Von Vigo nach Santiago - Thomas Schmidt - E-Book

Von Vigo nach Santiago E-Book

Thomas Schmidt

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Beschreibung

Thomas Schmidt läuft seit 2009 spanische und portugiesische Jakobswege. "Damals habe ich mich infiziert mit dem Camino-Virus. So wie Herpesviren nach der Erkrankung im Körper persistieren und sich bei Schwächung wieder akut manifestieren, so treibt mich in mehr oder weniger großen Abständen das Camino-Virus auf einen der zahlreichen Jakobswege in Spanien und Portugal. Die Heilung gelingt meist schnell, aber sie ist nicht von langer Dauer." Coronabedingt konnte der im Jahre 2019 in Porto begonnene Caminho da Costa erst im Sommer 2021 von Vigo aus fortgesetzt werden. Zum ersten Mal pilgert er mit seiner Partnerin und stellt die Beziehung damit auf eine Probe. Ob das "Experiment" gelungen ist, lesen Sie hier.

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INHALTSVERZEICHNIS

Prolog

Kapitel 1 Von Bocholt nach Vigo „Machens et jut!“

Kapitel 2 Von Vigo nach Redondela „Espanol Por Favor“

Kapitel 3 Von Redondela nach Pontevedra „Dziekuje“

Kapitel 4 Von Pontevedra nach Armenteiros „Ryan like Ryanair“

Kapitel 5 Von Armenteiros nach Vilanova de Arousa „Einen Schluck trinken, Maske auf!“

Kapitel 6 Von Vilanova de Arousa nach Padron „Pimientos"

Kapitel 7 Von Padron nach Santiago „Sultans of Swing“

Kapitel 8 Santiago „I am off then“

Schlussbetrachtungen

Tienes dos vidas. La segunda empieza cuando decubres

que tienes solo una.

Du hast zwei Leben. Das zweite beginnt, wenn du realisiert hast,

dass du nur eines hast.

- Spanische Lebensweisheit -

Prolog

Es konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen.

Eigentlich.

Den ersten Teil unseres Camino-Experimentes hatten wir im Sommer 2019 mit Bravour hinter uns gebracht. Voller Überzeugung, das Richtige zu tun, legten wir mit großer Zuversicht und Vorfreude den Termin für den zweiten Teil unserer Pilgerreise fest. Anfang 2020 ahnten wir noch nicht, dass nichts mehr planbar sein würde wie zuvor. Mitte Januar wurde auf dem Kongress, den ich in Köln besuchte, von einem neuen, sich rasch ausbreitenden Virus in der chinesischen Provinzhauptstadt Wuhan gesprochen. Der Name Corona erzeugte keine Schweißausbrüche oder gar Panikattacken, kannten wir derartige Viren doch auch bei uns bereits aus der jüngeren Vergangenheit. Sie kamen und gingen wieder, ohne dass sie nachhaltige Probleme hinterließen. Ein Kollege fragte, ob seine Tochter den in Kürze geplanten Austausch in Wuhan antreten könne.

Die weitere Entwicklung ist bekannt. Covid-19 brachte auch bei uns einiges durcheinander. Mein Alltag in der Praxis veränderte sich. Umstellungen in den Schulen waren ungleich größer. Die organisatorischen Herausforderungen dort führten zu einer 60-Stunden-Arbeitswoche für meine Partnerin Kerstin. Auch im privaten Bereich gab es Einschränkungen: Die geplante Gartenparty musste ausfallen. Ein Foto, das uns mit Maske in der Abendsonne zeigt, zierte die Absage.

Dann die Überraschung: Nachdem sich die Verbreitung des Virus in Europa deutlich vermindert hatte und Reisen wieder erlaubt waren, wurde unser Rückflug von Santiago im Juli freigegeben. Doch die Freude währte nur kurz, als klar wurde, dass die Aufhebungen der Reiseeinschränkungen erst ab dem 1. Juli galten. Der Hinflug war für den 27. Juni gebucht.

Wir verlegten die Flüge in die Herbstferien. Der zweite Lockdown konterkarierte erneut unsere Planungen. Nächster Versuch: Sommerferien 2021.

Dieses Mal sollte es klappen. Durch die strengen Vorgaben im Winter gingen die Corona-Inzidenzen soweit zurück, dass eine sukzessive Öffnung des gesellschaftlichen Lebens und Reisen wieder möglich wurden. Nach stockendem Start nahm die Impfung der Bevölkerung an Fahrt auf, sodass auch dadurch eine Reise ins Ausland erleichtert wurde.

Die Fortsetzung unseres Caminos von Vigo nach Santiago war auf zwei unterschiedlichen Wegen denkbar. Entweder wir würden von Vigo über Redondela nach Pontevedra und von dort aus über den klassischen zentralen portugiesischen Camino nach Santiago pilgern oder wir würden von Pontevedra aus die spirituelle Variante über Armenteiros , Vilanova de Arousa und Pontesecures nehmen. In diesem Falle würden wir entsprechend der Legende, nach der der Leichnam des Apostels Jakobus von Arousa mit einem steinernen Schiff über die Rias und die Flüsse Ulla und Sar nach Padron überführt wurde (Translocatio), nahezu eine komplette Etappe mit dem Boot machen.

2009 lief ich meinen ersten Jakobsweg von Leon nach Santiago. Damals habe ich mich infiziert mit dem Camino Virus. So wie Herpesviren nach der Erkrankung im Körper des Menschen persistieren und sich bei Schwächung wieder akut manifestieren, so treibt mich in mehr oder weniger großen Abständen das Camino-Virus auf einen der zahlreichen Jakobswege in Spanien und Portugal. Die Heilung gelingt meistens schnell, aber sie ist nicht von langer Dauer.

Zwei Jahre ohne Camino – eine lange Zeit. Der Weg von Vigo nach Santiago kommt gerade noch rechtzeitig, wie es scheint, um gravierende gesundheitliche Schäden zu verhindern. Beide können wir den Start in unser gemeinsames neues Abenteuer kaum abwarten.

Kapitel 1„Machens et jut!“

Von Bocholt nach Vigo Samstag, 10. Juli 2021

Nichts hat sich geändert. Es ist wie immer – auch dieses Mal bin ich vor dem Start in das neue Camino-Abenteuer unruhig, kribbelig, nervös. Die alte Camino-Krankheit.

Die Bahn macht Ärger. Einige Tage, bevor es losgehen soll, teilt sie uns mit, dass sie anstelle des Zuges einen Bus von Bocholt nach Wesel einsetzt. Damit nicht genug. Das Gleiche offeriert sie uns von Wesel nach Oberhausen. Von dort sei ein Zug nach Düsseldorf vorgesehen. Umstieg von Düsseldorf nach Köln-Deutz. Umstieg von Köln-Deutz nach Frankfurt Flughafen. Mehr als dreieinhalb Stunden sollen wir einplanen für eine Strecke von etwas mehr als 100 Kilometer. Vielen Dank für das freundliche Angebot.

Von Gelassenheit keine Spur. Wir bevorzugen es, uns von meinem Sohn Carlo nach Duisburg bringen zu lassen und dort direkt den ICE zum Frankfurter Flughafen zu nehmen. Carlo fährt von Duisburg aus weiter nach Frankreich in die Ardèche, wo er sich mit seinen Studienfreunden nach Abschluss der

Bachelor-Arbeit trifft.

Im ICE Richtung Frankfurt angekommen, stellt sich allmählich Gelassenheit ein. Die Vorfreude überwiegt gegenüber der Skepsis. Fast hätte uns Corona erneut einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dann nämlich, wenn wir die Absicht gehabt hätten den Caminho Portugues in Porto zu starten. Auf Grund der extrem steigenden Inzidenzen mit Überwiegen der Deltavariante hatte man Portugal wieder dicht gemacht für Touristen. Eine erneute zweiwöchige Quarantäne wäre für meine Praxis kaum verkraftbar.

Es ist uns gelungen, das Gewicht unserer Rucksäcke auf 5,5 kg bzw. 6,8 kg zu beschränken. Damit liegen wir deutlich unter der empfohlenen Größenordnung von 10 % des eigenen Körpergewichtes. Was im Gegensatz zu meinen vorherigen Alleingängen fehlt, ist der Schlafsack. Denn wie beim ersten Teil von Porto nach Vigo, habe ich auch dieses Mal weitgehend einfache Unterkünfte vorgebucht. Zu bedenken ist allerdings, dass am Start noch 1,5 Liter Wasser dazukommen. Ein Utensil durfte nicht fehlen: Mein Kopfhörer. Er ermöglicht es mir, den Worten Dr. Leon Windscheids zu folgen, während der ICE uns bei Tempo 290 fest in den bequemen Sitz drückt. Der Autor hat seine Berühmtheit nicht seiner Arbeit als Psychologe zu verdanken, sondern seinem Millionengewinn bei Günther Jauch. Meinem Eindruck nach würde sie Dr. Windscheid gleichwohl auch als Buchautor verdienen. Der Titel des Buches Lautet: „Besser fühlen“.

Auf einen kurzen Nenner gebracht konstatiert Windscheid, dass der Mensch zwei existenziellen Zielen folgt: Erstens, als soziales Wesen strebt er nach Beziehungen. Die Haltbarkeit der Beziehungen ist laut den jüngsten Forschungsergebnissen durch zunehmende Schnittmengen der Partner bedingt. Und zweitens möchte jeder entsprechend seinen Möglichkeiten etwas bewirken.

Wenn ich es auf meinen eigenen Zustand beziehe, bin ich bei beiden genannten Zielen auf einem guten Weg: Was den ersten Punkt betrifft, sind meine Partnerin und ich gerade dabei, durch Ausdehnung der Schnittmengen unsere Beziehung belastbarer und noch stabiler zu machen, zumindest, wenn ich das Ergebnis des ersten Teils unseres gemeinsamen Caminos von Porto nach Vigo berücksichtige. Den zweiten Abschnitt kann ich nicht beurteilen. Noch sind wir mitten im Experiment.

Was die andere Hälfte von Windscheids These angeht, ist mir in den letzten Monaten trotz größerer Belastung klar geworden, dass ich auch über die Rente hinaus meiner vertrauten Tätigkeit nachgehen werde. Welch ein Luxus, ohne finanziellen Druck das machen zu können, was man gerne tut und dabei noch täglich etwas bewirken und selbst gestalten zu können!

Friedemann Schulz von Thun, emeritierter Professor für Psychologie der Universität Hamburg, formuliert es anders als Windscheid. Vom Inhalt her aber unterscheiden sich die Statements kaum: „Ein erfülltes Leben wird gefördert durch die Überzeugung, am Drehbuch meines Lebens mitschreiben zu können und wirklich MEIN Leben führen zu können…wenn es dir gelingt, ganz du selbst zu werden und das zu verwirklichen, was in dir steckt…Hierbei ist die Frage nicht, was sich für mich erfüllt, sondern, was sich durch mich erfüllt“.

So macht Bahnfahren Spaß! Ich bin fast ein wenig enttäuscht, als die Stimme im Lautsprecher des ICEs unser Ziel Frankfurt Flughafen ankündigt. Nicht aber über den Ton. Im schönsten kölschen Sing Sang dringt die Stimme der Bahn an unsere Ohren und endet mit „Machens et jut!“ Die Bahn ist scheinbar bemüht, durch beachtliche Freundlichkeit verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Das zeigt sich auch in der nächsten Szene: Ein Mitarbeiter fragt eine junge Stewardess mit eleganter Arbeitskleidung höflich, ob er ihren Koffer beim Aussteigen heraustragen dürfe. „ Sind ja sowieso nur Schuhe drin!“, scherzt er. Der Mann scheint sich auszukennen. Jedem einzelnen wünscht er einen schönen Tag und eine störungsfreie Weiterreise. Kerstin und ich schauen uns sprachlos, aber übereinstimmend an. Wie leicht sich das Leben doch anfühlen kann angesichts eines solch respekt - und humorvollen Miteinanders!

Der Lufthansa-Flug nach Santiago verläuft reibungslos. Bei der Ankunft hält man uns eine Pistole auf die Stirn, als ob man damit zuverlässig fieberhafte Temperaturen messen könnte. Egal, Hauptsache wir sind durch! Der Flughafenbus zum Bahnhof für einen Euro wird es nicht schaffen, uns noch vor 17.30 Uhr am Bahnhof abzusetzen. Wir nehmen daher das Taxi zum Festpreis von 21 Euro, das wir uns mit einer Mutter und ihrem Sohn aus Hamburg teilen. Santiago empfängt uns mit trockener Hitze. Für meine pilzsporengeschädigten Bronchien ein Ort der Glückseligkeit nach den wochenlangen feuchtwarmen Tagen in Deutschland. Überhaupt fühlt es sich wunderbar an, wieder in Galicien zu sein.