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Manchmal ist das Ende einer Geschichte ihr eigentlicher Anfang und ihr Anfang befindet sich irgendwo in der Mitte oder ist sogar ihr Ende – aber hört sie wirklich jemals auf? Wie dem auch sei – Brigitte und Gerd aus Hamburg wandern auf dem Stevensonweg in den Cevennen. Sie starten im mittelalterlichen Le Puy-en-Velay, voller Staunen über die sich weit gen Himmel streckenden Basaltspitzen und die Traditionen dieser Stadt, auf die sie unweigerlich beim Stadtrundgang stoßen. Auf über 230 Kilometern sind sie mit leichtem Rucksack bis Saint-Jean-du-Gard unterwegs. Sie genießen die faszinierende Sicht auf die Bergwelt, laufen über leuchtende Schieferplatten, trinken warmes Bier auf dem Sommet de Finiels, und „stolpern“ voller Neugierde immer wieder über Interessantes – einen Schneeverwehungstunnel, eine Magnanerie, Terrassen mit Esskastanien in den Wäldern und sie spüren einen Hauch der Bestie des Gévaudan. Wie die beiden auf die Idee zu dieser Wanderung gekommen sind? Auch das wird erzählt. Es war ein besonderes Abenteuer; lustig, grotesk und ohne Geschwindigkeitsüberschreitung. Zwischenzeitlich sind sie auf der Via Tolosana gelaufen … ihre Geschichte geht also weiter.
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Seitenzahl: 175
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Impressum
Brigitte Günzel
»Von Eseln, zwei Wanderern und den Cevennen
- Erlebnisbericht(e) «
www.edition-winterwork.de
© 2024 edition winterwork
Alle Rechte vorbehalten.
Lektorat: Frieda Lyd, [email protected]
Satz: edition winterwork
Umschlag: edition winterwork
Druck/E-BOOK: winterwork Borsdorf
ISBN Druck 978-3-98913-107-1
ISBN E-BOOK 978-3-98913-148-4
Brigitte Günzel
Von Eseln, zwei Wanderern und den Cevennen
☼
Erlebnisbericht(e)
edition winterwork
Mein Name ist Brigitte Günzel, ich bin Jahrgang 1959 und seit 2023 im Ruhestand. Ich vermeide es, über mein Alter nachzudenken. Es ist, wie es ist und so genieße ich diese Zeit mit meinem Mann, unserer Familie und lieben Menschen. Ich habe mein früheres Leben auf dem Land gemocht und jetzt liebe ich mein Großstadtleben in dieser wunderbaren Stadt Hamburg. Alles hat seine Zeit!
Mein Mann und ich machen gern lange Wanderungen, meist mit dem Rucksack auf dem Rücken. Sich eine Auszeit vom durchorganisierten Alltag zu nehmen, die Komfortzone zu verlassen, bei Sonne, Regen und Wind unterwegs zu sein, morgens oft nicht zu wissen, wo wir abends schlafen werden – das macht unsere Abenteuer aus. Über dreitausend Kilometer haben wir so auf Pilgerwegen zurückgelegt.
Die Wanderung auf dem Stevensonweg in den französischen Cevennen ist für uns ein besonderes Abenteuer der etwas anderen Art: Gepäcktransfer, Vorreservierung der Unterkünfte, sich um nichts kümmern müssen, nur wandern, staunen und Proviant einkaufen. Das ist in gewisser Weise Luxus, bei dem die körperliche Anstrengung nicht zu kurz kommt, wenn man es kann und will.
Wir laden Sie ein, uns auf diesem Weg zu begleiten. Entdecken Sie gemeinsam mit uns dieses wunderschöne Fleckchen Erde – die Cevennen. Jeder Tag war anders. Jeder Tag war spannend. Jeder Tag war ein Vergnügen!
Manchmal ist es an der Zeit,
den Rucksack zu packen
und aufzubrechen.
☼
Für alle meine Lieben
in Deutschland und in Frankreich.
☼
Ich danke allen,
die mich beim Schreiben dieses Buches
unterstützt haben.
Alleine hätte ich diesen Weg
nicht geschafft.
☼
Los geht’s!
On y va !
Eigentlich beginne ich meine Geschichte in der Mitte. Nun, was ist die Mitte in einer Abfolge von Ereignissen? Jedenfalls nicht der Anfang, der eigentliche Ursprung der Idee. Aber das ist eine andere Geschichte, auf die ich später zurückkommen werde.
Weihnachten 2016 erfuhren wir, dass wir Großeltern werden. Unsere Tochter hatte uns ein rosafarbenes und ein hellblaues Babysöckchen in die Hände gelegt. Wie sich sehr schnell herausstellte, hatte diese Nachricht ein Samenkorn in unsere Herzen gepflanzt. Angesichts der Tatsache, dass über vierhundert Kilometer zwischen uns und unserem Enkelkind liegen und wir uns nicht oft sehen würden, machte es sich das klitzekleine Samenkorn in unseren Herzen gemütlich. Wir dachten in Ruhe darüber nach und kamen zu dem Schluss, dass häufige Besuche mit einer langen Anreise für alle anstrengend werden und wir den Alltag unseres Enkelkindes und unserer Kinder nicht erleben würden, wenn wir weit entfernt wohnen bleiben.
Auf unserer Wanderung im April und Mai 2017 auf der Via de la Plata, auf den über neunhundert Kilometern von Sevilla nach Santiago de Compostela, wurde aus dem Keimling eine Pflanze. Irgendwo unterwegs wussten wir definitiv, dass wir nach Hamburg ziehen wollen. Wir können für diese Entscheidung kein Datum benennen. Eines Tages merkten wir einfach, dass sie getroffen war. Wir begannen darüber zu reden, welchen Hausrat wir mitnehmen und welchen wir im Haus zurücklassen wollten.
Ehrlicherweise erwähne ich, dass wir es ganz tief in unseren Herzen bereits vor der Wanderung gewusst hatten. Aber für eine derartig tiefgreifende Veränderung in unserem Leben verordneten wir uns eine Bedenkzeit.
Auch wenn ich die Worte von Paulo Coelho in seinem Tagebuch einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela „Es ist immer gut, etwas Langsames zu tun, bevor man im Leben eine wichtige Entscheidung trifft …“1 (Coelho, 2007, S. 123) aus dem Zusammenhang reiße – unsere Pilgerreise war etwas sehr Langsames und genau das Richtige für unsere Überlegungen.
Unterwegs planten wir, wie wir das Ganze angehen. Wir mussten eine Wohnung in Hamburg finden, unser Haus verkaufen und nach Arbeitsstellen in der neuen Heimat suchen. Nach unserer Heimkehr klappte alles reibungslos und wir hatten bei jedem unserer Schritte eine gehörige Portion Glück. Allein den Vertrag für unsere schöne Dreizimmerwohnung unterschrieben wir bereits im Juni. Mitte August wurden wir Hamburger und wenige Tage später erfüllte sich das so sehnlichst erwartete: Unser Enkelkind wurde geboren.
Der Wechsel aus einem großen Haus in eine Wohnung war eine Herausforderung für uns. Wir mussten unseren gesamten Hausrat auf den Prüfstein stellen. Dabei fielen mir zwei kleine Bücher in die Hände: „Reise mit dem Esel durch die Cevennen“ von Robert Louis Stevenson und ein Outdoor-Handbuch über den Stevensonweg. Ich blätterte darin und erinnerte mich sofort, dass ich bei ihrem Kauf buchstäblich als Köder am Angelhaken gehangen hatte. Ich las ein paar Passagen und stellte fest, ich hänge immer noch daran. Zwar hatte ich zwischenzeitlich keine Schluckbeschwerden und musste nicht wie ein Fisch am Haken zappeln, dennoch war dieses „Es-noch-nicht-getan-zu-haben“ ein Gedanke, der meine Sehnsucht am Leben erhielt. Ich spürte deutlich, dass ich etwas für diese Sehnsucht tun wollte, aber gerade jetzt hatten wir andere Schwerpunkte. Ich packte den glänzenden Köder mit den Büchern in eine der Umzugskisten. Dadurch unsichtbar geworden und mit den vielen anderen Gedanken im Kopf, verlor ich ihn wieder aus den Augen.
Nach dem Umzug packte ich nach und nach alle Kartons aus, zuletzt die Bücherkisten. Ich sortierte auch diese beiden Bücher in den Schrank. Aufgrund der vielen Neuerungen in unserem Leben sollte es noch einige Zeit dauern, bis der Moment kam, in dem etwas an der Angelschnur zog und der Köder, an dem ich hing, zuckelte.
Bei der Ideensuche für unseren Sommerurlaub im Jahr 2020 nahm ich die Bücher wieder in meine Hände, schlug sie auf und da war er wieder, der glänzende Köder, der keinen anderen Gedanken zuließ. Es gab nichts zu überlegen. Wir waren uns sofort einig: Wir wollten in den Cevennen wandern, auf den Spuren von R.L. Stevenson und seiner Eselin Modestine. Unsere gedanklichen Vorbereitungen begannen. Da wir in der Haupturlaubszeit August unterwegs sein würden, mussten wir mit dem Problem rechnen, nicht immer spontan ein Bett zu bekommen. Hinzu kamen unsere Bedenken hinsichtlich meiner geringen Französischkenntnisse. Deshalb entschieden wir uns für eine Art des Wanderns, die ich voller Vorfreude von Beginn an Luxuswandern nenne: Buchung der Unterkünfte und Gepäcktransfer über einen Reiseveranstalter.
Natürlich ist das eine ganz normale Form des Wanderns. Nur da wir bislang ohne Vorreservierungen und mit den Rucksäcken auf dem Rücken unterwegs waren, erschien es uns als Luxus, den wir mit allen seinen Annehmlichkeiten genießen wollten. Mitte Januar 2020 erhielten wir die Bestätigung für unsere zweiwöchige Reise ab dem 2. August. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass wir aufgrund der Covid-Pandemie mit unserer Wanderung genau zwischen einen ersten und einen zweiten Lockdown in Deutschland rutschen würden. Die Lockerungen nach dem ersten Lockdown ermöglichten uns die Reise. Wir wollten diese Wanderung und wir haben die Risiken mit aller Vorsicht in Kauf genommen.
Am Samstag, dem 1. August, starteten wir morgens um halb fünf mit unserem Auto Richtung Frankreich, in der Tasche die Hotelbuchung für einen Zwischenstopp in Neuenburg am Rhein. In Vorbereitung der Reise hatten wir alle Unterlagen gelesen und uns über die einzelnen Etappen der Wanderung informiert. Jeder von uns beiden hatte frühzeitig seine Gepäckliste geschrieben, immer wieder über sie nachgedacht und geändert.
Ich gebe zu, meine Liste fertigte ich viel zu akribisch an, fast wissenschaftlich. Es gibt Zwischenüberschriften wie Bekleidung, Kosmetik, Sachen für die Fahrt und ich arbeite mit Markierungen. So wird zum Beispiel alles das, was ich am Morgen einer Abreise noch zum Gepäck nehmen muss, bis hin zum Haustürschlüssel, gelb markiert. In einer Spalte steht das grammgenaue Gewicht. Ich weiß, dass es ohne geht, aber ich liebe Tabellen und Übersichten. Wann immer es für mich Sinn macht, arbeite ich damit, auch wenn ich manchmal selbst über mich lächle.
Natürlich musste ich bei dieser Wanderung bezüglich des Gepäcks nicht allzu streng sein. Ich konnte mir erlauben, mehr Sachen einzupacken als üblich. Ich kostete dieses tolle Gefühl aus. Allerdings war ich mir relativ sicher, dass ich einige Sachen letztlich nicht benutzen würde.
Auf dem Weg zur Tiefgarage stellte Gerd plötzlich erschrocken fest, dass er den Autoschlüssel nicht hat. Aufgeregt und fahrig klopfte er ergebnislos seine Jacken- und Hosentaschen ab. Ich wusste, dass ich sie nicht habe, schaute aber dennoch in meinen Handrucksack. Als wir sie auch in der Wohnung nicht fanden und mir gerade in einem Anflug von Panik eventuelle Lösungsmöglichkeiten wild durch den Kopf schossen, zog Gerd den Schlüssel aus seiner Hemdtasche. Welch ein Glück! Ich war erleichtert, ein Vorwurf kam gar nicht infrage.
Die Fahrt nach Neuenburg am Rhein verlief gänzlich ohne Stau, mit durchweg flüssig rollendem Verkehr. Wir hörten Radiomusik, schauten auf die vorbeifliegenden Landschaften mit ihrem sommerlichen Grün und den meist roten Dächern in den Orten entlang der Autobahn. Als wir in der Ferne die Berge vom Harz erblickten, sprachen wir darüber, mal wieder nach Goslar und Wernigerode zu fahren. Der beeindruckende Anblick der Skyline von Frankfurt am Main kam für mich im richtigen Moment, wollte sich bei mir doch gerade eine gewisse Schläfrigkeit häuslich einrichten. Auf solch einem Streckenabschnitt war es besser, wenn ich als Beifahrerin ebenfalls aufmerksam war.
Noch bevor wir unser Tagesziel erreicht hatten, war Gerds Bienenstich fast vergessen. Auf einem Rastplatz hatte ihn eine Biene in den Arm „geküsst“. Das Glück war uns ein zweites Mal hold, eine große Schwellung blieb aus. Zur späten Mittagszeit erreichten wir Neuenburg am Rhein, eine Kleinstadt im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald. Gleich am Ortseingang befand sich unser Hotel. Wir bekamen ein sehr schönes Zimmer. Da wir am nächsten Morgen vor der Frühstückszeit starten wollten, bot uns die freundliche Rezeptionistin Lunchpakete an, die wir dankend annahmen. Sie erläuterte Gerd die Benutzung der Schließanlage am Hintereingang. Als er diese beim Holen des Gepäcks nutzen wollte, klappte es nicht. Vom Verzweifeln hatte er an diesem Tag genug. Das Dilemma mit dem Autoschlüssel hatte er noch im Kopf. Er ging also erneut zur Rezeptionistin und ließ sich nochmals die Türschließanlage mit Zahlencode erklären. Er hatte nur die Reihenfolge der zu drückenden Tasten verwechselt. Dennoch war er ein wenig ärgerlich auf sich selbst und vielleicht bat er mich deshalb, dies in die Notizen aufzunehmen. Ich denke, er war nach der langen Autofahrt einfach nur abgespannt, denn normalerweise ärgert er sich über solche Dinge nicht.
Uns stand der Sinn nicht nach Mittagessen, sondern nach großen Eisbechern. Wir machten uns auf die Suche nach einem Eiscafé, schlenderten dafür in Richtung Marktplatz und bewunderten die bunten Blumenarrangements an den Gehwegen. Der Marktplatz erschien uns nicht spektakulär, aber dennoch sommerlich-freundlich und einladend. Ein gepflasterter Platz, umrandet von einfach gestalteten zweigeschossigen Häusern, die Fassaden in verschiedenen hellen Farben wie Rosa oder Gelb. Wir steuerten das erste Eiscafé an, setzten uns unter einen der großen Sonnenschirme und bestellten Amarena-Kirsch-Eisbecher. Etliche Wespen hatten ebenfalls Eisappetit. Wir mussten aufpassen, keine in den Mund zu löffeln und schubsten sanft immer wieder ein gieriges Wesen vom Löffel. Das war ein bisschen anstrengend, aber wir ließen uns unsere gute Urlaubsstimmung dadurch nicht vermiesen. Beim weiteren Stadtrundgang fielen uns Brunnen mit Skulpturen auf. Besonders lustig fanden wir den als Schiff gestalteten „Narrenbrunnen“. Die närrischen Figuren stehen für Tollheiten in der Fastnacht. Beim Brunnen „Kinder unterm Regenschirm“ schauten wir in die spitzbübisch lachenden Gesichter zweier Kinder, deren Heiterkeit im Gesicht so gut herausgearbeitet ist, dass wir unwillkürlich schmunzeln mussten. Heute wissen wir, dass es sogar einen Brunnenrundgang mit neun Stationen gibt.
Den Spätnachmittag verbrachten wir in einem Straßencafé auf der anderen Seite des Marktplatzes. Bei Wein und Bier sahen wir dem beschaulichen Kommen und Gehen der Menschen zu, blätterten in unseren Wanderunterlagen und schauten, was wir uns in Le Puy-en-Velay unbedingt ansehen wollten. Das war Urlaubsstimmung pur! Für das Abendessen suchten wir uns einen Gasthof in unmittelbarer Nähe unseres Hotels aus. Obwohl der Gastraum mit seinen rustikalen Holzmöbeln sehr einladend war, nahmen wir bei diesem schönen Wetter lieber einen Tisch auf der Terrasse. Sie war durch die hohen Hecken ringsum, den Holzboden und das Sonnendach kuschelig, aber trotzdem freundlich und hell. Wir bestellten uns Schweineschnitzel nach „Jäger Art“ mit Butterspätzle sowie einen Grauburgunder. Das Essen war köstlich und die Portionen waren so groß, dass wir auf ein Dessert wie Crème brûlée oder Eis mit heißen Himbeeren schweren Herzens verzichteten.
Wir gingen früh zu Bett und waren der Meinung, dass dieser Reisetag ein guter Tag und Neuenburg am Rhein eine sehr gute Wahl für unseren Zwischenstopp war.