Verliebt noch mal - Kristina Günak - E-Book
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Verliebt noch mal E-Book

Kristina Günak

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Beschreibung

Physiotherapeutin Thea traut ihren Ohren nicht, als der Vermieter ihrer Hausgemeinschaft die fristlose Kündigung ausspricht. Dabei läuft doch gerade alles so gut: Sie hat eine erfolgreiche Praxis und ihre skurrilen, aber liebenswerten Mitbewohner so ins Herz geschlossen, dass sie eigentlich nie wieder umziehen wollte. Außerdem lässt Schröder, der gut aussehende neue Nachbar, Theas Herz bei jeder Begegnung höher schlagen - und das, obwohl sie sich eigentlich eine bisher sehr erfolgreiche Männerpause verordnet hatte! Ein gemeinsames neues Zuhause für alle zu finden scheint aussichtslos, doch zum Glück kommt bei Thea meistens alles anders als gedacht...

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Seitenzahl: 336

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Kristina Günak bei LYX

Impressum

KRISTINA GÜNAK

Verliebt noch mal

Roman

Zu diesem Buch

Physiotherapeutin Thea hat den Männern erfolgreich abgeschworen: Sie ist glücklich mit ihrer Schildkröte Bernd und ihrer eigenen Praxis in einem hübschen Fachwerkhaus in der Altstadt von Hameln. Das Häuschen teilt sie sich mit drei Nachbarn, die zwar sehr skurril, aber dabei so liebenswert sind, dass Thea sich nicht vorstellen kann, jemals wieder auszuziehen. Wenn das Leben ihr über den Kopf wächst – und das tut es ab und zu –, hilft schließlich nichts besser als eine Prise Gelassenheit von Sachbuchautorin Margarete und ein Beruhigungstee bei Dr. Grosser. Ohne ihre Nachbarn wäre Theas Leben noch eine ganze Spur chaotischer. Neuester im Bunde ist seit Kurzem der gut aussehende IT-Spezialist Schröder, der Theas Herz bei jeder Begegnung höher schlagen lässt – schlecht für Thea, schließlich will sie doch von der Liebe gar nichts mehr wissen! Als dann aber der Vermieter völlig überraschend vor der Tür steht, der kleinen Wohngemeinschaft fristlos kündigt und die vier Nachbarn von einem Tag auf den anderen auf der Straße stehen, treten Theas Männerprobleme erst einmal in den Hintergrund – denkt sie!

Kapitel 1

Was machen die Männer?

Mein Nachbar Dr. Grosser ist wie ein gut konditionierter Dackel. Er scheint mich schon zu wittern, noch bevor ich die Haustür aufstoße. Denn jedes Mal, genau eine Sekunde bevor ich den Schlüssel ins Schloss meiner Praxis stecke, öffnet sich seine Tür, und er flötet mir ein »Guten Morgen, liebe Frau Fuss« entgegen.

Ich teile mir das alte Fachwerkhaus, in dem ich meine Praxis für Physiotherapie habe, mit drei weiteren Mitmietern. Einer davon ist der Psychotherapeut Dr. Grosser, dessen Praxis der meinen im Erdgeschoss gegenüberliegt. Erst kürzlich haben wir ein sehr vorteilhaftes Patienten-Sharing in Gang gesetzt oder, wie meine Freundin Elisabeth zu sagen pflegt: Wir nutzen den Synergie-Effekt. Er schickt mir seine und ich ihm meine Patienten, denn wen es im Kreuz kneift, den kneift es auch oft in der Seele und umgekehrt. Ich kümmere mich um den Rücken, er sich um die Seele.

»Möchten Sie vielleicht einen weißen Tee, frisch zubereitet?«, fragt Dr. Grosser mich höflich, lässig an den Rahmen seiner Eingangstür gelehnt.

»Dr. Grosser, das ist ausgesprochen nett von Ihnen, aber ich habe gleich eine Patientin«, antworte ich und schenke ihm über die Schulter hinweg ein freundliches Lächeln, während ich mit dem Schlüssel im Schloss herumfuhrwerke. Das Türschloss zeigt sich in den letzten Tagen sehr unkooperativ. Irgendetwas hakt da, und ich brauche täglich länger, um die Tür zu öffnen.

»Etwa die dicke Frau?«, ertönt es augenblicklich hinter mir, und ich drehe mich verwundert um. Mein lieber Nachbar sieht aus wie immer. Er hat das dunkle Haar raspelkurz geschnitten, und die runde Nickelbrille gibt ihm einen überaus freundlichen Touch. Dazu trägt er ein blaues Hemd und eine dunkelblaue Strickjacke. Optisch also alles okay. Nur passt die verbale Komponente so gar nicht zu diesem Bild. Die dicke Frau? Nicht dass er unrecht hätte – Frau Kosinger ist nicht nur dick, sie ist sogar sehr dick. Aber mein sonst mehr als höflicher Nachbar würde das doch niemals so ausdrücken.

Er ist doch meine Oase der wertschätzenden Konversation.

Er ist doch der, mit dem ich in formvollendeten Sätzen kommuniziere, die einen Anfang und ein Ende haben. Außerdem sagen wir so oft wie nötig »bitte« und »danke«, und beim »Sie« bleiben wir auch. Schon aus Prinzip.

Aber es ist leider so, dass Dr. Jan Grosser hin und wieder seine Tage hat. Nur verbal, versteht sich. Allerdings produziert er dann ein bis zwei Tage lang ausschließlich unhöflichen Wortmüll, womit er in diesen Phasen nur sehr bedingt gesellschaftsfähig ist.

Ich kenne auch den Auslöser dieses Präkommunikativer-Rüpel-Syndroms oder kurz PKRS: Er heißt Gaby.

Gaby ist eine blonde, hundsgemeine Frau, die meinen Lieblingsnachbarn auf bösartige Art und Weise ausnutzt, woraufhin dieser emotional leidet. So sehr, dass er in regelmäßigen Abständen dem PKRS anheimfällt. Meine vorsichtigen Versuche, ihn auf die direkte Verbindung zwischen Gaby und dem Rüpel-Syndrom hinzuweisen, sind bisher leider gescheitert.

»Wo ist Dr. Grosser?«, frage ich deswegen schneidend, übergehe die Einladung zum Tee und sehe ihn tadelnd an.

»Der hat Urlaub«, murmelt mein leidender Nachbar leise und hält sich tapfer an seiner dampfenden Teetasse fest. »Außerdem ist sie dick«, schnauft er dann fast trotzig und starrt die Wand hinter mir an.

»Sie ist etwas fülliger.« Ich habe die Stimme gesenkt, schließlich ist es bereits kurz vor neun, und Frau Kosinger ist immer pünktlich. Nicht dass sie diese sonderbare Unterhaltung über ihre Körperfülle im Treppenhaus noch mitbekommt.

»Um elf habe ich eine halbe Stunde Pause. Dann treffen wir uns in meiner Küche. Heute keinen Tee mehr für Sie!«, sage ich energisch, denn Tee scheint in diesen Phasen sehr kontraproduktiv zu sein und das Rüpel-Syndrom zu verstärken.

Dr. Grosser seufzt bleischwer und antwortet ergeben: »Ja, in Ordnung!«

Also werde ich mich um elf mit der lädierten Seele meines Nachbarn befassen, schließlich greifen wir uns in unserer kleinen Hausgemeinschaft gern helfend unter die Arme, und das schließt eine psychologische Krisenintervention mit ein.

Außerdem habe ich in der kommenden Woche wieder drei Termine bei unserem hiesigen Fußballverein, und spätestens dann muss Dr. Grosser seine alte Form wiedergefunden haben. Nach einem Besuch im Fußballstadion brauche ich nämlich dringend eine hohe Dosis an Höflichkeit und galanter Kommunikation; schließlich kommunizieren Fußballer doch mehr mittels der Füße als unter Einsatz des Hirns.

»Ey, Thea, voll krass!« und »Alte, Scheiße!« sind noch zarte Pflänzchen der männlichen Verständigung in diesen Kreisen. Mir ist schon klar, dass meinen Fußballern einfach das »Gute-Umgangsformen-Modul« fehlt, die sind ja nicht prinzipiell alle doof.

Aber doch irgendwie eher schnell als schlau, und somit benötige ich Dr. Grosser spätestens dann wieder im Vollbesitz seiner psychotherapeutischen Kräfte.

»Hallöchen!«, trompetet es im nächsten Moment durch das Treppenhaus. Frau Kosinger betritt die Bühne. Die pechschwarzen Haare mutig zu einem Turm aufgesteckt, erklimmt sie die fünf Stufen bis zur Praxis. Dabei schmiegt sich ihr bunt bedruckter Kaftan in weichen Wellen an ihre sehr füllige Figur. Schwer atmend kommt sie vor uns zum Stehen und wirft Dr. Grosser einen ehrfürchtigen Blick zu. Psychotherapeuten, die sich der Seele zuwenden, stehen bei ihr eindeutig höher im Ansehen als Physiotherapeuten, die sich ja lediglich um den Körper der Menschen kümmern.

»Guten Morgen, Dr. Grosser«, haucht sie atemlos, und mein Nachbar, dessen Umgangsformen ja gerade Urlaub haben, knurrt: »Hm. Morgen.« Dann dreht er sich schwungvoll um und schließt die Tür hinter sich.

Frau Kosinger strahlt mich an. Die Frau mag zwar übergewichtig sein, dafür ist sie mit einer Fröhlichkeit gesegnet, die selbst Erni und Bert ernsthaft Konkurrenz machen könnte.

30 Minuten befasse ich mich mit ihr und ihrem freundlichen Geplapper, das nur kurz unterbrochen wird durch grunzende Schmerzenslaute, wenn ich allzu tief mit meinen Fingerknöcheln in ihre Rückenmuskulatur vorstoße. Aber was sein muss, muss sein – da kenne ich kein Pardon.

Als sie sich schließlich ihren bunten Kaftan wieder überstreift, raunt sie mir verschwörerisch zu: »Und? Was machen die Männer?«

Diese Frage ist nicht neu. Um genau zu sein, stellt sie sie mir jede Woche konsequent wieder. Offensichtlich treibt sie irgendein tiefer Glaube an, dass die Männer und ich, ihre Physiotherapeutin, schon irgendwann einmal etwas miteinander machen werden. Bis jetzt konnte ich ihr allerdings noch keinen positiven Bescheid geben: Die Männer machen seit genau drei Jahren nichts, zumindest nicht mit mir. Also lächele ich freundlich und gebe meine mittlerweile standardisierte Antwort: »Alles beim Alten.«

Üblicherweise lächelt sie dann milde und sagt so etwas wie »Kommt noch« oder »Na, dann warten wir mal ab«.

Nicht aber heute. Heute scheint auch Frau Kosinger verbal ihre Tage zu haben. Sie raunt nämlich düster: »Es wird aber langsam Zeit, Frau Fuss. Die Uhr tickt!«

Ich bin gerade dabei, die Handtücher in die Wäschebox zu werfen, und verharre einen Moment in dieser Position. Um nämlich meinen bei diesen Worten entgleisten Gesichtsausdruck unter Kontrolle zu bekommen.

»Passt schon«, antworte ich flapsig, als ich endlich wieder eine vernünftige Mimik hinbekommen habe und mich umdrehe.

Sie sieht mich zweifelnd an. »Woran liegt es denn? Sie sind doch eine sehr attraktive Frau!« Entrüstet über die Tatsache, dass ich trotz positivem Äußeren immer noch männerlos bin, wiegt Frau Kosinger ihren Haarturm.

Ein so schweres Thema zu derart früher Stunde passt mir gar nicht, und leider merke ich im selben Moment, wie es mich kneift. Es kneift mich immer, wenn ich mich mit Themen befassen muss, die mir überhaupt nicht passen. Steuererklärungen gehören dazu, Marderbisse an meinem Auto und eben dieser Gedanke, warum ich, Thea Fuss, 27 Jahre alt, einfach keinen Kerl finde, der zu mir passt. Oder zu dem ich passe – schließlich bin ich ja seit drei Jahren ein klein wenig schwierig im Umgang mit Männern –, aber das muss ich Frau Kosinger nun wirklich nicht näher erläutern.

Es kneift also, und ich lege vorsichtig eine Hand auf die Stelle irgendwo zwischen Herz und Magen, links neben den Rippen. Dieses Kneifen zeigt mir sehr deutlich, dass ich doch keine ganz so echte Emanze bin, wie ich mir immer einbilde. Bei denen kneift es nämlich nie; die sind gern allein. Weil Männer ja Schweine sind.

»Nun?«

Huch, Frau Kosinger steht direkt vor mir und sieht mich prüfend an. Sie wartet auf eine Antwort. Von mir? Sie sollte lieber das Universum fragen. Oder das Schicksal. Ich mag ihr dafür keine Erklärung geben.

»Frau Kosinger«, sage ich also fest, »ich bin Single, weil die Auswahl so scheiße ist.«

Kapitel 2

Schokolade und Schröder

Frau Kosinger geht, Dr. Grosser kommt. Und nun habe auch ich schlechte Laune. Vermutlich verursacht durch Frau Kosingers penetrantes Herumgestochere in meinen heiligen und vor allen Dingen geheimen Wunden des Lebens.

Mein Nachbar und ich stehen in meiner Küche, nippen an unserem Espresso und schweigen vorübergehend. Offensichtlich hegen wir beide die Befürchtung, unser gutes nachbarschaftliches Verhältnis durch eine Kommunikation unter dem Einfluss von schlechter Laune und verbalem PKRS zu gefährden.

Nach dem zweiten Espresso sagt Dr. Grosser dann doch etwas. Das Koffein hat ihn mutig gemacht: »Vorhin waren Sie aber besser drauf.«

»Vorhin war vorhin. Jetzt ist jetzt«, antworte ich kryptisch und öffne schwungvoll die Schublade neben der Spüle. Hier lagere ich meine kostbaren Schokoladenprodukte der Firma Sprüngli, über die Schweizer Grenze geschmuggelt von meiner Freundin Kerstin. Normalerweise ist die Schublade gut gefüllt. Kerstin schmuggelt gern, wenn sie nicht gerade die Socken ihres Mannes bügelt oder Gerichte kocht, deren Namen ich nicht aussprechen kann und deren Zutatenliste beängstigend klingt. Jetzt aber ist die Schublade leer. Entsetzt hebe ich den Blick. Dr. Grosser wird rot, und ich kneife die Augen zusammen.

»Teure Schokolade wird nicht so schnell aufgegessen, wenn man sie in Essig einlegt«, murmelt er verlegen und blinzelt mich hinter seiner Brille an.

»Sie haben sich doch nicht etwa an meiner importierten Schokolade vergangen?«, frage ich schneidend, und er versucht sich an einem vorsichtigen Lächeln.

»’s war dringend«, beteuert er, als ich nicht zurücklächele.

»Aber Sie müssen mich doch wenigstens vorher fragen!«, antworte ich entrüstet. Niemals würden wir uns doch gegenseitig Nahrungsmittel aus der Küche klauen!

»Sie waren mit dem Rückenspeck dieser dicken Frau beschäftigt. Da wollte ich nicht stören. Offensichtlich hatten Sie gerade etwas gefunden. Es klang zumindest sehr erfolgreich, was Sie dort taten …« Seine Stimme wird leiser.

»Das ist heute ein echter Scheißtag!«, sage ich düster und knalle die Schublade mit voller Kraft wieder zu.

Zustimmend nickt Dr. Grosser, und gemeinsam schweigen wir noch einen weiteren Espresso lang. Dann verzieht er sich wieder in seine Praxis zu der bereits im Wartezimmer sitzenden Angsterkrankung und lässt mich allein mit meinem eklatanten Mangel an Schokolade, diesem Kneifen in der Herz- und Magengegend und meiner schlechten Laune.

Wenigstens eines dieser drei Probleme ließe sich durch einen schnellen Sprint eine Etage höher beheben. Unser neuer Nachbar Schröder hat immer Schokolade. Entgegen dem Grundsatz seines netten Vormieters Thoma, der vor fünf Monaten ausgezogen ist und Zucker für den Verderb dieser Welt hielt, hat Schröder offensichtlich eine echte Schwäche für alles, was aus Fett und Zucker besteht – genau wie ich.

Schröder hat auch einen Vornamen, der vermutlich nicht Schröder lautet. Leider hüllt er sich diesbezüglich in Schweigen, und so nennen wir ihn schlicht Schröder, wie es auf seinem Klingelschild steht. Schröder macht was mit Computern, womit er leider ein Nerd ist. Ein geheimnisvoller Nerd, denn niemand von uns weiß genau, was er mit den Computern tut. Und Schröder hüllt sich auch diesbezüglich durchgehend in Schweigen. Uns bleiben also nur Spekulationen.

Dr. Grosser vermutet eine schwere frühkindliche Traumatisierung, die es Schröder unmöglich macht, eine erwachsene Identität anzunehmen. Margarete, unsere liebe Sachbuchautorin, die ebenfalls im Obergeschoss residiert, glaubt, Schröder sei ein FBI-Agent, der subtil und heimlich die Souveränität der Bundesrepublik unterwandern will. Da sie aber schon häufig mit dem Finanzamt Ärger hatte, nimmt sie ihm das nicht übel.

Und ich glaube, dass Schröder ein wortkarger, oft unfreundlicher Nerd ist, der versucht, sich durch äußerliche Ansehnlichkeit zu tarnen. Schließlich möchte niemand freiwillig ein Nerd sein, geschweige denn sofort als solcher erkannt werden, und Mutter Natur hat ihm diesbezüglich hilfreich unter die Arme gegriffen. Er ist sehr groß, hat keine richtige Frisur, sondern dunkles, volles Haar, das auf seinem Kopf macht, was es will, was aber meistens unter einer klassischen Nerd-Strickmütze verborgen bleibt. Dazu hat er irritierend blaue Augen, und ich bin ganz froh, dass er nicht in mein persönliches Beuteschema passt. Was daran liegt, dass ich zurzeit keinen Mann gebrauchen kann. Ich bin also immun gegen ihn.

Aber grundsätzlich schadet gutes Aussehen bei Männern ja schon mal nicht, und Muffeligkeit hin oder her – Schröder gibt mir aus seinem auffällig großen Schokoladenlager immer etwas ab, was mich in die Lage versetzt, über seine schroffen Umgangsformen hinwegzusehen.

Ich klingele zwar an seiner Tür, drücke aber nach nur einer Sekunde des Wartens die Klinke hinunter. Schröder schließt nie ab. Er kommt mir auf dem kleinen Flur seiner Wohnung mit einer Tasse in der Hand entgegen und mustert mich einen Moment lang, während ich seinen komischen Kapuzenpulli mit den zwei kopulierenden gelben Hasen darauf anstarre. Dann fragt er knapp: »Was?«

»Ich brauche Schokolade«, setze ich ihn ebenso knapp von meiner Notsituation in Kenntnis.

»O-kaaay«, antwortet er gedehnt und dreht sich auf dem Absatz um. Ich folge ihm wortlos in sein Arbeitszimmer, wo auf zwei Schreibtischen insgesamt sechs Computerbildschirme stehen. Das allein finde ich schon sehr suspekt. Aber Schröder besitzt auch insgesamt vier Handys, die fröhlich verteilt in dem großen Raum herumliegen. Der Rest seiner Wohnung, und das muss wirklich mit Nachdruck erwähnt werden, sieht allerdings nicht nerdmäßig aus. Es gibt also keine offenen Pizzakartons, die schon allein in den Müll laufen könnten, Tonnen von sonderbaren US-Serien, Star-Treck-Poster an den Wänden und alte Socken über den Lampen. Alles wirkt recht manierlich, trotz seiner Zugehörigkeit zu dieser Randgruppe der Gesellschaft.

Kommentarlos öffnet er eine Schublade des riesigen Einbauschranks am Ende des Raumes, und ebenfalls ohne ein weiteres Wort zu verlieren schnappe ich mir eine ganze Tafel Vollmilchschokolade.

Grüßend hebe ich dann eine Hand und mache mich wieder auf den Weg in meine Praxis. Schröder und ich verstehen uns meistens wortlos. Und obwohl ich doch gute Kommunikation sehr mag, ist das in diesem Fall ein seltsam angenehmer Zustand.

Nach 100 Gramm Fett und Zucker befasse ich mich sehr inbrünstig mit Herrn Meyer und seinen Rückenschmerzen. Die Schokolade hat mir offensichtlich gutgetan, und mit jedem festen Griff, den ich meinem Patienten angedeihen lasse, geht es mir ein wenig besser. Herr Meyer sieht das allerdings anders und fleht bereits nach drei Minuten um Gnade, die ich natürlich nicht gewähren kann – schließlich will er seine Rückenschmerzen loswerden.

Manchmal mag ich meinen anpackenden Job. Würde ich nur Papier von links nach rechts bewegen, wäre ich ein echter Kandidat für eine Gewalttat in der Teeküche oder müsste in meiner Freizeit noch irgendeine brutale Sportart wie Kickboxen ausüben.

Herr Meyer geht, mit etwas sauertöpfischer Miene, und mein Telefon klingelt.

»Thea Fuss«, melde ich mich und spüre immer noch die Reste der Übellaunigkeit in mir. Ich brauche wohl dringend noch eine Bandscheibe, einen Tennisellenbogen oder einen verspannten Nacken, um mich wirklich gut zu fühlen.

»Dr. Ravensbach«, murmelt der Mensch, der mich angerufen hat, in mein Ohr. »Ich möchte jetzt einen Termin.«

Wie »jetzt«? Ich ziehe meinen Terminkalender zu mir heran und betrachte die eng beschriebenen Seiten. »Jetzt geht es leider nicht«, antworte ich und bin geneigt, diese dreiste Forderung fast witzig zu finden. Was glaubt der Mensch? Dass ich nur auf ihn warte?

»Dann morgen um halb acht.« Er murmelt immer noch und klingt, als ob es für ihn nahezu ausgeschlossen ist, dass ich keine Zeit für ihn haben könnte. Und murmeln tut er vermutlich, weil er davon ausgeht, dass ihm die Menschen intensiver zuhören, wenn er leise spricht.

Schätzungsweise mittleres Management. Die lernen das in speziellen Seminaren. Ich habe einige Patienten, die dieser sehr speziellen Spezies angehören; ich kenne mich damit also aus.

Ich gebe ein kurzes »Hm« von mir, um dem Murmler zu verstehen zu geben, dass ich sein Ansinnen begreife, und blättere noch einmal durch den Kalender. Es ist ja nicht so, dass ich nicht will; schließlich behandle ich regelmäßig Mitglieder des mittleren Managements; ich bin da recht furchtlos. Ich habe nur schlicht keinen Termin frei. »Ausgebucht« nennt sich das in Fachkreisen.

»Kein Termin frei«, sage ich deswegen trocken und blättere noch ein wenig weiter. »Nächste Woche Donnerstag um zwölf«, fahre ich fort und überschlage kurz im Kopf, ob ich es wirklich schaffe, den Murmler zwischen zwei Patienten zu schieben. Ich würde mich ganz schön krumm machen müssen, aber es könnte funktionieren.

»Bin ich in einem Meeting. Samstag?!«, antwortet er knapp und hat vor Empörung darüber, dass er keinen seiner Wunschtermine bekommt, glatt vergessen zu murmeln.

»Ist Wochenende«, antworte ich ebenso knapp. Das ist mir heilig. Basta.

Er schnaubt, anscheinend fassungslos. Offenbar lebt er in dem festen Glauben, dass die Welt ihm zu huldigen hat. Und das auch samstags. Aber da kann ich leider nicht mitmachen. »Sie arbeiten nicht am Wochenende?«, fragt er. Pure Empörung liegt in seiner Stimme.

»Nein. Ich gönne mir den Luxus von Freizeit«, antworte ich wahrheitsgemäß.

»Dann gönne ich mir jetzt den Luxus, mir jemanden zu suchen, der den Dienstleistungsgedanken etwas stärker verinnerlicht hat«, giftet er mich an und schnaubt wieder.

Ich antworte freundlich: »Machen Sie das, Herr Dr. Ravensbach!«

Seufzend lege ich auf und befasse mich nur wenige Minuten später mit einem lädierten Kniegelenk. Das Knie tut mir ganz gut, denn endlich hat das Ziehen zwischen Magen und Herz nachgelassen, und meinem Feierabend steht nur noch eine Joggingrunde um den Baggersee im Wege.

Ich betreue nämlich nicht nur Plattfüße und Rückenschmerzen auf Rezept, sondern habe mich so nebenbei auch noch auf den Kampf gegen das Bauchfett spezialisiert. »Personal Coaching« nennt sich das, und ich erstelle ausgeklügelte Fettverbrennungsprogramme, die es in sich haben. Meine Bauch-Beine-Po-Fraktion besteht heute allerdings nur aus einem Herrn, und der steht in dreißig Minuten bereit, um sich von mir um das Gelände des Freibads treiben zu lassen.

Kapitel 3

So nicht!

Ich schlüpfe in meine Laufschuhe und stürme auf den Hof unseres Fachwerkhauses. Wir gehören nämlich zu den wenigen in der malerischen Altstadt von Hameln, die über hauseigene Parkplätze verfügen. Aber damit nicht genug des Luxus, wir haben auch noch drei Garagen. Die bestehen zwar aus Wellblech und sind zu allem Übel dottergelb gestrichen, womit sie an Hässlichkeit kaum zu überbieten sind, aber sie sind sehr nützlich. Ich teile mir eine mit Dr. Grosser; wir lagern dort unsere Winterräder, Reisekoffer, saisonal bedingten Hausstand (vermutlich um die acht Millionen Weihnachtsbaumkugeln) und Dinge, die man nicht mehr braucht, aber irgendwann mal wieder brauchen könnte.

Leider steht unsere kleine Park-Oase an erster Stelle der Weltrangliste der beliebtesten unpassenden Parkplätze, vermutlich knapp vor Feuerwehreinfahrten und In-zweiter-Reihe-Parken. Mehrmals wöchentlich stellen Menschen ihren Wagen direkt in unserer Einfahrt ab, womit wir vorübergehend Gefangene unserer kleinen Oase sind.

So natürlich auch heute. Ich werfe einen kurzen Blick auf die Uhr. Es könnte knapp werden mit der Joggingrunde, deswegen tue ich, was ich in diesem Fall immer tue: Ich hupe. Lang, kurz, lang, lang, viermal kurz.

Mehmet, der Besitzer des Dönerladens neben uns, kennt das Spiel schon und biegt freudestrahlend nach einer Minute des Hupkonzerts um die Ecke. Sonst ist er schneller, aber heute musste er wohl erst noch schnell einen vegetarischen Döner (seine Spezialität) verkaufen. Er strahlt stets, weil er mein persönliches Festsitzen in der Einfahrt gern für einen kleinen Smalltalk mit mir nutzt, wobei er redet und ich nicke und hupe.

»Zugeparkt!«, beschreibt er die Situation wie immer sehr pointiert, während er sich zu mir ans offene Fahrerfenster lehnt.

»Pissarschscheißdreck!«, sage ich. Auch das, wie immer, sehr treffend.

»Mussu warten.« Er blickt angestrengt auf den Opel Corsa mit Blümchen am Heck, der dort unter unserem Torbogen steht, als würde das die Sache abkürzen. Aber die Erfahrung lehrt uns: Zwischen zwei Minuten und zwei Stunden ist alles drin.

Ich hupe weiter. Nach drei Minuten erscheint Dr. Grosser und stellt sich mit bösem Blick und verschränkten Armen vor das Corpus Delicti. 30 Sekunden später erscheint Margarete in einem hellblauen Hosenanzug und klopft Mehmet freundlich auf die Schulter, während sie mir wortlos einen Riegel Vollmilchschokolade mit Nüssen reicht. Wir sind ein eingespieltes Team.

Margarete und Mehmet beginnen eine angeregte Diskussion über die deutsche Straßenverkehrsordnung, insbesondere den ruhenden Verkehr, während Dr. Grosser sich an diversen sehr bösen Gesichtsausdrücken übt. Das muss am PKRS liegen, sonst stimmt er immer mit ein und bejammert die schlechten Sitten in Deutschland.

Dass er böse guckt, kenne ich jetzt nicht so von ihm. Aber seine Mimik ist durchaus sehenswert. Als er gerade bei »wilder Stier mit deutlichen Tötungsabsichten« (vielleicht auch: »Achtung, habe Kalaschnikow in der Tasche!«) angelangt ist, nähert sich uns eine junge Frau und schließt kommentarlos das falsch parkende Auto auf.

Dr. Grosser stürzt sich auf sie und fängt an, auf sie einzureden. Ich verstehe nur Bruchstücke, weil ich ja immer noch hupe und Margarete und Mehmet jetzt aufgeregt über den Sinn und Unsinn von Tempo 80 in Baustellen schwadronieren. Aber der auf sie einredende Psychologe interessiert die Dame – die übrigens die gleichen bizarren Blumen-Applikationen, die auch ihr Autoheck zieren, auf den Jeansbeinen trägt – nicht wirklich, und kurze Zeit später ist die Einfahrt frei.

»Wir sollten ein neues und noch größeres Schild anfertigen!« Dr. Grosser ist sehr ungehalten. »Unhöflich ist das …«, knurrt er, wünscht mir aber noch einen schönen Tag und verschwindet dann wieder im Haus.

Wir haben schon ein Schild, auf dem steht: »Parken verboten! Einfahrt!« Was die Leute aber offensichtlich interpretieren als: »Parken ist hier zwar verboten, aber wenn Sie nur kurz, also zwischen zehn und zwanzig Minuten, hier stehen bleiben, ist das kein Problem. Machen Sie ruhig!«

Mehmet sagt: »Kannsu fahren!«, und klopft meinem Golf aufs Dach. Dann geht er wieder Döner produzieren, und Margarete lächelt mich liebenswürdig an.

»Du musst dich in Geduld üben, liebe Thea«, sagt sie und fährt sich mit der Hand über das Revers ihres Blazers. Margarete sieht eigentlich mehr aus, als würde sie hauptberuflich Aktien verkaufen oder die Tagesschau moderieren, aber sie schreibt Sachbücher. Wobei die keineswegs so sachlich sind, wie es die Genrebezeichnung suggerieren könnte. Sie sind in meinen Augen sogar ziemlich oft eher unsachlich. Margarete befasst sich nämlich hauptsächlich mit den Themen Esoterik, Astrologie und biologisch wertvolles Kochen. Darüber schreibt sie unfassbar lange Abhandlungen, und es scheint sehr viele Menschen zu geben, die genau Bescheid wissen wollen über die Keimfähigkeit von Hirsesamen oder die Umleitung störender Wasseradern, wodurch Margarete ganz gut von ihren Büchern leben kann. Und genau wie Schröder wohnt sie auch hier, während Dr. Grosser und ich jeden Abend nach Hause fahren müssen.

»Wir sollten hier einen Grill und Klappstühle hinstellen, das ist doch jedes Mal ein Event.« Recht hat sie. Meistens gesellt sich nämlich noch Mehmets Mutter zu uns, reicht leckere türkische Spezialitäten, und wir harren gemeinsam aus, um dem bösartigen Falschparker gehörig die Leviten zu lesen. Was wirkt, denn bis jetzt haben wir noch jeden so verschreckt, dass er nie wiederkam. Allerdings finden sich stets neue Autofahrer, die unsere Einfahrt ausprobieren wollen.

»Tschüss, meine Liebe«, verabschiedet Margarete sich, überprüft mit der Hand noch einmal ihren akkurat sitzenden Haarknoten, zwinkert mir zu und begibt sich ebenfalls wieder an die Arbeit, und ich rolle endlich vom Hof.

Eine Kurve später setzt mich allerdings mein Auto davon in Kenntnis, dass es dringend Benzin benötigt. Ich fluche leise vor mich hin und biege, genervt von der weiteren Verzögerung, schwungvoll in die Auffahrt der rot-gelben Tankstelle ein, wo ich abrupt ausgebremst werde. An der Tankstelle ist die Hölle los, und ich muss mich entscheiden, in welche der langen Autoschlangen ich mich einreihen will. Ganz links ist die längste Schlange. Da werde ich mich samt Auto nicht anstellen, ausgeschlossen.

Direkt vor mir steht ein blitzblanker VW Jetta mit umhäkelter Klorolle auf der Hutablage (dass es so etwas noch gibt!) und altem Kennzeichen, also ohne Euroblau links. Die Kiste ist locker 20 Jahre alt, sieht aber aus wie neu, vermutlich 12 Kilometer gefahren. Hier ist eine längere Wartezeit sozusagen vorprogrammiert. Der Besitzer ist nämlich, laut Aufkleber am Heck, bereits 25 Jahre unfallfrei unterwegs. Und das schafft man bloß, wenn man niemals auch in einen höheren als den vierten Gang schaltet und sich auch sonst eher verhalten durch das Leben und den Straßenverkehr bewegt.

Ich schwenke nach rechts, hinter einen silbernen Familienvan. Hier ist alles offen. Wenn die Mutti drei Kinder im Auto hat, geht das fix. Wenn sie die allerdings mit aussteigen lässt, um ihnen pädagogisch wertvoll den Vorgang des Auto-Betankens näherzubringen, könnte es sich um einen zeitlichen Super-Gau handeln, aber ich setze heute mal auf volles Risiko.

Die Mutti lässt die Kinder im Auto und ist genauso flott, wie ich mir dachte. Vermutlich treibt sie die Sorge, dass die Brut, während sie bezahlt, den Leasing-Wagen zerlegt, zu extremer Schnelligkeit an, und keine fünf Minuten später kann ich meinen GTI schneidig neben der Zapfsäule parken. Zügig steige ich aus, werde allerdings, noch bevor ich überhaupt zum Zapfhahn greifen kann, von links angequatscht. Kommunikation an der Tankstelle finde ich befremdlich. Tanken, schweigen, zahlen, weg, das ist hier meine Devise.

»Darf ich Ihnen helfen?« Tenor, rotes Shirt, braune Locken, graue Augen. Seine Hand bewegt sich auf die Zapfsäule meines Begehrens zu, und folgende Antwort erklingt prompt in meinem Kopf: »Ich bin 27 Jahre alt und somit groß und erwachsen. Ich bin selbstständig im Job und im Leben, und ich brauche verdammt noch mal keine Hilfe. Schon gar nicht bei einer so profanen Tätigkeit wie der, mein Auto zu betanken. Solltest du, Mann mit der tiefen Stimme, etwa glauben, dass ich, da weiblich, zu blöd bin zu tanken?«

Und … zack … springt mein Sprachzentrum in den Emanzen-Modus. Ich kann wirklich nichts dafür, ich bin irgendwie falsch konditioniert, aber ich sage tatsächlich: »Nun mal Finger weg, ja? Ich tanke vermutlich besser als Sie. Ihre Hilfe können Sie sich also sonst wohin stecken!« Gleichzeitig trete ich vor und schnappe mir höchst energisch die Zapfpistole.

Der Mann in Rot starrt mich ungläubig an, und der unfallfrei Fahrende eine Zapfsäule weiter guckt interessiert in unsere Richtung. Ebenso ein Bier trinkender Mann, der neben dem Fahrradständer vor dem Eingang steht, eine Frau, die gerade die Tankstelle verlässt und vermutlich den Stau an der ganz linken Zapfsäule verursacht hat, und irgendeine höhere Instanz im Himmel runzelt bei dieser Szene bestimmt auch sorgenvoll die Stirn.

Augenblicklich wird mir mal wieder bewusst, wie wenig gesellschaftsfähig mich mein Handicap manchmal macht. Dieser Emanzen-Modus ist wirklich anstrengend für alle Beteiligten. Ich muss irgendwann einmal Dr. Grosser um einen Termin bitten, verwerfe diesen Gedanken aber sogleich wieder und atme stattdessen tief durch. Dabei fällt mein Blick auf ein großes Plakat (ein leider wirklich sehr großes Plakat!) direkt neben meinem Auto. Darauf steht: »Unser Tankwart-Service, kostenlos für Sie!« – Womit der rot gekleidete Mann neben mir kein sexistischer, blöder Kerl ist … sondern einfach nur ein Tankwart. Jetzt fällt mir auch das Tankstellenlogo auf seiner Brust auf. Im Emanzen-Modus habe ich offensichtlich einen echten Tunnelblick.

Das ist alles sehr bedauerlich, und ich spüre eine leichte Röte auf meinem Gesicht. Jetzt gibt es zwei Handlungsoptionen: Entweder ich entschuldige mich, oder ich ziehe die Nummer durch.

Da ich mich vor Schreck über die späte Erkenntnis immer noch im Emanzen-Modus befinde, entscheidet das lautstarke Weib tief in meinem Innersten sich spontan und ohne Rücksprache für Letzteres. Also stecke ich energisch den Zapfhahn in den Tank. Dazu gucke ich noch ein bisschen böse. Was soll ich auch sonst tun? Dämlicher kann man sich nicht verhalten – dann lieber noch ein wenig böse gucken.

Das halte ich genau so lange durch, bis sich Benzin für exakt 20 Euro in meinem Tank befindet, während der Tankwart, der Biertrinker und der unfallfreie Fahrer mich weiterhin anstarren, alle offenbar höchst pikiert.

Ich sprinte in die Tankstelle, bezahle und rase von dannen. In dem Bewusstsein, diese Tankstelle leider nie mehr aufsuchen zu können.

Kapitel 4

Thea außer Rand und Band

Zehn Minuten später biege ich mit meinem GTI schwungvoll um die Ecke zum überfüllten Parkplatz des Südbads. Wieso ist hier immer die Hölle los? Die vielen Autobesitzer werden doch nicht bei maifrischen 15 Grad Außentemperatur durch die unbeheizten Becken kraulen? Aber sobald das Bad die Saison eröffnet, trifft sich ganz Hameln hier. Trotzdem verabrede ich mich einmal pro Woche genau auf diesem Parkplatz, um mit Johann Weisner einen Trainingslauf durch den Stadtwald zu absolvieren. Es gibt kein besseres Trainingsgelände als diesen Wald. Wir haben sogar einen Trimm-dich-Pfad.

Denn laufen kann Johann ja theoretisch auch alleine, aber in meiner Anwesenheit muss er zwischendurch noch auf besagtem Trimm-dich-Pfad auf Baumstümpfen balancieren (stärkt die Rumpfmuskulatur), Liegestütze machen (die heftigen und zum Schluss nur auf einem Arm), auf einem Bein hüpfen und andere hübsche Dinge tun, die seine Koordination schulen und manchmal recht lustig aussehen.

Bei unseren gemeinsamen Terminen gerate auch ich richtig ins Schwitzen, und weil ich in den letzten Wochen so wenig Zeit zum Trainieren hatte, kommt mir das sehr entgegen.

Zwanzig Minuten später tropfe ich allerdings so sehr, dass sich ein kleines Rinnsal meinen Rücken abwärts gebildet hat, das nur von meiner Trainingshose aufgehalten wird. Während Johann fröhlich lachend sechzig Liegestütze absolviert (Johann freut sich immer, sogar, wenn es regnet. Der bräuchte auch mal einen Termin bei Dr. Grosser. So viel positive Energie kann nicht gesund sein.), lehne ich mich unauffällig gegen eine dicke Eiche, um ein wenig zu verschnaufen und das Gefühl, mich schämen zu müssen, das mich seit dem Tankstellen-Intermezzo plagt, ein wenig unter Kontrolle zu bekommen.

Johann ist nicht nur immer froh, er spricht auch immer. Sogar jetzt, während er sich wieder und wieder in die Höhe stemmt, plappert er weiter. Manchmal schnauft er laut, weil sogar er zwischen den Liegestützen und den Worten Luft braucht, aber er hat immer einen immensen Redebedarf, was mir heute ganz gelegen kommt. Heute bin ich wirklich nicht gut drauf.

Anfangs habe ich ihn noch genötigt, die Klappe zu halten und sich auf die Atmung und die korrekte Ausführung der einzelnen Übungen zu konzentrieren. Aber nachdem wir seit fast einem Jahr trainieren, in dem er, trotz Ermahnungen, unverdrossen weitergequatscht hat, habe ich es aufgegeben. Ich lasse ihn erzählen und achte auf erste Anzeichen von Sauerstoffarmut in seinem Blut. Dann kann ich immer noch rettend eingreifen. Alles andere ist vertane Zeit.

»Da war doch völlig klar, worauf das hinausläuft!«, schnauft er zwischen Liegestütz Nr. 34 und 35.

»Ja?«, frage ich und bemühe mich, etwas mehr Interesse in meine Stimme zu legen. Ich bin nicht ganz bei der Sache, da gedanklich immer noch bei dem entsetzten Blick des Tankwarts. Es geht, soweit ich mich erinnern kann, um ein Vorstellungsgespräch in seiner Bank.

»Na klar! Die ist 29 Jahre. Die will jetzt einen netten Posten, wir bauen die auf und investieren richtig viel, und dann …« Er ringt nach Luft. Aha, selbst Johann Weisner braucht mal Sauerstoff. Aber jetzt ist mein Interesse geweckt.

»Was dann?«

»Dann wird sie schwanger«, prustet er, als wäre es das Logischste auf der Welt. Wie die Tatsache, dass nach Regen auch irgendwann wieder die Sonne scheint.

»Der ganze Aufriss umsonst«, schnauft er weiter. »Stell dir vor. Sie bekommt Elterngeld und kommt dann in Teilzeit zurück. Ich brauche erst eine Vertretung, dann eine neue Teilzeitstelle und dann einen Nachfolger für ihren ursprünglichen Job. Was das kostet! Das kann ich mir mit meinem knappen Budget gar nicht leisten, so jemanden aufzubauen!«

Augenblicklich gerät mein Blut in Wallung. Tunnelblick. Emanzen-Modus. Zum zweiten Mal innerhalb einer Stunde. Aber ich reiße mich zusammen. Mit letzter Kraft klammere ich mich an mein Mantra: »Er ist dein Kunde! Er bezahlt deine Brötchen!« Auch Emanzen müssen essen.

»Vielleicht will sie ja gar keine Kinder«, sage ich deshalb betont gleichgültig. Was ich nicht bin. Mein Gesicht ist bestimmt hochrot, aber Johann guckt immer noch auf den Boden und ist jetzt erst bei Nr. 38. Ich hätte also noch ausreichend Zeit, mich wieder abzuregen.

»Natürlich will die Kinder. Danach brauche ich gar nicht zu fragen. Was ich ja auch nicht darf. Ist ja gesetzlich verboten, aber alle Frauen wollen Kinder.« Mit dieser offenbar allgemeingültigen Aussage über meine Geschlechtsgenossinnen legt er sich platt wie eine Flunder auf den Bauch, alle viere von sich gestreckt, und mir steigt der Rauch aus den Ohren. Metaphorisch gesprochen.

»Weitermachen!«, herrsche ich ihn an, und er gehorcht augenblicklich.

»Das ist diskriminierend«, knurre ich. Jetzt steigt auch aus meiner Nase Rauch auf, zieht mir über die Stirn und entweicht in Richtung Himmel.

»Nein, das ist die Realität. Und mal ganz ehrlich, mit Kind kannst du so einen Job nicht mehr machen. Da kannst du an die Kasse und ein bisschen Kundengespräche führen, was anderes ist nicht drin. Regina würde es überhaupt nicht mehr schaffen, Vollzeit zu arbeiten.«

Regina ist Johanns Frau. Die Frau, die ihm den Rücken freihält und ihre gemeinsamen Kinder großzieht. Weil er ja Vollzeit arbeitet. Und da Frauen heutzutage immer noch weniger verdienen als Männer, wird sich an diesem Prinzip auch nichts ändern.

Die Emanze in mir holt die Streitaxt hervor und bearbeitet ein paar meiner Synapsen damit.

Ach, wie wäre es schön, wenn ich diese herrschende Ungerechtigkeit einfach so hinnehmen könnte. Ohne Emanzen-Modus mit Rauch aus der Nase und den Ohren. Das würde mein Leben erheblich leichter machen. Aber ich kann nicht. Ich habe Puls und Bluthochdruck. Zusammen mit dem Rauch führt das zu einer ziemlichen Beeinträchtigung meiner Denkleistung. Deshalb fauche ich energisch: »Das ist Humbug!«

Mit diesem Tonfall schaffe ich es, dass Johann erstaunt den Kopf hebt und mich ansieht. Er stellt sogar das Sprechen vorübergehend ein.

»Wäre endlich mal klar, dass die Aufzucht der Brut Elternsache und nicht Frauensache ist, wäre das kein Problem. Und gäbe es in diesem Land eine gute Kinderbetreuung, wäre das auch kein Problem. Hier reden immer alle nur von Gleichberechtigung, aber ich glaube, keiner will sie! Sonst würde man doch die Voraussetzungen schaffen!«

Johann hat sich mittlerweile auf den Hintern gesetzt und betrachtet mich interessiert. Auch wenn wir schon ein Jahr zusammen trainieren, kennt er mich nur von meiner guten Seite. Die vom Emanzen-Modus freie Thea sozusagen.

»Für eine Frau ohne Kinder kennst du dich aber aus«, murmelt er und starrt mich weiter an. Jetzt mit einer unverkennbaren Irritation im Blick.

Natürlich kenne ich mich aus. Für alle diese Erkenntnisse brauche ich selbst keine Kinder. Die werden mir eindrücklich von meinen Freundinnen vermittelt, die einem guten Krippenplatz hinterherlaufen, wie eine Wespe einen Kuchen zu erobern versucht. Denn ohne Krippenplatz gibt es keinen Job. Allerdings oft auch ohne Jobnachweis keinen Krippenplatz. Da gibt es einige nette kleine Stolpersteine im System, die selbst meine sanftmütigsten Freundinnen in feuerspeiende Monster verwandelt haben. Sie alle haben Väter zu den Kindern. Und trotzdem betrifft diese spannende Metamorphose von liebender Mutter zum Beamte mordenden Ungetüm offenbar nur die Frauen.

Johann runzelt die Stirn, nickt dann aber.

»Dann musst du umgehend in die Politik gehen oder dir einen Mann suchen, der vom Stillen bis zum Grundschulbesuch des Nachwuchses alles übernimmt. So kämpferisch kenne ich dich ja gar nicht.«

Natürlich nicht. Wenn es um kohlenhydratarme Ernährung und die besten Dehnübungen für die Wadenmuskulatur geht, besteht üblicherweise auch keine Notwendigkeit, diesen Charakterzug von der Leine zu lassen.

Aber am Ende verpasst die Unternehmerin in mir der Emanze einen beherzten Schlag in den Nacken, und das kämpferische Weib packt die Streitaxt weg. Der Wunsch, auch weiterhin meine Brötchen mit Johann zu verdienen, überwiegt, und so sage ich: »Genug gebrabbelt, weiter geht ’s!«

Johann bleibt regungslos sitzen, die Stirn in tiefe Falten gelegt. Er schweigt, was ich sehr bedenklich finde. Das tut er nun wirklich selten.

»Was rätst du mir?«, fragt er dann, und an seinem Tonfall erkenne ich glasklar: Er meint es ernst.

»Wenn sie die gleiche Qualifikation wie die männlichen Bewerber hat, nimm sie. Es ist ungerecht, sie nicht einzustellen, nur weil sie eine Frau ist und Kinder bekommen könnte. Außerdem braucht dieses Land Kinder.«

Vielleicht sollte ich tatsächlich in die Politik gehen? Johann scheint zumindest durchaus beeindruckt von meiner kleinen Rede zur aktuellen Lage der Gleichberechtigung in diesem Land zu sein. Erst nach einer weiteren kurzen Denkpause wirft er sich wieder beherzt auf den Bauch und widmet sich erneut seinen Liegestützen.

Kapitel 5

Der kopflose Bernd

Als ich von der Joggingrunde endlich zu Hause ankomme, bin ich von mir selbst immer noch peinlich berührt. Es fühlt sich an wie eine Art Fremdschämen, nur leider mit hundertprozentiger Eigenbeteiligung. Ziemlich erledigt lasse ich mich auf mein Sofa fallen und starre müde die Wand an. Mein Leben ist irgendwie sonderbar und kompliziert. Und das schon seit exakt drei Jahren.

Alles fing mit Christian an. Oder sollte ich lieber sagen: ohne ihn? Und weil der Kosmos sich zu der Zeit gegen mich verschworen hatte, bekam ich von meinem damaligen Chef ein paar Tage später auch noch die Kündigung. Fieses Timing, fand ich. Heute kann ich sagen, wenigstens das war ganz gut an der Situation, denn so habe ich mich kurzerhand selbstständig gemacht.

Während dieser Phase ereilte mich eine wichtige Erkenntnis. Es fühlte sich sogar fast ein wenig so an, als hätte ich eine Erleuchtung gehabt. Ich begriff nämlich endlich, dass »nett« die kleine Schwester von »bescheuert« ist!

Ich war bis dahin immer so nett. Zu meinem cholerischen Chef, dem vergesslichen Postboten und sogar zu der dummen Kuh, die mir eine Beule in mein Auto gefahren hatte. Ich kann auch heute noch nett sein; nicht umsonst pflege ich mit Dr. Grosser den kleinen Plauderclub der wertschätzenden Kommunikation. Aber ich bin jetzt endlich auch in der Lage zu sagen, was ich denke, ohne mir vor Angst ins Hemd zu machen, dass man mich deswegen nicht mehr mögen könnte. Wenn man an den armen Tankwart denkt, scheine ich sogar meilenweit entfernt zu sein von dem Bedürfnis, gemocht zu werden.

Allerdings litt ich jahrelang unter dem »Minnie-Mouse-Syndrom«, das meines Erachtens in der Psychologie viel zu wenig Beachtung findet. (Laut Dr. Grosser ist es noch nicht einmal bekannt!)

Die Symptome dieses Syndroms sind vielfältig, aber grundsätzlich beginnt es mit einer schleichenden Eliminierung der eigenen Bedürfnisse, die dann still und leise durch die des Partners ersetzt werden. Meinen intensiven Studien nach befällt das »Minnie-Mouse-Syndrom« hauptsächlich Frauen, die in Beziehungen plötzlich verstummen und nicht mehr sagen können, was sie eigentlich wollen. Dafür starren sie stundenlang ihr Handy an, weil sie hoffen, dass ihr Freund anruft. Oder sie entdecken plötzlich ihre Leidenschaft fürs Power-Rafting durch lebensgefährliche Schluchten, obwohl sie sonst mehr der Yoga-Typ mit eigener Matte in Pastellrosa sind. Oder sie reißen die Blümchentapete von der Wand, weil der Liebste nur Raufaserweiß ertragen kann. Schlimmstenfalls vergisst frau dann im Laufe der Zeit vollkommen, was sie eigentlich will, weil sie so eifrig mit den Bedürfnissen ihres Freundes und ihrer Umwelt befasst ist. Das führt am Ende dazu, dass sie irgendwann dumm dasteht. So wie ich.

Statt aber dann die neu gewonnenen Erkenntnisse adäquat umzusetzen, bin ich ins andere Extrem gefallen. Raus aus dem »Minnie-Mouse-Syndrom«, rein in den »Emanzen-Modus«. Das findet mein Vater zwar ganz klasse (»Die lässt sich nicht die Butter vom Brot nehmen, ha, die nicht!«), aber im weisen Alter von knapp 27 tendiere ich persönlich langsam, aber sicher in Richtung der Ansichten meiner Oma (»Also SO wirst Du nie einen Mann finden!«).