Verloren im Abbild des Kriegers - Daniela Vogel - E-Book
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Daniela Vogel

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Beschreibung

Die junge Restauratorin Raelyn MacLeod ist in einem Waisenhaus aufgewachsen. Sie weiß so gut wie nichts über ihre Wurzeln, nur dass man sie dort gefunden hat und sie eine Kette mit einem Bernsteinanhänger um ihren Hals trug. Als man in der National Gallery of Scotland eine Kiste mit Artefakten aus dem 18. Jahrhundert entdeckt, bekommt sie den Auftrag die Objekte für eine Ausstellung vorzubereiten. Raelyn ist vollkommen fasziniert von den Dingen, die sich in ihr befinden. Doch allein schon das Testament des Besitzers wirft Rätsel auf. Als sie schließlich ein Schwert aus der Kiste in ihre Hände nimmt, wird sie in die Zeit seines Trägers hineingezogen: Alexander Cameron, auf den sie dort trifft. Raelyn ist dermaßen schockiert, dass sie das Schwert fallen lässt und dadurch in ihre eigene Zeit zurückkehrt. Doch diese erste Begegnung soll nicht ihre Letzte bleiben ...

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Verloren im Abbild des Kriegers

 

 

 

Daniela Vogel

 Buchbeschreibung:

Die junge Restauratorin Raelyn MacLeod ist in einem Waisenhaus aufgewachsen. Sie weiß so gut wie nichts über ihre Wurzeln, nur dass man sie dort gefunden hat und sie eine Kette mit einem Bernsteinanhänger um ihren Hals trug.

Als man in der „National Gallery of Scotland“ eine Kiste mit Artefakten aus dem 18. Jahrhundert entdeckt, bekommt sie den Auftrag die Objekte für eine Ausstellung vorzubereiten. Raelyn ist vollkommen fasziniert von den Dingen, die sich in ihr befinden. Doch allein schon das Testament des Besitzers wirft Rätsel auf. Als sie schließlich ein Schwert aus der Kiste in ihre Hände nimmt, wird sie in die Zeit seines Trägers hineingezogen: Alexander Cameron, auf den sie dort trifft. Raelyn ist dermaßen schockiert, dass sie das Schwert fallen lässt und dadurch in ihre eigene Zeit zurückkehrt. Doch diese erste Begegnung soll nicht ihre Letzte bleiben ...

Hinweise zum Urheberrecht

Das gesamte Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Reproduktion, Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung (auch auszugsweise) in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder andere Verfahren) sowie die Einspeicherung, Vervielfältigung und Verarbeitung mithilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt und auszugsweise, ist ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Autorin untersagt.

 

 

Impressum

Texte:

            © Copyright by Daniela VogelUmschlag

            © Copyright by Casandra Krammer

Verlag

            Daniela Vogel

            Nordstraße 52

            47169 Duisburg

            [email protected]

            1. Auflage

Verloren imAbbild des Kriegers

 

 

 

Von Daniela Vogel

 Prolog

Die Nacht war schwarz wie das Gefieder eines Raben. Der Mond hatte sich hinter den dunklen Wolken verkrochen, so als wolle er nicht mit ansehen, was unter ihm geschah. Ein Sturm peitschte die Wellen des Meeres gegen die schroffen Gestade, sodass die Gischt mannshoch an die Mauern des großen Bergfrieds schlug. Zwischen das gespenstische Heulen des Windes mischte sich immer wieder vereinzeltes Donnergrollen, das bis in die Grundfesten des Gemäuers drang. Selbst in der kleinen Kammer, die sich weit innerhalb dieser Mauern befand, konnte man die tosende Urgewalt hören, die bedrohlich ihre Kreise um die Burg zog.

Sie seufzte leise, als ein weiterer Donnerschlag die Mauern erneut zum Beben brachte. Es war, als versuchte das Wetter ihr vor Augen zu führen, wie es tief in ihrem Innern gerade aussah. Doch es waren nicht ihre, sondern die Gefühle ihres Gefährten, die ihr lautstark zu verstehen gaben, dass die Zeit gekommen war, in ihr eigentliches Leben zurückzukehren. Dieser Sturm hier war erst der Anfang, doch schon er zeugte davon, dass das Ende infernalisch werden würde, wenn sie noch länger zögerte. Obwohl er selbst sich bisher oft genug desselben Vergehens schuldig gemacht hatte und sie es jedes Mal würdevoll erduldete, wog ihres weit schwerer als die Seinen, denn ihre als vermeintliche Rache gedachte Liaison mit dem Laird dieser Burg, war zu weit mehr geworden, als beabsichtigt. Es war eine Sache, es jemandem mit gleicher Münze heimzahlen zu wollen, eine ganz andere war es jedoch, es dann auch tatsächlich so weit kommen zu lassen. Zumal es einen gravierenden Punkt gab, den sie völlig außer Acht gelassen hatte: Ihre Gefühle! Wie auch hätte sie erahnen können, dass diese gerade jetzt, nach all den langen Jahren ohne sie plötzlich zurückkehren würden, und das mit einer Urgewalt, wie noch niemals zuvor.

In ihren Augen schimmerten Tränen, als sie sich letztendlich zu dem schlafenden Mann, der neben ihr auf den weichen Fellen lag, hinunterbeugte und ihm einen Kuss auf die Lippen hauchte. In diesem Moment schlug er die Augen auf.

»Du willst mich also wirklich verlassen?«, flüsterte er leise, während seine Hand nach ihrem Arm griff. Wieder seufzte sie, dabei wandte sie sich von ihm ab, damit er die Tränen, die ungehindert über ihre Wangen flossen, nicht sah. »Bleib! Bitte!« Seine Bitte war mehr ein Flehen, als eine bloße Aufforderung.

»So gerne ich dir deinen Wunsch auch erfüllen würde, du weißt, dass ich das nicht kann«, entgegnete sie ihm, ohne sich zu ihm umzudrehen. Seine Hand wanderte zaghaft über ihren Nacken zu ihrer Wange.

»Sieh mich an! Ich möchte, dass du mir in die Augen siehst!«

»Mach es uns doch nicht noch schwerer, als es ohnehin schon ist«, gab sie leise zurück. »Du wusstest von Anfang an, dass die Zeit, die wir uns gestohlen haben, nicht ewig andauern würde. Du weißt auch, dass ich eine Aufgabe zu erfüllen habe. Ich muss zurück! Ich gehöre nicht hierher und werde es auch niemals! Obwohl ich es mir mehr wünsche, als ...«

»Dann bleib! Auch ich wünsche es mir mehr als ...«

»Ich kann nicht!«, unterbrach sie ihn, während sie Anstalten machte, sich von dem Bett zu erheben. Doch er hielt sie mit seiner anderen Hand fest und hinderte sie auf diese Weise am Aufstehen. Zaghaft wandte sie sich ihm zu und sah ihm mit tränenverhangenen Augen in die Seinen. »Bitte!«, flüsterte sie leise. »Wenn du mich jetzt nicht gehen lässt, dann bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich es überhaupt noch einmal wagen werde.«

»Dann wage es nicht! Du weißt, dass du ... Wenn nicht für dich, dann für mich! Für uns!« Er ließ sie für einen Augenblick los, nur um seine Arme um sie zu schlingen und sie zurück auf das Bett zu ziehen. Als er jedoch ihren Widerstand bemerkte, hielt er abrupt inne. »Du willst mich demnach wirklich verlassen?« Sie nickte zaghaft, dabei starrte sie ihn genauso verzweifelt an, wie er sie. Aus seinen Augen sprach Unglaube, Angst und eine Trauer, die man in einem Mann wie ihm kaum vermutet hätte. Er war die ganze Zeit, die sie inzwischen mit ihm verbrachte, ihr Fels in der Brandung, ihr Anker und ihr sicherer Hafen gewesen, doch nun geriet dieser Fels offensichtlich ins Wanken, so als hätte die Flut ihn unterspült. Und das alles wegen ihr! Denn sie war es, die ihm soeben den Boden unter den Füßen entzog und sein Herz brach. Erneut seufzte sie. Dann beugte sie sich zu ihm hinunter und küsste ihn. Er hielt sie in seinen Armen gefangen, presste sie so fest an seinen Körper, als wäre es das Letzte, was er zu tun gedachte. So als gäbe es kein Morgen. Und genauso war es ja auch. Für sie beide würde es kein Morgen geben. Nie mehr!

Der Kuss ließ sie alles um sich herum vergessen. Wer sie war. Was sie war. Warum sie überhaupt fort wollte. Doch ein einzelner Donnerschlag, der die Mauern erneut erzittern ließ, brachte sie unsanft zurück in die Wirklichkeit. Erschrocken beendete sie den Kuss und sah ihn erneut an.

»Hörst du ihn? Er tobt vor Wut. Wenn ich seinem Drängen nicht nachgebe, dann ist kein Lebewesen auf dieser Burg mehr sicher. Er wird nicht eher ruhen, bis alles, was dir gehört, von Grund auf zerstört ist. Willst du das wagen? Willst du um meiner willen deine Leute wahrhaftig dieser Gefahr aussetzen?« Er öffnete seinen Mund, um ihr etwas zu entgegnen, doch sie legte sanft ihren Finger auf seine Lippen, und gebot ihm auf diese Weise zu schweigen. »Ich weiß, dass du mir jetzt entgegnen willst, dass du vor nichts und niemandem Furcht hast. Vermutlich stimmt das sogar, aber diesmal solltest du Angst haben. Es ist keine Armee, die dich und die Deinen bedroht, sondern eine höhere Macht. Mein Gemahl wird eine Niederlage niemals dulden. Auch wenn es sich dabei nur um die in der Gunst seiner Frau handelt«, erneut traten Tränen in ihre Augen. »Du bist und wirst auf ewig meine große Liebe bleiben, doch so schwer es mir auch fällt, die Zeit des Abschieds ist gekommen.« Er wollte erneut etwas erwidern, doch sie schüttelte ihren Kopf. »Sag jetzt nichts! Du brauchst es nicht auszusprechen, ich weiß es auch so. Bevor ich dich jedoch für immer verlasse, habe ich ein Geschenk für dich. Es wird dich an mich erinnern und dich beschützen. Hier!« Sie zog ein braun-gelbes seidenes Banner aus ihrem Gewand, das mit roten Punkten versehen war, und reichte es ihm. »Wenn die Not am größten ist, dann entfaltet es. Es wird euch vor allem Übel schützen, denn in ihm wohnt ein Teil meiner Macht, die ich dir hiermit schenke. Genauso«, fügte sie noch leise hinzu, »wie auch du mir einen Teil von dir geschenkt hast.« Mit diesen Worten löste sie sich vor seinen Augen auf und verschwand. Das Gewitter und der Sturm schlossen sich ihr an, als wären sie untrennbar mit ihr verbunden gewesen. Der Mond entblößte sein Antlitz und es kehrte Ruhe und Frieden ein. Doch nicht für ihn! Mit ihr war ein Teil seiner Seele verschwunden. Der Teil, der ihn fest mit all dem verband, was ihn einst ausgemacht hatte. In diesem Moment wurde ihm klar, dass er nie mehr derselbe sein würde. Sein Leben hatte mit ihr seinen Sinn verloren und einen Neuen zu finden erschien ihm mehr als unwahrscheinlich.

 1

Raelyn MacLeod blitzte ihren Gegenüber wütend an. In dem kleinen Büro, in dem sie saßen, stapelten sich Kisten und Akten auf dem Boden. Die Regale waren zum Bersten mit diversen Papieren und allerlei Kleinkram vollgestopft, der vermutlich, obwohl es nicht gerade den Eindruck erweckte, ein Vermögen wert war. Einige vereinzelte Sonnenstrahlen versuchten sich, durch die halb heruntergezogenen Jalousien, ihren Weg ins Innere zu bahnen. Dort, wo sie auf das scheinbare Chaos trafen, sah man die Staubflocken in der Luft tanzen. Es war so stickig, dass Raelyn nur schwer ein Husten unterdrücken konnte.

»Das kann nicht dein Ernst sein! Du hast mir ausdrücklich zugesagt, dass ich diesmal alleine den Auftrag bekomme. Von einem Partner war nie die Rede.«

»Erstens ist es kein Partner, sondern eine Partnerin und zweitens geht es nicht anders.«

»Was soll das heißen, es geht nicht anders. Ich bin die Beste und das weißt du ganz genau. Hat unser Auftraggeber Angst, ein so junges Ding wie ich könnte mehr zerstören als kitten?« William Stuart Leiter der Restaurationsabteilung der „National Gallery of Scotland“ fuhr sich verlegen mit einer Hand über seine Halbglatze. Raelyn deutete dies als stumme Zustimmung und seufzte leise. »Ich verstehe nicht, dass du mich nicht vor solchen absurden Theorien verteidigst. Du hast doch schon mehrfach gesehen, was ich leisten kann«, die Enttäuschung, die in ihren Worten mitklang, war kaum zu überhören.

»Rae das Ganze ist ein wenig komplizierter. Ich brauchte dich nicht zu verteidigen. Er weiß selbst, dass du die Beste auf deinem Gebiet bist und dass du trotz deines Alters alle anderen aus der Abteilung in die Tasche steckst, einschließlich mir. Aber er hat trotzdem darauf bestanden, zwei Personen zu beauftragen. Der Auftrag ist viel zu umfangreich für einen allein. Die Kiste, die sie gefunden haben, enthält mehr als ein Dutzend Bilder, dazu allerlei Schmuck und einige Gegenstände, die ebenfalls nicht gerade in einem hervorragenden Zustand sind. Gordon beabsichtigt, den größten Teil davon noch vor Jahresende in die Sammlung aufzunehmen. Das heißt für uns, wir haben noch nicht einmal ein halbes Jahr, um alles so weit in Ordnung zu bringen, dass wir sie der Öffentlichkeit preisgeben können.« Raelyn stöhnte. Gordon MacLachlan war der Kurator der Jakobitenausstellung des Museums. Jemand der, wenn er sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, es auch bis zum bitteren Ende durchzog.

»Dann sind die Dinge alle aus der Jakobitenzeit?«, Will nickte.

»Spätes 17. Jahrhundert bis Mitte 18. Jahrhundert. Sie wären wirklich eine Bereicherung für unsere Ausstellung!«

»Aber warum der Termindruck?«

»Weil der ursprüngliche Besitzer der Dinge darauf bestanden hat, sie noch in diesem Jahr in die Ausstellung aufzunehmen.«

»Hast du mir nicht erzählt, dass sie die Kiste erst vor kurzen entdeckt haben? Dass sie durch die Renovierungsarbeiten und den Umzug damals verschollen war und dass niemand den ursprünglichen Besitzer kennt? Wie kann es da sein, dass er auf einen Veröffentlichungstermin besteht?«

»Das ist ja das Kuriose! In der Kiste lag ein Brief, der genaue Anweisungen enthält, was mit den Fundstücken geschehen soll.«

»Was ist daran kurios? Viele Sammler verfügen, was nach ihrem Ableben mit ihren Besitztümern geschehen soll. Ob testamentarisch durch einen Anwalt beglaubigt, oder noch zu Lebzeiten ist dabei völlig gleichgültig. Dann hat der vorherige Besitzer eben so ein Schreiben mit in die Kiste gelegt. Verständlich bei den Werten, die darin enthalten sind.«

»Da hast du vollkommen recht, aber ...«

»Was aber?«

»Gorden hat mir diese Kopie hier zukommen lassen und sie ist nicht nur merkwürdig, sondern geradezu mysteriös.« Ohne auf Raelyns Antwort zu warten, öffnete Will seine Schreibtischschublade und zog eine braune Mappe heraus, die er Raelyn anschließend in die Hand drückte. Als sie diese öffnete, glaubte sie, ihren Augen kaum zu trauen. Das Schriftstück, dessen Kopie sie nun in der Hand hielt, war alt. Sehr alt! Deutlich selbst auf der Kopie an den vergilbten Rändern zu erkennen. Es war mit der Tinte aus einer Feder geschrieben, denn das Schriftbild zeigte einige Unregelmäßigkeiten, die bei modernen Stiften nicht mehr so ausgeprägt zu erkennen waren. Es war auf den 31. Oktober 1746 datiert. So weit, so gut! Doch der Inhalt ließ sie an der Echtheit zweifeln. Der erste Teil des Schreibens war noch nachvollziehbar. Es handelte sich um eine Aufstellung der in der Sammlung enthaltenen Gegenstände. Dann jedoch wurde es nicht nur mysteriös, wie Will es so schön ausgedrückt hatte, sondern beinahe unheimlich. Raelyn musste die Zeilen mehrfach lesen, um überhaupt zu begreifen, was dort stand:

Ich vermache den gesamten Inhalt dieser Kiste der „National Gallery of Scotland“ unter der Voraussetzung, dass die Gegenstände, die sich in ihr befinden, bis zum Ende des Jahres 2018 a.D. in die dortige Jakobitenausstellung aufgenommen werden. Ferner bestimme ich, dass Raelyn MacLeod mit der Aufarbeitung und Restauration meines Nachlasses beauftragt wird. Sie wird wissen, warum. Sollten Sie einer meiner Forderungen nicht nachkommen, dann wird noch vor Ablauf der Frist, eine von mir beauftragte Person dafür Sorge tragen, dass die Gegenstände für alle Zeit verschwinden und niemals an die Öffentlichkeit gelangen.

Raelyns Hände zitterten, während sie die Zeilen immer wieder überflog. Wenn das Schriftstück echt war, dann konnte der Verfasser unmöglich ... Die „National Gallery of Scotland“ wurde erst im Jahr 1859 eröffnet, also mehr als hundert Jahre nachdem der Brief verfasst wurde, und sie selbst? Woher kannte der ominöse Besitzer der Kiste überhaupt ihren Namen? Woher wusste er, dass mehr als 250 Jahre nach seinem Ableben jemand wie sie geboren wurde, der noch dazu in der „National Gallery“ arbeitete? Verdammt!

»Und weißt du warum?«, Wills Stimme riss sie unsanft aus ihren Gedanken. Sie zuckte leicht zusammen, dann wanderte ihr Blick unwillkürlich von dem Schriftstück auf das Gesicht ihres Bosses, der sie jetzt grinsend anstarrte.

»Was?«, entgegnete sie ihm, so als hätte sie ihn nicht verstanden.

»Ich habe dich gefragt, ob du weißt warum. Der Besitzer der Kiste scheint auf jeden Fall davon auszugehen.«

»Machst du Witze? Woher soll ich wissen, warum? Da hat sich jemand einen gewaltigen Scherz mit euch erlaubt. Das Schreiben kann nicht echt sein.«

»Es ist aber echt! Gordon hat die Bestandteile analysieren und eine Strukturanalyse durchführen lassen.«

»Das sagt doch noch gar nichts aus. Gute Fälscher finden immer eine Möglichkeit, an Originalpapier aus der Zeit zu kommen.«

»Wie erklärst du dann aber die Tatsache, dass die Radiokarbondatierung der Tinte ebenfalls die Echtheit bestätigt hat?«, bohrte Will nach, dabei wurde sein Grinsen noch eine Spur breiter.

»Woher soll ich das wissen? Vielleicht hat unser ominöser Schreiber ja noch ein Fläschchen Tinte in seinem Keller gehabt und es benutzt.«

»Rae, du glaubst doch nicht ernsthaft, dass sich unsere Spezialisten und sogar unsere Labore allesamt irren?«

»Nein«, gab sie zähneknirschend zu. »Aber der Inhalt des Schreibens ist mir völlig unerklärlich.«

»Es sei denn«, fiel ihr Will mit einem Augenzwinkern ins Wort. »Du kannst durch die Zeit reisen und hast es selbst geschrieben.«

»Will, ich bitte dich!«, Raelyn war sichtlich entrüstet.

»Das sollte ein Scherz sein!«, gab Will lachend zurück. Im Gegensatz zu ihm war Raelyn nicht gerade zum Lachen aufgelegt.

»Kein besonders Guter«, gab sie noch wütender zurück.

»Beruhige dich, Mädchen. Ich weiß, dass du mit dem Schriftstück nichts zu tun hast, auch wenn du vermutlich die Einzige hier in der Abteilung bist, die eine dermaßen grandiose Fälschung zustande bringen würde. Aber dein Blick, als du es gesehen hast, sprach förmlich Bände und außerdem glaube ich kaum, dass du so dumm wärst, einen derartigen Text zu fälschen.«

»Apropos Text! Mir ist aufgefallen, dass der Sprachstil viel zu modern für das 18. Jahrhundert ist.«

»Nicht nur dir! Jedem, der sich ein wenig mit Urkunden aus dieser Zeit beschäftigt, fällt das sofort auf. Auch Gordon, deshalb hat er ...«

»Und was jetzt? Will er, dass du mich entlässt? Nur aufgrund eines Verdachts?«

»Nein, nichts dergleichen. Er will nur nicht, dass du dich alleine mit der Kiste befasst. Ich denke, er traut dir das Ganze durchaus zu, aber da er keine stichhaltigen Beweise hat, gilt im „Zweifel für den Angeklagten“. Deshalb hat er angeordnet, dass dich Mary Fitzpatrick begleiten wird.«

»Mary Fitzpatrick?«, Raelyn sprang entrüstet auf. »Du weißt, wie sie zu mir steht! Außerdem ist sie so unfähig, dass ich genauso gut einen von der Straße mitnehmen könnte! Wahrscheinlich wäre er mir sogar eine größere Hilfe, als sie es je sein kann. Wenn sie nicht ständig mit Gordon auf der Matratze landen würde, hätte er sie schon längst entlassen. Er ...«

»Beruhige dich Kind!«, unterbrach Will ihre Tirade. »Sieh es doch einfach so. Er schickt dir sein persönliches Betthäschen, damit sie auf dich aufpasst. Da sie aber ansonsten nicht viel mehr zustande bringt, als ein Neuling aus dem Erstsemester, liegt die ganze Arbeit bei dir und genau das wolltest du doch. Wenn du wirklich nichts mit dem Schriftstück zu tun hast, dann wird sie es schnell merken und es Gordon erzählen, der dir daraufhin freie Hand lässt. Nimm das notwendige Übel in Kauf und die Lorbeeren, die am Ende vergeben werden, gehören allein dir.«

»Du hast gut reden. Mary hasst mich! Sie wird nichts unversucht lassen, mir einen reinzuwürgen.«

»Dann gib ihr keinen Anlass dazu. Rae es geht noch nicht einmal um ein halbes Jahr. Ihr braucht ja nicht die besten Freundinnen zu werden, aber es wäre angebracht, eure Zwistigkeiten erst einmal so lange ad acta zu legen.«

»Sag das nicht mir! Ich bin nicht diejenige, die ständig intrigiert!«

»Jetzt ist Schluss!«, Will sprang nun ebenfalls wütend auf. »Keine Diskussionen in Sachen Personal mehr«, schrie er sie an. »Gorden hat entschieden und du beugst dich seiner Entscheidung oder ich entziehe dir den Auftrag. James wird sich freuen, wenn er ihn übernehmen kann. Er wartet nur darauf! Hast du mich verstanden?« Rae schnaubte vor Wut. Ihre Blicke trafen sich. Es war ein wortloses Duell, in dem ein jeder versuchte den anderen mit seinem Blick niederzuringen, doch da Will nun einmal ihr Boss war und somit am längeren Hebel saß, seufzte Rae schließlich und nickte.

»Gut!«, bemerkte Will daraufhin schon ein wenig gelassener. »Wenn das geklärt ist, dann solltest du jetzt gehen. Du hast gleich einen Termin in der „Scottish National Portrait Gallery“ und du weißt, dass mein geschätzter Kollege dort Unpünktlichkeit wie die Pest hasst. Du solltest dich deshalb tunlichst beeilen.« Mit diesen Worten ließ er sich erneut auf seinen Stuhl sinken, nahm ihr die Mappe aus der Hand, legte sie zurück in die Schublade, drückte diese unüberhörbar zu und drehte dann demonstrativ den Schlüssel in ihrem Schloss. Seine Art, ihr deutlich zu zeigen, dass die Angelegenheit für ihn damit erledigt war und sie sich besser auf den Weg machen sollte. Sie schluckte den bissigen Kommentar, der ihr auf der Zunge lag herunter, machte auf dem Absatz kehrt und verließ wortlos das Büro. Dass die Tür hinter ihr mehr als lautstark ins Schloss fiel, war ihr in diesem Moment völlig gleichgültig.

 2

Raelyn stampfte wütend durch die schier endlosen Korridore. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Ausgerechnet Mary Fitzpatrick! Dieses Biest hatte schon während ihrer gemeinsamen Ausbildung nichts unversucht gelassen, sie vor ihren Professoren unmöglich zu machen.

Wahrscheinlich lag es in erster Linie daran, dass Mary von Berufswegen in der Hauptsache Tochter ihres mehr als wohlhabenden Vaters war und Raelyn demgegenüber ein Waisenkind mit einem Stipendium. Wäre Will nicht gewesen, dann hätte sie vermutlich nicht einmal ihr erstes Jahr mit ihr überstanden. Dementsprechend wütend und enttäuscht war sie nun. Will wusste doch nur zu gut, wozu Mary fähig war! Bereits an ihrem ersten Tag an der Uni hatte sich herauskristallisiert, dass Mary sie, ohne ersichtlichen Grund, geradezu hasste.

Im Gegensatz zu ihr wohnte Mary damals nicht auf dem Campus der Uni, sondern in der etwas außerhalb von Edinburgh gelegenen Villa ihres Vaters. Sie war mit ihrem fabrikneuen Porsche auf den Campus gerauscht, hatte sich dreist auf den Parkplatz des Dekans gestellt und war dann in ihrem Designeroutfit an allen anderen vorbeistolziert. Ein mehr als deutliches Zeichen, Rae und ihren Mitstudenten zu zeigen, was sie von ihnen Mitstreitern hielt

Mary benahm sich so, als stelle allein schon ihre bloße Anwesenheit ein Privileg für die gesamte Studentenschaft dar. Nicht aufgrund ihres Könnens, sondern weil ihr Vater einer der Hauptsponsoren der Uni war. Allem Anschein nach bildete sie sich deshalb ein, dass die gesamte Universität ihr in gewisser Weise gehörte. Dementsprechend herablassend behandelte sie ihre Kommilitonen.

Besonders auf Raelyn hatte sie es abgesehen. Das arme Waisenkind mit leichtem Sprachfehler, das fast ausschließlich in Secondhandklamotten herumgelaufen war, war wie geschaffen für ihre verbalen Attacken. Damals hatte zu allem Überfluss Raelyns mangelndes Selbstwertgefühl ihrer Kontrahentin obendrein den Boden für ihr Treiben geebnet. Obwohl Rae als Waisenkind das Gefühl auf Ablehnung zu stoßen, nicht fremd war, hatte es sie dennoch zutiefst getroffen. Und es traf sie noch immer! Auch wenn sie sich inzwischen einbildete, eine selbstbewusste, junge Frau zu sein, denn Mary brachte es mit ihren gutgewählten, verbalen Angriffen selbst heute noch fertig, den letzten Rest ihrer Selbstsicherheit zu zerstören.

Allerdings nicht mehr ganz so oft wie früher, da Rae inzwischen ihrer Kontrahentin weitestgehend aus dem Weg ging. Damals jedoch war das nicht so leicht möglich gewesen, da sie beide fast die gleichen Vorlesungen besuchten.

Als Mary schließlich in dem Glauben war, dass all ihre bissigen Bemerkungen an Raelyn abprallten, war sie jedoch entschieden zu weit gegangen. Sie gab sich nicht mehr mit bloßen verbalen Attacken ab. Nein, damit war sie nicht mehr zufrieden! Stattdessen fing sie an, Raes Arbeiten hinterrücks zu sabotieren. Verunreinigte Farben, verschwundene Arbeitsmaterialien und mit Sekundenkleber unbrauchbar gemachte Pinsel waren da noch die geringeren Übel.

Raelyn war von Anfang an klar gewesen, dass Mary hinter all ihren Missgeschicken stecken musste. Ganz im Gegensatz zu ihren Professoren, die aufgrund all der kleinen Peinlichkeiten und Malheure, die nur ihr widerfuhren, zu dem Schluss gekommen waren, dass Rae vollkommen unfähig wäre. Dass sie deshalb dem Dekan und der Fachbereichskommission ans Herz gelegt hatten, ihr das Stipendium zu entziehen, um es einer weitaus talentierteren und zuverlässigeren Studentin zu überschreiben, setzte dem Ganzen dann die Krone auf --...

Rae seufzte. Wenn sie heute an diese Zeit zurückdachte, erschien sie ihr noch immer wie einer ihrer schlimmsten Albträume, der anscheinend von neuem beginnen sollte. Sie seufze erneut. Mary Fitzpatrick! Ausgerechnet Mary!Ihre Gedanken wanderten unwillkürlich wieder in jene Zeit.

Kurz vor der Konferenz, die die Entscheidung herbeiführen sollte, war William auf der Bildfläche erschienen. Er hatte Praktikanten für das Museum gesucht und Mary zufällig dabei erwischt, wie sie gerade wieder eine von Raelyns Arbeitsproben manipulierte. Mary bekam daraufhin eine Abmahnung und wurde für ein Semester vom Unterricht suspendiert. Und oh Wunder, in diesem Semester entwickelte sich Raelyn zur Besten ihres Jahrgangs. Sie erhielt das begehrte Praktikum in der „National Gallery“ und nach ihrer Promotion mit „Summa cum laudem“, dort auch eine Festanstellung. In dieser Zeit war Rae geradezu aufgeblüht. Sie wurde von ihren Kollegen hochgeschätzt und William wurde zu ihrem Mentor und väterlichen Freund.

Bis vor einem Jahr, aufgrund einer horrenden Spende ihres Vaters, Mary plötzlich wieder in ihr Leben trat. Seitdem verging keine einzige Woche, ohne diverse Anfeindungen und Intrigen ihrerseits. Und da sie Gordon durch ihr kleines Tête á Tête bereits um den Finger gewickelt hatte, war es buchstäblich offensichtlich, wer ihm den Floh ins Ohr gesetzt hatte, sie beide zusammenarbeiten zu lassen.

Hätte Will nicht einfach auf Susan, mit der sie in den letzten Jahren schon mehrfach zusammengearbeitet hatte, bestehen können? Warum beugte er sich gerade jetzt Gordons Willen, wenn er es doch normalerweise auch nicht tat?

»Verdammt!«, entwich es ihr. Fast das gesamte nächste halbe Jahr versprach die Hölle zu werden und wenn sie nicht wollte, dass ein anderer den Auftrag bekam, dann gab es für sie kein Entrinnen.

Sie rüstete sich bereits innerlich gegen all die mit Gewissheit kommenden Angriffe aus Marys Giftspritze, denn dass Mary sich bei dieser Gelegenheit an ihr rächen würde, weil sie ihr immer noch die Schuld an ihrem ungewollten »Urlaubssemester« gab, war so sicher wie das „Amen“ in der Kirche. Nur wie und wann, das würde sich noch zeigen.

Raelyn unterbrach abrupt ihren Gedankengang, als sie begriff, wohin ihre Füße sie ungewollt getragen hatten. Wie immer, wenn sie wütend oder verwirrt war, war sie wieder einmal unbewusst vor einem bestimmten Gemälde gelandet: Dem Bildnis, das sie von ihrem ersten Tag in der „National Gallery“, magisch in seinen Bann zog, obwohl sie nicht genau wusste, warum.

Bei dem Bild handelte es sich um den Streit von Oberon und Titania, gemalt von Sir Joseph Noel Paton. Dargestellt wurde eine Szene aus Shakespeares »Sommernachtstraum«, in der sich Titania und Oberon um ein Wechselbalg stritten. Das Kind versteckte sich hinter Titanias Rücken, derweil Oberon ihr mit wehendem Umhang Vorhaltungen machte. Umringt wurde das Paar von mehr als Einhundert Elfen und Feen, zu denen sich Kobolde und allerlei Getier gesellte. Die Szene wirkte auf sie irgendwie verstörend und gleichzeitig faszinierend. Obwohl das gesamte Szenario in den Wäldern vor Athen spielte, hatte sie das Gefühl, dass ihr etwas daran merkwürdig bekannt vorkam.

Lag es am Ort, an den Feen oder an der dargestellten Situation? Sie konnte es nicht sagen. Vielleicht aber lag es ja auch daran, dass die Szene ein Detail beinhaltete, was sie sich in ihrer Kindheit oftmals herbeigesehnt hatte. Die beiden Hauptpersonen stritten sich um das Kind, vor dem Titania schützend stand. Wie sehr hatte sie sich in ihrer Kindheit gewünscht, dass jemand sich auf dieselbe Weise vor sie stellte, wenn die Widrigkeiten des Lebens wieder einmal voll zuschlugen. Doch solche Personen hatte es in ihrer Vergangenheit nicht gegeben, bis auf Anni, aber ihre Freundin war ebenfalls eine Waise und nur ein paar Jahre älter als sie. Selbst als Annabelle sich vor sie gestellt hatte, hatten die Erwachsenen ihr nicht geglaubt und sie sogar dafür bestraft. Erst als William so unerwartet aufgetaucht war, war jemand in ihr Leben getreten, der sich nicht bloß vor sie stellte, sondern auch den nötigen Einfluss hatte, ihr Leben um Einiges leichter zu machen. Doch wieso gerade dieses Bild? Es gab unzählige Gemälde von glücklichen behüteten Kindern, die von ihren Geschwistern und Eltern umringt wurden und so das Gefühl von Geborgenheit und Liebe beim Betrachter auslösten. Das Gemälde von Paton dagegen tat nichts dergleichen. Denn trotz Titanias Schutz wirkte das Kind irgendwie verloren und deplatziert.

Bevor sie noch weiter ins Grübeln geraten konnte, riss Raelyn sich gewaltsam von dem Anblick los und setzte sich erneut in Bewegung. Dass ihre Schritte immer schneller wurden und sie das letzte Stück Weg bis zum Ausgang fast schon rannte, bemerkte sie dabei nicht.

 3

»Wie konntest du mir das nur antun? Wo hast du sie hingebracht? Oder hast du sie getötet? Hasst du sie dermaßen, dass du so weit gehen würdest? Wenn du jemanden unbedingt bestrafen willst, dann bestrafe mich! Ich war es, der dir das Alles angetan hat, nicht sie! Warum lässt du sie dann für mein Vergehen büßen? Sie ist ein unschuldiges Kind! Verdammt! Ich rede mit dir, also dreh mir nicht den Rücken zu, sondern sieh mich an!« Ihre Stimme überschlug sich fast vor Wut und war so laut, dass sie in einem dröhnenden Echo von den Wänden widerhallte. Dann trat Stille ein. Eine bedrückende Stille, die an seinen Nerven zerrte. Es war ihm weitaus lieber, wenn sie schrie und tobte. Damit konnte er umgehen, nicht aber mit ...

Die Stille zog sich schier endlos in die Länge. Plötzlich jedoch spürte er ihre Hand, die sich zaghaft auf seine Schulter legte und den Hauch ihres Atems in seinem Nacken. Er zuckte fast unmerklich zusammen, so als hätte ihre sanfte Berührung ihn verletzt, dann atmete er tief ein. Es kostete ihn eine Unmenge Überwindung, sie auch weiterhin scheinbar zu ignorieren, denn wenn sein Plan gelingen sollte, dann musste er sie in dem Glauben lassen, dass er der rachsüchtige Hundsfott war, für den sie ihn hielt. Ihr nicht sofort die Wahrheit zu sagen, war seine einzige Chance. Die einzige Möglichkeit zu retten, was noch zu retten war,

Sie ging davon aus, dass seine Rachsucht ihn antrieb. Doch da irrte sie gewaltig. Nicht seine Rachsucht hatte ihn dazu getrieben, ihr das zu nehmen, was ihr mehr bedeutete als ihr Leben, sondern seine Liebe. Kaum zu glauben, aber dennoch wahr. Und wenn sein Plan gelang, dann ... Seine eisblauen Augen glühten für einen Moment auf, bevor er lautstark ausatmete und ihr schließlich scheinbar widerwillig den Gefallen tat und sich ihr zuwandte.

»Ich weiß, dass sie ein unschuldiges Kind ist. Aber war er das nicht auch?«, bemerkte er bitter.

»Er war erwachsen und hat seine eigenen Entscheidungen getroffen!«, entgegnete sie ihm achselzuckend. »Was dann geschah, war sein Schicksal!«

»Ein Schicksal, dass du ihm auferlegt hast!«

»Ich? Was habe ich damit zu schaffen?«

»Was du damit zu schaffen hast?«, er war außer sich vor Wut. »Wer hat mir denn untersagt, ihm zu helfen? Wer wollte nicht, dass wir uns in die Belange der Menschen einmischen? Wer hat aus bloßer Angst vor was auch immer, das Tor zwischen ihrer und unserer Welt verschlossen und mir für eine scheinbar endlos lange Zeit meine Fähigkeiten genommen?«

»Ich hatte meine Gründe! Außerdem konnte es jederzeit wieder geöffnet werden und deine Fähigkeiten waren noch nicht einmal einen Monat eingeschränkt!«, schrie sie zurück.

»Eingeschränkt nennst du das! Du hast mich geradezu magisch kastriert! Ich war ...! Ich war ...! Verdammt! Ein Monat hier entspricht fast einem Menschenleben, wie konntest du nur? Und sicher! Das Tor wurde wieder geöffnet, nur nicht zu dem Zeitpunkt, als ich es von dir verlangt habe«, erwiderte er, ebenfalls schreiend.

»Was beschwerst du dich? Du hast ihn doch noch einmal gesehen!«, sie senkte leicht ihre Stimme.

»Aufgebahrt! Als es bereits zu spät war!«, entgegnete er ihr noch immer schreiend. Dass er ihr dabei einen entscheidenden Teil der Wahrheit vorenthielt, war nur gerechtfertigt, denn auf diese Weise würde ihr das, was er plante, noch mehr zusetzen. Deshalb fuhr er innerlich grinsend, aber noch immer mit wutverzerrter Mine, fort.

 »Du wusstest, dass ich ohne meine Fähigkeiten nicht ...!«, seine Stimme wurde mit einem Mal gefährlich leise »Hättest du mir meine Fähigkeiten nicht ein wenig früher zurückgeben können, dann hätte ich ...«, in seinen Worten lag nunmehr nichts weiter als Resignation und Enttäuschung.

»Und das Risiko eingehen, dass du nicht nur ihn rettest, sondern sie zerstörst und dich obendrein an ihrem Vater rächst? Du weißt, dass ich bis nach ihrer Geburt warten musste, denn ...«

»Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich ihre Geburt verhindert hätte«, unterbrach er sie. »Jedes Kind ist kostbar, auch wenn es ein Bastard ist. Meines eingeschlossen! Aber er war dir ja schon immer ein Dorn im Auge. Du konntest es nicht ertragen, dass meine Rache an dir Früchte getragen hat. Gib es endlich zu!« Sie starrte ihn eine Weile einfach nur wütend an, dann jedoch nickte sie fast unmerklich.

»Ja, ich konnte es nicht ertragen und ich habe ihn gehasst«, gab sie schließlich zu. »Aber nicht weil er dein Bastard war, sondern weil du dich fortwährend zu seiner Mutter geschlichen hast. All deine anderen menschlichen Verfehlungen konnte ich dir verzeihen, aber nicht diese. Sie war mehr für dich! Du warst mit ihr glücklich und das, nachdem du mein eigenes Glück zerstört hast.«

»Du warst also glücklich mit deinem kleinen Laird? Und jetzt gibst du mir die Schuld, dass du ihn verlassen hast. Machst du es dir da nicht ein wenig zu einfach?«

»Einfach?«, jetzt schrie sie ihn an. »Wer hat denn so lange getobt, bis ich keinen anderen Ausweg mehr sah? Ich wollte vermeiden, dass er deinen Zorn zu spüren bekommt.«

»Ach ja und deshalb hast du mich durch eine erbärmliche Hinterlist eines Teils meiner Kräfte beraubt. Aber ich muss dich enttäuschen, du hast einen gewaltigen Denkfehler in deinen Ausführungen. Du vergisst, dass die Zeit bei uns vollkommen anders verläuft, als in ihrer Welt. Wenn ich es gewollt hätte, dann hätte ich deinen geliebten Alasdair bereits kurz nach deiner Rückkehr zerstören können. Du hättest es noch nicht einmal bemerkt. Aber warum sollte ich mich an ihm vergreifen, wenn doch du diejenige warst, die mein Zorn traf. Außerdem hattest ganz allein du schon bewerkstelligt, was ich niemals gekonnt hätte. Ich musste mich nur noch zurücklehnen und genießen. Kaum zu glauben, aber dein Fortgehen hat ihn mehr getroffen, als das, was ich ihm hätte zufügen können. Hast du dich jemals gefragt, was aus ihm geworden ist, nachdem du ihn verlassen hattest? Oder war deine Liebe doch nicht so groß zu ihm, wie du mich glauben machen willst?«, er wartete ihre Antwort gar nicht erst ab, sondern sprach einfach weiter.

»Weißt du, wie man ihn in seinen späteren Jahren genannt hat? Alasdair „Crotach“ oder der „Buckelige“. Zu meinem Bedauern war sein Beiname allerdings nicht die Folge seines Kummers, sondern die einer Verwundung, die ihn nur noch leicht gebückt gehen ließ und zeit seines Lebens hemmte. Ein Jammer, was in Schlachten aus wohlgestalteten, kräftigen Männern werden kann«, seine Worte trieften von Hohn.

»Als er starb, war er ein verbitterter alter Mann, der in einem Kloster lebte. Ja, aus deinem stattlichen, gutaussehenden, kleinen Sterblichen, der dir so gerne und oft zu Willen war, wurde ein vergrämter, alter Krüppel, der das Leben nur noch als Qual ansah.

Weißt du eigentlich, dass er dich nie vergessen hat? Noch heute zeugen der Feenturm von Dunvegan und die Feenbrücke, die er für dich erbauen ließ, von seiner Besessenheit von dir. Aber hat es dich geschert? Nein, du zogst dich in dein Gemach zurück und lecktest deine Wunden. Hast du während dieser Zeit überhaupt jemals das Bedürfnis gehabt, in ihre Welt zurückzukehren? Ich denke nicht. Also rede du mir nicht davon, dass ich dein Glück zerstört hätte, denn so glücklich wie du es vorgibst gewesen zu sein, warst du nicht!

Aber um es dir noch deutlicher zu machen, denn anders verstehst du es anscheinend nicht und wirst es mir bis in alle Ewigkeit vorhalten, werde ich dir auch noch erzählen, was anschließend aus deinem Geliebten wurde. Er hat Jahrzehnte auf dich gewartete, doch du kamst nicht zu ihm zurück. Erst als er das endlich begriff, heiratete er. Da hatte er allerdings seine besten Jahre bereits hinter sich. Wie dem auch sei, wenigstens sorgte er noch dafür, dass sein Geschlecht nicht ausstarb.

Doch nun kommt das Erstaunlichste. Anstatt sich seines Daseins zu freuen und den Rest seiner Jahre zu genießen, wurde er so verbittert, dass er vor nichts mehr zurückschreckte. Ihm ist es zu verdanken, dass sein ältester Sohn William als „William of the cave“ in die Geschichte einging. Du erinnerst dich vielleicht, ach nein, du kannst dich ja nicht erinnern, weil du dich nicht weiter um ihn geschert hast und dich ...«, er brach mitten im Satz ab, als er hörte, wie sie aufgrund seiner bissigen Bemerkung leise seufzte und ihm dann den Rücken zukehrte. Es dauerte einige Zeit, bis sie sich wieder zu ihm umdrehte. Das sie litt, war mehr als deutlich, aber sie hatte es nicht anders verdient. Deshalb fuhr er trotz der Tränen, die in ihren Augen schimmerten, einfach fort.

»Dein geliebter Alasdair war derjenige, der ihm den Befehl zu dem Massaker an den MacDonalds auf der „Isle of Eigg“ gab. Es heißt, er hätte zu seinem Gott gebetet, damit er ihnen beistünde. Welcher Gott, so frage ich dich, kann wollen, dass 395 Menschen in einer Höhle ersticken, unter ihnen auch Frauen und Kinder und vor allen Dingen, welcher Mann? Wo war seine von dir so gepriesene Sanftmut, als er seinem Sohn den Befehl dazu gab? Wo war sein Mitgefühl?

Du siehst also, nichts auf dieser Welt ist schwarz oder weiß. Niemand ist ausschließlich gut oder böse. Wir nicht und die Menschen erst recht nicht!

Aber weiter: Auf jeden Fall vergrub sich der gute Alasdair anschließendin einem Kloster und baute mehrere Kirchen. Ich weiß nicht, ob er seinem Gott dadurch danken wollte, oder aber ihn um Vergebung anflehen, auf jeden Fall starb er dort, einsam und von aller Welt verlassen. Wie du siehst, war es vollkommen unnötig mich an ihm zu rächen, denn sein Leben war auch ohne mein Zutun bemitleidenswert genug.« Für eine Weile starrten sie sich nur schweigend an.

»Du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet«, begann sie nach einer Zeit das Gespräch von neuem, ohne jedoch auf seine Ausführungen einzugehen.

»Ich weiß!«

»Hast du sie ...?«

»Nein! Ich habe sie nicht getötet, wenn du mich das fragen willst. Ich habe sie dir lediglich genommen und sie vor deinen Blicken verborgen.«

»Bitte zeig sie mir!« Man konnte ihr ansehen, wie schwer es ihr fiel, ihn um etwas zu bitten. Er sah sie auch weiterhin nur schweigend an, dabei entspannten sich seine Gesichtszüge ungewollt. Als er es schließlich bemerkte, verhärteten sie sich aber genauso schnell wieder zu einer grimmigen Maske.

»Nein!«, seine Stimme klang härter als beabsichtigt.

»Werde ich sie jemals wiedersehen?«

»Oh, das wirst du, meine Liebe! Du wirst sie sehen, früher als du es erwartest, doch nicht so, wie du es dir vielleicht erhoffst.«

 4

Die zehnminütige Wegstrecke bis zur „National Portrait Gallery“ schaffte Raelyn in der Hälfte der Zeit. Als sie ankam, parkte dort bereits Marys rotes Cabriolet. Raelyn seufzte laut, dann betrat sie das 1889 eröffnete Museum. Obwohl sie sich normalerweise, wenn sie in dem Gebäude etwas zu erledigen hatte, immer eine Zeit lang in der großen Halle aufhielt, um die Gallery, die von Spitzbögen getragen wurde, zu bewundern, hatte sie heute keinerlei Augen für die Schönheit, die sie umgab. Sie hetzte durch die Halle und verlangsamte ihre Schritte erst, als sie in den Gang, in dem Ron Bannets Büro lag, einbog. Dort angekommen, blieb sie vor der geschlossenen Tür stehen, atmete noch einmal kräftig durch und hob dann ihre Hand, um anzuklopfen, doch mitten in der Bewegung hielt sie plötzlich inne. Aus dem Innern des Raumes, sogar durch die geschlossene, dicke Eichentür deutlich zu hören, waren die Stimmen einer Frau und eines Mannes, die sich lautstark stritten. Die Weibliche war unverkennbar Marys, denn ihr penetrantes Gekeife kannte Raelyn nur zu gut. Die Andere gehörte ohne Zweifel zu Ron Bannet.

»Ich habe Ihnen schon mehrfach gesagt, dass ich Ihnen die Kiste nicht aushändigen werde.«

»Mr. Bannet, Gordon hat mir die Befugnis erteilt, sie in Empfang zu nehmen. Ich bin seine persönliche Assistentin und ...«

»Und wenn sie die Kaiserin von China wären, Gordon hat erst das Recht über den Inhalt der Kiste zu verfügen, wenn wir mit unserer Arbeit fertig sind. Wir, damit meine ich Williams und mein Team. Sowohl er als auch ich sind der Meinung, dass ...«

»Gordon wird über Ihre mangelnde Zusammenarbeit nicht gerade erfreut sein. Er ...«

»Gordon kann mich mal! Sie können Ihrem arroganten Boss bestellen, dass, wenn er sich weiterhin in Angelegenheiten einmischt, die nicht in sein Ressort fallen, er sich die Ausstellung der Artefakte abschminken kann. Ich bin es so leid, dass er, nur weil er meint, über uns anderen zu stehen ...«

»Ich werde mit meinem Vater über Ihre mangelnde Kooperation reden und dann ...«

»Sie wollen mir drohen? Das wird ja immer schöner! Verschwinden Sie auf der Stelle!«

»Sie ...!«

»Raus hier habe ich gesagt, und zwar schleunigst. Was bilden Sie sich eigentlich ein? Sie erscheinen hier bei mir in ihrem Designeroutfit und meinen nur aufgrund der Tatsache, dass Ihr Vater großzügiger Weise ein paar Pfund für uns erübrigt hat, mir vorschreiben zu können, wie ich meine Arbeit zu machen habe? Sie ...«

»Das wird ein Nachspiel für Sie haben«, unterbrach sie ihn brüsk.

»So, wird es das? Das werden wir noch sehen! Und jetzt raus hier, und wagen sie es bloß nicht wieder hier aufzutauchen. Nicht solange ich hier das Sagen habe!«

Raelyn konnte hören, wie Marys Stilettoabsätze nun heftig den alten Parkettboden malträtierten, bevor die Tür vor ihrer Nase aufgerissen wurde und Mary fast in sie hineinrannte. Als sie realisierte, dass Raelyn vor ihr stand, blitzte sie sie giftig an.

»Freu dich bloß nicht zu früh, MacLeod!«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ich weiß, dass du alles mit angehört hast und dir wahrscheinlich schon die Hände reibst. Aber glaube ja nicht, dass ich es dir so leicht machen werde. Hier hat Bannet zwar das Sagen, aber wenn wir die Kiste erst einmal in unser Gebäude geschafft haben, dann wird sich noch zeigen, wer hier den Ton angibt.« Mit diesen Worten zwängte sie sich an Rae vorbei und eilte den Gang hinunter. Das laute Geschepper ihrer Absätze war auch noch zu hören, als sie schon längst aus Raelyns Blickfeld verschwunden war.

Wie immer, wenn Rae auf Mary traf, war sie völlig sprachlos. Das war mal wieder so typisch! Wieso schaffte sie es bloß nicht, Mary einmal die Stirn zu bieten? Wieso kuschte sie immer vor ihr und warum fiel ihr einfach nichts Passendes auf ihre bissigen Bemerkungen ein?Weil du in ihrer Gegenwart noch immer die kleine Studentin bist, die sich nicht traut gegen ihre Intrigen vorzugehen und weil du trotz all deiner Bemühungen das Selbstbewusstsein einer gemeinen Stubenfliege hast, beantwortete sie sich selbst ihre Frage.

In den letzten Jahren ohne Marys Gegenwart hatte Rae schwer an sich gearbeitet. Ihr Sprachfehler war verschwunden und auch die Secondhandklamotten ihrer Schul- und Studienzeit gehörten der Vergangenheit an. Mit der wachsenden Anerkennung ihrer Kollegen hatte sich auch ihr Selbstbewusstsein endlich gesteigert und das hässliche Entlein von einst mauserte sich nun fast schon zu einem stolzen Schwan. Aber wirklich nur fast! Denn sobald sie in eine Situation geriet, die sie auch nur im Entferntesten an ihre Kindheit erinnerte, bröckelte nicht nur ihre mühsam aufgebaute neue Fassade, sondern sie wurde vollends eingerissen. Genauso, wie auch jetzt wieder.

Rae war nicht in der Lage sich zu bewegen, sie starrte völlig geistesabwesend auf den inzwischen leeren Flur. Erst als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte, kam sie wieder halbwegs zur Besinnung.

»Es tut mir leid, dass du es wieder abbekommen hast!«, Rae hörte zwar die Worte, war aber nicht richtig in der Lage sie auch zu begreifen.

»Was?«, entgegnete sie irritiert.

»Ich sagte, ..., ach was, komm erst einmal herein. Wir müssen die Angelegenheit ja nicht mitten auf dem Flur besprechen.« Die Hand auf ihrer Schulter schob er sie nun sanft in das Büro. Erst in diesem Moment wurde ihr in vollem Umfang bewusst, dass Ron ihr entgegengegangen war und sie behutsam in sein Büro schob. Sie starrte ihn eine Weile schweigend an, dann gab sie sich einen Ruck und betrat den Raum, derweil Ron die Türe hinter ihnen beiden schloss.

»Ich denke, ich bin dir eine Erklärung schuldig!«, hob er an, während er durch den Raum zu seinem Schreibtisch lief und sich auf den ledernen Drehstuhl setzte.

»Du bist mir gar nichts schuldig! William hat mir deutlich zu verstehen gegeben, dass mich eure Interna nichts angehen.« Rae ließ sich auf einem der Sessel ihm gegenüber nieder.

»Oh doch, ich möchte nicht, dass du einen falschen Eindruck von der Sachlage bekommst.«

»Welchen falschen Eindruck?«, merkwürdigerweise waren ihre Hemmungen und Selbstzweifel, die sie noch vor wenigen Sekunden geradezu gelähmt hatten, wie weggeblasen. »Es ist doch wohl offensichtlich, dass ihr mir nicht traut und deshalb ...«

»Ich versteh, dass du wütend bist!«, gab er zurück.

»Ich bin nicht wütend, ich bin bloß enttäuscht! Gerade dir und William hätte ich niemals zugetraut, dass ihr ...«

»Moment mal, Kindchen«, in Rons Augen trat ein wütender Glanz, sein Tonfall allerdings blieb ruhig. »Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass wir mit Gorden einer Meinung sind. Hier traut dir Keiner eine solche Eskapade zu, obwohl du, wie du selbst weißt, durchaus dazu in der Lage wärst. Wenn jemand hier ein falsches Spiel spielt, dann deine hochgeschätzte Kollegin, die gerade so bühnenreif abgerauscht ist. Nur, dass sie nicht die nötige Kompetenz besitzt, eine derartige Täuschung auch durchzuführen.« Rae nickte.

»Und jetzt?«

»Jetzt lassen wir uns etwas einfallen, damit diese Schlange ihr Gift nicht unkontrolliert verspritzen kann. Ich weiß nicht, was du von unserem Gespräch vorhin mitbekommen hast.«

»Nur, dass du sie zum Teufel geschickt hast«, diesmal nickte Ron.

»Wenn es nach mir ginge, würde ich dieses Biest bis auf den Mond jagen, doch leider fehlen mir dazu die Mittel. Aber Spaß beiseite, dann hast du also mitbekommen, was sie von mir wollte?«, wieder nickte sie.

»Sie wollte die Kiste.«

»Die ich ihr nicht geben werde!«

»Aber wie willst du verhindern, dass sie sie trotzdem bekommt? Wenn wir das Ding erst einmal in die „National Gallery“ geschafft haben, dann werden Gordon und ihr Vater schon dafür sorgen, dass sie das gesamte Projekt an sich reißt.«

»Und genau das müssen wir verhindern, denn sonst gibt es eine Katastrophe! Ihre Inkompetenz würde das Projekt nicht nur gefährden, sondern vermutlich auch einige der Artefakte zerstören. Ich weiß bis heute nicht, wie sie überhaupt ihren Abschluss geschafft hat, wahrscheinlich nur dank Papas großzügiger Spende«, die letzten Worte spie er geradezu aus. »Aber wie dem auch sei, sie darf die Gegenstände auf keinen Fall in ihre rotlackierten Klauen bekommen, dazu steht zu viel auf dem Spiel.« Rae sah ihn fragend an. Ron errötete leicht, als er merkte, dass ihr Blick auf ihm ruhte, räusperte sich leise und fuhr dann fort, als wäre nichts gewesen.

»Wie du ja mitbekommen haben wirst, habe ich Mary nicht nur des Büros verwiesen, sondern sie auch aus dem Gebäude gejagt. Und meine Äußerung, sie nicht mehr hier sehen zu wollen, war wörtlich gemeint. Wenn sie sich hier noch einmal blicken lässt, dann befördere ich sie eigenhändig wieder hinaus.« Ein verschmitztes Grinsen erschien auf seinem Gesicht. »Worauf mein kleiner Exkurs aber eigentlich abzielen soll, ist: Will und ich hatten vorhin ein äußerst ergiebiges Gespräch. Wir wissen beide, dass eine Zusammenarbeit mit Mary nicht gerade förderlich für dein Seelenheil wäre und somit auch nicht für das Unsrige. Da wir aber bestmögliche Ergebnisse von dir sehen wollen und dies besonders schnell, haben wir uns etwas überlegt. Ich bin zwar ebenfalls Angestellter der »National Museen«, aber Gorden hat in meiner Abteilung so gut wie keine Befugnisse. Da die Kiste hier gefunden wurde, fällt alles, was mit ihr zusammenhängt in meine Zuständigkeit.

Um dir ein bisschen mehr Luft zu verschaffen, haben wir deshalb beschlossen, dass du mit deiner Arbeit erst einmal hier beginnst. Nicht nur, um die Gegenstände zu sichten, sondern auch mit ihrer eigentlichen Restauration. Ich leihe dich sozusagen für dieses Projekt von William aus«, er machte eine kurze Pause, um seine Worte erst einmal wirken zu lassen, dann sprach er weiter. »Auch in unserem Gebäude befinden sich hervorragende Ateliers und es war niemals die Rede davon, dass du die Restaurationen unbedingt in der „National Gallery“ machen musst, sondern nur davon, dass du sie machen sollst. Wo, ist dabei völlig gleichgültig. Wir werden also versuchen, dir Mary solange wie nur eben möglich vom Hals zu halten, während du in aller Ruhe arbeiten kannst.

Des Weiteren haben wir beschlossen, dass James zu deiner Unterstützung ebenfalls von mir ausgeliehen wird. Er weiß es schon und wartet nur darauf, dir zur Hand gehen zu können.« Er sah Rae fragend an. »Ich denke, das ist auch in deinem Sinne.« Auf Raes Gesicht erschien ein breites Grinsen.

»Ob das in meinem Sinne ist? Machst du Witze? Ich habe mich die ganze Zeit auf dem Weg hierher gefragt, wie ich das restliche Jahr mit Mary einigermaßen unbeschadet überstehen kann. Von den ganzen Sabotageakten, die ich befürchtet habe, mal ganz zu schweigen.«

»Dann bist du demnach mit unserem Arrangement einverstanden?« Rae nickte abermals.

»Mehr als das! Mir ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Stein vom Herzen gefallen.«

»Und James geht für dich auch in Ordnung?«

»Er ist neben mir einer unserer besten Restauratoren. Klar bin ich mit eurer Wahl einverstanden.«

»Das dachte ich mir. Da das ja nun geklärt ist, zeige ich dir jetzt deinen neuen Arbeitsplatz und Rae, ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit.«

 5

Nach ihrem Gespräch führte Ron Raelyn durch einige Gänge, bis sie schließlich in einem Korridor landeten, an dessen Ende eine Treppe nach unten führte. Unmittelbar vor den Stufen war eine massive Eisenkette mit einem Schloss befestigt, an der ein Schild mit der Aufschrift »Zugang nur für Personal« hing. Ron öffnete das Schloss und drückte ihr dann den Schlüssel in die Hand.

»Den wirst du in nächster Zeit brauchen. Die beiden anderen Schlüssel an dem Bund sind für das Atelier und die Seitentür. Aber komm erst mal weiter.«

Das erwähnte Atelier entpuppte sich als ein riesiger Kellerraum, der trotz seiner kleinen vergitterten Fenster taghell erleuchtet war. Um diesen Effekt zu erzielen, hatte man über ein Dutzend Lampen an der Decke angebracht, die leise vor sich hin surrten. Auf einer Reihe Staffeleien standen einige Ölgemälde in den verschiedensten Restaurationsstufen und überall lagen diverse Werkzeuge und Utensilien herum. Der größte Blickfang allerdings war eine riesige, hölzerne Kiste, die sich in der Mitte des Raumes befand. Sie erinnerte Rae eher an einen grob zusammengeschusterten Sarg, als an ein Aufbewahrungsobjekt für Artefakte, denn sie war nicht viereckig, wie sie vermutet hatte, sondern länglich mit einem leicht gewölbten Deckel. In einer kuriosen Weise wirkte die Kiste in dem hellen Raum völlig deplatziert, so als gehöre sie überall hin, nur nicht in diesen Raum.

Rae ging langsam auf die Kiste zu.

»Ist sie das?«, Ron nickte. »Sie ist riesig!«

»Genau deshalb brauchst du Hilfe bei der Restauration.« Diesmal nickte Rae. Irgendetwas war an der Kiste, dass sie magisch anzog.

Die Bretter waren verwittert und zwischen ihnen bildeten sich fingerdicke Spalten.Es war eine Schande wertvolle Kunstobjekte derartig verrotten zu lassen, denn selbst die Kiste, war ein Solches, schoss es ihr durch den Kopf. Aber dennoch war sie, ihres schlechten Zustandes zum Trotz, mehr als faszinierend.

Als sie unmittelbar neben ihr stand, kam sie einfach nicht umhin, sie noch genauer in Augenschein zu nehmen. Auf ihrem Deckel war ein Wappen zu erkennen. Es war zwar ebenso verwittert, wie der Rest der Kiste, aber dennoch gut zu identifizieren. In der Mitte befand sich ein nach oben angewinkelter, in einer Rüstung steckender Arm, der ein Schwert hielt und direkt darunter ein stilisiertes Seil. Beide Elemente wurden von einem breiten Gürtel nebst Schnalle, der einen Kreis bildete, eingerahmt. Auf dem Kreis war deutlich das Clanmotto zu erkennen: „Mo Righ’s Mo Dhichaich“, für König und Vaterland! Das Motto der Camerons zur Zeit der Jakobitenaufstände! Rae fuhr gedankenverloren mit ihren Fingern über die Konturen des Wappens, während sie zu Ron hinübersah.

»William und du habt mir nicht gesagt, dass die Kiste solche Ausmaße hat und dass sie in einem so schlechten Zustand ist«, bemerkte sie leise. »Wie in aller Welt konnte sie so lange verschollen sein? Selbst ein Blinder wäre eher über sie gestolpert als ihr.«

»Da hast du vollkommen recht! Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass sie noch nicht einmal in den Verzeichnissen aufgelistet war, sonst hätte ich vermutlich viel eher nach ihr suchen lassen. Alles auf den Umbau zu schieben, wäre auch zu einfach. Ich denke, vielleicht sollte oder wollte sie nicht eher gefunden werden.«

»Sicher! Sie ist mit Magie belegt und wurde erst jetzt wieder sichtbar! Ron ich bitte dich!«, gab sie brüsk zurück.

»Das hast du gesagt! Aber Rae, manchmal sind die Dinge wirklich anders, als sie erscheinen.«

»Ich weiß, nur mit Magie hat das meist absolut nichts zu tun. Es sei denn, du heißt David Copperfield und kannst durch die „Chinesische Mauer“ gehen.«

»Jetzt wirst du albern. Ich habe nicht mit einem einzigen Wort erwähnt, dass ich der Meinung bin, Magie wäre im Spiel gewesen.«

»Stimmt! Du bist nur davon überzeugt, dass die Kiste ein Eigenleben und ihren eigenen Willen hat.« Ron warf ihr einen vernichtenden Blick zu.

»Du weißt, dass ich es so nicht gemeint habe. Aber dennoch ist es merkwürdig, dass sie so lange verschollen war. Meine geschätzten Vorgänger haben über jeden Krümel, den sie erhalten und archiviert haben, genauestens Buch geführt, nur nicht über diese Kiste. Und, wo wir schon mal beim Thema wären, bist du gar nicht neugierig auf ihren Inhalt?«

»Ich und nicht neugierig? Ich brenne darauf! Ich dachte nur, du würdest ...«

»Ich würde vorher verschwinden und dich in Ruhe schnüffeln lassen?«, unterbrach er sie lachend. »Nein, dein Gesicht, wenn du sie öffnest, lass ich mir nicht entgehen. Wir haben im Übrigen alles bis auf die Nachricht an seinem Platz gelassen. Gordon hat darauf bestanden, also wundere dich nicht!« Rae wollte gerade erwidern, dass sie sich bestimmt nicht wundern würde, als Ron auch schon neben sie trat, nach dem Deckel der Kiste griff und diesen wie bei einem Sarkophag vorsichtig zur Seite schob.

Rae hielt den Atem an. Sie kam sich vor wie ein Pirat beim ausbuddeln einer alten Schatzkiste. Und genau das war die Truhe!

Der Schatz, der in ihr lag, wurde allerdings von einem in den Farben der Camerons gehaltenen Plaid, das in erstaunlich gutem Zustand war, vollständig bedeckt. Wenn man bedachte, in welcher Verfassung die Kiste an sich war, war das Plaid bereits eine wahre Sensation. Sie hatte mit dem Schlimmsten gerechnet, aber Gott sei Dank, waren ihre Befürchtungen nichts weiter als genau das, nämlich Befürchtungen! Das satte von grünen Streifen durchsetzte Rot hatte in all den Jahrhunderten, in denen es sich nun schon in der Kiste befand, nichts von seiner Farbintensität eingebüßt. Es sah fast so aus, als hätte man es erst gestern verpackt.

Vorsichtig streiften ihre Finger den dicken Wollstoff, auf dem kaum Verschleißerscheinungen zu erkennen waren. Er roch zwar etwas muffig, was auch nicht weiter verwunderlich war, aber ansonsten war er nahezu perfekt. Perfekt! Das war so nicht ganz richtig. Über den gesamten mittleren Teil der Stoffbahn breiteten sich dunkle, harte Flecken aus, die sich merkwürdig rau unter ihren Fingern anfühlten. Wenn es nicht so absurd wäre, dann würde sie auf getrocknetes Blut tippen. Aber wer legte ein blutbesudeltes Plaid in eine Kiste?

»Du kannst es ruhig zur Seite schieben«, bemerkte Ron, der ihr amüsiert zusah. »Er wird nicht zerfallen. Er ist, wider Erwarten, von erstaunlich guter Qualität. Zwar etwas ramponiert, aber dennoch sehr gut erhalten. Wie auch ein Großteil des restlichen Inhalts. Los, mach schon!«

»Ihr habt schon hineingesehen?« Ron grinste sie verschmitzt an.

»Muss ich das nicht, als Leiter dieser Abteilung? Wenn es dich beruhigt, alles habe ich mir noch nicht angesehen. Ich habe mir nur einen kleinen Überblick verschafft. Schließlich musste ich Gordon ja darüber informieren, was er zu erwarten hat, um ihn neugierig zu machen.«

»Wenn du dir die Kiste vorab schon näher angesehen hast, warum hast du ihm dann nicht einfach die Nachricht unterschlagen? Das hätte mir heute so einiges erspart.«

»Muss ich mich allen Ernstes vor dir rechtfertigen? Aber um des lieben Friedens willen, zum einen war ich nicht alleine und zum anderen ...«, Ron stockte.

»Was zum anderen?«

»Das, meine Liebe, wirst du noch früh genug erfahren. Und jetzt mach endlich! Ich kann es gar nicht mehr erwarten, dein Gesicht zu sehen, wenn du siehst, was ich gesehen habe.«

 6

Alexander Cameron zügelte sein Pferd und sprang aus dem Sattel. Ihn umgab nichts weiter, als das satte Grün der sanft ansteigenden Hügelketten, die sich bis ans Ufer von Loch Leven erstreckten. Es war erschreckend ruhig und fast windstill. Selbst auf der Oberfläche des Lochs bildeten sich kaum Wellen. Sie lag fast so ruhig da, wie ein blank polierter Spiegel.

Obwohl Kendrick, einer seiner besten Freunde, ihn geradezu bedrängt hatte, diesmal nicht seinem alljährlichen Ritual zu folgen und sich alleine auf den Weg hierher zu machen, war er dennoch ohne ihn losgeritten. Er wusste auch nicht, was Kendrick damit zu erreichen suchte. Er war weder abergläubisch noch besonders vorsichtig. Dennoch, seit ihrer Begegnung mit dieser verrückten Alten aus dem fahrenden Volk, die ihnen aus der Hand hatte lesen wollen, benahm sich sein Freund nicht gerade vernünftig. Und das nur, weil sie Kendrick zwei Botschaften hinterhergerufen hatte. Die Erste hatte seinem Freund gegolten:

»Bedenke, was du tust«, hatte sie ihn eindringlich gewarnt. »Jede deiner Taten führt dich näher an den Abgrund und nur du allein kannst verhindern, dass du stürzt«.

---ENDE DER LESEPROBE---