Vollpension mit Therapie - Bernd Ernst - E-Book

Vollpension mit Therapie E-Book

Bernd Ernst

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Beschreibung

Bernd Ernst zieht in seinen Erzählungen alle Register des Satirischen und Absurden. Die Charaktere seiner Kurzgeschichten stranden in den Reizfluten des (all-)täglichen Wahnsinns, rudern, strampeln, schreien nach Hilfe, ziehen sich mit letzter Kraft an Land, nur um dann mit „Zärtlichkeiten für Havarierende“ belohnt zu werden – dem berühmten Tritt in die Fresse. Schrill, witzig und böse.

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Seitenzahl: 191

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„Shoot my ego, baby!”

periplaneta

BERND ERNST: „Vollpension mit Therapie“

1. Auflage, Oktober 2013, Periplaneta Berlin, Edition Periplaneta

© 2013 Periplaneta - Verlag und Mediengruppe Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Str.81a, 10439 Berlinwww.periplaneta.com

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag und Übertragung, Vertonung, Verfilmung, Vervielfältigung, Digitalisierung, kommerzielle Verwertung des Inhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Lektorat: Julia Bossart Meister Cover: Nicole Altenhoff, www.nicoletta-illustration.de Satz & Layout: Thomas Manegold

print ISBN: 978-3-943876-69-7 epub ISBN: 978-3-943876-40-6E-Book-Version: 1.2

Bernd Ernst

Vollpension mit Therapie

periplaneta

Hungrig nach mehr

Bevor ihn der Erfolg auf dem Thron des Literatur-Olymps Platz nehmen ließ, betrieb Fröhlich eine drittklassige Agentur mit Sitz in einem abgetakelten Frankfurter Bürohaus und versuchte, die Werke von selbsternannten Schriftstellern an Verlage zu vermitteln. Die Aussichten waren damals genauso trübe wie der Blick durch das Fenster in seinem Büro auf das Nachbargebäude, das eine graue schmucklose Fassade zeigte. Die meisten Räume dahinter waren leer, nur eine Wäscherei im Erdgeschoss kämpfte weiter tapfer ums Überleben. Wenn der Wind schlecht stand, wehte der Geruch der Wäschelauge herüber.

Auf seinem Schreibtisch stapelten sich Manuskripte – Belletristik, Fach- und Sachbücher. Kaum einer von den ambitionierten Möchtegern-Bestsellern hatte je etwas von der Normseite gehört. Sie träumten vom Nobelpreis, belästigten der Reihe nach erst die großen, dann die mittleren und kleinen Verlage, schließlich landeten sie hier bei der Literaturagentur Fröhlich und wunderten sich, warum ihnen der literarische Durchbruch versagt blieb, aber um die essentiellen Dinge, wie ein Manuskript auszusehen hat, darum kümmerten sie sich nicht. Zum Glück besaßen die Autoren, die sich an ihn wandten, mittlerweile alle einen PC oder einen Laptop und konnten mit einem halbwegs ordentlichen Ausdruck aufwarten – Fröhlich wollte sich seinen Computer nicht mit Viren verseuchen lassen und bestand deshalb auf ausgedruckten Manuskripten mit Exposé und einer Kurz-Vita mit Angabe der bisherigen Veröffentlichungen –, nur noch selten waren darunter Exemplare, die mit der Schreibmaschine oder per Hand geschrieben waren. Voller Ekel erinnerte er sich an ein besonders schlimmes Manuskript, auf dessen Deckblatt der Abdruck einer Kaffeetasse zu sehen war und das nach Zigarettenqualm roch.

„Was denken sich diese Leute eigentlich?”

Den meisten schickte er nach einer kurzen Prüfung seinen Standardbrief, lehnte das vorliegende Werk ab, ermunterte sie aber, an anderer Stelle nachzufragen, weiterzumachen, vielleicht ergäbe sich ja etwas, usw., usf. Ihre Enttäuschung konnte er sehr gut nachvollziehen, erging es ihm doch allzu oft nicht anders, wenn er glaubte, etwas Verwertbares vor sich liegen zu haben, für das er zum Hörer griff und seine Lektoren anrief. In dieser Zeit lag er zu häufig daneben, man ließ es ihn deutlich spüren und es wurde langsam eng für ihn. Es musste etwas passieren – ein Liebesroman, der nach Veröffentlichung verfilmt würde, eine Komödie oder ein Thriller. Sogar eine Horrorgeschichte würde er nehmen, wenn es ihm die dringend benötigten Silberlinge einbrachte. Aber war ihm das bisher gelungen? Er hörte schon wieder die Stimme seiner Ex-Frau durch den Telefonhörer, die ihn mahnte, seinen Unterhalt für sie und die Kinder zu zahlen, sie müssten auch von etwas leben. Wie er das hasste, als ob er im Luxus schwimmen würde.

Fröhlich wollte gerade einen Lieferservice anrufen, um sich eine Pizza zu bestellen, als es klingelte. „Wer kann das sein?” Er ging ans Fenster, blickte auf die Straße hinunter, sein Büro lag im dritten Stock. Vor der Tür stand neben seinem weinroten Passat ein alter Ford Transit, mit psychedelischen Farben angemalt. „Um Himmelswillen – ein Hippie!” Hatte er nicht ausdrücklich auf seiner Homepage darauf hingewiesen, dass er Besuche nur nach vorheriger Terminvereinbarung wünschte? „Ignoranten!” Am liebsten hätte er nicht aufgemacht, aber der Besucher oder die Besucherin blieb hartnäckig und Fröhlich betätigte den Türöffner.

Kurze Zeit später stand er vor ihm, der Typ, der Fröhlichs Leben entscheidend verändern sollte. Als er ihn in seinem Büro begrüßte, ahnte Fröhlich davon noch nichts.

„Guten Tag, mein Name ist Jimmy Durango. Ich bin Dichter, Erzähler, Romancier, Dramatiker, alles in einer Person! Ich möchte Ihnen eine Geschäftsbeziehung vorschlagen.”

„So! Eine Geschäftsbeziehung?” Fröhlich war nicht sehr erbaut von dem, was er sah: ein um mindestens einen Kopf kleinerer Mittfünfziger mit faltigem Gesicht, die ergraute Mähne zu einem Pferdeschwanz zusammengesteckt, blickte zu ihm auf. Der hagere Körper steckte in Mokassins, Jeans und Hawaii-Hemd. Fröhlichs Miene verfinsterte sich, als Jimmy Durango, derAll-in-One-Literat, unaufgefordert, aber umso zielstrebiger an ihm vorbeiging, aus der mitgebrachten Tasche mehrere Manuskripte und einen Laptop herausholte, in den er eine UMTS-Karte steckte, um sich ins Internet einzuwählen. Wie selbstverständlich schob Durango die Papiere auf Fröhlichs Schreibtisch zur Seite und setzte sich auf seinen Bürostuhl.

Fröhlich merkte, wie sein Adrenalinpegel stieg, aber irgendwie war er auch paralysiert von soviel Arroganz.

„Setzen Sie sich!”, sagte Durango.

Fröhlich ließ es sich gefallen, wie man mit ihm in seinem Büro umging. War er jetzt der Bittsteller oder was?

„Ich zeige Ihnen meine Homepage und erkläre Ihnen, was ich vorhabe. Hier sind meine Werke. Sie können schon mal den Vertrag vorbereiten!”

„Jetzt mal langsam, Herr Durango. Das geht jetzt ein bisschen schnell, finden Sie nicht auch?”

„Wir haben keine Zeit zu verlieren, Herr Fröhlich – den Letzten beißen die Hunde! Sehen Sie her!”

Fröhlich ging um seinen Schreibtisch herum und blickte auf den Laptop. Darauf sah er Durango, wie dieser auf YouTube einen seiner Texte vortrug.

„Leider sind die Lautsprecher defekt, aber Sie können alles nachlesen.” Durango zeigte auf den Stapel seiner mitgebrachten Manuskripte. Fröhlich erkannte sogleich die geforderte Normseite. Das hatte er dem Hippie gar nicht zugetraut. Zum Lesen kam Fröhlich nicht, denn Durango klickte auf seine Favoriten und seine Homepage wurde angezeigt.

„Sieht fast professionell aus”, dachte sich Fröhlich beim ersten Blick und empfand sogar etwas Neid, wenn er den Internetauftritt des Freaks mit seinem verglich. Auf die Inhalte gingen sie aber wiederum nicht ein.

„Hören Sie zu, was ich vorhabe. Wir wissen beide, dass man nur mit einer gehörigen Portion Glück zu der benötigten Aufmerksamkeit gelangt, um auf Dauer Interesse zu wecken, deshalb habe ich mir eine besondere Aktion überlegt: Ich werde so lange abhängen, bis mich der renommierteste Verlag Deutschlands druckt, und das meine ich wörtlich! Mehr habe ich nicht zu sagen. Sie werden bis dahin die Stellung halten und alle Anfragen der Medien entgegennehmen und koordinieren. Haben Sie verstanden?”

„Nein!”, sagte Fröhlich und glaubte, von Durango selbst den Beweis seiner Unzurechnungsfähigkeit erhalten zu haben.

„Noch mal, Sie müssen nichts weiter tun, als Anfragen annehmen und zu koordinieren. Das bekommen Sie doch hin? Sie sind doch Profi!”

Natürlich bekäme er das hin, antwortete Fröhlich, denn das war genau das, was der Freak hören wollte. Fröhlich hoffte, er würde ihn somit wieder los sein und könnte endlich seine wohlverdiente Pizza bestellen, denn sein Magen knurrte bereits.

„Also abgemacht! Sie hören dann von mir”, sagte Durango, packte seinen Laptop wieder ein, gab Fröhlich zum Abschied die Hand und war genauso schnell verschwunden, wie er gekommen war.

Fröhlich schüttelte den Kopf, als er dem Ford Transit mit Zwillingsbereifung auf der Hinterachse hinterher sah, bevor er endlich den Lieferservice anrief.

Fröhlich hatte längst das letzte Stück Pizza Tutto in seinem Magen verschwinden lassen und war etwas müde vom Essen geworden, als das Telefon läutete. Die Stimme eines Polizisten meldete sich.

„Sind Sie Joachim Fröhlich, der Literaturagent von Jimmy Durango, dem Schriftsteller?”

„Ja, das heißt nein!”, antwortete Fröhlich.

„Ihr Schützling hängt in einem Netz am Maintower und sagt, er komme nicht eher heraus, bis seine Forderungen erfüllt sind! Setzen Sie sich bitte sofort in Bewegung und reden Sie ihm diesen Quatsch aus!”

„Wie kommen Sie auf mich?”

„Wie schon gesagt, er behauptet, Sie seien sein Agent!”

Fröhlich ließ alles stehen und liegen, rannte zu seinem Wagen und fuhr zum Maintower.

Vor dem Turm standen ein Notarzt, ein Krankenwagen, Feuerwehr- und Polizeiautos sowie ein ganzes Rudel an Einsatzkräften und Schaulustigen. Es herrschte Chaos, die Straßen in unmittelbare Nähe des Komplexes waren verstopft, so dass Fröhlich weit davor aussteigen musste und sich zu Fuß näherte.

An der Absperrung ging er auf einen Polizisten zu und gab sich als Durangos Agent zu erkennen. Sofort wurde Fröhlich zum Einsatzleiter geführt und anschließend mit dem Aufzug zur Aussichtsplattform gebracht. Einige Meter darunter hing der Freak in einem Netz, wie ein Insekt in seinem Kokon.

Der Einsatzleiter ging mit Fröhlich zur Brüstung und rief hinunter: „Durango, Ihr Agent ist hier!”

Im Netz regte sich etwas, Durango reckte den Kopf nach oben. Fröhlich rief nach unten: „Durango, haben Sie den Verstand verloren? Was soll das Ganze hier? Kommen Sie sofort wieder hoch, bevor etwas Schlimmes passiert und jemand zu Schaden kommt!”

„Fröhlich, wir haben eine Abmachung! Ich habe Ihnen gesagt, was Ihre Aufgabe ist, koordinieren Sie die Anfragen und machen Sie Ihren Job! Mir wird nichts passieren, ich bin auf alles vorbereitet und halte es hier eine ganze Weile aus!”

Fröhlich blickte wieder zum Einsatzleiter: „Eigentlich kenne ich den Mann überhaupt nicht!”

„Versuchen Sie nicht, mich zum Narren zu halten, dafür habe ich weder Lust noch Zeit! Bringen Sie den Mann dazu, zu uns heraufzukommen!”

Fröhlich probierte es mehrere Male erfolglos. Durango wiederholte stattdessen seine Forderung und wollte mit einem Medienvertreter sprechen. Schließlich ließ man einen Reporter der FAZ vor. Dieser musste Durango versprechen, über ihn zu berichten. Durango hatte alles vorbereitet. Er rief dem Reporter die Adresse seiner Homepage hinauf. Dort könne er Einblick in seine Werke, seine Facebook-Seite, seinen Blog und auch die verschiedenen Video-Clips auf YouTube nehmen. Damit sei alles gesagt.

Fröhlich war schwindlig dort oben und er war froh, als er wieder festen Boden unter seinen Füßen hatte. Die Polizisten stellten noch einige lästige Fragen, bis sie ihn endlich in Ruhe ließen.

„Was bildet sich dieser Spinner ein, so einen Wirbel zu veranstalten?”

Als Fröhlich sich wieder erholt hatte, ging er zu seinem Wagen und fuhr nach Hause.

Am nächsten Tag war die Geschichte in aller Munde, man las in der Zeitung davon, hörte den Radiosprecher davon berichten, sogar das Fernsehen kümmerte sich ausführlich um den Fall.

Als Fröhlich sein Büro betrat, ertrank er förmlich in einer Flut von Faxen. Sein Posteingang in seinem E-Mail-Programm war übervoll. Fröhlich klickte sich auf Durangos Homepage. Der hatte das clever gemacht. Dort stand alles zu lesen, was ein Journalist braucht. Sogar etwas über Fröhlich!

„Vielleicht ist der Freak doch nicht so dumm?”, fragte sich Fröhlich.

Das Telefon stand den ganzen Morgen nicht still. Jeder wollte etwas über den komischen Vogel wissen oder machte Angebote. Eine unglaubliche Menge an Verlagen war darunter. Nur der renommierteste hielt sich bedeckt.

Fröhlich fuhr am Nachmittag wieder zum Maintower, um Durango davon zu berichten. Er kämpfte sich wieder durch den Verkehr und die Menschenmenge zum Aufzug. Oben angelangt schrie Fröhlich in Begleitung eines Polizisten gegen den aufgekommenen Wind an. „Durango, Sie glauben nicht, was los ist! Alle wollen Sie haben, Sie müssen heraufkommen, dann können wir loslegen!”

„Alle?”

„Was?”

„Alle?”, wiederholte Durango seine Frage, diesmal etwas lauter.

„Was meinen Sie mitAlle?”

„Ich meine, wollen mich wirklich alle haben oder fehlt die Anfrage eines bestimmten Verlages darunter?”

Fröhlich überlegte kurz, bevor er antwortete: „Sie haben recht, eine Anfrage fehlt!”

„Dann kümmern Sie sich darum, sonst kann ich hier nicht weg!”

Der Polizist sah Fröhlich fragend an.

„Ist schon gut, das wird nicht lange dauern, ich weiß, wen er meint! Geben Sie mir ein paar Stunden und der Spuk hier ist beendet!”

In seinem Büro rief Fröhlich Durangos Wunschverlag an. Der Cheflektor sagte, er habe mitbekommen, was gespielt wird, aber man würde sich dadurch nicht unter Druck setzen lassen, schließlich sei man ein seriöser Verlag und wer ist denn dieser Jimmy Durango überhaupt? Nie was von dem gehört! Da könnte ja jeder kommen! Damit legte er auf.

Fröhlich spürte, wie sein Adrenalinspiegel anstieg. „Diese arroganten Wichtigtuer, was glauben die, wer sie sind?” Ihm fiel der Reporter wieder ein, der hatte ihm seine Visitenkarte in die Hand gedrückt. Fröhlich rief ihn an und berichtete von dem soeben geführten Telefonat.

Einen Tag später rief der Cheflektor Fröhlich an. Man sei zu Gesprächen bereit. Der Artikel in der FAZ sei Image-schädigend – wie könne ein Verlag das Leben eines Menschen aufs Spiel setzen, nur wegen seines künstlerischen Anspruchs? Eine unglaubliche Anzahl von Lesern habe im Verlag angerufen und sich beschwert. Buchhändler seien von ihren Bestellungen zurückgetreten. Ein drohender Umsatzverlust zeichne sich ab.

Fröhlich vereinbarte ein Treffen auf dem Maintower. Er hatte das Gefühl, dem Lektor nicht trauen zu können, und wollte für den nächsten Schritt Durango dabei haben.

Der Cheflektor erschien. Fröhlich erwartete ihn bereits mit dem Einsatzleiter und dem Reporter der FAZ. Man sprach gemeinsam mit Durango. Der verlangte einen seriösen Vertrag für sein Gesamtwerk – und keine Tricks, sonst würde er sich in die Tiefe stürzen. Dem Cheflektor blieb nichts anderes übrig, als darauf einzugehen, schließlich verfolgte die FAZ hautnah sein Handeln. Also telefonierte er kurz mit einem seiner Mitarbeiter und beorderte diesen mit dem Schriftstück her.

Als dieser erschien, unterschrieb der Cheflektor den Vertrag mit seinem goldenen Füllfederhalter und übergab das Papier an Fröhlich. Durango rief von unten, er wolle den Vertrag lesen, außerdem wolle er eine Casting-Show in einem öffentlich-rechtlichen Sender. Er, Durango, würde darin eine Art Mentor abgeben, um literarischen Talenten im Fernsehen eine Plattform zu geben, sich und ihre Werke zu präsentieren.

Kein schlechter Gedanke, wie Fröhlich fand, insbesondere als er hörte, dass auch er zur Jury gehören solle, die den oder die Beste aus den Talenten zusammen mit dem Publikum küren sollte. Durango bestand darauf, dass auch hier ein Vertrag eiligst herbeigebracht werden solle, in dem die Anzahl der Ausstrahlungen pro Jahr und eine Mindestlaufzeit der Show vereinbart ist. Natürlich müsste darin auch stehen, dass Durango alleinig für die Inhalte des Formats verantwortlich ist und über ein angemessenes Budget mit zugehörigem Mitarbeiterstamm entscheiden dürfe.

Der Reporter der FAZ grinste und wusste bereits, während die Sonne über dem Himmel von Frankfurt strahlte, was er zu schreiben hatte, damit auch die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Aufgabe in Durangos Konzept erfüllten!

Wie bereits gesagt, das passierte alles, bevor Fröhlich auf dem Thron im Literatur-Olymp Platz nahm. Durangos Bücher wurden absolute Renner, zierten monatelang die vordersten Plätze der Bestsellerliste. Die Klicks auf den YouTube-Videos erreichten neue Rekorde. Seine Facebook-Seite ging regelmäßig in die Knie. Dieser riesige Erfolg konnte nur noch getoppt werden durch die Quoten der Casting-Show. Vergleichbare Formate, bei denen Gesangstalente gesucht wurden, mussten eingestellt werden. Deutschland war erstaunt, wie viele begnadete Schriftsteller es in diesem Land gab und gibt!

Fröhlich ist an allen ihren Vertragsabschlüssen beteiligt, denn auch das hatte Durango als Klausel einarbeiten lassen.

Jetzt bestellt sich Fröhlich keine Pizza Tutto mehr zum Mittagessen, sondern schlürft Austern oder isst Hummer und trinkt Champagner.

Und Durango, was macht der zusätzlich zu den Shows? Der hat weitere Aktionen geplant, um die Literatur auch in anderen Ländern nach vorne zu bringen. Bei seinem letzten Telefonat hat er von New York, Moskau und Peking gesprochen.

Fröhlich kann es nicht glauben, der Typ, der übrigens weiterhin den Ford Transit fährt, ist immer noch hungrig nach mehr!

Kochrezepte für Neandertaler

Im Verlag nennen mich alle Chu Mei. Das ist eine klitzekleine Abwandlung der Abkürzung meines Vor- und Nachnamens. Mir gefällt diese Variante sehr, weil sie so asiatisch klingt. Dabei bin ich Deutsche. Ich kann mich jetzt nicht mehr daran erinnern, wer mich als Erster so nannte, aber zumindest an die Zusammenhänge, wie es dazu kam, erinnere ich mich klar und deutlich:

Ich habe ein Faible für die asiatische Küche. Sie schmeckt mir einfach besser und tut meinem Körper gut. Es gab einen Streit in unserer Kantine, wegen des Essenangebots. Ich beschwerte mich lauthals beim verantwortlichen Koch. Anstelle von Schnitzeln, fettigen Pommes und Bratwürsten wollte ich viel lieber Frühlingsrollen, Chop Suey und Bami Goreng, aber er ließ mich abblitzen. Daraufhin machte ich einen Aufruf per Aushang am Schwarzen Brett: Wer genauso denke wie ich in der Ernährungsfrage eines gesundheitsbewussten Verlagshauses, der solle sich bei mir melden. Ich unterzeichnete mit der nicht abgewandelten Abkürzung meines Namens und schrieb dahinter meine Durchwahl. Das war durchaus so üblich, auch in Rundschreiben. Jeder wusste, um wen es sich handelte.

Meine Intervention war erfolgreich. Auf meine Initiative meldeten sich Gleichgesinnte. Wir formulierten Menüvorschläge, der Chefkoch knickte ein und seither hat sich unser Mittagessen massiv verbessert. Köstlich!

Der Wirbel, den ich veranstaltete, blieb natürlich meinem Vorgesetzten nicht verborgen. Er rief mich zu sich und ich musste mich erklären. „Ich glaube, wir ernähren uns falsch, sowohl biologisch als auch geistig! Meiner Meinung nach sollte es zumindest in Deutschland eine Behörde geben, die unsere biologische Ernährung reglementiert und steuert. Vielleicht sogar täglich überwacht? Somit wäre dann weitestgehend ausgeschlossen, dass jemand durch das, was er zu sich nimmt, sich körperlichen Schaden zufügt! Bei der geistigen Ernährung kann ich ja selbst eingreifen.”

Ich arbeite als Lektorin und bin somit ganz dicht dran an den Produzenten für geistige Erzeugnisse. Mein Cheflektor lächelte, als ich so entschieden meine Überzeugung kundtat.

„Der Meinung bin ich auch. Deshalb werden Sie sich ab sofort um den Neandertaler kümmern!”

Ich war bedient. Das war schon das zweite faule Ei, das er mir ins Nest legte. Das erste heißt Annabelle Black, eine Domina a. D., die auf den bürgerlichen Namen Hiltrud Schwarz hört und vor Jahren die Eingebung bekam, sie müsse ihre Peitschen an den Nagel hängen und stattdessen den Bleistift schwingen, genügend Stoff für Geschichten habe sie ja. Ihr Erstling schlug ein wie eine Bombe. Der Roman wurde ein internationaler Erfolg. Mit diesem Kompendium an Schmerzverherrlichung rollten wir den amerikanischen Markt auf, was uns vorher nie gelungen war, anspruchsvoll, wie wir gewesen waren. Die ganzen verzweifelten Hausfrauen rissen uns den Wälzer förmlich aus der Hand und zuhause zogen sie dann blank und ließen sich vertrimmen. Überall – in den Cafés, in der U-Bahn, im Fitness-Center – wusste man darüber Bescheid, was abging, aber keine gab offen zu, dass sie mitmachte, obwohl doch offensichtlich war, wer dazugehörte und sich deshalb nicht mehr auf seinen Allerwertesten setzen konnte. Man war bei uns im Hause so euphorisch wegen der Verkaufszahlen, hatte Blut geleckt, wollte natürlich mehr und gab Hiltrud, völlig kopflos aus meiner Sicht, einen Rentenvertrag: zehn weitere Klopfschinken, Pardon – Nachfolgeromane des gleichen Stils, herausgegeben durch unseren Verlag. Jährlich einen großzügigen Vorschuss. Unsere Marketingabteilung schmiss körbeweise Kohle aus dem Fenster, ritt Kampagne um Kampagne über die Kontinente – umsonst. Leider herrschte Funkstille bei Annabelle Black und keiner hat es geschafft, aus der guten Hiltrud wieder etwas Vernünftiges herauszubekommen.

Das zweite Ei war derNeandertaler, der im wahren und im Berufsleben Friedhelm Schön heißt, aber leider seinem Nachnamen keine Ehre macht, sondern eher dem Vorläufer des Homo Sapiens gleicht. Er ist so was wie der Papst für vegetarische Kochbücher. Auch er hatte eine Krise. Das groß angekündigte neue Werk wollte einfach nicht gelingen. Ihm gingen die Rezepte aus!

„Dir werde ich’s zeigen!”, dachte ich mir und meinte dabei meinen Vorgesetzten. Ich verwandelte meine Gesichtszüge in ein Pokerface, sagte ganz cool: „In Ordnung, ich freu mich drauf!”, und verließ das Büro meines Chefs. Am liebsten hätte ich ihn mit meinem Gürtel versohlt!

Als ich später in die Kantine ging, war die Neuigkeit natürlich schon rum. Die Kollegen von der Schnitzel-mit-Pommes-Fraktion grinsten.

Nach der Mittagspause hing ein Zettel an meiner Bürotür, der mir meinen Spitznamen einbrachte.

Da hat sich die tapfere Chu Mei aber zwei schöne olle Bratwürste eingehandelt! Lass sie Dir schmecken!

Kein Absender. Diese Feiglinge!

„Euch wird das Lachen schon noch vergehen, ihr werdet sehen!”, dachte ich und ballte kampfbereit die Fäuste. Ich bin nicht nur eine Frau, die für ihre Überzeugungen eintritt, ich bin auch kreativ. Es dauerte nur eine Nacht, bis mir ein Schlachtplan einfiel – die Buchmesse! Man muss nur zur rechten Zeit an den richtigen Fäden ziehen ...

Ich beorderte meine neuen Schützlinge nach Frankfurt, wir verabredeten ein Treffen am Bahnhof. Ich holte sie ab und fuhr sie in ein Parkhaus. Wir stiegen gemeinsam in einen Aufzug und wollten nach unten fahren, als er steckenblieb. Ich tat so, als könne ich mir das nicht erklären. Sie können sich sicher vorstellen, was dann los war in der wieder verschließbaren Sardinenbüchse am Seil: Panik, Geschrei und trommelnde Fäuste an die Aufzugtür. „Lasst uns raus, lasst uns raus!”

Ich machte natürlich mit, bis mir die Knöchel wehtaten, aber dann versuchte ich die beiden zu beruhigen, es würde schon jemand kommen, wir müssten nur Geduld haben. Zur Überbrückung könnten wir uns ja das Geheimnis unseres literarischen Erfolges erzählen, welche detaillierten Rahmenbedingungen gegeben waren damals, als wir es zu etwas gebracht hatten. Es wäre doch schade, wenn wir dieses Wissen mit ins Grab nehmen müssten. Was soll ich sagen, die beiden gingen darauf ein!

Das, was besprochen wurde, ist natürlich streng vertraulich und bleibt unter uns dreien. Übrigens, als ich an der Reihe war, gab ich mit einer SMS dem Hausmeister ein Zeichen und er setzte den Fahrstuhl wieder in Bewegung. Wir kamen unbeschadet unten an und begannen unseren Rundgang durch die Messe, bis wir schließlich an unserem Stand ankamen. Seit diesem Erlebnis sind wir so etwas wie Komplizen, eine eingeschworene Gemeinschaft. Der Aufenthalt im Aufzug, so zwischen Himmel und Hölle, hat uns für immer zusammengeschweißt. Was bin ich für eine ausgezeichnete Psychologin!

Ein kleiner Meilenstein auf meinem Erfolgsweg war geschafft.

Mittlerweile sind wir schon ein gehöriges Stück weiter. Die beiden schreiben wieder. Ich muss aber dran bleiben, dass die beiden auch endlich fertig werden!

Hiltrud ist erleichtert und druckt ihr Manuskript aus. Die Tortur ist beendet. Sie musste mehr leiden als ihre Protagonisten auf den 853 Seiten zusammen. Es wird endlich wieder gepeitscht, gequält und sich daran ergötzt, im Gehirn der Annabelle Black! Damit sie es durchhielt, hat sie sich auf Diät gesetzt: Tütensuppe und Kaffee, dazu wenig Sonnenlicht und Black Metal Musik.

Stolz nimmt Hiltrud die Seiten stapelweise aus dem Drucker und legt ihr neues Baby zufrieden vor sich auf den Schreibtisch. Jetzt fehlt nur noch ein Steinchen in ihrem Mosaik – der Neandertaler muss her, zum gemeinsamen Diner!

Sie geht in die Küche, öffnet den Kühlschrank, aber der ist leer. Auch in ihrer Vorratskammer findet sie nichts Essbares. Hiltrud muss dringend einkaufen, hat ihr Menü bereits im Kopf:

Ochsenschwanzsuppe

Italienischer Salat

Brasilianischer Rahmbraten mit Knödeln

Vanille-Pudding mit Kirschen

Espressobohnen

Je 1 Flasche Cola, Rotwein und Grappa

„Das wird ein Festmahl!” Hiltrud nimmt ihr Handy, wählt Friedhelms Nummer.

Friedhelm schreitet durch seinen Garten und spendet seinen Lieben dasGöttliche Nass. Die Tomaten haben es am nötigsten. Während er die Gießkanne segensreich schwenkt, landet ein Kohlweißling auf seiner Schulter.

„Sei gegrüßt, mein kleiner Freund!” Friedhelm ist dankbar für die Ablenkung. Drinnen, in seinem Arbeitszimmer, lauert sein Laptop und wartet darauf, dass er endlich sein Manuskript mit dem Titel50 neue Rezepte für ein gesundes Lebenabschließt, aber die restlichen zwei wollen ihm partout nicht einfallen und der Abgabetermin rückt immer näher. Es ist wie verhext, Friedhelm hat eine Blockade. Vor seinem geistigen Auge sieht er Chu Mei, wie sie ihm mit einer Peitsche droht, wenn er nicht endlich fertig wird. Da läutet Friedhelms Handy. Er geht ran.

„Hallo.”

„Hallo Neandertaler, es ist endlich so weit. Ich bin fertig! Hast du Zeit? Kannst du zu mir kommen? Ich brauche deine Hilfe!”

„Hallo Hiltrud. Was, du bist schon fertig?”

„Ja, mein Bester, und du?”