Vive la cuisine! - Peter Peter - E-Book

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Peter Peter

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Beschreibung


Peter Peter, der Kochkunst und Kulturgeschichte meisterhaft miteinander verbindet, öffnet erneut seine "kulturhistorische Schatztruhe" und ergründet die über Jahrhunderte unangefochtene Spitzenstellung der französischen Küche. Sein opulent illustriertes und mit 30 Originalrezepten gespicktes Buch macht Appetit, die ganze Finesse und Vielfalt dieses kulinarischen Paradieses zu entdecken.


Diese Geschichte der französischen Küche spannt den Bogen von keltischen Anfängen und griechischen Kolonisten bis zur Erfindung des modernen Restaurants in der Ära der Revolution und zur heutigen Sterneküche. Die römische Eroberung Galliens, die Landwirtschaft und Küche romanisierte, und die kulinarische Verfeinerung am Hof des Sonnenkönigs sind zwei der immer noch tragenden Säulen dieses 2010 von der Unesco anerkannten Weltkulturerbes der Grande Nation. Das vibrierende Zentrum Paris, die Vielfalt der Regionalküchen und die handwerkliche Qualität der Weine und Lebensmittel zeichnen dieses Erbe aus. Mit ca. 157 Abbildungen im Innenteil.

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Peter Peter

VIVE LA CUISINE!

KULTURGESCHICHTE DER FRANZÖSISCHEN KÜCHE

C.H.Beck

Zum Buch

Peter Peter, der Kochkunst und Kulturgeschichte meisterhaft miteinander verbindet, öffnet erneut seine «kulturhistorische Schatztruhe» und ergründet die über Jahrhunderte unangefochtene Spitzenstellung der französischen Küche. Sein opulent illustriertes und mit 30 Originalrezepten gespicktes Buch macht Appetit, die ganze Finesse und Vielfalt dieses kulinarischen Paradieses zu entdecken.

Diese Geschichte der französischen Küche spannt den Bogen von keltischen Anfängen und griechischen Kolonisten bis zur Erfindung des modernen Restaurants in der Ära der Revolution und zur heutigen Sterneküche. Die römische Eroberung Galliens, die Landwirtschaft und Küche romanisierte, und die kulinarische Verfeinerung am Hof des Sonnenkönigs sind zwei der immer noch tragenden Säulen dieses 2010 von der Unesco anerkannten Weltkulturerbes der Grande Nation. Das vibrierende Zentrum Paris, die Vielfalt der Regionalküchen und die handwerkliche Qualität der Weine und Lebensmittel zeichnen dieses Erbe aus.

Über den Autor

Peter Peter unterrichtet am Gastrosophiezentrum der Universität Salzburg und als Gastdozent in Frankreich und Italien. Für das Rotary-Magazin verfasst er die Kolumne «Peters Lebensart». Er schrieb Restaurantkritiken für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und ist Mitglied des Kulinaristik-Forums und der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Bei C.H.Beck erschienen: «Cucina & Cultura. Kulturgeschichte der italienischen Küche» (2012), «Kulturgeschichte der deutschen Küche» (2014) und «Kulturgeschichte der österreichischen Küche» (2013).

INHALT

TANT DE BRUIT POUR UNE OMELETTE?

OBELIX À LA CARTE? GALLISCHE GENIESSER

CHARCUTERIE

LA FOLIE DES ÉPICES FESTE UND FASTEN

BIER UND CIDRE

DAS MEDICI-PHANTOM, DER SALAT UND DAS HUHN IM TOPF

GEMÜSE UND FRÜCHTE – FRUITS ET LÉGUMES

LA CUISINE – C’EST MOI! VARENNE, VATEL UND VERSAILLES

CUISINE IODÉE – SCHÄTZE DES MEERES

REVOLUTION UND RESTAURANT

CAFÉ & CHOCOLAT

DER GESCHMACK DER GASTROSOPHEN

FOIE GRAS – STOPFLEBER

CARÊME UND ESCOFFIER KODIFIKATOREN DER KÜCHE

DOUCE FRANCE – PÂTISSERIE

BISTROS UND BOULEVARDIERS – PARISER LEBEN

CHAMPAGNER

DER PRINZ UND DAS MICHELINMÄNNCHEN

FROMAGES – KÄSE

CHOUCROUTE & COUSCOUS KÜCHEN DER NACHBARN, KOCHKÜNSTE DER KOLONIEN

CHARTREUSE, COGNAC, KIR – SPIRITUOSEN

WEISSWURST UND CORDON BLEU FRANKREICH GLOBAL

POMMES FRITES

CUISINE ACTUELLE

BOURGOGNE OU BORDEAUX? VINS DE FRANCE

ANHANG

DICTIONNAIRE CULINAIRE FRANZÖSISCH–DEUTSCH

ZEITTAFEL

ZITATE UND ANMERKUNGEN

TANT DE BRUIT POUR UNE OMELETTE

OBELIX À LA CARTE – GALLISCHE GENIESSER

LA FOLIE DES ÉPICES – FESTE UND FASTEN

DAS MEDICI-PHANTOM, DER SALAT UND DAS HUHN IM TOPF

LA CUISINE, C’EST MOI – VARENNE, VATEL UND VERSAILLES

REVOLUTION UND RESTAURANT

DER GESCHMACK DER GASTROSOPHEN

CARÊME UND ESCOFFIER – KODIFIKATOREN DER KÜCHE

BISTROS UND BOULEVARDIERS – PARISER LEBEN

DER PRINZ UND DAS MICHELINMÄNNCHEN

CHOUCROUTE & COUSCOUS – KOCHKÜNSTE DER KOLONIEN, KÜCHEN DER NACHBARN

WEISSWURST UND CORDON BLEU – FRANKREICH GLOBAL

CUISINE ACTUELLE

LITERATURVERZEICHNIS

ABBILDUNGSNACHWEIS

VERZEICHNIS DER REZEPTE

A. L. gewidmet

«Füllt zuerst den Boden Eures Glases mit Alkohol und betrachtet, indem Ihr Euer Glas hebt, aufmerksam die Reflexe.»

«Und dann?»

«Wärmt es lang zwischen Euren Händen und atmet die Düfte ein, die Euer Glas verströmt.»

«Und dann?»

«Stellt Euer Glas ab.»

«Und dann?»

«Und dann, mein lieber Herr? Und dann … sprecht darüber!»

TALLEYRAND IM GESPRÄCH MIT EINEM HASTIG TRINKENDEN JUNGEN OFFIZIER

TANT DE BRUIT POUR UNE OMELETTE?

Ist denn eine Entenleber nicht ein Beweis für die Existenz Gottes? JEAN RAMEAU (1858–1942)

Diese Nation hat keine normale Beziehung zum Essen.

PASCAL ORY, 1998

Überall sonst essen die Menschen einfach. Allein in Frankreich wissen sie zu speisen … der Geschmack für Gastronomie ist dieser Rasse angeboren.

MARCEL ROUFF, LA VIE ET LA PASSION DE DODIN-BOUFFANT, GOURMET, 1924

Man lebt in lauter Lust und Pläsier, so recht wie Gott in Frankreich. Man speist von Morgen bis Abend … die gebratenen Gänse fliegen herum mit den Sauceschüsselchen im Schnabel, und fühlen sich geschmeichelt, wenn man sie verzehrt, butterglänzende Torten wachsen wild wie Sonnenblumen, überall Bäche mit Bouillon und Champagner, überall Bäume, woran Servietten flattern, und man speist und wischt sich den Mund, und speist wieder, ohne sich den Magen zu verderben.

HEINRICH HEINE, REISEBILDER

Soviel Lärm um einen Pfannkuchen? Die Mère Poulard zu Füßen des Mont-St-Michel nimmt knappe 40 Euro für ihre schaumige Omelette soufflée. Gerade der antiquierte Zubereitungsmodus der Eierspeise – à l’ancienne wie vor 200 Jahren mit kupferner Langstielpfanne im offenen Kamin geröstet – zieht neugierige Prominenz aus der ganzen Welt an.

Präsident Emmanuel Macron charmiert die kochende Zunft

Il y a du tout, es gibt in Frankreich kulinarisch alles. Nichts von dem Wissen, von den Techniken, die früher handwerkliche Küche ausmachte, scheint wegrationalisiert zu sein. Im Gegenteil, in den Regalen der Supermärkte liegt neben ungesalzener Butter auch beurre de Isigny mit knusprigen Kristallen von grauem Guérande-Meersalz – einst eine selbstverständliche Methode der Konservierung. Neben Kaskaden frischer Gemüse triumphieren imposante Weckgläser mit Confiertem, sprich Eingemachtem vom Gänseschenkel bis zur Bouillabaisse. In der stets überfüllten Weinbar Baron Rouge am Pariser Aligré-Markt wird der Inhalt der Bouteillen stur händisch in traditionelle 0,46-Liter-Karaffen, den pot lyonnais, umgefüllt. Einige der edelsten Weinberge werden mit Pferden gepflügt und futuristische Designerküchen schwören auf die hitzespeichernde Wirkung verzinkter Kupfer-Kasserollen. Die hochtechnisierte Nation der Türcodes und TGVs setzt beim Essen auf eine Mélange aus Orthodoxie und artifizieller Kreativität: Essen respektiert man, mit Essen spielt man.

Diese Bandbreite fasziniert nicht nur den Historiker, sondern auch den Koch: Hier dominiert keine Produktverarmung wie in anderen Nationen, hier steht die gesamte Palette der Lebensmittel und Zubereitungsarten zur Auswahl. Aktuelles Beispiel: Alain Ducasse thematisiert in seinem Dictionnaire amoureux de la cuisine ebenso alte Gemüsesorten wie Fragen, in welchen Fetten aus welchen Kartoffelsorten die besten Pommes frites frittiert werden. In diesem Angebot spiegelt sich die Vielfalt von Frankreichs Landschaften und terroirs, von Menschen, Dialekten, Küchen: Vom «Fenchelparfum» der von Gilbert Bécaud besungenen Märkte der Provence bis zu den Hummergründen der Bretagne, von den Weinstöcken des Médoc bis zu den Hirtenkäsereien der vulkanischen Auvergne. Ô terre généreuse (André Chenier), dieses hexagonale Staatsgebilde, das von Atlantik und Ärmelkanal, von Rhein und Mittelmeer umspült wird, umschließt die Gletscher Savoyens ebenso wie die burgundischen Weiden der weißen Charolais-Rinder und die Sandstrände von Pampelonne und Saint-Tropez.

Das Austernfrühstück. Gemälde von Jean-François de Troy, 1735

Zugleich ist die nation culinaire sozial breitest aufgestellt. Das Voltaire’sche J’aime le luxe wird ebenso realisiert wie die solide Mittags-Formule im Bistro mit blanquette de veau oder bœuf bourguignon. Die Einmütigkeit, mit der Essen ernst genommen wird, wirkt als sozialer Kitt. 1930 schwärmte der Romanist Ernst Robert Curtius von den «ästhetisch regulierten Lebensformen» und klassenübergreifenden Manieren der französischen Gesellschaft – ein Text, der auch heute noch aktuell klingt:

«Man kann sagen: in Frankreich fängt die Zivilisation schon mit dem Essen an. Die Gastronomie ist ein Teil der Kultur … Und diese Lebensformen sind ja nicht das Vorrecht der Bildung, sie berühren jeden, und jeder kann wenigstens in bescheidener Form an ihnen teilnehmen … Wenn man etwa an einem Markttag in einer kleinen Provinzstadt von fünftausend Einwohnern Mittagsrast macht, kann man einen sehr anschaulichen Eindruck davon bekommen. In dem überfüllten Speisesaal des Hotels sitzt da eine Masse von Menschen. Die meisten sind Bauern und Händler. Aber auch Touristen sind darunter, die mit dem Auto gekommen sind, um die alte Kathedrale zu sehen. Man erhält seinen Platz angewiesen, und das Essen beginnt. Alle bekommen das gleiche Menü serviert. Aber dieses Menü hat sechs Gänge. Es ist aufgebaut nach den klassischen Regeln der Tradition. Sie sind so fest und unverrückbar wie die Vorschriften der Grammatik. Und der Bauer, der Handwerker, der Viehhändler findet sie ebenso selbstverständlich, wie die elegante Pariserin am Nebentisch es tut.»

Pariser Arbeiter und Pferd bei der Mittagspause, 1917

Gutes anständiges Essen als Menschenrecht? 1787 hatte der englische Reisende Arthur Young staunend notiert: «Einem Franzosen scheint es lächerlich, ohne Serviette zu speisen. Auch ein französischer Zimmermann hat seine Serviette und seine eigene Gabel.» In einer Pariser Institution wie dem Suppenküchen-Palast Bouillon Chartier im 9. Arrondissement starten die Preise für Entrées jedenfalls bei 1,– €, verspiegeltes Jugendstilinterieur und Oberservice comme il faut inklusive.

Bouillon Chartier: Stil und Qualität zum Volkspreis

Mit diesem sozialen Ansatz, mit dieser gesellschaftlichen Relevanz geht auch eine ostentative Wertschätzung all derer einher, die handwerklich mit Lebensmitteln zu tun haben: Die Provinz-Traiteurin, die Kartoffelgratin und elaborierte Wachtelpasteten in ihrem Schaufenster ausstellt, ist ebenso eine Respektsperson wie der virtuos bedienende Garçon im Café. Die Bäckerei Poilâne im Quartier Latin signiert ihre Weizenlaibe künstlergleich mit der geschwungenen Initiale P. Ein Bresse-Kapaun-Züchter wie Jean-Claude Miéral erfreut sich landesweiter Prominenz und Austernfarmer oder Käseaffineure genießen ein überregionales Ansehen, wie es hierzulande allenfalls einem Starwinzer zuteilwürde.

Allen voran die Köche. In der Heimat des Michelin steht die schöpferische Leistung des cuisinier im Zentrum, die noch das beste Produkt veredelt. Etwa wenn der Drei-Sterne-chef Guy Savoy angesichts eines 30-jährigen Steinbutts über dessen transformation artisanale sinniert: «Dieses ganz und gar primitive Wesen wird in etwas Raffiniertes, Sinnliches verwandelt.» Oder wenn Marcel Proust 1909 seine Haushälterin Céline Cottin anschwärmt: «Ich sende Ihnen meine lebhaften Komplimente für das wunderbare Bœuf à la mode. Gerne würde ich auch erfolgreich sein, in dem was ich heute Nacht schreiben werde, dass mein Stil genauso glanzvoll, klar und fest sei wie Ihr Aspik …»

Beim Écailler: drapierte Meeresfrüchte

Denn Gastronomie ist nicht nur ein «soziales Totalphänomen» (Marcel Mauss), sondern auch ein Gesellschaftsthema. Und zwar laut der Liste des englischen Carême-Biographen Ian Kelly zumindest in Paris eines der big four: food, fashion, sex, philosophy. Aber auch in la France profonde, in den Tiefen der Provinz mit ihren bäuerlichen Wochenmärkten, spielt la bonne chère, das gute Essen, eine identitätsstiftende Rolle. Wie stolz ist man in Castelnaudary auf sein Bohnen-cassoulet, in Lyon auf die Hechtnocken, in Caen auf Cidre-Kutteln!

Man kann die Intellektualisierung der Küche für arrogant halten, man kann über das Gewese um Namen wie potage Dubarry oder sauce Soubise lästern. Aber das dafür nötige Adeptentum fördert Erziehung zur kulinarischen Mündigkeit, ja postuliert den kritikfähigen Gast, der in einen Dialog mit dem Koch eintreten kann und will. Schon für die Kleinsten ist Geschmacksunterricht in Form einer semaine du goût ins französische Schulsystem integriert. Nicht Reichtum und sozialer Stand sind das Wichtigste, sondern die individuelle Genussfähigkeit des savoir vivre. Essen, das bedeutet idealerweise, sich eine Mélange aus Schönheit, Form und Stil einzuverleiben.

Marianne kämpft für gentechnikfreien Wein. Plakat 2014

Das hat hochaktuelle Konsequenzen. Unverkennbar ist im öffentlichen Diskurs eine breit aufgestellte résistance culinaire gegen die globale Einebnung des gastronomischen Erbes, gegen malbouffe und austauschbares Fastfood ohne regionalen Bezug auszumachen. Ökologisches Verantwortungsbewusstsein und eher egozentrische Gourmetwünsche finden zu einer überraschenden, aber effektiven Allianz zusammen: Iss gut und sprich darüber! Es ist dieser kulinarische Spagat, die stets wache Neugierde auf die politischen, sozialen, ästhetischen und literarischen Aspekte des discours culinaire, die die Küche Frankreichs aktuell so spannend macht. Und ganz banal stellt sich die ökonomische Frage: Wie kann eine Nation ein so prononciertes Gastro-Image aufbauen, das Jahrgangschampagner und getrüffelte Menüs zu astronomischen Preisen an den Konsumenten bringt und zugleich jedermann morgens mit köstlich blättrigen Croissants aus der boulangerie für unter 1 Euro das Stück beglückt?

Das perfekte Croissant

Dieses Buch beginnt bei der protofranzösischen Küche und der gallo-römischen Ernährung. Über die mittelalterliche Kost der Kreuzfahrer und Klöster gelangt es zur höfischen Festkultur Burgunds und den italienischen Einflüssen in den Loireschlössern der Renaissance. Die entscheidende kulinarische Zäsur stellt der grand siècle dar. Das absolutistische Regime des Sonnenkönigs in Versailles bereitet den Boden für die schöpferische Leistung des Menus als großer Form und eine verfeinerte cuisine nationale. Der neue Speiseluxus Frankreichs, durch aufklärerische Konzepte geadelt, wird für Jahrhunderte tonangebend. Durch die Umwälzungen der Revolution profiliert sich die erfolgreichste Institution moderner Gastlichkeit: das Restaurant! Der discours gastronomique, der in Restaurantführern wie dem Guide Michelin oder Gault & Millau gipfelt, hat, verbunden mit dem aufkommenden Tourismus des 20. Jahrhunderts, zur Entdeckung der Rezepte der Regionen geführt. Haute cuisine wird nun nicht mehr nur in Paris gepflegt, sondern in Marseille genauso zelebriert wie in Landgasthöfen der Provence oder des Pyrenäenvorlandes. Zugleich zieht die bäuerliche, gemüse- und fischorientierte Küche des Midi mit der bürgerlichen Sahne-Trüffel-Tradition gleich. Die vom steigenden Wohlstand geprägten Jahre von 1945 bis 1975, die trente glorieuses, gipfeln im frischen Ansatz der nouvelle cuisine.

Die weißen Brigaden trauern um Paul Bocuse. Kathedrale von Lyon 2018

Doch was kommt, was kam nach Bocuse, der 2018 verstorbenen «Inkarnation der französischen Küche» (Emmanuel Macron)? Welche Optionen favorisieren die Köchinnen und Köche des Landes, allen voran die fast 20 Drei-Sterne-Koryphäen, zwischen den Polen Kreativität und Tradition? Welche gastronomische Rolle spielt die Immigration? Welche Antworten findet die nation culinaire auf den allmählichen Verlust ihrer Hegemonie in einer globalisierten Kochwelt?

Köstliches Anschauungsmaterial für die Beantwortung dieser Fragen boten Reisen und Restaurantbesuche, reiches Forschungsmaterial drei Bibliotheken, denen ich für ihre exzellente Betreuung ausdrücklich danken möchte. Die Villa Rabelais in Tours, Sitz des IEHCA (Institut Européen d’Histoire et des Cultures de l’Alimentation) und insbesondere die liebenswürdige Bibliothekarin Mme Véronique Jira gewährten mir Zutritt zur reichsortierten Präsenzbibliothek. Hier fand ich Fachliteratur zu jedem erdenklichen Food-Thema von Austernzucht bis Zitronenzesten und neben den neuesten ess-soziologischen Studien aus Paris auch aktuelle angelsächsische Forschungsliteratur. So gut wie komplette Bestände sämtlicher französischen Kochbücher sowie historische Ernährungsdokumente und Speisekarten des fonds culinaire hütet die Bibliothèque Municipale in Dijon, die die Leser mit einer Glocke an das abendliche Lektüre-Ende erinnert. Und die Bayerische Staatsbibliothek in München ist auch bei diesem zugegebenermaßen etwas entlegenen Thema bestens aufgestellt.

Die überbordende Fülle der konsultierten Sekundärliteratur zeigt das lebhafte akademische, journalistische, poetische, fotografische, cineastische und populärwissenschaftliche Interesse Frankreichs an diesem Thema. Persönlich habe ich besonders von den Mittelalterrecherchen von Bruno Laurioux, den soziologischen Analysen von Paul Ariès und der Luxus-Studie von Vincent Marcilhac profitiert. Dazu gesellen sich die brillante Genesis des Restaurants von Rebecca Spang und die Metamorphosen des Begriffs terroir von Thomas Parker. Als deutsche Beiträge seien die tiefschürfenden Porträts französischer chefs von Karl Heinz Götze, die von Karin Becker herausgearbeitete Engführung von erotischer Literatur und Küche, die Zusammenfassung Haute cuisine von Martin Batzner sowie das ebenso amüsante wie geistreiche Büchlein Ein Bauch spaziert durch Paris von Vincent Klink empfohlen. Erhellend ist auch Christine Otts knappes Resümee zum «französischen Gastromythos».

Merci: Frankreichs chefs danke ich für inspirierende Erlebnisse sowie die Abdruckgenehmigungen für insgesamt 30 Originalrezepte, die 15 Jahrhunderte Kochgeschichte lebendig und nachkochbar werden lassen.

Meine besondere Verbundenheit gilt Manuela Wolf, die mich auf Recherchen begleitete und sich Zeit nahm, meinen Text gedanklich zu straffen und um manch geistvolle Wendung zu bereichern. Ellen Katja Jaeckel sorgte für das französische Feintuning. Johannes Frimmel, Johannes Bucej und Annette Rudolf machten sich die Mühe, mein Manuskript zu lesen und durch kundige Anregungen zu verbessern. Für ergötzliche Privatissima Dank sagen möchte ich Hans Ottomeyer. Wertvolle Informationen verdanke ich der Equipe des IEHCA in Tours sowie Inge Huber zum Thema Curnonsky.

Ebenso angenehm wie inspirierend war die Zusammenarbeit mit meiner Lektorin Teresa Löwe-Bahners, mit Rosemarie Mayr und Jörg Alt. Ein Gruß geht an die Pariser Freunde Sylvine und Marc sowie an Evelyne in Tours und Françoise in Paris, deren Gastfreundschaft ich genießen durfte. Ein herzliches salut schicke ich an Bruno in Dijon, den Patron meiner französischen Lieblingsweinbar Chez Bruno.

Zutiefst bedaure ich, dass Raimund Bezold die Fertigstellung dieses Buches nicht mehr erleben durfte. Ich hoffe, etwas von seinem Esprit schwingt in den Zeilen dieses Werkes mit.

OBELIX À LA CARTE? GALLISCHE GENIESSER

Die Kelten sitzen auf trockenem Stroh und lassen sich ihre Mahlzeiten auf hölzernen Tischen servieren, die sich nur wenig über der Erde abheben. Ihre Speise besteht aus nur wenig Brot, aber einer großen Menge Fleisch, entweder gekocht, auf Holzkohle gebraten oder an Spießen. Sie essen sauber, aber nach Art der Löwen: Mit beiden Händen halten sie Fleischteile und beißen das Fleisch mit dem Mund ab … Das Getränk der Reichen ist Wein aus Italien oder der Gegend um Marseille. Sie trinken ihn unverdünnt, aber manchmal geben sie doch etwas Wasser dazu. Die unteren Klassen trinken Weizenbier, zubereitet mit Honig. POSEIDONIOS VON APAMEIA (2./1. JAHRHUNDERT V. CHR.)

Austern, Schnecken und Knochenmark. Leckerbissen der steinzeitlichen Paläo-Diät sind bis heute in Frankreich populär. An den atlantischen Küsten wurden prähistorische Halden von Muschelschalen gefunden, ähnlich zusammengeworfen, wie das immer noch hinter den Imbisshütten im berühmten Austernzüchterort Cancale in der Bretagne geschieht. Mit Faustkeilen zerschmetterte Tierknochen und Schädel belegen, dass die Ureinwohner eine Vorliebe für Hirn und Mark hatten. Französische Archäologen sprechen von der bouillon gras, der paläolithischen Vorläuferin der heutigen Consommé. Diese mittels glühender Steine in mit Bälgern ausgekleideten Gruben erhitzte fettreiche Suppe scheint am Anfang menschlichen Kochens zu stehen. Die Technik, Feuer zu machen, dürfte bereits ab 400.000 v. Chr. aufgekommen sein und ist durch die Fundstelle Terra Amata oberhalb Nizzas sicher für die Altsteinzeit belegt.

Oppida-Zivilisation aus Sicht des Figaro-Magazins

Detailliertere Hinweise auf carnivore Nahrung liefern Höhlenmalereien, vor allem die Grotte von Lascaux in der Dordogne, dem «schwarzen Périgord». Die Felszeichnungen (Datierung schwankt von 35.000 bis 15.000 v. Chr.) porträtieren eine Fülle von Wildtieren: Auerochsen, Wisente, Stiere, Hirsche, ein Nashorn, einen Bären und Wildpferde. Wenn auch bei einigen wie den Raubkatzen der schamanische Jagdzauber überwog, so dürfte es sich doch meist um Beutetiere gehandelt haben, die konkret verspeist wurden. In der Eiszeit, die bis ca. 10.000 v. Chr. dauerte, waren weite Zonen des heutigen Frankreich tundraartig vergletschert, so dass Jagd mit Speeren, Pfeilen oder Fallen die Hauptnahrung lieferte. Die Urfranzosen verzehrten auch Vögel, Murmeltiere, Biber und Dachse. Ergänzt wurde diese Kost durch Haselnüsse, Eicheln, Bucheckern, Johannisbeeren und Rhabarber sowie Vogeleier, die man mit Steingeräten aufbrach.

Forscherteam in der Grotte von Lascaux, historische Fotografie

Begehrt war Wildpferdefleisch, wie Grabungen am Fuß der markanten Kalksteinklippe von Solutré oberhalb der Weinberge von Pouilly-Fuissé in Südburgund erwiesen. Die Tiere wurden über den Felsen gehetzt und nach dem Todessprung geschlachtet – Steinzeitmetzger haben beim Abschaben des Fleisches bis heute sichtbare Einkerbungen an Pferdeknochen hinterlassen (ca. 8000–7000 v. Chr.). Würze erhielt das Fleisch durch an ihm klebende Aschereste – eine Vorläufertechnik für in Asche gewälzten Käse (fromage cendré)? Die Ausbeutung von Salzquellen, Minen und Meersalzsalinen und damit verbundener Salzhandel ist spätestens seit der Jungsteinzeit nachweisbar.

Im Zuge der neolithischen Revolution werden die Menschen ab dem 6. Jahrtausend v. Chr. sesshafter, schlachten nun häufiger Haustiere wie Schaf, Ziege, Schwein, Rind und auch Hunde. Wildpret von Bären, Auerochsen oder Wildschweinen macht nach Schätzungen anhand von Knochenfunden nur noch 1/5 der Fleischnahrung aus. Tierarten wie Ren und Wildpferd sterben infolge Klimawandels oder Bejagung in Frankreich aus. Die nacheiszeitliche Erwärmung ermöglicht Ackerbau mit Urgetreiden wie Emmer und Einkorn (die mit Komposit-Geräten wie Silex-Sicheln geschnitten und auf Reibsteinen zu Mehl vermahlen werden). Grobkörnige Galetten werden auf heißen Steinen gebacken und sind häufig noch mit Stroh- oder Sandresten verklebt. Hülsenfrüchte wie Lupinen, Saubohnen und Kichererbsen, Gemüse wie Rettiche, Pastinaken und Feldsalat, Ölpflanzen wie Leinen und Raps, Gewürze wie Knoblauch, Kümmel, Kerbel und Senfsaat ergänzen den Speisezettel. Äpfel, Nüsse oder Pflaumen werden kultiviert. Neben Milch trinkt man Hydromel (Met) aus vergorenem Honig sowie fermentiertes Getreidebier und Obstwein. Lebensmittel werden durch Salzung oder Einlegen in Honig gelagert, Fleisch wird lange abgehängt (faisandage).

Ab dem 6. Jahrhundert v. Chr. ergänzen schriftliche Quellen die archäologischen Nahrungsbefunde. Den Schritt von der Urgeschichte zur Geschichte markiert die Gründungslegende der ältesten französischen Stadt, Marseille, die mit einem kulinarischen Ritual verbunden ist. Die Prinzessin Gyptis aus dem ligurisch-keltischen Volk der Segobrigen durfte sich ihren Gatten bei einem Kultmahl selbst aussuchen, indem sie dem von ihr erwählten Jüngling einen Trinkbecher reichte. Die überraschende Wahl fiel auf einen braungebrannten Gast, einen griechischen Seefahrer namens Protis, der aus Phokaia, einer ionischen Siedlung in der Nähe des heutigen Izmir stammte. Der gemeinsame Trunk stand als Symbol für die cohabitation und Verschmelzung indigener Populationen mit hellenischen Kolonisten. Die antiken Chronisten sind sich uneins, ob in dem Pokal Wasser war. Wie dem auch sei, die Phokäer sollten Aufputschenderes ins Midi einführen: Reben und Wein. Marseille und Kolonien wie Antipolis-Antibes oder Nikaia-Nizza werden für Jahrhunderte das gallische Hinterland mit dem Prestigegetränk versorgen. Vignoble, das französische Wort für Weinberg, hat griechische Wurzeln bewahrt! Es handelt sich um eine volksetymologische Verschleifung des okzitanischen Begriffs vinhobre, der wiederum auf das hellenisch/lateinische ampelophóros/vineoporus zurückgeht. «Der erste Wein, der in Burgund getrunken wurde, war griechischer Wein aus Marseille», spitzt es Sir John Boardman, der britische Doyen der Klassischen Archäologie, zu und stützt sich dabei auf antike Autoren wie Dionysios von Halikarnassos: «In dieser Zeit kannten die Gallier weder Wein aus Trauben noch Öl, wie es unsere Olivenbäume liefern, aber sie verwendeten statt Wein eine ekelerregende Flüssigkeit, die aus in Wasser faulender Gerste gewonnen wird, und statt Öl ranziges Schweinefett, abstoßend wegen seines Geruchs und Geschmacks.»

Eheanbahnung à la gauloise. Gyptis reicht Protis den Vermählungstrunk.

Das spektakulärste Beispiel für diesen Kulturtransfer ist der 1,64 m hohe Krater von Vix. Dieses größte Mischgefäß der Antike, das theoretisch 1100 Liter Wein fassen konnte, wurde in einem nordburgundischen Frauengrab gefunden. Angesichts seiner Überdimensionalität ist er wohl eigens als Protzobjekt für gallische Kundschaft, die die Zurschaustellung öffentlicher Bankette liebte, gegossen worden. 2014 wurde in Lavau bei Troyes ein weiteres Fürstengrab freigelegt, das kostbarstes griechisches und etruskisches Trinkgeschirr, darunter eine goldgefasste attische Weinkanne, birgt. Ein euphorischer später Zeuge dieser kulinarischen Hellenisierung Südfrankreichs ist der römische Historiker Justinus: «Von den Griechen lernten die Gallier einen zivilisierten Lebensstil, und sie gaben ihre barbarische Lebensweise auf. Sie begannen ihre Felder zu bestellen und ihre Städte mit Mauern zu umgeben. Sie gewöhnten sich sogar daran, nach Gesetzen zu leben, statt Waffengewalt zu gebrauchen, und begannen, Weinreben und Oliven anzubauen. Ihr Fortschritt im Verhalten und Wohlstand war so großartig, dass es aussah, als wäre Gallien ein Teil Griechenlands, und nicht, als hätte Griechenland Gallien kolonisiert.» Analysen von Speiseresten haben ergeben, dass vor 2500 Jahren wohl schon ein Vorläufer des französischen Nationalgerichts à la grecque geköchelt wurde: Huhn, aus Kleinasien durch die Phokäer nach Südfrankreich eingeführt, in griechischem Wein geschmort. Der erste coq au vin!

Aus dem hellenischen Süditalien nach Burgund? Volutenkrater von Vix mit Medusa-Haupt

Über Kost und Speisesitten Galliens vor der Eroberung durch Caesar gibt es keine einheimischen schriftlichen Quellen – die druidische Kultur setzte nicht auf Texte, sondern Memorieren der religiösen und weltlichen Lehren. Wir müssen uns durch griechische und römische Zitate, die oft in enormem zeitlichen und geographischen Abstand niedergeschrieben wurden, ein von ethnologischen Klischees dominiertes Bild früher Ernährungsgewohnheiten machen. So gelten die keltischen Gallier, die ab dem 6. Jahrhundert, wohl aus dem Donauraum kommend, das heutige Frankreich besiedeln, als heftige Zecher. Sie lieben ungehopftes Bier und unvermischten Wein, dem sie als Stimulanz vor dem Kampf zusprechen. Getrunken wird aus importierten Metallbechern, aber auch aus Auerochshörnern oder silberbeschlagenen Schädeltrophäen. Auf «Barbarenart» sitzen sie auf Wolfs- oder Hundefellen, anstatt bei Tische zu liegen und veranstalten tagelange Gastmähler, bei denen Frauen gleichberechtigt teilnehmen.

Grabungen haben dies partiell bestätigt. Es wurden gedrechselte Tischchen und riesige Knochendepots gefunden, die sich als Schlachtreste dieser Festmähler, zu denen sich vermutlich nur eine ausgewählte Oberschicht zusammenfand, deuten lassen. Eisenzeitliche Bratspieße, Grillzangen, lange zweizackige Fleischgabeln und bis zu 80 l fassende chaudrons (Metallkessel), die an Ketten und Haken über offenem Feuer aufgehängt wurden, sind häufig belegt. Verblüffend ist die Omnipräsenz von Weinamphoren bis weit ins Binnenland, von denen Hunderttausende – zum Teil (rituell) zerschlagen – gefunden wurden. Ganze Römerstädte wie Toulouse oder Chalon-sur-Saône fußen auf Amphorenschutt. So hat die Wissenschaft zu Recht den Begriff L’âge du vin – das Zeitalter des Weins – für die Spanne vom 5. Jahrhundert bis 1. Jahrhundert v. Chr. geprägt. Dieses unentbehrliche Luxusgetränk wurde ab dem 4. Jahrhundert auch aus Spanien und Italien bezogen und vermutlich mit britischem Zinn, baltischem Bernstein oder Sklaven bezahlt – als Wechselkurs galt ein Sklave gegen eine Amphore! Ein weitverzweigtes Netz der Flussschifffahrt auf Rhône, Seine und Loire einschließlich Treidelpfaden ermöglichte die Ausbreitung von Weinkontoren bis weit ins Hinterland der «langhaarigen» freien Gallia comata. Wer die Rhônemündung kontrollierte, besaß enorme Handelsvorteile.

Amphorenfund im Musée d’Archéologie Mediterranéenne in Marseille.

Wie steht es mit den Wildschweinen, die Obelix und sein Kumpan Asterix so leidenschaftlich in den solide recherchierten Comic-Heften verschmausen? Gallische Bronzestatuetten von Ebern belegen, dass das kampfbereite Tier hohes Prestige als Trophäe und Heroensymbol genoss. Beim wichtigsten altirisch-keltischen Fest, dem Samhain am 1. November, wird der Wald- und Sommergott Esus in Gestalt eines geopferten Ebers verzehrt. Archäologische Befunde bestätigen diese kulinarische Esoterik kaum. Ein beliebtes Festessen waren eher Schweinsköpfe und Hundefleisch. Der Anteil an Wild hatte sich zur Zeit der Eroberung Galliens durch Caesar auf erstaunlich geringe drei Prozent eingependelt – Jagd diente eher dem Prestige als der Nahrungsbeschaffung. Denn die gallischen «Barbaren» waren seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. längst sesshaft geworden und hatten ausgefeilte Techniken des Ackerbaus wie eine von Ochsen gezogene Erntemaschine, die sogar die Römer bewunderten, entwickelt. Sie pflanzten Hülsenfrüchte wie Linsen, Erbsen oder Ackerbohnen an, die sie mit Graupen oder Hirse zu Breien und Eintöpfen kochten. Sie hatten Städte mit Mauern, gezimmerten Gebäuden und Kultstätten angelegt, die Caesar als oppida bezeichnete. Kennzeichen dieser oppida-Zivilisation war eine weitverzweigte Arbeitsteilung, die sich auch auf die Lebensmittelproduktion erstreckte. Eigene Münzprägungen erleichterten Geldhandel und Warentausch. Es gab Bäckereien, die Mehl aus Dinkel, Emmer oder Nacktweizen zu Fladen verbuken und Metzgereien, wo Würste und Schweinehälften gepökelt wurden. Keramiksiebe sind Indizien für die weitverbreitete häusliche Herstellung von Käse. Bemerkenswert war die differenzierte Küchenausstattung der Haushalte: Ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. wurden einheimische Kammstrichtöpfe aus besonders wärmeleitfähigem schwarzen Graphitton Mode – geflickte Exemplare belegen hohe Wertschätzung. Neben Messersets hat man römische Importkeramik, sogenannte terra sigillata ausgegraben.

Auf Krawall gebürstet: Mosaikeber aus Saint-Romain-en-Gal, 3. Jh. n. Chr.

Caesars De bello gallico vermittelt jedenfalls den Eindruck einer entwickelten Krieger-, Agrar- und Handwerkergesellschaft, die im gefühlten Überfluss lebte, so dass selbst die zusätzliche Versorgung der Besatzungstruppen selten ein Problem zu sein schien. Es gibt archäologische Beweise, dass teilweise mehr Tiere geopfert wurden, als man verzehren konnte, was sich mit sagenhaften Berichten von Keltenfürsten deckt, die ihren Stamm angeblich ein ganzes Jahr lang freihielten.

Nationalheld: Vercingetorix-Koloss in Alise-Sainte-Reine, 1864

Die römische Eroberung und Akkulturation Galliens vollzieht sich in mehreren Etappen. Während die «diesseits der Alpen» gelegene Poebene als Gallia cisalpina schon um 200 v. Chr. Teil des Imperiums wurde, annektierten die Legionen infolge eines Beistandspakts mit Massilia erstmals ab 125 v. Chr. südfranzösisches Territorium. Die Provinz Gallia transalpina mit der Hauptstadt Narbonne, einer römischen Gründung, sollte der Provence ihren Namen hinterlassen. Mit den Kolonisten wurden auch römische Produkte im Midi heimisch. Im ager narbonensis wurde durch Veteranen der Weinbau forciert, an den Küsten die Fischsauce garum oder liquamen fermentiert. Eine in London gefundene Amphore wirbt mit der Herkunft aus Antibes: LIQUAM(en) ANTIPOL(itanum) EXC(cellens)! Eine antike appellation d’origine.

Die definitive Unterwerfung ganz Galliens erfolgt 58–51 v. Chr. durch Caesars Truppen. Da sich an der Grenze zu Germanien siedelnde keltische Stämme wie die Nervier dem für die Römer einträglichen Weinimport verweigert hatten und 52 v. Chr. zu Beginn einer Revolte Weinhändler in Orléans als Kollaborateure attackiert wurden, ist der Konflikt als Handelskrieg interpretiert worden, um neue Absatzmärkte zu erschließen. Wie dem auch sei, das neueroberte Gallien romanisiert sich zügig, auch weil den Oberschichten der Erwerb des römischen Bürgerrechts zugestanden wird. Bereits im 1. Jahrhundert n. Chr. sind die gallischen Provinzen fest integrierter Bestandteil des Imperiums und stellen mit Claudius, der in Lugdunum (Lyon) das Licht der Welt erblickte, den ersten nicht in Italien geborenen Kaiser. Damit einher geht eine kulinarische Romanisierung, die am importierten Tischgerät und der Einrichtung von Speisezimmern (triclinia) abzulesen ist. Neuerung ist die Verbreitung des Gartenbaus mit bisher unbekannten Früchten und Gemüsen: Rotkohl, Lauch, Feigen, Pfirsiche, Aprikosen, Walnüsse. In von Sklaven bewirtschafteten Landgütern (villae) wurde der Anbau von Oliven und Wein forciert – in Gassin bei Saint-Tropez wurzelt ein zweitausendjähriger Olivenbaumveteran aus dieser Epoche. An Knochenfunden abzulesen ist, dass die Römer größere, arbeitsfähigere Haustierrassen einführten und Rindfleisch an Beliebtheit Ziege und Lamm ablöst. Ragouts, Gemüse und Brot ersetzen Getreidebreie und die einstigen Schlachtfeste. Und natürlich öffneten wie in Italien tabernae: Die älteste Taverne Frankreichs (von der nur noch Grundmauern, Feuerstellen, Reste einer Sitzbank und italische Gefäße nachweisbar sind) wurde vor ein paar Jahren publikumswirksam in Lattes bei Montpellier, dem antiken Lattara, ausgegraben. Nil novi sub sole: sogar B&B gab es schon. Auf einer in Lyon gefundenen Inschrift bietet ein gewisser Septumanus hospitium cum prandio, Unterkunft mit Frühstück, an.

Griechische, römische, gallische Symposien

Insgesamt bleibt es schwierig, ein speziell gallo-römisches Profil der antiken Küche herauszuarbeiten, auch wenn man schon bald Delikatessen wie Rotbarben aus Marseille, atlantische Austern und Schinken exportierte. Gänse wurden aus der Picardie bis nach Rom getrieben – eine erstaunliche Marschleistung. Plinius verrät, dass drei gallische Frischkäse bei römischen Gourmets in Mode seien, darunter der von Nîmes. Der Ziegenkäse hingegen schmecke streng wie Medizin – ein früher Hinweis auf den haut goût affinierter Milchprodukte? Auch der Weinbau entlang der klimageschützten Flusstäler expandierte so erfolgreich, dass Kaiser Domitian 92 n. Chr. das Abholzen von provenzalischen Reben anordnete, um die Konkurrenz kleinzuhalten.

Die geographische Silhouette von La France viticole, der modernen Weinbaunation Frankreich, ist bereits in der römischen Antike vorgeprägt. Die zukunftsträchtige Technologie des robusten Holzfasses statt der zerbrechlichen Amphore (oder dem Lederschlauch) ist der entscheidende gallisch-rätische Beitrag zur Weinbauhistorie. Notfalls lassen sie sich auch als Waffen einsetzen: 51 v. Chr. rollen Freiheitskämpfer in Uxellodunum zur Verblüffung der Verteidiger brennende Holzfässer auf ein römisches Fort zu.

Gallien wurde für Jahrhunderte nach Italien das zweite konstitutive Kerngebiet des Imperium Romanum. Wie stark diese Amalgamisierung nach dem Zusammenbruch der Reichseinheit nachwirkte, lässt sich daran ablesen, wie intensiv das Land trotz der Umwälzungen durch Christentum und Völkerwanderung an antiker Ernährungsmentalität festhielt. Ein prominenter Zeitzeuge dieser kulinarischen Symbiose ist der hochgebildete Politiker, Austernliebhaber und Weinbergsbesitzer Ausonius (309–394) aus Burdigala, nach dem heute noch das Weingut Château Ausone bei Bordeaux benannt ist. In seinem Reisegedicht Mosella schwärmt er in römischer Schlemmermanier von den köstlichen Fischen der Mosel.

Aus der Merowinger-Epoche sind zwei Manuskripte überliefert, die als die letzten spätantiken Kochbücher gelten können, andererseits aber Tendenzen zur Fusion gallo-römischer und fränkischer Kochvorlieben aufweisen und den Übergang zur frühmittelalterlichen Küche einleiten. Der byzantinische Arzt Anthimus wurde vom Ostgotenkönig Theoderich als Botschafter zu Theuderich I. (511–533) gesandt, der das austrasische Gebiet um Metz und Reims beherrschte. Für diesen Fürsten verfasst Anthimus seinen Brief De observatione ciborum (Was beim Speisen zu beachten ist), in dem er innovativ Rezepte und medizinische Ratschläge kombiniert. Man kann diesen Text bei aller Vertrautheit mit der mediterran-antiken Küche auch als diplomatische Apologetik fleischreicher fränkischer Speisesitten lesen: So wird Speck, «für den die Franken eine unbezwingliche Vorliebe haben», erlaubt, ebenso melkwarme Milch, Käse und Bier. Statt der Fischsauce garum werden Gewürze wie Ingwer, Nelken und Kostwurz empfohlen. Schweinenieren und römischer Honigwein tauchen ebenso auf wie Rezepte, die sich als Vorläufer von Bouillon, Hecht-Mousseline oder œufs à la neige lesen lassen. Ebenfalls ins frühe 6. Jahrhundert datiert werden die Apici excerpta des Vinidarius, die in einer einzigen Pariser Handschrift überliefert sind. Trotz des Verweises auf den römischen Kochbuchklassiker präsentiert der Ostgote in 31 Kurzrezepten neuartige auf Fleisch und Saucen konzentrierte Tipps. Darunter finden sich interessante Kombinationen wie Spanferkel mit Koriander oder eine Frühform der Mayonnaise. Statt mediterraner Fischsauce wird Würzung mit saurem Verjus aus unreifen Trauben empfohlen.

Vom punktuellen Fortleben spätantiker Genießerküche zeugen die neckischen Billets, die der Dichter Venantius Fortunatus an seine Tischdamen, die Exkönigin und Äbtissin Sankt Radegunde und ihre Adoptivtocher Agnes, um 570 im merowingischen Poitiers richtet:

Vielfache Speisen kommen von allen Seiten in Fülle

Was ich als erstes verzehr, weiß ich ganz ehrlich nicht recht.

Gaben von Fleisch überbringt randvoll eine silberne Schüssel,

wo in sehr fetter Brüh manche Gemüseart schwamm.

Was in den Gärten so wächst, das bietet ein marmorner Teller;

So floss mir honigsüß Leckeres in meinen Mund.

Randvoll war eine Schale mit gläsernem Bauch mit Poularden,

ob auch die Federn gerupft, war ihr Gewicht doch wie schwer!

Unmengen Obst kommen an in bunt gestalteten Körbchen,

deren schmeichelnder Duft mich bereits satt gemacht hat.

Pikanter galanter Höhepunkt dieser kecken Gelegenheitsgedichte ist das Distichon, in dem der spätere Bischof von Poitiers von einem Dasein als Küchenhilfe und Hausmann träumt, um der verehrten Äbtissin und späteren Patronin der Köchinnen bei einem gemeinsamen Projekt körperlich nahe zu sein:

Herrlich wär’s, mir mit dir in der Küche die Hand zu verbrennen

Und das schwarze Geschirr sauber zu spülen im Schaff!

Auch Frankreich kennt eine Leitkulturdebatte, die seit der französischen Revolution bis weit ins 20. Jahrhundert leidenschaftlich geführt wurde. Wer sind wir Franzosen eigentlich? An welchen historischen Vorfahren wollen wir uns orientieren? Am fränkischen Adel, an den allerchristlichsten Königen in der Nachfolge Chlodwigs, die Frankreich in der Champagnermetropole Reims zur ältesten Tochter der Kirche gemacht haben? An der römischen Glorie der drei Gallischen Provinzen, die dem Land den Weinbau, die apicische Kunst des Tafelns und die romanische Sprache hinterlassen haben? An den tapfer zechenden, aber auch heidnischen und «barbarischen» Galliern? Oder an den mediterranen Phokäern und damit an der Kultur des Midi?

Wie hier gewichtet wird, ist eine politische, eine regionale, aber auch eine kulinarische Frage, die die Regionen Frankreichs unterschiedlich beantworten.