Vogelmärchen -  - E-Book

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Beschreibung

Vögel gelten im Märchen als Mittler zwischen Himmel und Erde, als Überbringer von Botschaften, Warner oder Verkünder von Wahrheiten – »Funktionen«, die wir selbst aus der Bibel kennen. Außerdem ist der Vogel im Märchen nicht nur ein Zauber-, sondern auch ein Verwandlungstier par excellence; immer wieder nehmen Menschen durch Zauber und Verwünschungen die Gestalt verschiedener Vögel an, oder diese entpuppen sich als Menschen, wenn sie erlöst werden. Aus der Fülle von Märchen, in denen Vögel eine zentrale Rolle spielen, hat die Herausgeberin Gisela Just besonders signifikante und schöne Beispiele ausgewählt. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 226

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Vogelmärchen

Herausgegeben von Gisela Just

FISCHER Digital

Mit einem Nachwort von Gisela Just

Inhalt

Zauber-, Wunder-, GlücksvögelDer Vogel Phönix, das Wasser des Lebens und die WunderblumeGoldhähnchenDer wunderbare Vogelsang zu KarthausDer Hahn mit den GoldfedernDer Fink mit der goldenen StimmeDer Mann mit dem ZaubervogelDie goldene EnteDie NachtigallDer Vogel als Seelen- und VerwandlungstierDer WacholderbaumJorinde und JoringelVon der schönen SchwanenjungferVom grünen VogelDie sechs SchwäneRotkehlchen und KohlmeischenDie Geschichte von Kalif StorchDer Vogel als Warner und WahrheitskünderDie drei RabenDer gescheite HanseDer getreue PaulDie Geschichte des Ehemanns und des PapageienEnten zeigen den Mord anEule, Taube und FledermausDie Pest im FricktalDer Hahn in der JakobskapelleDer Vogel als Rächer und RichterDer Zaunkönig und der BärDas Beutelchen mit zwei DreiernDer Hund und der SperlingDer rote Hahn im StechlinNachwortZauber-, Wunder-, GlücksvögelDer Vogel als Seelen- und VerwandlungstierDer Vogel als Warner und SchicksalskünderDer Vogel als Rächer und RichterQuellenverzeichnisLiteraturhinweise

Zauber-, Wunder-, Glücksvögel

Der Vogel Phönix, das Wasser des Lebens und die Wunderblume

Es verirrte sich einmal ein junger Ritter auf der Jagd und gelangte, als es dunkel wurde, zu einer ärmlichen Bauernhütte. Ein altes Bäuerlein hieß ihn willkommen. Er wurde in die Stube geführt und dort von den Töchtern des Bauern freundlich aufgenommen. Eine davon ging gleich in die Küche, machte dort Feuer an und sott ihm einige Eier. Der Ritter legte sich, weil er so müde war, auf die Ofenbrücke und begann süß zu schlummern. Wie die drei Töchter des Bauern merkten, daß der schöne Ritter eingeschlafen war, fingen sie an, von ihm zu reden. Da sagte die älteste: »Wenn ich einen so schönen Mann bekommen würde, müßten meine Kinder werden wie Milch und Blut.« Die zweite meinte, wenn sie einen so stattlichen Burschen hätte, müßten ihre Kinder lieblicher als Schnee und Wein aussehen. Da nahm die Jüngste das Wort und sprach: »Wenn ich einen so prächtigen Mann bekommen würde, müßte ich Kinder kriegen, so schön wie weiße und rote Rosen, und ihre Haare müßten aus purem Gold sein!«

Als sie dieses sprach, war der Ritter gerade erwacht und hörte ihre Rede. Und weil sie so schön war, entschloß er sich, sie zur Frau zu nehmen. Am andern Tage, als die Jüngste zuerst in die Stube gekommen war, eröffnete ihr der Ritter seinen Entschluß. Das Mädchen wußte nicht, wie ihr geschah. Als aber der schöne Herr auf seiner Rede bestand, freute sie sich über die Maßen und wußte nicht, was sie vor Lust tun sollte. Der Ritter teilte sein Anliegen ihrem Vater mit, und da dieser nichts dagegen einzuwenden hatte, wurde die Heirat beschlossen, es mochte die beiden älteren Schwestern ärgern, wie es wollte. Der Ritter nahm von der Bauernhütte Abschied und kehrte mit seiner Braut auf sein Schloß zurück. Da ging es nun lustig und laut her, als die Hochzeit gefeiert wurde, daß der Traurigste hätte froh werden müssen. Der Ritter und seine schöne Frau lebten ein glückliches Leben. Es dauerte aber nicht lange, und der Ritter mußte in den Krieg ziehen, um das Land zu verteidigen, und da hatte die Frau nun trübe, traurige Zeiten. Sie verging fast vor Sehnsucht nach ihrem lieben Gemahl. Während der Ritter noch im Felde stand, erfüllte sich die Zeit der Frau, und sie genas zweier Kinder, eines Söhnleins und eines Töchterleins. Die Kindlein waren aber so schön wie rote und weiße Rosen, und ihre Haare waren aus purem Gold. Da hatte die Frau eine unaussprechliche Freude, daß ihr Wunsch so in Erfüllung gegangen war, und wollte ihrem Mann gleich Nachricht geben. Sie bat deshalb eine Schwester, die aufs Schloß gekommen war, um bei der Kinderpflege zu helfen, dem Ritter von dem glücklichen Ereignis zu schreiben. Diese, weil sie schon lange Zeit die jüngste Schwester um ihr Glück beneidete, meldete dem Ritter, seine Gemahlin habe zwei Kinder bekommen, diese hätten aber Hundsköpfe und seien so häßlich, daß sie ihm raten müsse, diese ins Wasser werfen zu lassen. Der Ritter wollte anfangs, als er das Schreiben las, seinen Augen nicht trauen. Als er aber den Brief wieder gelesen hatte, gab er Befehl, man solle die Kinder in das Wasser, seine Gemahlin aber ins Gefängnis werfen. Die grausame Anordnung des Ritters wurde ausgeführt. Die Rabenschwester ließ die zwei schönen Kinder in einen Mühlbach und die Frau des Ritters in den Kerker werfen.

Der Schmerz über diese schnöde Behandlung und die Trennung von ihren Kindern betrübten aber die Frau so sehr, daß sie erkrankte und nach kurzer Zeit wie tot im Kerker gefunden wurde.

Die armen Kinder wurden vom kalten Wasser weggetragen, bis sie von einem Rechen, der bei einer einsamen Mühle stand, aufgehalten wurden. Als der Müller die armen nassen Kinder sah, hatte er Mitleid mit ihnen, nahm sie aus dem Wasser und trug sie in die Stube. Da erkannte er erst, wie schön sie waren, und konnte sich nicht an ihnen sattsehen. Als er merkte, daß die Kindlein noch am Leben waren, legte er sie in sein Bett und gab ihnen zu essen und zu trinken. Er entschloß sich, die Kleinen bei sich zu behalten und aufzuziehen. So lebten nun Brüderchen und Schwesterchen in der Mühle, wuchsen und wurden von Tag zu Tag schöner und lieber. Der Müller hatte seine Freude an ihnen und liebte sie so, als ob es seine eigenen Kinder wären, und sie hielten ihn für ihren wahren Vater. So ging es viele Jahre. Als die zwei Findlinge eines Abends wieder in der Stube bei dem Müller saßen, das Mädchen spann und der Knabe schnitzte, da eröffnete ihnen der Müller, daß er nicht ihr rechter Vater, sondern nur ihr Nährvater sei. Die Kinder machten große Augen und wollten den Worten ihres vermeintlichen Vaters nicht glauben. Der Müller erzählte ihnen, wie er sie gefunden habe, und daß er trotz aller Bemühungen ihre Eltern nicht habe auffinden können. Die guten Kinder wurden über diese Nachricht tief betrübt. Es kam ihnen nun doch alles fremd vor, und sie empfanden eine große Sehnsucht nach ihrer wahren Heimat. Diese wurde nach und nach so stark, daß sie beschlossen, die Mühle und ihren Pflegevater zu verlassen und in die weite Welt zu wandern, um die Heimat aufzusuchen. Der Müller riet ihnen davon ab, als er aber sah, daß sie sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen ließen, gab er ihnen seinen Segen, gute Lehren und ein Säcklein mit Lebensmitteln mit auf die Wanderung. Sie zogen nun aus und gingen, weil ihnen der Müller erzählt hatte, daß er sie im Mühlbach gefunden habe, bachaufwärts. Da kamen sie eines Abends müde und matt zu einer großen, großen Stadt, und vor dieser stand ein prächtiges Schloß mit einem schönen Tor und hohen Türmen.

Sie gingen nun zum Burgtor und baten dort um eine Herberge. Der Ritter hatte an den Kindern sein Wohlgefallen und fühlte sich, ohne zu wissen warum, zu den Kleinen hingezogen. Er ließ sie gut bewirten und wünschte ihnen eine gute Nacht. Bevor sie am andern Tag jedoch weiterwanderten, gingen sie zum Ritter, um ihm für die Nachtherberge zu danken. Dieser fand die Kinder so lieb, daß er sie nicht weiterziehen ließ. So entschlossen sie sich, in dem Schloß zu bleiben. So freundlich aber der Ritter war, so ungünstig war seine Wirtschafterin. Diese hatte gegen die fremden Bälge die größte Abneigung und wollte sie selbst durch Gewalt aus dem Weg räumen. Sie behandelte sie auf die liebloseste Weise. Als sie sah, daß die Kinder trotzdem im Schloß blieben, suchte sie durch List den Knaben, der ihr am meisten zuwider war, zu verderben, gab ihm gute Worte und schmeichelte sich bei ihm ein. Der gute Knabe ahnte nichts Böses.

Da sprach sie eines Morgens zu ihm: »Du könntest mir eine große Freude machen. Wenn du in den Wald hinaus gingest, den Vogel Phönix zu holen.« Sie hoffte, der Knabe werde im Wald, der von wilden Tieren wimmelte, zerrissen und aufgefressen werden. Der Knabe ging guter Dinge in den finstern Forst hinaus. Er war voll Freude und sah auf jeden Baum hinauf, in der Meinung, es könnte drauf der Phönix nisten. So war er schon eine gute Strecke gewandert, und der Wald wurde immer dichter. Er fing an sich zu fürchten, und, wie er so ratlos dastand, kam ein Fuchs dahergeschlichen und sprach: »Ich weiß wohl, du willst den Vogel Phönix. Wenn du aber mir nicht folgst, so wirst du den Wundervogel nie bekommen.« Der Knabe folgte dem Fuchs, so kamen sie zu einem ungeheuren Strom, der hoch und wild daherbrauste.

»Da drüben hat der Phönix sein Nest«, sprach der Fuchs. »Da hinüber mußt du, obwohl keine Brücke da ist. Hänge dich nur an meinen Schweif und halte dich an ihm fest, dann sollst du glücklich hinüberkommen.« Der Knabe hängte sich nun an den Schweif des Fuchses, und ehe man’s erwartet hätte, standen beide am jenseitigen Ufer. Da ragte ein steiler Felsen empor, und daran hing das Nest, aus dem drei junge Phönixe herausguckten. »Siehst du das Nest dort oben?« sprach der Fuchs. »Da mußt du nun hinauf und von den drei Jungen dasjenige holen, das in der Mitte ist. Würdest du aber ein anderes erwischen, müßtest du sterben.« Der Knabe kletterte hinauf, packte den bezeichneten Phönix und brachte ihn glücklich herunter. Nun ging es an die Rückfahrt. Der Knabe hängte sich wieder an den Schweif des Fuchses, und dieser schwamm durch das wilde Gewässer ans Ufer. Dann geleitete er den Knaben durch den wilden Wald bis zum Feld, und erst hier verließ er ihn. Im Schloß angekommen, lief der Knabe jubelnd zur Frau und gab ihr den Phönix. Diese nahm den Vogel an, lächelte und lobte den Burschen, obwohl ihr Herz vor Gift und Galle schwoll.

Nachdem ihr der erste Versuch, den Knaben zu verderben, mißlungen war, sann sie einen neuen Plan aus, ihn loszuwerden. Der Graf wurde krank, so schwer, daß der herbeigerufene Doktor die Sache sehr bedenklich fand und sprach sich endlich dahin aus, dem Kranken könne nur durch das Wasser des Lebens geholfen werden. Die böse Wirtschafterin ging nun zum Knaben und trug ihm auf, das Wasser des Lebens zu holen. Sie wußte wohl, mit wie vielen Gefahren diese Aufgabe verbunden war, und hoffte deshalb, daß der Knabe daran zugrunde gehen werde. Der war guter Dinge und machte sich gleich auf, um in der Ferne das Wasser des Lebens aufzusuchen. Wieder begegnete ihm der Fuchs und fragte ihn: »Wohin gehst du?«

»Ich muß das Wasser des Lebens holen«, erwiderte der Knabe, »denn der Graf ist sterbenskrank.«

»Da hast du eine halsbrecherische Arbeit«, versetzte der Fuchs. »Doch wenn du mir folgst, soll es gut enden.« Der Fuchs ging voraus, und der Knabe folgte. Drei lange Tage wanderten sie durch den stockfinstern Wald. Da sahen sie vor sich einen Teich. Da sprach der Fuchs: »Dies ist der Teich des Lebenswassers, daraus mußt du schöpfen. Ein Drache bewacht aber das Wasser, und diesen müssen wir täuschen. Ich werde ihn necken, bis er mich verfolgen wird, und dann mußt du das Wasser schöpfen und flüchten; denn würde er dich erreichen, wärst du ein Kind des Todes.«

Sobald die wilde Bestie den Fuchs sah, fuhr sie auf ihn los und verfolgte ihn hitzig. Der Knabe schlich indessen zum Teich, füllte den Krug schnell mit Wasser und eilte auf der anderen Seite davon. Ihm kam der Fuchs nach und führte ihn aus dem finsteren Wald, sagte jedoch, daß sie sich bald wiedersehen werden. Der Knabe eilte auf das Schloß, wo der todkranke Graf schon in den letzten Zügen lag. Er röchelte schon, und seine Augen waren fast gebrochen. Man gab ihm vom Lebenswasser ein, und siehe!, kaum hatte er einen Tropfen davon auf die Zunge gebracht, so sprang er gesund aus dem Bett und fühlte sich stärker und besser als jemals. – Der Graf hatte seitdem den Knaben noch lieber und hielt ihn wie seinen Augapfel. Das ärgerte die Schwester der verstorbenen Gräfin noch mehr, und sie beschloß aufs neue, den Knaben zu verderben. Eines Tages sprach sie zu ihm: »Wenn du mir die schönste Blume in der Welt holtest, würdest du mir die größte Freude machen.« Sie hoffte aber, er würde nicht mehr zurückkehren. Der Knabe machte sich auf, die schönste Blume in der Welt zu suchen, ging wieder in den dunklen Wald, wo der Fuchs schon auf ihn wartete. »Ich soll die schönste Blume auf der Welt holen und weiß nicht, wo sie zu finden ist.«

»Da hast du keine leichte Aufgabe«, versetzte der Fuchs, »denn sie ist sehr weit weg von hier. Wenn du sie erreichen willst, so mußt du dich auf mich setzen, denn sonst würdest du vor Mattigkeit liegenbleiben, ehe du zur Blume kommst.«

Der Knabe ließ sich den Rat nicht zweimal geben und schwang sich auf den Fuchs. In Eile ging es über Stock und Stein, Distel und Dorn, dann kamen sie zu einem mächtigen Fluß. Da hängte der Knabe sich wieder dem Fuchs an den Schwanz und schwamm so an das jenseitige Ufer. Dann ging es zu einem zweiten Fluß und zu einem dritten Fluß, der viel breiter und tiefer als die zwei früheren war. Am jenseitigen Ufer kamen sie zu einem Baum, an dem hingen drei Blumen, die in schönster Blüte standen.

Wie der Knabe ganz geblendet von der Pracht der Blumen dastand, sprach der Fuchs: »Siehst du, wir sind nun an der Stelle. An diesem Baum sind die schönsten Blumen der Welt. Steige nun hinauf und hole dir eine herunter. Nimm aber nicht die größte und schönste, denn ihre Blätter würden halb abfallen; auch nimm nicht die kleinste, denn diese würde halb verwelken.« Der Knabe kletterte nun rasch den Baum empor und pflückte die Blume, die ihm bezeichnet war, und trat dann den Rückweg an. Das war ein saures Stück Arbeit. Es mußten wieder die drei großen, breiten Flüsse durchschwommen und der lange beschwerliche Ritt über Stock und Stein gemacht werden. Der Knabe aber brauchte nur die prächtigste Blume anzublicken, und es lachte ihm das Herz im Leibe. Nachdem er sieben Tage geschwommen und geritten war, stieg der Knabe ab, dankte dem guten Tier und nahm Abschied. Der Fuchs sagte, daß sie sich in kurzer Zeit wiedersehen werden, und verschwand im Wald.

Der Knabe eilte auf das Schloß zur Frau und brachte ihr die schönste Blume von der Welt. Diese hatte keinen kleinen Schrecken, als der Bub heil und gesund zurückkam. Eine desto größere Freude hatte der Graf, als er den so herzlich geliebten, guten Knaben, den er schon verloren glaubte, wiedersah. Er ließ ihm zu essen und zu trinken bringen, nahm ihn dann bei der Hand und sprach zu ihm: »Du hast mir das Leben gerettet. Ich will dir deine Tat gräflich belohnen. Wenn du mir noch ein Rätsel, das ich dir geben werde, lösen kannst, so werde ich dich zu meinem Erben einsetzen und deine Schwester zu meiner Frau machen.« Wie der Phönix, der sich in einem gar prächtigen Vogelhaus im Zimmer befand, dies hörte, fing er zu singen an:

»Gib nur dem Sohn das Gut,

Doch heirat nicht dein eigen Blut!«

Der Gesang des Phönix wurde aber nicht beachtet, und der Knabe verlangte die Aufgabe zu hören. Da sprach der Graf: »Binnen drei Tagen sollst du mir sagen, warum ich so traurig bin.« Die Frage kam zu unerwartet, und der Knabe konnte keine Antwort finden. Er erinnerte sich an den Fuchs und lief alsbald in den Wald hinaus, als ihm der Fuchs begegnete. Er legte ihm das Rätsel vor, das ihm der Graf aufgegeben. Darauf antwortete der Fuchs: »Sage dem Grafen, ihn mache die Sorge, daß er seine Frau zu voreilig verurteilt habe, so schwermütig.« Dann nahm er von dem Knaben Abschied und bat ihn, recht bald wiederzukommen. Der Knabe versprach ihm dieses, dann trabte das Tier in den Wald zurück.

Der Knabe eilte auf das Schloß zurück und lief stracks zu dem Grafen: »Die Sorge, daß Ihr die Frau zu voreilig verurteilt habt, macht Euch so trüb und schwermütig.« Als der Graf dies gehört hatte, fühlte er tief, daß der Knabe die reinste Wahrheit gesagt habe, und sprach zu ihm: »Du hast recht und bist ein kluges Kind. Du sollst mein Erbe sein, und deine Schwester will ich als meine Braut zum Altar führen.« Der Phönix begann wieder zu singen:

»Gib nur dem Sohn das Gut,

doch heirat nicht dein eigen Blut!«

Wie der Graf dies hörte, war er nicht wenig überrascht, daß ein Vogel sprechen kann, und er fragte endlich den Knaben, wie er zu diesem Wundervogel gekommen sei. Dieser erzählte ihm, wie er auf Befehl der Schloßfrau habe den Vogel holen müssen und welche Abenteuer er auf dieser Fahrt bestanden hatte. Da kam dem Grafen dies alles so wunderlich vor, daß er seine Schwägerin zu sich kommen ließ und ihr den Vorgang mit dem Vogel erzählte. Als sie die Reime, die der Phönix gesungen hatte, hörte, war sie sehr betroffen und glaubte, ihre Frevel seien verraten, fiel vor dem Grafen auf die Knie und bekannte ihm alles, was sie verschuldet hatte.

Nun war es klar, daß der Knabe und das Mädchen die Kinder des Grafen waren. Dieser umarmte seine wiedergefundenen Lieben, drückte sie an seine Brust, küßte und liebkoste sie. Nachdem die erste Freude des Wiedersehens vorüber war, ging der Graf ernst und feierlich auf seine Schwägerin zu und sprach das Todesurteil über sie aus, das auch alsbald vollzogen wurde.

Der Graf und seine Kinder lebten nun glücklich zusammen. Da dachte eines Tages der junge Graf wieder an den Fuchs, dem er all sein Glück zu verdanken hatte. Er ging in den Wald, um dort seinen Wohltäter aufzusuchen, als ihm der Fuchs schon entgegenkam und als Wegweiser vorausging, weit in den Wald hinein, bis sie zu einer schönen grasgrünen Wiese kamen. Da machte der Fuchs halt und sprach mit bittender Stimme: »Ich habe dir schon viel Gutes erwiesen, nun tu auch mir etwas zu Dank.« Der junge Graf fragte ihn, was er wolle. Da antwortete der Fuchs: »Ich bitte dich bei allem, was dir heilig ist, schlage mich tot!«

Der junge Graf war über diese unerwartete Rede gar betroffen und sprach: »Wie sollte ich das tun und dich, dem ich alles verdanke, töten können?« Der Fuchs stand aber von seinem Begehren nicht ab und bat inständig, er möchte ihn doch erschlagen. Da konnte der Grafensohn nicht länger den Bitten widerstehen und versetzte mit abgewandtem Gesicht dem Tier einen Schlag auf den Kopf.

Kaum hatte er dies getan, so hörte er einen Freudenschrei, und als er sich umsah, erblickte er eine bildschöne Frau vor sich. Sie eilte mit offenen Armen auf ihn zu, umarmte, küßte und herzte ihn. Dann sprach sie: »Lieber Sohn, wie sollte ich dir genug meinen Dank und meine Freude ausdrücken können! Du bist es ja, der mich von der Verwünschung meiner bösen Schwester befreit hat.«

Dem Grafen war nun alles klar, und als er seine erlöste Mutter vor sich sah, weinte er vor Freude, und in seinem Herzen schlug und pochte es wie in einer Schmiede. Froh eilten sie dann dem Schloß zu, wo sie den Grafen und die Grafentochter im Garten fanden. Da hättest du die Freude sehen sollen, als der edle Herr seine totgeglaubte schöne Frau wiedersah und in seine Arme schloß! Da gab es nun ein Fest, wie seit Menschengedenken keines gefeiert worden ist.

Seitdem lebte die Grafenfamilie glücklich beisammen, teilte Freude und Leid, bis sie der Tod nach langer, langer Zeit schied.

[Märchen aus Süddeutschland]

Goldhähnchen

Es lebte einmal ein alter Mann in einem Waldhäuschen, der besaß außer mehreren Kindern auch ein Goldhähnchen, das ist der kleinste unter den europäischen Vögeln und gehört in das Geschlecht der Zaunkönige. Dieses allerliebste Vögelchen hatte der Alte sehr lieb, und die Kinder hatten es nicht minder lieb, und wie der Alte starb, so sagte er zu den Kindern: »Verkauft nur ja das Goldhähnchen nicht, denn das ist ein Glücksvögelchen.« Aber wie der Alte gestorben war, kehrte Not und Mangel in das Häuschen der Kinder ein. Nun legte Goldhähnchen jede Woche ein Ei so groß wie eine Erbse und von erbsengelber Farbe. Diese Eier hatte der Vater immer fortgetragen und war mit Geld und Lebensmitteln zurückgekehrt. Da nun die Lebensmittel ausgegangen waren, entschloß sich der älteste Sohn, die indes gelegten Eier zu nehmen und sie feilzubieten. Wo er die Goldhähncheneier aber anbot, wurde er ausgelacht, und endlich gab ihm ein Mann, den der arme hungernde Knabe dauerte, aus Mitleid ein paar Pfennige dafür. Als diese verzehrt waren und der Hunger stärker als zuvor war, machte sich der Knabe wieder auf den Weg, diesmal nur mit einem einzigen Ei, und da war er glücklicher. Er fand den Mann, dem der Vater immer die Eier verkauft hatte, und der ihren Wert wohl kannte, denn sie waren aus purem Gold. Wie der Mann aber merkte, daß der Junge nichts von dem Geheimnis wußte, so sagte er: »Was soll ich mit dem Ei? Verkaufe mir den Vogel, ich will ihn dir sehr gut bezahlen.« Und ging auch gleich mit in das Waldhäuschen. Die anderen Kinder weinten und klagten, als ihr ältester Bruder das Goldhähnchen an den Mann verkaufte, der einige blanke Taler dafür auf den Tisch legte. Das Vöglein flatterte unruhig im Käfig hin und her, und den Kindern war es, als wenn es schrie: »Verkauf mich nicht, verkauf mich nicht!« Aber es wurde doch verkauft.

Und wie das Vöglein fort war, da war es vollends aus mit dem Glück in dem Waldhäuschen; die Kinder konnten dasselbe nicht erhalten und mußten betteln gehen und kamen weit voneinander.

Um diese Zeit geschah es, daß der König des Landes starb, und seine junge schöne Witwe ließ nach der Trauerzeit bekanntmachen, sie werde demjenigen ihre Hand reichen und den Thron mit ihm teilen, der mit verbundenen Augen die aufgehängte Krone mit einer Lanze herabstechen werde. Das Goldhähnchen sang damals immerfort: »Wer mich ißt, wird König! Wer mich ißt, wird König!« Das gefiel dem Mann, der es gekauft hatte, und obgleich er nun auf die goldnen Eier verzichten mußte, wenn er es verspeiste, so tötete er es doch, ließ es rupfen und mit bunter Seide bezeichnen, um es, gebraten, wieder zu erkennen, und gab der Köchin strengen Befehl, ja recht darauf achtzuhaben. Er hatte viele Freunde zu einem festlichen Mahl geladen, damit ihm gleich gehuldigt werde, wenn er den Vogel gegessen, und plötzlich König werde.

Während nun zu dem Festmahl alle möglichen Vorbereitungen getroffen wurden, kam der junge Mensch, der das Goldhähnchen verkauft hatte, als ein armer müßiger Bettler vor das Haus und sprach die Köchin um ein Almosen oder ein Stück Brot an, und diese sagte: »Haben sollst du etwas, mußt aber auch etwas tun!« und dazu war jener gern bereit. Er holte Wasser, spaltete Holz zum Herdfeuer, drehte den Bratenwender und hatte acht auf die Vögel, die in der Pfanne brieten, und darunter das Goldhähnchen auch war. Von ungefähr stieß er mit einem Stück Holz an die Pfanne, und da fiel das Goldhähnchen heraus in die glühenden Kohlen.

Schad um das Vöglein! dachte der Jüngling, obschon er sehr erschrocken war, und schob es in den Mund und verspeiste es, obschon er sich tüchtig verbrannte. Er wußte aber nicht, daß es sein ehemaliges Goldhähnchen gewesen. Als die Köchin in die Küche kam, zählte sie die Vögel, sah, daß einer fehlte, und jagte den neuen ungetreuen Küchenbuben mit Schimpfen und Schelten von dannen, zeichnete aber geschwind einen anderen kleinen Vogel und trug das Gericht ihrem Herrn auf. Dieser aß das gezeichnete Vöglein und sitzt heute noch und wartet, bis er König wird, und ärgert sich, daß er seine Freunde so großzügig bewirtet hat.

Der Fortgejagte schlich trübselig durch die Straßen und bettelte vor der Tür eines Müllers. Dieser brauchte just einen Eseltreiber und vergab diese Stelle an den armen Burschen; er durfte bei den Eseln im Stall schlafen. Und siehe, am andern Morgen fand der Müller, als er anderes Stroh streute und das alte wegräumte, goldene Eier in dem Stroh, auf dem sein Eseltreiber geschlafen hatte. Das gefiel ihm, und er dachte, den Burschen mußt du lange behalten, das ist ein Goldfink, während der vorige ein Mistfink war.

Jetzt kam der Tag des Kronenstechens, und da meinte der Eseltreiber, wenn jedermann stechen und sein Glück versuchen dürfte, möcht er’s auch wagen, bat den Müller um einen Speer und um ein Pferd. Der Müller lachte aus vollem Halse, doch dachte er, das gibt einen Hauptspaß, gab ihm eine alte lahme und spindeldürre Mähre und einen alten Speer und sandte ihn hin zum Stechen um die Königskrone.

Alles lachte, als der wunderliche Ritter von der traurigen Gestalt dahergetrabt kam, und die Königin schaute unwillig drein, daß so ein armseliger Bursche sich zu dem Kronenstechen drängte, zu welchem sich so viele vornehme Ritter und Herren eingefunden; allein da sie das Kronenstechen einmal gänzlich freigegeben hatte, so durfte sie dasselbe nun nicht ausschließlich machen.

Das Kampfspiel begann damit, daß ein Graf und ein Ritter nach dem andern nach der Krone mit verbundenen Augen stach und keiner dieselbe erlangte; und es endete damit, daß der Eseltreiber so glücklich war, die Krone zu treffen und herabzustechen. Der Königin war das gar nicht lieb, allein sie mußte des Eseltreibers Gemahlin werden, weil sie das einmal beschworen hatte, und so wurde derselbe König, und jener Müller, sein Herr, fand fürder keine Goldeier mehr im Stroh seines Stalles, sondern nur solche, wie sie die Esel legen.

Da die Königin ihren Gemahl wegen seiner geringen Herkunft nicht liebte, so sann sie Tag und Nacht darauf, sich seiner zu entledigen. Sie nahm deshalb ihre nächste Zuflucht zu einer alten mächtigen Zauberin, und die gab ihr ein Kraut, das die Kraft hatte, die menschliche Gestalt in eine tierische zu verwandeln. Dieses Kraut mischte die böse Königin ihrem Gemahl und Herrn unter die Speise, und siehe, als der König die Speise genossen hatte, so begann er sich zu verwandeln, und es wurde ein leibhaftiger Esel aus ihm, der vorher ein sehr schöner junger Mensch gewesen war. Deshalb wurde er mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt, und nun wurde ein anderer zum König gewählt, dessen Wahl man klugerweise nicht wieder dem Glück und dem blinden Zufall überließ, weil man fürchtete, abermals einen Esel zur höchsten Stelle gelangen zu sehen.

Der arme gewesene Eseltreiber, jetzt selbst Esel, hatte alle Mühseligkeit seines neuen Standes zu empfinden. Er hatte seinen Weg nach der Mühle genommen, wo er einst zufrieden die Esel getrieben und auf Stroh geschlafen hatte. Der Müller, als er ihn kommen sah, vermochte nicht, ihn von den anderen Eseln zu unterscheiden, obgleich in seinen Augen etwas Menschliches war. Und da wurde er in der Mühle zu den andern Eseln gestellt, mußte Säcke mit Getreide und Mehl tragen, jahraus, jahrein, und hatte es um kein Haar besser oder schlimmer als die übrigen Esel auch.