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Leila, die sehr schöne Stieftochter Sir Roberts kommt nach langer Zeit in Florenz auf sein Gut zurück. Sie hatte in Florenz ein Mädchenpensionat besucht und musste auf Sir Roberts Anweisung dort nach dem Tod ihrer Mutter bleiben und wohnte dort bei einer Bekannten, wo sie auch Malunterricht bekam. Nach ihrer Rückkehr nach England will ihr Vormund Sir Robert, sie mit einem seiner Freunde zur Heirat zwingen. Dieser ist um vieles älter als das junge Mädchen und sie ist nicht gewillt diese Heirat einzugehen. Da Sir Robert das nicht zulassen will, läuft Leila mit ihrer ehemaligen Nanny davon und sucht Unterschlupf bei ihre Tante in Den Haag, der Baroness von Alnradt, einer Schwester ihrer Mutter, die sie seit junger Kindheit nicht mehr gesehen hatte. Ihre Tante nimmt sie erfreut auf, aber sie ist jedoch sehr erkrankt und ihr fehlen die finanziellen Mittel, um die nötige Operation durchführen zu können. Der Marquis von Kyneston befindet sich auch in den Niederlanden, um Gemälde für seine Sammlung zu finden – und auch um einige unerfreuliche Erfahrungen mit Frauen zu vergessen. Wird es Leila gelingen Sir Roberts Plänen auf Dauer zu entkommen und wird es ihr möglich sein, der Tante, die sie erst wieder gefunden hat, die seit langem benötigte Operation zu finanzieren? Wird der Marquis von Kyneston in Holland finden, was er seit langem sucht?
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Seitenzahl: 227
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Der Marquis von Kyneston war bester Laune, als er in London eintraf.
Er fuhr seinen Vierspänner, und die vier Braunen davor erregten die Bewunderung sämtlicher Passanten.
Es drängte ihn, jemanden zu finden, dem er von seinem Sieg bei einem der schwierigsten Rennen, die es überhaupt für Pferde gab, berichten konnte.
Daher stoppte er das Gespann vor dem White’s Club und übergab dem Pferdeknecht die Zügel.
“Bring die Tiere nach Hause in den St, James”, sagte er, “und schicke mir den geschlossenen Wagen. In einer Stunde soll er mich abholen.
“Sehr wohl, M’lord.
Stolz erhobenen Hauptes betrat der Marquis den Club.
Er hatte nicht nur ein schwieriges Rennen gewonnen, er hatte außerdem seinen eigenen Geschwindigkeitsrekord gebrochen.
Viele seiner Freunde zogen es neuerdings vor, mit der Eisenbahn zu fahren. Die Verwegenen unter ihnen setzten sich sogar in diese neumodischen Automobile, die dazu neigten, schon nach wenigen Meilen den Geist aufzugeben.
Für ihn kam das nicht in Frage. Er war fest entschlossen, seinen Pferden die Treue zu halten.
Zum Glück gab es noch eine große Zahl von Männern, die dachten wie er. Auch waren davon überzeugt, dass mit dem Untergang der Pferde auch der Eigene besiegelt wäre.
Der Marquis betrat den Morning Room, wo er, wie erwartet, einige seiner Freunde antraf.
Als ersten sah er Willy Melivale, mit dem er auf der Schule gewesen war.
Er trat zu ihm und stellte fest, dass neben ihm noch ein Platz frei war.
“Hallo, Carew!” rief Willy. “Du brauchst nichts zu sagen. Ich sehe es deinem Gesicht an, dass du gewonnen hast. ”
“Hab’ ich”, entgegnete der Marquis. “Ich wünschte nur, du wärst dabei gewesen. Es war ein so knappes Kopf-an-Kopf-Rennen, dass Drayford und ich buchstäblich den Atem anhielten.”
“Aber der tatsächliche Sieger warst du”, meinte Willy mit einem Unterton von Sarkasmus in der Stimme.
“So ist es”, antwortete der Marquis zufrieden.
Er bestellte sich einen Drink. Dann lehnte er sich bequem zurück und dachte, dass dies einer der schönsten Tage in seinem Leben war.
“Was machst du heute Abend?” fragte Willy. “Ich glaube, wir sollten zusammen zu Abend essen.”
Eine kurze Pause entstand.
Dann sagte der Marquis: “Das wäre schön gewesen, aber leider bin ich verhindert.”
Er dachte an Daphne Burton.
Das Zusammensein mit ihr würde der krönende Abschluss seines Sieges auf dem Rennplatz sein.
Bei einem Dinner auf Apsley House hatte er Lady Burton vor vier Wochen zum ersten Mal gesehen.
Bei ihrem Anblick hatte es für ihn keinen Zweifel gegeben, dass eine der attraktivsten Frauen war, die ihm je begegnet war.
Sie hatte etwas Faszinierendes an sich.
Etwas, das weitaus wichtiger war als bloße Schönheit.
Er war dann keineswegs überrascht gewesen, als sie plötzlich neben ihm stand, nachdem er sich zusammen mit den anderen Gentlemen wieder den Ladies zugesellt hatte.
“Ich habe schon so viel von Ihnen gehört, Mylord”, hatte sie mit ihrer warmen, einschmeichelnden Stimme gesagt.
“Ich hoffe, nur Gutes”, erwiderte der Marquis.
Ihn amüsierte der fragende Ausdruck in ihren dunklen Augen und der Anflug von Spott auf ihren schön geschwungenen Lippen, als sie entgegnete: “Aber natürlich. Wie sollte es auch anders sein?”
Er lachte und wusste, dass beide in diesem Augenblick an seine Liebschaften dachten, über die man indiskret in der feinen Gesellschaft redete.
Der Himmel weiß, welche Mühe ich mir gebe, diskret zu sein, dachte er bei sich.
Aber er war einfach zu einflussreich, bedeutend und erfolgreich, um verhindern zu können, dass man sich für ihn interessierte und über ihn sprach.
Selbst der König hatte in seiner Zeit als Prinz von Wales mit seinen Liebschaften geprahlt und sich damit großgetan.
Und der Marquis hatte sich dieser neuen Mode nicht ganz verschließen können.
Doch er selbst hielt sich nicht für einen hoffnungslosen Schürzenjäger, der sein Leben mit nichts anderem verbrachte, als hinter dem Rockzipfel verheirateter Frauen herzulaufen.
In der Öffentlichkeit galt er als außergewöhnlicher Pferdekenner und gewissenhafter Gutsherr, der den größten Teil seiner Zeit mit der Verwaltung und Beaufsichtigung seiner Besitzungen verbrachte.
Im Augenblick befasste er sich sehr intensiv mit der Instandhaltung und Verschönerung seines Familiensitzes Kyne in Huntingfordshire.
Er war ein wundervolles Beispiel Paduanischer Architektur.
Frühere Generationen hatten zwar einige Verbesserungen daran vorgenommen, jedoch die Prunkräume völlig vernachlässigt, so dass sie jetzt dringend einer Restaurierung bedurften.
Der Marquis hatte versucht, einige der gregorianischen Möbel zurückzukaufen, die zu Beginn der langen Regierungszeit der Königin durch einige - wie er nannte – ‚viktorianische Scheußlichkeiten‘ ersetzt worden waren.
Ein sehr wichtiger Schritt zur Verschönerung von Kyne war die Erweiterung der Gemälde.
Er hatte der Sammlung bereits eine Anzahl von Gemälden beigefügt, die seine Vorgänger durchaus nicht geschätzt hatten.
In jüngster Zeit erwarb er eine Venusdarstellung, die ihn begeistert hatte, bis er Lady Burton kennenlernte und zu der Überzeugung gelangte, dass sie das größere Anrecht auf den Titel der Venus in Anspruch nehmen konnte. Er verfolgte sie anfangs eher platonisch, später dann, als er feststellte, wie schwierig es war, sich mit ihr zu treffen, ging er mit größerer Hartnäckigkeit und Entschiedenheit daran.
“Mein Mann ist entsetzlich eifersüchtig”, hatte sie gesagt. “Deshalb werden Sie verstehen, dass ein Treffen zwischen uns ein Fehler wäre, obgleich ich Sie genauso gerne sehen möchte wie Sie mich.”
Inzwischen war es zu einigen kurzen Begegnungen am Nachmittag gekommen, doch der Marquis vermochte sich damit nicht zufriedenzugeben. In seinen Augen eigneten sich die Nachmittage nicht für die Liebe, auch wenn dies mehr und mehr in Mode kam.
So hatte er also schon daran gedacht, die Jagd aufzugeben und sich nach einer anderen Liebesbeute umzusehen, als Daphne Burton ihm zwei Tage zuvor ganz unerwartet mitgeteilt hatte, dass ihr Mann nach Paris reisen würde.
“Von Mittwoch bis Freitag wird er unterwegs sein”, sagte sie.
Der Marquis hielt gespannt inne.
“Ich dachte mir”, fuhr sie fort, “Sie würden vielleicht am Donnerstagabend mein Gast beim Dinner sein, nur eine kleine Gesellschaft.”
Es waren nicht die Worte selbst, sondern der Ausdruck in ihren Augen, der dem Marquis verriet, was sie wirklich beabsichtigte.
Sie würde wie üblich mit einigen Freunden zu Abend essen, und er würde dafür sorgen, dass er noch dort nachdem war nachdem die anderen schon gegangen waren.
“Sie wissen, wie sehr ich mich darauf freue”, sagte er mit fester Stimme.
“Ich freue mich auch”, gab sie flüsternd zurück.
Leider fehlte die Gelegenheit, mehr zu sagen. Später stellte der Marquis fest, dass sich seine Gedanken ständig mit dem Donnerstagabend beschäftigten.
Er war sicher, Daphne Burton würde sich als eine Frau erweisen, die das besaß, was ein Mann sich von einer Frau ersehnte: Wärme, Hingabe, Feuer und Leidenschaft.
Ein Glück, dass Henry Burton ausgerechnet dann nach Paris reist, wenn die Welt zur Saison in London weilt und nicht im Traum daran denkt, ein anderes Ziel zu wählen, dachte der Marquis.
Doch er dachte auch daran, dass er gerne mit seinem Freund Willy zum Essen ausgegangen wäre. Er hätte mit ihm über das Rennen sprechen und gemeinsam mit ihm überlegen können, welche Pferde er in Ascot laufen lassen sollte.
Während er noch in Gedanken versunken dasaß, fragte Willy Melivale: “Dinierst du heute Abend mit Daphne, Burton?”
“Ja”, erwiderte der Marquis. “Ich hoffe, du gehörst auch zu den Gästen.”
“Nein”, gab Willy zur Antwort, “ich habe keine Einladung erhalten.”
Etwas an der Art, wie Willy sprach, ließ den Marquis neugierig aufblicken.
Er kannte Willy nur zu gut.
Sie waren fast ihr ganzes Leben zusammen gewesen, und es war einfach nicht möglich, dass der eine dem anderen etwas verheimlichen konnte.
Der Marquis stellte sofort fest, dass Willy einen abwesenden Eindruck machte. Er blickte ihn nicht an und schien mit seinen Gedanken weit weg zu sein.
Der Marquis hatte keine Ahnung, was den Freund so beschäftigte, denn nicht einmal mit Willy sprach er über seine Liebschaften.
Deshalb kam er nicht auf die Idee, dass das, was Willy beschäftigte, etwas mit Daphne Burton zu tun haben könnte.
Er leerte seinen Drink und schaute auf die Uhr, als Willy sagte: “Ich habe heute Nachmittag Henry Burton gesehen.”
Der Marquis versteifte sich.
“Du hast Henry Burton gesehen?” fragte er. “Aber das ist unmöglich. Er weilt in Paris.”
“Ich sah ihn, als ich von Ranelagh in die Stadt zurückfuhr”, sagte Willy. “Ich hatte mich verfahren und sah, wie er in einem Hotel verschwand, das nach meinem Geschmack einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck machte.”
Ungläubig starrte der Marquis seinen Freund an.
“Und du bist sicher, es war Burton?”
Willy nickte.
Dann, nach einer Weile, sagte er: “Ich würde es dir nicht gesagt haben, aber Daran Haughton verlor vor zwölf Monaten eine große Summe an ihn.
“Daran Haughton?” fragte der Marquis.
“Er traf Burton auf dem Land”, erklärte Willy Melivale.
Der Marquis erinnerte sich nun, dass Daphne Burton ihm gesagt hatte, dies sei der Grund dafür gewesen, dass sie sich nicht schon früher begegnet wären.
Sie hatte auf dem Land gewohnt, weil das Trauerjahr für ihre verstorbene Mutter noch nicht zu Ende gewesen war.
Lord Haughton war ein sehr reicher Mann, wie der Marquis wusste. Ihm machte es nichts aus, wenn er einmal eine größere Geldsumme verlor.
Was ihm jedoch sonderbar vorkam, war die Tatsache, dass Burton, der stets knapp bei Kasse war, der Empfänger gewesen sein sollte.
Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und sagte mit einer Stimme, die, wie sein Freund wusste, sehr autoritär klingen konnte: “Es wäre besser, du würdest mir die ganze Geschichte erzählen!”
“In Ordnung. Willy senkte die Stimme. “Es ist schnell erzählt. Burton kam unerwartet nach Hause, und Haughton musste zahlen.
Der Marquis presste die Lippen fest aufeinander. Ohne noch ein Wort zu sagen, erhob er sich und ging zur Tür.
Willy schaute ihm nach. Dann seufzte er und ließ sich vom Clubsteward noch einen Drink bringen.
Die Kutsche des Marquis, bog in die Auffahrt zum Clubhaus ein, als er die Treppe hinabstieg.
Nachdem er eingestiegen war, änderte sich der Ausdruck in seinem Gesicht. Er unterschied sich völlig von dem bei seiner Ankunft.
Wenn er zornig war, verlor er niemals die Kontrolle über sich, wie das anderen Männern häufig passierte, die dann aggressiv wurden, schrien und fluchten und plötzlich wirkten, als stünden kurz vor einem Schlaganfall.
Den Marquis überkam in einer solchen Situation eine eisige Ruhe.
Diejenigen, die ihn kannten, fanden sein Schweigen bedrohlicher als es, was ein anderer hätte sagen können.
Als er die He seines Hauses in der Park Lane betrat, standen die Diener, die über eins achtzig groß waren, noch aufrechter und aufmerksamer da, als es sonst schon der Fall war.
Die Stimme des Butlers klang ehrerbietig, als er fragte, ob Seine Lordschaft irgendwelche Anweisungen für den Abend habe.
Der Marquis überlegte einen Augenblick.
Dann sagte er: “Meinen Wagen, punkt halb acht!” und stieg die Treppe hinauf.
Während der Diener ihm beim Auskleiden half, sprach er kein Wort.
Nachdem er längere Zeit im Bad zugebracht hatte, zog er seinen eleganten Abendanzug an.
Dabei dachte er voller Bitterkeit, wie sehr er sich auf diesen Abend gefreut hatte.
Vielleicht ist das es nur ein Irrtum, dachte er.
Doch dann sagte er sich, dass Willy nie darüber geredet hätte, wenn er nicht absolut sicher gewesen wäre, Bunton tatsächlich gesehen zu haben.
Der Marquis war Zeit seines Lebens von Frauen folgt worden, die ihn unwiderstehlich gefunden hatten.
Und er war in der Tat ein außergewöhnlich gutaussehender Mann.
Da er ein hervorragender Reiter war und viele möglichen Arten von Outdoor-Sport betrieb, besaß er die Figur eines Athleten, auf die er mit Recht stolz war.
Verglichen mit seinen Freunden trank er sehr wenig.
Und verglichen mit dem König und den Leuten seiner Umgebung auf Marlborough House und neuerdings im Buckingham-Palast, konnte man den Marquis außerdem auch als bescheidenen Esser bezeichnen.
Es gab keine Zeit, in der die Ladies nicht voll des Lobes über ihn gewesen wären und ihn einen griechischen Gott genannt hätten.
Etwas, was er nur zu gerne hörte.
Es war also nicht einfach für ihn, der Tatsache ins Auge zu schauen, dass von den Frauen, denen er seine Gunst geschenkt hatte, ausgerechnet Daphne Burton es auf sein Geld abgesehen hatte.
Er wusste sehr gut, wie leicht ein Mann in eine Falle zu locken war, wenn ein Ehepaar sich zusammentat und seine Karten geschickt genug ausspielte.
Wenn Willy wirklich recht hatte, bestand Daphnes Plan darin, die anderen Gäste frühzeitig gehen zu lassen und ihn zum Dableiben zu bewegen.
Sie würde ihn mit in ihr Schlafzimmer nehmen.
Sie würden zusammen im Bett liegen, und plötzlich würde sich die Tür auftun und Henry Burton in den Raum stürmen.
Daphne würde entsetzt aufschreien. Sie würde ihren Mann anschauen, als traute sie ihren Augen nicht.
Dann würde eine Szene folgen, Anschuldigungen und Gegenargumente einander abwechseln.
Burton würde mit Scheidung drohen, da er sein ehebrecherisches Weib und ihren Galan in flagranti erwischt hatte.
Daphne dagegen würde ihn anflehen, ihr den Skandal, die Schande und die gesellschaftliche Ächtung zu ersparen, die ihr drohten.
Dies, sagte sich der Marquis, wäre dann sein Stichwort.
Um in seinen Ruf und natürlich den Ruf der Frau, die er in Gefahr gebracht hatte, zu retten, erwartete man von ihm, dass er dem beleidigten Ehemann zur Wiederherstellung seines Stolzes und zur Tilgung des Schandmals, das nun seinen Namen befleckte, eine beträchtliche Geldsumme darbot.
Die ganze Angelegenheit würde viel Zeit in Anspruch nehmen und überdies sehr demütigend sein.
Während Burton die Kleidung trug, die man bei einem Mann, der vermutlich eben aus Paris zurückgekehrt erwartete, würde er, der Marquis, nackt sein.
Dies war genau die Art von Szene, über die man bei einem Melodram auf der Bühne vor Lachen ausschüttete, die aber längst nicht so spaßig erschien, wenn man selber in eine solche Situation verwickelt war.
Der Marquis vermochte es sich nur, zu deutlich auszumalen, wie man Haughton hereingelegt und dazu gebracht hatte, auf Burtons Geldforderung, ohne Wenn und Aber einzugehen.
Er würde in der gleichen Zwangslage stecken, mit nur einer Ausnahme: Er war reicher als Lord Haugthon, die Beilegung der Sache würde ihn wesentlich teurer kommen.
Wie konnte ich nur so ein Dummkopf sein! Dachte er.
Er hätte doch daran denken müssen, dass die Burtons finanziell äußerst schlecht standen.
Zweifellos hatten das meiste von dem, was der Handel mit Haughton ihnen einbrachte, längst wieder verloren und suchten nun ein neues Opfer.
Burton war ein Spieler. Seine Frau dagegen träumte von einer Position in der Gesellschaft, die sie nur erringen konnte, wenn sie keine Kosten scheute.
Das Haus der beiden war nicht groß, doch es lag im vornehmen Stadtteil Mayfair.
Sie besaßen einen Wagen und Pferde, und der Marquis hatte gehört, dass Burton im vergangenen Winter sogar mit einer Hundemeute auf die Jagd gegangen war.
Kein Wunder also, dass das saubere Pärchen zurzeit mal wieder knapp bei Kasse war.
Wer eignete sich mehr, ihnen aus der Klemme zu helfen, als er.
Seine Lippen bildeten eine harte Linie, als er kurz vor halb acht die Treppe hinunterstieg und die Halle betrat, wo der Butler mit dem Umhang auf ihn wartete.
Ein Diener reichte ihm den Zylinder, ein anderer den Spazierstock, ein dritter die Handschuhe.
Wortlos verließ er das Haus und nahm in der Kutsche Platz.
Ein Diener breitete eine Decke über die Knie des Marquis.
Dann wurde der Wagenschlag geschlossen, und die Kutsche setzte sich in Bewegung.
Es war nicht weit bis zum Haus der Burtons, das in einer der Seitenstraßen lag, die zum Shepherd Market führten.
Als er das Haus betrat, bemerkte er sofort, dass die Teppiche in der Halle leicht abgetreten waren.
Die Blumengestecke auf dem mittleren Treppenpodest bestanden nicht aus den teuren Malmaison Nelken, wie gemein üblich.
Als der Butler die Tür zum Salon öffnete und seinen Namen rief, zwang sich der Marquis zu einem Lächeln.
“Der Marquis von Kyneston, M’lady!”
Daphne Burton wandte sich mit einem leisen Entzückens Schrei um und ließ den Gentleman, mit dem gesprochen hatte, stehen.
Sie eilte auf den Marquis zu mit einer Leichtigkeit und einer Anmut der Bewegungen, dass man hätte glauben können, ihre Füße berührten den Boden nicht.
In ihren Augen und auf dem hinreißend schönen Gesicht lag ein Ausdruck der Freude, von dem der Marquis nie angenommen hätte, er wäre gespielt, würde sein Freund ihn nicht gewarnt haben.
“Ich bin ja so froh, Sie zu sehen”, sagte mit weicher Stimme, als er ihre Hand nahm, die die seine fest umschloss.
Sie stellte dem Marquis die anderen Gäste vor, die, wie er es erwartet hatte, weit älter waren als er.
Es waren ein Gentleman, der sich vor einigen Jahren aus dem diplomatischen Dienst zurückgezogen hatte, seiner Frau und ein anderes Ehepaar, beide weit über sechzig.
Es ist fast so, dachte er, während er das Speisezimmer betrat, als ob ich in einer Szene mitspielte, die ich kürzlich in einem Roman las, und als wüsste ich genau, wie es weiterging.
Das Dinner war gut, obwohl es mit dem, was er seinen Gästen anbot, nicht zu vergleichen war.
Den Wein konnte man trinken, er gehörte allerdings nicht zu den teuren Sorten.
Die Unterhaltung verlief etwas mühsam. Ein langweiliges, uninteressantes Dinner, wenn man vom Ausdruck in den Augen der Gastgeberin absah, mit dem sie ihn anblickte, und von der Art und Weise, wie ihre Hände, die seinen so oft wie möglich scheinbar zufällig berührten. Sie versuchte ihren Worten stets einen bestimmten Doppelsinn zu geben, von dem hoffte, dass der Marquis deren wirkliche Bedeutung ohne Schwierigkeiten verstehen würde.
Als die Gentlemen den Speiseraum verließen, überraschte es den Marquis nicht, als der ehemalige Diplomat zu ihm sagte: “Sie haben doch Verständnis dafür, M’lord, wenn wir nicht zu lange bleiben. Meine Frau fühlt sich nicht ganz wohl, und außerdem sind wir beide in einem Alter, in dem eine lange Nacht in Gesellschaft nicht mehr den Reiz besitzt, wie es in früheren Jahren der Fall war.
“Aber ja, ich verstehe Sie”, erwiderte der Marquis höflich. “Ich finde das sogar sehr weise von Ihnen.
“Ich bin vorsichtig, was vielleicht dasselbe ist”, meinte der Ältere und lächelte.
Der Marquis sagte sich, dass Vorsicht nun auch für ihn angebracht sei.
Als sich die beiden Ehepaare verabschiedet hatten, wartete er, bis in der He waren und sich in die Mäntel helfen ließen.
Dann sagte er ruhig: “Auch ich muss mich auf den Weg machen!”
“Sie wollen schon gehen?”
Die Überraschung in Daphne Burtons Stimme war unüberhörbar. Ihr Gesichtsausdruck verriet Bestürzung.
Sie wirkte sehr anziehend in diesem Augenblick, und ihr Bedauern schien wirklich echt zu sein.
Der Gedanke durchzuckte den Marquis, dass Willy sich geirrt hatte und sie tatsächlich verliebt in ihn war.
Diesen Eindruck hatte den ganzen Abend auf ihn gemacht, und er war sich seiner Sache gar nicht mehr so sicher gewesen.
Als er schwieg, sagte nach einem Augenblick stockend: “Ich dachte... ich glaubte, Sie und ich könnten uns noch etwas Gesellschaft leisten. Ich habe mir das schon so lange gewünscht.”
“Ja, das habe ich mir auch gewünscht”, antwortete der Marquis. “Doch leider hörte ich, dass Ihr Mann aus Paris zurück ist. Deshalb kommt ein Alleinsein mit Ihnen wohl nicht mehr in Frage.”
Er beobachtete sie scharf.
Das erstaunte Aufflackern in ihren Augen und die Art, wie sie den Atem anhielt, verrieten ihm, dass Willy recht hatte.
Die Pause war zu lang, ehe sie ausrief: “Henry ist zurück? Was sagen Sie da! Er wird nicht vor morgen zur, erwartet.”
“Ich glaube, da irren Sie sich. Der Marquis sah; sie fest an. “Gute Nacht - und vielen Dank für das angenehme Dinner.”
Er hob ihre Hand, küsste sie flüchtig auf die Lippen, und während sie sich noch um Fassung bemühte, verließ er den Raum.
Er war in der Halle, als der letzte der vier anderen auf die Freitreppe hinaustrat.
Seine Kutsche wartete, und als sie sich in Bewegung setzte, dachte er, dass er gewonnen hatte.
Es war jedoch ein wertloser Sieg gewesen.
Nur um Haaresbreite war er diesmal davor bewahrt worden, dass man ihn zum Narren hielt und auf den Leim führte.
Er würde das jedenfalls nie vergessen.
Er blickte aus dem Fenster und stellte fest, dass er sich seinem Haus näherte.
Aber er konnte jetzt nicht allein sein. Allein mit dem Gedanken, wie leicht es Daphne Burton gelungen war, ihn zu täuschen.
Er klopfte mit seinem Spazierstock gegen die Scheibe hinter dem Kutscher. Die Pferde hielten an.
Der Kutscher kletterte vom Bock und öffnete den Wagenschlag.
Der Marquis nannte ihm eine Adresse, und der Kutscher kletterte auf den Bock zurück und ließ die Pferde wieder antraben.
Einige Zeit lang war der Marquis ohne Mätresse gewesen, die eigentlich zu einem wohlhabenden Mann gehörte wie seine Pferde.
Dann hatte er nach langem Überlegen vor zwei Monaten eine sehr attraktive Tänzerin in einem hübschen kleinen Haus in St. John’s Wood untergebracht.
Dolly Leslie trat im ‚Torero‘ auf, in einer Show, die wohl die letzte im alten Gaiety Theater sein würde.
Das alte Gaiety Theater sollte abgerissen werden, und das neue würde erst Anfang Oktober seine Tore öffnen.
Es würde das Ende eines der berühmtesten Volkstheater sein, das inzwischen bereits ein Stück englischer Geschichte geworden war.
Die alten Straßen in seiner Nachbarschaft gingen noch auf die Tudors zurück. Auch Häuser würden niedergerissen werden und London sollte ein neues Gesicht erhalten.
Zum Glück würde etwas bleiben: die Schönheit der Gaiety Girls und ihre Einmaligkeit.
Sie hatten London etwas gegeben, was viele andere Hauptstädte Europas in einem solchen Maß nicht kannten.
Schön wie Göttinnen schwebten die Gaiety Girls mit einer Anmut und Grazie über die Bühne, wie man es selten fand.
George Edwards galt als der größte Entdecker weiblichen Charmes, den die Welt jemals gekannt hat.
Von 1868 an gab es die Gaiety Shows. Sie begeisterten unzählige Menschen mit ihrer Perfektion und ihrem Zauber. Die Londoner strömten in Scharen in dieses Theater, das niemals schlechte Zeiten erlebte.
Der Marquis wäre kein richtiger Mann gewesen, wenn nicht auch er der Faszination dieses Theaters und seiner Darstellerinnen und Tänzerinnen erlegen wäre.
Doch er war der Meinung, dass Dolly Leslie die absolute Königin unter den Gaiety Girls war. Die Luft schien zu knistern, sobald sie die Bühne betrat.
Es war nicht besonders schwierig gewesen, Dolly davon zu überzeugen, dass sie unmöglich einen Gönner finden würde, der generöser und attraktiver wäre als der Marquis. Wenn er in London weilte, verbrachte er zumindest drei Abende in der Woche in seiner Loge und genoss Dollys Auftritte.
Danach führte er sie zu Ramono und speiste mit ihr zur Nacht.
Anschließend fuhren sie dann zu dem Haus, das er nicht nur für Dolly, sondern auch für sich selbst so gerichtet hatte, dass man sich darin rundherum wohl fühlen konnte.
Er hatte es mit der gleichen Hingabe und demselben Geschmack eingerichtet wie seine großen Häuser.
Er hatte ein Badezimmer einbauen lassen, das an Geschmack nicht zu überbieten war. Im Keller lagerten Weine, die ihresgleichen suchten.
Es überraschte nicht, dass er die Dienerschaft mit der gleichen Sorgfalt aussuchte, wie es andere oft nicht taten - mit dem Resultat, dass es ihm, wenn er die Nacht mit Dolly verbrachte, an nichts fehlte und er dort die gleiche Bequemlichkeit genoss wie in seinem Haus in der Park Lane.
Bei ihrem Zusammensein am Dienstag hatte er ihr erklärt, dass er sie in dieser Woche nicht mehr sehen würde.
Am Mittwoch werde er an den Rennen teilnehmen und die Nacht bei Freunden verbringen.
Am Donnerstag sei er zu einer Abendgesellschaft eingeladen, und am Freitag beabsichtige er nach Kyne zu fahren, wo er das Wochenende über bleiben werde.
Dolly beteuerte, wie sehr sie ihn vermissen würde. Er hatte sie mit einem sehr kostbaren Brillantarmband getröstet, das er am Nachmittag in der Bond Street erstanden hatte.
Sie bedankte sich überschwänglich, und er dachte, dass es wohl kaum einen Mann gab, der eine Geliebte hatte, die bezaubernder war als Dolly.
Die Kutsche brauchte einige Zeit für die Fahrt nach St. John’s Wood.
Der Marquis nahm an, dass Dolly bereits seit zwei Stunden vom Theater zurück war.
Sie würde mit dem Wagen gefahren sein, den er ihr für die Fahrten zwischen Wohnung und Theater zur Verfügung gestellt hatte.
Sein unerwartetes Auftauchen würde sie zweifellos erfreuen. Es würde eine Überraschung für sie sein, und würde noch leidenschaftlicher sein als gewöhnlich.
Er nahm sich vor, in Zukunft bei Mädchen wie Dolly zu bleiben und Liebschaften mit einer Dame der Gesellschaft nach Möglichkeit aus, dem Weg zu gehen.
Es war der König, der in seiner Zeit als Prinz von Wales die Mode einführte, dass ein Gentleman sich für seine Liebesabenteuer eine Frau aussuchte, die man als Lady bezeichnen konnte.
In der davorliegenden Zeit unterschied man sehr sorgfältig zwischen einer Mätresse und einer Lady.
Schon der Hauch eines Skandals bewirkte, dass die betreffende Frau von den Freunden und Bekannten gemieden wurde.
Im Grunde hörte sie auf, zu existieren, schrumpfte zu einem gesellschaftlichen Nichts zusammen.
Der Prinz von Wales wechselte dann von Lily Langtry zu der reizvollen Lady Brook, die er wirklich liebte.
Er nahm dann anschließend den Weg durch mehrere hochangesehene Boudoirs und war im Augenblick bei der faszinierenden Mrs. Grenville gelandet.
Prinzessin Alexandra duldete diese Beziehung von Anfang an.
Es hatte eine derartige Umkehr der Werte stattgefunden, dass manch einer puritanischen Dowager die Haare zu Berge standen, wenn darüber geredet wurde.
Jetzt dachte der Marquis in seiner Verärgerung, dass die englischen Konservativen völlig recht damit hatten, wenn sie sich über den Zerfall der Sitten und Konventionen entsetzten.
Er für seine Person würde sich in Zukunft mit einer Mätresse begnügen.
Sie würde ihm treu sein, solange er ihr Gönner war. Die Damen der Gesellschaft sollten sich mit ihren Ehemännern zufriedengeben.
Während seine Kutsche dem Ziel entgegenrollte, hoffte er, dass Henry Burton und seine Frau sich den Kopf zermarterten über der Frage, wie es möglich war, dass er von ihrem Plan erfahren hatte und ihnen auf die Schliche gekommen war.
Doch es war für ihn nur ein schwacher Trost, dass er es einzig und allein Willy verdankte, wenn er in diesem Augenblick nicht fürchterlich gedemütigt wurde, ohne dass er sich dagegen hätte wehren können.
Der Wagen bog in eine schmale Einfahrt ein, die zu einer Villa führte.
Als die Pferde abrupt zum Stehen kamen, stellte der Marquis fest, dass bereits eine andere Kutsche vor dem Haus stand und den Treppenaufgang blockierte.
Sekundenlang glaubte er, es wäre sein eigener Wagen, der Dolly vom Theater abgeholt hatte.
Dann wurde er sich der Tatsache bewusst, dass es lange nach Mitternacht war und der Kutscher das Pferd längst in den Stall und den Wagen in die Remise hinter dem Haus gebracht hatte.
Neugierig öffnete der Marquis den Wagenschlag und stieg aus.
Er ging über den Rasen und näherte sich dem fremden Gefährt, das - wie er jetzt erkennen konnte - nur von einem Pferd gezogen wurde.
Der Kutscher saß so lässig und bequem auf dem Bock, dass er offensichtlich mit einer längeren Wartezeit rechnete.
Plötzlich durchzuckte den Marquis eine Ahnung.
Er näherte sich dem Wagen und warf einen Blick auf das Wappen an der Tür.
Ein Blick bestätigte seinen Verdacht.
Es stand nun für ihn fest, dass sich der Besitzer des Gefährts bei Dolly im Haus befand.
Es war ein junger Peer, der sich um Dolly bemüht hatte, bevor er, der Marquis, aufgetaucht war.
Sie hatte ihm gesagt, dass Lord Brora sie sehr amüsant fände und hatte sich von ihm einige Male ins Romanow ausführen lassen.
Doch Seine Lordschaft war mit weltlichen Gütern nicht gerade gesegnet, und Dolly hatte ihm frank und frei erklärt, dass er sich eine Frau wie sie nicht leisten könnte.
Der Marquis hatte sich für diesen Verehrer nicht weiter interessiert.
Für ihn war nur das Bewusstsein wichtig gewesen, einen anderen Mann um Haaresbreite geschlagen zu haben und als erster durchs Ziel gegangen zu sein.