Voilà, it's Murder - Tod bei Fish & Chips - Mabel Hawthorne - E-Book

Voilà, it's Murder - Tod bei Fish & Chips E-Book

Mabel Hawthorne

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Beschreibung

Das Geld ist knapp bei Hazel. Also beschließt die Londonerin kurzerhand, ein Zimmer in ihrer hübschen Wohnung im East End unterzuvermieten. Fleur lebt noch nicht lange in der britischen Hauptstadt, aber nachdem ihr Freund sie betrogen hat, braucht die Französin dringend eine neue Bleibe. Das Apartment von Hazel liegt zwar nicht in der mondänsten Gegend, aber dafür ist ihr die Vermieterin ausgesprochen sympathisch. Und als die beiden Frauen kurz nach Fleurs Einzug den Koch des Restaurants tot auffinden, wird aus der ungewöhnlichen Wohngemeinschaft schnell ein ebenso ungewöhnliches Ermittlerduo … Französischer Charme trifft auf britische Robustheit – ein unschlagbares Team

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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IMPRESSUM

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

IMPRESSUM

© Thalia Bücher GmbH

Batheyer Str. 115-117, 58099 Hagen, 2025

Alle Rechte vorbehalten.

KAPITEL 1

»Riecht es hier immer so streng nach Fisch?«

Hazel verharrte in der offenen Tür und starrte die Frau an, die ihr mit fragendem Blick gegenüberstand. Eine der seltenen Situationen, in denen sie um Worte verlegen war. Zugegeben, sie hatte in der Wohnungsannonce nicht explizit erwähnt, dass sich das zu vermietende Zimmer im selben Haus wie ein Fish & Chips Laden befand. »Daran gewöhnt man sich, denke ich.«

Sie trat beiseite und ließ ihre Besucherin ein, die ihr im Vorbeigehen die Mieterselbstauskunft überreichte. Hazel hatte darauf verzichtet, sich diese Formulare vorab zusenden zu lassen, am Ende tauchte die Hälfte der Bewerber gar nicht auf. Ihr geschulter Blick fand sofort die gesuchte Zeile. »Fleur Dubois?«

Die Frau nickte und strich sich eine Strähne ihres kastanienbraunen Haars aus der Stirn, ganz beiläufig, als verscheuche sie eine Mücke. Die Geste besaß eine eigene Art von Eleganz, wie sie einem Mitglied der Royals zu eigen sein mochte. Der alten Royals, wohlgemerkt, nicht der neuen Generation. Jede Bewegung wirkte, als gleite sie über einen Mailänder Steg.

»Ich bin Hazel Evans. Sie sind die letzte Bewerberin des heutigen Tages.«

Hazel führte Madame Dubois, wie bereits heute schon so viele andere Bewerber, vom Flur ins Wohnzimmer. Auf den Tisch hatte sie eine Vase mit frischen Lilien gestellt, die farblich mit ihrem gemütlichen Sofa korrespondierten. Dieser Bereich ging offen in die angrenzende Küche über, wo Fleur Dubois einen Blick auf die glänzende Anrichte warf und anmerkte, dass man sich im Cerankochfeld des Herdes spiegeln konnte.

»Wie schön es hier ist.« Fleur Dubois sah sich mit großen Augen um, in denen die typische Unschuld eines Menschen zu erkennen war, der noch nie in seinem Leben um etwas hart kämpfen musste. Die Romantik des Abenteuers wohnte ihnen inne.

»Sie haben wohl bereits eine Menge heruntergekommener Absteigen besichtigt?« Es war eher eine Feststellung als eine Frage. Schließlich kannte Hazel den Londoner Wohnungsmarkt zur Genüge.

Nicht umsonst hatte sie nach ihrem fluchtartigen Ausstieg aus dem Finanzsektor als erste Anschaffung diese Eigentumswohnung gekauft. Seitdem waren einige Jahre vergangen und bei den heutigen Preisen hätte sie sich eine Wohnung in dieser Lage und Größe nicht mehr leisten können.

Ihre Besucherin ließ sich sanft wie ein Windhauch auf dem Sofa nieder, lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. Hazel nahm in dem Sessel gegenüber Platz und betrachtete den ausgefüllten Bewerbungsbogen erneut. »Hier steht, dass Sie aktuell keiner Arbeit nachgehen?«

»Das ist richtig. Ich habe in Paris beim Film gearbeitet, hier in London habe ich noch keinen Job gefunden.«

»Oh, Sie sind Schauspielerin?«

»Kostümbildnerin«, korrigierte Madame Dubois schnell, wobei sie ihre Birkin Bag krampfhaft mit den Fingern umklammerte. Als sie Hazels Blick bemerkte, ließ sie die Tasche los und seufzte. »Entschuldigen Sie. Es ist nur so … ich muss wirklich dringend aus meiner Wohnung raus.«

Sie schwieg.

Hazel hatte so viele Bewerbungsgespräche hinter sich, dass sie nicht nur müde war, auch ihre Stimme bewegte sich bedrohlich in Richtung ›Reibeisen‹. Deshalb wartete sie einfach ab.

Nach einigen Sekunden seufzte Madame Dubois erneut. »Er hat mich betrogen. Mehr als einmal. Ich bin extra von Paris hierhergezogen und wozu?« Sie schüttelte wie hypnotisiert den Kopf. »Eine Freundin in Frankreich hat mir eine App gezeigt, die Fotos auf dem Handy versteckt. Sie tarnt sie mit einem bestimmten Icon. Ich hatte mir sein Smartphone genommen, um für uns Essen zu bestellen, und da sah ich genau dieses Icon.«

Hazel schürzte die Lippen und hätte bestimmt etwas Nettes gesagt, wenn sie sich nicht bereits vier Lebensgeschichten hätte anhören müssen, die teils dramatische Wendungen aufwiesen. Trotzdem verspürte sie dezente Neugier. »Haben Sie denn reingeschaut?«

»Nennen Sie mich Fleur und ja, das habe ich.« Ihre Schultern fielen nach vorne. »Er hatte seine Standard-PIN genommen. Ich habe noch nie so viele Brüste gesehen.« Kurz wurde sie nachdenklich. »Und dabei gab es beim Film recht viele davon.«

Was Hazel beinahe zu der Frage veranlasst hätte, welche Art von Filmen Fleur denn so als Kostümbildnerin betreut hatte. »Aber willst du nicht zurück nach Paris?«

»Das geht auf keinen Fall.« Sie wirkte geradezu schockiert. »Es wäre peinlich, denn meine Freunde haben mich vor ihm gewarnt. Meine Familie hielte mich für eine Versagerin.« Sie holte tief Luft. »Außerdem gefällt mir London. Ich möchte die Stadt nicht wegen Godric verlassen. Zuerst habe ich ihm ja noch geglaubt, dass es ein Kunstprojekt ist.«

Hazel hob die Augenbrauen. Das wurde ja immer schlimmer. »Bis zu welchem Punkt?«

»Ich hielt sein Smartphone während des Streits in der Hand, als eine Nachricht einging«, erklärte Fleur. »Es war ein weiteres Bild angehängt.«

An diesem Punkt konnte sie sich den Rest durchaus denken. »Und wie soll es beruflich weitergehen?«

»Ich habe Kontakte«, kam es mit Betonung auf dem letzten Wort. »Da wird sich etwas finden. Hier in London ist die Filmbranche ja auch groß … es gibt so viele Möglichkeiten.«

Hazel war sich nicht sicher, ob das maximaloptimistisch oder weltfremd war, aber sie wünschte Fleur tatsächlich, dass es gelang. Die junge Frau hatte etwas an sich, das ihren Beschützerinstinkt weckte. Hinzu kam, dass die einzige ernsthafte Alternative als Untermieter ein Posaunenspieler war. Vor welches Problem sie das in naher Zukunft stellen würde, war absehbar.

»Dann zeige ich dir jetzt mal das Zimmer«, sagte sie.

»Oh, das heißt, Sie ziehen mich in Betracht?«

»Hazel, das Sie können wir wohl lassen«, gab sie zurück. »Und ja, ich denke, das könnte gut funktionieren.« Solange Fleur die Miete bezahlen konnte. Jetzt musste sie optimistisch sein.

Vom Wohnzimmer führte eine schmale Treppe nach oben unter das Dach, wo links Hazels Raum abging, geradeaus das Bad lag und rechts das Zimmer, das sie untervermieten wollte. Es war nicht sehr groß, aber gemütlich. Ein breites altmodisches Bett stand direkt am Fenster, daneben ein kleiner grün gestrichener Nachttisch. In der Wand gab es Steckdosen und USB-Anschlüsse für Ladekabel. Sie hatte das Zimmer ein, zweimal als Airbnb vermietet, doch nach dem letzten Reinlichkeitsdebakel wollte sie das Zimmer lieber dauerhaft vermieten.

»Du magst wohl … Blumen.« Fleur deutete auf die Vase mit den blauen Rosen, die auf einer rotgestrichenen Kommode stand, und lächelte verschmitzt, vermutlich mit dem Gedanken an ihren Namen.

Hazel lachte auf. »Eine Freundin hat einen Blumenstand auf dem Camden Market. Ich verkaufe dort selbst Produkte. Manchmal beschenken wir uns gegenseitig.«

»Ich liebe das Zimmer.« Fleur breitete die Arme aus und drehte sich. »Viel größer als die anderen, die ich besichtigt habe. Da konnte ich meine Arme noch nicht mal ausstrecken.«

Was mit einer unschuldigen Leichtigkeit vorgetragen wurde, ließ Hazels Brust enger werden. Ja, sie hatte Mitleid. Warum es noch weiter leugnen? »Du kannst das Zimmer haben.«

Fleur starrte sie an, als hätte Hazel sich gerade von einer blonden Mittvierzigerin in Jeans, T-Shirt und nicht mehr ganz so neuen Sneakern in einen Engel verwandelt. »Wirklich?«

»Oui«, bestätigte sie.

»Oh, merci.« Fleur sprang auf sie zu und umarmte sie kurz und heftig.

Ob diese Frau überhaupt Essen zu sich nahm? Sie war so dünn. Vielleicht eine spezielle Sportart, die sie Hazel verraten konnte. Oder irgendein Superfood.

»Eine Frage noch: Kann ich morgen schon einziehen?« Fleur schaute verlegen auf den Boden.

Eigentlich hatte Hazel den Ersten des nächsten Monats im Auge gehabt, der allerdings noch gut zwei Wochen entfernt war. In Fleurs aktueller Lage verstand sie das Bedürfnis gut, sofort auszuziehen. »Natürlich.«

»Wie schön!« Fleurs Magen gab ein Knurren von sich und Hazel hatte eine Idee.

»Lass uns doch gemeinsam nach unten gehen und etwas essen.« Sie warf einen Blick auf die Uhr. »Ich kenne den Besitzer. Da bekommen wir auch jetzt noch einen Happen.«

Der Fish & Chips Laden war seit vierzig Minuten offiziell geschlossen.

»Das ist eine schöne Idee. Dann können wir gleich anstoßen, auf unsere neue Wohngemeinschaft.«

Sie stiegen die Treppe wieder hinunter. Morgen würde Hazel eine Sammelmail an die dreißig Bewerber des Tages verschicken und ihnen mit Bedauern absagen. Erinnerungen an ihre Anfangszeit hier in der Stadt kamen ihr in den Sinn. Die verzweifelte Suche nach einer Unterkunft, schließlich ein winziges Appartement. Ihre Arbeit bei der Bank hatte die finanzielle Situation in den Folgejahren entspannt, dafür aber einen anderen Preis gefordert.

»Glaub mir, du wirst den Fisch lieben«, sagte Hazel. Aaren’s Fish & Chips stand in jeder Trip-App ganz weit vorne. Es erwies sich als Segen und Fluch zugleich, dass Hazel ausgerechnet über diesem Laden wohnte. Segen, weil sie jederzeit Zugriff auf dieses herrliche Essen hatte. Fluch, weil sie es viel zu oft in Anspruch nahm.

»Nun, Fisch ist nicht gerade mein Leibgericht«, sagte Fleur zaghaft. »Das hat traumatische Gründe in meiner Kindheit. Aber ich freue mich auf Chips.«

Hazel schnappte sich den Haustürschlüssel und öffnete die Tür. »Den Papierkram erledigen wir nachher. Und du müsstest sobald wie möglich die Kaution überweisen – und mir den Nachweis darüber geben.« Als ehemalige Bankerin wusste sie, wie viele Menschen auf Trickbetrüger hereinfielen.

Sie mochte Fleur, aber da ging sie lieber auf Nummer sicher.

»So machen wir das«, bestätigte diese.

Die Stufen knarzten, im Treppenhaus lag tatsächlich ein durchdringender Geruch nach Fisch in der Luft. »Jetzt weiß ich, was du meinst. Normalerweise riecht es nicht so intensiv.«

Die Hintertür zum Fish & Chips Laden war stets so lange geöffnet, bis Barrett – der Koch – alles sauber gemacht hatte. Sie kam öfter kurz nach Ladenschluss herunter und aß eine Kleinigkeit. Danach verfluchte Hazel sich jedes Mal selbst, weil zu spätes Essen ihrem Magen nie guttat. Aber heute musste das sein, da sie zwischen den Bewerbern keine Zeit für etwas Vernünftiges gehabt hatte.

Sie öffnete die Tür zum Laden und bedeutete Fleur, voranzugehen.

Der Boden war bereits gewischt, die Tische ebenfalls. An der Tür hing das Schild mit den Öffnungszeiten und dem Hinweis, dass geschlossen war. Auf jedem der Tische stand ein kleiner Halter aus Edelstahl mit Salz und Pfeffer und einer Speisekarte. Das braune Holz in Kombination mit den Stühlen aus poliertem Metall verlieh dem Laden eine Ausstrahlung, die sie für sich als eleganten Pier-Chic bezeichnete. Man erwartete jeden Augenblick, dass ein Dockarbeiter hereinspazierte und dahinter ein cooler Hipster in Baggy Jeans und mit Schnurrbart.

»Optisch gefällt es mir«, sagte Fleur und rümpfte die Nase.

Der Geruch war wirklich durchdringend. Als sei ein Fisch gerade dabei, schlecht zu werden. Was kaum zu Barrett passte, denn Sauberkeit war sein größtes Hobby. »Barrett! Hast du noch eine Kleinigkeit für zwei Verhungernde?«

Stille.

Normalerweise nahm er sofort das Öffnen und Schließen der Hintertür wahr, selbst über brutzelndes Fett und Stimmengewirr hinweg.

Hazel überfiel ein seltsames Gefühl, das sie noch nicht richtig einordnen konnte. Unruhe traf es wohl am ehesten.

»Hat er vielleicht Ohrenstöpsel?«, fragte Fleur.

Was durchaus eine Möglichkeit war, obgleich sie Barrett bisher nie damit gesehen hatte. »Finden wir es heraus.«

Sie steuerte auf die Küche zu und Fleurs trippelnde Schritte verdeutlichten, dass sie ihr folgte. Der Geruch von schlechtem Fisch wurde unerträglich und fast beißend.

Der Durchgang bestand aus einer Schwingtür, die vom Pächter des vorigen Restaurants eingebaut worden war. Hazel stieß beide Flügel beiseite und betrat Barretts Reich.

Eine Person lag auf dem Boden, neben sich die Splitter eines zerbrochenen Tellers und die Reste einer Portion Fish & Chips.

»Nein«, hauchte Fleur hinter ihr. »Hier esse ich lieber nichts.«

KAPITEL 2

»Ist er tot?« Fleurs Stimme drang von der Küchentür an Hazels Ohr.

Sie war zu Barrett geeilt, fühlte seinen Puls. Den gab es jedoch nicht mehr. Keine Atmung, kein Herzschlag, kein gar nichts. »Er ist tot«, bestätigte sie.

Bei genauerer Betrachtung entdeckte Hazel, dass die Reste des Essens sich bis unter den Bereich vor der Edelstahlspüle verteilt hatten. Der üble Geruch kam jedoch nicht davon. Die Tür des Kühlschranks stand offen. Darin lag ein roher Fisch, nicht abgedeckt und daneben ein Stück frittierter Fisch. Seltsam, sie wusste, dass Barrett großen Wert auf Qualität legte, es wurde grundsätzlich nichts aufbewahrt und der Fisch wurde am Morgen auf Eis direkt aus der Markthalle geliefert. An der Anrichte war zudem ein wenig Blut, hier musste er beim Sturz aufgeschlagen sein.

»Ich rufe die Polizei.« Fleur hielt ihr Smartphone bereits in Händen.

Hazel nickte ihr zu, während sie sich weiter umsah. An diesem Bild wollte so einiges nicht passen.

»Die Metropolitan Police hat mir versichert, dass sie gleich jemanden schicken. Auch einen Krankenwagen.« Fleur war zu ihr getreten. »Alles in Ordnung mit dir?«

Sanitäter konnten hier nichts mehr tun, außer den Leichnam abzutransportieren. »Mir geht es gut. Danke.«

Stimmte das? Hazel lauschte in sich hinein. Sie hatte Barrett gemocht. Er war fast wie ein Freund gewesen, denn sie hatte in den letzten Jahren viel zu oft hier gegessen. Immer hatte er sie mit einem Lächeln begrüßt und sie nie verhungern lassen.

»Dir geht es nicht gut.« Fleur legte ihr die Hand auf die Schulter und spendete durch diese simple Geste Kraft. »Vielleicht sollten wir draußen warten.«

Ein letzter Blick auf das Szenario, dann gingen sie aus der Küche in den Gastraum. Hazel unterdrückte den Impuls, die Kühlschranktür zu schließen. Sie durfte keine Spuren beseitigen, ebenso wenig welche hinterlassen.

Sie setzten sich an einen Tisch neben die Eingangstür.

»War er allergisch auf Fisch?«, fragte Fleur.

Hazel blinzelte. »Was, wieso?«

»Es sieht so aus, als hätte er davon gegessen«, sagte sie.

»Glaub mir, Barrett hätte kein Stück angerührt.« Sie setzte eine bedeutsame Miene auf. »Er hasste Fisch.«

Fleur erwiderte ihren Blick verblüfft. »Aber …« Sie machte eine ausladende Armbewegung. »Er arbeitete hier.«

»Er liebte das Kochen, doch nicht jede Speise«, entgegnete Hazel. »Das darf Aaren niemals erfahren, sein Meisterkoch hat sich täglich in der Mittagspause Falafel oder Sandwiches geholt. Am Stand die Straße runter. Einmal saßen wir nach Feierabend zusammen und ich hab ihm ein Stück Fisch angeboten. Er hat als Teenager auf einer Klassenfahrt nach Hamburg ein schlechtes Fischbrötchen gegessen und sich zwei Wochen lang übergeben. Seitdem konnte er ihn nicht mal mehr riechen. An manchen Tagen hat er sich Minzcreme unter seine Nase gerieben.«

»Das ist mir mal mit einem Eclair passiert«, sagte Fleur. »Glücklicherweise habe ich keine Übelkeit entwickelt und esse sie heute noch gerne.«

»Dein Ernst?«

Sie öffnete ihre Birkin Bag, kramte darin herum und nahm einen Plastikbeutel heraus. Verwirrt beobachtete Hazel, wie sie ein Mini-Eclair hervorzog und zu essen begann.

Fleur hatte etwas Interessantes angesprochen. Fisch lag auf dem Boden und im offenen Kühlschrank. Das Bild schrie förmlich jedem Betrachter zu, dass der Koch nach einem langen Tag einen kleinen fischigen Snack zu sich genommen hatte. »Er hätte sich eher umgebracht.«

»Was?« Fleur verschlang den letzten Bissen ihrer süßen Gebäckstange.

»Sorry. Schlechte Wortwahl.«

Endlich blitzte das typische Blaulicht eines Polizeifahrzeugs auf. Flackernd und deutlich sichtbar. Ein junger Constable kam zusammen mit einer Kollegin an die Tür und klopfte. Hazel drehte den Knauf und öffnete. »Küche.«

Die beiden eilten an ihr vorbei.

Kurz darauf taumelte der Constable an ihnen vorbei und auf die Straße, krümmte sich und erbrach seinen Mageninhalt.

»Er mag wohl auch keinen Fisch«, bemerkte Fleur mitleidig.

Er richtete den Oberkörper wieder auf, räusperte sich und näherte sich mit durchgestrecktem Rücken den beiden Frauen. Vermutlich stellte das den Versuch dar, einen Rest Würde aufrechtzuerhalten. »Und Sie beide haben das Opfer gefunden?« Seine Stimme klang mitgenommen.

Fleur hielt ihm die offene Tüte entgegen. »Eclair?«

»Danke, aber ich bin im Fisch … äh, ich meine: im Dienst.« Er wedelte mit der Hand.

»Darf man da kein Gebäck essen?«, konnte Hazel sich nicht verkneifen und grinste.

»An Tatorten esse ich grundsätzlich nichts«, erklärte er. »Ist schon mal einem Kollegen zum Verhängnis geworden. Ein Griff nach dem Marzipanplätzchen und – schwups – hatte er die Blausäure verschluckt.«

Fleurs Stirn kräuselte sich.

»Wir haben ihn gefunden«, erklärte Hazel. »Ich wohne über dem Geschäft.« Sie stellte sich und Fleur vor.

»Ich bin ihre neue Untermieterin«, warf Fleur ein.

»Glückwunsch, Wohnungssuche in London ist wirklich übel.« Er nickte mitfühlend.

Laut Namensschild handelte es sich um Constable P. Little. Was eindeutig auch auf die Berufserfahrung zutraf; vermutlich sein erstes Jahr auf Streife. Ihn umgab eine ähnliche Wolke der naiven Unschuld wie Fleur. Das gelockte schwarze Haar und die glatte bleiche Haut ließen ihn zusätzlich jünger wirken.

»Jedenfalls wollten wir hier anstoßen«, erklärte Hazel. »Mit Essen. Also bildlich.«

Er starrte sie verwirrt an.

»Wir hatten Hunger«, rettete sie sich. »Und als wir ankamen, roch es stark nach Fisch.«

Das Gesicht von Constable Little bekam einen Farbstich, der irgendwo zwischen kreideweiß und grasgrün lag. »Und der war eindeutig schlecht. Das war bestimmt eine Lebensmittelvergiftung oder so was.«

»Erstens stirbt man selten an einer Lebensmittelvergiftung …«, setzte Hazel an.

»Außer man hat ein geschwächtes Immunsystem«, unterbrach er sie. »Oder erstickt an einem Stück mit Gräte.«

»Das ist doch Unsinn. Er ist nicht erstickt, da gab es keine geplatzten Äderchen, keine blauen Lippen«, stellte sie klar. »Und zudem hasste er Fisch.«

»Kann ich nachempfinden«, sagte der Constable.

»Ach.« Fleur nahm seine Hand in ihre und tätschelte diese. »Was war es denn bei Ihnen?«

»Kindheitstrauma«, erklärte er. »Ich habe immer gerne Comics gelesen. Die mit den Galliern. Die sich ständig mit Fischen hauen.«

Hazel wollte ihn und Fleur unterbrechen, konnte es aber irgendwie nicht. Es hatte etwas von zwei flauschigen Häschen, die sich unterhielten, während neben ihnen ihre Schlafmulde explodierte. Man konnte nicht wegsehen und war auf beängstigende Weise fasziniert.

»Und dieser Comic war so grausam?« Fleurs Augen weiteten sich. »Diese Gallier waren sicher schrecklich.«

Sie hatte eindeutig nicht verstanden, um welchen berühmten Comic es hier ging.

»Nein, mein Bruder.«

»Ihr …« Hazel wusste nicht mehr, was sie sagen sollte, was irgendwie beruhigend war.

»Er wollte die Szene nachspielen und hat mit einem ziemlich großen Fisch auf mich eingeschlagen«, erklärte der Constable. »Ich stank noch Tage danach.« Seine Lippen zuckten verdächtig.

»Das tut mir sehr leid«, hauchte Fleur. »Bei mir war es mein Papa. Er hat mich ärgern wollen und ein Fischauge in der Suppe schwimmen lassen.«

Hazel musste schlicht ihr Lachen unterdrücken. Gleichzeitig kam sie sich allein bei dem Gedanken, hier in Gelächter auszubrechen, schäbig vor. »Haben Sie Ihre Dienststelle verständigt? Damit jemand für die Ermittlungen kommt?«, fragte sie deshalb schnell.

»Wir werden uns um alles Weitere kümmern.« Der Constable besann sich wohl darauf, dass er derjenige war, der den Ton angeben sollte. »Bitte geben Sie mir noch Ihre Adresse, dann können Sie gehen.«

Hazel starrte ihn ausdruckslos an und deutete mit ihrem Finger gen Decke. Er folgte der Fingerspitze mit seinem Blick.

»Richtig.« Die bleiche Farbe der Wangen wurde von einem dezenten Rosaton verdrängt. »Ach ja. Sie wohnen ja da oben. Wenn wir noch Fragen haben, melden wir uns.«

Der berühmte Rauswurf.

Fleur verstand. Sie zog einen Stift samt Notizblock aus ihrer Tasche und kritzelte ihre Nummer darauf. »Rufen Sie gerne jederzeit an.«

---ENDE DER LESEPROBE---