Villa Seestern – Ein neuer Wind - Constanze Wilken - E-Book

Villa Seestern – Ein neuer Wind E-Book

Constanze Wilken

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Beschreibung

Nach einer schmerzhaften Scheidung beschließt Eva, dass es Zeit für einen Neuanfang ist. Sie nimmt ihr verbliebenes Geld und zieht nach Amrum, um dort eine Pension zu eröffnen. Auf der Nordseeinsel hat sie die schönsten Ferien ihrer Kindheit verbracht. Nur sind Ferien eben etwas anderes als der Alltag. Denn Evas überstürzte Flucht aus der Großstadt stellt sie vor neue Probleme: Das alte Reetdachhaus ist renovierungsbedürftig, Handwerker sind schwerer zu bekommen als Tickets für Taylor Swift, und die ersten Gäste klopfen an. Nach und nach findet Eva Freunde auf der Insel, aber nicht alle Insulaner sind ihr wohlgesinnt. Und welches Geheimnis birgt die Villa?  Nur mit Hilfe der liebenswerten Bree, einer jungen Frau aus Ghana, ihrer beiden Kinder und des sympathischen Surflehrers Lenni kann Eva den Traum vom eigenen B&B vielleicht doch noch erreichen. Wird sie es schaffen, ihr neues Leben zu meistern und das eigene Glück zu finden? Als Printausgabe und Hörbuch bei Saga Egmont erhältlich sowie als eBook bei dotbooks

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Seitenzahl: 394

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

Nach einer schmerzhaften Scheidung beschließt Eva, dass es Zeit für einen Neuanfang ist. Sie nimmt ihr verbliebenes Geld und zieht nach Amrum, um dort eine Pension zu eröffnen. Auf der Nordseeinsel hat sie die schönsten Ferien ihrer Kindheit verbracht. Nur sind Ferien eben etwas anderes als der Alltag. Denn Evas überstürzte Flucht aus der Großstadt stellt sie vor neue Probleme: Das alte Reetdachhaus ist renovierungsbedürftig, Handwerker sind schwerer zu bekommen als Tickets für Taylor Swift, und die ersten Gäste klopfen an. Nach und nach findet Eva Freunde auf der Insel, aber nicht alle Insulaner sind ihr wohlgesinnt. Und welches Geheimnis birgt die Villa? 

Nur mit Hilfe der liebenswerten Bree, einer jungen Frau aus Ghana, ihrer beiden Kinder und des sympathischen Surflehrers Lenni kann Eva den Traum vom eigenen B&B vielleicht doch noch erreichen. Wird sie es schaffen, ihr neues Leben zu meistern und das eigene Glück zu finden?

»Villa Seestern – Ein neuer Wind « erscheint außerdem als Hörbuch und Printausgabe bei Saga Egmont, www.sagaegmont.com/germany.

Über die Autorin:

Constanze Wilken studierte Kunstgeschichte in Kiel und promovierte in Wales. Neben ihrem Leben am Meer bestimmt auch die Liebe zur Kunst das Schaffen der erfolgreichen Autorin.

Die Website der Autorin: constanze-wilken.de/

Die Autorin bei Facebook: facebook.com/Constanze.Wilken

Die Autorin auf Instagram: @constanzewilken

Bei dotbooks erscheinen außerdem ihre Romane »Ein Cottage in Wales« (auch im Sammelband »Das kleine Cottage der Herzen« erhältlich), »Das Geheimnis des Schmetterlings«, »Die vergessene Sonate«, »Was von einem Sommer blieb«, »Das Licht von Shenmóray«, »Die Frauen von Casole d'Elsa«, »Die Malerin in von Fontainebleau«, »Die Tochter des Tuchhändlers« und »Villa Seestern – Ein neuer Wind« (bei Saga Egmont auch als Hörbuch- und Printausgabe erhältlich).

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eBook-Ausgabe Mai 2025

Copyright © der Originalausgabe 2025 by Constanze Wilken und Saga Egmont

Copyright © der eBook-Ausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fe)

ISBN 978-3-98952-783-6

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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blog.dotbooks.de/

Constanze Wilken

Villa Seestern – Ein neuer Wind

Roman

dotbooks.

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Nachwort

Lesetipps

Prolog

Liebe Lotta,

es ist so schön hier! Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Tante Käthe kümmert sich um uns, als wären wir alle ihre Kinder. Du würdest sie auch mögen. Ich hatte ja erst große Angst vor der Fahrt mit dem Schiff. Aber das war dann doch gar nicht so arg. Der Herr Fiete hat uns einen halben Apfel gegeben. Den haben wir gekaut, und dann wurde uns nicht schlecht. Na, der Fritz hat schon den Fischen geopfert! Dabei hatte er vorher so eine große Klappe. Ich teile mir ein Zimmer mit drei Mädchen. Dass die Margot nicht meine Freundin wird, weiß ich jetzt schon. Sie ist so eine wie die Tochter vom Dürstock!

Wir kriegen gut zu essen. Die Grütze war so gut, dass ich Nachschlag genommen habe. Aber das Schönste ist das Meer! Wir wohnen in einem Haus mitten in den Dünen. Richtig hohe Sandberge sind das. Da sind wir einmal alle zusammen durch, und dann lag der Strand vor uns. So weißen Sand habe ich ja noch nie gesehen! Ach, Lotta, wenn du doch auch kommen könntest. Was hätten wir für Spaß.

Grüß mir die Friedel und den Paul. Ich vermisse euch alle schrecklich!

Deine Anni (du weißt schon, wer)

Kapitel 1

Der Kombi rollte hinter einem Wohnwagen von der Fähre. Fahrradfahrer fuhren an ihnen vorbei die Straße hinauf, eine Frau ging mit ihrem Hund von Bord.

»Hast du den Hund gesehen, Mam? So einen möchte ich haben! Genau so einen!«, sagte Nina sehnsüchtig.

»Genau so einen«, äffte ihr Bruder sie nach und verdrehte die Augen.

Eva Seemann lenkte den Kombi, der unter dem Gewicht von Surfbrettern, Fahrrädern und Koffern ächzte, auf die Ausfahrt zu.

»Sei nicht so hässlich zu deiner Schwester, Freddy. Für sie ist es schwerer als für dich, hier neu anzufangen.« Eva sah in den Rückspiegel und lächelte ihrer vierzehnjährigen Tochter aufmunternd zu.

»Das wird ein echtes Familienabenteuer! Nur wir drei, unser neues Haus und dann der Strand! Darauf habt ihr euch doch gefreut!« Eva machte sich auch selbst Mut. Sie war achtunddreißig, geschieden und hatte das Geld aus ihrer Abfindung in ein Haus auf einer kleinen Nordseeinsel gesteckt. Alles oder nichts. Man musste etwas wagen, wenn man gewinnen wollte. Sie war Meisterin im Zitieren kluger Lebensweisheiten geworden.

»Ich wäre lieber in Frankfurt geblieben«, murrte Nina und tippte auf ihrem Handy herum. »Da sind meine Freunde.«

»Du bist so ein Baby«, frotzelte ihr Bruder, der fünf Jahre älter war und gerade sein Abitur gemacht hatte. »Leg doch das blöde Teil weg und schau dich um. Amrum ist schön, und wir können jeden Tag surfen!«

Nina strich sich die langen blonden Haare aus dem Gesicht und starrte aus dem Fenster. »Urlaub ist okay, aber hier wohnen? Hier ist doch nichts los!«

»Irgendeine Kneipe wird es schon geben«, meinte Eva.

Ihr Sohn, der vorn neben ihr saß, grinste. »Die blaue Maus.«

»Ja, klar«, erwiderte Nina.

»Nein, wirklich. Es gibt hier in Wittdün eine Kneipe, die so heißt.«

Eva steuerte bereits über die Straße, die den kleinen Hafenort mit dem nächsten Ort, Nebel, verband.

»Na, das ist doch schon was! Das wilde Nachtleben und die blaue Maus!« Eva stellte das Radio lauter, in dem ein Song von Roy Orbison gespielt wurde. »Pretty woman walkin’ down the street …«

»Oh Mann …« Nina wandte sich wieder ihrem Handy zu.

Das Lied hatten sie auf ihrer Hochzeit gespielt. Der glücklichste Tag in ihrem Leben schien ein halbes Leben zurückzuliegen. Eva blinzelte aufsteigende Tränen weg und ließ das Fenster hinunter. Es roch nach Meer und Schlick. Sie sog die frische Seeluft ein. Hohes Dünengras säumte die Straße, und zu ihrer Rechten erhob sich ein rot-weißer Leuchtturm. Der Himmel war azurblau, und nur ein paar vereinzelte Wattebausche wurden vom Wind Richtung Festland getrieben. Sie bedauerte ihre Ehe nicht, denn sie hatte zwei wundervolle Kinder mit Martin. Aber sie hatte Fehler gemacht. Sich einzig auf ihn verlassen. Entschlossen packte sie das Lenkrad fester. In ihr steckte noch immer die alte kämpferische Eva!

Nachdem sie das mondäne Nebel mit seinen luxuriösen Reetdachhäusern durchfahren hatten, kamen sie durch einen Kiefernwald und vorbei an Wiesen, auf denen Ponys grasten.

»Es gibt einen Ponyhof, Nina. Du wolltest doch wieder mit dem Reiten anfangen«, sagte Eva.

»Hm«, war die unbestimmte Antwort ihrer Tochter.

»Vorsicht!«, rief Freddy. Ein Traktor mit Anhänger fuhr einfach von links auf die Hauptstraße.

Eva trat auf die Bremse und brachte den Wagen gerade noch zum Stehen, den Anhänger eine Handbreit von ihrer Stoßstange entfernt.

Nina fiel nach vorn und verlor ihr Handy. Ein unschöner Fluch folgte. Der Landwirt winkte aus seinem Fenster und fuhr gemächlich weiter.

»Das macht dem wohl auch noch Spaß«, knurrte Eva.

»Wir haben Zeit, Mam«, sagte Freddy und drehte sich nach hinten um, wo sich Auto an Auto reihte. »Und die Schlange hinter uns auch.« Er grinste. »Mir gefällt das. Entschleunigung.«

Nina fluchte weiter vor sich hin. »Das Handy muss unter deinen Sitz gerutscht sein, Freddy. Guck doch mal!«

»Nö, keine Lust.« Freddy hielt seinen Kopf aus dem Fenster und sang lauthals: »I’m on an island, dirty dancing in the sun …«

»So close to heaven but so far from everyone«, fiel Eva in den Miley-Cyrus-Song mit ein.

Nach einer Weile sang auch Nina mit, und schließlich erreichten sie ihr Ziel.

Eva bog in einen Sandweg, der von Kiefern lose gesäumt wurde, und brachte den Wagen vor einem weißen Reetdachhaus zum Stehen. Ein alter Holzzaun säumte das Grundstück, das über dreitausend Quadratmeter betrug. Jedenfalls hatte das im Exposé des Maklers gestanden. Eva fand, dass es noch größer aussah. So viel Rasen, der gemäht werden sollte, und Büsche und Bäume, die dringend beschnitten werden mussten. Aber die Hortensien neben dem Eingang standen in voller Blüte.

»Ist das nicht schön?«, seufzte sie.

»Äh, Mam, da stehen Leitern am Dach und das große Loch im Hof? Und der Putz bröckelt ab und …«, meinte Freddy.

»Jaja, es gibt noch viel zu tun, aber wir haben noch etwas Zeit.« Eva stieg aus dem Wagen und streckte sich.

Ein gelber Transporter mit der Aufschrift »Jon Lorenzen – Tischlerei« stand im Hof. Aus dem Hausinnern waren Hammerschläge zu hören.

»Oh Mann, das glaube ich nicht!« Nina verschränkte die Arme vor der Brust. »Wie soll diese Baracke denn in einem Monat fertig werden?«

Die obere Hälfte der Klönschnacktür wurde aufgestoßen, und ein Mann um die dreißig schaute heraus. Über der Tür hing ein verblichenes Holzschild mit dem vielversprechenden Namen des Hauses: »Villa Seestern«.

»Moin! Wir vermieten noch nicht. Aber in einem Monat können Sie gern wiederkommen«, sagte er freundlich.

»Hallo!«, rief Eva. »Sind Sie Jon Lorenzen? Wir haben miteinander telefoniert, wegen der Renovierung. Ich bin Eva Seemann.«

»Ah, Sie sind das!« Der untere Teil der Tür wurde aufgestoßen, und ein gutaussehender blonder Mann in Arbeitskleidung kam heraus. Mit wenigen Schritten hatte er sie erreicht und schüttelte ihre Hand. »Willkommen in der Villa! Wir alle finden es toll, dass endlich wieder Leben in den alten Kasten kommt. Hey, und wer seid ihr?«

»Villa?«, meinte Nina und rümpfte die Nase.

»Meine Tochter Nina und mein Sohn Frederick«, stellte Eva ihre Kinder vor.

»Freddy«, erwiderte ihr Sohn und drückte die angebotene Hand. »Sieht nett aus, aber ehrlich. Da sollen Gäste in vier Wochen einziehen?«

Jon fuhr sich durch die kurzen Haare und grinste. »Das wird schon. Die Maler kommen noch mal, wenn wir fertig sind, und die Elektrik läuft. Da sind nur noch ein paar alte Sicherungen, die ausgetauscht werden müssen. Wie gefällt’s euch denn?«

Eva strahlte. »Wunderschön! Ich hab’s ja nur auf den Bildern gesehen. Wirklich, ein traumhaftes Haus!«

»Nee, Sie haben das mal so eben aus dem Katalog gekauft? Na, das nenne ich mutig.« Jon sah Eva mit einer Mischung aus Bewunderung und Unglauben an.

Eva räusperte sich. »Ging nicht anders, aber ich kenne die Insel ganz gut.«

»Klar, aus dem Urlaub, und da warst du zwölf!«, meinte Nina.

»Quatsch, wir waren doch alle zusammen in den Ferien hier«, entgegnete Eva und strich sich die dunkelblonden Haare aus dem Gesicht.

»Da war ich zwei und Freddy sieben«, erwiderte Nina trocken.

»Ein schöner Familienurlaub war das. Ist ja auch egal. Jetzt sind wir hier.« Entschlossen machte Eva einen Schritt auf das Haus zu. »Ich bin so gespannt!«

Jon ging schnell voraus. »Also, nicht erschrecken, das sieht noch chaotisch aus, aber wir haben alles im Griff.«

»Ich sehe mir den Garten an«, meinte Nina.

Jon führte Eva und Freddy in eine Diele, deren Boden aus alten Steinfliesen bestand.

»Alles original. Von 1850!«, erklärte der Tischler. Er klopfte gegen einen Balken. »Solide.«

Es knackte und ächzte im oberen Stockwerk, jemand schrie auf, und es polterte.

»Alles in Ordnung, Enno?«, rief Jon und lauschte ins Treppenhaus.

»Jo. Nix passiert«, kam es zurück. »Das war nur der Türrahmen. Wurmstichig, wie ich dachte.«

»Sehr solide …«, meinte Freddy.

Eva schluckte. »Türrahmen? Das lässt sich aber richten?«

»Ja, kein Problem«, antwortete Jon. »Die Küche ist fertig. Da geht einem das Herz auf, was?«

Er ließ sie in einen großen Raum treten, in dem es aussah wie vor fünfzig oder doch eher hundert Jahren. Freddy ging zu dem Herd mit gusseisernem Aufsatz.

»Ist ja Wahnsinn. Sieht aus wie in einem alten Film! Müssen wir Kohlen schaufeln?«

»Würde zur Not auch gehen. Aber eigentlich reicht Holz. Tolles Teil, was? Das hat der Vorbesitzer top renovieren lassen.« Jon klopfte auf den Herd, der mit weißer Keramik verschalt war.

»Und anstelle eines Kühlschranks haben wir ein Eishaus?« Eva fragte sich gerade, ob sie das Haus in einem Zustand geistiger Umnachtung gekauft hatte.

»Alles andere ist elektrisch. Keine Sorge.« Der Tischler strich über die weiß-blauen Fliesen. »Handbemalt. Das findet man nur noch selten.«

»Ich will hier das Frühstück für meine Gäste zubereiten«, sagte Eva skeptisch.

»Das wird schon. Vorsicht, da vorn ist die Farbe noch nicht trocken«, mahnte Jon, als sie in die Diele traten und Eva das Treppengeländer anfassen wollte.

Das Wohnzimmer war groß und hell und führte direkt in den Garten. Die Wände waren weiß gestrichen, wie Eva es sich gewünscht hatte. Nur die Möbel fehlten.

»Also, das hier soll ja der Frühstücksraum sein. Sie hatten doch Tische und Stühle besorgen wollen?« Fragend sah Eva Jon an.

»Sind noch in meiner Werkstatt. Wirklich schön, ein Flohmarkt-Schnäppchen, aber machen doch mehr Arbeit als gedacht. Keine Sorge, in ein paar Tagen sind die fertig.« Jon stieß die Tür zur Terrasse auf. »Das ist mal ein Blick, was?«

Nina winkte ihnen von einem steinernen Becken zu, das inmitten eines verwilderten Blumenbeetes stand. Im Hintergrund war die Scheune zu sehen, die Eva in ein Café umwandeln wollte.

»In dem Schuppen dahinten standen mal Pferde. Ich habe einen alten Sattel und Zaumzeug gefunden«, sagte Nina. »Und ein Motorrad!«

»Lass mal sehen!«, rief Freddy und lief zu seiner Schwester. Die beiden gingen zur Scheune.

»Wie schön. Steht da vielleicht auch ein Rasenmäher?«, wollte Eva wissen.

Jon kam zu ihnen. »Mein Bruder hat einen Gartenservice. Das Gras ist zu hoch, und von den Bäumen muss ordentlich was runtergeschnitten werden.«

Eva sah ihre Ersparnisse schwinden, aber es half nichts. Sie nickte.

»Das wird schon«, meinte Jon und ging pfeifend davon.

Kapitel 2

Eine Woche waren sie nun schon auf der Insel. Für die Kinder war alles ein großes Abenteuer, für Eva eher ein Albtraum. Sie schaute auf den Wecker. Es war sieben Uhr, und eigentlich hätten die Handwerker schon da sein sollen.

»Wir fangen früher an, dann schaffen wir das«, hatte Jon ihr versprochen. Jon war ein reizender Mensch, sein Optimismus ansteckend, doch langsam verzweifelte Eva. Sie stand in der Küche und las sich die Gebrauchsanleitung für den neuen Kaffeevollautomaten durch.

Die Fenster waren geöffnet, und draußen zwitscherten die Vögel. Es roch nach Meer und Kiefern und Dünen, und eigentlich hätte sie glücklich sein können, dass sie hier auf dieser wunderschönen Nordseeinsel lebte. Eigentlich. Seufzend steckte sie den Stecker in die Steckdose und drückte auf den Knopf, so stand es in der Anleitung. Nichts tat sich.

»Oh, bitte, lass doch wenigstens ein Mal etwas funktionieren!« Sie starrte die luxuriöse Kaffeemaschine an, die ihren Gästen alle Arten von Spezialitäten zubereiten sollte. »Verdammt, jetzt spring schon an!« Sie rüttelte an dem Gerät, und plötzlich leuchteten diverse Knöpfe auf.

»Guten Morgen, Frau Seemann!«, rief jemand, und ein junger dunkelhäutiger Mann mit Rastalocken schaute zu ihr herein. »Ich habe die Sicherungen ausgetauscht.«

»Ah, okay, danke. Und Sie sind? Ich glaube nicht, dass wir uns schon gesehen haben?« Bei der Schar an Handwerkern, die hier ein und aus gingen, verlor man leicht den Überblick.

Der junge Mann drehte sich um. Auf seiner beigefarbenen Jacke stand »Jessen Elektrik macht’s möglich«. Er wandte sich ihr zu und reichte ihr die Hand. »Ich bin Claas, der Sohn von Momme.«

»Eva, freut mich.« Momme Jessen war gestern kurz vor Ort gewesen. »Jetzt erinnere ich mich. Ihr Vater sagte, er wollte das mit den Sicherungen klären.«

Claas hielt ihr drei Vintagemodelle hin. »Wollen Sie die behalten?«

»Nö, danke. Wenn ich das Teil hier zum Laufen bekomme, kann ich Ihnen einen Espresso anbieten.«

»Soll ich mal? Damit kenne ich mich aus.« Claas stopfte die Sicherungen in eine seiner vielen Taschen und betrachtete fachmännisch den Kaffeeautomaten. Innerhalb weniger Minuten lief der erste Cappuccino in zwei Tassen.

»Ich könnte Sie direkt küssen!«, rief Eva begeistert.

»Nur zu«, erwiderte Claas mit breitem Grinsen.

»Es duftet nach Kaffee!« Nina kam in die Küche und warf eine Tüte mit Brötchen auf den Tisch. »Frisch vom Bäcker.«

»Läuft doch.« Claas nickte und ging davon.

»Der war ja süß«, sagte Nina und sah dem Elektriker nach.

»Du bist vierzehn, Maus«, mahnte Eva und holte ein Glas aus dem Regal. »Latte Macchiato?«

Nina nickte und sagte: »Meine Freundinnen in Frankfurt haben alle schon einen festen Freund.«

»Und du machst immer das, was alle machen?«

»Natürlich nicht, sei doch nicht immer gleich so zickig, Mam.« Nina nahm das Glas. »Der sieht top aus!«

»Immerhin etwas. Die Gästezimmer sind noch nicht fertig. Mir fehlen noch Wasserkocher und Nachttischlampen. Wolltest du nicht noch ein paar Muscheln für die Deko sammeln? Wo ist dein Bruder?«

»Am Strand. Surfen. Ich würde auch hingehen, oder brauchst du mich jetzt?« Nina trank aus ihrem Glas und wischte sich den Milchschaum von der Lippe. »Freddy und ich wollten nachher die Scheune weiter ausräumen und was von dem alten Zeug vor dem Haus verkaufen.«

Ihre Kinder hatten noch frei und sollten nicht nur arbeiten müssen. In Frankfurt hatten die Ferien schon begonnen, und man war mit der neuen Schule übereingekommen, dass Nina nach den Sommerferien beginnen konnte. »Ja, geh nur. Ihr seid so fleißig.«

»Der Lenny von der Surfschule hat ein gebrauchtes Surfbrett für mich. Vielleicht kann ich das kaufen, wenn ich was von dem Plunder loswerde«, meinte Nina.

Eva horchte auf. »Lenny, Lennard Dircksen?«

»Ja, so heißt er. Cooler Typ. Kennst du ihn?«

»Hm, von früher. Ist lange her. Da wart ihr noch nicht auf der Welt.«

»Steinalt also«, Nina lachte. »Nein, war ein Scherz. Soll ich ihm erzählen, dass du meine Mam bist? Vielleicht geht er dann noch was runter oder eher nicht?«

Eva lachte. »Grüß ihn von mir. Nein, nein, keine Sorge, wir kannten uns auch nur durch das Surfen.«

»Okay, bis später!« Nina leerte ihr Kaffeeglas in einem Zug und hüpfte gut gelaunt davon.

Versonnen stellte Eva Glas und Tassen in die Spülmaschine. Lennard Dircksen war wieder hier. Wenn das keine Überraschung war. Ihr Telefon klingelte.

»Villa Seestern, Seemann, guten Tag?«

»Ich möchte eine Suite mit Meerblick buchen«, sagte eine amüsiert klingende Männerstimme.

Ihr Ex hatte Humor, aber in seiner Welt drehte sich alles zuerst um ihn selbst. Das hatte Eva in neunzehn anfangs schönen, später aufreibenden Ehejahren erfahren müssen. Sie war tolerant gewesen, hatte Verständnis für seine langen Arbeitstage aufgebracht, versucht, seine Kontrollsucht zu ignorieren, und seine Affären hingenommen. Nachdem er sie jedoch erneut mit einer Praktikantin betrogen und sie schamlos belogen hatte, hatte sie die Reißleine gezogen.

»Martin, was gibt es?«

»Ich wollte mich nur mal nach meiner Familie erkundigen. Alle fragen mich, warum ihr ans Ende der Welt ausgewandert seid. Das hätte ja nun wirklich nicht sein müssen. So schrecklich war unsere Ehe doch auch nicht.«

Anspielungen und Vorwürfe. Eva holte tief Luft und sagte lächelnd: »Es geht uns gut, danke der Nachfrage. Das Haus ist ein Traum und die Leute hier auf der Insel einfach großartig. Hier hilft man sich gegenseitig, wirklich toll. Nina und Freddy sind surfen.«

»Ist das so? Ich hatte Amrum eher klein und langweilig in Erinnerung. Ob das auf Dauer was für die Kinder ist, bezweifle ich. Sie sind schließlich mit anderen Möglichkeiten aufgewachsen.« Martin Loewe leitete das Familienunternehmen, eine Firma für Orthopädietechnik. Der Jahresumsatz war beachtlich, auch wenn sein Scheidungsanwalt das anders hingestellt hatte, um die Abfindung zu drücken.

»Es muss nicht immer groß und größer und schick sein, weißt du? Oft sind es die einfachen Dinge im Leben, die einem viel mehr geben«, gab sie zurück. »Die Kinder haben hier viel Freiheit und sind den ganzen Tag in der Natur. Das tut ihnen gut.«

»Ein Urlaub auf Mauritius hätte ihnen auch nicht geschadet.«

»Entschuldigung, ich dachte, dass du dir so was gar nicht mehr leisten kannst. Nach dem, was die Anwälte vorgelegt haben, steht deine Firma kurz vor dem Bankrott«, erwiderte sie kühl.

»Ein kurzfristiger Engpass. Das kommt vor, nun haben wir das Schlimmste überstanden.«

Eva schnaufte. Dabei wollte sie sich nicht anmerken lassen, wie sehr ihr die Scheidungsschlacht oder vielmehr seine Weigerung, ihr ihren Anteil auszuzahlen, zugesetzt hatte. In den Anfangsjahren hatte sie mit im Büro gearbeitet. Das hatte ihr Spaß gemacht, doch Martin war immer dagegen gewesen. Du musst ganz für die Kinder da sein, meinte er, und sie hatte nachgegeben. Jetzt stand sie ohne Berufserfahrung, mit einem abgebrochenen Studium und einem Haus da, das ihr wie ein großes schwarzes Loch erschien. Ein Loch, das ihr gesamtes Geld verschlang. Nicht daran denken, riss sie sich aus den beklemmenden Gedanken. Du schaffst das!

»Gutes Timing. Darin warst du immer gut. Na ja, mit der kleinen Praktikantin warst du nachlässig. Tsts, die Hotelrechnung über unser Privatkonto laufen zu lassen. Wie geht es der Kleinen, oder gibt es eine Neue?«

»Das musst du mir ewig vorhalten, oder? Es war ein Ausrutscher und …«

»Bitte nicht. Martin, lass uns nicht streiten. Wolltest du etwas Bestimmtes?«

Es war einen Moment still, dann antwortete ihr Ex-Mann: »Ich vermisse die Kinder. Vielleicht komme ich euch besuchen. Wann ist denn die Eröffnung?«

»Du hast Nerven. In drei Wochen. Oh, da kommen Handwerker, mach’s gut!« Sie legte auf.

Sie konnte ihm nicht verbieten, die Kinder zu sehen. Vor allem Nina hing an ihrem Vater und würde ihm sowieso von dem Haus erzählen. Was zwischen ihr und ihm geschehen war, hatte nichts mit den Kindern zu tun. Sie war inzwischen stark genug, um sich ihrem Ex-Mann gegenüber zu behaupten. Entschlossen ging sie in den Frühstücksraum, in dem die Bestuhlung noch immer fehlte. Bilder, dachte sie. Ich brauche noch moderne Bilder.

»Claas?«, rief sie ins Haus.

Der Elektriker meldete sich von oben. »Jo!«

Sie ging zur Treppe, und er sah über das Geländer nach unten. »Gibt es hier auf der Insel Künstler, die erschwinglich sind und schöne Bilder zu bieten haben?«

»Hein Bütt macht Holzsachen und Collagen, maritim.« Er überlegte. »Mehr für die Touris. Aber warte mal, oh, sorry …«

»Wir können uns gern duzen. Ja?«, fragte Eva hoffnungsvoll.

»In Wittdün ist ein Waschsalon. In dem stellt eine Künstlerin aus. Larisa. Die macht coole Sachen. Modern und bunt und so. Da solltest du mal schauen.« Er klopfte auf das Geländer. »Mache noch zwei Steckdosen, und dann muss ich los.«

»Danke, Claas!«

Eva musste ohnehin noch einiges einkaufen. Dann konnte sie auch gleich nach Wittdün fahren.

Kapitel 3

Im Grunde benötigte man auf Amrum nur ein Fahrrad. Vielleicht würde sie sich ein elektrisches Lastenfahrrad besorgen, überlegte Eva, während sie mit dem Kombi an der landseitigen Bucht nach Wittdün hineinfuhr. Dieser Sommer hatte schon einige warme Tage mit sich gebracht, doch heute wehte ein kräftiger Westwind, und dunkle Regenwolken hingen über dem Hafen. Ein Schiffshorn kündigte eine der neuen Doppelendfähren an, die das zeitintensive Drehen überflüssig machten. Eva fuhr langsam durch die Hauptstraße und parkte in der Nähe des Waschsalons.

Als sie ausstieg, begann es zu regnen. Sie zog die Kapuze ihrer Windjacke über den Kopf und eilte an einem Sportgeschäft, einem Fischladen und einer Bäckerei vorbei. Der Duft der frischen Backwaren stieg ihr in die Nase, und ihr Magen knurrte. Sie war nicht dazu gekommen, sich eins von Ninas Brötchen zu schmieren.

Helges Waschsalon stand in Neonschrift über der Tür. Drinnen saßen drei Kunden neben leeren Wäschekörben und warteten. Der Salon war groß, und im Wartebereich hingen an den Wänden bunte Gemälde in unterschiedlichen Größen. Fasziniert blieb Eva stehen und versank in der Betrachtung eines querformatigen Bildes, das die Bucht zeigte. Aber vielleicht war es auch nur irgendeine Bucht, in der ein Mädchen einen Strauß Luftballons steigen ließ oder von ihnen in den purpurfarbenen Himmel gezogen wurde.

»Gefällt es Ihnen?«, fragte eine Frau mit einem starken Akzent, den Eva nicht verorten konnte.

Eva drehte sich um und sah in grüne Augen, die sie freundlich und ein wenig zurückhaltend musterten, so als wüssten sie nicht, ob ihr Interesse ehrlich war.

»Sehr sogar! Da steckt so viel drin. Ja, ich finde es richtig gut! Sind Sie die Künstlerin?«, fragte sie und hielt der Mittvierzigerin die Hand hin. »Eva Seemann.«

Überrascht erwiderte die Frau den Händedruck. »Larisa Plesca. Ja. Ich mag das Meer und diese Insel. Der Himmel sieht an jedem Tag anders aus.«

Eva trat dichter an das großformatige Acrylbild heran und entzifferte das Preisschild. »Uh, okay. Das übersteigt leider mein Budget. Ich eröffne in drei Wochen ein Gästehaus bei Norddorf und suche nach zeitgenössischen Künstlern. Tja, da werde ich wohl doch auf Drucke zurückgreifen müssen.«

Die Künstlerin war etwas kleiner als Eva, trug ihr dunkles Haar kinnlang und mit einem gerade geschnittenen Pony. Auf ihrer Jeans waren Farbreste zu sehen.

»Min Deern, der Trockner geht nicht! Ich habe schon zwei Münzen reingeworfen! Kiek di dat mol an!«, rief ein älterer Mann und rüttelte an der Maschine.

»Einen Moment, bitte, ich bin gleich zurück.« Larisa eilte zu dem ungeduldigen Kunden.

»Wollen Sie jetzt waschen oder was?«, wurde Eva von einer der wartenden Frauen angeblafft.

»Äh, nein, ich …«, murmelte Eva und wandte sich um.

»Ich brauche nämlich alle drei Waschmaschinen hier. Die dahinten wäscht nicht gut«, sagte die Frau und stand auf.

Eine junge Frau in Kapuzenpulli, Jeans und Turnschuhen hockte auf einer Bank und las eine Tageszeitung.

Larisa kam zurück. »So, alles geklärt. Manchmal hakt die Tür. Also wegen der Bilder. Ich würde mich freuen, wenn Sie ein oder zwei meiner Bilder bei sich aufhängen. Ich leihe sie Ihnen gegen eine kleine Gebühr, und vielleicht gefallen sie einem Gast. Was meinen Sie?«

»Das ist eine wunderbare Idee. Wollen Sie uns besuchen und sich die Räume ansehen? Und dann entscheiden wir gemeinsam, was passen könnte?« Eva mochte die Künstlerin, deren Augen aufleuchteten, wenn sie über ihre Bilder sprach.

»Gerne.«

»Gut. Das hier ist meine Karte.« Eva gab ihr eine Visitenkarte, die sie für das Gästehaus hatte drucken lassen.

»Villa Seestern? Danke!«, sagte Larisa, und ein Lächeln huschte über ihr ernstes Gesicht.

Die Türglocke ging, und eine große kräftige Frau kam mit einem Werkzeugkoffer herein. »Tut mir leid, Larisa, hat etwas länger gedauert. Musste noch zu Sven und ihn nach dem Schraubenschlüssel fragen.«

Die Frau mit dem graublonden Bubikopf und strahlenden blauen Augen stellte den Koffer lautstark auf eine Bank. »Moin! Hier ist ja heute mehr los als auf dem Times Square!«

Sie lachte und holte eine Schachtel Zigaretten aus ihren weiten Arbeitsjeans.

»Mensch, Helge, wüllt hier ja woll keen smöken! Da stinkt unsere Wäsche!«, beschwerte sich der ältere Herr.

»Jo, ist sowieso ein dummes Laster. Wo du mal recht hast, was, Hinnerk?« Helge zwinkerte dem Alten zu und sah von Larisa zu Eva.

»Das ist Eva. Sie hat die Villa Seestern gekauft und möchte meine Bilder ausstellen«, erklärte Larisa.

»Na, das ist mal mutig, Eva. Den alten Kasten wollte niemand haben, seit der Hamburger Schnösel sich davongemacht hat. Ranken sich viele Geschichten um das Haus. Wenn erst mal so ein Gerücht in der Welt ist. Dann will keiner mehr drin wohnen.« Helge spielte mit der Zigarettenschachtel und nickte zur Tür. »Gehen wir mal raus, ja? Ich brauche mein Nikotin.«

Eva mochte die offene Art der beiden Frauen und fand, dass Amrum doch gar nicht so klein war, wie es den Anschein haben könnte.

Helge setzte sich auf eine Holzbank vor dem Salon und zündete sich eine Zigarette an. »Wollt ihr auch?«

»Nein, danke. Habe aufgehört.« Eva setzte sich neben sie, und Larisa hockte sich auf die Lehne. »Es ist lange her, dass ich hier war, und an den Waschsalon erinnere ich mich nicht.«

»Habe ich vor zehn Jahren aufgemacht. Lohnendes Geschäft, jetzt wo die Touris in Scharen kommen.« Helge zog an ihrer Zigarette. »Aber man muss auch ’ne Menge selbst machen können, sonst zahlst du dich doof an den Reparaturen.«

Eva sah Helge genauer an. »Sag mal, kenne ich dich irgendwoher?«

Ein breites Grinsen zog über das Gesicht der Frau, die Eva auf Anfang vierzig schätzte. »Hach, danke dir, ich war Beachvolleyballerin. Bei Olympia haben wir einmal Silber geholt. Dann zack, Verletzung und aus die Maus. So habe ich Larisa kennengelernt.«

»Auf Hawaii war das. Da hatte ich eine Ausstellung, und irgendwie sind wir in Kontakt geblieben«, sagte Larisa.

»Ja, wir hatten beide unsere Höhen und Tiefen, und immer wenn es einer von uns richtig beschissen ging, haben wir uns gegenseitig aufgebaut. Gerade braucht Larisa einen Hafen. Und was passt besser als ein Waschsalon?!« Die beiden lachten.

»Darf ich fragen, woher du kommst, Larisa?«, fragte Eva.

»Aus Moldawien. Da ist die wirtschaftliche Lage und überhaupt alles gerade nicht so toll.« Larisa seufzte. »Aber meine Eltern und meine Geschwister leben dort, und ich will schon irgendwann zurück.«

Helge stieß den Rauch aus. »Deine Familie ist cool, Larisa, die verstehen, dass du Künstlerin bist. Wollt ihr gleich mal los? Ich bin jetzt hier und kann die wilden Waschwütigen betreuen.«

Eva lachte. »Warum nicht. Sollen wir, Larisa? Mein Wagen steht da vorn.«

Wenig später saß Eva neben der moldawischen Künstlerin im Wagen und dachte an das Telefongespräch mit ihrem Ex-Mann. Die Welt konnte überall bunt sein und manchmal sogar bunter dort, wo man es nicht erwartete.

»Helge ist eine Seele von Mensch. Ich bin so froh, dass sie meine Freundin ist«, sagte Larisa.

»Gute Freunde sind unbezahlbar«, meinte Eva voller Wärme. »Was meinte Helge damit, dass der Hamburger, dem mein Haus gehört hat, abgehauen ist?«

»Du kennst die Geschichte deines Hauses gar nicht? Oje …«, sagte Larisa.

»So schlimm? Bitte, erzähl mir alles. Es ist sowieso zu spät, jetzt muss ich den Kasten ans Laufen bringen.« Eva fuhr an der Bucht entlang, winkte einem Radfahrer, der nicht wusste, ob er fahren sollte oder nicht, und hörte die Möwen schreien.

»Ich weiß nur das, was Helge erzählt hat. Sie ist hier geboren, weißt du. Deshalb ist sie wieder hier. Das Haus mit dem Waschsalon hat ihrer Mutter gehört. Und die ist vor vier Jahren gestorben. Okay, ja, also der Hamburger, wie hieß der noch, weiß ich nicht mehr. Doch, warte, Ostendorf! Genau wie diese Kaffeefirma. Aber dem gehörte die Firma nicht, sondern seinem Bruder. Jedenfalls hat der Ostendorf von seinem Erbteil die alte Schule gekauft.«

»Mein Haus war früher eine Schule? Na, das ist ja ein Ding!« Eva wich einem überbreiten Wohnmobil aus. Steine und Sand vom Straßenrand wirbelten auf.

»Das war in den Sechzigerjahren, davor weiß ich nicht. Der Ostendorf hat das Haus umgebaut und da auch mit seiner zweiten oder dritten Frau gelebt. Die haben da viel gefeiert, und im Garten soll es einen Springbrunnen gegeben haben, um den sie nackt herumgetanzt sind. Das war wohl in den Siebzigern.«

Eva lachte. »Die wilden Siebziger. Klasse. Sündenpfuhl Villa Seestern.«

»Tja, dann war das Geld irgendwann futsch, und der Ostendorf starb. Die Erben haben sich um das Haus gestritten, und es stand ewig lange leer. Ab und an hat mal einer dort gewohnt, aber nie lange. Die Leute wussten nie, wer da drin war, und haben gesagt, es sei ein Geisterhaus geworden. Die sind hier sehr abergläubig. Und ich dachte, nur bei uns glauben wir noch an solche Sachen wie – sitz nie an einer Tischecke, dann wirst du nie heiraten, oder lass den Efeu auf dem Dach, der vertreibt die bösen Geister und so …« Larisa machte eine entschuldigende Handbewegung.

»Das interessiert mich. Über diesen Ostendorf finde ich vielleicht noch mehr heraus, danke, Larisa. Und da sind wir auch schon.« Eva bog in die Einfahrt zur Villa.

Anstelle des Elektrikers stand Jon Lorenzens Wagen auf dem Hof.

»Wow, das ist aber schön geworden!« Larisa war ausgestiegen, und Eva musste sich eingestehen, dass das Haus langsam wieder strahlte und lebte, auch wenn es noch viel zu tun gab.

***

Liebe Anni,

warst du schon im Meer? Ist die Nordsee nicht schrecklich kalt? Die Tante Käthe würde ich auch gern kennenlernen. Es war hier sehr heiß die letzten Tage, und die Mutti ist mit uns an den See gegangen. Das war mal was anderes. Ich hätte deine Karte mit den Seehunden gern allen gezeigt. Aber dann hätten sie Fragen gestellt, wer die Anni ist und so. Na ja, das geht eben nicht. Also freue ich mich für dich, dass es dir da oben gut geht. Wie geht es deiner Lunge? Tut die Seeluft wirklich so gut, wie die Ärzte sagen?

Ach, liebste Freundin, ich vermisse dich so sehr! Du hättest der Hannelore Dürstock gehörig den Kopf gewaschen, als sie wieder so frech zu der armen Liesel war. Die Hannelore ist schon ein fieses Stück. Und jetzt besonders, wo ihr Vater Richter am Reichsgericht geworden ist. Die kriegt die Nase gar nicht mehr runter. Aber Duxen will sie immer noch mit uns spielen. Sie hat ganz neue große Duxer. Und Paule und Kurt haben gesagt, dass wir sie beim nächsten Spiel abziehen. Ha!

Die Mutti ruft, soll noch Kartoffeln schälen und auf die Emmi aufpassen.

Deine Lotta

Kapitel 4

»Dieser Raum ist hell und die Wände groß genug«, sagte Larisa, während sie durch den Frühstücksraum gingen.

Eva entdeckte in einer Ecke eine Leiste, die noch geklebt werden musste. »Sieh dich gern um, ich muss kurz mit dem Tischler sprechen.«

Sie ging in die Diele und rief: »Herr Lorenzen?«

Es dauerte eine Weile, bis Enno auf dem Treppenabsatz erschien. Sägespäne hingen in seinen langen Haaren, die er zum Pferdeschwanz gebunden hatte. »Jon ist unterwegs. Ich mach den Türrahmen.«

»Und unten ist eine Leiste lose, verkleben Sie die noch?«

»Jetzt mache ich den Türrahmen, und dann habe ich Probe.« Enno warf den Kopf zurück.

»Probe?«

»Ich bin Schlagzeuger in einer Metalband. Wir haben am Wochenende einen Gig in Wyk. Komm doch mit deinen Kindern vorbei.« Enno nickte und verschwand im Halbdunkel des ersten Stocks.

Eva hatte nichts gegen das freundliche Duzen, aber es mangelte Enno an Respekt, fand sie. Die Probe war doch nicht wichtiger als die Eröffnung der Villa! Ihr Handy summte. Neue Mails von Gästen und eine WhatsApp von Bree.

Könnte heute noch vorbeikommen. Wollen wir uns kurz besprechen?

»Gern. Bin im Haus«, schrieb Eva. Bree war die Einzige, die sich auf ihre Stellenanzeige gemeldet hatte. Ganz allein würde Eva es nicht schaffen, und Bree hatte schon in einem Hotel gearbeitet.

Eva ging wieder in den Frühstücksraum. »Und?«

»Ich habe ein paar Bilder im Kopf, die ich dir zeigen würde. Wirklich schön hier«, sagte Larisa und trat nach draußen.

»Der Garten soll zum Kaffeegarten werden. In der Scheune will ich bald ein Café eröffnen. Also, wenn die Wildnis hier in Form gebracht worden ist«, erklärte Eva und ärgerte sich, dass Jons Bruder sich noch immer nicht zurückgemeldet hatte.

»Die Scheune dahinten? Oh, so was ist toll!« Larisa spazierte durch die wuchernden Rosen, zupfte am Efeu und klopfte gegen die alte Scheunentür. »Das hat Atmosphäre.«

»Hey! Sie, hören Sie mal!«, rief eine männliche Stimme durch das Buschwerk auf der rechten Seite.

Äste knackten, und ein Mann um die sechzig zwängte sich durch die Büsche. Er trug eine Schiebermütze, Cordhosen und ein kariertes Hemd. Sein verkniffenes Gesicht verhieß nichts Gutes.

Eva blieb stehen und nahm die Schultern zurück. Sie konnte den Ärger förmlich riechen. »Gehören Sie zur Firma Lorenzen?«

Der Mann wischte ihre Frage ungeduldig mit der Heckenschere weg, die er in einer Hand hielt. »Ich bin Ihr Nachbar!«

In der Scheune klapperte es, und Eva hoffte, dass Larisa sich nicht verletzte.

»Sie hätten auch über den Hof kommen können«, meinte Eva. »Dann gehört Ihnen das Einfamilienhaus neben uns?«

Sie hatte das kleine Reetdachhaus mit dem akkurat gemähten Rasen und den militärisch angeordneten Stiefmütterchen gesehen.

»Ich wollte meine Nachbarn zur Einweihungsfeier einladen …«, weiter kam sie nicht, denn der Mann unterbrach sie schnaubend.

»Mich können Sie mal gleich streichen. Erwin Tedsen. Seit Wochen muss ich den Baulärm ertragen. Das muss aufhören! Ich wache morgens um sechs von den Maschinen auf!«

Eva starrte ihn an und lachte.

»Wieso lachen Sie? Unverschämtheit!«

»Weil ich sehr glücklich wäre, wenn um sechs Uhr schon jemand bei mir auftauchen würde. Das ist aber nicht der Fall. Außerdem, Herr Tedsen, sind die Umbauarbeiten in drei Wochen vorbei, und sooo laut kann es nicht gewesen sein. Das meiste hat sich drinnen abgespielt!« Eva sah, dass Larisa aus der Scheune kam und sich die Jacke abklopfte.

»Sägen, Hämmern, laute Musik! Es reicht mir! Ich habe Sie bereits beim Amt angezeigt! Und stimmt es, dass Sie ein Café aufmachen wollen? Dafür gibt es keine Genehmigung! Hier hat es nie eine Wirtschaft gegeben, und das wird auch so bleiben! Dafür werde ich sorgen!«, redete der Mann sich in Rage.

»Na, was ist Ihnen denn für ein Floh über die Niere gehupft?!«, meinte Larisa und sah den wütenden Mann lächelnd an.

»Was? Wieso Floh? Sie hören von mir!« Wütend schwenkte er die Heckenschere und drehte sich um.

»Nehmen Sie bitte den Weg über den Hof. Ich möchte nicht, dass mein Landschaftsgarten Schaden nimmt«, rief Eva, doch in ihrem Magen machte sich ein mulmiges Gefühl breit. Streit mit dem Nachbarn brauchte sie nicht auch noch.

Larisa räusperte sich. »Kein netter Mensch. Also, die Scheune finde ich sehr gut! Darin kannst du auch noch Bilder hängen. Lass uns telefonieren, ja?«

Sie tauschten Nummern aus, und Larisa verabschiedete sich. Sie wollte einen Spaziergang durch die Dünen machen.

Eva stand einen Moment in ihrem Garten und holte tief Luft. »Was für ein unangenehmer Zeitgenosse«, murmelte sie.

»Eva, sag mal, war das eben der Tedsen?« Enno stand auf der Terrasse.

»Ich fürchte, ja. Er hat mich angezeigt, und das Café will er auch verhindern. Kann er das?« Sie ging zu Enno und sah traurig in den Garten. »Ohne die Einnahmen aus dem Café werde ich es nicht schaffen.«

Enno steckte seinen Hammer in die Seitentasche seiner Arbeitshose. »Der Typ streitet sich mit jedem. Ein mies gelaunter Pedant. In der Gemeinde heißt er Korinthenerwin. Lass dich nicht entmutigen. Solange du alle Papiere hast, kann er dir nichts. Ich muss jetzt los, tut mir leid. Es ist schwer genug, die Jungs zum Proben zusammenzubekommen. Haben alle Jobs.«

Was sollte sie dagegen sagen? Jon war sein Chef und teilte seine Leute ein. »Bis bald.« Hoffentlich, dachte sie.

Eva blieb einen Augenblick stehen und betrachtete das Reetdach. Dicke Moosplacken saßen an vielen Stellen. Und was war das unter dem First? An einer Stelle schien sich das Reet zu lösen. Sie konnte Jon fragen, aber wahrscheinlich war das ein Fall für den Dachdecker. Sie hatte sich von der romantischen Idee eines alten Reetdachhauses blenden lassen. Nein, ganz so blauäugig war sie nicht an die Sache herangegangen. Eva marschierte ins Haus. Ein Reetdach war zwar teuer in der Versicherung, aber es isolierte hervorragend, gab ein angenehmes Raumklima und hielt in der Regel über vierzig Jahre.

Sie ging in den Abstellraum unter der Treppe, in dem sie Putzmittel und Handtücher lagerte. Die Bettwäsche hatte sie in einem alten Bauernschrank im ersten Stock verstaut. Eva mochte die Mischung aus Tradition und Moderne, alt und neu. Die Treppe war voller Staub, genau wie die Leisten und die Bäder mussten gründlich gereinigt werden. Sie legte Duschreiniger, Schwamm, Gummihandschuhe und Lappen in ihren Eimer und ging nach oben.

Gemeinsam mit den Kindern hatten sie entschieden, den Zimmern Namen von einheimischen Seevögeln zu geben. Die Türschilder und Schlüsselanhänger hatte sie bestellt. Drei Wochen Lieferzeit hatte man ihr versprochen. Die waren längst um. Eva öffnete die Tür zur Möwe, einem Doppelzimmer mit Blick auf die Dünen. Die alten Holzdielen waren gereinigt und geölt worden. Das hatten Jons Leute gut gemacht. Dass die Dielen bei jedem Schritt knarzten, gehörte zum Charme eines alten Hauses dazu. Und es gab den großen Teppich, der vor dem Bett ausgerollt werden sollte, wenn alles sauber war.

Eva ging in das kleine Bad, das gefliest und mit neuen Armaturen versehen worden war. Die Dusche war ebenerdig und nur durch eine Plexiglasscheibe abgetrennt. So gewann der Raum an Größe. An den Fliesen klebten noch immer die Reste der Verfugung, obwohl sie schon einmal gewischt hatte. Eva zog die Handschuhe an und machte sich an die Arbeit. Alle Fliesen mussten dreifach gesäubert werden, bevor sie mit dem Ergebnis zufrieden war. Mit dem Handrücken wischte sie sich über die verschwitzte Stirn und ging in das nächste Zimmer.

Im Austernfischer wollte sie die Fenster auf Kipp stellen, doch ein Riegel hakte. Sie machte sich eine Notiz für Jon. Einige Fenster hatte sie erneuern lassen. Bei den anderen hatte sie Jon gebeten, sie zu prüfen und gegebenenfalls nachzuziehen und zu ölen. Sie schaute auf den Hof hinunter, in dessen Mitte noch immer ein Loch klaffte. Das konnte auf keinen Fall so bleiben. Der Nächste, der mit seinem Wagen herauffuhr, konnte einen Achsenbruch erleiden. War sie eigentlich ausreichend versichert?

Eine Bewegung auf dem Hof weckte ihre Aufmerksamkeit. Eine junge Frau spazierte direkt auf die Haustür zu. Eva zog die Handschuhe aus und fuhr sich über die Haare, die sie lose nach hinten gebunden hatte. Verschwitzt, Hemd und Hose fleckig, lief sie nach unten und öffnete die Haustür.

»Hallo! Sind Sie vielleicht Bree? Ich habe Sie von oben gesehen«, sagte Eva leicht außer Atem.

Bree lächelte. »Moin, ja, dann sind Sie Eva Seemann?«

»In Aktion. Bitte entschuldigen Sie meinen Aufzug, aber es gibt so viel zu tun, und ich bin allein. Kommen Sie doch herein. Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«

»Gern, danke. Hier hat sich ja eine Menge getan.« Bree sah sich um. »Fahre hier seit zwei Jahren täglich vorbei und habe mich immer gefragt, warum sich niemand um das schöne Haus kümmert.«

»Sie leben schon lange auf Amrum?« Eva ging voraus in die Küche.

Bree legte ihre Handtasche auf einen Hocker. In ihrer gelben Bluse und der eleganten dunkelblauen Hose sah sie eher aus wie ein Model.

»Seit drei Jahren. Ich bin in Kiel aufgewachsen. Meine Eltern sind aus Ghana eingewandert, und meine Schwester und ich sind hier geboren. Ich hatte schon verschiedene Gastrojobs, habe Hotelfachfrau gelernt und zuletzt in Wittdün in einem Hotel gearbeitet. Aber das, nun ja …«

Eva hantierte mit dem Kaffeeautomaten. »Sie müssen mir keine Details erzählen. Es kann vorkommen, dass man sich verändern will. Nur, ich kann sicher nicht so viel zahlen wie ein größeres Hotel, und geregelte Arbeitszeiten sind in den ersten Monaten vielleicht auch eher schwierig. Ach, verdammt …«

Der Espresso lief über und auf den Fußboden.

»Eine tolle Maschine, aber man muss am Anfang eine Menge einstellen, bis alles rundläuft«, meinte Bree.

Eva griff nach einem Lappen und wischte die Ablage trocken. »Ich muss noch viel lernen, Bree. Wenn Sie Lust auf Chaos, mich, meine zwei Teenagerkinder und dieses alte Haus haben?«

Bree lächelte. »Mir scheint, Sie brauchen Hilfe. Und ich werde lieber gebraucht als herumgeschubst.«

»Wirklich? Sie wollen hier anfangen? Oh, ich freue mich!« Eva reichte ihr die Hand. »Herzlich willkommen, Bree. Auf eine gute Zusammenarbeit.«

Sie wurden sich über das Gehalt einig, vereinbarten eine Probezeit, und während sie sich unterhielten, hatte Bree zwei Espressi produziert.

»Ich war mal für eine Saison in Rom. Wundervolle Stadt, aber die Arbeit im Hotel war so stressig«, erzählte Bree.

»Also sprichst du Italienisch?« Eva nippte an ihrem Espresso.

Bree nickte. »Englisch und Französisch so lala.«

Die junge Hotelfachfrau war definitiv überqualifiziert. »Aber ich brauche jemanden, der überall mit anpackt, nicht nur an der Rezeption.« Fragend sah sie Bree an.

»Das geht in Ordnung. Ich brauche einen neuen Job, auf jeden Fall für dieses Jahr.«

Ein Anfang. Eva lächelte erleichtert. »Okay. Jetzt führe ich dich mal rum.«

Kapitel 5

Außer Enno war heute niemand gekommen. Eva saß vor dem Laptop in ihrem Schlafzimmer und beantwortete Buchungsanfragen. Die Nachfrage war gut, wenn das so weiterlief, war sie bald bis Ende August ausgebucht. Die ersten drei Monate waren wichtig, um die laufenden Kosten zu tilgen. Über die Nachsaison und die Wintermonate wollte sie jetzt noch nicht nachdenken. Eins nach dem anderen. Sie schrieb Jon eine Mail, fragte nach den Stühlen und den Tischen für den Frühstücksraum und erwähnte das Loch im Hof. Wenn sich nichts tat, musste sie selbst für Sand und Kies sorgen. Gab es auf Amrum einen Baumarkt? Eva sah das Firmenverzeichnis durch und lehnte sich stöhnend in ihrem Stuhl zurück. Wenn sie spezielle Dinge für Haus und Garten benötigte, musste sie auf die Nachbarinsel Föhr.

Ihr Blick glitt zum Fenster. Die Sonne war bereits untergegangen. Es war nach einundzwanzig Uhr, und ihre Kinder waren noch nicht zurück! Durfte sie sich jetzt Sorgen machen? Es war nicht einfach, die Balance zwischen einer coolen Mutter und einer nervigen Helikoptermutter zu finden. Eva vertraute ihrem Sohn, aber dass die Kinder einfach den ganzen Tag fortblieben, war nicht abgesprochen gewesen. Eva griff nach dem Handy, als sie Stimmen im Hof hörte. Die Beleuchtung sprang an, und sie ging zum Fenster. Die Schlafräume der Familie lagen im ersten Stock.

Als sie beobachtete, wie Freddy seine humpelnde Schwester stützte, verließ sie panisch das Zimmer und stürzte die Treppe hinunter. In der Diele brannte aus Sicherheitsgründen immer eine Lampe.

»Mam, reg dich bitte nicht auf!«, rief ihr Sohn und half seiner Schwester in die Küche.

»Ich soll mich nicht aufregen? Wisst ihr, wie spät es ist? Ihr hättet anrufen können! Was ist passiert?« Eva ging zu ihrer Tochter, die mit verheulten Augen und trotziger Miene auf einem Stuhl saß, das rechte Bein mit einem seltsam verbundenen Fuß von sich gestreckt. Sie stellte ihren Ärger hinter der Sorge um Nina zurück, kniete sich neben sie und berührte den Fuß.

»Ist das Silbertape?«

Nina nickte. »Cool, was? Ich bin in einen rostigen Nagel getreten. Aber da war ein Surfer, dem das auch mal passiert ist. Salzwasser wäscht das sauber. Silbertape drum, und du kannst weitersurfen.«

»Abmachen!«, sagte Eva. »Sofort!«

Freddy hatte den Kühlschrank geöffnet und nahm die Auflaufschale mit den Nudeln heraus. »Oh, lecker. Ess ich auch kalt.«

»Hol mir eine Schere und den Verbandskasten. Steht im Bad«, befahl Eva ihrem Sohn und legte die Hand auf die Stirn der Tochter.

»Ich habe doch kein Fieber!«, meinte Nina. »Das ist nur eine kleine Wunde. Pocht jetzt ein wenig. Wir haben noch getanzt. Einer hatte Musik dabei. Das war so schön!«

Freddy kam mit dem Verbandszeug zurück. »Alles total nette Leute. Keine Joints oder so, nur Bier und Cola. So ein fantastischer Abend am Strand! Wir haben da im Sand gesessen und den Sonnenuntergang beobachtet.«

»Ihr hättet mich anrufen müssen«, sagte Eva knapp.

»Dann hättest du gleich gesagt, dass wir nach Hause kommen sollen«, entgegnete Freddy.