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Simon Beckett

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Beschreibung

Exklusiv auf dem deutschsprachigen Buchmarkt erhältlich: Drei Krimi-Kurzgeschichten von Bestsellerautor Simon Beckett (ca. 144 S.) in wunderschöner Geschenkbuch-Ausstattung. Das Geheimnis eines Sommers, das die Gegenwart überschattet. Ein Banküberfall mit fatalen Folgen für alle Beteiligten. Ein Junge, der Zuflucht auf einer Farm sucht - und einen Albtraum erlebt. Drei dunkle Geschichten, die unter die Haut gehen. So spannend, clever und atmosphärisch, wie nur Simon Beckett sie schreiben kann.

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Simon Beckett

Versteckt

Dunkle Geschichten

 

 

Aus dem Englischen von Sabine Längsfeld und Karen Witthuhn

 

Über dieses Buch

Begegnungen mit dem Bösen

 

Das Geheimnis eines Sommers, das die Gegenwart überschattet.

 

Ein Banküberfall mit fatalen Folgen für alle Beteiligten.

 

Ein Junge, der Zuflucht auf einer Farm sucht – und einen Albtraum erlebt.

 

Drei Kurzgeschichten, die unter die Haut gehen. So spannend, clever und atmosphärisch, wie nur Bestsellerautor Simon Beckett sie schreiben kann.

Vita

Simon Beckett ist einer der erfolgreichsten englischen Thrillerautoren. Seine Serie um den forensischen Anthropologen David Hunter wird rund um den Globus gelesen: «Die Chemie des Todes», «Kalte Asche», «Leichenblässe», «Verwesung» und «Totenfang» waren allesamt Bestseller. «Die ewigen Toten», Teil 6 der Reihe, erreichte Platz 1 der Bestsellerliste, ebenso wie sein atmosphärischer Psychothriller «Der Hof». Simon Beckett ist verheiratet und lebt in Sheffield.

 

Sabine Längsfeld übersetzt bereits in zweiter Generation Literatur verschiedenster Genres aus dem Englischen in ihre Muttersprache. Zu den von ihr übertragenen AutorInnen zählen unter anderem Anna McPartlin, Sara Gruen, Malala Yousafzai, Amitav Ghosh und Simon Beckett.

 

Karen Witthuhn übersetzt nach einem ersten Leben im Theater seit 2000 Theatertexte und Romane, u. a. von Simon Beckett, D.B. John, Ken Bruen, Sam Hawken, Percy Everett, Anita Nair, Alan Carter und George Pelecanos. 2015 und 2018 erhielt sie Arbeitsstipendien des Deutschen Übersetzerfonds.

Vorwort

Der Titel dieses Buchs sagt alles. Dunkle Geschichten, weil … na ja, was sonst? Und Versteckt nicht nur, weil sich die drei Geschichten mit verborgenen Taten oder Dingen befassen, sondern auch, weil die Geschichten selbst über Jahre versteckt waren.

Ich kann mich nicht wirklich als Kurzgeschichtenautor bezeichnen. Die meisten, die ich zu schreiben beginne, werden nie vollendet – vernachlässigt, während ich voll und ganz auf das Buch fokussiert bin, an dem ich gerade arbeite. Oft bleiben sie, wie sie gerade sind, abgeheftet unter der Rubrik «Für später, wenn ich Zeit habe».

Der Corona-Lockdown bescherte mir nicht nur Zeit, sondern auch die nötige Motivation, diesen Geschichten endlich ans Tageslicht zu helfen. Ich kann nicht sagen, wie lange sie in der untersten Schublade (konkret wie metaphorisch) versauerten, weil ich, als ich sie schrieb, gar nicht auf die Idee kam, sie zu datieren. Was ich aber sagen kann, ist, dass alle drei Rohversionen entweder von Hand oder auf der Schreibmaschine verfasst wurden.

Ja, so alt sind sie.

Die älteste Geschichte ist Ein kurzer Bericht. Sie entstand während meines Studiums und ist, wie schon der Titel sagt, fast kurz genug, um als Flash Fiction durchzugehen. Ich weiß noch, dass ich sie schon damals mochte, und habe sie – praktisch unverändert – hier mit aufgenommen, weil sie bereits die Richtung andeutete, in die meine schriftstellerische Arbeit sich entwickeln würde. Mutter Gans entstand irgendwann Mitte der Neunzigerjahre. Die Idee dazu kam mir eines Tages bei der Zubereitung des Mittagessens (der Grund müsste bei der Lektüre klar werden). Sie ist die dunkelste der drei Geschichten und als moderne Variation traditioneller Märchen angelegt. Außerdem hat die Geschichte einige gemeinsame DNA mit Der Hof, das ein paar Jahre später entstand. Ich recycle, was soll ich sagen?

Chronologisch liegt Der Eckpfeiler irgendwo dazwischen. Im Gegensatz zu den anderen beiden Geschichten wurde diese schon einmal veröffentlicht, stark gekürzt, vor vielen Jahren, in einer britischen Zeitschrift. Diese Version ist jedoch viel näher am Original – der erste Text, bei dem ich das Gefühl hatte, allmählich auf der Spur dessen zu sein, was ich als meinen «Stil» bezeichne.

Hier sind sie also. Dunkle Geschichten, aber nicht länger versteckt.

 

Simon Beckett, 16. Juli 2020

Der Eckpfeiler

Dass Kelly Halliday Selbstmord begangen hatte, erfuhr ich durch einen Anruf ihres Anwalts. Dem Testament zufolge war ich, abgesehen von einigen Wohlfahrtsverbänden, der einzige Erbe. Ich war schockiert. Nicht nur über ihren Tod, auch, weil ich sie seit über zwanzig Jahren weder gesehen noch von ihr gehört hatte.

«Warum ich?», fragte ich, als ich dem Anwalt in seinem Büro gegenübersaß. «Da muss es doch noch andere gegeben haben?»

«Anscheinend nicht. Ihr Vater war der einzige Verwandte, und der ist vor sechs Monaten verstorben.»

«Und es gibt keinen Partner?»

Der Anwalt, ein müde wirkender Mittfünfziger, dessen Blick immer wieder von mir abrutschte, schüttelte den Kopf. «Miss Halliday hat allem Anschein nach ein recht ruhiges Leben geführt. Sie wohnte mit ihrem Vater zusammen, dem Vernehmen nach lebten die beiden sehr zurückgezogen. Vor allem, als er krank wurde. Das Testament ist jedenfalls eindeutig. Das Haus und sein Inhalt sollen verkauft werden, der Erlös und alles andere ist für ausgewählte wohltätige Zwecke bestimmt. Kinderheime, Tierschutz, diverse Frauenhäuser. Eine ziemlich lange Liste. Die einzige Ausnahme ist das hier.»

Er legte einen kleinen wattierten Umschlag auf den Tisch.

«Miss Halliday hat dies kurz nach dem Tod ihres Vaters bei uns hinterlegt, mit der Anweisung, es nach ihrem Ableben Ihnen auszuhändigen.»

Ich betrachtete den Umschlag. «Was ist das?»

«Das weiß ich nicht. Aber ich habe auch Anweisung, Ihnen den Hausschlüssel auszuhändigen. Sie hat darauf bestanden, dass das Gebäude erst ausgeräumt oder irgendetwas darin verändert wird, nachdem ich Ihnen persönlich den Schlüssel übergeben habe.» Er schob mir den Umschlag zu und setzte ein professionelles Lächeln auf, welches vermuten ließ, dass er daran gewöhnt war, seinen Mandanten ungewöhnliche Wünsche zu erfüllen. «Sie war da sehr deutlich.»

Ich öffnete den versiegelten Umschlag erst, als ich wieder im Auto saß. Er enthielt einen kleinen Schlüssel und eine kurze Nachricht in Kellys einst vertrauter Handschrift. Lieber Alex, stand da, dies ist der Schlüssel zu einer Geldkassette hinten in meinem Kleiderschrank. Der Inhalt wird alles viel besser erklären, als ich es kann. In Liebe, Kelly.

Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Ich hatte keine Ahnung, was sich in der Kassette befinden könnte oder warum Kelly wollte, dass ich es bekam. Ich steckte Zettel und Schlüssel in den Umschlag zurück und war verwirrter als zuvor.

Kelly hatte ihren Körper der Wissenschaft vermacht, daher gab es statt einer Beerdigung nur eine Trauerfeier. Um nicht zweimal fahren zu müssen, hatte ich den Termin beim Anwalt auf denselben Tag gelegt. Trotzdem musste ich mir für die Fahrt von London einen Tag frei nehmen, was meiner Frau gar nicht gefiel. Es passte ihr nicht, dass eine andere Frau, selbst wenn sie schon tot war, Anspruch auf mich erhob. Ich hatte es schließlich satt, mich erklären zu müssen, und wir gingen im Streit auseinander. Nicht, dass das ungewöhnlich gewesen wäre.

Vom Büro des Anwalts war es nicht weit bis zu der Kirche, in der die Trauerfeier für Kelly stattfand. Die Stadt, die ich durchquerte, erinnerte kaum noch an die, in der ich aufgewachsen war, damals ein düsterer, abgeschiedener Flecken in den Midlands, umgeben von plattem Land. Inzwischen waren die Felder und Wälder von Einkaufszentren und ausgedehnten neuen Wohnsiedlungen verdrängt worden. Vertraute Orientierungspunkte waren entweder verschwunden oder verschluckt worden, und als ich die Kirche endlich fand, hatte die Trauerfeier bereits begonnen.

Sie war eine kleine, trostlose Angelegenheit. Die Trauergäste waren mir fremd. Erst am Ende erkannte ich jemanden, der allein ganz hinten gesessen hatte. Bei meinem Anblick spiegelte seine Miene das gleiche widerwillige Erkennen und die gleiche Verlegenheit wider, die auch ich empfand. Er wartete draußen auf mich, und wir gaben uns unbeholfen die Hand.

«Hallo, Alex.»

«Michael», sagte ich.

Es war seltsam, ihn so zu nennen. Er war immer Macky für mich gewesen, aber der alte Spitzname erschien mir unangebracht. Das helle Haar war dünner als früher, das Gesicht rundlicher, eine Stahlrandbrille war hinzugekommen. Trotzdem war da immer noch irgendwo der Junge, den ich von früher kannte.

«Nicht viele Leute da», sagte ich. «Ich hatte mich gefragt, ob Gerry Marsh kommen würde.»

Macky sah mich seltsam an. «Hast du es nicht mitbekommen? Er ist gestorben. Bei einem Autounfall. Muss drei, vier Jahre her sein.»

Die Nachricht erschütterte mich. «Nein, das wusste ich nicht.»

Er rückte seine Brille zurecht. «Ich weiß es auch nur, weil ich davon gelesen habe. Hatte ihn jahrelang nicht gesehen. Kelly auch nicht, wir haben uns Weihnachtskarten geschickt, mehr nicht. Aber ich hätte niemals gedacht, dass ausgerechnet sie … na, du weißt schon. Weiß man, wieso?»

Ich dachte an den Schlüssel in meiner Tasche. «Ich glaube nicht, nein.»

Wir blieben nicht länger. Es gab keinen Leichenschmaus, und ich hoffte, Michael würde nicht vorschlagen, noch etwas trinken zu gehen. Das tat er auch nicht, aber nachdem wir uns verabschiedet hatten, schlugen wir dieselbe Richtung zu unseren Wagen ein. Wir lächelten verlegen, und mir war klar, dass er genauso erleichtert war wie ich, auseinandergehen zu können.

Um das Ganze so schnell wie möglich hinter mich zu bringen, fuhr ich von der Kirche direkt zu Kellys Haus. Aber ich hatte mich auf mein Gedächtnis verlassen, und die Straßenkarte in meinem Kopf stammte aus einer anderen Zeit. Von einem neuen Supermarkt an der Ecke in die Irre geführt, war ich schon am Haus vorbeigefahren, bevor mir aufging, wo ich war. Ich wendete, fuhr zurück und hielt vor dem Haus.

Die alte viktorianische Villa war hinter einer Reihe von hohen Ulmen halb verborgen. In dem weitläufigen, verwilderten Garten hätte ein halbes Dutzend der schmalen neuen Häuser Platz gehabt, die sich von beiden Seiten herandrängten. Und wenn die Bauunternehmer sich das Grundstück unter den Nagel rissen, würden die gleichen Häuser wohl bald auch dort stehen. Ich stieg aus dem Wagen und sah einen Teil meiner Vergangenheit vor mir aufragen. Das alte, inzwischen heruntergekommene Haus war hoch und giebelig, die Proportionen wirkten ein wenig verschoben. Es hatte schon immer streng und abweisend ausgesehen und war selbst im Sommer noch kalt und dunkel gewesen.

Zumindest daran hatte sich nichts geändert.

Ich trat durch das Gartentor und war eine Sekunde lang zwiegespalten, als ich im Geist mein jüngeres Ich diesen Pfad entlanggehen sah. Aber das ging schnell vorbei. An der Wand des Vorbaus, eine unschöne Ergänzung aus den Siebzigern, waren verspachtelte Löcher sichtbar, hier hatte einst ein Schild gehangen: Greendale Arztpraxis, bitte klingeln. Ich schloss die Haustür auf und trat ein.

Ein muffiger Geruch schlug mir entgegen, der Moder aus lange ungenutzten Räumen. Trotzdem wirkte das Haus noch bewohnt. Neben der Haustür hingen Mäntel, darunter standen Schuhe in ordentlicher Reihe. Auf einer Mahagonikommode lag ungeöffnete Post, hauptsächlich Wurfsendungen und Werbung, daneben eine zusammengefaltete Zeitung und zwei Lifestyle-Zeitschriften, die immer noch in ihren Schutzhüllen aus Plastik steckten.

Ich durchquerte den Flur und öffnete Türen zu leeren Zimmern und Wandschränken. Das alte Wartezimmer und die Praxisräume hinten im Haus waren ausgeräumt worden und standen leer. Es sah aus, als wären sie jahrelang nicht mehr genutzt worden, was vermutlich auch so war. Allerdings hatte Kelly Platz genug gehabt, denn das Haus war riesig, geradezu überwältigend, viel zu groß für eine Person. Ich konnte teilweise nachvollziehen, warum sie hiergeblieben war und sich um ihren Vater gekümmert hatte, sie hatte sich immer ihrem Gewissen unterworfen. Aber ganz allein in diesem hallenden Gemäuer zu wohnen, musste deprimierend gewesen sein und hatte sicher nicht zu ihrer psychischen Gesundheit beigetragen, wenn das auch nicht der einzige Grund für ihren Selbstmord gewesen sein mochte.

Wie ein Geist trieb ich von Zimmer zu Zimmer und wartete auf ein Gefühl der Nostalgie. Aber es kam keins. Kelly und ihr Vater hatten in den oberen Stockwerken über der Praxis gewohnt. Dort war ich nur selten gewesen, ein paarmal in der Küche und im Wohnzimmer. Und bei einer denkwürdigen Gelegenheit in Kellys Schlafzimmer.

Als ich die Treppe hochstieg, kam ich mir vor wie ein Eindringling. Die Stufen quietschten immer noch, aber es war hier oben viel heller als früher. Eine Tür führte ins Wohnzimmer, wo sich im toten Auge des Fernsehbildschirms eine Miniatur des Zimmers spiegelte. Alles war weiß oder in gedeckten Farben gehalten, die Einrichtung modern und schlicht. Die einzigen Farbflecke waren die wenigen Kunstdrucke an den Wänden und bunte Bücherrücken im Regal. Die Küche war ähnlich nüchtern. Fast antiseptisch, als hätte Kelly durch ihr Leben gehen wollen, wie sie es verlassen hatte – ohne viel Aufsehen zu erregen.

Als ich die Tür zu Kellys Schlafzimmer öffnete, stieg mir ein feiner Parfümduft in die Nase. Ein anderer als der, den ich mit ihr verband. Seit meinem einzigen Besuch mit siebzehn war das Zimmer vollständig verändert worden. Ein moderner Diwan hatte das alte Bett ersetzt, Wände und Decke waren auch hier in gleißendem, klinischem Weiß gehalten. Der einzige dekorative Gegenstand war ein gerahmtes Foto von Venedig, das einen leeren Kanal bei Sonnenuntergang zeigte und nach einem Urlaubsschnappschuss aussah. Aber es waren keine Menschen darauf zu sehen, und ich fragte mich, ob es an glückliche Momente erinnerte oder einfach nur die leeren Wände dekorieren sollte.

Der Schrank stand noch an derselben Stelle, doch das alte Ding aus Mahagoni, an das ich mich erinnerte, war einer laminierten Einheit mit Spiegeltüren gewichen. Es hingen überraschend wenige Kleidungsstücke darin. Die Geldkassette lag ganz hinten. Ich zog sie heraus und wollte sie gerade auf dem Bett absetzen, als ich eine leichte Delle im Kissen bemerkte. Also stellte ich sie stattdessen auf den kleinen Nachttisch, holte den Schlüssel aus dem Umschlag und schloss auf.

Ich hatte gedacht, vielleicht auf einen weiteren Brief zu stoßen. Einen etwas ausführlicheren als die rätselhafte Nachricht, die Kelly bei ihrem Anwalt hinterlegt hatte. Aber bis auf ein paar Zeitungsausschnitte und ein flaches, sorgfältig in braunes Papier eingeschlagenes Päckchen war die Kassette leer. Die Zeitungsausschnitte nahm ich zuerst heraus. Der oberste war zusammengefaltet worden, damit er in die Kassette passte. Ich klappte ihn auf und hatte das Gefühl, mir würde die Luft aus den Lungen gesogen.

FRAUENLEICHE AUF STÄDTISCHER MÜLLDEPONIE GEFUNDEN

Die Schlagzeile der Lokalzeitung. Ich brauchte nicht auf das Datum zu schauen: Ich wusste genau, wie alt die Zeitung war. Ich wusste noch, wie ich den Artikel bei seinem Erscheinen gelesen hatte, vor über zwei Jahrzehnten.

Ich fühlte mich schwerelos, wie im freien Fall. Die Erinnerung hatte unter dem Staub der seither vergangenen Jahre gelegen, nicht vergessen, aber gut versteckt. Dass nicht einmal Kellys Tod sie hatte aufwirbeln können, sprach für meine Willenskraft, die mir jetzt allerdings eher wie Feigheit vorkam. Der Anblick des Zeitungsausschnitts brachte alles zurück, so lebendig und stark, als wäre es gestern geschehen.

Mit wackligen Beinen schaffte ich es gerade noch zu einem Stuhl, ließ mich darauf sinken und hielt die Ausschnitte in meinen Händen, während die Ereignisse jenes schrecklichen Sommers vor meinem inneren Auge abliefen.

 

Es war der Monat vor meinem dreizehnten Geburtstag. Gerade hatten die Sommerferien begonnen, vor uns lagen lange Tage des Müßiggangs. Macky, Gerry und ich wohnten in derselben Straße, in einer ruhigen Sozialsiedlung aus der Nachkriegszeit, die vom Rest der Stadt getrennt zu existieren schien. Meine Eltern waren dorthin gezogen, als ich drei war, in meiner Erinnerung waren wir drei also schon immer Freunde gewesen. Zwar gingen wir in der Schule in unterschiedliche Klassen, aber das war nur eine kurze Unterbrechung dessen, was wir als unseren natürlichen Zustand ansahen. Manchmal spielten wir auch mit anderen Jungen, aber am glücklichsten waren wir zu dritt und unter uns. Wir wollten und brauchten niemand anderen.

Dann zog ein neuer Arzt in die Nachbarschaft. Dr. Halliday war Witwer, ein großer Mann mit strengem Gesicht, der eine junge Tochter hatte. Nicht dass wir ihr am Anfang besondere Aufmerksamkeit geschenkt hätten. Sie war das einzige Mädchen in unserem Alter, das in der Gegend wohnte, aber die alte Arztpraxis lag einige Straßen entfernt und gehörte daher nicht zu unserer Welt. Und selbst wenn, wäre jedes Mädchen für uns als Zwölfjährige völlig uninteressant gewesen.

Bis sie begann, uns zu folgen.

Zuerst ignorierten wir sie. Dann redeten wir uns ein, es wäre Zufall. Aber als wir die Felder erreichten und sie immer noch da war, konnten wir nicht länger darüber hinwegsehen.

«Hör auf, uns nachzurennen!», schrie Gerry. Er war der Größte und Sportlichste von uns, und außerdem der Unverblümteste.

«Wieso? Das ist ein freies Land.»