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Vespasian: Kaiser von Rom E-Book

Robert Fabbri

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Beschreibung

A. D. 68: Vespasian soll eine Revolte in Judäa beenden. Eine ausweglose Situation: Ist er erfolgreich, wird er den ewigen Neid des wahnsinnigen Kaisers Nero auf sich ziehen. Ist er es nicht, wird die Strafe für ihn verheerend sein. Vespasian weiß nicht, dass Rom sich in politischem Aufruhr befindet und Nero in seiner Abwesenheit Selbstmord beging. Ist Vespasians Zeit jetzt gekommen? Die Zeit des Aufstiegs, des Sieges – der Erfüllung zahlreicher Prophezeiungen? Wann wird Vespasian sich den Purpur umlegen?

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Robert Fabbri

Vespasian: Kaiser von Rom

Aus dem Englischen von Anja Schünemann

Über dieses Buch

EIN IMPERIUM AM RANDE DES ZERFALLS.

EIN HELD, GESCHMIEDET IM FEUER DER SCHLACHT.

EINE GEBORENE LEGENDE.

 

A. D. 68: Vespasian soll eine Revolte in Judäa beenden. Eine ausweglose Situation: Ist er erfolgreich, wird er den ewigen Neid des wahnsinnigen Kaisers Nero auf sich ziehen. Scheitert er, wird die Strafe für ihn verheerend sein. Vespasian weiß nicht, dass Rom sich in politischem Aufruhr befindet und Nero in seiner Abwesenheit Selbstmord beging. Ist Vespasians Zeit jetzt gekommen? Die Zeit des Aufstiegs, des Sieges – der Erfüllung zahlreicher Prophezeiungen? Wann wird Vespasian sich den Purpur umlegen?

 

VESPASIAN.

BRUDER. SOLDAT. HERRSCHER.

 

«Bravo, Robert Fabbri!» For Winter Nights

 

«Es tut mir leid, wenn ich Euren Rat störe, meine Herren, aber soeben ist ein Schiff aus Rom eingetroffen und hat eine Nachricht mitgebracht, von der ich fand, sie könne nicht warten.» Caenis entrollte das Dokument und schaute Vespasian an. «Es ist ein Brief von deinem Bruder. Er schreibt, Nymphidius, einer der Prätorianerpräfekten, habe die Prätorianergarde dazu gebracht, Galba die Treue zu schwören. Seit Vindex’ gescheiterter Revolte hat Galba sich selbst als Legatus des Senats betitelt. Das hat den Senat ermutigt, Nero zum Staatsfeind zu erklären.» Sie hielt inne und blickte in die Runde; alle hielten den Atem an. «Nero hat Selbstmord begangen.»

Die Anwesenden stießen gleichzeitig die Luft aus. Alle versuchten, die immense Tragweite dieser Entwicklung zu erfassen: Nero war tot und hinterließ keinen männlichen Erben.

Caenis blickte Vespasian tief in die Augen. In den ihren lag glühende Begeisterung. «Es hat begonnen, mein Liebster. Servius Sulpicius Galba hat den Purpur für sich beansprucht und marschiert auf Rom. Der Senat hat seinen Titel bestätigt: Galba ist der neue Kaiser von Rom.»

Vita

Robert Fabbri, geboren 1961, lebt in London und Berlin. Er arbeitete nach seinem Studium an der University of London 25 Jahre lang als Regieassistent und war an so unterschiedlichen Filmen beteiligt wie «Die Stunde der Patrioten», «Hellraiser», «Hornblower» und «Billy Elliot – I Will Dance». Aus Leidenschaft für antike Geschichte bemalte er 3500 mazedonische, thrakische, galatische, römische und viele andere Zinnsoldaten – und begann schließlich zu schreiben. Mit seiner epischen historischen Romanserie «Vespasian» über das Leben des römischen Kaisers wurde Robert Fabbri Bestsellerautor.

 

Mehr zum Autor und zu seinen Büchern: www.robertfabbri.com

Für alle, die sich die Zeit genommen haben, die Vespasian-Reihe zu lesen; ich danke euch.

Prolog

Die Via Postumia zwischen Cremona und Bedriacum in der italienischen Region Venetien und Istrien, 15. April A. D. 69

 

Chaos war eine Untertreibung. Die Truppe versuchte völlig planlos, sich aus der Kolonne zu einer Linie zu formieren, und ihr Anblick stand dabei in krassem Gegensatz zu dem der gegnerischen Kohorten, die ihr in geordneter Schachbrettformation gegenüberstanden. Quer über die Via Postumia aufgestellt, mit dem Fluss Po an ihrer rechten Flanke, versperrten sie den Weg nach Cremona. Die zigtausend Mann der Legionen und Auxiliartruppen standen schweigend. Ihre polierten Helme schimmerten in den ersten Sonnenstrahlen, während sie zusahen, wie ihre Gegner sich abmühten, Schlachtordnung einzunehmen. Doch das Chaos rührte nicht daher, dass diese Armee eine Horde disziplinloser Barbaren war, noch mangelte es ihr an Führerschaft. Ganz im Gegenteil, diese Armee hatte zu viele Anführer, und gerade das war ihr Problem: In Abwesenheit des Kaisers Marcus Salvius Otho gab es niemanden, der den Oberbefehl innehatte. Dabei fehlte es diesen Soldaten wahrhaftig nicht an Disziplin, denn sie waren ebenso wie ihre Gegner Römer.

Dies war ein Bürgerkrieg.

Titus Flavius Sabinus beobachtete mit gequälter Miene, wie die Centurionen der fünf Kohorten Prätorianer, die er befehligte, unter Schreien und Schlägen ihre Exerzierplatzsoldaten neu in Stellung zu bringen versuchten. Eben waren die Befehle abermals geändert worden, zum dritten Mal seit der Sichtung des Feindes. Wie hatte es nur so weit kommen können, fragte er sich und ließ den Blick über die Armee vom Rhenus schweifen. Sie war zu einem Zangenangriff südwärts marschiert, um den Mann zu unterstützen, den sie als Kaiser bejubelt hatte: Aulus Vitellius, den Statthalter der Germania Inferior, bekannt dafür, dass er den Genüssen der Tafel frönte. Nicht einmal ein Jahr war vergangen, seit Nero sich das Leben genommen hatte, nachdem er vom Senat zum Staatsfeind erklärt worden war. Wie hatte es nur so weit kommen können, dass es nun zwei Kaiser gab und römisches Blut vergossen wurde?

Caecina Alienus und Fabius Valens, die zwei vitellianischen Generäle, hatten die Truppen Othos, des Kaisers in Rom, überrumpelt, indem sie so früh in der Saison so schnell nach Italien heruntermarschiert waren. Otho hatte daraufhin versucht, eine Einigung auszuhandeln, doch sein Ansinnen war zurückgewiesen worden.

So blieb Otho keine andere Wahl als der Bürgerkrieg, wenn er nicht unverzüglich abdanken und Selbstmord begehen wollte. Und hier in der Poebene würde die Angelegenheit nun entschieden werden.

Sabinus’ gleichnamiger Vater, Sabinus der Ältere, war unter Nero Stadtpräfekt von Rom gewesen. Neros Nachfolger Galba hatte das Amt einem anderen übertragen, doch Otho hatte ihn erneut eingesetzt und zudem Sabinus dem Jüngeren das Konsulat versprochen. Somit stand die Familie in diesem Bürgerkrieg auf Othos Seite.

Aber für wie lange? Nicht lange, schätzte Sabinus der Jüngere angesichts der Lage. Rings um ihn her herrschte heillose Verwirrung, seit er vor Tagesanbruch seine Truppen über den Po geführt hatte, um sich dem Haupttrupp von Othos Armee anzuschließen. «Otho hätte hier bei uns bleiben sollen, statt sich nach Brixellum zurückzuziehen», sagte er zu seinem Stellvertreter, der neben ihm zu Pferde saß. «Dann, Nerva, hätten wir eine klare Kommandostruktur, nicht dieses … dieses …» Er wies auf die Legio I Adiutrix, die kürzlich aus Marinesoldaten der Flotte von Misenum gebildet worden war. Sie ging nun unmittelbar an der rechten Flanke seiner eigenen Truppe in Stellung und hatte alle Mühe, die schachbrettartige Quincunx-Anordnung einzunehmen, da der Gepäcktross sich an der falschen Stelle befand.

Marcus Cocceius Nerva, achtunddreißig und somit zwei Jahre älter als Sabinus, sog die Luft durch die Zähne. «Otho wurde während dieses ganzen Feldzugs schlecht beraten. Allerdings würde es kaum einen Unterschied machen, wenn wir ihn jetzt hier hätten, da es ihm gänzlich an militärischer Erfahrung fehlt. Er ist ein höchst unterhaltsamer Tischgenosse, aber auf dem Schlachtfeld wäre er eher hinderlich als nützlich. Sein organisatorisches Geschick ist kaum größer als das seines Bruders Titianus.»

«Ihr als Titianus’ Schwager müsst es wissen.»

«Deshalb bin ich nun hier und muss dies mit ansehen: weil ich den Fehler begangen habe, Titianus’ Schwester zu heiraten.» Nerva verfolgte ungläubig das planlose Treiben. «Götter! Die Infanterie und Kavallerie, die Otho mitgenommen hat, könnten wir allerdings brauchen, hier stehen mehr als vierzigtausend gegen unsere dreißigtausend. Braucht er so weit vom Feind entfernt wirklich eine so große Leibgarde? Dadurch haben wir die Schlacht verloren, noch ehe sie begonnen hat.»

Sabinus schüttelte den Kopf. Er drehte sich zu dem Militärtribun mit schmalen Streifen um, der hinter seinen Vorgesetzten auf Befehle wartete. «Wurde unser persönliches Gepäck nach hinten gebracht?»

Der Jüngling nickte und versuchte, mit einem aufgesetzten Lächeln seine Angst zu überspielen. «Ja, Herr, und auch die Ersatzpferde, wie Ihr es befohlen habt.»

Sabinus nickte zufrieden, dann wandte er sich erneut mit düsterer Miene an seinen Begleiter. «Wir wahren den Schein, dann ziehen wir uns bei der ersten Gelegenheit zurück und ergeben uns Valens.»

«Das scheint die klügste Vorgehensweise zu sein. Und anschließend werden wir Vitellius’ eifrige Unterstützer, bis …» Nerva beendete den Satz nicht.

«Bis was?»

Nerva senkte die Stimme und beugte sich zu Sabinus hinüber. «Ich habe gehört, Euer Vater habe in der Zeit, als Galba ihn seines Amtes als Stadtpräfekt enthoben hatte, eine Reise nach Judäa unternommen.»

Sabinus verzog keine Miene. Hornsignale kündigten an, dass die vitellianischen Truppen vorrückten. «Mag sein, aber das geht Euch nichts an.»

Nerva ließ nicht locker. «Er ist zurückgekehrt, sobald Otho Galba ermordet und der Senat ihn zum Kaiser erklärt hatte. Kurz bevor die Nachricht eintraf, dass Vitellius am Rhenus ebenfalls zum Kaiser ausgerufen worden war.»

Sabinus richtete seine Aufmerksamkeit auf den Fluss, wo zweitausend Gladiatoren – ebenfalls Teil seiner zusammengewürfelten Truppe – nun Gefahr liefen, überrumpelt zu werden, noch während sie von Bord der Boote gingen, die sie übergesetzt hatten.

Nerva bohrte weiter. «Ich bin sicher, es war kein Vergnügungsausflug. Euer Onkel Vespasian befehligt die Legionen im Osten, die den Aufstand der Juden niederschlagen. Das ist eine gewaltige Streitmacht. Ich vermute, Euer Vater und Euer Onkel haben eingehend darüber gesprochen, wie diese Krise wohl ausgeht. Und wenn ich mich nicht irre, werden Galba, Otho und Vitellius nicht die einzigen Kaiser in diesem Jahr bleiben. Die Frage ist: Wer soll es werden, Euer Vater oder Euer Onkel? Nur damit Ihr es wisst: Ich bin so oder so auf Eurer Seite.»

Titus Flavius Sabinus erwiderte nichts. Stattdessen schickte er den Tribun zu den Gladiatoren, um ihnen zu befehlen, sich dicht am Ufer des Po zu halten, damit die vorrückende batavische Auxiliartruppe sie nicht ausmanövrieren konnte. Doch seine Gedanken waren woanders: Er fragte sich, woher Nerva diese Information hatte und wer sonst noch von der heimlichen Reise seines Vaters wusste.

 

Otho ließ sich in seinen Stuhl zurücksinken und blickte in die Reihe düsterer Gesichter auf. Keiner seiner Generäle vermochte ihm in die Augen zu sehen, während sie ihm von der vernichtenden Niederlage berichteten. Und vernichtend war sie in der Tat gewesen: Vitellius’ Truppen hatten gegen ihre Mitbürger auf der Gegenseite keine Gnade gezeigt, denn nach den Konventionen des Bürgerkriegs konnten die Besiegten weder verkauft noch gegen Lösegeld herausgegeben werden. Somit waren sie für die Sieger wertlos. Zu Tausenden waren sie abgeschlachtet worden. «Dann ist es also vorbei», stellte Otho fest und berührte mit einem Finger die Spitze eines der beiden Dolche, die vor ihm auf dem Tisch lagen.

«Die übrigen Legionen aus Moesien könnten dir noch immer zu Hilfe kommen», betonte Othos älterer Bruder Salvius Titianus, als er die Verzweiflung in den Augen des Jüngeren las und ahnte, dass ihm selbst die Hinrichtung drohte.

Otho schüttelte bedauernd den Kopf. Er hatte ein attraktives, melancholisches Gesicht, das jedoch nach zehn Jahren des Überflusses in seinem Exil in Lusitanien recht feist geworden war. «Es war ein Fehler von mir, ihre Ankunft nicht abzuwarten. Ich dachte, diese Verzögerung würde verheerende Folgen haben, doch nun muss ich feststellen, dass das Gegenteil der Fall ist.» Er hielt inne, um seine Lage zu überdenken, und fuhr sich dabei mit einer Hand durch seine dichten Locken. «Soll ich Euren Mut und Eure Tapferkeit noch weiteren Gefahren aussetzen? Ich glaube, das wäre ein allzu hoher Preis für mein Leben. Vitellius hat unseren Wettstreit um den Thron und diesen Krieg begonnen, ich jedoch werde beidem ein Ende machen. Diese eine Schlacht soll genügen. Ich will ein Beispiel geben, und die Nachwelt soll mich danach beurteilen.» Otho erhob sich und schaute auf seine beiden Dolche hinunter. «Ich lasse nicht zu, dass die Blüte römischer Kampfkraft sinnlos niedergemäht und unser Imperium dadurch geschwächt wird. Meine Herren, ich schöpfe Trost daraus, dass Ihr bereit wart, für mich zu sterben, doch Ihr müsst weiterleben. Ich will Euren Aussichten auf Begnadigung nicht im Wege stehen, also stellt Ihr Euch nicht meiner Entschlossenheit in den Weg.»

 

«Und hat er es dann auf der Stelle getan?», fragte Sabinus der Ältere seinen Sohn.

«Nein, Vater.» Der jüngere Sabinus trank den letzten Schluck aus seinem Becher mit angewärmtem Wein. «Es war peinlich: Er lobte unsere Treue, obwohl er wusste, dass wir ihn im Geiste schon vor einiger Zeit im Stich gelassen hatten. Dann entließ er uns mit den Worten, durch seinen Tod und seine Gnade gegen Vitellius’ Angehörige verdiene er Vitellius’ Dankbarkeit und erkaufe uns somit unser Leben.»

Sabinus der Ältere knurrte und schenkte seinem Sohn nach. «Zweifellos ein edler Zug. Hat er es dann getan?»

«Nein. Er ging, um seine verbliebenen Soldaten zur Ordnung zu rufen, da sie ein paar von uns hatten hindern wollen, das Lager zu verlassen.»

«Doch nicht dich?»

«Nein, Vater, ich bin geblieben, wie du es mir aufgetragen hattest, um mit anzusehen, wie es geschah.»

«Und?»

«Nachdem er seine Leute beruhigt hatte, kehrte er in sein Zelt zurück, trank einen Becher eisgekühlten Wassers und prüfte die Schärfe seiner Dolche. Er wählte einen aus, ging zu Bett und legte ihn unter sein Kopfkissen. Ob du es glaubst oder nicht, er hat die ganze Nacht tief und fest geschlafen.»

«Das zeugt von bemerkenswerter Gefasstheit.»

«Es war beeindruckend, umso mehr, da er bei Tagesanbruch, sobald er erwachte, den Dolch nahm und sich aus dem Bett geradewegs hineinstürzte, ohne einen Laut von sich zu geben.»

Der ältere Sabinus rieb sich nachdenklich den fast kahlen Kopf. Da brachte ein leichter Luftzug die Öllampe, die zwischen ihnen auf dem Tisch stand, zum Flackern. Schatten huschten über sein rundliches Gesicht mit der ausgeprägten Knollennase. Die Nacht war längst hereingebrochen; sie saßen in seinem Arbeitszimmer in dem Haus auf dem Quirinal in Rom, das er von seinem Onkel Gaius Vespasius Pollo geerbt hatte, nachdem dieser sich vier Jahre zuvor auf Neros Befehl das Leben genommen hatte. «Und das war vorgestern bei Tagesanbruch?»

«Ja, Vater. Ich bin schnell geritten, um dir die Nachricht zu bringen, und habe nur haltgemacht, um die Pferde zu wechseln.»

«Guter Junge. Im Augenblick sind wir beide also die einzigen Menschen in Rom, die es wissen?»

«Davon gehe ich aus, niemand kann schneller hierhergelangt sein. Othos Leichnam war noch warm, als ich aufbrach.»

Der ältere Sabinus legte die Fingerspitzen aneinander und berührte damit seine Lippen. Mit bedächtigem Nicken kam er zu einem Entschluss. «Gut. Ich werde morgen früh bei Tagesanbruch die in der Stadt verbliebenen Kohorten der Prätorianer versammeln, die Cohortes urbanae und die Vigiles und sie den Treueeid auf Vitellius ablegen lassen. Dadurch wird der Senat gezwungen, ihn als Kaiser anzuerkennen. Du geh zurück nach Norden und ergib dich den Vitellianern. Erzähle ihnen, was ich getan habe, um ihnen die Stadt zu sichern. Damit sollten wir vorerst außer Gefahr sein.» Sabinus zwinkerte seinem Sohn zu. «Erst recht wenn du außerdem erwähnst, dass ich die Frauen und Kinder der beiden Vitellius-Brüder in meine Obhut genommen habe. Das wird ihnen zu denken geben.»

«Du spielst ein gefährliches Spiel, Vater.»

«Siege erringt man nicht durch Nettigkeit. Richte den Vitelliern aus, ich werde nur allzu gern ihre Angehörigen zu ihnen schicken, wenn sie mich schriftlich darum ersuchen. Sie werden schon verstehen, was das bedeutet.»

«Die Zusicherung, dass du dein Amt als Stadtpräfekt von Rom behältst, und …?»

«Und dass du wie geplant Ende dieses Monats dein Amt als Konsul antrittst.»

«Und dann?»

Der ältere Sabinus tippte sich mit den Fingerspitzen an die Lippen. «Dann sehen wir weiter.»

 

«Komm her, mein Sohn!» Aulus Vitellius’ gewaltige Leibesfülle hinderte ihn daran, sich tief zu bücken, deshalb war neben ihm auf der Estrade ein Schemel aufgestellt worden. Auf diesen stieg nun sein sechsjähriger Sohn, damit der Vater ihn in seine üppigen Speckfalten schließen konnte. Vitellius hob den Knaben hoch und zeigte ihn den Legionären seiner Eskorte sowie der Menge aus Senatoren und Rittern. Diese waren eben erst aus Lugdunum eingetroffen, der Provinzhauptstadt der Gallia Narbonensis, um ihrem neuen Kaiser auf seinem Triumphzug aus der Germania Inferior nach Rom zu huldigen. «Ich gebe ihm den Namen Germanicus, nach der Provinz, von der aus ich meinen glorreichen Kampf um das Imperium begonnen habe. Ich verleihe Germanicus das Recht, die Ornamenta Triumphalia zu tragen, und bestätige ihn hier vor meinen siegreichen Legionen als meinen alleinigen Erben.»

Darauf folgte stürmischer Beifall. Vitellius’ siegreiche Truppen jubelten ihrem Kaiser zu, wobei geflissentlich übersehen wurde, dass sie gar nicht an der Schlacht beteiligt gewesen waren. Stattdessen hatten sie Vitellius auf seinem langsamen, von kulinarischen Genüssen begleiteten Zug durch Gallien eskortiert.

Sabinus der Jüngere stimmte in den Lobpreis ein. Er führte als Konsul die Delegation des Senats an, die gekommen war, um den neuen Kaiser zu beglückwünschen. Daher erschien es nur recht, dass er selbst die größte Begeisterung an den Tag legte, als dieses Nilpferd von einem Mann die Würde des Purpurs anlegte.

«Ihr werdet es vielleicht nicht glauben», flüsterte Sabinus Nerva zu, der neben ihm stand, «aber mein Vater begegnete Vitellius einst in Tiberius’ Villa auf Capreae. Vitellius war damals ein schöner, geschmeidiger Jüngling, und Tiberius schätzte seine, sagen wir, mündlichen Fähigkeiten hoch – und damit meine ich nicht seine Rednergabe.»

Nerva warf Sabinus einen ungläubigen Blick zu, ohne seinen Beifall zu unterbrechen. «Nein!»

«Doch, wirklich. Er hat meinem Vater sogar eine Demonstration seiner Kunst angeboten. Man sollte es nicht meinen, wenn man ihn jetzt anschaut – anscheinend hat er die Wonnen des Hedonismus zu schätzen gelernt, während er zu Tiberius’ Füßen kniete.»

«Aber nicht nur den Hedonismus», bemerkte Nerva und deutete auf mehr als fünfzig Gefangene, die eben zur Exekution geführt wurden. Sie trugen ungegürtete Tuniken wie Weiber, hielten aber die Köpfe, die sie bald verlieren sollten, hoch erhoben. «Das wäre nicht nötig gewesen. Er will an den Centurionen, die Otho am tatkräftigsten unterstützt haben, ein Exempel statuieren.»

Sabinus setzte eine düstere Miene auf, um seine Befriedigung darüber zu verbergen, dass Vitellius sich genauso verhielt wie erwartet. «Das wird den Legionen aus Moesien nicht gefallen.»

Nerva musste ihm beipflichten. «Ich war mit in der Delegation ehemaliger othonianischer Offiziere, die sie dazu bewegen sollte, an ihre Standorte zurückzukehren und Vitellius die Treue zu schwören. Sie taten es nur widerwillig, da sie keine Alternative sahen.»

Vielleicht werden sie bald eine Alternative sehen, dachte Sabinus, während der erste Kopf zu Boden fiel und Blut spritzte. Und wenn sich die Kunde von diesen Gräueln verbreitet, werden die moesischen Legionen auf Rache sinnen.

Das Schweigen von Vitellius’ Truppen war beinahe mit Händen zu greifen, als ein abgeschlagener Kopf nach dem anderen über den blutgetränkten Boden rollte. Endlich durchdrang die Stille selbst die dicke Haut des Kaisers, dessen Gesicht vor blutrünstiger Freude gerötet war. Als der letzte Körper in sich zusammensackte, riss Vitellius seinen Blick von den Toten los und schaute sich um. Allmählich trat ein nervöser Ausdruck in seine Augen, da er der aufgeladenen Atmosphäre gewahr wurde. Er räusperte sich. «Bringt nun die Generäle!»

«Ich hoffe, dass er nach diesem Blutbad wenigstens sie verschont», flüsterte Sabinus, der in Wahrheit das genaue Gegenteil hoffte. «Das war genug Rache für einen Tag.» Er sah zu, wie die beiden othonianischen Generäle Suetonius Paulinus und Licinius Proculus sowie Salvius Titianus, der Bruder des toten Kaisers, vorgeführt und gezwungen wurden, vor Vitellius niederzuknien. Tatsächlich empfand Sabinus Erleichterung, sich nicht selbst ebenfalls in dieser Lage zu finden. Dass er begnadigt worden war und sein Amt als Konsul hatte antreten dürfen, hatte er seinem Vater zu verdanken. Es war ein geschickter Zug von ihm gewesen, Vitellius’ Familie unter seinen Schutz zu stellen. Anschließend hatte Vitellius persönlich dem jüngeren Sabinus die zweifelhafte Ehre zuteilwerden lassen, nach Rom zurückzukehren und den Sohn des neuen Kaisers nach Norden zu seinem Vater zu eskortieren. Diese Aufgabe hatte Sabinus mit großer Förmlichkeit erfüllt, als sähe er darin den Höhepunkt seiner Laufbahn.

«Was habt Ihr zu Eurer Verteidigung zu sagen?», fragte Vitellius nun. Speckrollen wabbelten unter seiner Kleidung, da er beim Anblick der Männer, die sich ihm entgegengestellt hatten, vor Entrüstung bebte.

«Ihr solltet uns belohnen, statt uns anzuklagen, Princeps», sagte Paulinus mit fester Stimme und so laut, dass alle Versammelten es hören konnten. «Denn uns verdankt Ihr Euren Sieg, nicht Valens und Caecina.»

Vitellius starrte verblüfft auf die Gefangenen hinunter. Er öffnete und schloss mehrmals den Mund, während er versuchte, das eben Gehörte zu begreifen.

«Wir waren es», bekräftigte Proculus, «die alles so eingerichtet haben, dass ein Sieg für Otho unmöglich war.»

«Wie das?», fragte Vitellius, der endlich die Fassung wiedererlangte.

«Indem wir darauf bestanden, dass Otho unverzüglich angriff, noch ehe der Haupttrupp der moesischen Legionen vor Ort war.»

Paulinus nickte mit großem Nachdruck. «Ja, und dann haben wir unsere Armee zu einem Gewaltmarsch angetrieben, um so schnell wie möglich mit Euren Truppen zusammenzutreffen, obwohl gar kein Grund zur Eile bestand.»

«Als wir ankamen, waren unsere Männer erschöpft», bestätigte Proculus. «Anschließend ließen wir die Kolonne sich zu einer Linie formieren, sorgten jedoch durch widersprüchliche Befehle dafür, dass das Manöver völlig misslang.» Das glaubte Sabinus ohne weiteres, da er es selbst mit angesehen hatte. «Und weshalb hätten wir wohl Fuhrwerke überall in unseren Reihen platzieren sollen, wenn nicht in der Absicht, das Formieren einer Schlachtordnung zusätzlich zu erschweren?»

Vitellius musterte die beiden Generäle und Titianus, der die ganze Zeit geschwiegen hatte. «Wollt Ihr behaupten, Ihr hättet den Ausgang der Schlacht manipuliert? Und was ist mit Euch, Titianus? Habt Ihr etwa Euren eigenen Bruder verraten?»

Titianus blickte mit müden Augen auf. «Nein, Princeps, das brauchte ich gar nicht. Ich bin von Natur aus so untüchtig, dass sowieso alles, was ich tat, eher hinderlich denn hilfreich war.»

Vitellius nickte. «Das allerdings erscheint mir glaubhaft. Ich bin ohnedies geneigt, Euch zu verschonen, denn dass Ihr Euren eigenen Bruder unterstützt habt, kann man Euch nicht zum Vorwurf machen, und Eure Unfähigkeit ist legendär. Mir tut jeder leid, der Euch um Hilfe bittet.»

«Mir auch, Princeps. Ich danke Euch.»

Vitellius richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die beiden anderen geschlagenen Generäle. «Was Euch betrifft –»

«Wenn Ihr einen handfesten Beweis wollt, Princeps», fiel Paulinus ihm ins Wort, «dann fragt Euch doch einmal, warum ich unsere unfähigsten Soldaten, einen Haufen Gladiatoren, auf die äußerste linke Flanke gestellt habe, gegenüber Euren Bataviern. Dadurch war unsere Linie von vornherein nicht zu halten.» Sabinus warf Paulinus einen erstaunten Blick zu, als der diese so offensichtlich unwahre Behauptung vorbrachte – er selbst hatte die Entscheidung getroffen. «Fragt Titus Flavius Sabinus, der den linken Flügel befehligte, ob ich ihm nicht ausdrücklich befohlen habe, die Männer dort in Stellung zu bringen, nachdem er über den Fluss zu uns gekommen war.»

Vitellius schaute zu Sabinus. Auch Paulinus sah ihn an und gab ihm mit Blicken zu verstehen, er solle das bestätigen. «Nun, Konsul? Hat er das befohlen?»

Sabinus entschied, es sei besser, wenn Paulinus und Proculus am Leben blieben und in seiner Schuld standen, als wenn sie tot wären und ihm nichts schuldeten. Er nickte. «Ja, Princeps, das hat er. Ich fand es seltsam, aber er bestand darauf – mir war nicht klar, warum. Er war im Herzen auf Eurer Seite, ebenso wie ich, denn ich erhob keine Einwände.»

Vitellius knurrte und überdachte die Angelegenheit. «Also gut, Paulinus und Proculus. Ich schenke Euren Behauptungen Glauben und spreche Euch von jeglichem Verdacht der Treue frei. Ihr werdet mich über das Schlachtfeld führen und mir zeigen, wie genau Euer Verrat vonstattenging.»

 

Über dem Schlachtfeld lag durchdringender Verwesungsgestank. In den vierzig Tagen seit der Schlacht hatte sich niemand um die Toten gekümmert; Othos und Vitellius’ Männer lagen kreuz und quer durcheinander. Aasfresser hatten sich an den menschlichen und tierischen Kadavern gütlich getan, und in dem verbliebenen Fleisch tummelten sich nun Millionen Maden. Sie krochen durch die verwesenden Körper und fraßen sich fett, um sich dann in Fliegenschwärme zu verwandeln, deren endloses Gesumm unmöglich zu überhören war.

Sabinus verbarg seinen Zorn angesichts so vieler römischer Bürger, die im Tod dazu verdammt waren, auf dunklen Pfaden umherzuirren, welche nicht zum Fährmann führten. An einer Hütte lag ein Haufen Leichen, die schon beinahe skelettiert waren. Bei dem Anblick schwor Sabinus sich: Sollte seine Familie einmal an die Macht gelangen, so würden sie Rache an Cremona üben, dessen Bürger die Straße gesäumt hatten, um Vitellius zuzujubeln. Zweifellos hatten ebendiese Bürger den Gefallenen alles von Wert abgenommen – es war kaum noch ein Helm zu sehen –, doch dann hatten sie ihre Pflicht vernachlässigt, sich um die gefledderten Leichen zu kümmern.

Vitellius wandte den Blick nicht von den aufgehäuften Toten ab, während Valens und Caecina ihn über das Schlachtfeld führten. Paulinus und Proculus begleiteten die Gruppe, als handelte es sich um einen Spaziergang durch einen neu angelegten Garten.

«Hier, Princeps, hier hat die Erste Italica den Adler zurückgeholt, den die Erste Adiutrix in ihrer Begeisterung, sich in ihrer Jungfernschlacht zu beweisen, erbeutet hatte», teilte Valens dem Kaiser mit, als sie sich dem Bereich des Schlachtfelds näherten, wo Sabinus das Kommando geführt hatte.

Vitellius betrachtete die verrenkten Leichen der einstigen Marinesoldaten, aus denen Galba eine Legion gebildet hatte und die für Otho gekämpft und ihr Leben gelassen hatten. Er schnupperte demonstrativ. «Wenn etwas besser riecht als ein toter Feind, so ist es ein toter Mitbürger.»

Diese ungeheuerliche Bemerkung wurde mit angespanntem, unterwürfigem Lachen quittiert, doch selbst Valens und Caecina, Vitellius’ eifrigste Anhänger, vermochten ihr Unbehagen nicht ganz zu verbergen. Sabinus bemerkte, wie sie einen verstohlenen Blick wechselten, und er spürte, dass sie mit Grauen erkannten: Vitellius hatte keinerlei Achtung für diese tapferen Mitbürger übrig, die einen Adler erbeutet hatten, nur um ihn bei einem Gegenangriff wieder zu verlieren. Vitellius hatte soeben jeglichen Respekt eingebüßt.

Dies war der Moment, auf den er im Auftrag seines Vaters gewartet hatte. «Princeps», sagte er und trat aus dem Gefolge des Kaisers vor.

Vitellius wandte sich um. Er kicherte noch immer über seinen lahmen, geschmacklosen Witz. «Was gibt es, Konsul?»

«Nachdem wir nun den Schauplatz Eures Triumphes besichtigt haben, denke ich, es ist an der Zeit, dass ich nach Rom zurückkehre und Euren Empfang in der Stadt vorbereite.»

Vitellius’ massige Gestalt schien bei dem Gedanken an seinen triumphalen Einzug in Rom noch mehr anzuschwellen. «Ja, ja, das solltet Ihr tun, mein lieber Sabinus. Ich freue mich schon darauf, Euren Vater wiederzusehen und ihm dafür zu danken, dass er die Stadt für mich gesichert hat. Wir sind alte Freunde, wisst Ihr, wir haben schon viel gemeinsam erlebt. Aber wollt Ihr mir nicht vorher noch zeigen, wo Eure Einheit die Schlacht für Otho verloren hat?»

«Ich würde lieber Paulinus und Proculus die Ehre überlassen, Euch die toten Gladiatoren zu zeigen. Schließlich möchte ich nicht die Verdienste anderer für mich beanspruchen.» Dabei warf er den unterlegenen Generälen einen Blick zu. An ihren Gesichtern konnte er ablesen, dass ihnen durchaus bewusst war, wie tief sie nun in seiner Schuld standen. Als Vitellius ihn entließ, wusste Sabinus, dass er zwei bedeutende neue Unterstützer für die Sache seiner Familie gewonnen hatte.

 

Das Volk empfing Vitellius mit der gleichen Begeisterung, mit der es die beiden vorangegangenen Kaiser bejubelt hatte: als wäre er die Antwort auf ihre Gebete, der Kaiser, den sie sich immer gewünscht hatten. In zehn, zwölf Reihen hintereinander säumten sie die Straßen und schwenkten die Fahnen ihrer Renngesellschaften, als Vitellius Einzug hielt. Sein Pferd konnte die Last nur mit Mühe tragen, und die Generalsuniform wirkte unpassend an diesem Mann, dessen körperliche Erscheinung so gar nicht die eines Kriegers war. Zwei Tage nach den Iden des Juli führte er seine Legionen auf den Campus Martius, zwei Monate nachdem der jüngere Sabinus sich von ihm verabschiedet hatte.

«Er wird seine Truppen doch nicht nach Rom hineinführen, oder, Vater?», fragte Sabinus, als sie mit dem Senat vor dem Theater des Pompeius bereitstanden, um den siegreichen Kaiser zu empfangen und ihm zu Ehren zwei weiße Stiere zu opfern.

«Warum nicht? Galba hat es auch getan und sie in der Stadt einquartiert.»

«Aber sie haben Gemetzel angerichtet: Es gab Kämpfe, Vergewaltigung, Mord – sie glaubten, sie könnten sich alles erlauben.»

«Allerdings. Aber vergiss nicht: Vitellius hat davon nichts mitbekommen, weil er zu jener Zeit nicht hier war. Galba hatte ihn noch vor seinem Einzug in Rom als Statthalter in die Germania Inferior entsandt. Vitellius weiß daher nicht, was für eine Belastung die Einquartierung von Soldaten für die Bürger darstellt. Und selbst wenn er es wüsste, bezweifle ich, dass er Rücksicht darauf nehmen würde.» Sabinus der Ältere setzte eine übertrieben düstere Miene auf. «Es ist wahrhaft bedauerlich.»

Sein Sohn verstand. «Und du als Stadtpräfekt wirst natürlich nichts unternehmen, um ihm begreiflich zu machen, wie gefährlich es ist, die Bürger der Stadt gegen sich aufzubringen, indem er zulässt, dass Scharen disziplinloser Legionäre ihre Töchter schänden.»

«Es steht mir nicht an, dem Kaiser zu sagen, was er zu tun und zu lassen hat.»

Der jüngere Sabinus verbiss sich ein Grinsen. Er und der Rest des Senats begannen, Vitellius zu applaudieren, der an der Spitze seiner Kriegerkolonne nahte. Diese würde Leid über seine Untertanen bringen. Sabinus sinnierte über das riskante Spiel, das er und sein Vater in den kommenden paar Monaten würden spielen müssen: mit dem Kaiser, dessen Stand sie zu untergraben suchten, in derselben Stadt zu leben.

Während ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging, fiel ihm ein Mann ins Auge, der sich zwischen den Senatoren hindurchdrängte und auf ihn zukam. Er kannte den Mann gut, denn es handelte sich um Hormus, den Freigelassenen seines Onkels Vespasian. Sabinus gab Hormus ein Zeichen, zu bleiben, wo er war, und das Ende der Zeremonie abzuwarten. Mit einem Kopfnicken zog der sich in einen Hauseingang zurück.

 

«Nun, Hormus?», fragte der ältere Sabinus, als die Gebete und Opfer beendet waren und sie den Freigelassenen begrüßten.

Hormus fasste sie beide nacheinander am Arm. «Meine Herren, es ist geschehen: Iulius Alexander, der Präfekt von Ägypten, ließ an den Kalenden dieses Monats, vor nunmehr siebzehn Tagen, Vespasian durch seine beiden Legionen zum Kaiser proklamieren. Sobald Vespasians Legionen in Caesarea davon erfuhren, taten sie zwei Tage später dasselbe. Mein Herr hat mich unverzüglich hergeschickt, um Euch die Kunde zu überbringen und Euch zu bitten, die Stadt für seine Armee bereitzumachen. Mucianus, der Statthalter von Syrien, und Cerialis, Vespasians Schwiegersohn, marschieren über Land nach Italien. Sie hoffen, auf dem Weg mit den unzufriedenen moesischen Legionen zusammenzutreffen.»

«Mucianus und Cerialis!», rief der ältere Sabinus aus. «Weshalb die beiden? Warum nicht Vespasian selbst an der Spitze seiner Armee?»

«Er plant, Rom ohne einen Krieg einzunehmen, durch die bloße Androhung eines solchen in Verbindung mit einer noch größeren Drohung: Er ist nach Ägypten gegangen, um die dortigen Getreidevorräte unter seine Kontrolle zu bringen und, sofern möglich, auch die in Africa. Er will Vitellius androhen, ihn auszuhungern. Nur wenn Vitellius sich weigert zurückzutreten, wird Vespasian tatsächlich zu militärischen Mitteln greifen.»

Sabinus schaute seinen Sohn an. «Hoffen wir, dass meine Rücksicht gegenüber Vitellius’ Angehörigen uns einen guten Stand sichert. Es scheint, als würden wir für einige Zeit Geiseln sein.»

«Sollten wir nicht einfach die Stadt verlassen und zu Vespasian gehen?»

«Hier kann ich ihm nützlicher sein.»

«Was hast du vor?»

«Wenn der rechte Zeitpunkt kommt, werde ich Rom in meine Gewalt bringen und die Stadt halten, bis Vespasians Streitmacht eintrifft.»

 

«Was soll das heißen: Die Leute lassen nicht zu, dass er abdankt?» Sabinus der Ältere schlug mit flachen Händen auf das Schreibpult in seinem Arbeitszimmer.

Der jüngere Sabinus zuckte hilflos die Schultern. «Es heißt ebendas: Der erste Konsul hat sich geweigert, das Messer entgegenzunehmen, das Vitellius ihm als Zeichen seines Machtverzichts übergeben wollte. Anschließend versperrte der Pöbel ihm den Weg, als er zum Tempel der Concordia gehen wollte, um seine Ornamenta Triumphalia niederzulegen. Stattdessen wurde er gezwungen, zum Palatin zurückzukehren, und dort befindet er sich nun. Technisch gesehen ist er noch immer Kaiser, wenngleich er lieber das Angebot angenommen hätte, das du ihm in Vespasians Namen gemacht hast: sich in eine private Villa in Kampanien zurückzuziehen und in Frieden seinen Ruhestand zu genießen.»

Wieder schlug Sabinus mit beiden Händen auf den Tisch. «Dieser willensschwache, fette Vielfraß! Bei Medusas trockenen Titten, er hat sich vom Pöbel unter Druck setzen lassen, der nichts von Politik versteht und nicht weiß, was gut für ihn ist. Mir ist bewusst, dass gestern die Saturnalien begonnen haben, aber es möge uns erspart bleiben, dass die Armen ‹König für einen Tag› spielen.»

«Es ist nicht nur das gemeine Volk. Auch seine Freunde und das, was von der Prätorianergarde noch übrig ist, stecken dahinter. Sie behaupten, du hättest Vitellius dieses Angebot im Tempel des Apollon nur zum Schein gemacht. Sie glauben, du und Vespasian würdet euer Wort nicht halten. Diese Leute können sich nicht vorstellen, dass ihr Vitellius und seinen Sohn wirklich am Leben lassen würdet, und ehrlich gesagt, ich kann es ihnen nicht einmal verdenken.»

«Vor etwas über einem Monat wurde seine Armee geschlagen, vor drei Tagen haben die Letzten sich ergeben, und Valens wurde hingerichtet! Ich habe mit den drei Cohortes urbanae mehr Soldaten unter meinem Kommando als er, nicht zu vergessen die Vigiles. Was kann er schon ausrichten?»

«Abweichler könnten sich um ihn scharen», sagte die dritte Person im Raum und löste sich von dem Regal mit Schriftrollen, an dem sie gelehnt hatte. «Sie tun gut daran, dem Angebot nicht zu trauen. Ich werde ihn und seinen Balg töten lassen, sobald ich kann.»

«Du wirst nicht Kaiser, Domitian», fuhr der ältere Sabinus ihn an.

«Nicht nominell, aber ich werde der Sohn des Kaisers sein. Und mir scheint, da mein Vater in Ägypten ist und mein Bruder in Judäa, fällt mir damit einige Autorität zu.»

«Du bist achtzehn! Du hast nicht mehr Autorität als ein Lustknabe, in dem vorn und hinten ein Schwanz steckt. Jetzt halte den Mund und höre zu, vielleicht lernst du dabei etwas.» Sabinus wandte sich wieder an seinen Sohn. «Was ist mit den Germanen?»

Der jüngere Sabinus verzog das Gesicht. «Da gibt es ein kleines Problem, Vater: Auch die Germanen der kaiserlichen Leibgarde bleiben Vitellius treu.»

«Dennoch, das sind nur fünfhundert Mann. Ich werde Vitellius noch eine Nachricht schicken, um ihm klarzumachen, dass er ein toter Mann ist, wenn er das Angebot nicht annimmt. Und bevor er stirbt, wird er noch mit ansehen, wie seinem Jungen die Kehle durchgeschnitten wird. Wenn er will, soll er es darauf ankommen lassen, aber er wäre ein Schwachkopf, ganz gleich, was Domitian –» Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn. «Ja!»

Hormus streckte den Kopf herein. «Draußen auf der Straße ist eine Delegation, die Euch sprechen möchte.»

«Lass sie ein, sie sollen im Atrium warten!»

Hormus fuhr ob der unerwartet schroffen Erwiderung zusammen. «Das würde ich ja gern tun, Herr, aber es wäre nicht genug Platz für alle.»

 

«Was erwartet Ihr von mir, Nerva?», fragte Sabinus den Anführer der Delegation, während er die riesige Menge überblickte, die ihn draußen erwartete. Mehr als hundert Senatoren waren vor seinem Haus versammelt, dreimal so viele Ritter und der größte Teil der Cohortes urbanae sowie der Vigiles, und alle riefen nach Sabinus, damit er sie anführte. «Wohin soll ich Euch führen?»

«Zum Palatin. Wir müssen Vitellius zur Abdankung zwingen.»

«Er hat recht», schloss der jüngere Sabinus sich Nerva an. «Je länger wir warten, umso tiefer wird die Stadt gespalten und umso mehr Leute werden am Ende ihr Leben lassen. Damals im Juli hast du gesagt, du würdest die Stadt für Vespasian einnehmen, wenn die Zeit gekommen wäre. Nun, wir haben jetzt Dezember, und die Zeit ist gekommen.» Er wies auf die bewaffneten Scharen der Cohortes urbanae und die mit Knüppeln bewehrten Vigiles. «Da ist deine Armee.»

«Ich will nicht derjenige sein, der Gewalt über Rom bringt. Sonst heißt es später, Vespasian sei auf einer Welle aus Blut an die Macht gekommen.»

Domitian stampfte mit dem Fuß auf. «Es spielt keine Rolle, was die Leute sagen. Es geht einzig darum, meinem Vater das Amt des Kaisers zu sichern. Vitellius muss sterben, ebenso wie alle anderen, die diesem Ziel im Wege stehen.»

«Hüte deine Zunge, Welpe!» Der ältere Sabinus würdigte seinen Neffen keines Blickes. «Vitellius wird nicht sterben, wenn er friedlich zurücktritt.» Sein Blick wurde entschlossen. «Also gut! Wir gehen, aber niemand wendet Gewalt an, solange wir nicht dazu provoziert werden, verstanden?»

 

Ein einzelner Wurfspeer war Auslöser der Kampfhandlungen. Er durchschlug den Kopf des Centurios der Cohortes urbanae, der vor Sabinus dem Älteren hermarschierte, und bohrte sich in die Schulter des Standartenträgers daneben. Die Standarte fiel, als der Träger durch die Wucht des Treffers stolperte und dann vom Gewicht des Toten umgerissen wurde, mit dem er durch den Speer verbunden war.

Und dann, als sie sich dem Fundanus-Bassin am unteren Quirinal näherten, folgte eine ganze Salve: Dutzende und Aberdutzende Wurfspeere hagelten von den Dächern und aus den oberen Fenstern zu beiden Seiten der Straße. Es war ein gut vorbereiteter Hinterhalt. Der jüngere Sabinus schaute sich um, sah jedoch auf den Dächern und in den Fenstern nur Zivilisten, niemanden in Uniform. Statt Wurfspeeren prasselten nun Dachziegel und Backsteinbrocken nieder. Die kleine Armee seines Vaters zerstreute sich und ging in Deckung. Die keine Schilde hatten, suchten nach Möglichkeit bei den Soldaten der Cohortes urbanae Schutz, während die improvisierten Wurfgeschosse immer mehr verletzten und töteten. Bald war die Straße mit leblosen Körpern übersät, und Schreie hallten von den Mauern wider. Doch plötzlich wurde aller Lärm von einem wüsten Geschrei übertönt, das sich wie Donnergrollen in einiger Entfernung erhob. Und dann kamen sie: Hunderte bärtiger, hosentragender Wilder mit Kettenpanzern und langen, sechseckigen Schilden, Legionärshelmen und Spathae, den Schwertern, die diese Barbaren im Dienste Roms dem kürzeren Gladius vorzogen. Die Germanen der kaiserlichen Leibgarde stürmten aus einem Dutzend Seitenstraßen und fielen die Kolonne an zahlreichen Stellen zugleich mit der Wucht eines gegabelten Blitzes an, plötzlich und durchschlagend. Die den Angriffspunkten am nächsten waren, gingen zu Boden, während andere zu fliehen versuchten, doch der Hagel improvisierter Wurfgeschosse wurde immer stärker. Germanische Schlachtrufe gellten allen in den Ohren, und nun ging das Töten erst richtig los.

«Komm, Vater!», schrie der jüngere Sabinus und zog seinen Vater an der Toga. «Mir scheint, wir wurden soeben provoziert.»

Der ältere Sabinus rannte los, die Arme über dem Kopf, um sich vor dem tödlichen Hagel zu schützen. «Lauft!», rief er. «Wir besetzen den Kapitolinischen Hügel und verschanzen uns dort, bis Hilfe kommt. Lauft!»

 

Am Abend hatte ein kalter Regen eingesetzt, doch das hielt die Leute nicht davon ab, zum Kapitol zu streben: Senatoren, Ritter und gemeines Volk schlossen sich Sabinus und seiner kleinen, erheblich geschwächten Armee an, die sich auf Roms heiligem Hügel verschanzt hatten. Sogar einige Frauen kamen, um der Belagerung zu trotzen, die aufgrund der Umstände noch nicht undurchdringlich war.

«Arulenus Rusticus, mein sogenannter Ehemann, versteckt sich unter dem Bett», teilte Verulana Gratilla dem älteren Sabinus mit und strich sich das strähnige Haar aus dem Gesicht. «Viele würden meinen, mein Platz sei an seiner Seite. Ich aber denke: Sollen sie sagen, was sie wollen. Ich ziehe es vor, für einen Kaiser zu kämpfen, den ich respektieren kann, nicht für einen Faulpelz, den ich verachte.» Ihre dunklen Augen blickten Sabinus herausfordernd an, als rechnete sie damit, dass er sie zu ihrem Mann unter dem Bett zurückschicken wollte.

«Du kannst ebenso gut einen Speer oder einen Stein werfen wie jeder andere, Gratilla», sagte Sabinus und bemühte sich, nicht darauf zu achten, dass ihre nasse Stola aufreizend an ihren vollen Brüsten klebte. «Ich werde dich nicht anders behandeln.» Während sie davonging und er wohlgefällig ihr Hinterteil betrachtete, war ihm bewusst, dass das nicht der Wahrheit entsprach. Er wandte sich an seinen Sohn, um die Gedanken zu vertreiben, die das wohlgeformte Gesäß in ihm geweckt hatte. «Noch immer keine Spur von Domitian?»

«Nein, Vater. Zuletzt wurde er dabei beobachtet, wie er einem verwundeten Soldaten der Cohortes urbanae den Schild wegnahm und davonrannte.»

«Der kleine Scheißer hatte noch nie Mumm. Er wird wieder auftauchen, wenn die Gefahr vorüber ist, und Geschichten von seinen Ruhmestaten erzählen.»

 

«Es waren zwei», verkündete Domitian, «beide endeten mit durchgeschnittener Kehle.» Er grinste seinen Cousin an und zeigte ihm zum Beweis seine blutigen Hände.

Der jüngere Sabinus wusste wohl, dass er nicht alles glauben durfte, was sein Vetter behauptete, sich seine Skepsis jedoch besser nicht anmerken ließ. «Gut, dass du zurückgekommen bist. Wo bist du seit dem Hinterhalt gewesen?»

Domitian runzelte die Stirn, als wäre das eine unsäglich dumme Frage. «Ich habe natürlich Unterstützer für uns angeworben. Während du dich hier oben sicher verschanzt hast, bin ich verkleidet durch die Stadt gezogen und habe Leute überredet, sich unserer Sache anzuschließen.»

Von wegen, du hast dich versteckt, bis es dunkel wurde und du gefahrlos zum Kapitol gelangen konntest, dachte Sabinus, doch er klopfte seinem Vetter auf die Schulter. «Konntest du sehen, wie viele Leute unten auf dem Forum sind?»

«Hunderte. Die gesamte germanische Leibgarde und ein Großteil der Prätorianer.»

Sabinus war klar, sofern diese Leute nicht im Schutz der Dunkelheit eingetroffen waren, musste das eine dreiste Übertreibung sein. «Und hinter uns auf dem Campus Martius?»

Domitian zuckte die Achseln. «In der Richtung war ich nicht unterwegs.»

«Nun, hoffen wir, dass es weniger sind als auf dem Forum und dass unser Bote durchgekommen ist. Mit etwas Glück wird Vespasians Armee in zwei Tagen hier sein. Seine Kavallerie könnte sogar schon morgen Abend eintreffen. Bis dahin halten wir aus.»

Domitian spürte Sabinus’ Unbehagen. «Werden sie angreifen?»

«Wer weiß? Mein Vater wird bei Tagesanbruch Centurio Martialis zu Vitellius schicken, um zu beanstanden, dass der entgegen seinem Versprechen nicht abgedankt hat. Wenn er sich weiterhin weigert, dann denke ich … Nun, ich denke, wenn sie wirklich angreifen, werden mehr als nur ein paar Mann ihr Leben lassen.»

 

«Er sagt, er sei zu bescheiden, um sich gegen die überwältigende Ungeduld seiner Anhänger durchzusetzen», berichtete Cornelius Martialis, der oberste Centurio der zweiten Cohors urbana, in angespanntem Ton.

Sabinus der Ältere riss vor Verblüffung die Augen auf. «Bescheiden? Dieser Fettsack ist einer der unbescheidensten Männer, die ich kenne. Wenn er sich einbildet, er könnte sich als Kaiser an der Macht halten, nur mit der Unterstützung seiner Leibgarde, seiner zwei Kohorten Prätorianer und des Pöbels, dann irrt er gewaltig. Vespasians Armee wird binnen zwei Tagen hier sein.»

«Sofern der Bote durchgekommen ist», warf Sabinus der Jüngere ein.

«Natürlich ist einer durchgekommen, ich habe ein Dutzend losgeschickt.» Der ältere Sabinus wandte sich wieder an Martialis. «Hast du ihn darauf hingewiesen, dass wir uns über seine Abdankung bereits geeinigt hatten und dass er, wenn er seine Zusage nicht einhält, unweigerlich sterben wird und sein Sohn und sein Bruder mit ihm?»

«Das habe ich, Präfekt, aber er schien mehr an seinem Frühstück interessiert als an der Gefahr, in die er sich selbst bringt. Er sagte, es liege nicht in seinen Händen. Dann bat er mich, das Gebäude durch einen Geheimgang zu verlassen, damit seine Anhänger nicht womöglich beschlössen, mich zu töten, weil ich ein Botschafter für den Frieden sei.»

«Es klingt, als wäre er nur nominell Kaiser, hätte aber völlig die Kontrolle verloren», stellte der jüngere Sabinus fest und blickte über das Forum Romanum hinaus. Am hinteren Ende nahe dem Tempel der Vesta versammelte sich gerade eine bewaffnete Truppe. «Und nun bekommen wir es mit Soldaten von der schlimmsten Sorte zu tun: mit führerlosen.»

 

«Jetzt!», brüllte der jüngere Sabinus, als die Germanen der Leibgarde in vollem Lauf auf die Tore des Kapitols zustürmten.

Hunderte zerbrochene Dachziegel und Backsteine hagelten auf die Angreifer hinunter, sodass sie sich unter ihre Schilde ducken mussten.

Mit der unerschöpflichen Kraft von Männern, die um ihr Leben kämpften, schleuderten der jüngere Sabinus, sein Vater, Nerva und alle anderen Verteidiger auf dem Kapitol ihre Wurfgeschosse auf die kaiserliche Leibgarde hinunter, die nichts als ihre Schwerter und Schilde hatte. Immer mehr Germanen gingen zu Boden, manche bewusstlos, andere mit zertrümmerten Gliedmaßen, und die Übrigen waren gezwungen, sich zurückzuziehen.

«Sie können uns nichts anhaben, selbst wenn sie mit tausend Wurfspeeren wiederkämen», erklärte der ältere Sabinus entschieden, als die letzten germanischen Soldaten in die Richtung des Saturntempels und des sicheren Forums verschwanden. «Um hier einzudringen, bräuchten sie Belagerungsmaschinen, die es in der Stadt nicht gibt.» Er schaute auf die eisenverstärkten hölzernen Torflügel hinunter, die mit zwei metallenen Querstangen verschlossen und mit dicken Holzbalken verkeilt waren. «Da kommen sie nicht ohne einen Sturmbock oder schwere Artillerie durch.»

«Oder Feuer, Vater», sagte der jüngere Sabinus mit leiser, von Grauen erfüllter Stimme.

Der ältere Sabinus blickte auf. «Bei Jupiters riesigem Sack, selbst die Gallier damals vor vierhundertfünfzig Jahren hatten genug Achtung vor unseren Göttern, um ihre Tempel nicht zu zerstören.»

«Die Gallier vielleicht, aber wir haben es hier mit Germanen zu tun.» Sein Sohn warf noch einen Blick zu den nahenden Feinden hinüber, von denen jeder eine brennende Fackel trug, dann wandte er sich an seine Kameraden. «Holt Wasser! Holt so viel Wasser aus der Zisterne, wie ihr könnt, sonst sind wir verloren.»

 

Doch Wasser war auf dem Gipfel des Kapitolinischen Hügels Mangelware, trockenes Holz hingegen gab es selbst jetzt im Dezember reichlich. Der jüngere Sabinus und sein Vater trieben ihre Leute immer verzweifelter an, mit den wenigen verfügbaren Eimern und den Messingbecken, in denen sonst das Blut der Opfertiere aufgefangen wurde, alles Wasser aus der Zisterne zu holen. Doch unentwegt flogen Fackeln über die Mauern und entzündeten alles Brennbare.

Ein greller Blitz ließ den jüngeren Sabinus herumfahren, und er starrte entsetzt in die Richtung. «Das Tor! Bewässert das Tor, schnell!» Doch noch während er das schrie, war ihm klar, dass es bereits zu spät war: Die Torflügel waren von außen in Brand gesteckt worden, und er nahm einen Geruch wahr, der durchdringender und weniger vertraut war als der von brennendem Holz: Hier war Naphtha im Einsatz, daher der grelle Blitz, und gegen Naphtha war mit Wasser nichts auszurichten.

Sein Vater hatte es ebenfalls gesehen. «Verbarrikadiert das Tor, stürzt alle Statuen um und häuft sie davor auf, und dann sucht nach einem Fluchtweg», befahl er. «Das Kapitol ist verloren!»

«Aber das wäre Frevel, es sind viele Götterstatuen darunter.»

Der ältere Sabinus deutete auf das Dach des Jupitertempels. Die ersten Dachziegel sprangen bereits vor Hitze, und immer mehr Flammen loderten durch die entstandenen Löcher. «Ist das etwa kein Frevel? Germanische Wilde im Dienste des Kaisers stecken den Tempel von Roms Schutzgott in Brand! Die Statuen werden sie lange genug aufhalten, dass viele Menschen entkommen können. Wenn dafür der ohnehin bereits angerichtete Frevel noch größer wird, so ist es das wert. Los jetzt, und nimm Domitian mit, sofern der kleine Scheißer sich nicht schon aus dem Staub gemacht hat. Es müsste möglich sein, von der Arx auf den Campus Martius hinunterzuklettern.»

«Was ist mit dir, Vater?»

Sabinus schaute seinen Sohn mit düsterem Lächeln an und schüttelte den Kopf. Gerade ertönte ein Krach wie ein Donnerschlag, und riesige Flammen schlugen aus dem Jupitertempel. Das Dach drohte jeden Moment einzustürzen. «Ich bleibe hier. Der Präfekt von Rom flieht nicht aus der Stadt. Wenn Vitellius überleben will, muss er mit mir verhandeln.»

«Und wenn er glaubt, überleben zu können, ohne mit dir zu verhandeln?»

«Dann sind wir beide tote Männer. Geh jetzt!»

 

Rauch stieg aus den geschwärzten Ruinen auf und zog in Schwaden über das Forum Romanum und den Palatin. Das Kapitol war nur mehr ein Schatten seiner einstigen Pracht. Der jüngere Sabinus schaute aus seinem Versteck auf dem Dach des Apollontempels auf den Palast hinunter, der von Caligula erbaut und nach dem großen Brand vor fünf Jahren neu errichtet worden war. Dort unten trat gerade der korpulente Vitellius schwerfällig durch den Haupteingang heraus und blieb am oberen Absatz der Treppe stehen, umgeben von den treuen Germanen seiner Leibgarde. Er wurde von Senatoren und Rittern empfangen, von denen viele an diesem Morgen noch auf dem Kapitol gewesen waren, jedoch hatten fliehen können, während Sabinus mit den Cohortes urbanae den Sturm auf den Hügel verzögert hatte. Nun waren sie aus ihren Verstecken gekrochen, um den verhassten Kaiser zu unterstützen, wenn er über jene urteilte, die sich ihm entgegengestellt hatten und gescheitert waren.

Sabinus’ Finger umklammerten so krampfhaft die Brüstung, dass seine Knöchel weiß wurden, während er zusah, wie eine Gestalt in schweren Ketten die Stufen hinaufgeführt wurde: sein Vater.

Der ältere Sabinus wurde zu Boden gestoßen, dass seine Ketten klirrten und die bislang schweigende Menge in Hohnrufe ausbrach.

Vitellius ließ sein Publikum eine Weile lärmen, dann hob er die Arme. Er schaute auf Sabinus hinunter, zog die Nase hoch und spuckte ihm den Schleim auf den Kopf. «Wie könnt Ihr es wagen, mit dem Kaiser verhandeln zu wollen? Wie könnt Ihr es wagen, mich kommen oder gehen zu heißen, mir mein Leben anzubieten, als hättet Ihr darüber zu verfügen, und mir gnädig ein Stück Land in Kampanien zuzugestehen, wenn doch all dies mir gehört?» Er machte eine Geste, die ganz Rom einschloss, über das verbrannte Kapitol bis zum Campus Martius, dem Tiber dahinter und der Via Flaminia, die im sanften Abendlicht gen Norden führte, so weit das Auge reichte. «All das gehört mir, und wie ich nun sehe, besteht keine Veranlassung, es aufzugeben, denn das Volk liebt mich.» Vitellius hielt inne, damit die Menge ihm zujubelte und ihn ihrer unverdienten Unterstützung versicherte. «Wie soll ich nun mit Euch verfahren?» Er richtete die Frage an die Menge.

Die Antwort war einstimmig. «Tod!»

«Tod?», wiederholte Vitellius nachdenklich und zupfte an einem seiner vielen Kinne. «Was sagt Ihr, Sabinus? Verdient Ihr für Eure Vermessenheit nicht den Tod?»

Der ältere Sabinus blickte aus zugeschwollenen Augen zu Vitellius auf. «Tötet mich, dann seid Ihr morgen bei Sonnenuntergang selbst tot. Verschont mich, dann will ich sehen, was ich tun kann, um Eure erbärmliche und überreichliche Haut zu retten.»

Vitellius schnalzte mit der Zunge. «Schon wieder diese Vermessenheit. Ich will Euch sagen, was ich tun werde, Sabinus, schließlich sind wir doch alte Freunde. Wisst Ihr noch, damals vor vielen Jahren auf Capreae, als ich Euch ein Angebot machte, ein großzügiges Angebot, und Ihr mich einen verkommenen Hurenjungen nanntet? Ihr sagtet, Ihr würdet nie und nimmer einem Mann den Schwanz lutschen, auch wenn Euer Leben davon abhinge. Damals hoffte ich, Ihr würdet Euch eines Tages in einer Lage wiederfinden, in der Ihr das unter Beweis stellen müsstet. Nun, dieser Tag ist gekommen.» Er hob seine Tunika und entblößte seinen Penis. «Da ist mein Schwanz – lutscht ihn und rettet Euer Leben.»

Der ältere Sabinus fing an zu beben. Einen Moment lang fürchtete der jüngere Sabinus, dass er schluchzte, doch dann brach er in schallendes Gelächter aus. «Seht Euch doch an, wie Ihr dasteht und stolz einen Schwanz vorzeigt, der so groß ist wie mein kleiner Finger. Ist das die Würde eines Kaisers? Ist es so weit gekommen? Ich erinnere mich an jenes Gespräch. Ihr habt mich damals angewidert, Hurenjunge, und Ihr widert mich auch jetzt an, also macht ein Ende. Ich werde Euch nicht den Schwanz lutschen, selbst wenn ich ihn finden könnte.»

Vitellius öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Er schaute sich um und erkannte, wie lächerlich er sich machte. Hastig richtete er seine Kleidung, wandte sich ab und watschelte davon. «Tötet ihn und stellt die Leiche öffentlich zur Schau», rief er, ehe er im Palast verschwand.

Was dem jüngeren Sabinus am deutlichsten in Erinnerung blieb, war die Stille, als sein Vater bereitwillig den Nacken darbot, um den tödlichen Schwertschlag zu empfangen: die Stille der Menge, die zusah, wie die Klinge im Abendlicht aufblitzte und den Kopf vom Rumpf trennte, wie das Blut im Schwall heraussprudelte, über die Füße des Mannes, der das Schwert geführt hatte. Sabinus’ Kopf rollte die Stufen hinunter, der Körper sackte in sich zusammen, und die Menge sah schweigend zu. Diese Stille sollte der jüngere Sabinus nie vergessen. Er kämpfte seine Trauer nieder, während der Leichnam seines Vaters zur Gemonischen Treppe davongeschleift wurde. In diese Stille hinein hörte er schwach ein vom Wind herangetragenes Hornsignal. Er wandte sich um und schaute nach Norden. Dort in der Ferne auf der Via Flaminia erblickte er winzige Gestalten zu Pferde, glänzend in der untergehenden Sonne.

Vespasians Armee war gekommen, zu spät, um Sabinus zu retten, aber nicht zu spät, um ihn zu rächen.

Teil I

Gabara, Galiläa, Mai A. D. 67, zwei Jahre und sieben Monate zuvor

I

 

Titus Flavius Vespasianus hatte das eigentümliche Gefühl, schon einmal hier gewesen zu sein. Die Situation war einem Vorfall vor zweiundzwanzig Jahren so ähnlich, dass er sich gleichsam in die Vergangenheit zurückversetzt fühlte. Fast jede Einzelheit schien sich zu wiederholen: Eine kleine Rebellensiedlung auf einer Anhöhe trotzte der römischen Herrschaft, und es bestand die Möglichkeit, dass der Anführer der besagten Rebellen in ebendieser Siedlung in der Falle saß. Das Ganze erinnerte in geradezu unheimlicher Weise an die Belagerung einer Wallburg in Britannien im dritten Jahr von Claudius’ Invasion. Damals hatte Vespasian gehofft, den rebellischen Häuptling Caratacus gefangen zu nehmen. Nur in einem Detail unterschied sich die jetzige Situation von der früheren: Damals hatte er als Legatus eine einzige Legion befehligt, die II Augusta mit ihren Auxiliarkohorten. Jetzt hingegen war er ein Feldherr, ihm unterstanden drei Legionen mit Auxiliartruppen sowie weitere Kontingente, die von verbündeten Klientelkönigen aus der Region zur Verfügung gestellt wurden. Zu diesen zählten unter anderem Herodes Agrippa, der zweite dieses Namens, nomineller Tetrarch von Galiläa, sowie Vespasians alter Bekannter Malichus, der König der nabatäischen Araber. Insgesamt befehligte Vespasian mehr als fünfundvierzigtausend Mann. Das war ein gewaltiger Unterschied zu früher. Fast ebenso unterschiedlich war das Klima: Auf der Insel war es kalt und feucht gewesen, ganz anders als hier in der Heimat der Juden, sinnierte Vespasian. Er blickte seinem Sohn und Stellvertreter Titus entgegen, der eben in einer Staubwolke auf ihn zugeritten kam, dann warf er einen Blick zu seinem Gefährten, der rechts neben ihm schweigend auf seinem Pferd saß. Vespasian konnte sich nicht erinnern, hier schon einmal mehr als einen leichten Nieselregen erlebt zu haben. Dabei war er bereits vor drei Monaten in diesem trockenen Teil des Imperiums eingetroffen, um den Aufstand gegen Rom niederzuschlagen.

Es war ein heftiger Aufstand gewesen, gewaltsam und beschämend. Vor einem Jahr war Cestius Gallus, der damalige Statthalter von Syrien, in den Süden gekommen, um die aufkeimenden Unruhen in Galiläa und Judäa zu bekämpfen. Er hatte die XII Fulminata mitgebracht, verstärkt durch Kontingente aus den anderen drei syrischen Legionen und ihren Auxiliartruppen, alles in allem über dreißigtausend Mann. Zu Beginn war er erfolgreich gewesen, hatte Ptolemais im westlichen Galiläa zurückerobert und war dann weiter südwärts nach Caesarea und Jaffa in Judäa marschiert, wo er fast neuntausend Rebellen abgeschlachtet hatte. Doch das Blatt hatte sich gewendet, als er eben im Begriff gewesen war, Jerusalem zu belagern, sich dann jedoch zurückgezogen hatte, weil seine Nachschublinien bedroht waren. Am Pass von Beth Horon war er in einen Hinterhalt geraten. An jenem Tag waren fast sechstausend römische Soldaten getötet und fast doppelt so viele verwundet worden; die XII Fulminata war beinahe ausgelöscht, ihr Adler verloren. Gallus floh zurück nach Antiochia in Syrien. Die Überreste seiner Streitmacht ließ er schändlich im Stich, sie mussten selbst zusehen, wie sie sich aus der Provinz zurückzogen. Diese, beflügelt durch den Triumph, befand sich nunmehr in einer ausgewachsenen Revolte. Die Anführer der aufständischen Juden behaupteten, ihr einziger jüdischer Gott habe ihnen zum Sieg verholfen und somit sei gewiss, dass es ihnen gelingen werde, ihr Land von der römischen Herrschaft zu befreien.

Kaiser Nero hatte sich an Vespasian gewandt, damit er den Juden diese Vorstellung austrieb.

Doch Vespasians Sorge galt nicht dem eifersüchtigen Gott der Juden, während er die Berichte der Spione erwartete, die in Titus’ Auftrag in Gabara waren, der ersten Stadt, die er auf seinem Feldzug angegriffen hatte. Vielmehr beunruhigte ihn die Tatsache, dass den Toten bei Beth Horon sämtliche Rüstung und Waffen abgenommen worden waren. Auch viele Verwundete – und viele, die nicht verwundet waren – hatten auf der Flucht ihre Waffen zurückgelassen. Vespasian war wohl bewusst, dass er es mit einer gut ausgerüsteten Streitmacht zu tun hatte, nicht einfach nur mit einem Haufen Rebellen. Hinzu kam, dass ihr Anführer, Joseph ben Mathitjahu, der aufständische Statthalter von Galiläa, die Fähigkeit besaß, Leute zu begeistern. Das wusste Vespasian aus eigener Erfahrung, denn er hatte den Mann drei Jahre zuvor kennengelernt, als dieser mit einer jüdischen Delegation zu Nero gekommen war.

«Und?», fragte Vespasian, als Titus sein Pferd mit beachtlicher Reitkunst aus vollem Lauf neben ihm zum Stehen brachte und dabei reichlich Staub aufwirbelte.

«Sie weigern sich zu verhandeln und halten die Tore geschlossen.»

«Und Joseph?»

«Er ist nicht dort, Vater.»

«Nicht dort? Wie konnte er entkommen?»

«Gar nicht, er war überhaupt nicht in Gabara. Unsere Informanten waren im Irrtum.»

«Deine Informanten.» Vespasian nahm seinen Helm mit dem hohen Rosshaarbusch und die Filzkappe ab und rieb sich den kahlen, verschwitzten Kopf. Mit dem gewohnten angespannten Ausdruck auf seinem runden Gesicht sah er wieder einmal aus, als versuchte er, sich von außergewöhnlich hartem Stuhlgang zu erleichtern. «Wer führt dann das Kommando?»

«Johanan ben Levi. Er konkurriert mit Joseph um die Macht in Galiläa und ist ein ebensolcher Fanatiker. Er ist der Anführer der Zeloten in Galiläa.»

«Zeloten?»

«Eiferer im Dienste ihres Gottes. Es läuft im Grunde darauf hinaus, dass sie jeden umbringen, der nicht dasselbe glaubt und denkt wie sie, besonders uns. Und ganz besonders sämtliche Juden, die eine weniger fanatische Einstellung zu ihrer Religion haben als sie selbst. Sie waren es auch, die all die Kunstwerke und Statuen in Tiberias zerstörten, weil sie angeblich ihren Gott beleidigten.»

«Barbaren!» Für solches Verhalten hatte Vespasian nichts als Verachtung übrig. «Wie viele solche Eiferer hat dieser Johanan laut deinen Informanten unter seinem Kommando?»

Titus, mit seiner ausgeprägten Nase, den klugen, flinken Augen und großen Ohren das jüngere Ebenbild seines siebenundfünfzigjährigen Vaters, verbiss sich die Bemerkung, dass dieser viele der Spione selbst rekrutiert hatte. Der Sohn hatte die Verantwortung für die Nachrichtenbeschaffung übernommen, als er im Hafen von Ptolemais mit seinem Vater zusammengetroffen war, nachdem er seine Legion, die XV Apollinaris, aus Ägypten hergeführt hatte. «Nicht so viele, wie wir anfangs annahmen. Unsere Informanten scheinen ein wenig übertrieben zu haben.»

Vespasian schüttelte den Kopf und lächelte. «Es tut mir leid, mein Sohn – eigentlich habe ich schon vor langer Zeit gelernt, die Schuld nicht auf andere abzuwälzen. Es sind ebenso sehr meine wie deine, wenn nicht mehr, da es ja meine Armee ist.»

Titus erwiderte das Lächeln. «Wolltest du nicht eher sagen ‹die Armee des Kaisers›, Vater?»

«Gewiss, genau das wollte ich sagen. Er hat sie mir nur einstweilen gütigst überlassen, und nun stellt sich die Frage: Wie soll ich sie einsetzen? Wie viele Männer im wehrfähigen Alter befinden sich denn laut unseren Informanten in etwa innerhalb der Mauern?»

«Nicht mehr als fünfhundert.»

«Und sonst?»

«Wenigstens zweitausend, höchstens dreitausend Personen.»

«Gut. Das kann ich den Auxiliartruppen übertragen und ihnen die Gelegenheit geben, mir zu zeigen, aus welchem Holz sie geschnitzt sind. Und der Rest der Armee kann sich einen Vorgeschmack auf den bevorstehenden Feldzug holen.»

Titus warf einen bedauernden Blick zu den Mauern von Gabara. «Allerdings ist es ein Jammer, dass diese heimtückische Ratte Joseph nicht dort ist. Es wäre gut gewesen, ihn schon so früh in die Hände zu bekommen. Nun, Johanan ben Levi ist fast so gut – die Kunde von seiner Gefangennahme wird eine großartige Nachricht sein, die man in ganz Rom herumposaunen kann. Nero dürfte höchst erfreut sein, wenn wir gleich zu Beginn einen der obersten Anführer der Rebellen fassen.»

«Worüber Nero erfreut sein dürfte und was du denkst, worüber Nero erfreut sein dürfte, und worüber Nero dann tatsächlich erfreut ist, sind drei völlig verschiedene Dinge, das solltest du inzwischen wissen, mein Sohn. Der Kaiser wird es uns vielleicht nicht danken, wenn wir zu schnell zu erfolgreich sind. Schau dir nur an, wie es Corbulo ergangen ist.»

Titus seufzte. «Das stimmt allerdings.»

Vor genau diesem Problem stand Vespasian nun: Gnaeus Domitius Corbulo hatte als der größte Feldherr seiner Zeit gegolten, war jedoch seinem eigenen Erfolg in Verbindung mit Neros Eifersucht zum Opfer gefallen. Er hatte Krieg gegen die Parther geführt und Armenien in die römische Einflusssphäre zurückgeholt. Daher waren alle davon ausgegangen, dass der Kaiser Corbulo als seinen besten General entsenden würde, um auch mit dieser Krise fertigzuwerden, als ihn die Kunde von Gallus’ Niederlage erreichte. Nero hatte sich gerade auf einer Reise durch Griechenland befunden, wo er an sämtlichen Wettbewerben im Gesang, in der Dichtkunst und im Wagenrennen teilnahm und wenig überraschend alle gewann, alle eintausendachthundert. Die Olympischen Spiele und viele andere religiöse Feiern waren sogar eigens verlegt worden, damit Nero seine Eitelkeit befriedigen konnte, denn er hielt sich selbst für den größten Künstler und fähigsten Wagenlenker aller Zeiten.

Doch Nero entschied anders. Nero wandte sich nicht an Corbulo, sondern stattdessen an Vespasian, obwohl dieser sich zuvor den Zorn des Kaisers zugezogen hatte, indem er während eines von Neros endlosen Gesangsvorträgen eingeschlafen und dann prustend erwacht war.

Vespasian hatte im Land der Kaeni in Thrakien Zuflucht vor dem Unmut des Kaisers gesucht und seine langjährige Mätresse Caenis mitgenommen. So hatte sie ihr eigenes Volk zum ersten Mal gesehen, denn ihre Mutter war einst als Säugling in den Armen ihrer Mutter in die Sklaverei verschleppt worden. Vespasians alter Freund Magnus hatte sein Versteck erraten und ihn dort aufgespürt, um ihm den Ruf des Kaisers zu überbringen, denn Magnus war selbst vierzig Jahre zuvor zusammen mit Vespasian, Corbulo und Centurio Faustus dort bei den Kaeni in Gefangenschaft geraten. Ein Amulett, das Caenis Vespasian geschenkt hatte, rettete ihnen das Leben, als die vier dazu verurteilt wurden, bis zum letzten Mann gegeneinander zu kämpfen: Der Häuptling der Kaeni, Koronos, Caenis’ Großonkel, erkannte das Zeichen seines Stammes. Bei ihrer Freilassung hatte Vespasian versprochen, Caenis eines Tages zu ihrem Volk zurückzubringen.