Vom Wesen der Götter - António Lobo Antunes - E-Book

Vom Wesen der Götter E-Book

António Lobo Antunes

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Beschreibung

Ein sprachgewaltiger Roman über die sogenannte feine Gesellschaft Portugals zurzeit des Diktators Salazar: Die besseren Familien Portugals residieren in Cascais, einem westlich von Lissabon gelegenen Badeort, insbesondere in der Quinta da Marinha, wo man den Atlantik rauschen hört und die Dünen hinter den Pinien sieht. Hier spielt sich das gesellschaftliche Leben ab, hier wohnt man in herrschaftlichen Villen. Da gibt es den „Senhor Doutor“, einen reichen Unternehmer und Vertrauten des Diktators Salazar, der sich mit Härte und Lieblosigkeit aus einfachen Verhältnissen nach oben gekämpft hat. Seine Frau lebt zurückgezogen im obersten Stock, die Tochter des Hauses, „Senhora“ genannt, wurde vom Butler gezeugt und verbringt ihre Tage damit, ihr Hündchen zu streicheln und Bücher zu lesen, die ihr eine Buchhändlerin aus dem Ort vorbeibringt. Und dann gibt es noch eine junge Fadosängerin, deren Gefühle nicht erwidert werden …

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Seitenzahl: 928

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Zum Buch

Die Reichen und Mächtigen der portugiesischen Gesellschaft residieren in Cascais, einem westlich von Lissabon gelegenen Badeort, insbesondere in der Quinta da Marinha, dem Küstenstreifen zwischen Cascais und dem Fluss Guincho, wo man den Atlantik rauschen hört und die Dünen hinter den Pinien sieht. Hier spielt sich das gesellschaftliche Leben ab, hier wohnt man in herrschaftlichen Residenzen. Da gibt es den »Senhor Doutor«, einen reichen Unternehmer und Vertrauten des Diktators Salazar, der sich mit Härte und Lieblosigkeit aus einfachen Verhältnissen nach oben gekämpft hat. Seine Frau lebt zurückgezogen im obersten Stock, die Tochter des Hauses, »Senhora« genannt (die allerdings vom Butler gezeugt wurde), verbringt ihre Tage damit, ihr Hündchen zu streicheln und Bücher zu lesen, die ihr eine Buchhändlerin aus dem Ort vorbeibringt. Und dann gibt es noch eine junge Fadosängerin, deren Gefühle nicht erwidert werden … Ihre und noch viele weitere Stimmen, die sich überlagern und ineinandergreifen, steigern sich zum mächtigen Crescendo: einem sprachgewaltigen Roman über die sogenannte feine Gesellschaft Portugals zur Zeit des Diktators Salazar und zugleich einem melancholisch-zärtlichen Klagelied über die conditio humana.

Zum Autor

ANTÓNIO LOBO ANTUNES wurde 1942 in Lissabon geboren und hat Medizin studiert. Während des Kolonialkrieges war er als Militärarzt in Angola, arbeitete danach in der Psychiatrie und war lange Jahre Chefarzt in einer Psychiatrischen Klinik in Lissabon. Heute lebt er als Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. Sein umfangreiches Werk ist in vierzig Sprachen übersetzt und erhielt zahlreiche Preise, zuletzt den Camões-Preis.

Zur Übersetzerin

MARALDE MEYER-MINNEMANN, geb. 1943 in Hamburg, hat fast alle Werke von António Lobo Antunes übersetzt. Sie erhielt 1992 den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzungen, 1997 den Preis Portugal-Frankfurt, 1998 den Helmut-M.-Braem-Preis und wurde dreimal für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.

António Lobo Antunes

Vom Wesen der Götter

Roman

Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann

Luchterhand

Für Maria da Piedade

many fêtes

ERSTER TEIL

ERSTES KAPITEL

Das erste Mal wurde ich ungefähr zu der Zeit zum Haus der Senhora geschickt, als ich den Obdachlosen auf der Stufe zur Buchhandlung schlafend antraf, aber ehrlich gesagt, habe ich ihn erst in dem Augenblick bemerkt, in dem ich den Schlüssel aus der Handtasche zog, um die Tür zu öffnen, oder, besser gesagt, zwei Schlüssel an einem Ring mit einem Stoffbärchen, dem das rechte Auge fehlte, der richtige und ein zweiter, von dem ich noch immer nicht weiß, wozu er gut ist, bereits als Kind haben mich Schlüssel verwirrt, waren sie unheimlich, rätselhaft, was öffnen sie, wenn man sie ins Schlüsselloch steckt, fragte ich sie

– Was öffnet ihr?

würde mich die Antwort sicher beunruhigen, wie viele Zimmer hinter den Zimmern, die ich kenne, wie viel Rauschen schwarzen Wassers, das Meer von Cascais hört man vom Laden aus nicht, es bleibt bäuchlings, unaufhörlich zitternd im Sand liegen

– Was ist mit dir?

würde ich ohne die Lampen der Laternen und der Fenster in den Gebäuden bei geschlossenen Rollläden schlafen, hätte ich Angst, das Haus der Senhora war riesig, der Gärtner goss gerade die Beete, Schatten spähten mich durch die Fensterrahmen aus, was wollten sie, der Obdachlose steckt immer in einer Art Sack, ich sage ihm guten Tag, er macht sich klein, um mich vorbeizulassen, demnächst wird er den Sack zusammenfalten, ihn im Rucksack verstauen und unter den Duschen am Strand ein Bad nehmen, während ich draußen die Tabletts mit den Büchern aufstelle, meine Kollegin hilft mir, auf dem Dach gegenüber hin und wieder eine Möwe, zwischen den Möwen nichts, Tauben, die Eisdiele nimmt im Mai den Betrieb auf, schließt im Oktober, ich bin in Afrika geboren, kam als Kind nach Portugal, wohne mit meinem Sohn im Hinterland von Cascais, wo die Miete billiger ist, aber dennoch bleibt, wenn ich sie bezahlt habe, so wenig übrig, ich kann mich nicht an die Kälte gewöhnen, beim Haus der Senhora vom Kies bis zum Eingang Dutzende Marmorstufen, Balkons, Terrassen, der Swimmingpool lag nicht bäuchlings da wie das Meer, sondern auf dem Rücken, der Chauffeur folgte mir schweigend, der Obdachlose kommt dann mit nassem Haar vom Duschen zurück, ich habe ihn nie lächeln sehen, habe ihn nie mit jemandem zusammen gesehen, er setzt sich auf dem Platz beim Hamburgerrestaurant hin, wenn ich nicht im Laden zu Mittag esse, tue ich im Vorbeigehen so, als bemerkte ich ihn nicht, als ich die Bücher zur Senhora brachte, der Angestellte

– Komm rein

keine Anrede, kein Sie, er duzte mich

– Komm rein

weiße Jacke, silbrige Metallknöpfe, möglicherweise so alt wie mein Vater, aber vornehmer, eleganter, er hat nicht mit Negern an einem Staudamm gearbeitet, ich erinnere mich an die Affenbrotbäume, strohgedeckte Hü

– Komm rein

Hütten, in meiner Vorstellung liegt meine Mutter im Bett

– Das ist der Nierenstein

der Obdachlose holt Bälle aus dem Rucksack und wirft sie in die Luft wie im Zirkus, ohne dass ein einziger herunterfällt, im Haus der Senhora forderte ein Dienstmädchen mit Häubchen

– Die Bücher

keine Anrede, kein Sie, auch sie duzte mich, dies außerhalb von Cascais, fast am Guincho, wo der Wind beginnt, Dünen sich auflösen und wieder zusammenfügen, dorniges Gestrüpp, im Januar rüttelt der Wind am Haus, in dem mein Sohn und ich leben, der Angestellte mit der weißen Jacke

– Worauf wartest du noch?

in der Eingangshalle mit Säulen übergroße Möbel, riesige Bilder, die Decke ewig weit entfernt, ringsum eine Veranda, wo ein Hündchen bellte, und auf der Veranda noch mehr Möbel, noch mehr Bilder, das Gefühl, dass eine alte Frau mich ausspähte, aber ich bin mir nicht sicher, ich zum Angestellten nicht per du, per Sie

– Seien Sie unbesorgt ich gehe gleich wieder ich erwarte nichts

so wie auch der Obdachlose nichts erwartet, er steckt die Bälle in den Rucksack, schwört mir, dass ich niemals alt werde und man mich später nicht allein lassen wird, mein Sohn zur Direktorin des Heims

– Falls sie stirbt ist mir das egal

die ihn für erwachsen hält, was er aber nicht ist, schauen Sie ihn sich an, sechs Jahre, wer nimmt denn einen kleinen Jungen ernst, nicht nur das Gefühl, da saß eine alte Frau auf der Veranda, und die alte Frau

– Bringen Sie sie mir her Marçal

nicht du, per Sie, das Hündchen im Arm, das sich wand, um ihr Gesicht zu erreichen, die scharfe Helligkeit eines Ringes blitzte auf und verschwand schlagartig, der Angestellte mit der weißen Jacke schaute prüfend meine billige Kleidung, das Haar, das kleine Armband an

– Tut mir leid wenn ich Sie nicht angemessen angeredet habe

zehn Stunden am Tag im Laden, die Hälfte der Sonnabende, die Hälfte der Sonntage, kaum ein Kunde, nachmittags der verwitwete Ingenieur, dessen eines Bein nicht so will und der mich von den Buchrücken her ausspäht

– Wie hübsch Sie sind

obwohl sein Mund schweigt, versteht man die Worte

– Wie hübsch Sie sind

er nähert sich mir nicht, an meinem Geburtstag ein feierliches kleines Parfüm

– Ich stelle es Ihnen hier auf das Regal

dabei flüchtete er, das Bein mit der Hand anschiebend, zum Ausgang

– Nun komm schon nun komm schon

er hat das Sparbuch in der Tasche, blättert darin herum, ohne die Seite zu finden, so wie er auch lange braucht, bis er die Jacke findet, als er es wegstecken will

– Wissen Sie ich habe da ein paar Ersparnisse

ich erinnere mich an die Gattin

– Ein Klotz am Bein

vor zwei oder drei Jahren an Heiligabend hatte sie die Gabel auf den Teller gelegt und ihn überrascht angestarrt, wobei das

– Ein Klotz am Bein

sich erst zum Hals, dann zur Brust, anschließend zum Tischtuch neigte, und am Ende auf den Fußboden rutschte, das

– Ein Klotz am Bein

vom Gewicht des Körpers zerquetscht wurde, der daraufgefallen war, und der Ingenieur betrachtete sie, kerzengerade auf seinem Stuhl, die Serviette erdrosselnd, in eben der Haltung, in der sein Neffe ihn vorfand, als er ihn besuchte, die Lichter der kleinen Tanne blinkten unermüdlich, blau, orange, gelb, der Obdachlose wartet auf der anderen Straßenseite darauf, dass wir den Laden abschließen, um sich auf der Stufe auszustrecken, und wie immer macht mir der zweite Schlüssel Angst, ich zu ihm

– Was öffnest du?

würde mich meine Mutter nicht daran hindern

– Sei still

ich fürchtete mich vor den Zimmern hinter den Zimmern, so viel Rauschen schwarzen Wassers, und darin wir beide, außerstande zu atmen, haltet mich nicht fest, erstickt mich nicht, lasst mich los, im Haus folgte Salon auf Salon, Lüster, Gegenstände aus Porzellan und Silber, und an den Fenstern wütend der Wind, der Ingenieur ganz leise

– Wie hübsch Sie sind

blätterte im Heftchen, in dem die Ersparnisse schrumpften, das Leben ist kompliziert, finden Sie nicht, wie kann man es nur schaffen, wenn die Weihnachtslichter einen verfolgen, blau, orange, gelb, irgendwann wird das

– Wie hübsch Sie sind

sich zuerst zum Hals, dann zur Brust, anschließend zum Tischtuch neigen, am Ende auf den Fußboden rutschen, zusammen mit den paar Ersparnissen, wofür wirst du sie ausgeben, nun sag schon, ein feierliches kleines Parfüm

– Ich stelle es Ihnen hier auf das Regal

und das Bein macht sich selbständig, unsicher, ängstlich, die alte Frau in dem, was mir der letzte Raum zu sein schien, denn dahinter Kiefern bis hinunter zum Meer, in gewissen Nächten im Sommer gelingt es mir, die Wellen zu verstehen, jede trägt meinen Namen in sich

– Fátima

ich warte, doch kein weiteres Wort, sie haben mich vergessen, die alte Frau strich mit dem Ring über das Hündchen auf ihrem Schoß, befahl dem Angestellten mit der weißen Jacke

– Sie können gehen Marçal

in einem Sessel, der zu groß für sie war, und ich erinnerte mich an die Puppe, die in Afrika am Kopfkissen meiner Eltern lehnte, ebenfalls aufrecht, ebenfalls alt, der Lack auf den Wangen abgeplatzt, die alte Frau, die mir mit einer langsamen Geste nicht das Gesicht, sondern die Welt zeigte

– Mein Vater hat hier gelebt

jede Menge Türen, für die möglicherweise der zweite Schlüssel aus der Buchhandlung passte, und wenn er passte, wie viel Rauschen schwarzen Wassers, bevor sie ins Bett ging, setzte meine Mutter die Puppe auf die Kommode zwischen die Fotos meiner Großeltern, obwohl ich sie warnte

– Sie wird ganz sicher weinen

und wenn ich vor dem Morgengrauen aufwachte, nahm ich ihr Schluchzen mit meinem vermischt wahr, ich stand vor der Senhora, fürchtete mich vor dem zweiten Schlüssel, beschloss

– Ich werde ihn wegwerfen

so wie ich häufig denke

– Hätte ich keinen Sohn ich würde mich wegwerfen

denn, einmal ganz ehrlich, antworten Sie mir aufrichtig, was mache ich hier, sobald ich anfange, darüber nachzugrübeln, denke ich gleich

– Würde dir der Arzt verkünden dass du dir eine schwere Krankheit eingefangen hast würde dir der Arsch auf Grundeis gehen

der Arsch würde mir tatsächlich auf Grundeis gehen, Ärzte und Krankenhäuser, du liebe Güte, bittet mich bloß nicht, eine Krankenstation zu besuchen, das halte ich nicht aus, ich würde, nachdem ich durch das Tor gekommen wäre, gleich beim ersten Anblick eines weißen Kittels ohnmächtig werden, mein Vater wurde in Coimbra operiert, aber ihn habe ich nicht gesehen, habe den Fluss gesehen, habe im Bahnhof auf meine Mutter gewartet, habe sie, als sie näher kam, gebeten

– Erzählen Sie mir gar nichts

die Senhora in dem für sie zu großen Sessel

– Ich habe seit Ewigkeiten keinen Besuch mehr empfangen

und ich frage mich, ob sie, falls ich sie wie die Puppe auf die Kommode setze, ebenfalls weinen würde, oder nur

– Ich habe seit Ewigkeiten keinen Besuch mehr empfangen

sie sagt es zu sich selber, während sie das Hündchen abtastet, das Herz kleiner Tiere schlägt schneller als unseres, das von Vögeln beispielsweise, das von Kaninchen, meine Mutter

– Dein Vater lässt dich grüßen

und ich kehrte ihr den Rücken zu, damit sie nicht glaubte, ich sei gerührt, ich studierte Fahrpläne, von Echos, Stimmen, Rauch umgeben, und es ist der Rauch, der auf meinen Augenlidern brennt, erwähnen Sie ihn nie wieder, wahnsinnig viel Rauch, die Senhora

– Manchmal habe ich Lust mich zu unterhalten

alte Gegenstände, Fotos, Skulpturen, ein Engel, dem der Kopf fehlte, ein vollständiger Heiliger aus vergoldetem Schnitzwerk, immerhin, der Umhang vollständig, alle Zehen an den Füßen, ich bot dem Obdachlosen die Hälfte meiner Banane vom Mittagessen an, aber er lehnte ab, er fand nicht

– Sie sind so hübsch

wie der Ingenieur, er beobachtete mich nicht heimlich, die Senhora, als wäre sie allein, ich nehme an, in ihrer Vorstellung war sie allein, wer bin ich schon, nicht mir, sondern den Kiefern, den Dünen erklärte sie

– Mein Vater hat hier gewohnt

und ein Schatten durchquerte eilig, eine schräge Zigarrenspur hinterlassend, den Raum

– Ich habe jetzt keine Zeit wir reden morgen

die Senhora

– Er hatte nie jetzt Zeit er redete immer morgen

und ein Auto fuhr davon, wie konnte es sich entfernen, wenn man nie bemerkte, dass es ankam, nach Einbruch der Dunkelheit war das Haus eine Meeresschnecke, die Geheimnisse wisperte, mein Gott, wie sehr kommunizieren doch die Dinge mit uns, als er in Coimbra aus dem Krankenhaus entlassen wurde, saß mein Vater auf einer kleinen Bank und wartete, ich erinnere mich an den zu weiten Ehering, wie er, ohne einen Satz auszusprechen, das Essen ablehnte, er senkte nur die Augenlider, die Glöckchen der Ziegen weideten am Hang, nicht die Tiere, die Glöckchen kauten, ich fuhr immer, von Geräuschen umringt, im Bus zurück nach Cascais, das Haus in Afrika war ein Bretterverschlag, die Lehrerin, eine Mulattin

– Wer hat das Kap der Guten Hoffnung umschifft Fátima?

Witwe eines Inders in kurzer Hose, der auch am Staudamm arbeitete, seinen Namen habe ich mit all meinen Kindersachen verloren, demnächst suche ich sie, denn es gibt Dinge, die ich nur schwer aufgeben kann, meine Mutter, als sie jung war, beispielsweise, der Geruch der Erde, wenn der Regen aufhört, und die aus den Pfützen schlüpfenden Insekten, die Senhora, in Gedanken bei dem Schatten, der den Salon durchquerte

– Die Abendessen die es einmal hier gab

der König von Italien, der König von Rumänien, der englische Graf, der in einem Zimmer im ersten Stock schlief, wo ihn der deutsche Botschafter besuchte, wie viele Zimmer es wohl hinter diesem Zimmer gibt, wie viel Rauschen schwarzen Wassers, ich stand vor der Senhora, hörte ihr zu, ohne sie zu verstehen

– Wieso mit mir reden ich bin arm

und der Obdachlose aß beim Hamburgerrestaurant wer weiß was aus einem kleinen Pappbehälter, die Mutter der Senhora hatte sie gezwungen, die Hand des englischen Grafen zu küssen, und ich

– Warum hat sie mich bloß ausgewählt?

hatte nicht den Mut, sie zu unterbrechen, der Obdachlose reicht mir seinen Rucksack, damit ich ihn verwahre, neulich hat er mir eine Meeresschnecke in die Hand gedrückt, die zu klein war, um das Meer oder diese kleinen Schlangen bei den Felsen zu enthalten, keine Aale, Schlangen, die mulattische Lehrerin

– Zyklostomen

und ich habe den Begriff nicht vergessen, habe all meinen Kinderkram verloren, aber die Zyklostomen sind geblieben, ich spreche es laut aus

– Zyklostomen

die Leute mit Stirnrunzeln

– Wie bitte?

ich peinlich berührt

– Ich habe den Mund gar nicht aufgemacht

sie misstrauisch

– Mir kam es aber so vor

und ich versenkte die Zyklostomen tief in mir, dort, wo man sie nicht bemerken würde, sie sollten mulattischen Lehrerinnen keinen Unterricht anvertrauen, sie sind nur zur Hälfte menschlich, die Besitzerin der Buchhandlung

– Die Senhora scheint dich zu mögen sie hört nicht auf Bücher bei uns zu bestellen

also fuhr ich, ein Päckchen auf den Knien, im Bus an den Dünen zwischen Estoril und Cascais entlang, dann und wann ein Hund, der Möwen jagte, dann und wann Disteln, natürlich keine Zyklostomen, so ein Unsinn, wer glaubt schon, dass es die überhaupt gibt, da waren der Garten, das Auto, der Chauffeur, der ihm mit dem Tuch den letzten Schliff gab, das Dienstmädchen mit dem Häubchen und der Typ in der weißen Jacke

– Mein Fräulein

nicht du, sondern mein Fräulein

– Kommen Sie herein

die Senhora aus den Tiefen des Sessels

– Sie haben lange gebraucht

ich war bis dahin für niemanden wichtig gewesen, meinen Sohn mit eingeschlossen, der auf allen vieren mit seinem Spielzeug beschäftig war, dem ein Rad fehlte, in meiner Nähe hat es nie etwas Ganzes gegeben, mein Vater hatte, nachdem er vierzig geworden war, kaum noch einen Zahn im Mund, war geistesabwesend, mein Sohn hat den Egoismus geerbt, ich weiß sehr wohl, wo der herkommt, hoffentlich hat er nicht meine schlechten Angewohnheiten geerbt, ich bin leicht zu betrügen, verzeihe allen immer alles, ich gucke und sehe nichts, ich schaue und nehme das Gesehene nicht wahr, es ist meine Schuld, da gibt es einen Typ, der bezahlt mir Kaffees

– Darf ich Ihnen einen Kaffee bezahlen?

und versucht dabei, die Finger auf meinen Ärmel zu legen, doch als gebranntes Kind brauche ich Zeit, er arbeitet in einem Verlag, erscheint immer mittwochs mit dem Katalog und den Fotokopien der Buchumschläge in einer kleinen Mappe

– Geschieden

versichert er

– Frei wie ein Vogel

versichert er, zeigt seinen Personalausweis als Pfand, lehnt seinen Schuh gegen meinen, und sobald ich das merke, ziehe ich meinen weg, manchmal lasse ich mir etwas Zeit, denn meine Kollegin, die jünger ist als ich, kinderlos, immer zum Friseur geht, sich schminkt, bis vor kurzem ein Cousin, im Augenblick, glaube ich, niemand, pass auf, Fátima, der Großvater der Senhora hatte eine kleine Wechselstube, der Vater der Senhora war Herr über Banken, wie viele Seelen, einmal abgesehen von den Straßenhunden, sind unter den Dünen begraben, wenn der Wind dreht, gebe Gott, dass sich, wenn der Wind wieder dreht, der von den Kaffees nicht darunter befindet, dessen Schuh bereitsteht, sich mir zu nähern, der den Krawattenknoten mit Zyklostomengesten zurechtrückt, verzeihen Sie mir den Ausdruck, wenn ich am wenigsten damit rechne, warum weiß ich nicht, kommen mir solche Verrücktheiten in den Sinn, der Vater der Senhora

– Wir reden morgen versprochen

entfernte sich zu Untergebenen, die ihn artig, devot erwarteten, der Vater der Senhora war Herr über Banken, Gesellschaften, Minister, und plötzlich fiel draußen Regen, nicht vertikal, sondern horizontal, Büsche und Bäume vertauschend, ich hoffe, der Obdachlose steht unter irgendeinem Dach oder hat wenigstens eine Kopfbedeckung und ein Stück Plastik über den Schultern, der Vater der Senhora beim Abendessen, er foltert schweigend die Gabel, während er auf die Suppe wartet, die Mutter der Senhora schaut ihn nicht an, jung, hübsch, worauf zornig, weswegen gekränkt, unter den kleinen Heiligenmedaillons, die mit einer Sicherheitsnadel am Nachthemd befestigt sind, der Davidstern, den sie erst nach ihrem Tod gefunden haben, wenn ich nicht schlafen kann, nehme ich trotz der Entfernung die Hühner im Hühnerstall meiner Eltern in der Provinz wahr, das Schaben von Federn, Krallen, Glucksen, die Mutter der Senhora korrigierte die Gesten der Tochter mit der Augenbraue, ihr Vater war Schotte, ein blondes Paar in einem barocken Rahmen, die Senhora

– Meine Großeltern

was meine betrifft, so habe ich sie nie kennengelernt, Bauern auf einem Foto, ohne Gesichtszüge, nur Umrisse, ich zu meinem Vater

– Vater was machte Ihr Vater?

und zum Geklingel der Ziegen, unter dem Geklingel der Ziegen, undeutlich zwischen dem Geklingel der Ziegen

– Er half dem Vikar bei der Messe

dazu noch eine kleine Böttcherwerkstatt, dazu Eimer bei Feueralarm, dazu der Sohn, der ihm im Krankenhaus der Santa Casa da Misericórdia ein Glas Wasser reichte, und er

– Dies ist das letzte Mal dass du mir etwas zu trinken gibst

nicht bang, ruhig, genau so, wie ich es beschreibe

– Dies ist das letzte Mal dass du mir etwas zu trinken gibst

im Bett links von einer strickenden Dicken, im Bett gegenüber ein Typ, der seine Militärtrompete mit einer roten und einer grünen Kordel im Arm hielt

– Wie oft habe ich da reingeblasen

mein Sohn ist mir nicht ähnlich, vielleicht das Kinn, vielleicht die Stirn, aber weder das Kinn noch die Stirn, er ist mir nicht ähnlich, er verliert gerade die Milchzähne, da fällt mir mein Vater wieder ein, denn auch seine Gaumen waren nackt, apropos nackt, ich habe den Obdachlosen gesehen, wie er sich dort unten bei den Duschen am Strand wusch, falls er, ich hätte beinahe einen Blödsinn gesagt, ich bin verrückt, und dennoch, falls er, idiotisch, diese Verbissenheit, ein Landstreicher, weiter im Text, der Vater der Senhora folterte die Gabel, die Mutter der Senhora und die Senhora schwiegen, die Einsamkeit der Frauen macht mich schaudern, ich wäre lieber als Mann geboren worden, der mit der Militärtrompete

– Wenn ich zum Zapfenstreich blies haben sogar die Platanen geweint

tieftraurige Töne in der Dunkelheit, und aus der Finsternis erhoben sich phosphoreszierende Zyklostomen, wie viele Zimmer es wohl hinter den Zimmern gab, die ich kenne, wie viel Lärmen schwarzen Wassers, das Meer von Cascais, bäuchlings auf dem Sand, leckte sich selber ab, zitterte unablässig

– Was verbirgst du vor mir?

der Vater der Senhora zum Großvater der Senhora, indem er Papiere wegschob

– Ich erlasse Ihnen die Schulden wenn Sie mir Ihre Tochter geben

genau so, ohne Umschweife

– Ich erlasse Ihnen die Schulden wenn Sie mir Ihre Tochter geben

der Jude wischte sich mit dem Taschentuch ab, was der Vater der Senhora übersah, das Gesicht verschwand von seinem Gesicht, und da war kein Gesichtsausdruck mehr, keine Falte, nur der Schnurrbart zögerte, die Mutter der Senhora fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, sechzehn, der Vater der Senhora beruhigte ihn

– Keine Angst ich tue ihr nicht weh

während er Rechnungen zusammensammelte

– Sie entgehen dem Gefängnis und gewinnen einen Schwiegersohn der Sie beschützt

nicht in diesem Haus, im Büro in Lissabon, die Einsamkeit macht mich fertig, obwohl mein Sohn mit mir in einem Bett schläft, meine Kollegin hält den Ellenbogen des Typs von den Kaffees fest, neigt den Kopf, um besser zu hören

– Wirklich?

lässt seinen Ellenbogen los, packt ihn wieder, näher an der Hand, kräftiger

– Kaum zu glauben was ihr alles erfindet um uns rumzukriegen

die Senhora versicherte sich mit vorsichtigem Finger ihrer Ohrringe

– Mein Großvater musste selbstverständlich zustimmen

dabei schreckte das Hündchen auf ihrem Schoß auf

– Er träumt ständig

der Jude stritt mit der Gattin in einer Wohnung, aus der der Vater der Senhora den Hausrat herausholen ließ, er wurde eine Woche später, als der Jude eingewilligt hatte, wieder zurückgebracht, dazu ein französisches Service, neue Lüster, neue Vorhänge, ein Piano

– Mit Grüßen von Ihrem Schwiegersohn

die Mutter der Senhora fassungslos

– Ich soll heiraten?

meine Eltern haben mich nie besucht, ich weiß nicht, ob ich Sehnsucht nach ihnen habe, ich bin erwachsen geworden, hätte ich Sehnsucht, würde ich ihnen die Fahrt bezahlen, aber wo würden sie dann schlafen, hier ist kein Platz, es gibt Augenblicke, in denen ich sie mag, und Augenblicke, da bin ich mir nicht sicher, ich erinnere mich daran, dass ich nie weinte, nicht dass ich keine Lust dazu hatte, die Tränen kamen einfach nicht heraus, meine Tante

– Nimmt die Kleine nicht zu?

und ich war sauer, weil ich nicht zunahm, eines Tages begann meine Brust zu schmerzen, zwei kleine Knubbel schwollen unter der Haut an, der Jude beruhigte den Vater der Senhora

– Sie sagt sie will nicht heiraten aber keine Sorge das wird schon

und der Vater der Senhora war beinahe amüsiert, nicht beinahe amüsiert, er war amüsiert, der Herr über Banken, Gesellschaften, Minister lächelte ein Mädchen an, das Notizen machte, teilte das Amüsement mit ihr, ich muss eine Zahnbürste mit einer Mickymaus am Griff für meinen Sohn besorgen, mit dem Tier hat er wenigstens seinen Spaß, der Vater der Senhora

– Keine Angst ich mache mir schon keine Sorgen selbstverständlich heiratet sie

Jahre später saß die Mutter der Senhora mit einem Mann im Zug nach Madrid, wartete auf die Abfahrt, über ihnen die Koffer in einem Netz, die Mutter der Senhora mit Sonnenbrille und Kopftuch, Leute warteten auf dem Bahnsteig, ein Alter trabte, ein Fähnchen schwenkend, vorbei, meine Mutter zu meinem Vater

– Du solltest dir auf dem Jahrmarkt ein Gebiss kaufen

eines wie die, die der Größe nach auf einer Schnur aufgereiht in den Ständen der Zigeuner hingen, mit kleinen Drahthaken zur Befestigung am Gaumen, die halfen, das Ganze einzusetzen und am Knochen festzumachen, die Tür zum Abteil ging in dem Augenblick auf, in dem der Mann das Zigarettenetui hervorzog, und auf der Stufe stand der Vater der Senhora, ruhig, freundlich

– Komm mit nach Haus Raquel

während ein Seufzer aus Dampf den Alten mit dem Fähnchen auslöschte und der Waggon zu rütteln begann, ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass die Gegenstände sich ohne Hilfe fortbewegen, wenn sie gerade Lust dazu haben, alles ist still, und eine Tasse vibriert oder ein Aschenbecher oder ein Teller, und das ist weder der Wind, noch sind wir es, man weiß es nicht, kommen Sie mir nicht mit gequälten Seelen, es sind die Gegenstände, Schluss, aus, oder die Erdachse, die sich geneigt hat, alles verbraucht sich und weicht zurück, der Vater der Senhora beinahe komplizenhaft zu dem Mann, der ihn, das Zigarettenetui geöffnet, anstarrte

– Kann ich Sie irgendwo absetzen João?

der Gepäckträger, über die Koffer gebeugt

– Zu Ihrem Wagen Senhor Doutor?

man bemerkt, dass die Erdachse sich verändert hat, weil das Fenster nicht mehr zur Straße, sondern zum Hang voller Hütten und den Überresten eines Krans zeigt, den man früher von dort nicht sah, und wenn die Gegenstände wieder wackeln, ist die Straße wieder da, ist sie wieder das, was sie war, so ist das Leben, wir suchen nach dem, was kommt, und entdecken den Anfang, mein Vater probierte eines der Gebisse aus, meine Mutter

– Du siehst sogar viel gediegener aus

und das tat er, das Jackett saß besser, ein fehlender Knopf war plötzlich wieder an seinem Platz, die Krawatte ohne Spuren vorangegangener Knoten, und dennoch wog der Preis des Gebisses weder die Eleganz auf, noch milderte er die Leberpein

– Würde es meiner Galle helfen würde ich es kaufen

also kehrte die Schönheit meines Vaters auf die Schnur des Marktstandes zwischen gezeichnete Majestäten zurück, ich erinnere mich an eine Volkstanzgruppe, die auf einer Bühne tanzte, besser gesagt an Paare, die in riesigen Holzschuhen, die Hände in der Luft, herumhüpften, ein Paar, das aus dem Tritt geraten war, fügte sich eilig wieder ein, der Vater der Senhora zwischen der Mutter der Senhora und dem Mann, redete mit beiden, eine Hand an ihrer Taille, die andere am Hals des Unglücklichen, und schützte sie so beide, ein Polizist salutierte ihm, ohne dass er den Gruß erwiderte, ich glaube, mein Vater denkt heute noch an das Gebiss und hat nicht übel Lust, die Welt anzunagen, die Senhora

– Mein Vater hat die Angelegenheit mir gegenüber nie erwähnt meine Mutter hat es mir viele Jahre später erzählt

er begnügte sich damit, allein in ein anderes Schlafzimmer zu ziehen, und erschien alle Jubeljahre bei ihr

– Ziehen Sie sich aus

nicht

– Zieh dich aus

der Vater der Senhora vollständig bekleidet

– Ziehen Sie sich aus

und er blieb angezogen vor der nackten Gattin stehen, die Zigarre im Mund, von der Asche auf den Boden fiel

– Auch die Unterwäsche

er legte die Zigarre am Rand einer Kommode ab

– Legen Sie sich hin

und zog nicht einmal die Schuhe aus, beschmutzte das Betttuch mit seinen Schuhen, rückte sich, nachdem er fertig war, im Hemd zurecht, suchte nach einem oder zwei Geldscheinen in der Hose und ließ sie neben die Asche fallen

– Heben Sie die auf

und ging hinaus, ohne auf die Mutter der Senhora zu achten, die sich reckte, um sie ihm zurückzugeben

– Kaufen Sie sich Nuttensachen davon

und schloss die Tür mit der Sohle, unterdessen war das Meer am Guincho harmlos, und die Dünen begruben niemanden, die Senhora zu mir

– Kommen Sie morgen wieder ich bin müde

glättete die Träume des Hündchens mit dem Ring, spähte aus dem Fenster, in dem der Nachmittag sich in rosa und lila Tönen aufzulösen begann, und ein Weidenzweig kroch auf dem Boden entlang wie ein bettelnder Hausierer, die Senhora richtete sich auf, einsam im Inneren des Hauses, das ich verließ, der Salon mit seinen Möbeln, seinen Bildern, seinen so teuren Schätzen unvermittelt nutzlos, der Vater der Senhora mit dem zweiten Schlüssel am Ring weggeschlossen, von dem ich nun weiß, wozu er dient, schwarz geworden, verbogen, mit einem Stoffbärchen geschmückt, dem das rechte Auge fehlte, ich war es, die zu ihm sagte

– Da nehmen Sie ihn

ich sagte, als ich ihm den Schlüssel gab

– Es ist Ihrer

er war vor Jahren gestorben, vor meiner Geburt, und dennoch übergab ich ihm den Schlüssel

– Es ist Ihrer

genau so, wie es hier steht

– Es ist Ihrer

und er verwahrte ihn in der Weste, setzte sich mit ganz armen Augen, obwohl er der Herr über Banken, Unternehmen, Minister war, an den Schreibtisch, der Vater der Senhora starrte mich an, hörte auf, mich anzustarren, vergaß mich, verbarg das Gesicht in den Händen und wiederholte das

– Ich bin müde

seiner Tochter, die Zigarre zwischen den Fingern, das Foto eines ausländischen Präsidenten links von ihm, während das Meer am Guincho, bäuchlings auf dem Sand

– Was verbirgst du vor mir?

der Vater der Senhora wählte am Jahrmarktstand ein Gebiss aus, steckte es über den echten Zähnen in den Mund und verschlang sich selber.

ZWEITES KAPITEL

Ich glaube nicht an Gott, wie kann ich an ihn glauben, wo er immer, wenn ich ihn brauchte, nicht da war, und ich meine damit nicht wichtige Probleme, die ihm Arbeit machen würden, ich meine damit beispielsweise das erste Mal, dass ich Frau war, wie ich mich zwischen Bohnenstauden, von Heuschrecken und Käfern und Kohlraupen umgeben, im Gemüsegarten hinhockte, die Welt voller Scheren, Beine, Flügel, Mandibeln, und ich dachte, als die Schmerzen nachließen, nicht

– Was ist mit mir los?

ich dachte

– Wer bin ich von diesem Tag an?

denn mein Körper war eigenartig, wenn der Prior das wüsste, würde er mir ganz bestimmt die Kommunion verweigern, was habe ich Böses getan, wann habe ich gesündigt, meine Großmutter

– Die Frauen sind geboren um zu leiden

und das stimmt, Gott ist ein Mann, er denkt wie ein Mann, und ich verzeihe ihm, dass er das nicht versteht, ich verzeihe ihm aber nicht die Sonntagnachmittage vor dem alten Fernseher, den die Besitzerin der Buchhandlung mir geschenkt hat, als sie einen neuen kaufte, ich habe im Juli Geburtstag, hin und wieder verschwindet das Bild, am vierundzwanzigsten Juli, ich haue auf die Kiste, und es erscheint unscharf wieder, wie wohl heute der Staudamm aussieht, an dem mein Vater gearbeitet hat, ich spüre noch immer, wie das Wasser in mir steigt und fällt, die Negerin mit den Armbändern aus Gummi, die sich mit meiner Mutter um die Küche kümmerte, rief mich aus dem Garten

– Fatinha

mein Vater trat ins Haus, schnüffelte umher

– Es stinkt nach Neger

und ich glaube nicht an Gott, weil er rücksichtslos ist, genau wie der Vater meines Sohnes, er suchte mich nachts im Dunkeln und tat mir immer weh, wog schwer auf meiner Brust, brauchte lange, bis er mich losließ, und ich dachte

– Wann hört das endlich auf wann hört das endlich auf?

zählte im Geiste die Autos auf der Straße

– Wenn ich bei fünfzehn ankomme schiebe ich dich runter

bei jedem Auto krümmte ich einen Finger, und wo war Gott in diesen Augenblicken, ich fügte ihnen die Mofas und das Dreirad des Behinderten aus dem Erdgeschoss hinzu, um die Anzahl zu erhöhen, die Helligkeit der Scheinwerfer an der Zimmerdecke enthüllte die Feuchtigkeitsflecken, die ich nicht bemerkt hatte, mein Sohn neben uns, sein Schnuller ging auf und ab, in dem Maße immer schneller, in dem sein Vater sich dem Finale näherte, es macht mich sprachlos, was die Kleinen von einem erben, die Senhora zu mir

– Sie sind eine halbe Stunde zu spät gekommen

beleidigt, mit einer Seidenstola, voller Angst vor der Heimtücke des Herbstes, man spürte die Septembergezeiten inmitten der Kiefern, ich befreite mich vom Schuh des Verkäufers in der Pastelaria, um nicht wieder Autos zu sammeln, aber die Finger ließen mein Handgelenk nicht los, der Vater meines Sohnes ist vor etwas mehr als einem Jahr gegangen, die Senhora

– Ich hasse Unpünktlichkeit

sein Vater war Diabetiker, hatte Nebel in einem Auge, ich erinnere mich nicht daran, ob es das eine oder das andere war, so wie Gott sich auch nicht an mich erinnert, oder aber ich existiere nicht, eine stärkere Welle brachte die Rosenstöcke in Rage, die immer so, das andere, ich erinnere mich daran, empfindsam sind, der Obdachlose hat nie meinen Namen ausgesprochen

– Guten Tag

und das war es dann, selbst wenn wir den Laden schlossen, die Lichter auf dem Platz brannten

– Guten Tag

so wie er sich auch nicht unterhält, er bedankt sich nicht, bittet nicht, wenn wir ihm was auch immer anbieten, lehnt er ab, die Senhora zu mir

– Setzen Sie sich

deutete auf den kleinen Sessel, den sie neben ihren hatte stellen lassen, und wartete, in meiner Küche fehlen ein halbes Dutzend Kacheln und ein kleines Stück im Holzfußboden, was ich mit einem Pfropf aus Stoff verberge, am Ende der Beete der Tennisplatz, auf dem selbst im Sommer niemand spielt, früher spielte der Vater der Senhora mit seinen Freunden, und die Mutter der Senhora saß mit langer Zigarettenspitze unter einem lila Sonnenschirm, rund um das Gebäude, in dem ich wohne, Unkraut, Buschwerk, ein Fahrrad, dem der Lenker fehlt und das die Büsche allmählich auffressen, wenn wir uns zu lange an einem Ort aufhalten, verschlucken sie uns Stück für Stück, Füße, Beine, die Taille, das Schweigen des Mundes braucht länger, bis es weg ist, beispielsweise das des Tennispartners des Vaters der Senhora, als der Vater der Senhora zwischen zwei Bällen

– Ich will einundfünfzig Prozent Ihrer Zementfabrik

ohne sein Spiel zu unterbrechen, der andere hielt inne und starrte ihn an, ich weiß nicht, ob ich gern in das Haus der Senhora komme, ich weiß nicht, ob ich sie mag, manchmal erschrecken mich ihr Gesichtsausdruck, ihr Benehmen, der Vater meines Sohnes sucht uns nicht auf, ruft nicht an, schickt kein Geld, man hat mir erzählt, dass sein Vater Nebel in beiden Augen hat, auf einem Weidenstühlchen sitzt und Däumchen dreht, der Vater der Senhora zum Tennispartner

– Ich würde ungern Ihren Kredit aufkündigen und die Fabrik dann schließen lassen

der Partner verschlug einen, zwei Bälle, ging einen Schritt auf den Vater der Senhora zu, ließ den Schläger fallen und verließ den Platz, Dutzende ankernder Schiffe in der Bucht, Möwen auf der Kaimauer, vierundzwanzigster Juli um sieben Uhr morgens, zwei Kilo neunhundert Gramm, der Obdachlose, ich hatte keine Haare, brauchte lange, bis ich atmete, ging mit einer Angelrute über den Sand, durchstöberte Algen, Steinchen, immer von Straßenhunden umringt, der Partner rief eine Frau in Rot, ich muss hübsch ausgesehen haben, voller Falten, die die Senhora einmal im Büro angetroffen hatte

– Nun mal los Teresa

die in Rot hatte sich bei den Druckknöpfen ihrer Bluse vertan, nach einem Anhänger gesucht, der Vater der Senhora zur Senhora

– Sag Tante Teresa guten Tag

die Hunde kamen und gingen am Strand, schnüffelten, bellten, einer von ihnen war grau, hatte eine Wunde am Rücken, er verfolgte eine Seeschwalbe bis zum Wasser und blieb dort wartend stehen, Ölflecken, Strohhalme, ich habe eine Freundin in der Boutique neben der Buchhandlung, sie heißt Celeste, ist mit einem Kapverdier verheiratet, hat keine Kinder, nicht weil sie keine will, seinetwegen, der Spritzen vom Arzt bekommt, und der Arzt

– Verlieren Sie die Hoffnung nicht mein Freund die Besserung wird kommen

Celeste

– Bislang ist sie nicht gekommen aber es ist doch möglich oder?

der Vater der Senhora zu der in Rot

– Die Liebe zu Ihrem Mann rührt mich aber die Antwort ist nein

und vielleicht ist es ja möglich, was weiß ich, die Spritzen werden wohl für irgendetwas gut sein, vor allem, wenn sie wehtun, das ist ein Zeichen dafür, dass der Organismus reagiert, Celeste

– Das hat man mir in der Apotheke auch erklärt du solltest Ärztin sein

der Hund kam enttäuscht vom Wasser zurück, langsam, wahrscheinlich ist auch er von Kap Verde hergereist, irgendwann schlage ich auf den Fernseher, und das Bild ist ganz weg, sie sterben auch, die Maschinen, hinter dem Gebäude verbeulte Kühlschränke, Ventilatoren und Küchenherde, die in Rot ging den Flur hinunter, und eine letzte Tür schloss sich mit einem Knall, Schwärme bunter Vögel im Wasser des Staudamms in Afrika, der Vater der Senhora zum Tennispartner, der mit quietschendem Füller Verträge rubrizierte

– Regen Sie sich nicht auf

der Vater der Senhora lobend

– Ich bewundere Ihre Besonnenheit

wobei er seine Hand ausstreckte, und der andere, in Todesqualen, drückte sie

– Ich erwarte Sie am Sonnabend zu einem Spielchen

und die in Rot sah neben der Mutter der Senhora zu, während der Tennispartner einen Ball nach dem anderen verschlug, der Vater der Senhora mit argloser Verwunderung

– Was ist denn mit Ihnen los?

Schwärme bunter Vögel im Staudamm, daran erinnere ich mich, und Dutzende Amseln im Garten in Cascais, Gott abwesend, logischerweise, kommen Sie mir nicht mit Geschichten, was erwartet man schon von ihm, Celeste

– Vielleicht ist es ja besser so weißt du so ein Mischlingskind

die in Rot schwanger, der Vater der Senhora

– Meinen Glückwunsch

die Mutter der Senhora verbarg Mutmaßungen hinter dem Fächer, die Senhora

– So unglaublich das erscheinen mag aber ich mochte meinen Vater

mit einem mädchenhaften Seufzer, da die Sonne mich störte, konnte ich ihre Gesichtszüge nicht gut erkennen, ich sah die Umrisse einer alten Frau, die, von riesigen Möbeln umgeben, im Licht schwebte, über die Frau in Rot stolperte, wenn ihre Mutter nicht da war, ich hatte Angst, dass der Obdachlose ins Meer ging, dass die Straßenhunde den liegengelassenen Rucksack zerfetzen würden, der Diabetiker

– Wie spät ist es?

und wie spät ist es überhaupt, auf der seit Ewigkeiten kaputten Uhr in der Buchhandlung zeitlose vier, und daher begann die Negerin mit den Gummiarmbändern, die in der Küche arbeitete und mit ihrem Geruch den Geruch des Eintopfs durchtränkte, mit der Zubereitung des Abendessens, die Senhora schwoll im Arreal des Lichts, dem Rhythmus der Gardinen folgend, an und ab, mal erreichte sie mich, mal entfernte sie sich, ich wünsche mir nur, dass die bunten Vögel mich nicht verlassen, ich möchte am liebsten, warum auch immer, Mutter schreiben, da steht es, Mutter, Mutter, der Vater der Senhora mit dem Tennisschläger in der Hand, und so viele Bäume rings um den Tennisplatz, deren Namen ich nicht kenne, auch so viele Amseln, nicht Dutzende, wie ich dachte, Hunderte, Tausende, für die Mutter der Senhora Tausende, Tausende Amseln und Tausende Frauen in Rot, wäre der Zug abgefahren, ein Hotel in Madrid, der Mann mit dem Zigarettenetui entkorkt einen Champagner, und die Mutter der Senhora in einem durchsichtigen Negligé, sieht nur einige Bäume und Amseln gut, was für einen Unsinn man doch erfindet, der Vater der Senhora war über die Wiege des Säuglings von der in Rot gebeugt, in der Babyrasseln leise bimmelten

– Ganz der Vater

und der Tennispartner brachte nicht den Mut auf, ihn anzusehen, versteckte sich, so gut er konnte, unter dem Panamahut, er zog ein Taschentuch aus der Hose, das seine Hand zum Schütteln brachte, die Taschentücher schütteln uns, nicht wir sie, und er hoffte, dass der Hosenstoff dies verdeckte, Celeste ganz leise

– Manchmal habe ich wenn ich mit dem Nigger zusammen war den Wunsch mich zu waschen

und schwieg, weil sie es bereute, anderthalb Stunden von ihrem Wohnort zur Boutique, Bus, Metro, Zug, und daher alterte sie schneller, Sehnen am Hals

– Schau dir meinen Hals an

Falten unter dem Kinn, die niemandem etwas vormachen

– Die machen niemandem etwas vor oder?

natürlich machen die niemandem etwas vor, aber wenn du dein Haar färbst, überspielt es das vielleicht, was weiß ich, der Tennispartner suchte den Vater der Senhora in der Bank auf, wartete in einem kleinen Zimmer, die Knie dicht beieinander, prüfte den Stoff seiner Hose, schlug die Beine aus Schicklichkeit nicht übereinander, der Vater der Senhora unsichtbar, ein blondes Mädchen ging hinein und kam heraus, nahm den Tennispartner nicht wahr, der Tennispartner

– Es gibt mich nicht

und es gab ihn tatsächlich nicht, der Vater der Senhora zu der in Rot

– Ein Blödmann

und die in Rot stimmte zu, kaum dass ihr Ehemann versuchte, sie zu liebkosen, wies sie ihn ab

– Nun lass schon

ich habe so einen Druck im Kopf, ich bin erschöpft, ich stehe um sieben Uhr morgens auf, ihr Körper mit dem Rücken zu ihm, eine Schulter nackt und Abdrücke von Fingern an der Wurzel des Nackens, die der rosa Lampenschirm vergrößerte, die Senhora zu mir

– Falls Sie denken mein Vater sei ein Mistkerl gewesen ich denke manchmal dass er ein kompletter Mistkerl war

der Vater der Senhora zu dem blonden Mädchen

– Bitten Sie diese Nervensäge da herein

so, dass der Tennispartner es hörte, seine Finger, die nicht den Nacken von der in Rot drückten, zermalmten einander besiegt, man sah die Gelenke, man sah die Knochen, würden sie gegeneinander spielen, würde der Tennispartner gewinnen, aber er war außerstande, den Vater der Senhora einen Tollpatsch zu nennen, denn der Vater der Senhora gleich

– Halten Sie den Mund

ohne Worte, aber

– Halten Sie den Mund

noch bevor das

– Tollpatsch

kam, der Partner deshalb mit verlegener Anerkennung

– Danke dass Sie mich haben gewinnen lassen

wo er mich gar nicht hat gewinnen lassen, das Arschloch hat kein Talent, der Partner in Panik, man könnte das

– Arschloch

mitbekommen, hinderte es daran herauszukommen, indem er den Mund fest verschloss, und es durch

– Danke dass Sie mich haben gewinnen lassen

ersetzte und dies Buchstabe für Buchstabe nervös wie ein Verurteilter zusammenfügte, aber die Silben waren so groß, so schwer aneinanderzureihen, die Stimme des Vaters der Senhora zu dem blonden Mädchen, das hereinkam und hinausging und den Partner nicht wahrnahm, es gibt mich nicht, Schluss, aus, nimm endlich zur Kenntnis, dass es dich nicht gibt, und er akzeptierte, dass es ihn nicht gab, er war nicht, die in Rot, als sie ihn wegstieß

– Du bist nicht

und in seinem Kopf

– Ich bin nicht

außer durch die Stimme des Vaters der Senhora

– Bitten Sie diese Nervensäge da herein

bitten Sie diese demütige, angespannte Nervensäge mit den zusammengestellten Knien herein, das blonde Mädchen, ein gespitzter Mund zum Büro hin und kein Satz, keine Beachtung, die Senhora zu mir

– Ich habe sie an vielen Nachmittagen in diesem Haus angetroffen

die in Rot neunzehn, zwanzig Jahre alt, mehr oder weniger so alt wie sie, dazu noch ein oder zwei Jahre in derselben Privatschule, die Senhora erinnerte sich an Zöpfe mit gepunkteten Schleifen und daran, dass die andere sich über sie lustig machte

– Kneifzangenbeine

ich erinnere mich daran, dass ich überlegte

– Ich sage das den Nonnen

aber sie erzählte es nicht, der Chauffeur kam um fünf, um sie abzuholen, wenn die Schleifen die Straße überquerten, befahl sie

– Überfahren Sie sie

die Augen des Chauffeurs im Rückspiegel

– Sie haben vielleicht Ideen gnädiges Fräulein

draußen steht ein Wagen wie dieser, aber der Chauffeur ist ein anderer, er hat die Nähfrau geheiratet, und die Nähfrau zur Senhora, die stocksauer darüber war, dass die, die ihr Kneifzangenbeine nachgerufen hatte, nicht plattgewalzt auf der Straße lag

– Warum nennen Sie meinen Mann ungehorsam gnädiges Fräulein?

die Knöchel wegen eines Problems in den Venen geschwollen, die Senhora

– Ich werde meiner Mutter sagen dass sie Sie beide entlassen soll

während sie ein Rotkehlchen beobachtete, das sich auf einem Zweig wog, wie viele Kilos wiegen Vögel, Schwalben, Drosseln, Spatzen, sagte die Senhora zu mir

– Halten Sie mich für böse?

entschied ohne Überzeugung

– Wahrscheinlich tun Sie das nicht wahr?

aber ich antwortete nicht, weil Celeste mir gerade eine schwierige Frage stellte

– Würdest du dich an meiner Stelle scheiden lassen?

die einer langen Überlegung bedurfte, und ich bin, was Überlegungen betrifft, nicht besonders gut, entweder fallen mir die Lösungen plötzlich ein, oder ich finde sie nie, ich weiß nicht, ob das eine gute oder eine schlechte Eigenschaft von mir ist, meine Eltern dachten nicht nach, sie entschieden irgendwie und bereuten es später, meine Mutter

– Ich bin wirklich zu blöd

der Vater der Senhora, während er ein Memorandum notierte, zum Tennispartner

– Sagen sie bloß nicht dass Sie das Geld ausgegeben haben das ich Ihnen für die Zementfabrik gezahlt habe und jetzt um eine Anstellung betteln?

dabei stand das blonde Mädchen neben ihm, ihr Armband identisch mit dem der Frau in Rot, ihre Kette eine Replik von deren Kette, sogar ihr Haarschnitt sah ähnlich aus, ihre Kleider hatten garantiert das gleiche Etikett, und wahrscheinlich gab es Abdrücke von Fingern an der Wurzel des Nackens, der Vater der Senhora hob ein halbes Augenlid

– Wie kommen Sie dazu mich darum zu bitten Ihnen einen Job zu verschaffen wo Sie doch keinen Heller wert sind?

nicht ironisch, ungläubig, er legte den Füller ohne Eile ab, die Senhora flüsternd

– Ich wage nicht meinen Vater zu verurteilen

indem sie, Celeste, den Hund auf dem Teppich abstellte

– Niemand wagte es

Celeste vor dem Schaufenster eines Geschäfts im Shoppingcenter, von einem grauenhaften Schachtisch hingerissen

– Du kennst meine Familie nicht sogar im Falle eines Kapverdiers akzeptieren sie eine Scheidung nicht

die Senhora entfernte sich von der Nähfrau auf einem Bein hüpfend, auf einem der Kneifzangenbeine balancierend, mitten im Flur wechselte sie das Bein, passte auf, dass sie nicht auf die Ritzen trat, die die Dielenbretter voneinander trennten, würde sie darauftreten, gäbe es Leite-Creme zum Abendessen, trat sie nicht darauf, Erdbeerkuchen, die Mutter der Senhora

– Wo es so viele arme Menschen gibt die Hunger haben fehlte es gerade noch dass du keine Leite-Creme isst mindestens sieben Löffel

der Vater der Senhora rauchte, ihr ganzes Leben lang würde er morgen mit ihr reden, er versprach

– Ganz sicher

und machte sich wieder davon, zog an einem ihrer Zöpfe

– Versprochen ist versprochen

und vergaß es, die Hunde des Obdachlosen gaben diesen für eine Möwe mit gebrochenem Flügel auf, die zu ihnen gewandt, wild vor Angst das Gefieder sträubte, eine Welle nahm sie mit sich und hinterließ eine Furche im Sand, der aus dem Material der Spielzeugdelphine gemacht war, die sie ihr ins Bad legten

– Da hast du deine Fische

weil sie sich dachten, sie so zu beschäftigen, während sie sie einseiften

– Mach die Augen fest zu

denn der Schaum brannte, und die vor mir sitzende Senhora kniff fest die Augen zu, ich blieb Ewigkeiten lang auf der Kaimauer in der Hoffnung, die Möwe würde zurückkehren, aber ich habe sie nie wiedergesehen, all die Schätze, die ich in den Jahren verloren habe, gestern, beispielsweise, tauchte ein Nachthemd meiner Mutter aus der Zeit auf, als ich klein war, an der Schulter war die Naht aufgegangen und ihre Haut zu sehen, nackter, als wäre sie nackt gewesen, verbessern Sie das, mir ist nicht wohl dabei, früher oder später wird die Möwe an der Küste zwischen Brettern und Kleister angeschwemmt werden, mein Vater drehte in der Hütte am Staudamm an Rädern, ein Neger half ihm

– Das ist mühsam Kleine

und der Neger, barfuß, voll hohler Freude, ich kenne keine traurigen Neger, während die Senhora mit geschmeidigem Feenschritt die Froschbauchkommode berührte und sie in einen Prinzen verwandelte

– Wach auf

der Vater der Senhora kräuselte die Nase zum blonden Mädchen hin

– Böses Mädchen

die zu ihm hin die Nase kräuselte

– Böser Junge

und blickte dann länger, zwischen Enttäuschung und Nachsicht, auf den Tennispartner

– Da wir Gevattern sind werde ich vielleicht eine Stelle für Sie ausfindig machen

und die beiden Bösen trieben weiter ihre Scherzchen, Celeste blickte vom Schachtisch auf

– Meine Brüder würden mich umbringen

ich glaube nicht an Gott, wie kann ich an ihn glauben, wo er immer, wenn ich ihn brauchte, nicht da war, er hat wohl keine gute Meinung von mir, oder er kümmert sich einfach nicht um mich, ich bin unwichtig, zähle nicht, schau, mein Vater, bevor er ins Bett geht, hockt er da draußen mit seiner Pfeife, verscheucht die Käfer mit dem Handrücken, meine Mutter, die sich am Rock abwischt

– Leandro

und der tiefe Atem der Erde, außer dem Obdachlosen war da noch ein Bettler, der etwas, das ich nicht erkennen konnte, in einen Sack aufsammelte, der Tennispartner in der Buchhaltungsabteilung der Zementfabrik, in der die Angestellten sich nicht erhoben, als er eintrat, das Bild seines Großvaters, der das Geschäft gegründet hatte, war von der Wand abgenommen worden, die Senhora langsam nicht zu mir, sondern zu sich selber

– Und die Leute nahmen es hin

zufrieden mit der Erinnerung an die Delphine, sie hatte einen in einer Schublade im Schlafzimmer aufbewahrt, bis der Ehemann, mit ihm auf der Handfläche

– Was ist das da?

ohne Augen, ohne Flossen, nur die Hälfte der Nase, keine Kommode wurde zu einem Prinzen, blieb nur Holz, sie versuchte, sich hüpfend fortzubewegen, um ihm den Fisch wegzunehmen

– Das ist ein Spielzeug von mir

aber sie hatte Elan und Leichtigkeit verloren, verkündete im Inneren einer heimlichen Träne, die der Ehemann nicht bemerkte, er hatte sein ganzes Leben lang nie eine Träne bemerkt

– Ich werde keine Fee mehr sein

der Ehemann runzelte die Stirn

– Fee?

das Projekt einer Scheidung verblasste in Celeste vor einem Schuhladen

– Schau nur diese Sandalen

und belebte sich wieder angesichts des Schildchens mit dem Preis, ich möchte wetten, dass meine Mutter das gelbe, nach so vielen Wäschen fast weiße Nachthemd in der Truhe verwahrte, oder eher das weiße, an einigen Stellen gelbe, würde man es in eine Schüssel tauchen, würde es sich auflösen, die Pfeife meines Vaters unendlich, am Horizont eine Brandrodung, der Erste-Hilfe-Posten erleuchtet, darin der indische Krankenpfleger, keine Arzneifläschchen, keine Watte im Topf, die Nächte eine dichte, von Geräuschen gesättigte Stille, und mit so vielen undeutlichen Stimmen rief sie mich, ich hörte nur die Eulen und die Gespräche der Toten, als wir weggingen, blieb der Inder im Kittel und mit Turban zurück, winkte unter dem Vordach, ich drehte mich vor der Kurve um, und er winkte noch immer, solche Bilder aus meiner Kindheit halten sich, die Senhora

– Wenn es nach mir gegangen wäre hätte ich nicht geheiratet

obwohl wir gleich alt sind, ist Celeste älter als ich, zu den Sandalen gebeugt, konnte sie sich nicht sattsehen

– Zusammen mit meinem grünen Kleid was meinst du?

die Senhora in Richtung Fenster

– Niemanden

ihr Profil scharf umrissen vor den Bäumen, genau das hätte ich tun sollen und habe es nicht getan, Ergebnis, mein Mann ist abgehauen, besucht seinen Sohn nicht einmal zu Weihnachten, und was Alimente betrifft, da kann ich nur lachen, ich wette, er hat eine Idiotin wie mich aufgetrieben, die ihn unterhält, Idioten gibt’s wie Sand am Meer, behauptete er immer, ich hatte in der Gaststätte seines Vaters gekellnert, würde ich dort vorbeigehen

– Ist Arménio da?

stünde meine Schwiegermutter, das Profil der Senhora scharf umrissen vor den Bäumen, der Eindruck, dass eine Art Melancholie darin, so ein Unsinn, wie komme ich bloß darauf, wo ist das Motiv für Melancholien, stünde meine Schwiegermutter da zwischen Töpfen

– Ich habe ihn seit einem Monat nicht mehr gesehen

inmitten von Dampf und Ruß, ein Tuch um den Kopf gebunden, die Schwester meines Mannes kümmerte sich um Alte in einem Heim, Dutzende mahlender Kinne, allein der Gedanke, deren Hand zu ergreifen, dreht mir den Magen um, die Senhora, mir zugewandt

– Niemanden

und überhaupt keine Melancholie, die Haltung einer, die die Welt befehligt, und das tat sie auch, ich bin ein Esel, mich beunruhigt, dass der Obdachlose einsam ist, manchmal erwische ich mich dabei, dass ich an freien Tagen an ihn denke, wo ist er, was macht er, obwohl er immer da ist und nichts macht, ich sehe ihn nie im Gespräch, sehe ihn nicht essen, der Tennispartner hörte auf, mit dem Vater der Senhora zu spielen, die Frau in Rot verschwand aus dem Haus, der Vater der Senhora zur Mutter der Senhora

– Es ist eine Frage des Prinzips Untergebenen keine Vertraulichkeiten zu gestatten

während der Angestellte mit der weißen Jacke einen anderen Wein hinstellte, hinter dem Garten ein Kiefernwäldchen bis hin zur Straße, die den Guincho säumte, und der Wind nicht in den Stämmen, dort oben in den Wipfeln, wo der Himmel beginnt, der Typ vom Verlag in der Pastelaria

– Auch wenn Sie es mir vielleicht nicht glauben aber ich hatte Sehnsucht nach Ihnen

wischte sich den Mund mit der Papierserviette aus einem verchromten Kästchen ab, man zieht eine heraus, und die nächste erscheint umgehend, ich habe dieses Wunder nachzumachen versucht und es nicht geschafft, sie sind nicht gerade meine Spezialität, die Wunder, was übrigens Spezialität betrifft, gibt es da weiter nichts zu sagen, wie macht man das, das Meer am Guincho, keine aufeinanderfolgenden Wellen, ein ständiges Rauschen, wenn mein Sohn schreiend aufwacht, wiege ich ihn etwas, und er beruhigt sich, wechselt den Traum, und das wäre es dann, Celeste

– Mit meinem grünen Kleid

nein, Celeste

– Wird mein Leben immer so sein?

anstatt zu antworten

– Wie hättest du es denn gern?

schweige ich, so wie ich auch bei der Senhora schweige, mich damit begnüge zuzuhören, nicht die Bücher sind ihr wichtig, es ist ein Mensch, ganz egal welcher, auch ein Landei wie ich, der ihr zuhört, die Besitzerin der Buchhandlung

– Hör du ihr so lange zu wie sie Lust hat ich schicke ihr immer die teuersten Wälzer

also verbringe ich Woche für Woche in einem für mich zu großen Salon, komme fast im Dunkeln mit dem im Wind schwankenden Bus nach Cascais zurück und nehme wahr, wie die Dünen wachsen, mein Vater in Afrika, mit allen Zähnen, hockt da und raucht

– Spürst du den Regen?

und die Negerin mit dem Gummiarmband wird auf der Mauer des Staudamms entlang immer kleiner, der Vater der Senhora zur Senhora

– Du heiratest im Oktober

im grünen Kleid mit den Schuhen aus dem Schaufenster im Shoppingcenter, die Scheidungen verhindern, der Mann der Senhora, indem er den Delphin herzeigte

– Und diesen Mist hast du dein Leben lang aufbewahrt?

Erbe einer anderen Bank als der, die der Vater der Senhora verwaltete, noch mehr Fabriken, noch mehr Landbesitz, und er zerknüllte den Fisch

– Macht es dir etwas aus wenn ich ihn in den Müll werfe?

und die Senhora hüpfte mit Kneifzangenbeinen auf ihn zu, es gelang ihr nicht, ihn zu packen, denn wenn man über zehn ist, schafft man es nicht mehr, weil die Entfernungen größer werden; Kilometer über Kilometer trennen die Dinge voneinander, einmal ganz abgesehen von den eigenständigen Muskeln, widerwilligen Knochen, hart werdenden Sehnen, die Senhora teilte ihrem Vater mit, dass sie den in einen Prinzen verwandelten Kommodenfrosch vorziehen würde, und der Vater richtete sich auf, der Obdachlose, schraubte sich aus sich selber hoch

– Ein Prinz?

so wie der Obdachlose möglicherweise ein Prinz ist und das Hamburgerrestaurant ein verkappter Palast, die Senhora, ich habe schon außergewöhnlichere Geschichten gehört, und die Mutter der Senhora auf dem Sofa, Pfauen, Störche, was für ein Land gefiederter Wesen unseres doch ist, nur Strauße fehlen und Fledermäuse wie die in Afrika, in Portugal sind sie klein, wir sind bescheiden, was Fledermäuse betrifft, die Serra de Sintra mit Wolken auf dem Gipfel, die Senhora und die Mutter der Senhora auf dem Sofa, Leute im Kiefernwäldchen auf einer Decke, sie essen zu Mittag, die Mutter der Senhora rief den Angestellten mit der weißen Jacke

– Was sind das für Leutchen Marçal?

der Angestellte mit der weißen Jacke schaute aus dem Fenster

– Sieht so aus als würden sie essen Senhora

der Bräutigam der Senhora ersetzte den Tennispartner und das blonde Mädchen die Frau in Rot, die Gattin des französischen Botschafters, immer mit Handschuhen, zu der der Vater der Senhora zwischen zwei Schlägen hinüberschaute, war der Venus ähnlich, die auf einem Steinhaufen in der Mitte des Wasserbeckens eine Muschel hochhielt, der Vater meines Sohnes tat mir immer weh, und ich zählte die Autos auf der Straße

– Wenn ich bei fünfzehn bin schiebe ich dich runter

die Mutter der Senhora zum Angestellten mit der weißen Jacke

– Sagen Sie denen dass ich sie dort nicht will denn dieses Kiefernwäldchen gehört mir

ich fügte zu den Autos die Mofas und das Dreirad mit den Krücken zu beiden Seiten des Sitzes des Behinderten vom Erdgeschoss hinzu, der bis zur Taille normal war, und nach der Taille eine welke Hose und unterschiedliche an der Spitze gebogene Stiefel, bevor er zu spielen begann, übergab der Vater der Senhora der Gattin des Botschafters sein Handtuch

– Sie bringen mir Glück

und die Gattin des Botschafters liebkoste es ohne Hast, sie trug die Sandalen, die Celeste so gern hätte, der Angestellte mit der weißen Jacke, und ein beinahe grünes Kleid, will heißen perlfarben, ein beinahe grünes, sich als Perle ausgebendes Kleid, würde man Celeste einladen

– Hast du das gesehen sieht praktisch wie meins aus

glücklich, dass es praktisch ihres ist, glücklich, dass es ihres ist, ich habe Angst vor den Rolltreppen im Shoppingcenter, die einen oder zwei Meter lang ganz gerade anfangen und plötzlich, was die Amerikaner alles erfinden, zu Stufen werden, bis sie wieder eben sind und in einer Spalte aus Metall verschwinden, wie am Rand eines Swimmingpools warte ich ewig lange, rechne mir den am wenigsten gefährlichen Augenblick aus, um mich daraufzubegeben, halte den Handlauf mit aller Kraft fest und rette mich, oben angekommen, mit einem glücklichen kleinen Hüpfer, sollte ich einmal mit einem Sportflugzeug fliegen und das Sportflugzeug abstürzen, werde ich, bei dem Glück, das ich habe, nicht sterben, was mich dazu zwingen wird, daran zu glauben, dass Gott möglicherweise doch existiert und in Alarmbereitschaft ist, falls ich ihn brauche, man glaubt, er wäre es nicht, er ist es aber, der Angestellte mit der weißen Jacke, als der Behinderte sich vom Dreirad befreite und mit so viel Bein, mit so vielen Krücken, so vielen Stiefeln einer wirren Spinne glich, wartete die Gattin, total normal, sie wartete jeweils nach drei Schritten, sie sagt Dirceu zu ihm, und Dirceu ist perfekt, ich kann es nicht erklären, aber Dirceu ist perfekt, wer ihn kennt, ist meiner Meinung, ich würde keinen anderen Namen für ihn erfinden, der Angestellte mit der weißen Jacke ging um die Beete, das Gewächshaus, die zwei Chinesischen Flammenbäume am Rand des Gartens herum, öffnete die Pforte zum Kiefernwäldchen, trat an die Decke der Familie voller Körbe, Töpfe, Besteck, zeigte auf den Vorhang, hinter dem die Mutter der Senhora und die Senhora hervorspähten, redete, hörte zu, redete wieder, hörte wieder zu, ein Kind bot ihm einen Hühnerschenkel an, ein Mann zeigte ihm den Löffel, ein zweiter Mann nahm dem Kind den Hühnerschenkel weg, wedelte damit in Richtung Haus, und der Angestellte mit der weißen Jacke machte sich besiegt an die Rückkehr, kratzte sich hinterm Ohr, während der zweite Mann etwas brüllte, der Angestellte mit der weißen Jacke schloss die Pforte, als würde er einen Tresor verriegeln, ging an einem marmornen Diskuswerfer, an der Gartenlaube, an der Venus mit ihrer erhobenen Muschel vorbei, verlor sich an der Ecke des Gewächshauses und tauchte im Salon auf, die Mutter der Senhora zu ihm

– Haben Sie mit den Leutchen geredet Marçal?

der Angestellte mit der weißen Jacke mit vorsichtiger Stimme

– Ja habe ich

hoffentlich geht der Obdachlose nie weg, wenn er geht, werde ich, so ein Quatsch, wenn er geht, werde ich überhaupt nichts, ich habe die Arbeit, habe Freundinnen, habe jemanden, der mich zu Kaffees einlädt, die Mutter der Senhora zu dem Angestellten mit der weißen Jacke

– Sie haben Ihnen doch gesagt dass das Kiefernwäldchen mir gehört und ich es ihnen nicht erlaubt habe Marçal?

der Typ mit den Kaffees, mit dem es möglich sein würde, mit dem es vielleicht möglich wäre, wenn ich den Vater meines Sohnes vergäße, der trotz allem, ich bin so bescheuert, noch immer in mir ist, obwohl ich mir wünsche, bei fünfzehn anzukommen und ihn aus mir rauszuwerfen, die Mutter der Senhora zum Angestellten mit der weißen Jacke

– Und was haben sie geantwortet Marçal?

der Angestellte mit der weißen Jacke machte einen Schritt zurück, trat einen Schritt vor, öffnete den Mund, bereute es, machte wieder den Mund auf, der Angestellte mit der weißen Jacke brachte am Ende einer nicht aufhörenden Pause ein Murmeln zustande

– Sie haben geantwortet

die Mutter der Senhora herrisch

– Ich kann Sie so nicht hören Marçal

und der Angestellte mit der weißen Jacke, unvermittelt entschlossen, wir alle müssen sterben, nicht wahr, schloss die Augen angesichts des Abgrunds und stürzte sich mit lauter Stimme hinein

– Sie haben geantwortet dass Sie sich ins Knie ficken sollen.