was mehr ist“, sagte Ancella, „Sie haben uns nie eine Rechnung geschickt.“
„Das beabsichtige ich auch fernerhin nicht zu tun“, erklärte er. „Als ich noch ein junger und aufstrebender Arzt war, hat mich Ihr Vater mit seiner Freundschaft gewürdigt, und nichts hätte mir zu jener Zeit mehr Auftrieb verleihen können. Was ich getan habe, geschah also nur, um meine Schuld abzutragen.“
Zum ersten Mal wurden Ancellas Augen feucht.
„Vielen Dank, Sir Felix“, sagte sie. „Das Wissen, daß es Sie gab und daß ich mich auf Sie verlassen konnte, hat mir sehr viel bedeutet.“
„Ich möchte mir die Freiheit nehmen, sowohl als Freund wie auch als Arzt mit Ihnen zu sprechen“, begann er. „Vielleicht sollten wir es uns zuerst aber ein wenig bequem machen.“
Ancella setzte sich aufrecht in einen Sessel, die Hände im Schoß gefaltet, wie ein Kind, das aufmerksam seinem Lehrer zuhörte.
Sir Felix nahm ihr gegenüber Platz.
In seinem dunklen Überrock und der elegant geschlungenen hohen Krawatte mit einer großen Perle darin war er eine höchst eindrucksvolle Persönlichkeit, wie vom Leibarzt der königlichen Familie nicht anders zu erwarten, der in der eleganten Welt sehr gefragt war.
Ancella war sich wohl bewußt, daß es vermutlich unter seinen vornehmen Patienten, die gewohnt waren, ihn jederzeit erreichen zu können, einiges Chaos verursacht hatte, daß er innerhalb von Minuten London verlassen hatte, als ihn die Nachricht erreichte, daß der Graf von Medwin gestorben war. Sie wußte andererseits, daß er sie nicht im Stich lassen würde und tatsächlich war er in Medwin Park, das in der Nähe von Windsor lag, in Rekordzeit eingetroffen.
„Was wollten Sie mir vorschlagen?“ fragte Ancella.
Ihre Worte gingen beinahe in einem Hustenanfall unter, der ihr die Röte ins Gesicht trieb.
Sir Felix ließ sie nicht aus den Augen.
„Dieser Husten gefällt mir gar nicht“, sagte er besorgt. „Er ist mir schon bei meinem letzten Besuch aufgefallen. Der lange und anstrengende Winter ist nicht spurlos an Ihnen vorübergegangen.“
„Und was soll ich dagegen tun?“
„Sie sollten ihn im südlichen Frankreich auskurieren.“
Ancella lachte.
„Anscheinend verwechseln Sie mich mit Ihren vornehmen Damen, denen Sie eine Seereise, Austern, Champagner oder einen Aufenthalt im Süden verordnen, wo sie weiter nichts tun, als den Duft von Mimosen einzuatmen oder die blühenden Bougainvilleas bewundern.“
„Sie haben es erraten“, erwiderte er, „mit einer Ausnahme allerdings. Sie hätten etwas zu tun.“
Als Ancella ihn mit großen Augen anblickte, fuhr er fort: „Ich habe heute einen Brief von einem Kollegen erhalten, der einer der prominentesten Ärzte in Monte Carlo ist. Am Ende eines Berichtes über einen Patienten, den ich ihm geschickt habe, steht etwas, was für Sie von Interesse sein dürfte.“
Er holte ein gefaltetes Blatt aus der Brieftasche und begann vorzulesen.
„Ich nehme nicht an, daß Sie zufällig eine Krankenschwester kennen, möglichst eine aus gutem Hause, die in die Dienste der Prinzessin Feodora Vesolovski treten könnte. Ihre Hoheit ist zwar so kräftig wie ein Pferd, hat es sich aber in den Kopf gesetzt, eine Pflegerin zu benötigen. Ich kann hier beim besten Willen keine qualifizierte Krankenschwester entbehren, und offen gestanden braucht die Prinzessin auch nichts dergleichen. Sie folgt lediglich der gegenwärtig hier herrschenden Mode, sich als Invalide auszugeben. Geld spielt in diesem besonderen Fall keine Rolle. Wenn Sie also jemand wissen sollten, lieber Sir Felix, wäre ich Ihnen sehr verbunden. Die reichen Damen hier, zu denen auch die Prinzessin gehört, lassen mir mit ihren ständigen und oft sehr unnötigen Rufen kaum noch einen Augenblick Zeit, um zu mir selbst zu finden.“
Sir Felix faltete den Brief zusammen.
„Nun, Ancella, wie klingt das in Ihren Ohren?“ fragte er.
„Aber ich bin doch keine ausgebildete Krankenschwester“, wandte sie ein.
„Meinem Kollegen zufolge scheint das nicht notwendig zu sein; ich nehme eher an, daß Sie als eine Art Gesellschafterin fungieren würden. Könnten Sie es über sich bringen, wieder einen älteren Menschen zu umsorgen, diesmal eine eingebildete Kranke?“
„Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll“, erwiderte sie ein wenig hilflos.
„Dabei denke ich weniger an das Geld, das laut Dr. Groves keine Rolle spielt, obwohl ich nach Kenntnis der finanziellen Verhältnisse Ihres Vaters sicher bin, daß es höchst willkommen wäre“, sagte Sir Felix. „Mir geht es hauptsächlich um Ihre Gesundheit.“
Ancella blickte ihn erschrocken an, als er fortfuhr: „Hinter Ihnen liegt ein Jahr äußerster Anspannung und härterer Arbeit, als jede Krankenschwester auf sich genommen hätte. Sie haben an Gewicht verloren, und ehrlich gesagt, gefällt mir Ihr Husten gar nicht, obwohl ich glaube, daß ein paar Wochen im sonnigen Süden genügen, ihn auszukurieren.“
Er machte eine Pause, bevor er weitersprach. „Dazu kommt, daß Sie in einem wohlhabenden Haushalt vernünftigere Nahrung zu sich nehmen würden. Ich habe da so eine Ahnung, als ob alles Nahrhafte in diesem Hause sofort im Krankenzimmer Ihres Vaters gelandet ist.“
„Sie wissen sehr wohl, daß wir keine Mittel für irgendwelche Extravaganzen hatten“, erwiderte Ancella.
„Damit verstärken Sie nur meine Vermutung. Fassen Sie Mut, Ancella, und wagen Sie das Experiment. Wenn sich diese Stellung als unerträglich erweisen sollte, bleibt es Ihnen unbenommen, wieder nach Hause zu kommen.“
„Das ist wahr“, murmelte sie, „aber ausgerechnet Monte Carlo.“
„Was finden Sie an diesem Ort so erschreckend?“ fragte er. „Ich habe meinen dortigen Aufenthalt im vergangenen Jahr sehr genossen.“
„Meine Tanten haben mir Monte Carlo immer als eine Art Sodom und Gomorrha geschildert“, entgegnete Ancella. „Papa hat als junger Mann einen großen Teil seines Vermögens verspielt, was sie nie vergessen haben. Sie reden davon, als ob es gestern geschehen wäre. Sie sollten die beiden mal hören, wenn sie gegen die Todsünde des Glücksspiels wettern.“
„Mir schwebt keineswegs vor, daß Sie Ihr hart verdientes Geld - und ich zweifle nicht daran, daß Sie es sich hart verdienen müssen - am Spieltisch verschleudern sollen“, erklärte Sir Felix lachend. „Sie sollen lediglich so viel Sonne wie möglich auftanken, gut essen und sich pflegen. Wenn Sie dann wieder so aussehen, wie vor einem Jahr, können Sie zurückkommen und wir versuchen, einen passenden Ehemann für Sie zu finden.“
„Aber, Sir Felix!“ Obwohl Ancella wußte, daß er nur einen Scherz gemacht hatte, konnte sie nicht verhindern, daß sie errötete. „Das klingt ja, als ob ich darauf brennen wurde, zu heiraten.“
„Bisher fehlte Ihnen ja wohl jede Gelegenheit dazu“, bemerkte Sir Felix trocken. „Wann haben Sie denn zum letzten Mal eine Gesellschaft besucht oder gar einen Walzer getanzt?“
„Diese Frage können Sie sich selbst beantworten“, erwiderte sie.
„Allerdings, und das tut mir von Herzen leid. Sie sind viel zu hübsch, um sich in der Einsamkeit zu vergraben. Erst dieser Tage habe ich gedacht, wie sehr Sie doch Ihrer Mutter gleichen.“
Ancella stieß einen tiefen Seufzer aus.
„Mama war sehr schön“, sagte sie. „Wenn sie die Sonne hätte genießen können, anstatt unter der Kälte zu leiden, wäre ihr vielleicht ein längeres Leben beschieden gewesen.“
„Und das darf sich nicht wiederholen“, erklärte Sir Felix bestimmt. „Mit Ihrer Erlaubnis werde ich daher Dr. Groves schreiben, daß ich die ideale Pflegerin für seine Prinzessin gefunden habe.“
„Dem Namen nach durfte sie Russin sein!“
„Im Süden Frankreichs wimmelt es von Russen, gutaussehenden Großfürsten, die Tausende von Franc ohne mit der Wimper zu zucken am grünen Spieltisch verlieren und riesige Villen besitzen, in denen sie reizende Damen oder auch nicht Damen hofieren“, bemerkte Sir Felix augenzwinkernd.
„Ich werde mich unter diesen Paradiesvögeln wie ein unscheinbarer grauer Spatz ausnehmen“, meinte Ancella, setzte aber schnell hinzu: „Aber das macht nichts, da ich nur Zuschauerin dieses Treibens sein werde.“
„Sie sehen ganz bezaubernd aus, was immer Sie anziehen.“
„Aus Ihnen spricht der typische Mann, der glaubt, daß Kleider für eine Frau ohne Bedeutung sind“, spottete sie. „Jedenfalls denke ich, daß ich als Krankenschwester unauffällig genug wirke, damit niemand von mir Notiz nimmt.“
Sir Felix hielt das im Stillen für unwahrscheinlich, hütete sich aber, seinen Gedanken Ausdruck zu verleihen, um Ancella nicht zu beunruhigen. Stattdessen erhob er sich.
„Ich muß leider wieder nach London“, erklärte er. „Da Sie Ihre nächsten Verwandten telegrafisch vom Ableben Ihres Vaters verständigt haben, dürfte der eine oder andere bereits heute Nachmittag hier eintreffen. Der hiesige Arzt hat von mir Instruktionen erhalten, sich um alle Arrangements für die Beerdigung zu kümmern, ohne Sie damit mehr als notwendig zu belästigen.“
Ancella stand ebenfalls auf.
„Nochmals vielen Dank für alles, was Sie für Papa getan haben“, sagte sie. „Und da ich weiß, daß Sie nur mein Bestes im Auge haben, werde ich Ihrem Rat folgen. Zumindest bedeutet diese Reise eine kleine Abwechslung nach dem täglichen Einerlei.“
„Falls Sie die Lage dort unerträglich finden, genügt eine Nachricht. Ich schicke Ihnen das Geld für die Rückreise, beziehungsweise hole Sie selber ab.“ Lächelnd setzte er hinzu: „Das würde mir wenigstens einen ausgezeichneten Vorwand liefern, der Riviera einen neuerlichen Besuch abzustatten.“
Drei Wochen später saß Ancella im Mittelmeerexpress, der sie weg vom kalten und schneidenden Wind des Nordens in das milde Klima der Côte d’Azur bringen sollte. Sie konnte es immer noch kaum glauben, daß es ihr tatsächlich gelungen war, sich gegen die Überredungskünste ihrer Tanten zu behaupten, die sie unbedingt zum Bleiben hatten bereden wollen.
Natürlich hatte sie sie über ihre Pläne im Unklaren gelassen, weil das unüberwindliche Schwierigkeiten nach sich gezogen hatte. Stattdessen gab sie vor, der Einladung von alten Freunden zu folgen, die in Südfrankreich lebten. Trotzdem hatte man auf jede erdenkliche Weise versucht, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Angeblich schickte es sich nicht, während der Trauerzeit zu verreisen. Die Tanten hielten es zudem für völlig unpassend, daß ein junges Mädchen allein unterwegs war. Sie hielten die Begleitung einer Anstandsdame für unerläßlich. Sie meinten damit natürlich sich selber.
Die sich ständig im Kreise drehenden Argumente hatten Ancella nur noch in ihrem Entschluß bestärkt, so schnell wie möglich in den Süden zu fahren. Sie war mit Sir Felix übereingekommen, nicht unter ihrem wirklichen Namen aufzutreten. Die Familie Winn war sehr groß, und wenn auch der Graf von Medwin in den letzten Jahren zu krank gewesen war, sich in Gesellschaft zu bewegen, so mochte sie dort doch dem einen oder anderen entfernten Vetter oder Bekannten begegnen, in dem Ancella Winn gewisse Erinnerungen wachrufen wurde.
„Ich werde mich einfach Winton nennen“, teilte sie Sir Felix mit. „In einem solchen Fall ist es sicher am besten, sich eines Namens zu bedienen, der dem eigenen ähnlich ist. Ich würde sonst nie daran denken, darauf zu reagieren.“
Sir Felix hatte Dr. Groves darüber informiert, daß eine Miss Ancella Winton bereit sei, den Posten bei der Prinzessin Feodora Vesolovski anzunehmen. Sie würde am 7. Februar in Beaulieu eintreffen.
Die Mitteilung, daß ihre Freunde in der Nähe von Beaulieu lebten, hatte bei den Tanten einen wahren Entrüstungssturm verursacht.
„Aber das liegt ja dicht bei Monte Carlo“, ereiferte sich Tante Emily. „Ich will doch nicht hoffen, daß du auch nur im Entferntesten mit dem Gedanken spielst, einen Fuß in diesen Sündenpfuhl zu setzen.“
„So schlimm wird es schon nicht sein“, versuchte ihre Nichte sie zu beruhigen.
„Unser hochverehrter Bischof hat schon verschiedentlich Briefe an die Times gerichtet, um gegen die Sünde des Glücksspiels zu protestieren“, entgegnete Tante Emily. „Er hat dann auf das Elend hingewiesen, das über die Menschen hereinbricht, die sich diesem Laster hingeben.“
Ancella unterdrückte nur mühsam ein Lachen.
„Du hast wohl vergessen, daß Papa mich mittellos zurückgelassen hat und daß ich nur hundert Pfund im Jahr besitze, die noch von meiner Großmutter stammen. Ich glaube nicht, daß diese bescheidene Summe genügt, um dem Glücksspiel zu huldigen.“
„Du darfst diesen Ort nicht betreten. Hast du mich verstanden?“
„Jawohl, Tante Emily“, erklärte sie gehorsam.
„Und falls dich jemand zu einem Besuch auffordert, ist es deine Pflicht, dich zu weigern. Wenn der verehrte Bischof erfahren sollte, daß meine Nichte in Monte Carlo gesehen wurde, müßte ich vor Scham in den Boden sinken.“
„Ich werde versuchen, dir dieses Schicksal zu ersparen.“
„Das will ich hoffen“, erwiderte Tante Emily in scharfem Ton.
Ancella war sicher, daß sie es Sir Felix’ Einfluß zu verdanken hatte, daß sie erster Klasse reisen durfte. Voller Freude hatte sie die Nachricht aufgenommen, daß die Prinzessin ein Gehalt bezahlen wollte, das umgerechnet etwa 50 englischen Pfund im Jahr entsprach.
„Aber das ist ja ein kleines Vermögen“, rief sie überglücklich, als Sir Felix ihr das mitteilte.
„Dieser Meinung werden Sie nicht mehr sein, wenn Sie mit eigenen Augen feststellen, daß Monte Carlo zu den teuersten Orten Europas gehört“, entgegnete er. „Hüten Sie sich aber davor, Ihr eigenes Geld auszugeben. Sie dürfen voraussetzen, daß man für Sie bezahlt.“
„Ich sehe schon, daß es nicht leicht werden dürfte, sich wie eine unterwürfige Dienerin zu benehmen.“
„Allerdings, da Sie jedoch eine Angestellte sind, können Sie auch erwarten, daß Sie für Ihre Dienste entlohnt werden. Sie dürfen nicht aus der Rolle fallen, indem Sie aus der eigenen Tasche bezahlen, obwohl das Sache Ihrer Arbeitgeber wäre.“
Sie versprach ihm, seinen Rat zu beherzigen. Da sie sich aber reich fühlte, erstand sie ein paar neue Kleider, die sie dringend benötigte. Ohne extravagant zu sein, bemühte sie sich, mit Geschmack und Sorgfalt zu wählen, wie ihre Mutter es sie gelehrt hatte. Ihre Frage, ob sie Trauerkleidung tragen sollte, hatte Sir Felix verneint.
„Da ich den Süden kenne, weiß ich, daß Schwarz dort ungeeignet ist“, gab er zu bedenken. „Es ist zu heiß und düster, und da Sie dort von so vielen fröhlichen Farben umgeben sind, würde es Ihnen schwerfallen, sich davon auszuschließen.“
Im Vertrauen auf seinen gesunden Menschenverstand kaufte sie daher weiße und pastellfarbene Kleider. Sie hatte lediglich eine schwarze, ziemlich kostspielige Abendrobe mitgenommen, die sie nach dem Tode ihrer Mutter gekauft und kaum getragen hatte. Vielleicht ergab sich jetzt die Gelegenheit dazu, sei es auch nur, wenn man sie einlud, am hochherrschaftlichen Dinner teilzunehmen. Was sie im Übrigen in ihrer neuen Stellung erwartete, darüber konnte auch Sir Felix keine Auskunft geben. Es war sowohl möglich, daß sie wie eine etwas gehobene Dienerin behandelt wurde, die ihre Mahlzeiten allein einnahm, wie auch, daß man sie ins Speisezimmer bitten würde.
Aber darüber wollte sie sich im Augenblick nicht den Kopf zerbrechen. Für sie war jetzt nur wichtig, daß sie in den sonnigen Süden fuhr. Sir Felix hatte keinen Zweifel daran gelassen, daß er sie für überarbeitet und erholungsbedürftig hielt. Mit dem Tode ihres Vaters hatte sie ihren Lebenszweck verloren. Müdigkeit und Erschöpfung, denen sie nicht nachgegeben hatte, solange er ihre Fürsorge brauchte, schlugen jetzt förmlich über ihr zusammen. Sie hatte nur noch den einen Wunsch, sich auszuruhen. Erst wenn sie neue Kräfte gesammelt hatte, wollte sie sich mit Plänen für ihre Zukunft befassen, zumal sie kaum annehmen konnte, daß ihre neue Stellung für die Ewigkeit gedacht war.
Das gleichmäßige Rollen der Räder schläferte sie ein, so daß sie mit einem Ruck erwachte, weil der Zug in einen Bahnhof eingefahren war und eine laute Stimme rief: „St. Raphael! St. Raphael!“
Ancella sprang auf und zog das Fenster herunter. Eine Sekunde lang schloß sie von der Sonne geblendet die Augen, doch als sie sich an das Licht gewöhnt hatte, bot sich ihren entzückten Blicken ein herrliches Panorama. Das blaue Meer und der durchsichtige Himmel darüber waren noch in den leichten Dunst des frühen Morgens gehüllt. Sie hatte das Gefühl, im Paradies gelandet zu sein.
In dieser kleinen Hafenstadt am Fuße der Berge war Napoleon nach seiner Rückkehr aus Ägypten im Jahre 1799 gelandet; hier hatte er fünfzehn Jahre später das Schiff bestiegen, das ihn nach Elba, der Insel seiner Verbannung, brachte.
Ich bin auf historischem Boden, schoß ihr durch den Kopf. Eine neue Welt bot sich ihr dar. Gelbe Mimosenbaume standen in voller Blüte, grüne Ranken klommen an den weißen Mauern in die Höhe. Bunte Blumen füllten die Kästen vor den Fenstern und lugten aus dem Gras auf den Hügeln. Die meisten Hauser hatten leuchtend rote Dächer. Zwischen den Bäumen hindurch schimmerten weiße Villen, die einige Ähnlichkeit mit überdimensionalem Zucker Gebäck hatten.
Die ganze Schönheit nahm Ancella förmlich den Atem. Und als die warme und weiche Luft, die durch das Abteilfenster hereinwehte, ihre Wangen streichelte, kannte ihr Entzücken keine Grenzen.
Der Zug rollte jetzt direkt an der Küste entlang und machte an Orten Station, von denen jeder einen berühmten Namen trug, Cannes, Antibes und Nizza, das für seinen Blumenmarkt bekannt war. Von hier aus hatte Napoleon jede Woche Nelken und Lilien, Veilchen und Rosen nach Paris schicken lassen.
„Nächster Halt Beaulieu!“ hörte Ancella. Sie machte sich hastig daran, ihre Habseligkeiten zusammenzusuchen. Durch einen schnellen Blick in den Spiegel vergewisserte sie sich, ob sie auch ihrer Rolle gemäß ordentlich genug aussah, wenn sie den Zug verließ.
Da sie sich kein kostspieliges Reisekostüm hatte leisten können, trug sie ein violettes Wollkleid, das ihre schlanke Figur betonte und recht elegant wirkte. In einer Schachtel führte sie einige Strohhüte mit sich, die sie zu einem erschwinglichen Preis erstanden und selbst ein bißchen aufgeputzt hatte. Für die Reise hatte sie ein kleines Hütchen gewählt, dessen Parmaveilchenschmuck tonmäßig zu ihren Kleid paßte.
Als ihr Reiseziel endgültig festgestanden hatte, hatte sie alle möglichen Magazine durchstöbert, die ihr Vater gesammelt hatte. Darin hatte sie nicht nur die Bilder berühmter Leute gefunden, die den Süden Frankreichs frequentierten, sondern auch Beschreibungen ihrer Villen. Dabei war sie auch auf einen Artikel über das Hotel de Paris in Monte Carlo gestoßen, das voller Stolz den Kaiser und die Kaiserin von Österreich, die Zarin von Rußland, die Könige von Schweden und Belgien sowie die Königin von Portugal zu seinen Gästen zählte.
Obwohl sie nicht annahm, diese Leute persönlich kennenzulernen, freute sie sich schon allein auf die Aussicht, sie aus der Ferne bewundern zu dürfen, vor allem die Kaiserin von Österreich, die man zu den schönsten Frauen der Welt rechnete.
„Beaulieu!“ schrie der Stationsvorsteher, als der Zug in den Bahnhof einfuhr.
Ancella stand am Fenster, um nach einem Träger Ausschau zu halten. Auf ihr Zeichen hin nahm ein älterer Mann vor ihrem Abteil Aufstellung und wartete, bis der Schaffner ihm Ancellas Gepäck herunterreichte.
Vor ihrer Abreise hatte sie sich bei Sir Felix danach erkundigt, welche Trinkgelder üblich waren und in Calais dementsprechend Geld umgetauscht. Daß sie dem Mann ein wenig mehr gab, als er erwarten durfte, quittierte er mit einem strahlenden „Merci beaucoup, Mademoiselle“.
Sie hatte kaum den Bahnsteig betreten, als ein Diener in eleganter Livree auf sie zutrat und sich verbeugte.
„Mademoiselle Winton?“ erkundigte er sich.
„Oui“, erwiderte sie.
„Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Mademoiselle. Ihre Hoheit hat Ihnen einen Wagen geschickt. Er wartet draußen.“