VERREGNETE TAGE - K. Klaasen - E-Book

VERREGNETE TAGE E-Book

K. Klaasen

0,0
4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Romanautor Kolb leidet unter einer Schreibblockade. Dabei erwartet sein Verleger, dass er das fertige Manuskript für die bereits groß angekündigte Buch-Veröffentlichung spätestens innerhalb der nächsten vier Wochen in Händen hält.

Kolb fährt auf die Insel Rügen. Dort wird er des Mordes beschuldigt. Nach einigen Verwirrungen gerät Kolb in die Mühlen der Justiz.

Er flieht - auf der Suche nach sich selbst und nach einem Verdächtigen namens Pascal Leblanc...

Eine Odyssee der Verwirrungen, Verdächtigungen beginnt.

In Zürich stürzt er gnadenlos ab. Seine inneren Werte – die guten Seiten in ihm – haben sich um 180 Grad gedreht, ihn zu einem gnadenlosen Verfolger reifen lassen.

Ist er dem Mörder auf der Spur? Oder dreht sich Kolb im Kreis?

Es sieht aus, als würde Kolb zum Verlierer. Und die Zeit läuft und läuft, sie läuft gegen ihn. Er muss den wahren Täter finden, bevor man ihn schnappt und ihm den Indizienprozess macht.

Für ihn und seine Verfolger beginnt ein grandioses Katz-und-Maus-Spiel – quer durch Europa.

Die Spur führt schließlich nach Schevening, genauer gesagt nach Zandvoort-Harlem. Dort lernt er die Prostituierte Liecke Vock kennen. Und der wahre Albtraum beginnt nun erst wirklich...

 

Verregnete Tage ist ein ebenso mitreißender wie spannender Noir-Krimi von K. Klaasen (Jahrgang 1955) – lakonisch, in jeder Zeile erleb- und fühlbar.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

 

K. KLAASEN

 

 

Verregnete Tage

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

VERREGNETE TAGE 

ERSTER TEIL 

ZWEITER TEIL 

DRITTER TEIL 

 

 

Das Buch

 

Der Romanautor Kolb leidet unter einer Schreibblockade. Dabei erwartet sein Verleger, dass er das fertige Manuskript für die bereits groß angekündigte Buch-Veröffentlichung spätestens innerhalb der nächsten vier Wochen in Händen hält.  

Kolb fährt auf die Insel Rügen. Dort wird er des Mordes beschuldigt. Nach einigen Verwirrungen gerät Kolb in die Mühlen der Justiz. 

Er flieht - auf der Suche nach sich selbst und nach einem Verdächtigen namens Pascal Leblanc... 

Eine Odyssee der Verwirrungen, Verdächtigungen beginnt. 

In Zürich stürzt er gnadenlos ab. Seine inneren Werte – die guten Seiten in ihm – haben sich um 180 Grad gedreht, ihn zu einem gnadenlosen Verfolger reifen lassen. 

Ist er dem Mörder auf der Spur? Oder dreht sich Kolb im Kreis? 

Es sieht aus, als würde Kolb zum Verlierer. Und die Zeit läuft und läuft, sie läuft gegen ihn. Er muss den wahren Täter finden, bevor man ihn schnappt und ihm den Indizienprozess macht.  

Für ihn und seine Verfolger beginnt ein grandioses Katz- und Mausspiel – quer durch Europa. 

Die Spur führt schließlich nach Schevening, genauer gesagt nach Zandvoort-Harlem. Dort lernt er die Prostituierte Liecke Vock kennen. Und der wahre Albtraum beginnt nun erst wirklich... 

 

Verregnete Tage ist ein ebenso mitreißender wie spannender Noir-Krimi von K. Klaasen (Jahrgang 1955) – lakonisch, in jeder Zeile erleb- und fühlbar. 

   VERREGNETE TAGE

 

 

 

 

 

 

  ERSTER TEIL

 

 

  Eine Schreibblockade führte dazu, dass sich der Kriminalschriftsteller B. B. Kolb in der Villa Seegarten – einer Pension im Ferienort Lohme auf der Insel Rügen – ein Zimmer mietete. Sein Verleger hatte ihm für die Abgabe eine letzte Frist von vier Wochen eingeräumt. Weil er bereits einen Vorschuss in Anspruch genommen hatte, war Kolb verpflichtet, dieser Forderung auch wirklich nachzukommen. Mit einer dreisitzigen Cessna C172 flog er von Hamburg nach Rügen.

Während des eineinhalbstündigen Fluges blieb ihm genügend Zeit, sich ein wenig zu entspannen. Er wollte jetzt nur den Blick auf das tief unter ihm liegende Land genießen.

 

Margit Hohn, die Eigentümerin des Hotels Villa Seegarten, schien ihn sofort erkannt zu haben. Leider.

»Sie sind doch der Schriftsteller, oder? Na, gleich fällt es mir wieder ein... Kolb?«

»Sie müssen mich verwechseln«, gab er kurz zurück.

Sie ging zu einem Regal, griff sich eines der Bücher, die dort standen, und warf einen Blick auf die Rückseite.

»Hm. Schauen Sie. Das sind doch Sie – oder? Nur ohne Bart.«

Was blieb ihm anderes übrig, als klein beizugeben.

»Ich möchte unerkannt bleiben und bin nur hier, um wieder ein Buch zu schreiben. Denken Sie, dass Sie das für sich behalten können?«

Verschwörerisch hoben sich ihre Augenbrauen.

»Na klar kann ich das! Und – wird es ein Krimi?«

»Wir werden sehen«, sagte er vage und füllte den Anmeldezettel aus.

 

Nachdem Kolb eingecheckt hatte, machte er einen kurzen Spaziergang oberhalb des Hafens von Lohme zu einem kleinen Café, das sich auch noch Café Niedlich nannte.

Lohme lag im Einzugsbereich des Nationalparks Jasmund. Der Name des Cafés war Programm, denn es schmiegte sich idyllisch an einen mit Gras bewachsenen Hang in einer ruhigen Bucht. Man erreichte es nur über eine lange, steile Holztreppe. Die Strapazen des Aufstiegs, den Kolb mehr schlecht als recht bewältigte, waren schnell vergessen, als er gemütlich auf der Holzterrasse saß und seinen Kaffee schlürfte. Von hier aus konnte er die in den kleinen Hafen einlaufenden Schiffe beobachten und die frische Seeluft tief einatmen.

Langsam wurde ihm bewusst, dass er ausgebrannt war.

Sein stetiger Alkoholkonsum und die nächtlichen Streifzüge, die er all die Jahre durch die Hamburger Nachtszene unternommen hatte, machten sich bemerkbar. Er musste zugeben: Julia, seine Frau, hatte ein schweres Los mit ihm gezogen. Waren die ersten Jahre noch von ihrer großen Liebe erfüllt gewesen, durfte er jetzt nur noch Mitleid erwarten. Körperliche Annäherungen fanden nicht mehr statt. Streit und Verachtung wechselten pausenlos. Doch das war allein seine Schuld.

Als er ein kleines Boot durch die Bucht gleiten sah, stellte er sich vor, wie es wäre, säße er mit Frau und Tochter darin. Sie würden die Bucht entlang schippern und den strahlend blauen Himmel anstaunen – und alles wäre wieder wie früher. Dieser geradezu absurde Gedanke ermutigte ihn, Julia anzurufen. Sie war gleich am Apparat.

»Julia Kolb.«

»Ich bin’s...!«

»Hm. Wo bist du?«

»Auf Rügen! Dachte, es wäre gut, wenn wir uns eine Zeit lang nicht sähen. Will hier endlich den neuen Roman fertigstellen.«

»Du bist ein Träumer. Und wirst dich auch nicht mehr ändern.« Kleine Pause, dann kam es: »Ich will die Scheidung!«

Damit hatte er nicht gerechnet. Ausgerechnet jetzt.

»Aber, Julia, warum...?« Er versuchte, seine Stimme nicht allzu sehr zittern zu lassen.

»Warum? Das fragst du? Ich nenn dir gern ein paar Gründe. Wann – überleg es dir genau – hast du das letzte Mal mit deiner Tochter etwas unternommen? Glaubst du, dass es ihr gut geht? Wie oft hast du sie versetzt oder ihr versprochen, dass du da bist, wenn sie dich braucht? Diese Saufkumpane waren dir immer wichtiger als deine Familie. Du hättest nie Schriftsteller werden dürfen. Dir ist die Bekanntheit zu Kopf gestiegen.«

»Du hast ja recht, Julia. Aber ich will mich ändern, ich werde alles gutmachen, damit es wird wie früher.«

»Du – dich ändern? Das ist, als würde eine Kuh fliegen wollen.«

Ein kleiner Klick ließ ihn wissen, dass sie aufgelegt hatte. Jetzt fühlte er sich richtig mies. Schlagartig war sein Selbstbewusstsein zu der Größe eines Flohs geschrumpft. Und bekanntlich können Flöhe nicht fliegen, aber immerhin springen.

»Haben Sie Cognac?«, fragte er die Bedienung.

»Aber ja!«

»Bringen Sie mir bitte eine Flasche. Das Beste, was Sie an Cognac da haben.«

Kolb saß einige Stunden auf der Holzterrasse und kippte ein Glas nach dem anderen in sich hinein. Aber je mehr er trank, desto mieser fühlte er sich. Und – auch jemand wie er konnte weinen. Während er ungeniert Rotz und Wasser heulte, wurde ihm sonnenklar, dass er ab jetzt keine Familie mehr hatte.

 

Erst am anderen Morgen kam er wieder zu sich, an dem steinigen Ufer von Kap Arkona, das fünfzehn Kilometer vom Hafen Lohme entfernt lag.

Wie er dort gelandet war, wusste er nicht mehr. Zum Glück war zu dieser Morgenstunde ein Segler in der ausgedehnten Bucht unterwegs, der ihn schließlich entdeckte und ihm zu Hilfe kam.

Im Hotel angekommen, ließ sich Kolb ins Bett fallen und schlief sofort ein. Es war bereits Abend, als er nach einer ausgiebigen Dusche sein Zimmer verließ und im Foyer von Margit Hohn abgefangen wurde.

»Haben Sie schon gehört?«

»Was denn?«, fragte er, immer noch etwas verschlafen.

»Na, das... mit der Leiche in der Bucht.«

»Nee«, sagte er interesselos und ging auf die Terrasse.

Sie kam aber hinterher und schien richtig aufgeregt zu sein: »Furchtbare Sache! So jung. Und jetzt...«

»Na, was meinen Sie mit ›jetzt‹?«

»Die Leiche meinte ich«, sagte sie.

»Könnten Sie sich etwas weniger geschraubt ausdrücken?«, gab er schroff zurück. Ihre schrille Stimme feuerte seine Kopfschmerzen an.

Sie zog sich etwas zurück.

»Ja, ich weiß auch nur, dass man eine Frauenleiche in der Bucht gefunden hat. Mehr kann ich gar nicht dazu sagen.«

»Ist schon gut«, sagte er kurz angebunden.

 

Er ging zur Straße hinunter und landete in einem kleinen Restaurant. An der Bar lernte er sofort eine gutaussehende Frau kennen. Braune Augen, langes braunes Haar und ellenlange Beine. Eigentlich war sie es, die ihn ansprach.

»Na? Ihrem Bart nach zu urteilen, folgen Sie den Spuren Störtebekers. Hab ich recht?«

»Mein Name ist Kolb. Komme aus Hamburg«, stellte er sich ihr vor.

»’tschuldigen Sie. Bin Verena Klauspitz. Hab wohl ein bisschen zu tief ins Glas geschaut.«

»Da sind Sie nicht die Einzige. Obwohl... ich hatte schon gestern Abend das fragliche Vergnügen, einen über den Durst zu trinken.«

»Darf man fragen, warum?« Ihre Stimme klang wie die einer fürsorglichen Cousine, und er war froh, etwas Druck ablassen zu können.

»Ich glaube, ich habe meine Familie verloren.«

»Oha! Möchten Sie darüber sprechen?«

»Nein, lieber nicht. Reden wir doch über Störtebekers Spuren.«

»Na, ein paar Kilometer nördlich von hier – in Ralswiek – beginnen auf der Naturbühne die Abenteuer des legendären Seeräubers Klaus Störtebeker. Handelt sich um ein Theaterstück mit über hundertfünfzig Mitwirkenden und anschließendem Feuerwerk über dem Großen Jasmunder Bodden.«

»Davon wusste ich nichts.«

Sie hob den Zeigefinger.

»Aha, Sie machen hier nur Urlaub?«

»Kann man so sagen.«

Sie gefiel ihm nicht schlecht, also lud er sie zu einem Spaziergang ein. Er brauchte dringend frische Luft. Ziemlich schnell stellten beide fest, dass sie sich gar nicht so unähnlich waren. Kolb fühlte sich in ihrer Gegenwart plötzlich wie eine kleine Stecknadel, die von einem starken Magneten angezogen wurde.

»Kurzurlaub?«, hakte sie nach, während sie nebeneinanderher schlenderten.

»Nein! Nicht direkt. Ich versuche, ein Buch zu schreiben. Aber bedauerlicherweise leide ich derzeit unter einer Schreibblockade.«

Sie krauste die Nase.

»Ja, Sie sind doch der Krimiautor, Kolb! Hab schon ein Buch von Ihnen gelesen. Ist aber etwas her. – Oh, ich kenne das Problem. Wissen Sie, bei meiner Arbeit braucht es auch Inspiration und eine gute Nase, was die Aufklärung von Tötungsdelikten angeht.«

»Arbeiten Sie bei der Polizei?«

Sie spitzte die Lippen.

»So ähnlich. Als Profilerin.«

Er musste lachen.

»Bitte verzeihen Sie. Ich wollte Sie nicht kränken. Ich dachte an...«

Sie wurden von einem Herrn mit Schnauzer und Hut unterbrochen, dessen Erscheinung Kolb an Kommissar Maigret erinnerte. Sein erstes Buch des Krimikönigs George Simenon hatte er bereits 1980 gelesen. Leider war es bei diesem einen Kriminalroman auch geblieben, weil er später keine Zeit mehr dazu gefunden hatte – oder das Schreiben hatte ihm im Weg gestanden.

»Entschuldigen Sie«, sagte der Maigret. »Mein Name ist Zander. Hauptkommissar Zander. Sind Sie... Frau Klauspitz?«

»Ja, was ist los?«

»Ihr Kollege in Hamburg hat uns darüber informiert, dass Sie sich hier auf der Insel aufhalten. Wie Sie vielleicht erfahren haben, ist eine weibliche Leiche in der Bucht aufgefunden worden. Ich dachte, vielleicht könnten Sie uns etwas unterstützen. Wir hier auf der Insel Rügen haben nur selten mit einem Mord zu tun. Um genau zu sein: Der letzte liegt fünfzig Jahre zurück.«

Verena Klauspitz zeigte auf ihren Begleiter.

»Darf ich vorstellen, das ist... Herr Kolb. Ach, ich kenne gar nicht Ihren Vornamen.«

»Den hab ich auch vergessen. Oder aus meinem Kopf verbannt«, entgegnete Kolb unfreundlich. Er wollte nicht schon wieder erkannt werden.

»Na«, Hauptkommissar Zander hob die Brauen, »wird wohl nicht gerade der Hit sein, ich meine... Ihr Vorname!«

»Stimmt genau«, antwortete Kolb und lenkte mit »Weiß man denn schon Näheres über die Tote?« ab.

Zander ging nicht auf die Frage ein, er wusste, wen er vor sich hatte, behielt es aber für sich. Stattdessen wiederholte er: »Kann ich mit Ihnen rechnen, Frau Klauspitz?«

Kolbs neue Bekanntschaft schien schnelle Entschlüsse zu lieben und sagte kurz: »Ja, natürlich!«

»Dann sehen wir uns morgen auf dem Revier?«

»Komme gegen acht Uhr in der Früh. Und bitte unternehmen Sie bis dahin nichts.«

Zander war so schnell wieder verschwunden, wie er eben aufgetaucht war.

Verena Klauspitz sah Kolb erstaunt an.

»Juckt Sie das nicht?«

Er wusste sofort, worauf sie anspielte, zeigte sich aber nicht sonderlich interessiert. »Ach was. Bisher ist noch gar keine Story zu erkennen. Sie könnten mich ja auf dem Laufenden halten. Vielleicht steckt ein Drama dahinter.«

»Jeder Mord ist dramatisch«, sagte sie und hakte sich freundschaftlich bei ihm ein. Kurz danach trennten sie sich.

 

Kolb ging auf sein Zimmer. Als es klopfte, stand Margit vor der Tür.

»Herr Kolb?! Ein Telegramm für Sie.«

»Danke«, sagte er, nahm das Papier und schloss die Tür.

Sein Verleger teilte ihm mit, dass er sich anstrengen und einen Zahn zulegen solle. Außerdem wies er ihn an, das Saufen zu unterlassen.

Er musste schmunzeln. Harry war schon eine Nummer. Harry Baumgart war ursprünglich Metzger von Beruf gewesen. Schon als kleiner Junge träumte er davon, Bücher herauszubringen. Als sein Vater starb und er die Schlachterei erbte, verkaufte er sie von heute auf morgen und gründete einen Verlag. Aber noch schneller ging es mit diesem Unternehmen bergab. Jetzt biss er sich wie eine Zecke an Kolb fest, der schließlich nicht nur sein bestes Pferd im Stall, sondern auch das einzige war, mit dem er seinen ramponierten Ruf festigen konnte.

Vielen anderen Verlagen erging es ähnlich. Schließlich verschwanden die Leser geschriebener und gebundener Bücher immer mehr. Heutzutage hatten die Leute überwiegend Bilder im Kopf. Kopfkino. Da musste man sich nicht mit dem Lesen abmühen. Einfach nur die Glotze einschalten und los. Ein Roman musste sich in höchstens anderthalb Stunden reinziehen lassen. Mehr Zeit war dafür nicht drin.

Ihm gingen unterschiedlichste Gedanken durch den Kopf. Vor allem der Mord an dieser jungen Frau. Vielleicht war es ein Wink des Schicksals, dem er nachgehen sollte? Es konnte doch kein Zufall sein, ausgerechnet jetzt eine Leiche!

Außerdem wollte er Verena unbedingt wiedersehen. Obwohl – er liebte auch seine Frau immer noch, oder?

 

Die Nacht wollte nicht zu Ende gehen. Er nahm ein Buch zur Hand und blätterte.

Auch das half nicht einzuschlafen. Er wälzte sich hin und her, bis ihm die Sonne ins Gesicht schien und er keine Minute in dieser Nacht Schlaf gefunden hatte. Er nahm eine Dusche, anschließend ging er frühstücken. Wieder kam Margit auf ihn zugestürmt, mit den neuesten Nachrichten.

»Es ist noch eine Frau in der Bucht tot aufgefunden worden, jetzt eine ganz junge. Stellen Sie sich das mal vor, Herr Kolb.«

Ihm blieb der Bissen seines Brötchens im Hals stecken. Nicht wegen der Nachricht, sondern weil Margit so blöd aus der Wäsche schaute, während sie das sagte. Wie ein Schaf. Er hörte nur: Mäh, mäh, mäh. Schließlich entschloss er sich, Kommissar Zander aufzusuchen. Nicht so sehr wegen der Morde, eher um Verena zu sehen.

 

»Es war doch vereinbart, dass Sie nicht dazwischenfunken«, sagte Verena etwas erbost zu Zander.

Der kratzte sich am Nasenrücken.

»Entschuldigung, ich... war einfach neugierig auf diesen Schriftsteller. Was glauben Sie? Ist er unser Mann?«

»Ausgeschlossen! Also hatten Sie gewusst, wer er ist?«

»Ja.«

»Das ist keiner, der einen realen Mord begeht. Das gelingt ihm nur im Kopf. Dafür ist er bekannt. Ein Schriftsteller mordet vielleicht schreibend, aber doch nicht wirklich.«

»Da bin ich mir nicht so sicher«, meinte Zander und drehte sich dem Fenster zu. Mit einem Zungenschnalzer sagte er: »Schau an – schau an! Da kommt er ja.«

»Was meinen Sie?«

»Kolb kommt aufs Präsidium zu spaziert.«

»Hm«, war alles, was Verena von sich gab.

»Und wie geht es nun weiter?«, hielt Zander das Gespräch aufrecht.

»Beziehen Sie ihn doch in Ihre Ermittlungen mit ein«, sagte Verena, »unter dem Vorwand, die Meinung eines Krimiautors könnte von größtem Nutzen sein.«

»Gute Idee«, sagte Zander. »Übrigens gibt es noch eine seltsame Einzelheit: Bei der zweiten Leiche von heute früh lag – ebenso wie beim ersten Opfer – eines von Kolbs Büchern mit dabei. Also unmittelbar am Tatort.«

»Ziemlich offensichtlich«, sagte Verena zu Zander, »dass das etwas zu bedeuten hat. Aber genau das beweist doch, dass er nichts damit zu tun hat. Wer legt sich schon selbst einen Strick um den Hals? Jemand könnte eine falsche Spur legen wollen.«

»Oder«, Zander kratzte sich am Kinn, »Kolb könnte zu einem Mörder geworden sein, um in Wahrheit zu realisieren, was seine Fantasie anregt. Ein Irrer, der beides nicht mehr auseinanderhalten kann.«

»Glaub ich nicht! Kolb hat mit den Morden bestimmt nichts zu tun. Aber natürlich, ich bin auch nicht allwissend.«

 

Kolb stand noch eine Weile vor dem Polizeigebäude. Eigentlich ist es eine dumme Idee, dachte er, hier hereinzumarschieren. Und er drehte wieder um. Aber dann hörte er Verenas Stimme: »Kolb, halt! Warten Sie.«

Sofort wendete er und ging auf sie zu.

»Guten Morgen. Schon so früh auf den Beinen?«

»Ja, kann man so sagen. Warum sind Sie wieder umgekehrt? Wollten Sie zu Kommissar Zander?«

»Nein! Eigentlich wollte ich Sie sehen. Sie sind mir ans Herz gewachsen.«

Er hoffte, dass es scherzhaft genug klänge, um nicht aufdringlich zu wirken.

»Soso, ans Herz gewachsen. Obwohl wir uns nur ein paar Stunden kennen. Wie das?«

»Keine Ahnung!«

»Kommen Sie, Kolb. Wir fahren kurz nach Ralswiek. Den Störtebeker habe ich noch nie auf einer Bühne gesehen. Wird bestimmt ein interessantes Erlebnis.«

»Warum nicht? Also gut – auf nach Ralswiek.« Er hatte plötzlich gute Laune.

»Das Stück heißt übrigens Störtebekers Gold – Der Schatz der Templer.«

»Hört sich wirklich gut an«, sagte er zufrieden und spürte ein leichtes Kribbeln. »Hat er nicht dem Hamburger Rat und dessen Herren nach seiner Verurteilung zum Tode eine Wette vorgeschlagen, um seine Streitgenossen oder Kumpane vor der Hinrichtung zu bewahren?«

Verena ergänzte, was er noch nicht so genau kannte:

»Stimmt. Es war an einem Frühlingstag. Die Piraten, so sagte er, an denen er ohne Kopf vorbeigehen würde, sollten freigelassen werden. Niemals hätten die Ratsherren für möglich gehalten, was für ein Schauspiel sich ihnen dann bot. Sein kopfloser Körper schaffte es, an elf Piraten vorbeizugehen. Dann stellte ihm jemand einen Fuß, und Störtebeker stürzte zu Boden. Soweit die Legende.«

Die Vorstellung begann gegen zwanzig Uhr. Kolb blieb genügend Zeit, um mit Verena bummeln zu gehen und anschließend noch gut zu essen. Beide quartierten sich für eine Nacht im Klaus-Störtebeker-Hotel in der Dorfstraße ein, knapp fünf Minuten Fußweg vom Freilufttheater entfernt.

Die Vorstellung war gelungen, und beim anschließenden Feuerwerk kamen sich die beiden ein wenig näher. Trotzdem ging jeder für sich auf sein Zimmer.

 

Am anderen Morgen wachte Kolb blutverschmiert in seinem Bett auf. Nicht lange und es hämmerte jemand gegen die Tür.

»Polizei. Aufmachen.«

Kolb hatte einen Filmriss. Er konnte sich nur noch erinnern, dass er, nachdem er sich von Verena verabschiedet hatte, in eine Bar gegangen war. Dort hatte er einen Whisky trinken wollen.

 

Seit vierundzwanzig Stunden saß er in Untersuchungshaft und konnte nicht so recht glauben, was mit ihm geschah. Die Anklage lautete auf Mord. Beim Frühstück in seiner Zelle wurde er mit der neusten Zeitungsausgabe konfrontiert. Sie trug die Überschrift: »Der Autor Bartholomäus Bellamy Kolb wurde gestern im Hotel Klaus Störtebeker verhaftet.«

Weiter stand da geschrieben: »Er steht im Zusammenhang mit den Morden in der Bucht in Lohme und wird heute nach Hamburg überstellt.«

Seine Erinnerungen an den gestrigen Abend wollten nicht zurückkommen. Hier lief einiges schief. Nur – was?

»Herr Kolb, machen Sie sich bitte fertig«, sagte der Schließer verhältnismäßig freundlich.

»Wozu? Was ist los?«, fragte er irritiert.

»Sie sollen noch verhört werden, bevor man Sie der Hamburger Justiz überstellt.«

Eine Tasse Muckefuck und sein unrasiertes Gesicht machten den Tag zu keinem von Kolbs Glückstagen. Er fühlte sich wie ein verfolgter Straßenkater.

»Na, wie geht’s?«, begrüßte ihn Kommissar Zander. An seiner Seite saß Verena und nickte ihm zu. Es sah aus, als seien alle die besten Freunde. Kolb ging in Abwehrstellung.

»Was soll das alles? Bin ich im falschen Film?«, fragte er mit lauter Stimme. So wusste Zander gleich, woran er mit ihm war.

»Kann Sie schon verstehen. Aber wir haben das Blut an Ihrer Kleidung im Schnelltest überprüfen lassen. Es ist nicht Ihres.«

»Das weiß ich selbst. Gibt es auch schon ein Opfer mit dieser Blutgruppe?«

»Bisher haben wir nichts gefunden. Kein Opfer. Aber – Sie hätten es ja einfach verschwinden lassen können.«

Das brachte ihn auf hundertachtzig. Verena bemerkte es natürlich. Die Profilerin kam zu ihm, legte ihre Hand auf seine Schulter und sagte: »Im Augenblick spricht alles gegen dich. Zander meint das nicht so. Aber zwei Leichen in der kurzen Zeit, und dann noch das Blut... Immer spielst du eine Rolle. Das ist schon erstaunlich.«

Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und spürte, wie sein Gesicht zerfiel. Kolb fühlte sich gealtert, entmutigt. Er war nahe dran, einfach drauflos zu heulen, war aber zu groß und zu massiv, aus zu hartem Stoff, um sich das zu erlauben.

 

Drei ausgedruckte E-Mails landeten nach und nach auf Zanders Schreibtisch. Verena und Kolb durften sie lesen. Das erste Schreiben kam von der Hamburger Kriminalpolizei, das zweite von der Staatsanwaltschaft, das letzte stammte aus einem Leichenschauhaus in Hamburg.

Das Objekt der Identifizierung war etwa achtundzwanzig Jahre alt, einen Meter neunundsechzig groß und eine Frau, die der Polizei viele Rätsel aufgab. Man vermutete, es könne sich um dieselbe Leiche handeln, die vor drei Tagen aus eben diesem Leichenschauhaus in Hamburg verschwunden und – in Lohme in der Bucht gefunden worden war.