Verschwörung in Germanien - Wolfgang Dietsch - E-Book

Verschwörung in Germanien E-Book

Wolfgang Dietsch

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Beschreibung

Rom zu Beginn des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts - Rufus beginnt seine politische Karriere. Er ist 27 Jahre alt, als er in den Kreis der 26 gewählt wird. Da er hier für das Geldwesen zuständig ist, beauftrag Kaiser Trajan ihn, einen Münzfälscher zu entlarven und dingfest zu machen. Rufus verfolgt den Verdächtigen bis in das nördliche Germanien, die Germania inferior. In der neuen Stadt Trajans, der Colonia Ulpia Traiana, geschehen - ebenso wie in dem nahe gelegenen Legionslager Castra Vetera - merkwürdige Dinge. Mit Hilfe seiner Freunde gelingt es ihm, den unwöhnlichen Kriminalfall aufzuklären.

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Seitenzahl: 277

Veröffentlichungsjahr: 2012

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EPUB-Edition

Vollständige E-Book-Ausgabe des im Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2007/2012 Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG, Münster

ISBN der EPUB-Ausgabe: 978-3-402-19672-4

ISBN der Druckaugabe: 978-3-402-00438-8

Sie finden uns im Internet unter

www.aschendorff-buchverlag.de

1

I

Er verließ die Colonia Ulpia Traiana, Traians Stadt am Niederrhein, durch das Nordtor. Gemächlich schlenderte er auf der Straße in Richtung Nimwegen. Als er sich weit genug von der Stadt entfernt hatte, bog er nach rechts ab. Vor ihm lag der Fluss.

Marcus Asinius Rufus war 27 Jahre alt. Er hielt sich selbst für durchschnittlich: von durchschnittlicher Intelligenz, von durchschnittlicher Größe, von durchschnittlicher Statur. Seine Freunde behaupteten, er sei ein athletischer Typ und mit seinem offenen, freundlichen Gesicht, seinen dunkelblonden Haaren und seinen blauen Augen wirkte er auf Frauen beneidenswert attraktiv. Rufus hatte seine himmelblaue, im Laufe der Jahre verwaschene Lieblingstunika angelegt, dazu seine leichten Sandalen.

Bald hatte er eine ruhige Bucht erreicht, eine Weide spendete Schatten. Entspannt und zufrieden ließ er sich im Gras der Uferböschung nieder. Das also war der Rhenus Fluvius – kaum zu glauben, denn was er sah, hatte mit dem Rhein, wie er ihn kannte, wenig Ähnlichkeit. Es waren eher mehrere Flüsse, in die der Rhein sich aufgeteilt hatte. Sie alle wälzten sich träge von rechts nach links durch die weite Tiefebene. Braungrüne, vereinzelt mit Bäumen bewachsene Inseln trennten die graublauen Flussarme voneinander.

Rufus kannte den Tiber zwischen Rom und Ostia recht gut. Auch nicht gerade ein Rinnsal, dieser Tiber, aber man hätte ihn in den Rhein leiten können, ohne einen erkennbaren Unterschied zu bewirken. Er schätzte die Entfernung vom ersten bis zum letzten der Rheinarme auf 2000 Doppelschritte.

Auf dem zweiten dieser Arme näherte sich von rechts ein Geschwader von Kriegsschiffen, er zählte dreizehn Liburnen. Es waren prächtige Schiffe, rot und golden. Am Bug des ihm nächsten erkannte er unter dem goldenen Schnabel ein weit geöffnetes, blaues Auge. Die Segel waren leider gerefft, sonst wäre ihm das Bild sicherlich noch eindrucksvoller erschienen. Er erinnerte sich an den Beginn seiner Reise nach Norden. Auch in Ostia hatte ihn der Anblick des auf ihn wartenden Geschwaders tief beeindruckt. Dieses Geschwader der Classis Germanica war wahrscheinlich unterwegs in Richtung Mare Germanicum, denn in der Nähe von Utrecht im Batavierland sollte es Unruhen geben, so hatte er gehört.

Heiß war es an diesen Iden des Monats Julius. Noch vor wenigen Wochen hätte er sich kaum vorstellen können, dass es in der Germania Inferior so heiß werden konnte. Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf und ließ sich auf den Rücken fallen. Die turbulenten Ereignisse der letzten Zeit hatten ihn erschöpft.

Über sich sah er dünne, weiße Schäfchenwolken. Sah die eine Wolke nicht wie ein Pferdekopf aus? Nein, wie ein ganzes Pferd – oder doch nicht? Die Formen verwischten ziemlich schnell. Eigentlich erstaunlich, war es doch hier unten windstill.

Die Wolken zogen über den Rhenus längs der Lippe in Richtung Germania Magna, so wie fast einhundert Jahre zuvor die Legionen des Varus.

Vor einiger Zeit hatte Rufus ein historisches Werk gelesen, von einem Meister auf feinsten Papyrus kopiert. Allein die drei Köcher aus hellbraunem, goldverziertem Leder waren Kunstwerke. Sein Onkel hatte ihm das Buch zur Wahl in das Kollegium der 26 Männer, den Einstieg in die römische Beamtenlaufbahn, geschenkt.

Dieses Werk, die Historia Romana, verfasst von Marcus Velleius Paterculus, war für ihn der Anlass, sich mit den Germanen selbst und der römischen Germanenpolitik zu beschäftigen. Nachdem seine Ermittlungen abgeschlossen waren, fand er dazu genügend Zeit und Muße. Er versuchte, sich an die entscheidenden Ereignisse zu erinnern. Rufus konnte so etwas am besten im lautlosen Selbstgespräch und erinnerte sich so auch an die Geschichte, die ihm der Legatus Augusti in Mogontiacum, des Kaisers Statthalter in Mainz, erzählt hatte.

„Nachdem Caesar vor eineinhalb Jahrhunderten zur Demonstration seiner Macht den Rhein überquert hatte, spielten die Germanen kaum noch eine Rolle, bis der Princeps Augustus einen Überfall auf die Römer in der Gegend von Aachen zum Anlass nahm, das Gebiet der Germanen auf Dauer neu zu ordnen. Er selbst begab sich an die Germanengrenze. Vielleicht hatte er selbst den Grundstein zu dem Legionslager Castra Vetera gelegt, das sich ganz in der Nähe befand. Von diesem Lager aus, strategisch günstig gegenüber der Lippemündung gelegen, sollten die Legionen längs der Lippe nach Osten marschieren. Gleichzeitig sollte ein Heer von Mainz aus zur Elbe vordringen. In einer Zangenbewegung sollte die Germania Magna erobert werden.

Einzelne Expeditionen durch das unbekannte Land zwischen den Strömen bereiteten die Umorganisation Germaniens nach römischen Vorstellungen vor. Auch hier sollten das römische Recht und das römische Steuersystem eingeführt werden.

Gefährlich konnte den Römern allerdings der Zusammenschluss germanischer und keltischer Stämme unter König Maroboduus werden. Ein Angriff gegen diese bedrohliche Machtkonzentration war nur deshalb unterblieben, weil im entscheidenden Augenblick ein Aufstand in der Provinz Ungarn die ganze Kraft der Römer in Anspruch genommen hatte. Unter den Offizieren, die bei diesem Feldzug Germanische Auxilia in römischem Sold befehligt hatten, war auch ein junger Cherusker namens Arminius, der wenig später in der Umgebung des Statthalters von Germanien, Publius Quinctilius Varus, wieder auftauchte.

Varus kommandierte das größte Heer, das jemals zwischen Rhein und Elbe aufmarschiert war. Fälschlicherweise nahm er an, das Land sei unterworfen und habe sich in sein Schicksal gefügt. Er glaubte es sogar noch, als sich seine germanischen Hilfstruppen und ihr Anführer Arminius unter einem Vorwand absetzten. Warnungen, der Cheruskerfürst plane Verrat, hatte er ignoriert.

Marcus Velleius Paterculus, der nicht nur Offizier und Geschichtsschreiber, sondern auch Zeitgenosse des Geschehens war, beschreibt ihn wie folgt:

„Publius Quinctilius Varus, der aus einer eher angesehenen, altadeligen Familie stammte, war ein Mann mit sanftem Wesen und ruhigem Charakter, unbeweglich an Körper und mehr noch an Geist und eher an das geruhsame Lagerleben als an den Kriegsdienst gewöhnt. Als er das Kommando über das Heer in Germanien innehatte, besaß er die Vorstellung, die Germanen seien Wesen, die nur Stimme und Körperbau mit Menschen gemein hätten, und die man nicht mit Schwertern bezwingen, sondern nur durch das Recht zähmen könne.“

Nach dieser Auffassung schien er auch sein Amt geführt zu haben.

Tja – und dann die Clades Variana, das Disaster des Varus, bei der zweimal so viele Legionäre ihr Leben gelassen hatten wie die neue Colonia Einwohner hatte. Die Schlacht im Teutoburger Wald war allerdings eher ein Schlachten als eine Schlacht; der wortbrüchige Verräter Arminius hatte dem Statthalter einen Hinterhalt gelegt.“

Marcus schreckte auf. War er eingenickt? Die Sonne stand schon recht tief. Es wurde höchste Zeit, in die Stadt zurückzukehren. Zum Sonnenuntergang hatte er sich mit seinem Freund Longus im Gasthaus verabredet. Der Rückweg dauerte nicht lange. Durch das Nordtor, nach links, die Befestigung war hier noch eine Wall-Graben-Anlage, jetzt nach rechts, an der vor einiger Zeit fertig gestellten Mauer entlang, links das Hafentor, rechts die Tempelbaustelle. Er musste einem Trupp von Legionären ausweichen, der in dröhnendem Gleichschritt an ihm vorbei marschierte, endlich, da vorn lag die Herberge.

2

II

Voll und laut war es im Wirtshaus, ein Stimmengewirr aus verschiedenen, ihm nicht geläufigen germanischen und gallischen Dialekten empfing ihn. Er meinte, selbst hispanische Laute zu hören. Irgendwo in dem Menschengewirr wurde ein Lied gesungen, ein Bauhandwerkerlied, das wohl im gesamten Imperium unvermeidlich war, er kannte es aus Rom.

Flinke, hübsch anzusehende Sklavinnen wuselten durch das Gedränge, sie balancierten Schüsseln und Krüge. Rufus ahnte, dass sich ihre Bedienung nicht auf Speisen und Getränke beschränken würde, in Wirtshäusern wie diesen waren sie im Nebenberuf gewöhnlich Freudenmädchen.

Longus saß an einem kleinen Tisch in der Ecke. Es dauerte einige Zeit, bis sich Rufus zu ihm durchgedrängt hatte.

„Hallo Longulus, Du bist ja die Eleganz in Person!“

„Die Götter mögen Dich segnen, Rufus! Du weißt doch, dass Du der einzige bist, der mich Longulus nennen darf?“

„Du weißt doch, dass Du mich das nicht zum ersten Mal fragst?“

Tatsächlich war Longus hoch gewachsen, er überragte Marcus um eine Handbreite. Longus war von dunkler Hautfarbe, sein schwarzes Kraushaar und seine dunkelbraunen, fast schwarzen Augen ließen erkennen, dass seine Vorfahren ursprünglich aus Aethiopia stammten. Seine dunklen Farben reichten ihm offensichtlich noch nicht aus, also trug er eine schwarze Tunica und schwarze Sandalen und wirkte so ausgesprochen elegant.

Sie hatten sich verabredet, um zu beraten, in welcher Form sie dem Imperator Caesar Traian über die Ereignisse der jüngeren Zeit, ihre Ermittlungen und deren Ergebnisse berichten sollten.

Zuerst aber wollten sie sich eine für ihre Verhältnisse umfangreiche Cena gönnen.

Zur Einstimmung genossen sie einen kräftigen Schluck Mulsum. Diese mit Honig gesüßte Weinzubereitung hatten sie erst hier in Niedergermanien zu schätzen gelernt.

Die beiden sprachen den Leckereien, weich gekochten Eiern verschiedener Vögel, gefüllten Oliven in gewürztem Öl, gedörrten Pflaumen, geräuchertem Fisch und mit Garum zubereiteten Würstchen, tüchtig zu. Auf die Würzsauce Garum wurde nie verzichtet. Es war kaum zu glauben, dass aus dem Sud verfaulter Fische etwas so köstliches wie Garum entstehen konnte.

Das Mahl wurde mit Honigkuchen und Äpfeln beschlossen.

„Lass uns noch einen Krug Wein genießen!“

„Carpe diem, sage ich immer, pflücke den Tag! Manchmal hast Du wirklich gute Ideen.“

Rufus hatte es aufgegeben, seinem Freund das Zitieren berühmter Sinnsprüche abzugewöhnen. Warum auch? Manchmal waren sie ja ganz lustig.

Sie winkten eine Kellnerin in weißer Stola herbei. Ein ausgesprochen hübsches Mädchen war sie, schlank, hochgewachsen, ihr weizenblondes Haar reichte bis zu den Hüften und ihre leuchtend blauen, von dunklen Wimpern umrandeten Augen strahlten, als sie die beiden Freunde in ausgezeichnetem Latein nach ihren Wünschen fragte.

Longus starrte sie mit offenem Mund an, so eine schöne Frau hatte er noch nie gesehen, sicherlich war sie eine Göttin, die in der Rolle einer Sklavin die Menschen einmal aus der Nähe erleben wollte.

„Hallo Longulus – aufwachen!“

„Äh… ja… bitte bring uns einen Krug vom besten Wein.“

Lächelnd erklärte die Sklavin: „In der vorigen Woche hat uns ein Schiff ein paar Fässer Weins von der Mosel mitgebracht, auch wir durften ihn probieren, ein frischer, würziger Wein, ich kann ihn guten Gewissens empfehlen.“

Longus war zurück in der Wirklichkeit. „Bitte bring uns davon einen großen Krug!“

Während sie sich den Wein Becher um Becher unverdünnt schmecken ließen, erinnerten sie sich nicht ohne Wehmut an Erlebnisse ihrer gemeinsamen Kindheit in Italica, einer römischen Stadt in Spanien.

„Erinnerst Du Dich noch an Euglethos, unseren Grundschullehrer?“, wollte Rufus wissen, „dem wir rücksichtslos und unbekümmert böse sein Stuhlbein präpariert haben; er machte keine besonders gute Figur als er – die Rute bereits erhoben, um Dich zu züchtigen – unter lautem Schülergelächter der Länge nach zu Boden schlug.“

„Ja, ich erinnere mich. Dem armen Kerl haben wir oft übel mitgespielt, dabei hätten wir bei ihm, dem unterbezahlten Gelehrten von Rhodos, eine Menge lernen können.“

„Da hast Du recht, hätten wir nur, aber wir waren eben Kinder, allerdings Kinder, die bereits genug gelernt hatten, um sich am Fluss ein eigenes Baumhaus zu bauen, wie oft haben wir da geheimen Kriegsrat gehalten!“

„Du machst Dich doch nicht über unseren Kaiser lustig?“

„Wie kommst Du denn darauf?“

„Du weißt schon, was ich meine. Das klang gerade, als wolltest Du ihn zitieren; Genau diese Geschichten hat uns vor ein paar Wochen Traian erzählt; seine Kindheit in Italica scheint der unseren recht ähnlich gewesen zu sein.“

So ging das noch eine Weile weiter. Als sie den zweiten Krug bestellten, nannte die blonde Kellnerin auch ihren Namen: Iringa.

Oh – welch göttlicher Name, als Longus schon wieder zu träumen begann, musste Rufus ihm einen Rippenstoß versetzen.

Die beiden vervollständigten ihre Erinnerungen über das riesige Amphitheater von Italica, zu dem sie einen versteckten, unterirdischen Zugang gefunden hatten, über die Garumfabrik, wo sie manches Mal einen Topf Garum stibitzt hatten, um ihn in ihrem Baumhaus mit einem Stück Brot zu verzehren.

„Wie hieß noch mal der kleine Goldschmied, den wir oft besucht haben, kam er nicht aus Etrurien?“, fragte Rufus.

„Stimmt, er kam aus Veji, sein Name war Procerna, vor drei Jahren ist er gestorben. Nachdem Du Italica verlassen hattest, hat er mich zum Goldschmied ausgebildet – ein hochinteressanter, hochintelligenter Mann, der nicht nur über seine Schmiedekunst genauestens Bescheid wusste. So hat er mir beispielsweise auch erklärt, wie unsere beiden Namen Procabo und Procerna miteinander zusammenhängen. Leider habe ich vergessen, was er damals erklärt hat. Wann bist Du eigentlich nach Ephesos gegangen?“

„Nicht in Ephesos, in Pergamon war ich bei dem Rhetoren Tullios. Er war nicht Grieche, sondern Römer, ursprünglich sogar Germane, ein glühender Cicero-Verehrer, wahrscheinlich nannte er sich auch deswegen Tullios. Das ist übrigens ziemlich genau neun Jahre her. Er hat mich zu einem leidlich guten Schreiber und Redner gemacht. Wir haben uns aber auch mit der Philosophie und der Mathematik beschäftigt, vornehmlich mit Eukleides von Alexandria und Pythagoras von Samos. Mein Lehrer Tullios war auch ein armer, vom Schicksal nicht eben verwöhnter Schlucker – genau wie unser alter Euglethos. Übrigens: Tullios’ Großvater war zur Zeit des Germanicus in römische Gefangenschaft geraten und als Sklave verkauft worden. Sein Sohn, also der Vater meines Tullios, konnte sich frei kaufen, und da er sehr an griechischer Kultur interessiert war, zog er nach Athen. Meinem Julius Tullios war Athen zu groß und zu laut, er ist nach Pergamon gezogen – vom Regen in die Traufe.“

„Wir hatten uns etwas vorgenommen. Wann wollen wir mit unserem Bericht beginnen?“

„Ich fürchte, heute Abend wird nichts mehr draus.“

„Nein – ich meine wo und wann ist der Anfang unseres Berichtes?“

„Ah, so war das gemeint. Ich schlage vor, in Rom, immerhin haben wir dort unsere üblen Erfahrungen mit dem Bankier Marianus Laertes gemacht.“

„Gut, halten wir das schon mal fest! Du wirst doch wohl Wachstafel und Schreibstift dabei haben?“

„Wieso ich? Wer ist denn hier der Dichter? Ceterum censeo, äh, im übrigen meine ich, dass aus unserer Arbeit heute nichts mehr…“

„Schon gut, schon gut, Cato, brechen wir also die Veranstaltung ab und gehen wir schlafen! Die Rechnung darfst Du begleichen. Wann und wo treffen wir uns morgen?“

„Zur selben Zeit am selben Ort.“

3

III

Longus hatte eine Kammer in der Herberge gemietet. Auch Rufus hatte hier zunächst zwei Zimmer gehabt, war aber bereits am zweiten Tage ausgezogen. Ihm war es zu laut und zu stickig gewesen. In dem Gasthaus hatte Rufus gleich am ersten Abend beinahe eine Auseinandersetzung mit einem muskelbepackten Riesen gehabt. Rufus und Longus saßen gemütlich an einem Ecktisch, um sich an einer Cena zu erfreuen, als plötzlich dieser Riese vor ihnen stand. Außergewöhnlich an dem Menschen war seine grüne Ledertunica. Soweit man bei der Kerzenbeleuchtung erkennen konnte, hatte er rotblondes Haupthaar, und aus einem feuerroten Vollbart drangen einige unflätige Verwünschungen: Er wollte unbedingt an seinem angestammten Tisch Platz nehmen, an dem Rufus gerade saß. Er beschwerte sich mit einer hohen, piepsigen Stimme, die zu seiner Erscheinung ganz und gar nicht passen wollte. Rufus musste unwillkürlich lachen, und der Riese drohte handgreiflich zu werden. Gern hätte Rufus an dem Kerl ein paar von den gemeinen Griffen und Überraschungsübungen ausprobiert, die er tagtäglich mit seinem Sklaven Pendorix übte. Er wollte aber nicht gleich am ersten Tag in der CUT auffallen, also zogen sich Rufus und Longus an einen anderen Tisch zurück.

Rufus hatte bei einer jungen Witwe eine Wohnung gefunden, die er mit Pendorix bezogen hatte. Mollia, die Wirtin, war seinerzeit gemeinsam mit ihrem Mann Lucius in die zivile Siedlung der Castra Vetera gezogen, er war Centurio der Legio XXII Primigenia gewesen. Ein Unfall während eines Manövers hatte ihn das Leben gekostet: Bei einem Übungswerfen hatte ihn versehentlich ein Wurfspeer der Infanterie getroffen – so jedenfalls hatte man ihr erklärt.

Mollia, eine fröhliche Person mit kupferrotem, halblangem Haar, schien unter dem Verlust ihres Mannes nicht mehr allzu sehr zu leiden, sie war ein ausgesprochen lebensfroher Mensch.

Ziemlich müde erreichte Rufus den Hintereingang des Stadthauses, er wurde vom mürrisch dreinblickenden Pendorix mit Vorwürfen überfallen.

„Wo warst Du, Herr? Seit der Mittagszeit warte ich ohne ein Lebenszeichen von Dir und ohne zu wissen, wohin Du gegangen bist.“

„Schon gut, schon gut, Pendorix; ich habe vergessen, Dich um Erlaubnis zu bitten, einen Spaziergang zu machen. Im übrigen sollst Du mich nicht immer Herr nennen, wie oft habe ich Dir das schon gesagt? Mein Name ist Marcus Asinius Rufus, nenne mich Marcus! Außerdem bin ich viel zu erschöpft, um mich mit Dir zu streiten.”

Rufus wusste, dass er Pendorix nicht so behandelte, wie man einen Sklaven behandeln sollte – nämlich wie einen Gegenstand. Im Gegensatz zu den meisten Römern war er der Meinung, Sklaven seien auch Menschen. Zudem war Pendorix eine Generation älter als er. Rufus ging mit Pendorix um wie mit einem Partner, fast jedenfalls.

Beide waren inzwischen müde genug, sie zogen sich in ihre Kammern zurück.

Rufus wurde von der Sonne geweckt, die gleißend in sein Gesicht schien. Er gähnte, räkelte sich noch einmal, rieb sich die Augen mit beiden Fäusten, sprang aus dem Bett und ging zum Fenster. Die Sonne hatte bereits den Giebel des Tempels überklettert. Ein Sonnenstrahl, in dem Staubteilchen tanzten, zielte genau auf die Stelle, an der sein Kopf gelegen hatte.

Von seinem Fenster aus blickte Rufus direkt auf den Tempel der Aufanischen Matronen. Diese einheimischen Muttergottheiten wurden verehrt als Beschützerinnen des Hauses und der Familie, galten aber auch als Garanten für gute Ernten und Wohlstand.

In seinem Zimmer hatte Marcus – welch Luxus – eine große, wassergefüllte Schüssel. Er erfrischte und reinigte sich so gut es ging, Ersatz für eine Therme war die Schüssel freilich nicht.

Pendorix kam herein, auf einem Tablett brachte er Brot, Käse, zwei Äpfel und einen Krug, vermutlich mit verdünntem Wein gefüllt.

„Guten Tag, Herr – ich meine Marcus; heute Morgen war ich bereits dreimal hier, um zu sehen, ob Du schon wach warst. Du hast geschlafen wie ein Holzklotz. Haben Longus und Du gestern beim Weintrinken wieder versucht, Bacchus zu übertreffen?“

Rufus ging auf die Bemerkung nicht ein. Er griff nach dem Brot, brach sich ein Stück ab und tunkte es in den Krug. Da er einen Bärenhunger hatte, war er mit dem Frühstück ziemlich schnell fertig. Einen Apfel gab er Pendorix.

„Du weißt, wir müssen für unseren Kaiser einen Bericht schreiben. Damit haben wir gestern begonnen, sind aber nicht ganz fertig geworden. Wir wollen uns heute noch einmal treffen. Das sage ich, um Dich zu beruhigen und um mir heute Abend Deine Nörgeleien zu ersparen.“

„Gut, dann mache ich mit, wenn Du gestattest, schließlich habe ich bei den Ermittlungen mitgeholfen. Jetzt aber wollen wir uns erst ein wenig frisch machen, komm wir gehen ins Peristyl!“, forderte er entschieden.

„Hier gibt es also sogar einen Säulenhof“, dachte Marcus „wie hat sich ein Centurio ein solch herrschaftliches Haus leisten können?“ Die Front des Hauses machte die Hälfte der Insulalänge aus, hatte zwei Peristylia und war auch sonst recht luxuriös ausgestattet.

Auf dem Säulenhof machten Marcus und Pendorix erst ein paar Leibesübungen, dann holte Pendorix einen kürbisgroßen, mit Sand gefüllten Lederball, den sie sich mit voller Kraft gegenseitig zuwarfen. Zum Abschluss übten sie noch ein paar Finten mit den Holzschwertern. Donnerwetter, Pendorix war trotz seiner mehr als 40 Jahre ausdauernd und behende.

„So, das soll reichen! Ich gehe jetzt ein paar Notizen machen, um für heute Abend vorbereitet zu sein“, brach Rufus die Leibesertüchtigungen ab. „Du hast frei bis heute Abend.“

4

IV

Er ging in sein Zimmer, um einen Stapel Wachstafeln, den ihm Pendorix bereits am Vortag zurechtgelegt hatte, mit Stichworten zu füllen.

Gedankenverloren stand er am Fenster. Sein Blick reichte bis zum Nordtor, hohe Häuser, die die Sicht versperrten, gab es nicht. Die rechtwinklig angeordneten Straßen sorgten für ein übersichtliches Stadtbild. Alle Häuser waren an die Kanalisation angeschlossen, soweit er wusste, selbst die Küchenabfälle wurden von städtischen Karren abgeholt.

Den bestialischen Gestank, der einige römischen Wohnviertel auszeichnete, vermisste er ebensowenig wie den fürchterlichen Lärm, den er aus den Häuserschluchten Roms kannte. Der Lärm, der hier vorherrschte, kam von zahlreichen Baustellen, und die würden irgendwann abgeschlossen sein.

Im vorigen Jahr, dem Jahre 858 seit Gründung der Stadt Rom, hatte Traian den Zentralort der Cugerner, das ehemalige Cibernodurum, zur Colonia erhoben, zur Colonia Ulpia Traiana. Seitdem war die CUT, wie sie kurz genannt wurde, eine große, auch nicht eben geräuschlose Baustelle. Alle zum Bau notwendigen Steine mussten von weit hergeholt werden, hier in der Gegend gab es nur Sand. Nach Abschluss der Großbaustellen von Thermen und Theater – er wusste, beide waren noch in der Planung – würde man hier bequem leben können.

Nun musste er aber endlich mit seinen Notizen beginnen!

Zur Einstimmung versuchte er, sich daran zu erinnern, wie alles angefangen hatte, vor allem, wie und warum er nach Rom gekommen war, um seine Beamtenlaufbahn zu beginnen.

Sein spanischer Familienzweig war eine eher unbedeutende Nebenlinie der Asinier. Sein Vater allerdings meinte, dass auch die spanische Linie der Familie in der römischen Politik vertreten sein sollte. Zur Vorbereitung der Politikerkarriere schickte er seinen Sohn also zu einem Rhetoren nach Pergamon. Zu Zeiten der Republik war es für einen Römer zwingend erforderlich, vor dem Eintritt in die Politik militärische Erfahrungen zu sammeln. In den letzten Jahrzehnten aber hatte die Zahl der Ausnahmen von dieser Regel stetig zugenommen. Heute war die Ausnahme zur Regel geworden. So war Rufus sich nicht sicher, ob er je einen Militärdienst auf sich würde nehmen müssen.

In seiner Ansicht, dass auch die spanische Linie der Familie in der römischen Politik vertreten sein müsse, wurde er unterstützt von Onkel Marcellus, der zu seinem Leidwesen keinen Sohn hatte. Marcus Asinius Marcellus, ein bedeutender Mann in Rom, seit langem Senator, war nicht Rufus’ Onkel im eigentlichen Sinne, also nicht Bruder seines Vaters. Vermutlich war ein Asinier bereits mit Publius Cornelius Scipio nach Spanien gezogen, um gegen die Punier zu kämpfen, und um sich anschließend in der Neugründung Italica niederzulassen.

Onkel Marcellus hatte ihn, Rufus, unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Pergamon nach Rom geholt, um ihm in der prächtigen Asinier-Villa auf dem Collis Viminalis eine behagliche Wohnung anzubieten, Widerspruch duldete er nicht, also lebte Rufus erstmals in seinem Leben wie ein richtiger Adliger, umgeben von einer vielköpfigen Sklavenschar. Onkel Marcellus hatte ihm sogar einen persönlichen Sklaven zugewiesen, nämlich Pendorix, den untersetzten, grauhaarigen Mann. Grauborstig war wohl treffender, denn wenn Pendorix sich über die Haare strich, schnellten sie unmittelbar nach der Berührung in ihre Ausgangsposition zurück. Wahrscheinlich waren die daumenlangen Haare aus Draht gemacht – aus Silberdraht. Pendorix konnte sich zwar daran erinnern, dass seine Haarfarbe einmal feuerrot gewesen war, nicht aber daran, wie viele Jahre er alt war, er selbst schätzte um die 45.

Onkel Marcellus war es auch, der Rufus beim Start in den Cursus Honorum unterstützt hatte; die Aufnahme in das Kollegium der 26 Männer war ein Kinderspiel, nachdem sich der Senator mit all seinen Verbindungen für ihn eingesetzt hatte. Als Mitglied der drei Männer für das Münzwesen hatte er sich hier um die Münzprägung zu kümmern.

Er erinnerte sich, wie lästig es ihm gefallen war, bei brüllender Hitze in seiner blütenweißen, ziemlich schweren Toga Candida auf dem Forum Romanum auf und ab zu schreiten und einzelne Bürger anzusprechen, mit ihnen ein paar freundliche Worte zu wechseln, um so Wählerstimmen zu gewinnen.

Onkel Marcellus hatte ihm klar gemacht, dass die Toga Candida, die helle Toga, nur von den Hellsten getragen wurde, demnach er, Rufus also, zu den Hellsten gehöre. Da Marcus Asinius Marcellus ebenfalls als Kandidat auftrat – und zwar für das Amt des Consuln, sie also gemeinsam um Wählerstimmen buhlten, konnte Rufus vom Ansehen und von der Beliebtheit des Consularkandidaten profitieren.

Das Jahr 857 nach der Stadtgründung Roms wurde tatsächlich zum Jahr der Consuln Sex. Attius Suburanus Aemilianus und Marcus Asinius Marcellus, und Marcus Asinius Rufus gehörte in diesem Jahr zum Kollegium der Vigintisexviri.

Die Erinnerungen an seine erste Zeit in Rom hatten Rufus einige Zeit gekostet, die Sonne schien inzwischen deutlich steiler in sein Zimmer. Seine Wachstafeln sahen zwar immer noch aus wie neu. Das war aber nicht ganz so schlimm, denn obschon die Erinnerungen nicht in den Bericht gehörten, so hatten sie ihn doch auf den Bericht eingestimmt und der Stilus glitt nun wie von selbst über die Wachstafeln.

Als Pendorix hereinkam, um ihn abzuholen, hatte er tatsächlich sechs seiner Tafeln mit Stichworten gefüllt.

5

V

Anders als am Vorabend war es in der Wirtschaft eher ruhig. Longus wartete bereits in der vertrauten Ecke und starrte zur Theke. Dort nämlich war Iringa damit beschäftigt, ein Tablett mit Krügen und Schüsseln zu beladen. Heute trug sie eine weinrote Stola.

„He, Longinolus, träumst Du schon wieder mit offenen Augen? Übrigens, ich weiß etwas mehr über sie. Vor ein paar Tagen hat sie mir nämlich ihre Geschichte erzählt, und jetzt ist wohl der richtige Moment, diese Geschichte an Dich weiterzugeben.“

„Du hast es gewagt, mir die Geschichte vorzuenthalten? Und Du willst mein Freund sein?“

„Vorenthalten – Quatsch! Wie hätte ich Dir etwas erzählen können, wo Du doch in der Villa eingesperrt warst? Also hör zu! Iringa ist die Tochter des Bructerer-Fürsten Tragomer. Eines Tages, als sie sich im Wald um ihre Bienen kümmerte, wurde sie überfallen und gewaltsam entführt. Rate, von wem!“

„Mach’s nicht so spannend! Sag schon!“

„Von einem Menschen in grüner Ledertunica.“

„Von diesem schrecklichen Bärenfänger mit der Eunuchenstimme?“

„Genau von dem, er hat sie nach Köln geschafft, um sie dort als Sklavin zu verkaufen. Was er nicht wissen konnte war, dass der Käufer ein Freund ihres Bruders ist. Die beiden kennen sich schon aus Rom. Bereits einen Tag nach der Entführung hatte Iringas Bruder Thorgar die Entführte aufgespürt. Zum Schein ist sie als Serviererin hierher gekommen – gegen den Willen ihres Bruders, versteht sich. Der Wirt des Gasthauses ist ebenfalls ein Freund Thorgars. Den Rest der Geschichte kennst Du.“

„Oh Zeiten, oh Sitten! Aber sie ist immer noch hier, wieso das?”

„Das wollte sie mir zunächst nicht verraten. Nachdem ich aber ein wenig von unserem Auftrage preisgegeben hatte, verriet sie mir ihre Vermutung, dass ihr Vater für seine Dienste mit gefälschtem Geld bezahlt worden sei. Sie wolle noch herausfinden, woher dieses Falschgeld stammt.“

„Du hast es ihr gesagt?“

„Habe ich.“

„Sie ist aber immer noch hier.“

„Das hängt damit zusammen, dass sie meinen Freund, den Äthiopier, noch einmal sehen wollte.“

„Du machst Dich über mich lustig!“

„Nein, das tue ich nicht. Du musst ihr schon früher aufgefallen sein.“

Nachdenklich starrte Longus auf den Becher, den er in den Händen drehte.

Rufus hatte bei seinen Versuchen, zielsicher nur das in den Bericht zu schreiben, was für das Verständnis der Zusammenhänge unbedingt notwendig war, feststellen müssen, wie schwierig es war, genau die Ereignisse zu bestimmen, auf die es ankam.

Er ordnete also an: „Wir schreiben alles auf, was uns einfällt.“

„Quis leget haec? Wer wird das Zeug lesen?“ unterbrach Longus.

„Ich bin noch nicht fertig. Nachdem wir alles aufgeschrieben haben, picken wir anschließend nur das heraus, was der Kaiser lesen sollte. Wir können ihm nicht zumuten, mehr zu lesen als unbedingt notwendig, da hast Du völlig Recht.“

Rufus erzählte zunächst, wie er den Beginn seiner Amtszeit in Rom empfunden hatte, rekapitulierte, was er über die Vigintisexviri wusste.

Die 26 Männer bildeten eine Kommission von einfachen Richtern und Beamten, die sich schon zur Zeit der Republik noch bevor sie in die eigentliche Ämterlaufbahn eintraten, um bestimmte öffentliche Aufgaben zu kümmern hatten, so etwa die Münzprägung, den Straßenbau, die Stadtreinigung und den Strafvollzug. Seine Mitglieder bestanden aus den drei Männern für den Staatsschatz, den drei Männern für das Münzwesen, den zwei Männern für die Straßen außerhalb der Stadt, den vier Männern für die Straßen in der Stadt, den zehn Männern für Vorsitz in den Gerichtshöfen und den vier Präfekten für die Justizverwaltung in Kampanien.

Zu republikanischer Zeit hatte die Mitgliedschaft im Vigintisexvirat als Sprungbrett für die eigene Karriere im öffentlichen Dienst gedient.

Augustus strich die Beteiligung der zwei Kuratoren für die Straßen außerhalb Roms und der vier kampanischen Präfekten und verkleinerte damit das Collegium auf 20 Mann,

Rufus war also eigentlich Mitglied der Vigintiviri, aber der Begriff Vigintisexviri hatte sich eben eingebürgert.

Sein Amt trat er erst im Monat der Juno an. Den ersten Amtstag als Präfekt Monetalis begann Marcus damit, sich zum Staatsarchiv zu begeben. Auf diesem Weg begleitete ihn Pendorix.

Um würdig zu erscheinen, hatte Rufus eine Toga angelegt, nicht aber die schwere, weißgepuderte Toga Candida, die wollte er so bald nicht wieder tragen. Er schritt gemächlich zum Kapitol, in einer Toga schreitet man eben. Zunächst geriet er in das Stadtviertel der Armen, die Subura. Hier, so hatte er vor einiger Zeit festgestellt, gab es Gassen, die auch tagsüber im Dunklen lagen. Die Sonnenstrahlen schafften es einfach nicht, bis zum Boden durchzudringen, so eng waren diese Gassen, die zwischen mehr als baumhohen Häusern eingeklemmt lagen.

In einer dieser Häuserschluchten hatte er sogar einmal beobachtet, wie sich ein paar zerlumpte, menschliche Gestalten im Unrat watend um die besten Stücke des Küchenabfalls stritten, den die Anwohner aus den Fenstern geworfen hatten. Eine Müllabfuhr gab es hier ebensowenig wie eine städtische Straßenreinigung, wusste Pendorix.

Urplötzlich hörte die Straße auf und sie standen sie vor einem Hindernis, allerdings einem prachtvollen Marmorhindernis. Auch hier konnte Pendorix mit unverholenem Stolz erklären – er war ein vorzüglicher Stadtführer, dass die Straße bis vor einigen Jahren direkt zum Forum Romanum geführt hatte, Kaiser Domitian aber der Meinung war, den Durchgang mit seinem Forum versperren zu müssen. Dieses war Forum wurde zwar von Domitian begonnen, allerdings erst von Nerva geweiht und daher auch nach Nerva benannt. Den Beinamen Transitorium erhielt dieses gerade einmal straßenbreite Forum wegen seiner Durchgangslage zwischen dem Augustusforum und dem Templum Pacis, dem Friedenstempel, den Vespasian angelegt hatte.

Sie machten einen kleinen Umweg nach links um den Friedenstempel herum und hatten nun einen guten Blick auf die Kaiserforen.

„Dort drüben will Traian sein Forum errichten, es soll riesig werden. Als Architekten hat er Apollodorus von Damaskus vorgesehen, der wiederum ist bekannt für seine überdimensionalen Bauwerke“, erläuterte Pendorix.

Rufus stellte fest: Rom war eine Stadt krasser Gegensätze. Da die erbärmlich stinkende Subura und hier die Marmorpracht der Foren.

Er konnte sich an den strahlend weiß schimmernden, mit zahlreichen Marmorfiguren geschmückten Gebäuden nicht satt sehen.

Und da lag das Forum Romanum, der Mittelpunkt, der Nabel der Welt. Bereits zu dieser Tageszeit herrschte reges Treiben in den Geschäften der Händler, der Handwerker, der Banken, der Schreibbüros und der illegalen Wahrsager. Mit stolzgeschwellter Brust schritt Marcus Asinius Rufus vorbei an Tempeln, Triumphbögen, Markt- und Gerichtshallen zum Kapitol. Er gehörte dazu, zu diesem Mittelpunkt, nicht nur als römischer Bürger, nicht nur als Adeliger, nein – auch als Amtsträger.

Vor ihm das Tabularium, verfehlen konnte man es kaum, es beherrschte den Blick zum Kapitol.

Am Eingang zum Tabularium wurde er von zwei Türhütern empfangen.

„Womit können wir Euch dienen, Marcus Asinius Rufus?“

„Woher wisst Ihr meinen Namen?“

„Zu unseren Aufgaben als Namennenner gehört es, nicht nur alle Amtsträger Roms, alle Senatoren, die Mitglieder der Vigintiviri, auch wenn sie soeben erst gewählt wurden und darüber hinaus eine Reihe bedeutender Persönlichkeiten zu kennen.“

„Das ist römische Verwaltung, es klappt einfach alles“, überlegte Rufus, „ich möchte alles lesen, was die Tresviri Monetales in den letzten Jahren berichtet haben.“

„Bitte geht hier rechts herum und fragt im zweiten Raum nach Eugletes; er kann Euch helfen.“

Und Eugletes konnte helfen. Auf einer Handkarre brachte er Unmengen von Schriftrollen und Wachstafeln herbei.

„Die Schriften sind chronologisch geordnet und durchnummeriert – wie Ihr hier seht; einzelne Schriftstücke, die wir für wichtig hielten haben wir mit einem roten Band gekennzeichnet; wenn Ihr mich braucht, nehmt die Klingel dort drüben.“

„Gut, Eugletes, hab’ Dank.“

Es war für Rufus das erste Mal, dass er im Plural angeredet wurde, er gestand sich selbst, dass es ihm nicht ganz unangenehm war, offenbar war er jetzt jemand.

Der Raum hatte ein schmales Fenster, sein Blick fiel über die Rostra, die mit Schiffsschnäbeln geschmückte Rednertribüne, auf das Forum; die Sonne stand schon ziemlich hoch, sie beleuchte genau seinen Lesetisch.

„Vorzüglich“, dachte er, „wie eigens für mich gemacht. Pendorix, gib mir doch bitte einmal die älteste rot gekennzeichnete Rolle! Wenn Du willst, kannst Du auch lesen, aber störe mich nicht!“

Knurrend brachte Pendorix die Rolle. „Ich habe Hunger und gar keine Lust zum Lesen; viel lieber möchte ich jetzt in eine Garküche gehen und eine Kleinigkeit essen. Soll ich Dir was mitbringen?“

„Ja ja – aber lass mich jetzt in Ruhe!“

6

VI

Eifrig kämpfte sich Rufus durch die Schriften. Die meisten schienen ihm langweilig. Einige aber waren hochinteressant. Es ging da um Münzfälscherei, auch um Brandstiftung und Bauwesen.

Augenscheinlich war es auch mitunter gefährlich, Mitglied der Sechsundzwanzig zu sein: Zwei seiner Vorgänger, dazu ein Vigiliencenturio, waren bei ihren Ermittlungen auf eher unnatürliche Weise zu Tode gekommen. Einer war das einzige Opfer eines Wohnhausbrandes in der Nähe des Circus Maximus – ein Unfall. Der zweite, der Vigiliencenturio Craxus, war von einem hohen Baugerüst gestürzt – ein weiterer Unfall. Die Kollegen des Opfers waren allerdings der Meinung, dass Craxus nie freiwillig auf ein Gerüst geklettert wäre, denn er sei nicht schwindelfrei gewesen. Der Tiber hatte es geschafft, den dritten ans Ufer zu spülen, obwohl dessen rechtes Fußgelenk eine Kette zierte, an deren anderem Ende ein schwerer Stein befestigt war. Hier war es noch schwieriger, den Tod durch einen Unfall zu erklären.