Verliebt, Verlobt ... - Martina Meier - E-Book

Verliebt, Verlobt ... E-Book

Martina Meier

0,0
8,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Tief blicken sich die beiden in die Augen, Tränen der Freude und Rührung perlen über ihre Wangen. Das Brautpaar steht in Liebe vereint vor dem Altar. Die ganze Kirche ist erfüllt von Glück und freudiger Erwartung. Doch plötzlich herrscht Totenstille ... Ob mystisch, gruselig, heiter oder romantisch ... In dieser Anthologie rund um den schönsten Tag im Leben versammeln sich Geschichten, die gleichermaßen verzaubern und schockieren, spannend und romantisch sind. Alles ist erlaubt, Klischees werden über Bord geworfen und die Torte der fantastisch schaurigen Geschichten wird angeschnitten ... Die ToMa Edition hat Geschichten und Gedichte gesucht, rund um den schönsten Tag im Leben eines Paares - oder wird er hier zum schlimmsten?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



o

Verliebt, Verlobt ...

Die fantastisch schaurige Hochzeitsanthologie

Martina Meier (Hrsg.)

o

Impressum

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet - www.papierfresserchen.de

© 2022 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR (ToMa-Edition)

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Herausgegeben in Zusammenarbeit mit CAT creativ - www.cat-creativ.at

Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchauflage erschienen 2013.

Titelbild (Lizenziert Fotolia) - konradbak

Taschenbuch ISBN: 978-3-86196-202-1

Hardcover ISBN: 978-3-86196-201-4

978-3-99051-095-7 - E-Book

*

Inhalt

Traumhochzeit

Wieder glücklich

Ein Geschenk zur Goldenen Hochzeit

Verliebt ... vergangen

Bis dass der Tod euch scheidet

Wo das Schicksal hinfällt

Verliebt, verlobt ... dann kam Marie

Vorabend

Ein Hoch dem Brautpaar

Unglück oder Liebe

Marga

Wir sind eins

Mandelsplitter

Kurt Cobain

Die Trauung

Hochzeit in Las Vegas

Adel verpflichtet

Auf ein Neues

Traurige Trauringe

Der Unbekannte

Ich muss dir noch sagen, ich liebe dich!

Der Zauber des Verliebtseins

Dumm gelaufen

Mein Hochzeitstag

Die Kleiderfrage

... verreist(Der Goldschatz)

Windsbraut

Die Familie meiner Frau

Was für ein Tag!

Maria

Gefangen

Vollmond in den Bergen

Lebenswege

Die Schwiegermutter

Traumhochzeiten GmbH & Co KG

Die einfachste, schwerste Frage

Sehnsucht nach dir

„Ja, ich will!“

Klapphorn-Hochzeit

Rabenschwarze Erkenntnisse

Flügelschmerzen

Rees1

Purpurnacht

Die Bescheinigung

Winkelhochzeit

Für alle missverstandenen Raben

Darf ich bitten? Es wird fatal, Gemahl!

Wenn nicht ich, dann keiner!

Die Braut des anderen

Traumschiff

Der Geliebte

Der verrückte Goethe

Der kuriose Fall des fremden Bräutigams

Traumhochzeit – Nicht mit uns!

Hitchhiker: Anhalter ins Verderben

Die zwei Kugelhälften

Die Braut trägt Weiß

Warnung aus dem Jenseits

Warum eigentlich nicht

Für Laurela

Soll ich?

Bruder der Braut

Guten Appetit!

Typisch Anke

Ohne Schleier

Du und Ich

Ganz in Weiß

Grausilvanien

*

Traumhochzeit

Wir hatten alle auf diesen Tag gewartet. Den Tag, an dem sich Leni und Henri endlich das Jawort geben würden. Warum sie so lange gezögert hatten? Das ist eine gute Frage, auf die ich bis dato keine Antwort hätte geben können.

Das kleine Schloss inmitten der bayerischen Berge war schon fast zu perfekt für diesen Anlass. Die Hochzeitsgäste, bunt gemischt aus waschechten Bayern und zugereisten Schweden, waren mächtig aufgebrezelt. Standesgemäß versteht sich. Wir sprechen schließlich nicht von einer gewöhnlichen Hochzeit. Nein, es sollte das Event des Jahres werden! Die Hochzeit von Leni und Henri!

So manch einer der fünfhundert geladenen Gäste, der – warum auch immer – absagte, ärgert sich jetzt im Nachhinein bestimmt schier zu Tode, dieses außergewöhnliche Ereignis eben nicht miterlebt zu haben. Ich aber war dabei! Und weil ich euch dieses Event nicht vorenthalten will, nehme ich euch jetzt mit auf eine kleine Reise. Ach übrigens, ich bin Rosalie von Morgenstern.

24 Stunden vorher: die standesamtliche Trauung im Schloss. (Bitte fragt mich nicht, warum es keine kirchliche Feier gab. Ich weiß es nicht!) Ich will nicht behaupten, dass ich eine intensive Beziehung zu Leni hätte. Was aber nicht heißen soll, dass ich sie nicht sympathisch finde! Das ist sie in der Tat. Lieb, nett, höflich, gut erzogen, intelligent, aus gutem Hause und wunderschön. Nein, ich meine wirklich wunderschön! Sie hat nur einen kleinen Fehler: Sie hat mir meinen Freund ausgespannt!

Da steht sie nun, mit meiner einst großen Liebe, dem schnuckeligen, charmanten und charismatischen Henri, der in dem Designeranzug einfach zum Anbeißen aussieht. Ich weiß, ich sollte das nicht sagen, auch nicht denken, aber mal ganz ehrlich, er sieht wirklich perfekt aus.

Warum aber zappelt Henri so? Ich meine, Leni wird ihm kaum jetzt noch einen Korb geben. Sie liebt ihn über alles, und das seit sieben Jahren. Sie ertrug seine Launen, die während des Prüfungsstresses einen Grad des Untragbaren erreichen können! Sie begleitete ihn stets zu den langweiligen Familienfesten und machte keinen Mucks, wenn Henris hysterische High Society-Mami zum Dinner lud. Wie sagte ein Freund von uns einmal so treffend: „Wenn man so eine Mutter hat, dann braucht man keine Feinde mehr!“ In der Tat. So ist es! Seit seiner Geburt wird Henri von ihr beherrscht. Ja, wirklich! Ich übertreibe nicht! Eigentlich ist es noch maßlos untertrieben! Sie, der Feldwebel, hatte stets das Kommando über sein Leben. Sie hat bestimmte Vorstellungen vom Leben, vor allem von ihrem gesellschaftlichen, und da sein Leben mit ihrem eng verbunden ist, hat er in bestimmten Situationen einfach keine eigene Meinung zu haben.

Bis ich kam. Muss ich erwähnen, dass sie mich nicht leiden konnte? Aber gut, das ist eine andere Geschichte.

Oh je, irgendetwas stimmt hier nicht. Anstatt zu Henri und Leni zu blicken, gleitet der Blick von Henris Feldwebel ununterbrochen in die hintersten Reihen. Erwartet sie noch jemanden?

Jetzt geht’s gleich los. Ich bin ja schon so aufgeregt! Vielleicht sagt er doch noch Nein? Er würde zu mir zurückkehren und … Oh, là là! Ein junger, gut aussehender Standesbeamte steht vor den beiden. Meine Güte, ob der noch solo ist? Das muss ich unbedingt noch eruieren! So ein Schnuckel!

Im Gegensatz zu manch älterem Standesbeamtenmodell leiert dieser seine Sätze nicht gefühllos runter wie eine alte Drehorgel, sondern versucht, mit Charme und Einfühlungsvermögen die Trauung zu vollziehen. Der hat sogar Humor, wie schön! Sagt der doch glatt zu Henri, ob er sich das gut und reiflich überlegt hätte! Noch könne er einen Rückzieher machen. Meine Güte, so schlimm wird das Leben mit Leni doch nicht werden!

Der Standesbeamte fragt schließlich die Anwesenden, ob sie Einwände gegen diese Verbindung hätten. Sie sollen diese vorbringe – oder für immer schweigen. Komisch, ich dachte, solche Aufforderungen gibt es nur bei der kirchlichen Trauung zu hören ... oder im Fernsehen. Das ist doch nur eine unbedeutende Floskel. Warum also betont er sie so ausdrücklich?

Und das mit einem funkelnden und durchdringenden Blick in meine Richtung. Moment mal! In meine Richtung? Er meint mich? Er meint tatsächlich mich? Jaaaa! Er lächelt mich an! Mich! Das wird mein Tag, ich wusste es! Ich forme mein schönstes Lächeln, zwinkere zurück und wache erst wieder auf, als ich von allen Seiten komische Blicke ergattere. Leute, stellt euch nicht so an! Das ist meine Chance, meinem tristen Singleleben ein Ende zu bereiten! Dafür sind Hochzeiten doch da!

Ups. Ich fühle ein tomatenfarbiges Rouge auf meinen Wangen, das meinen Kopf zum Glühen bringt. Oh, oh! Mist! Die sehen gar nicht mich an, sondern den jungen Mann, der hinten an der Türe steht. Ist er der Grund, warum Henris Mutter ständig nervös nach hinten blickte? Wer ist das bloß? Ich kenne Henri schon sehr lange, was nicht gleichzeitig heißen soll, dass ich ihn sehr gut kenne. Das wäre auch unmöglich, denn Henri ist, was sein Innenleben betrifft, eher verschwiegen. Dennoch wage ich zu behaupten, nach all den Jahren und Festen, auch all seine Freunde zu kennen. Den aber, der sich auf den Weg nach vorne begibt, kenne ich nicht. Das muss ein Freund von Leni sein. Hübscher Kerl. Sieht ein bisschen verwegen aus. Und südländisch. Wahnsinn, dieses Gesicht! So viel Ausstrahlung! Und unendlich hübsch!

Während meine Gesichtsmuskulatur versucht, meinen Mund wieder zu schließen, beginnt in meinem Kopf ein unüberhörbares Rattern. Der Fall liegt klar auf der Hand: Ein Freund von Leni stört die Trauung.

Das ist nicht irgendein Freund, sondern eine Affäre!

Ich glaub es nicht!

Erst spannt sie mir meinen Henri aus, und dann so was!

„Darf ich fragen, wer Sie sind?“, höre ich den Standesbeamten fragen, der im Gegensatz zu den Gästen Contenance auf oberstem Niveau zeigt und immer noch ein zauberhaftes und faszinierendes Lächeln auf den Lippen hat.

„Isch bin Pierrick Tourame des Isles. Die Liebe meines Lebens eiratet. Das kann isch doch nischt zulassen! Isch sollte ier ste’en. Isch! Wir lieben uns. Sehr sogar.“

Ich fasse es nicht: Leni betrügt Henri mit einem Franzosen!

Mein armer Henri!

Leni sieht richtig bleich im Gesicht aus. Klar, mir wäre das auch unangenehm, wenn mein französischer Lover auf meine Hochzeit käme, um mir vor allen Gästen eine Liebeserklärung zu machen. Wenn ich das richtig erkenne, dann weint sie sogar. Zu Tränen gerührt, die Gute. Hat sie dabei auch mal an Henri gedacht?

„Die Liebe meines Lebens. Ohne sie kann isch und will isch nischt leben. Wir aben so viel durschgestanden, Öhen und Tiefen, Lustiges und Wunderschönes, Unvergesslisches. Wir waren uns einig, dass wir beide zusammenge’ören. Wir beide wollten den Rest unseres Lebens gemeinsam verbringen.“

Was macht der Franzose jetzt? Oh, er wendet sich, ja, an wen? Ich sehe nichts mehr, weil alle Leute hier so verdammt neugierig sind!

„Ast du alles vergessen? Unsere schönen Momenten in all den Jahren? Und deine Worten, waren das alles nur Lügen? War das alles nur ein Spiel? Sag mir, dass diese ’oschzeit die rischtige für disch ist, und isch werde für immer aus deine Leben verschwinden.“

Oh, oh, oh, was mach ich nur? Ich sehe nichts!

Der Stuhl. Genau! Ich steig auf den Stuhl. Super. Ich bin wieder im Bilde.

„Henri, liebst du misch? Willst du bei mir bleiben? Für den Rest deines Lebens?“

Moment mal! Hab ich das eben richtig verstanden?

Es wird laut. Es wird getuschelt und geglotzt. Auf Henri und den Franzosen. Auf Leni und auf Henris Mutter, die lauthals losheult.

„Henri, willst du misch ’eiraten?“

„Ja, ich will!“

Drei Worte, die das Geschnatter selbst der größten Tratschen dieser ehrenwerten Gesellschaft außer Gefecht setzen. Fassungslosigkeit. Blankes Entsetzen. Schreie. Geheul und Wutausbrüche. Und mittendrin eine Braut, die ohnmächtig wird.

Lina Ebhard wurde 1979 geboren und wohnt in München. Der Umgang und das Spiel mit der Sprache liegen ihr in den Genen. Ihre Karriere begann mit Gedichten in bayerischer Mundart, die sie zu besonderen Anlässen schrieb und vortrug. Wenn Sie mehr über Lina Ebhard erfahren wollen: www.lina-ebhard.de.

*

Wieder glücklich

War es vielleicht ein Jahr her gewesen? Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, wo er sich doch Nacht für Nacht an diesen schrecklichen Abend erinnerte. Seine Liebste, die er erst nach und nach hatte kennenlernen dürfen, war – obwohl sie sich dazu entschieden hatten zu heiraten – einem anderen versprochen gewesen.

Jemand hatte ihn verraten, hatte seine Familie zerstört, die er wieder aufbauen wollte, und seine Söhne aus seiner ersten Ehe halfen ihm kein bisschen weiter. Der älteste war kaum zu Hause und verhielt sich neuerdings sonderbar, der jüngste war zu schüchtern und zu naiv, um richtig zu verstehen, was sein Vater gerade durchmachte. Doch das Schlimmste war wohl die Tatsache, dass der Versprochene für seine eigentlich zukünftige Frau auch noch ein Bekannter von ihm war. Ein einflussreicher und mächtiger Mann, der seine Verlobte zurückwollte.

Die Hochzeit hätte nachts im Mondschein stattfinden sollen, weil sie dies gern so gehabt hätte, zudem in sehr kleinem Kreis, was bedeutete, dass eigentlich nur der Pfarrer und seine Söhne da waren. Er hatte gerade diese berühmte Frage beantworten wollen, hatte mit Ja sein Ehegelübde leisten wollen, um noch einmal zu versuchen, glücklich zu werden, genau wie in seiner ersten Ehe.

Doch laut war sein Widersacher eingetreten, hatte die Tür schwungvoll geöffnet und sie zurückgefordert. Bis dato hatte er ja nichts von ihm gewusst, nicht gewusst, dass sie versprochen war. An dem Abend war sein Herz schmerzvoll ein zweites Mal zerbrochen. Nun kannte er ihre Gründe: Sie wollte von ihm loskommen, was durch eine Ehe mit einem anderen Mann geklappt hätte, doch man hatte sie verraten und seitdem hatte er sie nie wieder gesehen.

Träge saß er in seinem kleinen Garten neben der Gartenlaube, der Ort, an dem sie hatte heiraten wollen. Damals war es ein warmer Sommerabend gewesen, die Grillen hatten mit ihrer Nachtmusik begonnen und der Moment schien wirklich perfekt, bis die Tür zum Garten aufgegangen war.

Müde schloss er die Augen, um sich an ihr trauriges und sehnsüchtiges Gesicht zu erinnern. Es schmerzte ihn zu wissen, dass er sie niemals besitzen würde. Langsam entglitt ihm eine Träne, die seine Wange hinunterlief. Er liebte sie immer noch.

Verwundert darüber, dass die Träne eigentlich längst seinen Hals hätte erreichen müssen, öffnete er die Augen und sah sie. So hübsch wie an dem Tag, an dem sie ihn verlassen musste, nur leicht geschminkt, in diesem wunderschönen weißen Kleid, das sie provisorisch als Hochzeitskleid genommen hatten, und mit einer hochgesteckten Frisur, die ihrem Gesicht schmeichelte.

Doch Moment! Die Hand, die ihm die Träne wegstrich, fühlte sich warm und echt an. War das wirklich nur ein Traum. Er träumte doch so oft von ihr, wenn er eingedöste?

Sie näherte sich ihm bedächtig und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen, zart wie beim ersten Mal. Da wurde ihm schlagartig klar, dass diese wunderschöne Frau nicht erträumt oder ein Hirngespenst war. Nein, sie war wirklich zurück.

„Du wirst dich hier draußen noch erkälten, mein Schatz. Lass uns doch reingehen. Ich habe den Pfarrer mitgebracht ... Falls du mich noch willst“, hauchte sie mit engelsgleicher Stimme und ihm kamen nur noch mehr Tränen. Vorsichtig und voller Angst davor, dass er doch träumte und sie verschwinden würde, sobald er sie berührte, hob er seine Hände und zog sie in eine Umarmung. „Wie könnte ich dich nicht wollen ... Ich liebe dich! Aber wie ...“, bekräftigte er mit schluchzender Stimme.

„Er erkannte, dass ich ihn nicht liebe ... Meine Liebe gehört allein dir“, flüsterte sie leise zurück und nahm ihn an die Hand. Ab jetzt würde sich alles zum Guten wenden, er wusste es einfach.

Aranka Ohme ist 24 Jahre alt und wohnt in Leipzig. Zu ihren Hobbys zählen Zeichnen, Backen, Schreiben und Fotografieren. Veröffentlichungen ihrer Texte gab es bisher keine.

*

Ein Geschenk zur Goldenen Hochzeit

Auf einem altehrwürdigen Hügel in Hohenschäftlarn über dem schönen Isartal, wo schon vor 1250 Jahren ein Gotteshaus stand, mit Blick auf die Alpenkette feierten wir am 29. Juni 1963 Hochzeit.

Für meinen Bräutigam, einen begeisterten Blumenfreund, war ich die schönste Rose und das liebste Veilchen, was ich auch heute noch für ihn bin. In mein Brautkrönchen steckte er blühende Myrtenzweiglein.

Unsere Hochzeitsreise unternahmen wir nach Rom. ROMA ist von hinten gelesen AMOR. Dort besuchten wir neben all den Sehenswürdigkeiten die vielen Kirchen, um Gott für unser Glück zu danken. Im Kreuzgang der Lateranbasilika entdeckte mein angetrauter Mann eine Wasserhängepflanze. Zum Andenken pflückte er drei kleine Triebe ab, die er in ein Wasserglas steckte. Nach einiger Zeit bildeten sich Wurzeln und die Pflänzchen wurden in einen Blumentopf mit gewöhnlicher Erde gepflanzt. Im Sommer stellten wir den Blumentopf auf die Terrasse, im Winter auf die Fensterbank im Wohnzimmer.

Jahrzehnte verstrichen, des Öfteren vergaßen wir die Wasserhängepflanze zu gießen, sodass sie beinahe vertrocknete. Wir schnitten dann die langen, hängenden Triebe alle ab, bewässerten die kurzen reichlich und die Pflanze dankte es uns mit neuem üppigen Wuchs.

Nach 50 Jahren, also einem halben Jahrhundert, trauten wir unseren Augen nicht. Doch siehe da, die Wasserhängepflanze, die noch nie geblüht hatte, erfreute uns mit kleinen, schneeweißen, wunderschönen Blüten, so ähnlich wie Myrtenblüten.

Es ist ein mysteriöses, großartiges Geschenk zu unserer Goldenen Hochzeit, die wir am 29. Juni 2013 während einer festlichen Messe in St. Peter zu München, die Cäcilienmesse, mit Chor und Orchester von Charles Gounod feierten.

Anschließend ging das Fest mit unseren Gästen im Hofbräuhaus in München weiter, dem „berühmtesten Wirtshaus der Welt, wo zufällig ein Kirchenchor aus Österreich war, der uns mit dem Andachtsjodler und anderen Liedern erfreute. Auch die Blaskapelle aus der Schwemme überraschte uns mit einem Ständchen.

So freuten sich viele Gäste und Touristen mit uns und dankten für den besonderen Anlass, der hier zelebriert wurde.

Inge Samuellebt heute mit ihrem Mann in der Nähe von München.

*

Verliebt ... vergangen

Diese duftende Nacht scheint in Mondlicht zu baden,

sich zu räklen und dehnen, zu versprechen und sehnen.

Leises Rauschen in Bäumen

Melodien zum Träumen,

sie erzählen von Glück.

Die Nacht ist vorüber, der Morgen dämmert –

Ich warte auf dich, mein Herz hämmert.

Denn heute machen wir es amtlich, mit Musik und mit Trara –

Der große Tag ist endlich da.

Halte ich die Blumen richtig – und was ist mit der Frisur?

Auch das Krönchen ist sehr wichtig –

Oh mein Gott, wo bleibt er nur?

Und dann sagst du plötzlich leise –

„Du bist wunderschön und ich liebe dich sehr“

Das hör ich so gerne – und ich lieb dich noch mehr.

Wir besiegeln das Versprechen –

Uns zu lieben und ehren, zu beschützen und betreuen –

Ängsten zu wehren und Muse zu sein.

Gemeinsam –

so können wir mit dem Regenbogen schweben –

auch allein in der Wildnis am Yukon leben –

vielleicht sogar manchmal den Himmel berühren

und immer die Liebe des Anderen spüren.

Wir können Verluste verkraften und Schmerzen ertragen –

Wir werden niemals das gemeinsame Ziel hinterfragen.

Die Jahre verrinnen, wir merken es kaum –

Bald bleibt nur das Erinnern – dann ist alles schon Traum.

Wenn einer von uns dann gehen muss –

Und die Seele fliegt weit mit den Winden –

Verspricht der andere mit seinem letzten Gruß –

Hab keine Angst, wir werden uns wiederfinden.

Diese Melodie – so fern und ganz leise –

Sie klingt sehr vertraut –

Als wär’s unsere Weise.

Hannelore Bracksiekhat ihre Lebenserfahrung schon mehrfach in Gedichten veröffentlicht.

*

Bis dass der Tod euch scheidet

Der Regen prasselte unnachgiebig auf die Erde nieder. Das frische Grab war übersät mit Blumenkränzen und ihr Duft lag schwer in der Nase. Am vorübergehenden Holzkreuz liefen die Regentropfen hinab, wie Tränen voller Trauer. Die Trauergemeinschaft hatte sich schnell aufgelöst bei solch einem Wetter, nur Ben stand noch an der Begräbnisstätte. Der schwarze Mantel war durchnässt und lag bleischwer auf den Schultern. Die braunen Haare hingen ihm tropfend ins Gesicht und die Augen waren rot unterlaufen. Man sah ihm den seelischen Schmerz an. In den Händen hielt er eine weiße Lilie.

Er dachte an Marie, die Liebe seines Lebens, und an den Tag, an dem sie sogar jeden Engel mit ihrer Schönheit in den Schatten gestellt hatte. Ihre Hochzeit.

Die Kirche war stattlich und mit ihren beiden Seitenschiffen besaß sie so viel Platz, um allen eine Sitzmöglichkeit zu bieten. Auf der rechten Seite saßen die Gäste der Braut und auf der linken die des Bräutigams. Die Menschen waren so zahlreich erschienen, dass selbst Ben, der normal jedweden kannte, Gesichter zum ersten Mal sah. Ein blütenweißer Samtteppich war vom Eingang bis zum Altar gerollt worden. Weiße Lilien zierten die Enden der Bänke. Große, schneeweiße Kerzen säumten den Weg zum Priester, der mit einem zarten Lächeln auf den Anfang der Zeremonie wartete. Der Altartisch war ebenfalls mit Lilien geschmückt. Marie mochte diese Blume, das war Ben absolut bewusst.

Das Eingangsportal stand weit auf, zeigte einen wunderschönen Tag und eine Limousine, die in diesem Augenblick vorfuhr. Ben schlug das Herz bis zum Hals und seine Stirn war kalt vor Schweiß. Er wusste, er würde sie jetzt gleich sehen, dennoch zog sich der Zeitpunkt in die Unendlichkeit hin. Der Chauffeur stieg aus und rückte die Mütze zurecht, anschließend machte er sich daran, Marie die Tür zu öffnen. Vorsichtig ließ sie ihre Beine aus dem Wagen gleiten, der Fahrer hielt ihr die Hand hin und sie ergriff die Hilfe. Es dauerte einen kurzen Moment, bis Ben sie voll und ganz bestaunen konnte. Als er sie erblickte, stiegen ihm Tränen in die Augen, doch er verbarg sie, damit es keiner sah. Sie sah atemberaubend aus und niemand kam umher, sie in absoluter Verzückung anzuschauen. Manch einer Frau konnte man neidische Blicke vorwerfen, aber bei solch einer Schönheit war dies nicht zu verdenken.

Marie trug ein elfenbeinfarbenes Kleid, dessen V-Ausschnitt ihr ansehnliches Dekolleté zeigte. Die Spitzen waren fein in das Hochzeitskleid eingearbeitet und wirkten nicht zu aufgedrängt. Ihre schlanke Figur wurde sehr gut betont. Jedes Topmodel wäre voller Neid erblasst. Das blonde Haar war wunderschön hochgesteckt worden und anstatt eines Schleiers hat sie drei weiße Lilien darin. Sie war dezent geschminkt, was ihre natürliche Ausstrahlung hervorhob. Die Blumenwahl des Brautstraußes verwunderte niemanden. Zusammen mit ihrem Vater stellte sie sich in den Eingang der Kirche und allein ihr Lächeln hätte alles hier zum Erleuchten gebracht. Eine Frau mit solch einem Schmunzeln konnte man nur lieben. Wenn Ben sah, wie sich in ihren Wangen die Grübchen bildeten und sie die Nase leicht rümpfte, bereicherte es seinen Tag.

Man hörte die Leute flüstern, wie wunderschön sie sei und Ben kam nicht umher, stolz darauf zu sein.

Auf dem vorderen Balkon, wo die Orgel platziert war, stand zwischenzeitlich ein Gospelchor auf, denn man zuvor nicht hatte sehen können. Eine Solosängerin fing an „All you need is love“ von den Beatles zu singen und der Chor stieg kraftvoll mit ein. Die ganze Kirche wurde von dem Gesang eingenommen, sodass jeder mit der Musik mitwippte. Sogar dem Priester wurden rhythmische Bewegungen entlockt. Marie schritt mit ihrem Vater Richtung Altar. In ihren grünen Augen entdeckte Ben Tränen – aber die süßesten und glücklichsten, die er je gesehen hatte. Er verlor sich gerne in ihren Augen, dann schwebte er meist in den Wolken und Schmetterlinge flogen in seinem Bauch.

Er lächelte Marie an, sowie man nur die Liebe seines Lebens anlächelte, doch sie ging an ihm vorbei und nahm ihn gar nicht wahr. Marc war derjenige, dem sie all ihre Aufmerksamkeit darbot. Er war ja zu guter Letzt auch der Bräutigam und ein Freund von Ben.

Ben hatte sich vom ersten Tag an Hals über Kopf in Marie verliebt. Bloß den Mut, es ihr zu gestehen, hatte er nie gefunden und als sie schließlich mit Marc zusammenkam, verlor er jede Hoffnung. Er liebte sie aus tiefsten Herzen und tatsächlich wollte er es ihr vor der Hochzeit sagen, aber die Stimme versagte und seine Entschlossenheit noch mehr.

Ein Regentropfen vermischte sich mit einer Träne und holte Ben zurück in die Realität. Er stand vor dem Grab von Marie, welche bei einem Unfall gestorben war.

Sein Herz war zerrissen und er schalt sich dafür, dass er ihr niemals seine wahren Gefühle gestanden hatte.

Er legte die weiße Lilie auf die letzte Ruhestätte und atmete tief durch.

„Ich liebe dich!“, sagte er.

Erleichterung überkam ihn und das, obwohl Marie tot war. Er hatte es ausgesprochen. Wahrscheinlich hätte sie dies nie erwidert. Das spielte aber jetzt keine Rolle mehr. Wichtig war, dass er seine Liebe gestanden hatte und das tat ihm gut. Nie sollte jemand seine Gefühle so unterdrücken, wie er es getan hatte, denn sonst würde man es später bereuen. Und dafür ist das Leben bekanntlich zu kurz.

Oliver Lehnert ist 34 Jahre alt und wohnt im Saarland. Bisher hat er einige Kurzgeschichten in Anthologien veröffentlicht und arbeitet derzeit an seinem vierten Roman. Zu seinen Hobbys zählen das Schreiben und Lesen sowie körperliche Beschäftigungen wie Fußballspielen und Laufen.

*

Wo das Schicksal hinfällt

Er saß in seinem Büro. Bald hatte er Feierabend, die Arbeit für diesen Tag war erledigt. Er dachte an sein Zuhause, an das Kind, das er jetzt noch bei der Tagesmutter abholen musste. Dieses kleine Mädchen, fünf Jahre alt, war ihm geblieben. Es wurde von Hand zu Hand herumgereicht. Wohl fühlte er sich dabei nicht. Seine Frau hatte er vor einem Vierteljahr durch einen Autounfall verloren. Sie war an der Bordsteinkante gestanden, das Auto hatte sie erwischt, sie brutal umgemäht. Grausam.

Sollte er das Kind in ein Heim geben? Schaffte er das alleine? Er packte seine Sachen zusammen, holte den Autoschlüssel aus der Tasche und ging nachdenklich zum Parkplatz, um zu der Betreuungsstelle zu fahren.

„Papa, Papa“, rief die Kleine, reckte ihre Händchen hoch und lief ihm entgegen. Sollte er dieses Kind in einen Hort geben?

„Wir gehen noch schnell einkaufen. Was möchtest du heute Abend essen?“

„Ein Baguette und Serano-Schinken.“

„So was Tolles? Na, dann will ich mal nicht so sein.”

Sie aßen und tranken zusammen. Danach stellte er das widerwillige Mädchen, das sich gegen Wasser wehrte, unter die Dusche. Schlafanzug an, Zähne putzen, eine kurze Geschichte vorlesen – dann der lange, einsame Abend.

Morgen würde er Freunde anrufen. Aber die gab es nur paarweise. Sollte er sich als fünftes Rad an den Wagen anhängen?

„Morgen ist ein neuer Tag.“ Ein Glas Wein und bleischwer fiel er ins Bett. Das Kind schlief ruhig oben in seinem Bettchen, ausgepolstert mit Kuscheltieren, in seinem rosa und hellblau eingerichteten Zimmer.

Schon früh ging der Wecker. Die Kleine musste zur Tagesmutter gebracht werden. Dort waren noch drei andere Betreuungskinder. Mit denen spielte die Kleine Barbie oder Bauernhof.

„Nimmst du die braune Kuh? Ich nehme die schwarz-gefleckte“, sagte die Kleine.

„Öh, nicht schon wieder. Immer soll ich die kleinere Kuh nehmen. Außerdem steht die nicht so richtig. Bald will ich die nicht mehr“, maulte das andere Kind. Dieses Problem musste erst mit Schmollmund und längerer Sprechpause überdacht werden. Als am Abend der Papa sein Kind abholte, beklagte es sich über die anderen Kinder. Sollte er die Kleine in eine Tagesstätte geben?

Die Lösung kam ihm, als er am nächsten Tag die Zeitung aufschlug. Anzeigen „Tagesmutter“. Er musste eine Betreuungsperson finden, die ins Haus kam – und er fand eine, eine gut ausgebildete, nicht mehr so junge Psychologin, die sich der Kleinen annehmen wollte. Diese Frau hatte allerdings ihre eigenen Vorstellungen hinsichtlich Erziehen, Gehorchen und kleine Pflichten. Die Psychologin und die Kleine fanden keinen Draht zueinander. Sollte er die Kleine ins Heim geben?

Die Zeit verging, die Kleine wurde größer und sie kam in die Schule, eine private, eine mit kleineren Klassen, in denen Lehrer die Kinder besser fördern können. Jetzt musste das Mädchen lernen, trotz Schulhort auch mal eine Stunde alleine zu bleiben. Ab und zu kam eine Klassenkameradin zu ihr nach Hause. Sie machten Schulaufgaben und spielten. Sie spielten Barbie und Ken. „Warum darf ich nicht auch mal die Barbie haben? Der Ken immer mit den langweiligen Hosen, mir gefallen die tollen Kleider von der Barbie viel besser,“ beklagte sich die Freundin.

Frida wohnte allein in einem kleinen Dorf und ihre Cousine noch ein Dorf weiter. Die Cousine war verheiratet und hatte eine Tochter. Unlängst hatte die Cousine einen gut aussehenden Mann kennengelernt. Er lebte in einer größeren Stadt und war allein mit seiner Tochter, die ungefähr so alt war wie ihre eigene. Und den würde sie einladen zu ihrer Gartenparty! Sie wollte Schicksal spielen. Die Cousine lud Frida ein und, da sie seine Telefonnummer hatte, rief sie den Mann an und lud ihn zu ihrer Party ein. Der Abend nahte. Das Wetter zeigte sich von der netten Seite. Es kamen einige Leute, zumeist Paare. Sie unterhielten sich angeregt und standen mit ihren Gläsern oder Appetithäppchen in den Händen zwanglos beieinander. Small Talk und Kennenlernen. Der flott gekleidete Vater mit leicht ergrauendem Haar blieb bei der Cousine der Gastgeberin. Gespräche öffnen und befreien.

Auch die beiden Mädchen hatten sich gefunden. Die angehenden Teenies hatten andere Probleme. „Findest du den Justin gut?“

Frida war eine reizende junge Frau, schlank, hatte schwarze kurze Haare und ein heiteres Lächeln auf den Lippen. Seitdem ihre Eltern vor ein paar Jahren kurz hintereinander gestorben waren, lebte sie solo. Der alleinerziehende Vater dachte an seine sich träge hinziehenden Abende und verabredete sich mit Frida. Seine Tochter konnte an diesem Abend bei der Gastgeberin bleiben. Etwas Freiheit! Es wurde ein netter Abend mit Frida und man verabredete, die Gespräche und den Kontakt, besonders den Kontakt, weiter zu pflegen. Das Schicksal flirtete.

Ein paar Wochen später wohnten Vater und Tochter an den Wochenenden bei Frida. Ruhe und Ausgeglichenheit gingen nun von dem Trio aus. Frida war begeistert von diesem Mann, den sie nach und nach kennenlernte. Er half ihr, wo er nur konnte und er konnte vieles. Er reparierte Gartengeräte, kochte mit und ohne Knoblauch, was Frida besonders dann schätzte, wenn sie Vollzeit arbeiten musste. Ja, er bügelte sogar seine Hemden. Und ein charmanter Liebhaber war er auch. Sie war zufrieden, sie war glücklich, sie war Ende dreißig. Es vergingen einige Monate und beide spürten, dass das Schicksal die Alleinstehende mit dem Alleinerziehenden zusammengeführt hatte. Frida versuchte sich in Erziehung, war verständnisvoll dem Teenager gegenüber, aber auch konsequent. Nicht immer war eitel Sonnenschein, doch der Alltag funktionierte. Das Paar baute an seinem Nest.

Dann kam ein besonderer Tag. „Wir werden im Juni heiraten“, gaben sie im Freundeskreis bekannt. Also noch sechs Monate bis zum Tag X. Es wurden gemeinsam Anzeigen per Computer entworfen, Adressen für Einladungen aufgelistet oder auch gestrichen. Verliebtes Röten der Wangen, strahlende Blicke, hektische Betriebsamkeit. Das Hochzeitskleid suchte Frida natürlich mit ihrer Cousine aus. Es blieb aber das spannende Geheimnis und hing versteckt hinter einem Vorhang. Die Zeremonie wurde noch einmal am Tag vorher eingehend mit dem Pfarrer besprochen. Der freute sich mit dem glücklichen Paar.

Der Morgen des bedeutungsvollen Tages kam. Der Schleier, die Handschuhe, die Tasche, Strumpfband sowie Strümpfe und all die sonstigen kessen Kleinigkeiten lagen an ihrem Platz. Es fehlten noch die Ringe! Die Drei suchten gemeinsam verzweifelt nach der Schachtel. Das konnte doch nicht wahr sein! Auch das Mädchen suchte die Schachtel. Es wirkte unstet und eine leichte Röte überzog sein Gesicht. Es bückte sich und schaute sogar unter die Schränke. Dabei verdeckte sein langes hellblondes Haar das Gesicht. Und das Mädchen war es, das dann letztendlich die Schachtel fand. Aber sie war leer! Leer! Jetzt wurde das Gesicht des Mädchens puterrot.

„Du? Wo sind die Ringe?“

Sein Finger zeigte auf seinen Mund. Es war nicht fähig zu sprechen.

„Wie? Was?“ Ratlosigkeit und Erschrecken in den Blicken des Paares. „Du hast die runtergeschluckt? Die Ringe? Wann?“

„Gestern. Gestern Morgen ...“

Heute war Samstag, heute läuteten die Hochzeitsglocken. Frida und Bernd gingen Hand in Hand mit langen bewussten Schritten zum Traualtar. Der Pfarrer sprach feierliche und gütige Worte. Er segnete das Brautpaar. Die Gäste streuten Blütenblätter von roten Rosen, gratulierten mit herzlichen Worten und wünschten dem Paar viel Glück.

Doris Giesler wurde in Oberhausen-Rheinhausen geboren und machte eine Ausbildung zur Fremdsprachen-Korrespondentin. Schon damals schrieb sie kurze Geschichten für Tierkalender und Zeitungen. Später moderierte sie ehrenamtlich beim Klinikfunk. Sie unterrichtete lernschwache Jugendliche und hielt Lesungen für Kinder. Doris Giesler lebt in Baden-Württemberg. Bisher wurden verschiedene Gedichte und Kurzgeschichten von ihr veröffentlicht.

*

Verliebt, verlobt ...dann kam Marie

Maritta blätterte noch einmal die Einladungsliste für ihre bevorstehende Hochzeit durch. Auf ihren Cousin Ben freute sie sich besonders. Vor zwei Jahren hatten sie noch zusammen hier in München gelebt, bis Ben aus beruflichen Gründen nach Hamburg gezogen war.

Besonders gespannt war sie auf seine große Liebe, von der er schon seit einem halben Jahr schwärmte.

Sebastian kam ins Esszimmer. Maritta sah ihn an. Wärme strömte durch ihren Körper, süß wie warmer Kakao. Ja, sie liebte ihn und freute sich sehr auf ihre Hochzeit. Sie streckte die Hand aus und als er sie nahm, zog sie ihn zu sich heran. Ein inniger Kuss machte Vorfreude auf mehr. Doch er löste sich aus ihrer heftigen Umarmung.

„Tut mir leid, Liebes, ich muss los!“, sagte er bedauernd. „Heute Abend holen wir alles nach“, versprach er mit glänzenden Augen. Sehnsüchtig sah sie ihm nach, wie er die Wohnung verließ.

Sie zählte noch einmal die Gäste, die für ihre Hochzeit zugesagt hatten. Achtundsechzig Personen würden nächste Woche Freitag zum Polterabend auf Gut Georgenberg kommen. Dreißig davon, der engste Kreis, würden über Nacht bleiben und mit ihnen samstags die kirchliche Trauung in Glonn feiern. Dort war eine herrliche, alte Kirche. Sie lag romantisch auf einer kleinen Anhöhe. Genauso wie Maritta sich immer eine Hochzeit gewünscht hatte. Die standesamtliche Trauung wollten Sebastian und sie zwei Wochen später nachholen. Plötzlich klingelte das Telefon.

„Maritta Steiner“, meldete sie sich.

„Guten Tag, hier ist das Brauthaus Horn“, sagte eine freundliche Stimme. „Ihr Kleid ist geändert und sie könnten es abholen.“

„Oh ja, danke“, freute sich Maritta. „Ich komme in den nächsten Tagen vorbei.“ Das Kleid war ein Traum. Eine enge, seidene Korsage ging über in einen üppigen Volantrock mit einer langen Schleppe. Unterhalb des Rückens in Höhe der Hüfte war eine große weiße Schleife angebracht.

Das Telefon klingelte wieder und holte sie aus ihren Überlegungen. „Steiner hier“, meldete sie sich knapp.

„Hey ich bin’s, Tina“, sagte ihre beste Freundin. „Ich wollte nur noch mal kurz hören, ob nächste Woche alles klargeht!“, fuhr sie fort.

„Ja, alles prima“, bestätigte Maritta. „Alle Eingeladenen haben zugesagt. Auch meine Eltern und Schwiegereltern kommen direkt ins Hotel. Dann habe ich hier keine Arbeit!“ Sie sprachen noch einige Minuten über das bevorstehende Fest, bis Tina das Gespräch beenden musste.

Am Nachmittag des Polterabends packte Sebastian das Auto. Das Hochzeitskleid belegte alleine schon einen großen Koffer, damit es nicht zerdrückt wurde. Maritta setzte sich neben ihn auf den Beifahrersitz. „Ich freu mich so“, sagte sie strahlend und küsste ihn auf den Mund.

Sebastian erwiderte den Kuss, doch dann sagte er: „Jetzt müssen wir aber los, sonst sind unsere Gäste noch vor uns da.“ Gut Georgenberg lag dreißig Kilometer von München entfernt. Der Polterabend war ab zwanzig Uhr geplant. Sie kamen um siebzehn Uhr an und wunderten sich, als sie Bens Auto im Hof parken sahen.

„Wow, der muss aber früh losgefahren sein“, bemerkte Maritta. „Ich bin mal gespannt, wie seine Freundin ist! So wie er ständig schwärmt!“

„Wie heißt sie denn eigentlich?“, hakte Sebastian nach, während sie ausstiegen. „Marie“, gab Maritta zur Antwort.

Händchen haltend betraten sie die Lobby.

„Ah, sie sind bestimmt das Brautpaar“, begrüßte sie der Portier freundlich. „Obwohl ich gestehen muss, dass ich schon das hübsche Paar vor ihnen für das Brautpaar gehalten hatte.“

Maritta lachte und sagte. „Ja, das muss mein Cousin mit Begleitung gewesen sein. Wir waren erstaunt, dass sie aus Hamburg schon angekommen sind!“

„So, hier ist jedenfalls unsere schönste Suite für sie!“, sagte der Portier, während er ihnen die Zimmerschlüssel reichte. „Das andere Pärchen sitzt im Restaurant.“ Übermütig nahm Maritta Sebastian an die Hand, zog ihn Richtung Restaurant und sagte: „Komm, wir gehen zuerst zu Ben. Ich kann es kaum erwarten, ihn zu sehen!“

Sie fanden ihn und seine Freundin an der Bar sitzend in ein Gespräch vertieft. Als er seine Cousine entdeckte, sprang er auf.

„Hey, meine Lieblingscousine“, rief er freudig. Maritta blieb abrupt stehen, denn Sebastian stoppte plötzlich. Sie sah sich erstaunt um und wollte gerade etwas sagen, da entdeckte sie seinen Gesichtsausdruck. Offensichtlich starrte er Bens Freundin an, die sich zu ihnen umgedreht hatte.

„Was geht denn hier vor sich?“, dachte Maritta erstaunt und laut sagte sie: „Was ist los, Sebastian?“

Ihr Bräutigam stammelte: „Ach, das ist Marie!“

„Ja und?“, fragte Maritta. „Kennst du sie denn?“

Sebastian nickte.

„Ich war mal mit ihr zusammen“, flüsterte er noch, bevor Ben seiner Cousine um den Hals fiel.

„Hey Sebastian, Maritta, gut seht ihr aus! Ich freu mich total auf eure Hochzeit! Kommt, ich stell euch Marie vor.“ Begeistert führte er beide an die Bar. Sebastian hatte seinen ersten Schock überwunden. Marie schien überhaupt nicht überrascht. Sie strahlte das Brautpaar an und begann ein Gespräch über die bevorstehende Hochzeit. Kurze Zeit später war Marie mit Sebastian in ein Gespräch vertieft, während Ben und Maritta sich unterhielten. Maritta schielte unablässig zu ihrem Bräutigam hinüber.

„Wie diese Marie kokett ihr blondes Haar zurückwirft“, dachte sie misstrauisch. Sie hörte Ben nur mit halbem Ohr zu. Nervös schaute sie auf die Uhr. „Sebastian, wir müssen noch unser Zimmer beziehen, bevor die anderen Gäste ankommen!“, forderte sie ihn auf und zupfte ihn am Arm.

„Oh ja, klar.“ Er fuhr herum und sah aus wie ein Taucher, der gerade wieder aus einem tiefen Meer auftauchte. „Bis nachher“, rief er noch und verließ mit Maritta das Restaurant.

„Ganz ruhig bleiben“, dachte Maritta, während sie auspackte. Das Kleid ließ sie im Koffer, damit Sebastian es noch nicht zu Gesicht bekam. Sie wischte ihr ungutes Gefühl beiseite wie eine lästige Fliege, setzte ihr strahlendstes Lächeln auf und fragte ihn: „Du warst also mal mit Marie zusammen? Wie klein die Welt ist!“

„Ja, sie war meine letzte Freundin vor dir. Nachdem sie sich von mir getrennt hatte, ist sie nach Hamburg gezogen.“

„Ach so, hast du dann keinen Kontakt mehr mit ihr gehabt?“

„Nein, sie hatte die Beziehung ziemlich krass beendet. Ich war sehr verletzt.“

„Hat sie gewusst, dass Ben mein Cousin und das hier deine Hochzeit ist?“

Sebastian nickte. „Ja, sie hat wohl ein Bild von uns gesehen.“

Maritta kramte in ihrem Nachttisch, um ihre Verwirrung zu vertuschen. „Marie hatte gewusst, dass sie hier ihren Exfreund treffen würde! Ziemlich hinterhältig“, dachte sie. Doch sie versuchte, sich dadurch nicht ihre Laune verderben zu lassen. Lautes Gehupe im Hof verkündete die Ankunft neuer Gäste. Maritta sprang ans Fenster, öffnete und winkte ihrer Freundin zu. „Hey, hallo Tina, ich komme runter“, rief sie. Für den Moment war der schale Beigeschmack, den Marie aus Hamburg mitgebracht hatte, vergessen. „Komm Sebastian, wir müssen unsere Gäste begrüßen“, forderte sie ihn auf und hatte die Hand schon an der Türklinke.

„Ja, ich komm gleich nach“, sagte er und verschwand im Bad.

Nacheinander trafen die Eingeladenen ein. Die Feier war schon in vollem Gange, als Ben mit seiner Freundin zum Polterabend erschien. Marie trug ein rückenfreies, enges Kleid. Es war so knapp geschnitten, dass ihre langen Beine viele Männerblicke auf sich zogen. Die beiden schienen sich gestritten zu haben, denn ihre Stimmung war unterkühlt, als sie auf das Brautpaar zutraten.

„Tolle Stimmung“, sagte Ben mit betretener Stimme.

„Ja, kommt und amüsiert euch!“, forderte Sebastian die beiden auf.

„Mmh“, brummte Ben, schnappte sich einen Teller und ging ans Buffet.

Marie blieb unschlüssig stehen, dann säuselte sie: „Holst du mir was zu essen, Sebastian, du weißt doch, was ich gerne mag?“ Unsicher schaute er Maritta an.

„Mach, was du nicht lassen kannst!“, zischte sie und verschwand in der tanzenden Menge. Von dieser Schnepfe würde sie sich nicht ihren Polterabend verderben lassen, nahm sie sich vor. Sie gesellte sich zu ihren Freundinnen, die ausgelassen lachten. Genau das, was sie jetzt brauchte. Schnell war sie abgelenkt und trank ein Glas Sekt nach dem anderen. Doch irgendwann wurde sie stutzig? Wo war eigentlich Sebastian abgeblieben?

Mittlerweile wurde es ja wohl mal Zeit, sich um seine Braut zu kümmern. Sie schaute im Saal herum. Die Tanzfläche war voll. Der DJ, den sie angeheuert hatten, spielte gute Musik und lockte ihre Gäste auf die Tanzfläche. Sie ging hinüber zum Buffet. Verflixt noch mal, wo war er denn?

Da entdeckte sie ihn. Das konnte ja wohl nicht wahr sein! Er saß mit Marie zusammen in einer Ecke und unterhielt sich angeregt. Sie stellte sich neben Sebastian und stemmte wütend die Hände in die Hüfte. „Wie wär’s, wenn du dich auch mal um unsere anderen Gäste kümmern würdest?“, zischte sie.

„Ja klar, entschuldige.“ Betreten stand er auf. „Sollen wir tanzen gehen?“, versuchte er einzulenken. Maritta nickte kühl, warf Marie noch einen vernichtenden Blick zu und folgte Sebastian auf die Tanzfläche. Ausgelassen feierten sie, bis der Morgen graute, doch Marie blieb den Rest des Abends verschwunden.

Am nächsten Tag war die kirchliche Trauung für vierzehn Uhr angesetzt. Nach einem gemeinsamen Brunch mit ihren Gästen zog sich das Brautpaar zurück, um sich für die Hochzeit umzuziehen. Sebastian hatte seinen Anzug bei seinen Eltern im Hotelzimmer deponiert. Dorthin verschwand er. Tina begleitete Maritta, die ihr beim Anziehen des Kleides und beim Schminken helfen wollte.

Erstaunt stellte sie fest, dass ihre Zimmertür nur angelehnt war. Vorsichtig drückte sie sie auf. Sofort fiel ihr Blick auf das Doppelbett. Ihr Brautkleid lag darauf. Das heißt, das, was von ihrem Kleid noch übrig war. Es war in der Mitte durchgeschnitten und die große Schleife lag zerfetzt darüber. Geschockt trat sie näher. Dicke Tränen füllten ihre Augen. Tina nahm sie tröstend in die Arme. „Marie“, war das Letzte, was sie sagte, bevor sie in Ohnmacht fiel.

Klaudia Gräfin von Rank wurde 1967 geboren und lebt mit ihrem Mann und drei Kindern im Frankenland. Sie hat bisher einige Kurzgeschichten und Gedichte in Anthologien veröffentlicht sowie ihre zwei Kinderbücher „Der Raub der Wörter“ und „Hotel Traumwäscherei“ in Papierfresserchens MTM-Verlag.

*

Vorabend

Sanft strich der Wind über ihre Wangen, spielte mit ihrem langen blonden Haar. Das hohe Gras wich wie ehrfürchtig zurück, wenn der weite Rock ihres Kleides vorbeiflog. Lautlos trat ihr Fuß auf, berührte kaum den weichen Waldboden. Doch sie spürt ihn intensiver, als je zuvor. Der Duft der Gräser und Blumen hing in der Luft, grün und frisch, wie das Leben selbst. Uralte Bäume neigten ihre Kronen, als wollten sie sich von ihrer Freundin verabschieden. Blätter schwebten durch die Luft, als trauerten die Bäume um sie.

Nun stand sie inmitten der kleinen Lichtung, die sie so oft aufgesucht hatte, um allein zu sein. Lächelnd besah sie noch einmal all die Schönheit, die diesen Ort so bezaubernd machte.

„Morgen“, schien der Wind zu hauchen. „Morgen wird sich alles ändern.“

Ja, morgen würde sie fortgehen und ein neues Leben beginnen. Doch heute würde sie noch einmal frei sein, noch einmal eins mit der Natur. Noch einmal wollte sie mit all ihren Freunden, den Bäumen, Blumen, Gräsern und Vögeln beisammen sein. Sacht ließ sie sich auf die Wiese nieder, ihre Hände streichelten über die Blumen. Dann brach sie vorsichtig eine von ihnen ab. Ihre Lippen küssten die zartvioletten Blütenblätter. Eine zweite Blume pflückte sie bedächtig und noch eine. Unter ihren Händen begannen sich die Blüten, zu einer kunstvollen Kette zusammenzufügen.

Nachdenklich betrachtete sie ihr Werk, als sie es vollendet hatte, fast etwas schwermütig. Ein Vogel rief ganz in ihrer Nähe. Sie sah zu ihm auf und er begann, aus vollster Kehle zu singen, mit Lebensfreude und Liebe. Sie erhob sich und ließ die Blumenkette hinter sich.

„Ein letztes Mal“, dachte sie, als ihre Hände die alten Bäume berührten, die die Lichtung säumten. Sie spürte das unauslöschliche Leben, das in ihnen war, spürte die Kraft, die von ihnen ausging. Sie lachte leise in sich hinein. Wie einfach war es doch, glücklich zu sein.

Leise Schritte ertönten hinter ihr. Sie wandte sich um und lächelte, als sie sah, wer ihren Wald aufgesucht hatte. Der junge Elf verneigte sich leicht, in seinen Händen hielt er ihre Blumenkette. Seine Augen strahlten und vorsichtig legte er das bunte Gewinde auf ihr Haar.

„Heute kröne ich dich zur Herrin dieses Waldes“, sprach er feierlich, „und morgen kröne ich dich zur Herrin meines Reiches und meines Herzens.“

Sie neigte ihr Haupt und antwortete leise: „Du besitzt mein Herz schon lange.“

„Und doch scheint meine Braut traurig?“, fragte er sanft.

„Es ist so schön hier“, entgegnete sie. „Ich verabschiede mich nur. Aber ich würde dir überall hin folgen.“

„Auch meine Wälder sind schön und wenn du in ihnen wandelst, werden sie zu Paradiesen werden“, versicherte der Elf lachend.

Er nahm ihre Hand, ihre Finger verschränkten sich langsam. Sie blickte in seine Augen und sah seine Liebe, sie spürte seine Treue und Hingabe und fühlte sich auf einmal sehr geborgen.

Er würde immer für sie da sein, das wusste sie jetzt. Sie konnte nicht anders, als zu strahlen. Neben ihm verblasste selbst ihr geliebter Wald. Wie hatte sie nur glauben können, dass sich etwas zwischen ihnen änderte. Sie sah den kleinen Jungen vor sich, mit dem sie im Wald fangen gespielt hatte. Er war immer noch derselbe wie damals.

Jetzt war sie bereit. Sie blickte ihn voll Vertrauen an. Und mit entschiedenen Schritten folgte sie ihm aus dem Wald in eine neue Zukunft an seiner Seite.

Evelyn Steiner wurde geboren 1990 und wohnt in Linz, Österreich. Ihr größtes Hobby Lesen hat sie zum Beruf gemacht: Sie ist Buchhändlerin und schreibt in ihrer Freizeit. Ihr erster Roman heißt „Die große Reise“ und ist als E-Book erhältlich.

*

Ein Hoch dem Brautpaar

Es ist erquickend, herzhaft, toll –

sie haben sich – wie wundervoll!

Besiegelt wird der Liebe Band,

indem das Paar sich reicht die Hand.

Gemeinsam gehen durch das Leben,

dem Liebesglück entgegen streben.

Um das Versprechen zu besiegeln,

sie deshalb zum Standesamte stiefeln.

Dort wird es dann zur Wirklichkeit,

was sie sich wünschen lange Zeit.

Ein Traum wird dann für beide wahr,

sie werden getraut – zum Ehepaar!

Die Liebe soll sie nun stets leiten,

in guten wie in schlechten Zeiten.

Das Paar lebe hoch, oh welch ein Segen,

gemeinsam werden sie dem Leben begegnen.

Kathinka Reusswig wurde 1980 in Hanau bei Hessen geboren. Seit sie zehn Jahre alt ist, schreibt die Studentin der Historischen Ethnologie eigene Gedichte, die seit 2010 in verschiedenen Anthologien erscheinen.

*

Unglück oder Liebe

Warum machte sie das eigentlich? Schon zum vierten Mal in diesem Jahr. Dabei war es erst August und die Post, die sich zu Hause auf ihrem Küchentisch stapelte, verriet, dass es nicht das letzte Mal sein würde.

Unfair war es, einfach unfair!

Jedes Mal dasselbe und zum vierten Mal in diesem Jahr rief sie sich zur Vernunft. Immerhin war es doch ihre Freundin Marie, die da vorne stand und mit ihr den wohl glücklichsten Moment ihres Lebens teilte.

Wie hübsch Marie doch war. Das Kleid und vor allem die Frisur waren perfekt. Nicht so wie bei ihrer eigenen Hochzeit, als der Lockenstab plötzlich seinen Geist aufgab und sie irgendwie improvisieren musste, was ganz gewiss nicht zu ihren Stärken gehörte. Und dann erst das Kleid, ein einziger Albtraum. Zuerst fand sie die Idee ja auch ganz lustig, im Kleid ihrer Oma zu heiraten. Es sah auch wirklich traumhaft aus – nur nicht an ihr. Es war mal wieder die falsche Entscheidung, wie sie im Nachhinein hatte feststellen müssen. Aber kein Wunder: Falsche Entscheidungen zu treffen, gehörte definitiv zu ihren Stärken. Genauso wie der heutige Tag. Warum hatte sie nur zugesagt?

Sie wandte sich wieder den Worten des Pfarrers zu. Dabei fiel ihr Blick auf den Mann an Maries Seite, der vor Glück mit seinem Kaschmiranzug um die Wette funkelte.

Instinktiv musste sie erneut an ihre eigene Hochzeit denken. Schon als sie ihn kennengelernt hatte, war ihr bewusst gewesen, dass ihr Mann alles andere als konform war. An ihrer Hochzeit überraschte er sie im Standesamt im Trikot seines Fußballvereins. Alle hatten sich köstlich amüsiert, nur sie nicht. Eigentlich war sie richtig sauer gewesen. Hatte er nicht schon zuvor angekündigt, dass sie seinen Verein bei einer Hochzeit mitheiraten würde? Sie hatte den Ernst der Lage damals verkannt und nun musste sie sich zusätzlich zu ihrer eigenen Familie, noch mit ihrer Schwiegermutter und dem Fußballverein herumschlagen. Ihre Schwiegermutter war sowieso ein Fall für sich. Aber der Fußballverein war für ihren Mann sein Ein und Alles. Was auch erklärte, warum sie hier gerade alleine saß und ihren verheirateten beziehungsweise verlobten Freunden beim Turteln zusehen musste.

Schließlich hatte ihr Mann ihr heute Morgen ganz entsetzt erklärt, dass er keinesfalls mit zur Trauung könnte, da die F-Jugend (oder war es E?) gegen das Nachbardorf antreten würde. Als sie darüber nachdachte, wusste sie nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sie entschied sich für letzteres, immerhin waren bestimmt schon 70% der Anwesenden zu Tränen gerührt, da würde es gar nicht auffallen. So zückte sie ihr Taschentuch, während das frisch vermählte Paar die Kirche verließ.

Im Sonnenschein stand ihr Mann, notdürftig hatte er sich vom Fußballplatzmatsch befreit und ihr zuliebe auch ein faltiges Hemd aus dem Schrank gezogen. Es schien, als wollte er etwas wieder gut machen. Während den Feierlichkeiten erzählte er stolz von seinem Fußballnachwuchs. Sie musste einen kurzen Moment daran denken, welch Glück und welche Vaterliebe ihren eigenen Kindern einst zuteilwerden würde, sollten sie sich nur ein bisschen für Fußball interessieren.

Als die Stelle kam, an dem das Hochzeitspaar, Rücken an Rücken mit jeweils einem Frauen- und einem Männerschuh bewaffnet, Fragen beantworten mussten, dachte sie an ihr eigenes Fest. Glücklicherweise waren solche Peinlichkeiten an ihr vorübergezogen. Als sie zu ihrem Mann blickte, konnte sie denselben Gedanken in seinem Gesicht lesen. Es grinste sie an und ihr wurde zum vierten Mal in diesem Jahr bewusst, dass es keinen Besseren für sie geben konnte.

Simona Hasselbach, 26 Jahre, lebt mit ihrem Mann in Ludwigshafen am Rhein und arbeitet als Erzieherin. Ihre Freizeit bestimmen vor allem unzählige kreative Ideen.

*

Marga

Es riecht nach feuchtem Holz. Nicht so mild wie im Wald nach einem erfrischenden Regenschauer. Nasses Holz mit einer Spur Chemie. Die Wärme des leise knackenden Heizkörpers treibt den Geruch zusammen mit der heimeligen Raumluft in meine Nase. Vor zwei Wochen hatten Anstreicher die Fensterrahmen neu lackiert. Auch die Wände erstrahlen seitdem wieder in zartem Glanz. So hat es mir Achim erzählt. Ich berühre die kühle Glasscheibe und taste mich mit den Fingern vorsichtig zum Rahmen. Der Lack ist an der Oberfläche rau und wellig.

„Falscher Pinsel“, wäre Hermanns knapper Kommentar gewesen. Hermann, mein kleiner Perfektionist mit seinen Macken und Fehlern. Ich merke, dass sich mein Mund bei dem Gedanken an ihn zu einem leichten Lächeln geformt hat. Was würde ich alles geben und ihm immer wieder verzeihen, wenn er nur wieder bei mir wäre. Nächste Woche hätten wir Diamanthochzeit gefeiert.

Ein monotones, schwaches Klopfen weckt mich. Ich muss eingenickt sein. Das Geräusch ist mir bekannt. Draußen regnet es. Feine, leichte und dünne Tropfen. Ich öffne das Fenster auf Kippe und sauge dieses unbeschreibliche Aroma mit der Note von frischem Gras und Magnolienblüten ein. In der Ferne mault eine Frau: „Halt doch endlich den Schirm gerade!“ Eine Mädchenstimme übt sich unverständlich plärrend im Widerspruch.

Wieder tasten meine Finger zur Scheibe. Ich spüre die leichte Vibration durch die klopfenden Wassertropfen. Auch von innen hat sich ein wenig Feuchtigkeit gesammelt. Es ist Anfang Mai und das Wetter noch sehr wechselhaft. Abgelaufene Tropfen haben sich auf der Fensterbank zu kleinen Pfützen gesammelt. Als kleines Mädchen habe ich in Pommern, wo ich mit meinen Eltern in einem kleinen Gesindehaus wohnte, immer mit den Fingern Wassergemälde auf die Fensterbank geschmiert. Auf dem Hof durfte man bei schlechtem Wetter nicht spielen und den Aufenthalt im Stall hatte uns Kindern der Bauer verboten.

Das Geräusch der Türklinke holt mich aus meinen Erinnerungen zurück. Den Schritten nach kann es nur Achim sein. Eine dunkle Stimme fragt vorsichtig: „Sind sie wach, Frau Czymski?“

Ich nicke. Wie von selbst drehe ich mich schwungvoll im Kreis herum. Mit seinen starken Armen ist es Achim ein Leichtes, meinen Rollstuhl zu wenden. Gerne würde ich einmal sein Gesicht sehen. Die Augenoperation vor zwei Jahren brachte nicht den gewünschten Erfolg. Nur noch flüchtige, dunkle Schatten kann ich erkennen.

Achims Schritte erinnern mich wieder an Hermann. Ausgreifend, lässig, schlurfend und doch immer zielstrebig. Beim Sonntagsspaziergang hatten die Kinder und ich immer Mühe mitzuhalten. Hermann, ein Mann wie man ihn unter tausend nur einmal findet.

Auf dem Flur klappert es metallisch und schrill. Viele fremde Schritte, die ich nicht einordnen kann. Ein Tablett wird kurze Zeit später auf den Tisch gestellt, Tee in die Tasse gefüllt. Abendbrotzeit. „Die Schnitte habe ich wie immer klein geschnitten, Frau Czymski, und die Tabletten befinden sich in der kleinen Schüssel rechts.“ An der Tür dreht sich Achim noch einmal um. Ich bemerke ein Zögern. „Ach, bevor ich es vergesse. Ihre Zimmerfreundin Hildegard wird diese Woche noch nicht aus dem Krankenhaus entlassen. Wasser in der Lunge. Trotzdem einen schönen Abend.“

Widerwillig stecke ich mir ein kleines Stück Brot in den Mund. Der dominierende Geruch von Räucherschinken in Kombination mit der Gewürzgurke nimmt mir den Appetit. Mein Hals schließt sich unwillkürlich und ich muss würgen. Ich lehne mich bequem zurück. In meiner Nase schwebt der fantastische Duft von frischem Grießbrei, den ich meinen Kindern Wolfgang und Marianne immer auf dem Ofen gekocht habe. Vanilleersatz und karamellisierender Zucker. Einfach herrlich und gut. Mein Hermann hatte mir damals aus einer Kur ein Tütchen mit zwei dunkelbraunen Stangen mitgebracht. Echte Vanilleschoten. Für die Kinder und mich ein unbekannter Genuss. Unser Sohn Wolfgang wohnt schon lange nicht mehr in der Nähe. Seine Firma hatte ihren Verwaltungssitz vor drei Jahren nach Süddeutschland verlegt. Vier Monate später dann die neue Wohnung bei Mannheim und der Umzug. Wir telefonieren jeden Sonntag miteinander. Trotzdem bemerke ich die fehlende Zeit. Auch die Themen werden immer eintöniger. Hört er mir eigentlich noch zu?

Was würde ich in diesem Moment für einen Teller Milchsuppe mit Sago geben. Hermann nannte sie immer „Froschaugensuppe“. Nach getaner Arbeit musste etwas Handfestes auf dem Tisch stehen. Wie lange schwärmte er nach unserer Hochzeit noch von der Suppe und dem zarten Braten. Das Knurren im Raum kommt von meinem Magen.

Ich erwache von den Schmerzen in meinen Füßen und Händen. Die Rheumatabletten helfen schon lange nicht mehr. Auf dem Flur ist es noch auffallend ruhig. Hier und da mal ein leises Klappern. Vor dem Fenster begrüßt eine Amsel mit ihrem fröhlichen Lied den neuen Tag. Ich liege noch mindestens eine Stunde unter meiner Bettdecke, die schwer wie Beton wiegt. Während der Morgenwäsche bringt mir Achim schonend die Nachricht vom Ableben meiner Zimmerfreundin Hildegard bei. Irgendwann in der Nacht wollte das Herz nicht mehr. Irgendwie kann mich der Gedanke an den Tod nicht erschrecken. Ganz andere Fragen jagen durch mein Hirn. Wer wird jetzt in mein Zimmer kommen? Mit wem muss ich teilen? Bei Hilde dauerte es auch fast ein ganzes Jahr, bis wir miteinander auskamen.

Achim, der damals alles mitbekommen hatte, meinte irgendwann zu mir: „Die Witwe eines Postbeamten. Da muss man erst lernen, vom hohen Ross abzusteigen.“

Mein Hermann war einfacher Arbeiter. Aber er hatte immer etwas „fürs Alter“ auf die hohe Kante gelegt. Er war immer so vorausschauend und nüchtern planend. Trotzdem reicht es nicht einmal für mein Doppelzimmer im Altenstift. Das ganze Leben stolz darauf, es ohne die Hilfe und das Geld anderer Menschen zu schaffen, und jetzt kommt ein Teil der Kosten von der Pflegeversicherung, meinen Kindern und dem Sozialamt. Ob Hermann alles sieht und mich oben von seiner Wolke aus beobachten kann?

„Aua, Achim, mein Arm.“

Man merkt die Hektik. Zwei Mädels haben sich krankgemeldet und es geht nur noch hopplahopp.

„Für Zimmer 11“, ruft es von der Tür ins Zimmer hinein. Dem Akzent nach Joanna. Leicht polnisch angehauchtes Deutsch. Wie bei meiner besten Freundin in Pommern. Während der Ferienzeit spielten wir immer am Weiher und wurden von den Jungen geärgert. Wenn sie wütend wurde und anfing zu schreien, lachten sie fies und gemein. Ich bewunderte ihr langes schwarzes Haar und die braunen Augen. Für den Fall eines Schauers hatten wir uns einen Unterstand aus Brettern zwischen zwei Birken gebaut. Wie hatte ich mich gefreut, als Hermann sie beim Aufgebot als eine unserer Trauzeugen dabeihaben wollte. Der Regen prasselt auch jetzt wieder vor die Fensterscheibe und in meiner Fantasie sehe ich fremde Kinder im Regen spielen. Wie groß mögen meine Enkelkinder jetzt sein? Lange her, dass sie mich besucht haben.

Vom Flur her schallt wieder dieses nervende, laute Fragen der alten Frau von Zimmer 14. Alzheimer im Endstadium. Und der schräge Otto vom Nebenzimmer hat wie immer wegen seines Hörgeräts das Radio zu laut eingestellt. Mit geschlossenen Augen lausche ich der Melodie „An der schönen, blauen Donau“. Hermann war ein begnadeter Tänzer. Ich schwebte am Tag unserer Hochzeit bei einem Walzer in seinen Armen wie auf Wolke 7. Dann die schwere Nachkriegszeit. Einfach für ein paar Stunden alles vergessen. Nach der Samstagsschicht spielten Rudolf und Hannes im Hinterhof mit ihren Quetschkommoden zum Tanz auf. Wen störte es, wenn wir Frauen mit der Küchenschürze oder Lockenwicklern im Haar unsere Kreise drehten oder die Männer nur Hose und Unterhemd trugen. Für Hermann und mich gab es nichts Schöneres. Wir vergaßen die Welt um uns herum.

Die Tür öffnet sich schwungvoll und kräftig. Bestimmt ist es Sandra von der Mittagsschicht. Tabletts vom Kaffeetrinken abräumen. Aber das sind keine flachen Schlappen. Beim Aufsetzen der Hacke auf den Boden höre ich das eigentümliche Klackern. Pfennigabsätze. Und ein kaum wahrnehmbares Knarren von edlem Leder, dem eine Spur Schuhwichse fehlt. Hermann polierte unsere Schuhe immer mit einem alten Baumwolltuch und etwas Spucke, bis sie glänzten. Ein Windhauch an meinem Arm lässt die kleinen Haare vibrieren. Dieser Luftzug bringt auch Parfümduft mit. „Marianne?“, frage ich zweifelnd. Sie ist es. Abgehetzt zwischen einigen Besorgungen in der Stadt und der Sitzung vom Förderverein der Schule am Vorabend. Ich fühle ein „Etwas“, das in meine Hände gelegt wird. Von diesen Keksen liegen bereits zwei Packungen unangetastet in meiner Nachttischschublade. Trotzdem werde ich es meiner Tochter nicht sagen, dass mir nicht danach ist. Da ist Kokos drin. Das mag ich doch nicht.

Eine Hand, die bereits auch Sorgen und Mühen kennengelernt hat, befindet sich in der meinigen. Ein warmes Gefühl der Dankbarkeit packt mich. Jetzt einfach so sitzen bleiben. Nach einer Viertelstunde bemerke ich jedoch wieder diese Unruhe im Raum. Marianne muss gehen. „Kommst du morgen wieder?“

„Och Mutti, Mensch. Ich kann doch nicht jeden Tag bei dir verbringen. Ich muss noch zwei Maschinen Buntes aufsetzen und Hemden bügeln. Morgen früh sitze ich beim Friseur mindestens wieder drei Stunden wegen der Dauerwelle. Die Kinder haben einen schulfreien Tag und mir das Versprechen zum Pizzaessen abgerungen. Nachmittags werde ich froh sein, wenn ich endlich meine Füße hochlegen und etwas fernsehen kann. Erst gestern war ich noch auf dem Friedhof und habe frische Blumen in die Vase gestellt.“ Ich heuchle Verständnis, obwohl ich eigentlich gar nicht will. Marianne wird nächste Woche auch keine Zeit haben. Und an den Tag unserer Diamanthochzeit wird sie auch nicht denken. Die Tür schließt sich und es ist wieder sehr still im Raum. Ich bin wieder allein und ertappe mich, wie ich in Gedanken meinen goldenen Ehering am Finger drehe und dabei wie immer dieses schöne Kribbeln in der Magengegend spüre.

Ob sich Hermann über die Blumen am Grab freut? Ich glaube kaum. Er hasste zeitlebens Friedhöfe und Beerdigungen. Einzig meinen Brautstrauß aus Wildblumen und Hafergeflecht mochte er. Wie zärtlich er eine rote Blüte vor der Kirche noch in meinen Rundzopf steckte. Lange stand der getrocknete Strauß auf der Anrichte. Ich freue mich schon auf den Tag, wenn ich wieder bei ihm bin und neben ihm auf seiner Wolke sitze. Ob man im Himmel noch einmal Hochzeit feiern darf?

Martin Philip lebt seit seiner Geburt (1960) in Gelsenkirchen. Er hat ein Kinderbuch über den kleinen Drachen Grömmel und seine Freunde geschrieben, das 2013 in Papierfresserchens MTM-Verlag erschienen ist.

*

Wir sind eins

Wunderbare Stimmen sind in der Luft,

stark wie der Wind,

sanft wie eine Morgenbrise.

Zwischen Tag und Traum

überschreiten wir die Ebene.

Ein Silberstreif am Horizont.

Sternschnuppen regnen vom Himmel.

Du erinnerst mich an ein Wunder

und was richtig ist.

Ich erinnere dich daran, wie man

Dankbarkeit spricht

und was Ehrfurcht ist

Wir erinnern uns daran,

dass wir wirklich Liebe sind.

Schenke mir Frieden.

Höre diese göttlichen Worte: „Ich bin dein.“

Spüre es: Wir sind eins.

Unsere Füße auf heiligem Grund und Boden.

Du ahnst, wie balde es wahr sein wird.

Und lauschst in dich hinein:

Wir sind bereit.

Alles für die eine Nacht,

die uns ins Licht führt.

Und dir mein tiefstes und geheimstes Leben offenbart.

Susanne Ulrike Maria Albrecht wurde am 3. November 1967 in Zweibrücken geboren. Von ihr erschienen bereits zahlreiche Werke in Anthologien und Literaturzeitschriften. Soeben wurde „Verdächtige und andere Katastrophen“ veröffentlicht.

*

Mandelsplitter

Ein Löffel Haferbrei kann alles verändern.

Vierunddreißig Weihnachten lang hatte Rasmus diesen Satz gehört, an die ersten Jahre konnte er sich zwar nicht bewusst erinnern, aber er hatte keinen Zweifel daran, dass die Geschichte, die seine Eltern jedes Jahr erzählten, auch damals erzählt worden war. Die Weihnachtstradition, dass der, der eine Mandel in seinem Haferbrei entdeckt, im kommenden Jahr heiraten würde, war ihm daher nur zu bekannt. Seine Eltern etwa heirateten im März, nachdem sein Vater die Mandel in seinem Brei entdeckt hatte. Und dass hier das Schicksal zugeschlagen hatte, wurde seitdem jedes Weihnachten aufs Neue erzählt.

Im vergangenen Jahr war es nun Rasmus gewesen, der beim Essen die Mandel in seinem Brei gefunden hatte. In all den Jahren davor hatte das Schicksal einen seiner dreiundzwanzig Verwandten vorgezogen, die sich allweihnachtlich bei Tante Agnes einfanden. Das Schicksal hatte folglich reichlich Auswahl gehabt, um die Mandel zu platzieren, bis sie schließlich doch in seinem Teller, auf seinem Löffel und letztlich in seinem Mund landete, wo sie das Ausmaß eines Ziegelsteines anzunehmen schien, je häufiger er sie über seine Zunge rollen ließ. Er dachte an die Blicke seiner Familie, die auf ihm ruhen würden, wenn er verkündete, dass er die Mandel gefunden hatte, und er hörte innerlich bereits alle lachen, sich freuen und planen. Seine Hochzeit. Seine und die von Finja.