VIRUS KILLER - Werner Sonne - E-Book

VIRUS KILLER E-Book

Werner Sonne

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Beschreibung

Die Welt will aus der Krise, ein Impfstoff gegen das Virus wird fieberhaft gesucht. Und ein Mann soll es richten, der selber in einer tiefen Lebenskrise steckt. Peter Conrad ist tief gefallen: Gestern noch erfolgreicher Investmentbanker, jetzt nach einem Steuerskandal arbeitslos, seine Ehe gescheitert, seine Welt zusammengebrochen. Er hat nur noch einen Anker, der ihn aufrechthält: Ewa. Sie ist zwar eine Prostituierte, aber Conrad will ganz fest glauben, dass sie trotz allem nur ihn wirklich liebt. Allerdings geht ihm zunehmend das Geld aus, sie zu bezahlen. Da kommt ihm ein überraschender Anruf sehr gelegen: ein Mann mit amerikanischem Akzent bietet eine Million Dollar, wenn Conrad die deutsche Bio-Tech Firma NEWTEC in eine Übernahme durch einen großen ausländischen Investor aus Asien führt, an den strengen Abwehrregeln der Politik vorbei. Nach der Virus-Krise ist NEWTEC dabei, einen Impfstoff zu entwickeln und verspricht Milliardengewinne, wenn das gelingt. Conrad stimmt zu, aber er kann nicht ahnen, auf was er sich einlässt, wie viele Menschen dabei zugrunde gehen werden und welche Turbulenzen er auch in der Berliner Politik auslösen wird. Dort will einer die Krise nutzen und sich selber ins Kanzleramt katapultieren. Er löst eine atemberaubende Serie von Ereignissen aus, sucht die Auseinandersetzung um jeden Preis und stürzt Mitbewerber in den Abgrund. Doch es kommt ganz anders. Werner Sonne war 44 Jahre für die ARD als Radio- und Fernsehkorrespondent auf zahlreichen Schauplätzen rund um den Globus unterwegs. Zu seinen Stationen gehörten u.a. Bonn, Berlin, Washington und Warschau. Er bereiste immer wieder die großen Krisenherde des Nahen und Mittleren Ostens. Zuletzt leitete er das Hauptstadtstudio des ARD-Morgenmagazins in Berlin. Seither schreibt er über Außen- und Sicherheitspolitik in Zeitungen und verfasst Sachbücher zu diesen Themen. Er ist langjähriger Buchautor von Polit-Thrillern und Geschichtsromanen.

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Seitenzahl: 331

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Peter Conrad ist tief gefallen: gestern noch erfolgreicher Investmentbanker, jetzt nach einem Steuerskandal arbeitslos. Seine Ehe gescheitert, seine Welt zusammengebrochen. Er hat nur noch einen Anker, der ihn davor bewahrt, endgültig unterzugehen: Ewa. Sie ist zwar eine Prostituierte, aber Conrad will ganz fest glauben, dass sie trotz allem nur ihn wirklich liebt. Allerdings geht ihm zunehmend das Geld aus, um sie zu bezahlen. Da kommt ihm ein überraschender Anruf sehr gelegen. Ein Mann mit amerikanischem Akzent bietet eine Million Dollar, wenn Conrad mit seinen Kenntnissen die Biotechfirma NEWTEC in eine Übernahme durch einen großen ausländischen Investor aus Asien führt. Und zwar an den strengen Abwehrregeln der Politik vorbei. Nach der Virus-Krise ist NEWTEC dabei, einen Impfstoff zu entwickeln, und verspricht, Milliardengewinne abzuwerfen, wenn das gelingt.

Conrad stimmt zu, aber er kann nicht ahnen, auf was er sich einlässt, wie viele Menschen dabei zugrunde gehen und welche Krisen er auch in der Berliner Politik auslösen wird. Wird es ihm gelingen, diesen Coup durchzuziehen und seine Liebe zu Ewa zu retten?

Werner Sonne

VIRUS KILLER

Bis dass der Tod Euch scheidet

© 2020 Werner Sonne

Verlag & Druck:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-347-12824-8

Hardcover:

978-3-347-12825-5

E-Book:

978-3-347-12826-2

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Kapitel 1

Frankfurt

Ihr Duft hing noch im Raum, schwer und süß. Wie jedes Mal hatte sie ihn mit schnellen Bewegungen über ihren Oberkörper versprüht. Mit Parfums kannte er sich nicht aus, aber er glaubte Dior auf dem gläsernen Flacon gelesen zu haben. Dann war sie gegangen, ohne sich umzusehen.

Einen Moment lang hatte er fast instinktiv seine Arme nach ihr ausstrecken wollen. Als könne er sie halten. Aber da war die Tür schon ins Schloss gefallen und sie war verschwunden.

Das Geld hatte er wie immer in einen Briefumschlag gesteckt, diskret, wie er glaubte. 500 Euro. Sie hatte es sofort an sich genommen, kommentarlos, noch bevor sie sich ausgezogen hatte, und es in ihre Handtasche gesteckt. Auch mit Handtaschen kannte er sich eigentlich nicht aus, aber dieses Modell war ihm vertraut. Die indische Verkäuferin in der Mall of Dubai hatte sie ihm so sehr empfohlen, als er sie nach etwas Besonderem gefragt hatte. Die 'Lady D-Lite' Tasche bringe vollendete Eleganz und Schönheit zum Ausdruck, hatte sie gesagt, und er hatte genickt. 3500 Euro zeigte das Preisschild damals, als das für ihn noch kein großes Ding war. Schwarz war sie, mit goldenen Dior-Buchstaben, die vom Tragegriff herunterhingen.

Das war vor einem Jahr gewesen, als er in Dubai im Auftrag der Bank einen Scheich aus Saudi-Arabien getroffen hatte, einen der vielen Prinzen aus dem großen Königshaus. Sie waren sich schnell einig gewesen über das Geschäft – den Kauf einer Hotelkette. Die Bank hatte den Kredit sofort gewährt und für ihn war ein Bonus dabei herausgesprungen.

Als er zurück in Frankfurt war, hatte er die Tasche auf den Nachttisch des luxuriösen Doppelzimmers in dem nicht minder eleganten Hessen Palais gestellt, in dem sie sich seit fünf Monaten regelmäßig trafen. Er hatte Ewa dort an der Bar aufgegabelt. Oder sie ihn, bei genauer Betrachtung.

Ewa, Ewa Oksana, aus Kiew. Auch nach zehn Jahren hatte ihr Deutsch den ukrainischen Akzent. Er fand ihn exotisch. Er fand alles an ihr exotisch, attraktiv. Und natürlich sexy. Ihr langes blondes Haar, das sie für ihn herabfallen ließ, wenn sie zusammen waren, ihre breiten Hüften, ihre Rundungen, alles, alles, alles. Natürlich hatte ihm sein Kopf gesagt, dass sie ihr Geld damit verdiente, mit anderen Männern zu schlafen. Aber, so versuchte er einen rationalen Gedankengang daraus zu machen, auch er hatte geschäftlich mit Kunden zu tun, die er nicht unbedingt mochte. Das war eben sein Beruf. Manche von ihnen waren, das war ihm klar, sogar Kriminelle, nur eben im ganz großen Stil. Man nannte sie dann Oligarchen, was nichts anderes bedeutete, als dass sie sich beim großen Umbruch in ihren Ländern in Osteuropa schamlos bereichert hatten und ständig auf der Suche nach profitablen Anlagen für ihr Geld waren, am besten schwarz. Er wusste, der Vergleich mit Ewa hinkte. Er gab diesen Männern seinen Sachverstand, sie gab Männern ihren Körper. Zumindest hatte er es sich anfangs genauso zurechtgelegt, als er noch glaubte, für sich selber eine Rechtfertigung finden zu müssen und für sie eine Erklärung. Doch inzwischen hatte er diese mühsame, ja quälende Suche nach einer überzeugenden Begründung eingestellt. Sie war da und das war es, was er brauchte. Jetzt mehr denn je.

Seit ihrer ersten Begegnung hatten sie sich regelmäßig im Hessen Palais getroffen, oder ziemlich regelmäßig, soweit seine zahlreichen Reisen für die Bank es eben zuließen. Dubai, London, New York, Singapur, die Cayman Islands, das war seine Welt. Er drehte das große Rad, Millionen, viele Millionen, und gelegentlich ging es dabei auch um Milliarden. Investmentbanking hieß die Abteilung und er war einer ihrer Stars.

Am Anfang hatte er noch versucht, seine Treffen mit Ewa vor Ingrid geheim zu halten, hatte sich um Ausreden bemüht, um Erklärungen. Aber dann war es ihm mehr oder weniger egal geworden, je öfter er Ewa sah. Er hatte Ingrid wunschgemäß eine Sauna in ihr geräumiges Haus in Kronberg einbauen lassen, im Garten einen Swimmingpool, hatte ihre teure Aufnahmegebühr in den Golfclub bezahlt und irgendwie hatten sie den Schein gewahrt, wenn sie ihn gelegentlich noch zu den Empfängen begleitete, die die Bank für ihre bevorzugten Kunden veranstaltete.

Jetzt wohnte Ingrid immer noch in dem großen Haus und er hatte sich ein Zwei-Zimmer-Apartment in der Frankfurter Innenstadt nehmen müssen. Sie hatte keinen Moment gezögert, als die Bank ihn rausgeworfen hatte. Zwei Tage später hatte Ingrid die Scheidung eingereicht. Kurz darauf kam der Brief von ihrem Rechtsanwalt mit detailliert aufgelisteten finanziellen Ansprüchen. Eigentlich wäre einiges an Geld zu verteilen gewesen, selbst angesichts ihrer ungeheuerlichen Forderungen. Aber eben nur eigentlich, denn die Staatsanwaltschaft hatte seine Konten einfrieren lassen und wenn der Richter gegen ihn entscheiden würde, dann wären Strafzahlungen in Millionenhöhe fällig. Das wäre sein Ende: finanziell, gesellschaftlich, beruflich.

Cum-Ex, Cum-Ex, Cum-Ex. Der Begriff drehte sich immer wieder in seinem Kopf herum. Das verdammte Cum-Ex. Lange hatten ihn die Juristen in der Bank beruhigt, genau wie den Vorstand. Das große Steuermodell, bei dem die Anleger die Erstattungen für die nicht gezahlten Steuern gleich zweimal vom Finanzamt kassierten, sei doch legal. Es habe doch jahrelang funktioniert, Milliardengewinne eingebracht und der Staat habe immer weggeschaut. Doch als dann der Staatsanwalt aus Bonn, wo das Verfahren lief, mit dem Durchsuchungsbefehl vor der Tür stand und die Unterlagen kartonweise aus seinem und anderen Büros abholte, als die Fernsehteams die Aktion vor der Bank filmten, als plötzlich Cum-Ex das große schmutzige Wort wurde, als auch die Politik in Berlin unter Druck geriet, da reagierte die Bank schnell. Am nächsten Morgen lag das Kündigungsschreiben auf seinem Schreibtisch. Man gab ihm eine Stunde, sein Büro auszuräumen. Bauernopfer, dachte er, du bist das verdammte Bauernopfer.

Ewa hatte am nächsten Tag die BILD-Zeitung mitgebracht und sie stumm auf den Nachttisch gelegt, die Schlagzeile und das Foto von ihm, dem gefeuerten Spitzenbanker, nach oben. Sie hatte ihn fragend angesehen und er hatte sie in den Arm genommen. Das werde sich schon klären, das sei alles ein großes Missverständnis, die Juristen der Bank würden das regeln. Jedenfalls, so flüsterte er ihr ins Ohr, sie solle sich keine Sorgen machen, sie würden das schon gemeinsam schaffen. Dann hatte sie sich ausgezogen, wie immer. Er glaubte zu spüren, dass sie es routiniert tat, ja absolvierte, als er sich auf sie warf, sie nahm, innerlich aufgewühlt und nach Erlösung suchend. Er wollte das nicht realisieren, diese Distanz nicht wahrhaben, aber als sie gegangen war, lag er noch lange wach, und als er am Morgen mit schwerem Kopf aufwachte, stellte er fest, dass die Flasche Whiskey, die neben dem Bett stand, halb leer war.

Einen kleinen Triumph hatte er verbucht. Die Staatsanwaltschaft hatte ein Konto übersehen – bei der Sparkasse in Darmstadt, wo er aufgewachsen war. Er hatte es nie aufgelöst. 57.341,76 Euro lagen dort, nur ein kleiner Einsatz, und das Geld wurde jeden Monat weniger, die Kosten liefen weiter. Für das Apartment, für die Krankenkasse, für den Lebensunterhalt und für Ewa. Er hatte versucht, das zu verdrängen, und früher war es ja auch fast egal. Aber jetzt zählte jeder Euro und die Rechnung war nicht sonderlich kompliziert. Sie kam zweimal in der Woche zu ihm, seit der Viruskrise sogar noch regelmäßiger als früher. Einmal war sie tatsächlich mit einem Mundschutz bei ihm gewesen. Bis dato hatte er nie darüber nachgedacht, dass Frauen wie sie hoch risikogefährdet waren, was Ansteckungen anging, und dass ein Mundschutz dabei gewiss nicht die Lösung war. Mehrfach war sie in dieser Zeit die ganze Nacht über bei ihm geblieben. Er hatte es genossen, sie an seiner Seite zu spüren, wenn er nachts wach lag, auch wenn ihn seine Sorgen quälten. Und schon wieder hatte er den Gedanken nicht zu Ende denken wollen, dass es vielleicht damit zu tun hatte, dass andere Männer unter den neuen Umständen diese Form des sehr direkten Körperkontaktes nicht wollten und auf ihre Dienste verzichteten. Jetzt war die Krise vorbei und erst jetzt war ihm bewusst geworden, dass er sie zumindest gesundheitlich überstanden hatte – und Ewa anscheinend auch.

Eine Weile hatte er überlegt, ob er ihr nicht anbieten sollte, ganz bei ihm einzuziehen. Doch er traute sich nicht, scheute davor, dass sie diesen Vorschlag zurückweisen würde, und er wollte sich diesen Schmerz ersparen. Die Rechnung war also einfach. Zweimal pro Woche, jeweils 500 Euro, das machte 4.000 im Monat.

Und dann waren da noch die Kinder. Sebastian, der Sohn aus seiner ersten Ehe, war lange schon erwachsen und erfolgreicher Rechtsanwalt in München. Aber Eric, sein Sohn mit Ingrid, studierte noch an der FU in Berlin, war an die regelmäßige Überweisung gewöhnt. Und ihre gemeinsame Tochter Johanna war während der Viruskrise bei ihren Gasteltern in Australien hängengeblieben und flehte ihn mehrfach um Geld an.

Es konnte keinen Zweifel geben, dass das Gerichtsverfahren eine Riesensumme an Anwaltskosten verschlingen würde. Er musste sich dringend um einen Anwalt kümmern und bisher hatte er keine Ahnung, wie er das finanzieren sollte. Die Lage war eigentlich ziemlich einfach zu beschreiben. Nach dem vorläufigen Ende der Viruskrise waren die wirtschaftlichen Schäden riesig und niemand suchte einen 57-jährigen, ausgebrannten Ex-Banker, dem ein spektakuläres Gerichtsverfahren drohte.

Peter Conrad wurde plötzlich bewusst, dass Ewas Duft immer noch im Raum schwebte. Wenn er sie verlieren würde, dann wäre es das Ende. Er wollte aufstehen, um ins Bad zu gehen, als sein Handy klingelte – eine anonyme Nummer.

Kurz zögerte er, ob er den Anruf annehmen sollte. Dann tat er es doch.

„Hallo?“, sagte er in den Hörer.

„Peter Conrad?“, hörte er eine Stimme und er glaubte, einen Akzent zu hören, denn der Anrufer sagte nicht Peter, sondern mehr Pieter. Es klang amerikanisch.

„Ja, bitte?“, antwortete er.

„Mein Name ist Joe Miller“, sagte die Stimme. „Ich habe von Ihnen in der Zeitung gelesen. Böse Sache, aber vielleicht brauchen Sie ja einen Job. Und ich hätte da was für Sie. Es geht für Sie um eine Million Dollar.“

Kapitel 2

Berlin

„Hier“, sagte er triumphierend, „hier!“ Julius Bergner blickte auf sein Smartphone. Soeben war über Twitter ein Foto aus dem Hamburger Hafen eingegangen. Es zeigte die Ankunft eines Frachtschiffes mit einer riesigen, turmhohen Containerfracht. Das Schiff kam aus China.

Bergner saß an seinem Schreibtisch im großen, im wilhelminischen Neobarock aus Sandstein gebauten Gebäude an der Invalidenstraße, das nach einer wechselhaften Geschichte jetzt als Wirtschaftsministerium diente. Er zeigte das Foto seinem Büroleiter Berthold Winter, der vor seinem Schreibtisch stand. „Es geht voran, jeden Tag mehr“, sagte Bergner. „Klar, die Krise hat leider tiefe Spuren hinterlassen, aber wichtig ist doch, dass wir wieder im Geschäft sind.“

Zufrieden legte er das Smartphone auf den Schreibtisch. „Und wer hat das geschafft?“, fragte er, war sich aber sicher, dass Winter darauf nicht eingehen würde.

„Ich sage es Ihnen, Winter. Wir waren das. Wir, diese Regierung. Konsequent, nachdrücklich und effektiv.“

Natürlich hätte er es lieber gleich so gesagt, wie er es meinte. Nämlich, dass er, Julius Bergner, der Bundeswirtschaftsminister, diese Herkulesaufgabe erledigt hatte, dass er der wichtigste Player dabei war, die Wirtschaft wieder anzukurbeln.

„Selbstverständlich war das eine Teamleistung“, beeilte er sich hinzufügen. „Dieses Haus, dieses tolle Ministerium hat wieder einmal gezeigt, wie leistungsstark es ist, wenn es darauf ankommt.“

„Und sehen Sie hier, die neuesten Zahlen aus dem Politbarometer des ZDF. Die Bevölkerung dankt es uns. Die Zahlen sind so gut wie lange nicht mehr.“ Er blätterte in den Seiten mit den neuesten Umfragewerten, die seine Sekretärin ihm ausgedruckt hatte. Kurz überlegte er, ob er auch auf die Zahlen eingehen sollte, die die Popularität der Spitzenpolitiker abbildeten. Er unterließ es – mit etwas Mühe. Aber die Zahlen sprachen eine eindeutige Sprache. Auch er, der Bundeswirtschaftsminister, hatte bei diesen Werten einen deutlichen Sprung nach oben gemacht. Das, so dachte Bergner, galt es zu nutzen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Die Frage der Nachfolge stand im Raum, jetzt war die Zeit, eine Entscheidung zu forcieren. Und er würde sich daran beteiligen.

„Wir sollten dankbar sein für dieses Echo aus der Bevölkerung. Sie wissen unsere Arbeit zu würdigen“, konnte er sich nicht verkneifen zu sagen.

„Aber genug davon, man könnte es sonst ja für Eigenlob halten“, übte er sich wieder in aufgesetzter Demut und legte die Blätter mit den Zahlen zurück auf die Tischplatte. „Was gibt es sonst, Winter?“

Berthold Winter legte ihm den Aktendeckel mit den Aufzeichnungen vor, die mit „Geheim“ gestempelt waren. Eine neue, dringliche Meldung des Bundesnachrichtendienstes. Die Bezugskürzel POL und WIR wiesen darauf hin, dass es sich um wichtige Informationen aus den Bereichen Politik und Wirtschaft handelte. Bergner warf einen Blick darauf und schaute dann seinem Büroleiter in die Augen:

„Und? Warum jetzt diese Eile, Winter?“

„Weil der BND glaubt, dass diese Meldung hohe Priorität haben sollte. Er hat aus den zahlreichen Erkenntnissen diejenigen herausgefiltert, die jetzt nach der Krise besondere Relevanz haben sollten, und dabei zeigt sich eindeutig, dass es auf dem Weltmarkt ein beherrschendes Thema gibt: Den Impfstoff gegen das Virus.“

„Das ist ja nicht unbedingt neu“, sagte Bergner.

„Nein, das ist nicht neu, Herr Minister, neu ist aber, dass sich das Feld gerade sortiert und dabei schaut man weltweit auch auf uns, auf unsere Firmen. Die sind dabei ziemlich weit vorn. Und ganz oben steht die Firma NEWTEC.“

„Eine gute Nachricht und ein toller Erfolg. Irgendwie doch auch für uns, für uns alle“, sagte Bergner. Und für die Politik, die das Forschungsprogramm mit 50 Millionen Euro Steuergeldern unterstützt hatte, wollte er noch hinzufügen, behielt es dann aber für sich.

„Jedenfalls ein Milliardenmarkt“, fügte er stattdessen hinzu. „Wem diese Firma gehört, dem gehört eine Gelddruckmaschine, die gar nicht so schnell drucken kann, wie das Geld reinkommt.“

„Richtig, Herr Minister, alles richtig“, reagierte Winter. „Der Grund, warum sich der BND einschaltet, ist der: Er hat Meldungen aufgefangen, dass irgendjemand eine feindliche Übernahme plant. Sie wissen noch nicht viel mehr, aber anscheinend ist irgendetwas im Gange. Jedenfalls sollten wir wachsam sein.“

„Sollte doch kein Problem sein, die biotechnischen Firmen gehören seit kurzem zur kritischen Infrastruktur und da haben wir doch ein deutliches Mitspracherecht. Wer im Ausland mehr als zehn Prozent Anteile erwerben will, braucht unsere Genehmigung. Das haben wir doch kürzlich den Amis klargemacht, als die versucht haben, eine deutsche Firma zu übernehmen, die auch an einem Impfstoff forscht. Nix da, Winter, wer immer das Ding drehen will, da werden wir reingrätschen. Nicht mit uns, nicht mit mir.“

Bergner überlegte eine Weile und starrte auf den Geheimstempel.

„Wissen wir, wer der Haupteigner von NEWTEC ist?“, fragte er schließlich.

„Ja, wissen wir, Herr Minister. Der Großinvestor Kurt Friedrich.“

„Oh, gute Nachrichten, Winter, ein guter Mann! Sehr erfolgreich. Hat immer den richtigen Riecher. Der wird sich auf so einen Deal nicht einlassen.“

Bergner verkniff sich, ein wichtiges Detail hinzuzufügen. Kurt Friedrich gehörte seit vielen Jahren zu den zuverlässigen Großspendern für die Parteikasse. Alles sorgfältig aufgelistet, dachte Bergner. Alles im Rechenschaftsbericht der Partei für den Bundestag aufgelistet und öffentlich einsehbar. Keine Gefahr an der Front. Friedrich spendete auch an andere Parteien, aber für Bergners Partei spendete er mehr als für alle anderen zusammen. Guter Mann, dachte Bergner wieder. Und was die Geheim-Meldung über einen anonymen Käufer für NEWTEC anging, würde der sich schon auf nichts einlassen.

„Der BND soll das weiter beobachten“, sagte er zu Winter. „Und sorgen Sie dafür, dass ich hier auf dem Laufenden gehalten werde.“

„Wird gemacht, Herr Minister“, entgegnete Winter und ging. Bergner holte wieder die Umfragezahlen hervor und streichelte über das Blatt.

Sehr schön, dachte er, sehr schön. Vor einem halben Jahr hätte er sich das noch nicht vorstellen können, doch jetzt würde er ins Rennen gehen. Für irgendwas musste diese Krise doch gut sein.

Kapitel 3

Frankfurt

Der athletisch wirkende Mann mit den kurzen, an den Rändern schon leicht angegrauten Haaren war Anfang 50 und trotzdem ohne Bauchansatz. Er trug einen blauen Blazer, ein gestreiftes Hemd ohne Krawatte, ungebügelte Khakihosen und Sneaker. Unter den rechten Arm hatte er eine BILD-Zeitung geklemmt – das Zeichen, das sie für dieses Treffen verabredet hatten. Das war er offensichtlich, sein Eine-Million-Dollar-Mann, dachte Peter Conrad.

Er winkte ihm unauffällig zu, als er sich suchend in dem Lokal gleich neben dem Opernhaus umschaute. Der Mann kam auf ihn zu und streckte die Hand aus. Conrad schüttelte sie.

„Joe Miller“, stellte er sich vor und setzte sich ihm gegenüber an den kleinen runden Tisch. „Schön, dass Sie es möglich machen konnten.“

„Danke, dass Sie gekommen sind“, versuchte Conrad den höflichen Ton zu erwidern.

Ein Kellner kam und nahm die Bestellung auf.

Miller hatte die BILD-Zeitung vor sich auf den Tisch gelegt. Es war die alte Ausgabe. Die, die die Story von der Durchsuchung in der Bank und seinen Rauswurf gebracht hatte.

„Wirklich eine dumme Geschichte“, sagte Miller ohne weitere Einleitung.

Conrad zog es vor, nicht darauf zu antworten. Der Kellner kam zurück und brachte einen Cappuccino für Conrad und das Glas Weißwein, das Miller bestellt hatte.

„Aber wie sagt man so schön: Jede Krise birgt auch ihre Chance.“ Millers Deutsch schien korrekt, wenn auch etwas angestrengt, aber er hatte einen unverkennbaren amerikanischen Akzent.

Conrad rührte mit seinem Löffel in der Tasse, während Miller einen Schluck aus dem Weinglas nahm.

„Ich will es nicht unnötig ausdehnen“, sagte Miller und zog ein Foto aus seiner Jackentasche. Conrad schaute hin. Es zeigte einen Golfplatz, den er sogleich erkannte, und einen Mann, mit dem er ebenfalls seit vielen Jahren bekannt war: den Golfplatz neben dem Schloss Kronberg und, auf seinen Golfschläger gestützt, Kurt Friedrich. Daneben stand er selbst, Peter Conrad, im Gespräch mit seinem alten Kunden. Das Foto war offenbar aus einer größeren Entfernung mit einem Teleobjektiv aufgenommen worden und Conrad vermutete, dass der Fotograf an einem der Fenster des Fünf-Sterne-Hotels Schloss Kronberg gestanden haben musste. Von dort aus hatte man einen guten Blick über den Golfplatz.

„Wie man hier sehen kann, verkehren Sie ja in bester Gesellschaft“, nahm Miller das Gespräch wieder auf. „Wie wir wissen, haben Sie auch auf der ganzen Welt hervorragende Geschäftskontakte. Das ist genau das, was wir suchen. Und Kurt Friedrich ist dabei besonders wichtig.“

Conrad nahm den Löffel aus der Tasse und schaute Miller an.

„Und was genau soll ich für Sie tun?“, fragte er.

„Sehen Sie, es ist so: Wir sind gerade durch eine beispiellose Krise gegangen und wir vermuten, dass das noch nicht wirklich vorbei ist. Die ganze Welt wartet auf einen Impfstoff, auf einen, der ein noch breiteres Spektrum abdeckt als nur das eine Virus. Das wird bestimmt mutieren. Und wer diesen Impfstoff anbieten kann, der hat gewonnen. Big time! Herr Conrad, big time!“

„Gut, das verstehe ich. Das weiß inzwischen jeder“, warf Conrad ein. „Wir sind mitten in einem Wettbewerb, wie wir ihn lange nicht gesehen haben.“

„Genauso ist es, Herr Conrad, genau so. Und jetzt kommen Sie ins Spiel. Sie kennen ja offensichtlich Kurt Friedrich. Sie und wir wissen, dass Friedrich der Hauptanteilseigner an NEWTEC ist. Und wir haben einen Kunden, der die Firma übernehmen will. Und zwar schnell. Einen Kunden in einem sehr großen Land. Dazu brauchen wir die Anteile von Kurt Friedrich oder zumindest 51 Prozent. Und da haben wir gedacht, vielleicht können Sie das in Hand nehmen.“

Conrad begann wieder mit dem Löffel in seinem Cappuccino herumzurühren, um Zeit zu gewinnen. Natürlich hatte er verstanden. Das Anliegen war zumindest im Prinzip einfach, aber genauso galt auch, dass es in der Realität so nicht gehen würde. Selbst dann nicht, wenn Friedrich mitmachen wollte.

„Ich glaube nicht, dass ich hier helfen kann“, sagte er schließlich. „Bei uns in Deutschland gibt es dafür Gesetze, die solche Verkäufe kontrollieren. Man nennt es das Außenwirtschaftsgesetz. Und es ist gerade erst verschärft worden. Es umfasst jetzt auch biotechnische Firmen. Wer aus dem Ausland mehr als zehn Prozent der Anteile kaufen will, braucht die Genehmigung der Regierung. Und ganz offen, Mr. Miller, ich glaube kaum, dass die Regierung gerade in diesem Fall zustimmen wird.“

„Ich sehe, Sie kennen sich aus, Herr Conrad. Und genau deshalb sind wir ja auch auf Sie gekommen. Im internationalen Geschäft gibt es doch immer Mittel und Wege, das weiß doch kaum jemand besser als Sie. Und wie schon am Telefon erwähnt: Für Sie geht es dabei um eine Million Dollar. Natürlich steuerfrei. Auf ein Konto in Malta oder wo immer Sie wollen. Da kennen Sie sich doch auch aus. Und Spesen – soviel es eben braucht.“

Miller machte eine Pause. Offenbar um zu sehen, wie sein Angebot wirkte.

„Und ich denke, die Million könnten Sie gerade jetzt sehr gut gebrauchen.“

Conrad antwortete nicht, aber er war beeindruckt, wie gut sich dieser Miller in seinem Leben auskannte.

„Herr Conrad, geben Sie sich Mühe, seien Sie kreativ. Hier ist meine Karte. Sie können mich jederzeit anrufen. Wir zählen auf Sie.“

Miller legte einen Zwanzig-Euro-Schein auf den Tisch und stand auf.

„Wir zählen auf Sie“, wiederholte er. Dann wandte er sich dem Ausgang zu.

Kapitel 4

London

Seinen Whiskey trank er ohne Eis. Zu oft war er draußen gewesen, in Gegenden, in denen es nicht einfach so Eis gab wie hier im Kühlschrank in seinem Apartment in London. Auf dem Papier sah seine Karriere beeindruckend aus. 26 Jahre bei der CIA; Afghanistan, Irak, Pakistan, Moskau, Venezuela und Berlin.

Und dabei benutzte er viele Namen: Joe Miller, wie im Augenblick. Oder Carlos Ramirez oder welcher Name gerade zu einer Operation passte. Sie standen in einem seiner vielen Pässe. In Wirklichkeit hieß er Matthew Snyder und stammte aus einem verdammten Kaff in Montana, dem großen, weiten, über weite Strecken fast menschenleeren Bundesstaat, hoch oben an der kanadischen Grenze. Dort war er auf einer Farm aufgewachsen. Und das war der eigentliche Grund, warum er sich von der CIA hatte anheuern lassen, nachdem er den Militärdienst abgeleistet hatte, damals im ersten Irakkrieg. Er wollte einfach nur raus. Raus aus diesem Kaff, raus aus den Kuhställen, raus in die Welt. Und obwohl er aus der Provinz kam, hatte der kleine Matthew ein Talent. Er konnte Sprachen lernen, scheinbar mühelos. Die seiner Mutter sowieso. Sie war als junge Frau aus Bayern seinem Vater, einem GI, nach Montana gefolgt. Von ihr hatte er wohl dieses Talent und eben auch seine guten Deutschkenntnisse. Aber er lernte sogar Spanisch, Russisch und natürlich Arabisch. Es lief gut, bis die Sache im Irak passierte, die drei seiner CIA-Kollegen das Leben kostete. Es war ein Hinterhalt, eine iranische Miliz hatte die Bombe gelegt. Die anschließende Untersuchung deckte einen Hinweis auf, dem man hätte nachgehen müssen. Er war der Vorgesetzte und man gab ihm die Schuld. Dann war es vorbei.

Es war die Zeit, als es ihm egal war, ob der Whiskey mit oder ohne Eis kam. Hauptsache es gab eine Flasche, die ziemlich schnell leer wurde. Bis zum schweren Alkoholiker schaffte er es nicht, das war sein Glück. Denn bald kam der Anruf von der Firma Security International. Anfangs zögerte er, denn natürlich kannte er das Geschäftsmodell: Die Aufträge kamen aus der ganzen Welt, grenzübergreifend, und sie wurden ausgeführt – solange der Preis stimmte. Doch er traf so viele, die er noch persönlich kannte. Alle aus dem Sicherheitsgewerbe: Ex-Geheimagenten, Kommandosoldaten, Drogenfahnder und jetzt, nach dem Ende im Dienst einer Regierung, waren sie alle auf der Suche nach einem Arbeitgeber, der wieder eine Perspektive bot. Also unterschrieb er und wurde einer von ihnen. Tauchte ein in eine Schattenwelt, eine internationale Mischung aus Söldnern und Glücksrittern, die, straff organisiert, ihre ganz eigenen Gesetze hatte und die übrigen Gesetze fast nach Belieben ignorierte.

Auch bei Security International machte er schnell Karriere. Und jetzt hatte er den Etat für eine der großen Operationen. 20 Millionen Dollar von einem Kunden aus Asien. Eine davon würde am Ende ihm gehören. Allerdings nur, wenn er lieferte. Mehr wusste er nicht, aber Miller hatte eigentlich keinen Zweifel, wer tatsächlich dahinterstand. Die Fingerabdrücke, die es überall gab, zeigten in die gleiche Richtung: Peking. Das Ziel war NEWTEC und er sollte es umsetzen, koste es, was es wolle. Es ging nicht um Millionen, es ging um Milliarden.

Als es an der Tür klingelte, zog er, wie aus alter Gewohnheit, seine Glock aus der Schublade der Kommode im Flur, steckte sie aber wieder ein, als er das Gesicht von Fred im Türspion erkannte. Fred war Engländer, lange beim SAS, der britischen Kommandoeinheit. Nordirland – ganz früher -, dann Irak, dann Afghanistan. Das Übliche. Mittlerweile war er zu alt. Er war der zweite Mann in der NEWTEC-Operation.

„Wie läuft´s?“, fragte Fred, nachdem Miller ihm ein Glas Whiskey hingestellt hatte.

„Naja, sind noch am Anfang. Hab mit diesem Conrad gesprochen. Im Augenblick sieht er noch mehr Probleme als Lösungen. Die Deutschen haben ziemlich strikte Gesetze, was Firmenübernahmen angeht. Der gleiche Trend wie in den USA. Alle sind jetzt aufgewacht, alle sehen den Feind im Osten, der alles aufkauft, sich alles besorgt: Knowhow, Rohstoffe, Firmen. Und seit dem Virus sind sie erst richtig paranoid“, setzte Miller zu einer Erklärung an. „Alle haben es jetzt begriffen: Gesundheit ist die neue Goldmine.“

„Können wir irgendwas tun, um ihm auf die Sprünge zu helfen?“, fragte Fred.

„Noch zu früh, er soll sich erstmal sammeln. Geben wir ihm ein paar Tage Zeit. Aber dran bleiben müssen wir schon. Es eilt - ziemlich. Wenn eine andere Firma schneller ist, dann ist die Show vorbei. Und was Conrad angeht, ist ziemlich klar: Er braucht die Kohle, und zwar ganz dringend. Er hat da was mit dieser Ukrainerin am Laufen, immer dieselbe. Eine Hure, aber anscheinend kann er nicht von der lassen. Teuer Spaß, denke ich. Aber vielleicht bringt die ihn auf Trab.“

Auch Miller nahm einen Schluck aus dem Whiskeyglas.

„Wir müssen ihn jedenfalls im Blick behalten, schon, damit er nicht auf dumme Gedanken kommt und eine eigene Show daraus macht. Hans soll sich weiter darum kümmern.“

„Wird gemacht“, sagte Fred. „Ich werde ihn weiter auf Conrad ansetzen. Er hat ja schon gute Vorarbeit geleistet.“

„Ja, hat er“, nickte Miller, „gutes Foto von Conrad und Friedrich auf dem Golfplatz. Conrad war ziemlich beeindruckt, als ich es ihm gezeigt habe. Wo hast du den aufgegabelt?“

„Hans kenne ich noch aus Afghanistan. Vom deutschen Kommando Spezialkräfte KSK, ist ein cleverer Bursche, hat aber gelegentlich mit den alten Schatten zu kämpfen. Einmal schwer verwundet bei Kunduz, sein Kumpel hat es nicht mehr geschafft.“

Fred machte eine Pause.

„Hans hatte noch die Kraft, auf den Taliban zu schießen und hat ihn voll erwischt, als er mit einem Auto abhauen wollte. Der war hin, aber leider auch seine Frau und zwei kleine Kinder, die mit in dem Auto saßen.“

Miller schaute skeptisch. Schon wieder einer, den es aus der Bahn geworfen hatte. Die Geschichte kam ihm allzu bekannt vor.

„Ist aber ein zuverlässiger Typ“, beruhigte Fred. „Und natürlich genau der Richtige für einen Einsatz in Deutschland.“

Kapitel 5

Frankfurt

Sie waren verabredet, aber bisher war sie nicht gekommen. Ihr zweites Treffen in dieser Woche. Jetzt war Ewa schon über eine Stunde überfällig. Er spürte dieses Gefühl, das ihn schon seit Wochen quälte. Wo war sie? Was machte sie? Warum ließ sie ihn warten?

War ein anderer gerade wichtiger als er? Sein Verstand meldete sich, machte ihm wieder einmal klar, welcher Beschäftigung sie nachging. Er schob seine Gedanken beiseite und doch war es offensichtlich, was er wirklich spürte und nicht länger verdrängen konnte: Er war eifersüchtig auf all die Unbekannten, die sie bediente. Und diese Eifersucht nahm zu, war kaum noch zu bändigen. Sie gehörte doch ihm, ihm, ihm. Es musste einen Weg geben, sie aus diesem Gewerbe zu erlösen, es ihr endlich zu ersparen, auf diese Weise Geld verdienen zu müssen. Conrad fühlte sich schuldig. Es lag doch an ihm, dass er ihr kein richtiges Zuhause bieten konnte, kein standesgemäßes Leben an seiner Seite, so wie er es mit Ingrid gelebt hatte.

Wie immer hatte er die 500 Euro in den Briefumschlag gesteckt und auf den Nachttisch neben dem Bett gelegt. Peter Conrad schaute unruhig auf die Uhr, wieder einmal. Eine 10.000-Euro-Rolex, die er einmal in Hongkong gekauft hatte. Er hatte sich bisher nie viel dabei gedacht, sie war selbstverständlicher Teil seines Lebensstils, aber jetzt fragte er sich, wie lange er sie wohl noch tragen konnte. Der letzte Kontoauszug von seinem Konto bei der Darmstädter Sparkasse zeigte einen eindeutigen Trend und der ging steil nach unten. Eigene Einnahmen hatte er keine. Nur noch Ausgaben, und davon viele.

Den Schlüssel für den S-Klasse-Mercedes, den er bisher gefahren hatte, hatte die Bank sofort einkassiert. Es war ein Dienstwagen gewesen, ein weiteres Privileg, das er nun schmerzlich vermisste. Er fuhr nun einen VW Polo, den er als Drittwagen genutzt und der meist ungebraucht in der Garage gestanden hatte. Der TÜV war seit einem Monat überfällig und er hatte bisher darauf verzichtet, weil er fürchtete, es könnten teure Wartungsarbeiten anfallen.

Ingrid wohnte weiter in dem großen Haus in Kronberg. Er hatte es vor drei Jahren gekauft, für zwei Millionen. Aus steuerlichen Gründen hatte er nur einen kleinen Teil in bar eingebracht, 90 Prozent deckte ein Kredit ab. Die monatliche Rate betrug 5.000 Euro. Als er es kaufte, war das kein Problem. Die Bank hatte sich damals sein Einkommen angesehen und keine Minute gezögert, den Kredit zu gewähren. Jetzt würde er das nicht mehr lange bedienen können. Dann würde das Haus verkauft werden müssen, das ohnehin überwiegend der Bank gehörte. Ob Ingrid das eigentlich klar war?

In drei Tagen war er zu einer weiteren Vernehmung in Sachen Cum-Ex-Steuerskandal einbestellt und das konfrontierte ihn erneut mit der Notwendigkeit, endlich einen Anwalt zu finden. Die Bank ließ ihn hängen, von seinem alten Arbeitgeber hatte er nichts mehr zu erwarten. Die Strategie war eindeutig: Sich von ihm distanzieren und ihn als die treibende Kraft bei diesem Steuerbetrug hinzustellen. Ein Top-Anwalt musste her, ohne Zweifel, wenn er überhaupt noch eine Chance haben wollte, da irgendwie herauszukommen. Es gab nur ein Problem: Er wusste nicht, wie er den bezahlen sollte. Er sah keine andere Möglichkeit mehr. Er musste es mit Manfred Köhler besprechen. Ein renommierter Strafverteidiger, der auch Wirtschaftsstrafrecht draufhatte und den er schon aus früheren Verfahren kannte, als er noch auf der anderen Seite stand, auf der Seite der Bank. Mehrfach hatte Köhler Bankkunden, die mit den Steuergesetzen in Konflikt geraten waren, verteidigt. Und das erfolgreich. Wie er war Köhler Mitglied im Kronberger Golfclub. Gott sei Dank hatte er die Mitgliedsbeiträge schon zum Jahresbeginn im Voraus bezahlt, immerhin.

Für Köhler war es ein hervorragendes Mandat, spektakulär dazu, die Schlagzeilen waren ihm sicher. Aber es war klar, Köhler würde das nicht umsonst machen. Warum sollte er? Morgen würde er ihn anrufen und sich mit ihm auf dem Golfplatz verabreden. Die Frage war, ob er ihm von dem Angebot erzählen sollte, das ihm eine satte Million versprach. Er beschloss, es vom Verlauf des Gespräches abhängig zu machen.

Plötzlich schreckte er auf. Conrad hörte ein Geräusch an der Wohnungstür. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, dann ging die Tür auf. Er merkte, wie sein Blutdruck plötzlich anstieg. Sie war da, Ewa war da.

Er hatte ihr schon vor Monaten einen Schlüssel in die Hand gedrückt und sie hatte ihn kommentarlos in ihre Handtasche gesteckt.

Conrad ging auf sie zu, nahm sie in den Arm und drückte sie an sich. Er spürte ihren Körper dicht an seinem, roch den Geruch ihrer blonden Haare.

„Gott, wie hab ich dich vermisst“, flüsterte er. Sie blieb stumm. Endlich ließ er sie los und sie begann, ihre dunkelblaue Bluse aufzuknöpfen. Sie trug einen schwarzen BH. Aber bevor sie fortfuhr, nahm sie den Briefumschlag und verstaute ihn in der DIOR-Tasche.

Conrad nahm sie bei der Hand und führte sie zum Doppelbett. Sie zog sich weiter aus, schien aber verwundert, dass er das nicht machte. Eigentlich war es eine seiner größten Leidenschaften.

Sie legte weiter ab und als sie nackt war, schlüpfte sie unter die Bettdecke. Ewa schaute ihn fragend an, als er keine Anstalten machte, ihr dorthin zu folgen, sondern sich stattdessen auf die Bettkante setzte und ein ernstes Gesicht aufsetzte.

„Ich … wir … wir müssen etwas besprechen“, sagte er zögernd.

Sie schaute auf, überrascht. Conrad rang um Worte. Wie sollte er beginnen? Was wollte er ihr überhaupt sagen?

„Es ist …“, begann er zögerlich, „es ist so: Du weißt, ich habe ein Problem. Ein Riesenproblem. Es …“, wieder machte er eine Pause.

„Es geht ums Geld. Finanziell geht es mir ziemlich mies …“

Ihr Gesicht blieb unbewegt. Sie blickte ihn nur an, aufmerksam, abwartend. Noch immer rang er um Worte. Schließlich übernahm sie die Initiative.

„Was willst du mir sagen? Dass wir das hier abbrechen sollen, weil du es dir nicht mehr leisten kannst?“

Conrad wurde bleich. Ihre Frage traf ihn ins Mark, die Kälte, das geschäftliche Kalkül, Leistung gegen Gegenleistung. Seine Hände zitterten. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet. Wie konnte sie nur von Abbrechen sprechen? Gerade jetzt, wo er sie mehr brauchte als je zuvor?

„Nein, nein … Um Gottes willen, nein …“, stotterte er. „Wie kannst du so etwas sagen?“

„Also, worauf willst du hinaus?“, blieb sie hartnäckig.

„Ich will dir nur sagen, dass es so nicht weitergehen kann. Ich muss etwas tun. Vielleicht etwas, das sehr schwierig wird. Aber wenn es gut geht, dann sind wir nicht nur über den Berg …“

Er pausierte kurz, überlegte, ob er es sagen sollte, ob dies genau der richtige Moment war. Dann gab er sich einen Ruck:

„Dann haben wir eine Zukunft, verstehst du, wir zusammen.“

Ihre Augen wurden groß, schienen fast zu funkeln.

„Es geht um eine Million. Eine Million Dollar“, sagte er und wiederholte es noch einmal. „Eine Million Dollar.“

Dann erzählte er ihr alles, der Reihe nach. Das Treffen mit Miller, sein Angebot, das Geschäft, das er vorgeschlagen hatte, seine Rolle dabei, Friedrich, NEWTEC, seine Situation, einfach alles. Es brach aus ihm heraus, alles, was sich in ihm aufgestaut hatte. Am Ende war er regelrecht euphorisch. Sein Gesicht glühte. Er ergriff ihre Hände, drückte sie fest. Sie ließ es geschehen.

„Und dann, Ewa, sind wir frei! Wir können weggehen, weit weg. Zusammen.“

Er blickte sie an, wartete auf eine Antwort, aber sie zog es vor, nicht darauf einzugehen. In ihren Augen glaubte er so etwas wie gespannte Aufmerksamkeit zu entdecken. Peter Conrad wertete das als Zustimmung. Sie schlug die Bettdecke auf und gab den Blick auf ihren nackten Körper frei. Sie zog ihn zu sich.

„Komm“, sagte sie, „komm endlich.“

Kapitel 6

Berlin

Julius Bergner stand am Fenster seines Büros und schaute auf den Verkehr auf der Invalidenstraße. Das übliche Gewusel, die vielen Autos, die Straßenbahnen, die auf dem Weg zum schräg gegenüber liegenden Hauptbahnhof waren. Ein Bild der Normalität. Nur, dass das, was früher als Normalität galt, jetzt als etwas Besonderes erschien. In der Krise war das Leben auf der Straße zum Erliegen gekommen, die Bürgersteige blieben leer. Jetzt pulsierte es wieder. Er hatte überhört, dass Winter den Raum betreten hatte. Winter räusperte sich. Bergner drehte sich um und ließ sich an seinem Schreibtisch nieder.

„Der DAX ist gestiegen, schon wieder zweieinhalb Prozent“, strahlte er. „Und das nun schon den dritten Tag in Folge. Wir kommen raus, Winter, wir kommen raus aus der Krise.“

„Ja, in der Tat, Herr Minister“, sagte sein Bürochef. Er legte ein Blatt Papier vor ihn auf den Schreibtisch.

„Eine E-Mail vom Arbeitgeberverband. Sie wollen nächste Woche ihre verschobene Jahreshauptversammlung nachholen. Und sie würden sich sehr freuen, wenn Sie dort ein Grußwort sprechen würden.“

Begierig griff Bergner nach der Einladung und studierte sie sorgfältig.

„Selbstverständlich, Winter, das machen wir. Aber kein kurzes Grußwort. Ich halte den Hauptvortrag. Wenn nicht der Bundeswirtschaftsminister, wer denn sonst? Und der Titel ist doch klar: Unser Weg aus der Krise.“

„Gute Idee“, stimmte ihm Winter eilfertig zu. „Aufschwung hat auch immer etwas mit Psychologie zu tun. Positiv denken und so. Das ist dann schon die halbe Miete.“

„Richtig, Winter, völlig richtig. Setzen Sie für heute Nachmittag einen Termin mit Schneider und Kornelius an. Unsere ach so begnadeten Redenschreiber sind doch sozusagen der personifizierte Optimismus. Dann werden wir das Konzept besprechen. Sie sollen vor allem das Anspringen der Exporte herausstellen und wie unsere Maßnahmen zum Schutz der Arbeitsplätze beigetragen haben. Und natürlich zum Überleben der Wirtschaft überhaupt. Und unsere tiefe Dankbarkeit für die besonnene Haltung der Arbeitgeber und so weiter, und so weiter. Eben das ganze Programm, volle Breitseite. Ich will den ersten Entwurf morgen früh auf meinem Schreibtisch sehen.“

„Wird gemacht Herr Minister, wird gemacht“, sagte Winter. „Ich werde es dem Arbeitgeberverband gleich mitteilen.“

„Und noch eins, Winter“, fügte Bergner hinzu. „Sie sollen das mit der Pressestelle koordinieren. Die sollen vor allem das Fernsehen einladen. Und sorgen Sie dafür, dass die Nachrichtenagenturen den vollen Text der Rede vorab bekommen.“

Als Winter gegangen war, lehnte sich Bergner in seinem Schreibtischsessel zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Das lief gut, verdammt gut. Viel, viel besser, als er sich das hätte vorstellen können.

Dann griff er sich den Zeitungsstapel, den seine Sekretärin auf seinem Schreibtisch deponiert hatte. Schnell überflog er die Überschriften und suchte sich die Artikel heraus, die sich mittlerweile wieder mit der Frage beschäftigten, wer denn die Nachfolge im Kanzleramt antreten solle. In der Krise schien das untergegangen zu sein, doch jetzt heizte sich das Thema wieder auf.

Hans-Peter Mertens hatte von der Krise profitiert. Der Gesundheitsminister lag nun gut im Rennen. Seine Umfragewerte zeigten eindeutig nach oben. Und er hatte ja schon vor der Krise seinen Anspruch auf das hohe Amt angemeldet. Immerhin hatte er einen unbestreitbaren Vorteil: Er war der Günstling der Kanzlerin, ihr Favorit. Und da war noch Edgar Reiter, der Ministerpräsident, der mit markigen Sprüchen auf sich aufmerksam gemacht hatte und nun plötzlich als potenter Mitbewerber galt. Bergner kannte ihn noch aus der gemeinsamen Arbeit in der Jugendorganisation der Partei. Das alte Schlitzohr, dachte er. Ein Profi durch und durch. Selbstverständlich würde er erst einmal kein Wort über eine Kandidatur verlieren. Erst das Land, erst das Ende der Krise, keine törichten Machtspiele, das war die Botschaft, die er regelmäßig aussendete. Aber Bergner kannte ihn. Ein untrügliches Zeichen war, dass er in den letzten Wochen immer häufiger in den Talkshows auftauchte. Etwaigen Fragen wich er geschickt aus, aber natürlich machte er niemals deutlich, dass er auf keinen Fall zur Verfügung stehen würde. Wenn es so weit war, dann würde Reiter zugreifen, da war sich Bergner sicher. Aber er kannte ja Reiters verwundbare Stelle, war einer der ganz wenigen, die das dunkle Geheimnis aufdecken konnten. Und wenn es nötig werden würde, dann würde er das tun.



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