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Zufall, Bestimmung, Schicksal. Viele Fragen – doch wo findet man die Antworten? "Das Ziel der Menschen ist unumstritten: ankommen." – Sigmund Freud Ankommen – im Privaten, im Beruflichen und im Spirituellen. Die Geschichte "Von Gefühlen gefangen" erzählt von Benjamin, Valentina, Clemens und Miriam. Mit Humor, aber auch mit tiefgehender Lyrik und Prosa, wird die Leserin und der Leser zum Nachdenken angeregt. (Für eine Veränderung ist es im Leben nie zu spät.) Gell, Schmetterling?
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Seitenzahl: 100
Veröffentlichungsjahr: 2025
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
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© 2025 novum publishing gmbh
Rathausgasse 73, A-7311 Neckenmarkt
ISBN Printausgabe: 978-3-7116-0255-8
ISBN e-book: 978-3-7116-0256-5
Lektorat: Julia Brandner
Umschlagabbildung: Moneti | Dreamstime.com
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh
www.novumverlag.com
Vorwort
Von Gefühlen gefangen, die Flucht lächelt ohne Hoffnung.
Von Gefühlen gefangen, die Wirklichkeit krönt magische Momente.
Von Gefühlen gefangen, die Richtung kämpft um den Sieg.
Ich treffe dich am Neunten um 12 Uhr zu einem Vier-Augengespräch
Ich, Benjamin
(Plakatständer Teil 1)
Ich stand schon einige Minuten am Jakominiplatz. Früher als notwendig da zu sein, war mir schon lange sehr wichtig geworden. Ich hasse es, zum Beispiel einer Straßenbahn oder einem Autobus nachkeuchen zu müssen.
Am „Jako“ in Graz, der steirischen Landeshauptstadt, sollte um 7:30 Uhr mitteleuropäischer Zeit die Straßenbahnlinie 1 ankommen, um mich zum Bahnhof zu bringen. 180 Mal sollte bis dahin die Uhr noch ticken müssen, meldete die Haltestelleninfo. Ein Hund, braunes Fell und eine mittelgroße Statur, wurde von mir ins Visier genommen. Er schien herrenlos zu sein. Er schnüffelte sich einfach durch die Beine der Morgenmenschen. So richtig nahm aber der Vierbeiner keinen Zweibeiner wahr, was auch mir Ruhe schenkte. Als einer, welcher als Kind ein paar Mal zum Bissopfer eines solchen Tieres wurde, erklärte ich mir nun die Lustlosigkeit des Hundes an den vielen ihm zur Auswahl stehenden Beine damit, dass sein Frühstück gut schmeckend und in der Portion vollkommen ausreichend gewesen sein musste. Dieser Gedanke erheiterte mich ein wenig.
Vor einem Plakatständer blieb er stehen. So, als wollte er die darauf plakatierte Botschaft lesen, blickte sein Kopf auf das Geschriebene. Dabei nahm er sogar die hundetypische Sitzstellung ein.
Ein Foto, schoss es mir durch den Kopf.
Ich griff nach meinem Handy und hoffte, dass Wuffi so sitzen bleiben würde. Das erste Mal drückte ich in der Standardeinstellung der Handykamera den Auslöser. Danach betätigte ich einige Male den Zoom, um den Hund vor dem Plakatständer größer ins Bild zu bringen. So entstanden weitere Aufnahmen.
Eine alte Garnitur einer Straßenbahn quietschte in die Haltestelle. Überrascht, dass ich mich diesmal nicht einem Kampfbis aufs Blut für einen Sitzplatz aussetzen musste, eroberte ich einen solchen diesmal problemlos. Nun hatte ich einige Stationen lang Zeit, meine geknipsten Hundefotos zu begutachten. Mit dem, was ich am Handydisplay sah, war ich zufrieden. Zur gleichen Zeit wurde auch meine Neugierde geweckt. Es waren die Worte, welche am Plakat, vor dem der mit dem braunen Fell sitzende, angeblich treueste Freund des Menschen saß, zu lesen waren.
„Ich suchte den HERRN, und er antwortete mir – und aus allen meinen Ängsten rettete er mich“, Psalm 34, 5.
Wie wahrscheinlich 99 Prozent der Fahrgäste der Grazer Verkehrsbetriebe konnte ich auch diesmal unversehrt am Bahnhof aus der Bim steigen. Dort wartete schon auf Bahnsteig 4 mein 93 Tonnen schweres Baby, mein Dienstfahrzeug, eine Lokomotive mit dem Namen Taurus von den Österreichischen Bundesbahnen.
Der Schriftzug
Das Berühmte „Es fiel mir wie Schuppen von den Augen“ ereignete sich bei mir auf der Bahnstrecke zwischen Frohnleiten und Rothleiten. Als Lokführer eines Güterzuges war ich mit dem Ziel Wien unterwegs.
In meiner Schulzeit, und diese lag mittlerweile schon einige Jahre hinter mir, musste ich ziemlich angewidert „Die Bürgschaft“, getextet von Friedrich Schiller, gemeinsam mit vielen Schulleidensgenossen auswendig lernen. Dafür verantwortlich war unser Deutschprofessor, welcher uns auch in Biologie und Bildnerischer Erziehung unterrichtete. Aufgrund seiner Zuneigung zur darstellenden Kunst wurden wir mit seiner eigenen Darstellung der Buchstaben des Alphabetes unterrichtet. Respektlos bezeichnete mein Schulkamerad und bester Freund Clemens diese Zierschrift als eine misslungene Abwandlung der ägyptischen Hieroglyphen, was leider auch unserem Professor zu Ohren kam. In Folge wurde Clemens sehr oft die Ehre zuteil, der Klasse die auswendig gelernten Strophen der Bürgschaft vorzutragen. Nun aber war es genau dieser Schriftzug, diese Zierschrift oder diese Hieroglyphen, wie Clemens sie nannte, mit welchem die Worte am Plakat unter Verwendung eines dick schreibenden blauen Filzstiftes geschrieben waren.
Psalm 34,5: „Ich suchte den HERRN – und er rettete mich aus allen meinen Ängsten.“
Graz Ostbahnhof
(Regenwurm 1)
Mattheo, ein jüngerer Kollege, welcher ebenso im Dienst der Fortbewegung auf Schienen wie ich steht, nett und sympathisch – so würde ich spontan von ihm reden, in einer näheren Betrachtung würde ich ihn auch als einen großen Feind oberflächlicher Unterhaltungen beschreiben.
Einmal, ich habe es genau in Erinnerung, erzählte er mir von seinem Hobby, dem Malen. Meine ehrliche Neugierde bat ihn, mir einmal von seinen Werken eine Kostprobe zu verabreichen. Mattheo ließ nicht lange auf sich warten. Nur wenige Tage später war es so weit.
„Du hast es dir einzig und alleine selbst zuzuschreiben“, lächelte er, als er seine Zeichenmappe, die ich mit dem ersten Blick erkannte, auf das Tischchen des Bistros legte und diese aufschlug. Zuerst las ich den Text des Bildes:
Der Regenwurm wünscht sich auch, geliebt zu werden, der Vogel sagt: „Ich habe dich zum Fressen gern.“Dann erst begann ich, das Gemalte zu betrachten.
Nach ausreichender Betrachtung legte ich los. Ich konnte beobachten, wie er seine Ohren spitzte.
„Das, was ich hier sehe, werde ich selbst, auch wenn ich von heute an einverleibt nur mehr den Malerpinsel schwingen würde, mit keinem einzigen Pinselstrich jemals so schön darstellen können wie du.“
Unverblümt fragte er mich: „Bist du betrunken, Benjamin?“
„Nein“, antwortete ich. „Ich will dir mit meinen Worten mein ehrliches Gefallen zu deinem Bild und deinem Talent bekunden. Dazu wollte ich nicht nur ‚Ja es gefällt mir‘sagen, sondern basierend auf eigener Erfahrung weiß ich, wie schwer das Malen in Aquarell ist.“
„Ich bezahle den Kaffee“, schmunzelte Mattheo.
„Schon bezahlt“, war meine Antwort.
Das erste Bild
Nun, da war dieser freundliche Vogel. Keiner, der ihn so sah, würde ihm eine böse Absicht bezüglich des Würmchens unterstellen wollen. Zum Fressen gern ist nicht gleich zum Fressen gern, oder doch? Wie hätte das Würmchen reagieren können?
Zum Fressen gern sagt man, um Liebkosungen anzukündigen. Zum Fressen gern würde aber ebenso eine Gefahr sein können. Diese verschiedenen Darstellungen einer Wertschätzung oder gar einer Liebeserklärung, bis hin zum Verdacht, dass das Gefieder gegenüber einfach Hunger zu haben scheint, machte es dem Kriechtierchen nicht gerade einfach. Es schien mir sehr nachdenklich zu sein. Ein Fragezeichen, so denke ich, hatte Mattheo als Körperhaltung des Würmchens ganz bewusst gewählt. Was, wer, wann, wo und ein neugieriges Wieso, von dem sprach das Bild. Weiteres waren noch die vielen bunten Blumen. Einige waren im Wuchs einem Fragezeichen gleich. Meine Erkenntnis war, dass dieses farbenfrohe Kunstwerk keine einzige Frage, welche beim Betrachten geboren wurde, zur vollkommenen Zufriedenheit beantwortete. Gerade dieser Umstand ließ mich neugierig werden, wie Mattheo seine angekündigten Fortsetzungen der Regenwurmbildgeschichte für kleine wie auch für große Kinder darstellen würde.
Professor „Friedrich Schiller“
Mich übermannte immer ein eigenartiges, ein etwas unangenehmes Gefühl, welches ich nicht anders beschreiben kann, wenn ich ihn sah. Mein Professor und Klassenvorstand in den Jahren meiner Schulzeit am Gymnasium stand wieder einmal überraschend vor mir. Nun war er schon seit langer Zeit im Ruhestand. Auf Beurteilung meines ersten flüchtigen Blickes wirkte er alt und gebrechlich. Etwas unbeholfen, mit einem großen schweren Koffer stand er vor der defekten Rolltreppe des Bahnhofes in Graz. Mein zweiter Blick erkannte, dass seine herrisch strahlenden Augen immer noch die gleichen waren. Ich grüßte ihn, so wie er es damals von allen seinen Schülern forderte, begrüßt zu werden. Dadurch versetzte ich ihn wahrscheinlich in seine Schulvergangenheit zurück, war mir aber sicher, dass er mich nicht erkannt hatte. Er dankte, wiees damals seine Gewohnheit war, meinem Gruß kurz. Sein Blick forderte mich in Folge unmissverständlich auf, ihm meinen Dienst als Kofferträger anzubieten. Ich fühlte mich in meine Schulzeit zurückversetzt. Damals genügte seine aufrechte Körperhaltung im Zusammenspiel mit dem Einsatz seiner Augen. Derjenige, den er kurz anstarrte, sprang sofort auf, eilte zu seiner Tasche, die auf dem Lehrertisch abholbereit lag, und fragte unterwürfig, in welches Klassenzimmer sein Gepäck zu bringen war.
Wortlos griff ich nach seinem Koffer und genauso überließ er ihn mir. Die Positionen waren bezogen und ohne Worte gingen wir die Stufen hoch. Mittels kurzer Anweisungen sagte er mir, wo sein Auto stand. Mit der Fernbedienung öffnete er die Heckklappe seines Kombis und ich legte sein Gepäckstück darin ab. Zuerst wollten es meine Ohren nicht glauben.
„Danke“, hörte ich.
„Danke, Florian“, vernahm ich in Folge.
Die Namensverwechslung zu meiner Person störte mich nicht. Umso größer war meine Überraschung, weiter aus seinem Munde zu hören: „Danke, Benjamin Florian.“ Er verwendete als einziger Mensch wie damals zu meiner Schulzeit meine zwei Vornamen, die so in meiner Geburtsurkunde nachzulesen sind.
„Gerne, Herr Professor. Kommen Sie gut nach Hause.“ Ich konnte es wiederum fast nicht glauben. Er lächelte, was mir an ihm sehr fremd war, und winkte mir zum Abschied zu.
Valentina – Erste Begegnung
Nachdem ich auf die Rolltreppe aufgesprungen war, blieb ich stehen. Ich rang nach Luft. Ein Verkehrsunfall hatte das Vorwärtskommen der Straßenbahn mit dem Ziel Hauptbahnhof, in der ich war, blockiert. So stiegen alle Fahrgäste aus und mussten den letzten Kilometer zum Bahnhof laufend zurücklegen, sollten sie die Absicht besitzen, diesen einen Zug wie ich noch erwischen zu wollen. Meine Lungen schmerzten. Die bekannte weibliche Lautsprecherstimme kündigte die Abfahrt des Zuges an.
Wie ich solche Situationen hasse, dachte ich und hetzte mit meinen letzten Kräften die noch verbliebenen Stufen hoch. Nur wenige Sekunden, bevor die Türen vom Lokführer endgültig verschlossen wurden, sprang ich mit einem Satz in einen Waggon. Sauerstoffarmutmeldete mein Kopf. Übelkeit meldete mein Magen, die durch kurzfristige Überlastung des Organismus entstand. Eine allgemeine Kraftlosigkeit meiner Gliedmaßen musste ich zur Kenntnis nehmen.
Nun galt es aber, einen Sitzplatz in diesem immer überfüllten Zug zu finden. Keuchend watschelte ich ohne Erfolg den Gang des ersten Waggons ab. Dies geschah mit großer Vorsicht, da ich nach dieser körperlichen Anstrengung nicht ausschließen konnte, mir selbst auf die heraushängende Zunge zu treten. Es war das erste Mal in meinem Bahnhofsalltag, dass ein solcher Einsatz notwendig gewesen war, um in diesen Zug zu gelangen, da ich pünktlich meine Lokomotive zu erreichen hatte, die einige Stationen weiter auf mich wartete.
Beim Durchschreiten des zweiten Waggons konnte ich fast nur besetzte Plätze wahrnehmen. Langsam begann sich mein Körper an seinen Ruhepuls zu erinnern. Ich setzte meine Wanderung durch den Zug fort. Meine Suche nach einem bescheidenen Plätzchen, welches ich für mich zu beanspruchen gedachte, war durch das Verhalten einiger Fahrgäste oder Sitzplatzhamsterer, wie ich diese Personen bezeichne, fast zum Scheitern verurteilt. Meine Erklärung zu diesen Mehrplatzeigentümern. Natürlich soll das Hinterteil einer Person mit gültiger Fahrkarte seine verdiente Ruhe auf einem behaglichen Platz finden. Auf einer weiteren Sitzgelegenheit breiten sich aber die strapazierten Füße desjenigen aus, und mindestens noch ein Sitzplatz wird für Gepäck und Utensilien der verschiedensten Art und Weise beansprucht. Suchende werden mit verächtlichen Blicken bestraft und damit erfolgreich verscheucht. So kapitulierte ich auch im dritten Waggon auf meiner Suche nach einer Bleibe. Zu meiner Freude erspähte ich im vierten Waggon in einem Abteil, welches bekanntlich sechs Sitzplätze anbietet, nur zwei Reisende. Mein Glück wollte es gar nicht fassen, da ich zwei junge Frauen erkannte, wobei besonders eine von hinreißender und verzaubernder Optik war. Mit dem Öffnen der Schiebetür wurde natürlich ihre Aufmerksamkeit auf mich gelenkt. Ich grüßte und fragte nach einem der vier übriggebliebenen fast freien Sitze.
„Nein“, antwortete mir die nach meiner Beurteilung zur Folge Unfreundliche. Die hinreißende und verzaubernde Optik schwieg lächelnd.
Ohne Worte trat ich noch einmal aus dem Abteil, um zu sehen, ob eine Reservierung für die freien Plätze vorgesehen war. Eine solche war nicht zu erkennen.
Dadurch fühlte ich mich bestätigt, wieder ins Abteil zurückzukehren, und fragte das unfreundliche Fräulein: „Sind Sie im Besitz eines Mehrplatzfahrscheines?“
„Eines was?“, fragte die Unfreundliche unfreundlich nach.
„Ein Mehrplatzfahrschein“, wiederholte ich mich. „Da Sie für sich drei Plätze beanspruchen.“
„Ja, natürlich habe ich einen solchen“, war ihre schnippische Antwort. Ich konnte nicht glauben, dass diese Person so leicht aufs Eis zu führen war. Ich meinte fast mitleidig: „Es gibt keinenMehrplatzfahrschein.“