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35 Jahre nach Erstveröffentlichung nun endlich als eBook!
Irgendwo auf der Welt saß der Unbekannte, den selbst die Geheimdienste fürchteten, weil er eine Armee von Zombies befehligte. Ich, John Sinclair, wurde auf ihn angesetzt. Die Spur führte mich nach New Orleans - die Heimat des Voodoo - in die Fänge einer schönen Frau und zwischen die Pranken eines mörderischen Killers. Ich war auf mich allein gestellt und besaß nicht mehr Chancen als ein Schneeball in der Hölle ...
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Seitenzahl: 570
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Titel
Impressum
Voodoo-Land
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Vera Petruk; Fotos593/shutterstock
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7517-0450-2
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Voodoo-Land
I
Die Stille der Nacht wurde nur von einem fernen, unheimlich klingenden Trommeln unterbrochen. Es war ein besonderer Klang, nicht gleichmäßig wie der bei den Ritualen afrikanischer Buschstämme, eher fordernd, mehr Rhythmus, beinahe aggressiv, so als hätte der Klang eine schlimme Botschaft zu überbringen.
Er war fern und trotzdem nah. In einer anderen Welt schien er geboren worden zu sein, und sein Schall ließ sich vom sanften Nachtwind tragen, bis er dorthin gelangte, wo die wuchtige Front der hohen Öltanks breiten Stummelfingern gleich aus dem flachen Gelände ragte.
Hier genau trafen die beiden unterschiedlichen Welten zusammen. Auf der einen Seite die moderne Technik, auf der anderen das Mystische, Unheimliche des Trommelklangs, der schon seit zwei Stunden wie ein flacher Donner über die Plains grummelte.
Ansonsten schwieg die Nacht.
Unter dem kalten, bläulich schimmernden Licht der hohen Peitschenleuchten wirkten die bis zu den Rändern gefüllten Öltanks wie eine Filmkulisse, die noch in völliger Ruhe lag und darauf zu warten schien, dass ein Regisseur in den hektischen Ruf »Action« ausbrach.
Umzäunt waren die Tanks mit festem Maschendraht. Ein Elektrozaun schützte sie, und die Überwachung durch Video funktionierte außerdem. Man kontrollierte das Gelände Tag und Nacht. Besonders nachts, denn oft genug schon waren bei der Zentralverwaltung der Gesellschaft Warnungen vor Sprengstoffanschlägen eingegangen.
Die Männer vom Sicherheitsdienst waren ausgezeichnete Leute. Man konnte sie Spezialisten nennen, da ihre Ausbildung super war. Als Techniker ebenso zu gebrauchen wie als Löschmannschaft und als Kämpfer. Wer sich dem Lager näherte und es schaffte, trotz der elektronischen Kontrollen hineinzukommen, hatte nach wie vor die Wächter mit den Schnellfeuergewehren zu überwinden.
Und das war nicht einfach.
Es gab mehrere Zufahrten und Tore. Einer der insgesamt drei Engpässe wurde von Clint Arrik und Ralph Hopkins bewacht. Beide Männer arbeiteten bereits seit über fünf Jahren zusammen, und man konnte sie als Team bezeichnen.
Auf solche Teams musste man sich verlassen können. Keinen Alkohol im Dienst, keine Drogen, und ein Team musste es sich gefallen lassen, außerhalb der Dienstzeit überwacht zu werden.
Daran hatten sich Arrik und Hopkins gewöhnt. Auch an den Nachtdienst, der immer so verdammt langweilig war und kaum vorübergehen wollte. Arrik stammte aus Boston. Dass ihn das Schicksal einmal hierher in den heißen Süden verschlagen würde, hätte er sich nicht träumen lassen. Sein Kollege kam aus Baton Rouge. Er war weder Weißer noch Schwarzer. In seinem Blut vereinigten sich mehrere Rassen. Manchmal hatte seine Haut sogar einen leicht bläulichen Schimmer.
Der Süden war heiß, der Süden war anders als der Norden. Hier peitschten die Gefühle schneller hoch, saßen Messer und Revolver lockerer, vor allem in den großen Städten wie New Orleans oder Baton Rouge. Jeder, der etwas auf sich hielt, besaß Aircondition im Haus, und die betonierte Wachbude der beiden Männer war ebenfalls mit einer Klimaanlage ausgestattet worden.
Die Aufpasser hockten auf bequemen Stühlen, hatten die Beine auf die Konsolen gelegt und ließen ihre Blicke über die Bildschirme gleiten. Kameras bewachten jede Ecke des Geländes. Nicht einmal eine Maus würde durchschlüpfen, wurde immer behauptet.
Sie tranken Kaffee.
Heiß und süß. Ein widerliches Getränk; beide mochten es nicht, beide schimpften darüber, aber sie hatten sich so an das Zeug gewöhnt, dass sie nichts anderes mehr schluckten. Zudem wurde der Automat in der Wachbude jeden Tag frisch gefüllt.
»Das ist wie Negerschweiß!«, schimpfte Clint Arrik. Er suchte nach einer Gelegenheit, um seinen Becher zu leeren. Nur trinken wollte er das Zeug nicht.
Hopkins drehte träge den Kopf. Über sein dunkles Gesicht huschte ein Grinsen. »Das sagst du jedes Mal, Partner. Irgendwann einmal schlage ich dir die Zähne ein.«
»Ach. Hast du einen Grund dafür?«
»Klar. Du sagst Negerschweiß. Ich fühle mich beleidigt.«
»Seit wann fühlst du dich als Nigger?«
»Irgendeiner hat bei mir mitgemischt.« Hopkins lachte. »Glaubst du vielleicht, meine Mutter hätte mir etwas davon gesagt, als ich sie danach fragte. Die hat nur gegrinst und mich auf später vertröstet.«
»Und dann ist sie gestorben.«
Hopkins hob seinen Becher. »Richtig. Woher weißt du das?«
»Ich habe es mir oft genug anhören müssen.« Arrik streckte sich. »Eigentlich ist es eine Strafe, mit dir zu arbeiten, du komischer schwarzer Kuchenbäcker.«
»Dann verzieh dich und lass dir von Grayson einen neuen Job geben.«
Clint hob die knochigen Schultern. »Ach, weißt du, Baby, irgendwie mag ich dich. Das ist ja das Verrückte an der Sache. Ich mag dich wirklich. Wir sind gut, wir beide …«
»Oh, danke. Und was kommt danach?«
»Wie meinst du das?«
»Nur so. Du hast das doch nicht ohne Hintergedanken gesagt, Baby. Soll ich dir vielleicht einen neuen Kaffee holen? Ist es das, was du willst?«
»Nein, kein Bier.«
»Eine Frau?«
Arrik lachte. »Die könnte mir jetzt gefallen. Ich würde sie nehmen, so wie ich hier sitze.« Clint streckte die Arme aus und tat so, als wollte er eine Frau umfassen. Dabei bewegte er seinen Unterleib rhythmisch. »Im Prinzip wäre es das ja«, gab er zu, »wenn ich nicht noch eine andere Idee gehabt hätte.«
»Dann lass hören.«
»Du bist gut, Nigger-Freund. Verdammt gut. Hören ist der richtige Ausdruck. Hast du es gehört?«
Hopkins tat gelangweilt und dehnte die Antwort. »Was soll ich gehört haben?«
»Das Trommeln!«
»Na und?«
»Ich meine nur.«
»Was habe ich damit zu tun?«
Clint zündete sich eine Zigarette an. Er rauchte die starken aus Frankreich. »Es muss von den Bayous hochgeklungen sein. Da stecken sie wieder in den Sümpfen.«
»Wer?«
»Deine Freunde.«
»Hör zu, du weißes Großmaul, das sind nicht meine Freunde. Hast du kapiert?«
Arrik lachte und stieß dabei den Rauch aus. »Klar habe ich kapiert. Aber die sind schwarz so wie du.«
»Partner, du fällst mir auf den Wecker. Ist jeder, der eine widerliche weiße Hautfarbe hat gleich dein Freund?«
»Das nicht.«
»Dann rede nicht so eine gequirlte Affenscheiße.« Ralph Hopkins richtete sich im Drehsessel auf und schaute auf die drei vor ihm stehenden Mattscheiben der Monitore.
Clint beobachtete ihn aus schmalen Augen. »Danke, Partner.«
Ohne sich umzudrehen, fragte der Schwarze nur: »Wofür denn? Dass ich dir dabei helfe, diese verdammte Nacht rumzukriegen?«
»Nein, dafür, dass du mal rausgehst und deine Lauscher aufstellst. Mich macht die Trommelei nervös.«
»Witzbold. Du hörst sie doch nicht.«
»Allein die Tatsache, dass getrommelt wird, stört mich. Komm, ich zahle die nächste Runde Kaffee. Steh auf und sieh nach. Oder leg meinetwegen dein Ohr auf den Boden.«
»Ich dachte, du trinkst keinen Niggerschweiß.«
»Bei dir mache ich eine Ausnahme.«
Ralph Hopkins war ein Gemütsmensch. Er stemmte sich hoch und streckte die Hand aus. »Erst das Geld für den Kaffee!«, forderte er.
»Traust du mir nicht?«
Der Schwarze schüttelte den Kopf. »Nein. Dafür bin ich zu lange mit dir zusammen.«
»Verrecke im Sumpf!«, knurrte Arrik und holte aus der Brusttasche seines Uniformhemdes einige Nickel. Er warf dem Schwarzen die Geldstücke zu, der sie geschickt auffing. »Willst du ihn sofort?«, fragte er.
»Nein, wenn du wieder zurückkommst.«
Hopkins ging. Er drückte die schwere Glastür nur so weit auf, dass er sich hindurchschieben konnte. Vor der Tür blieb er stehen, reckte sich und ging einige Schritte auf das große Metalltor zu, das nur durch einen elektronischen Kontakt zu bewegen war und selbst einem fahrenden Panzer standgehalten hätte.
Arrik blickte ihm nach. Er bewunderte den geschmeidigen Gang seines Partners. Den hatten alle Schwarzen an sich. Sie gingen so ungewöhnlich geschmeidig. Das mussten sie von ihren Dschungelvorfahren übernommen haben. Hopkins schritt durch eine der Lichtinseln. Der Schein stülpte sich wie eine Glocke über ihn und ließ seinen Körper bläulich schimmern. Bevor er das Tor erreichte, blieb er stehen. Da er weiterhin vom Lichtschein erfasst wurde, konnte Arrik ihn erkennen – und ebenso die etwas gespannte Haltung des Mannes. Sie ließ darauf schließen, dass Hopkins dem Trommelklang lauschte.
Nicht, dass sich Clint deswegen Sorgen gemacht hätte, aber ungewöhnlich war das schon. Er kannte den Klang. Oft genug wurden hier im Süden Feste gefeiert, und dann glichen die Dörfer und Städte kleinen Höllen, aber diesmal war nichts angesagt. Da er das Misstrauen in Person war, wollte er sich darum kümmern. Manchen Leuten gelang es, am Rhythmus der Trommelei herauszufinden, welche Botschaft übermittelt wurde.
Ralph Hopkins machte es spannend. Er blieb eine Weile stehen und war nach wie vor draußen, als Clint Arrik die Routinemeldung an seinen Chef durchgab. Das war so eingeplant und durfte keinesfalls vergessen oder verschlafen werden.
»Der Truck ist noch nicht da, Mr Grayson«, sprach er in das Telefon.
»Sonst alles in Ordnung?«
»Ja, Sir, bis auf eine Sache.« Arrik schaute nach draußen, wo sein Partner auf- und abging, immer parallel zum Tor. »Wir haben schon über einige Zeit hinweg einen Trommelwirbel gehört und nach einer Erklärung gesucht, aber keine gefunden. Wissen Sie vielleicht, was diese Trommelei zu bedeuten haben könnte?«
Grayson dachte nach. »Nein, eigentlich nicht. Wir in der Hauptstation hören sie nicht. Feiern die Schwarzen denn ein Fest?«
»Habe davon nichts gehört.«
Grayson überlegte. »Ich kann euch da nicht helfen. Haltet mal eure Ohren weiter offen als sonst. Okay?«
»Machen wir.«
»Nun zu etwas anderem. Ich habe keine genaue Uhrzeit bekommen, wann der Truck eintrifft. Sie lassen ihn jedenfalls durch und werden keinen Versuch unternehmen, ihn zu entladen. Schauen Sie sich die Verplombung an. Und melden Sie sich, damit ich die vier Leute schicke, die ihn für den Rest der Nacht bewachen.«
Arrik wollte nicht neugierig erscheinen, trotzdem konnte er sich die nächste Frage nicht verkneifen. »Was hat er denn geladen?«
»Bestimmt keine Eier, Mann. Und wenn, sind sie hochexplosiv. Wir haben uns um nichts zu kümmern. Der Truck bleibt auf dem Gelände und wird morgen früh abgeholt. Aber ich will Ihre Neugierde ein wenig befriedigen, weil ich Sie kenne, Ralph. Es geht da um einen neu entwickelten Treibstoff, der sehr gut sein soll. Vor allen Dingen kostensenkend. Aber das ist vertraulich.«
»Danke, Sir.«
Grayson räusperte sich. Es klang, als würde ein dünner Finger in der Leitung kratzen. »Ich erwarte dann Ihre Meldung.«
»Okay, Sir.«
Arrik legte auf. Ein Faltenmuster zierte seine Stirn. Neuer Treibstoff, dachte er und grinste scharf. Wie in einem Agentenfilm. Fehlten nur die Typen, die, verkleidet mit dunklen Anzügen, sich in der Nacht anschlichen, um den Truck zu rauben. Als er das dachte, blickte er auf sein Schnellfeuergewehr und nahm es prüfend in die Hand.
Es war eine besondere Waffe. Vom Lauf her wesentlich kürzer als die normalen Gewehre. Eine Spezialentwicklung, die man nicht jedem in die Hand drücken konnte.
Hopkins hatte sich umgedreht, schaute auf die Bude und winkte seinem Kollegen zu.
Arrik hatte zwar keine Lust, den klimatisierten Raum zu verlassen, aber es schien wichtig zu sein, das entnahm er Hopkins’ Gestik.
»Was ist denn, Ralph?«
»Komm her.«
Arrik schlenderte näher. »Hast du den Truck gehört oder schon seine Lichter gesehen?«
»Nichts von beidem.«
»Und wo liegt das Problem?« Arrik blieb neben dem anderen stehen.
»In der Trommelei.«
»Ach so.« Clint winkte ab. »Das ist nicht weiter tragisch. Ich sprach mit Grayson darüber. Die hören es nicht. Er meinte nur, das hätte nicht viel zu bedeuten.«
»So?«, fragte der Schwarze. »Meint er das?«
»Sicher.«
»Ich sehe das anders.«
»Und wie?«
»Jedes Trommeln hat seine bestimmte Bedeutung. Niemand schlägt ohne Grund auf das Fell. Jeder Klang sagt ebenfalls etwas aus. Ich habe mir die Sache hier lange genug angehört, und mir fielen wieder die Dinge ein, die man sich so erzählt. Mein Großvater hatte mal davon berichtet. Er hat so etwas auf einer Insel im Mississippi erlebt.«
»Komm zur Sache.« Clint rieb sich das Kinn und schlug nach zwei umhersirrenden Mücken, ohne sie zu erwischen.
»Voodoo!«
Die Mücken sirrten weiter. Arriks Hand blieb in der Luft hängen. »Was hast du da gesagt?«
Der Schwarze wiederholte das Wort langsamer und betonte jeden Buchstaben.
»Okay, okay, ich habe verstanden. Voodoo also. Eine Spinnerei, ein Aberglaube.« Arrik lachte. »Ich hätte nicht gedacht, dass du an so einen Mist glaubst. An dir scheint die moderne Zeit spurlos vorüber gegangen zu sein.«
Ralph teilte die Ansicht seines Kollegen nicht. »Ich weiß nicht, ob das Mist ist.«
Arrik verzog die Mundwinkel. »Für mich schon. Du kommst aus dem Busch, da glaubt man an vieles.«
»Rede doch keine Affenscheiße!« Hopkins wurde sauer. »Man muss es einfach ernst nehmen.«
Die beiden Männer standen einander gegenüber und wurden vom kalten Licht der Peitschenleuchten bestrahlt. Ihre Gesichter wirkten hart, eingefroren die Züge. Wie ein dünner Film lag der Schweiß auf ihrer Haut, denn es war schwül in dieser Nacht. Der Wind wehte aus Südosten. Er trieb den alten Modergeruch der Bayous über das Land. Ein Gestank von Verfaulung und Verwesung.
Die Atmosphäre gefiel Arrik nicht. Er wollte bei sich selbst zwar nicht von Angst sprechen, das Gefühl der Beklemmung allerdings war vorhanden und ließ sich nicht wegleugnen.
»Den Grund für die Trommelei hast du nicht herausgefunden, obwohl du Schwarzer bist?«
»Nein. Ich weiß nur, dass es um Voodoo geht.«
Arrik grinste breit. »Und damit um Zombies? Oder wie sehe ich das? Gehören nicht beide zusammen? Zombies und Voodoo?« Clint hatte die Frage nicht einmal ernst gemeint, Ralph aber gab ihm eine sehr ernst klingende Antwort.
»Das sind zwei verschiedene Dinge und trotzdem ein Paar Schuhe. In der letzten Zeit haben sich sogar Wissenschaftler mit dem Phänomen des Voodoo und der Zombies beschäftigt. Du brauchst nur mal auf die Karibik-Inseln zu fahren, da ist Voodoo an der Tagesordnung.«
»Zombies?«
Ralph nickte. »Sicher. Es gibt da Leute, die lassen sich lebendig begraben und tauchen irgendwann in den Städten oder Dörfern auf, in denen sie gelebt haben. Das sind keine Geschichten, sondern Tatsachen. Ärzte haben diese Leute untersucht und von den Ritualen gehört, an denen sie teilnahmen. Es gibt da einen Trank, dessen Zusammensetzung nur die Eingeweihten kennen. Wenn du den zu dir nimmst, kannst du zu einem dieser Zombies werden. Das wollte ich dir nur sagen.«
Clint Arrik verzog zweifelnd das Gesicht. »Wie man es nimmt, Ralph. Ich für meinen Teil bin davon nicht überzeugt. Das Trommeln kann einen anderen Grund haben.«
»Klar. Nur ist es lauter geworden.«
»Was heißt das?«
Hopkins schabte mit der Schuhspitze über den glatten Asphalt. »Sie nähern sich wohl ihrem Finale.«
»Das ist doch gut. Dann können wir hoffen, dass der ganze Mist bald verstummt.«
»Vielleicht.« Ralph machte ein bedenkliches Gesicht. Er ging zum Tor und presste sich gegen das Gitter. Zwischen den Stäben hindurch schaute er auf die Straße, die in die Unendlichkeit zu führen schien. Glatt, fugenlos. Highway to Hell, hatte mal jemand gesagt, dem dieser Job hier gewaltig gestunken hatte.
Straße zur Hölle!
So musste es sein. Das Land war die Hölle, weil es einfach nichts gab, nur die verdammte Disziplin. Aber man wurde gut bezahlt, und die vier Wochen, in denen die Männer Wache hielten, gingen irgendwann vorbei.
Hopkins Gedanken drehten sich um Voodoo. Er lauschte dem Klang und hatte das Gefühl, einen vibrierenden Boden zu erleben. Natürlich konnte es die reine Einbildung sein, seine Nerven waren nicht mehr die besten. Gewöhnen konnte er sich an das Trommeln nie. Da wurden Erinnerungen an seine eigene Jugend wach, wenn die Eltern oder Großeltern von dem Voodoo-Zauber berichtet hatten. Als Junge schon hatte er Angst davor bekommen.
Clints Hand übte Druck auf seiner rechten Schulterhälfte aus. »Komm schon, Ralph. Du stehst hier wie ein Affe am Käfig. Lass uns reingehen, hier ist es mir zu schwül.«
Hopkins streckte einen Arm in den Raum zwischen zwei Stäben.
»Der Truck kommt.«
»Wo?«
»Schau die Straße entlang. Ich habe Lichter gesehen.«
Arrik blickte nach vorn. Sein Kollege hatte sich nicht getäuscht. In der Ferne tanzten die hellen Augen über den Boden, als hätten sie eine Botschaft für die beiden Männer.
»Er ist pünktlich«, sagte Clint.
»Wieso? Kennst du die Ankunftszeit?«
Arrik lachte. »Nur so. Los, wir gehen rein.«
Die beiden Männer betraten die Bude. Als die Tür hinter ihnen zugefallen war, hörten sie kaum noch etwas von dem Klang der Voodoo-Trommeln. Arrik sprach von seinem Kaffee. »Den kriege ich von dir. Aber du kannst dir Zeit lassen.«
»Wie großzügig.« Ralph blieb am Fenster stehen. Er hatte sein Schnellfeuergewehr in die rechte Hand genommen. Manchmal strich er mit der Linken über den Schaft, als wollte er mit der Waffe eine magische Verbindung eingehen.
»Hast du etwas?«, fragte Clint.
»Ja, ein dummes Gefühl.«
»Das habe ich immer.«
»So meine ich das nicht. Ich spüre, dass etwas in der Luft liegt. Ich kann dir nur nicht sagen, was. Nenn es Intuition oder so. Jedenfalls ist es nicht normal.«
»Was ist schon in dieser verdammten Nacht normal? Die Ladung nicht, die uns der Truck bringt.«
»Weißt du mehr?«
»Kaum.«
»Mir ist es egal. Ich will es nur so schnell wie möglich hinter mich bringen.«
»He, Partner.« Arrik lachte laut auf. »Du klingst so deprimiert, als würdest du dicht davorstehen, ins Grab zu steigen. Das kann doch nicht der Sinn sein.«
»Wir warten erst mal ab.«
Sie schauten zu, wie die Lichter größer wurden und nicht mehr an Augen, sondern an explodierende Sterne erinnerten.
Der Ablauf war immer gleich. Der Wagen würde bis dicht an das Tor fahren, das von der Bude aus durch die Steuerelektronik bewegt werden konnte. Weitere Kontrollen gab es nicht. Die beiden Männer hatten entsprechende Anweisungen bekommen.
Der heranfahrende Truck wuchs vor dem Tor hoch. Ein moderner Gigant aus Stahl, Reifen, Mechanik und Elektronik. Einer der Wagen, die ‚from coast to coast’ fuhren und keine Hindernisse kannten. Sie räumten sie aus dem Weg, wenn sie sich vor ihnen aufbauten, und Männer, die diese Highway-Panzer fuhren, gehörten zur besonderen Sorte.
Der Truck kam zum Stehen. Im Leerlauf lief der Motor. Kontrolliert zu werden brauchte nichts. So legte Arrik den rechten Zeigefinger auf einen bestimmten Knopf, den er nach unten drückte. Mit dieser Bewegung läutete er gewissermaßen das Verhängnis ein, doch das wussten weder er noch sein Kollege. Sie handelten exakt nach ihren Vorschriften und schauten zu, wie das Tor auf der im Boden versenkten Schiene langsam zur Seite glitt. Dabei entstanden so gut wie keine Geräusche, die Maschinerie der Technik war hervorragend eingespielt.
Wer im Führerhaus saß, war nicht zu erkennen. Jedenfalls handelte es sich um zwei Männer, so viel konnten die beiden in ihrer Bewacherbude schon ausmachen.
Der Truck rollte auf das Gelände. Seine gewaltigen Reifen wirkten wie Panzerketten, die alles zermalmen würden, was sich ihnen in den Weg stellte.
Es war ein Tankwagen. Sein großer Kessel leuchtete karmesinrot. In heller Leuchtschrift waren an beiden Seiten die Warnungen gepinselt worden. Dieser Truck erinnerte an einen Giganten.
Er rollte sehr langsam, während hinter ihm das Tor wieder zuschwang. Ohne Gewehr wollten die beiden Männer ihre Bude nicht verlassen. Sie schauten einander noch einmal an. Dabei fiel Arrik auf, dass sein Kollege grau im Gesicht geworden war.
»Hast du was?«, fragte er.
»Kaum.«
»Was ist denn, Mensch?«
»Willst du es wirklich wissen?«
»Ja doch. Und beeil dich. Wir müssen raus.«
»Clint, ich habe das Gefühl, dass es uns in dieser Nacht erwischen wird.«
»Du meinst, wir werden sterben?«
»Richtig.«
Arrik musste lachen. »Du hast zu viel über Voodoo gehört und gelesen. Vielleicht kommen die Zombies und …«
»Das kann passieren.« Mehr sagte der Schwarze nicht. Er drehte sich um und schritt auf die Tür zu. Als Erster verließ er die Wachbude. Arrik folgte ihm kopfschüttelnd.
Bis zum Wagen waren es nur zwei Schritte. Die Spielregeln waren klar. Kein Fahrer durfte seine Kabine verlassen. Erst wenn das Wachpersonal die Türen öffnete und damit sein Okay gab, konnten die Männer aus ihrem Fahrzeug klettern.
Arrik überließ Ralph den Vortritt. Der Schwarze wirkte neben dem hohen Führerhaus klein und unscheinbar. Er musste sich recken, um den Griff fassen zu können.
Clint blieb im Hintergrund. Die Waffe hatte er von seiner Schulter rutschen lassen. Das Gewehr lag schussbereit in der Hand, und wie zufällig wies die Mündung auf den Einstieg des Trucks.
Ralph sprach kein Wort, als er die Tür offen hatte. Arrik, der sich zur Seite gedreht hatte, hörte den verwunderten Ausruf seines Kollegen und erkundigte sich, was geschehen wäre.
»Da ist niemand.«
»Wie?«
»Der Wagen ist leer.« Hopkins drehte sich um, schaute Arrik an und deutete auf die offene Tür. »Schau selbst nach, Clint, das verdammte Führerhaus ist leer.«
»Das gibt es doch nicht.«
»Und ob es das gibt.«
Entschlossen näherte sich der Mann dem Einstieg, kletterte die Alustufen der Leiter hoch und blieb so stehen, dass er den Oberkörper in das Führerhaus beugen konnte.
»Und was siehst du?«, hörte er den Schwarzen fragen.
»Einiges, aber keine Fahrer.«
»So ist es mir auch ergangen. Ich sah keinen. Fragt sich nur, wer den Truck gefahren hat?«
»Von allein ist er ja nicht hergerollt.« Clint drehte sich um. »Ich schaue mich hier genau um. Geh du mal in die Kiste. Wenn wir nichts finden, werden wir Grayson alarmieren.«
»Ist gut.« Hopkins war es bei dieser Antwort überhaupt nicht wohl. Er dachte an den Klang der Trommeln und an sein Gefühl. Das Trommeln war verstummt.
Der Truck war da, die Trommeln nicht mehr zu hören. Als würde beides miteinander zusammenhängen.
Hopkins wusste selbst nicht, aus welch einem Grund er beide Ereignisse in Zusammenhang brachte. Er dachte nur daran, dass etwas vorging; da war einiges faul, diese Nacht konnte er wirklich nicht mit dem Wort normal umschreiben.
Er musste auf der Hut sein …
Hopkins wollte einmal um den Wagen herumgehen. Er dachte über die oder den Fahrer nach. Vielleicht waren die Männer auf der Beifahrerseite ausgestiegen. Sie konnten zahlreiche Gründe für ihr Verhalten gehabt haben, alles war möglich, aber sehr seltsam.
Zwischen seiner Handfläche und dem Gewehrschaft spürte er den feuchten Schweißfilm. Er ließ die Waffe leicht durch die Hand gleiten.
Hopkins atmete durch die Nase. Die Lippen lagen fest aufeinander. An der Seitenfront schritt er entlang, las die in heller Schrift gemalten Warnungen an den Außenseiten, spürte den Druck im Magen, erreichte eines der Hinterräder und sah neben dem gewaltigen, dunklen und nach wie vor heißen Rad die Bewegung.
Ein Mann stand dort geduckt lauernd. Fast hätte Ralph ihn übersehen, so aber blieb er stehen und richtete die Mündung seiner Waffe auf den anderen.
»Komm raus, Bruder! Du brauchst dich nicht zu verstecken. Hier bin ich der Dirigent!«
Der andere war ebenfalls ein Schwarzer. Er trug einen ölbeschmierten Overall und sonst nichts. Kein Hemd, nicht einmal Schuhe. Das Kraushaar war schmutzig, das Kinn wirkte deformiert, als hätte ein Faustschlag die Knochen verschoben. Die Füße klatschten auf den Boden, wenn er ging.
Hopkins war geschockt. Er trat trotz des Gewehrs einen Schritt zurück, so hatte der andere Zeit, unter dem Truck hervorzukommen. Leichter Benzin- und Ölgeruch wehten Ralph entgegen, der so verwirrt war, dass er nicht wusste, wie er reagieren sollte.
Eines jedoch stand fest. Hier stimmte einiges nicht. Der Typ vor ihm war nicht normal, der sah nicht aus wie ein Trucker, eher wie ein … wie ein … Ralph suchte nach einem Vergleich, aber ihm fiel keiner ein, dafür begann er zu schwitzen und zuckte zusammen, als er das metallisch klingende Geräusch oberhalb des Tanks hörte.
Dort musste jemand einen der Verschlussdeckel geöffnet haben. Verdammt, das durfte nicht sein!
Plötzlich war Hopkins unsicher. Er schaute zum Fahrerhaus hin, aber sein Partner kam nicht.
Dafür näherte sich ihm der Fahrer. Er kam so weit an Ralph heran, dass der ihm die Mündung des Schnellfeuergewehrs gegen den Magen drückte, bis der Lauf eine Kuhle in die Bauchhaut bog.
»Ich will von dir eine Antwort haben!«, flüsterte der Wachtposten scharf. »Was wird hier gespielt?«
Der Fahrer erwiderte nichts. Er rollte ein wenig mit den Augen. Ralph fiel auf, dass sie schief in den Höhlen lagen. Das hatte er bislang nicht gesehen, und er nahm einen Geruch wahr, der ihn an altes, allmählich faul werdendes Fleisch erinnerte.
Der Geruch von Leichen, wenn sie zu lange über der Erde lagen …
Ein Schauer kroch über Ralphs Rücken, als hätten Spinnenbeine ihn berührt. Er spürte den Druck im Magen und im Nacken den kalten Film aus Schweiß. Es gelang ihm, seine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken und zu einem Entschluss zu kommen.
Der Typ vor ihm, dem es nichts ausmachte, dass die Gewehrmündung so tief in seinen Körper gedrückt war, konnte nur eines jener Wesen sein, vor denen Ralph schreckliche Furcht hatte und an die er vor kurzer Zeit beim Klang der Voodoo-Trommeln gedacht hatte.
Ein Zombie!
Ein lebender Toter, das grausame Ergebnis einer Voodoo-Zauberei. Es gab sie also!
Der letzte Gedanke glich einem Schrei, und Hopkins wollte etwas tun, als sein Blick zufällig an der Tankseite des Trucks hochglitt und er auf den runden Tank blicken konnte.
Dort war das Gesicht.
Es schaute über den Rand hinweg, wirkte wie eine bleiche Kugel, auf deren Vorderseite es zuckte und die von strähnig dunklen Haaren eingerahmt wurde.
War das der zweite?
Ralph hätte schießen und nicht wie erstarrt schauen sollen. So aber gab er dem Zombie Gelegenheit, selbst die Initiative zu ergreifen, und das tat die lebende Leiche, die mit beiden Händen den Gewehrlauf packte, ihn zur Seite drückte und Ralphs Knie hochriss.
Nicht sehr flüssig und schnell. Ralph hätte unter Umständen ausweichen können, aber er schaffte es nicht, denn das Grauen, dieser Vorbote des Todes, kam über ihn wie ein Gewitter.
Bösartig zuckte der Schmerz vom Unterleib her durch seinen Körper, wollte im Gehirn explodieren und seine Schädeldecke wegsprengen. Das geschah nicht. Stattdessen sackte er in die Knie und kippte dabei nach hinten.
Er merkte kaum, dass ihm der Zombie das Gewehr entrissen hatte und es am Lauf gepackt hielt.
Er reagierte wie ein Automat.
Der erste Schlag traf Ralph seitlich am Kopf. Bewusstlos wurde er nicht, aber er kippte auf den Asphalt. Zuerst kam er mit der rechten Schulter auf, drehte sich langsam zur Seite, und das gab dem seelenlosen Werkzeug des Teufels Zeit, genau Maß zu nehmen.
Der Zombie hob das Gewehr. Noch immer hielt er den Lauf fest. Er sah das Blut aus der Kopfwunde des Wachtpostens sickern, bevor er den Kolben ein zweites Mal nach unten rammte.
Er tat das, was sein Auftrag war. Er tötete!
Und die anderen, seine schrecklichen Brüder und Schwestern, kletterten aus dem Tank.
Sie waren wie Ameisen. Tumbe Gestalten, die Mühe hatten, sich zu halten, aber mit einer Zielstrebigkeit reagierten, die erschreckend war.
Ralph Hopkins bekam davon nichts mehr mit. Er war tot …
Arrik lebte. Ihm war die ganze Sache spanisch vorgekommen, aber er ging sie härter an, nicht so zögernd wie sein Partner. In das Führerhaus wand er sich hinein. Irgendwo musste der Fahrer zu finden sein. Das gab es einfach nicht, dass ein Truck dieser Größenordnung fuhr, ohne gesteuert zu werden.
Das war nicht drin!
Über der Rückenlehne der breiten Sitze befanden sich die Schlafkabinen. Vielleicht waren es zwei oder drei, bei diesen großen Wagen wusste man das nie so genau.
Arrik kletterte auf den Sitz. Er hatte bereits die Hand erhoben, um den Vorhang zur Seite zu ziehen, als er mitten in der Bewegung zögerte. Ein unnatürlicher Geruch war in seine Nase gedrungen. Er konnte nicht genau sagen, zu welcher Art er diesen Geruch zählen sollte, angenehm jedenfalls war er nicht.
So faulig …
Clint räusperte sich. Das Kratzen im Hals wollte nicht weichen. Jetzt hörte er die Stimme seines Partners. Er musste draußen irgendjemandem einen Befehl geben. Leider waren seine Worte nicht genau zu verstehen, aber Clint vermutete, dass Ralph einen der beiden Fahrer gestellt hatte.
Er wollte den zweiten.
Deshalb riss er den Vorhang zur Seite. Dabei vernahm er das kratzende Geräusch, als die Ringe über die Stange schleiften, und musste im nächsten Augenblick eine Szene miterleben, in der er die Hauptrolle spielte und die ihm vorkam wie in einem Film.
Etwas kippte ihm entgegen.
Zwei Körper – zwei Leichen.
Clint war ein harter Bursche. Er konnte einiges vertragen, hatte schon vieles gesehen, das hier aber war grauenhaft und einfach furchtbar.
Dem Mann gelang es nicht mehr, die Arme hochzureißen. So fielen die starren, toten Körper gegen ihn und drückten ihn zurück, bis er mit dem Rücken gegen das breite Lenkrad stieß und durch die zwei Leichen eingepresst wurde.
Sekunden vergingen.
Das Gesicht des Clint Arrik zeigte fast die gleiche Starre wie die Züge der Toten. Er nahm wahr, dass die Männer Overalls trugen, Hemden darüber, beide schwarzes Haar besaßen, dessen Strähnen jedoch blutverkrustet waren, da man sie durch schwere Schläge gegen den Kopf getötet hatte.
Getötet, ermordet!
Die beiden Begriffe rasten durch seinen Kopf, und Arrik dachte plötzlich wieder normal. Er wusste, dass er sich in höchster Lebensgefahr befand und er sofort handeln musste, denn das Führerhaus kam ihm auf einmal vor wie ein Sarg aus Stahl und Glas.
Durch heftiges Anheben der linken Schulter konnte er eine der Leichen zur Seite wuchten. Sie rutschte gegen die geschlossene Tür, blieb dann mit hocherhobenen und ausgestreckten Beinen halb auf dem Sitz liegen.
Den zweiten Toten schleuderte Clint einfach herum, sodass er sich neben dem Beifahrersitz auf dem Boden ausstreckte und Arrik über ihn hinwegsteigen konnte.
Er musste raus aus dieser Rattenfalle!
Fast hätte er sein Gewehr vergessen. Clint schnappte nach der Waffe und wollte über den Toten hinwegsteigen, da vernahm er außerhalb des Wagens Geräusche, als wäre jemand aus einer gewissen Höhe zu Boden gesprungen.
Vielleicht vom Dach des Trucks her …
Etwas in seiner Kehle wollte ihm die Luft abschnüren. Er bekam für einen Moment das Zittern und musste sich überwinden, aus dem Führerhaus zu klettern.
Er bewegte sich ganz vorsichtig.
Clint stieg nicht auf die Leiche, das brachte er einfach nicht fertig. Einen langen Schritt benötigte er, um die oberste Stufe der Alutreppe zu erreichen.
Dort zögerte er, schaute nach draußen, sah keinen, und erst als er sich schon abstoßen wollte und trotzdem vorher nach links blickte, entdeckte er auf dem Boden das dunkle Bündel.
Wie ein Mensch sah es aus.
Es war ein Mensch!
Sein Partner!
Clint Arrik öffnete den Mund, ohne etwas zu sagen. Sturmwindartig durchtosten ihn die Gefühle. Plötzlich zitterte er. Die Haltung des Mannes sagte ihm alles.
Ralph konnte nicht überlebt haben. Jemand hatte ihn gekillt, und Clint sah den dunklen Fleck, der den Kopf seines Partners umrahmte. Lange zu raten brauchte er nicht.
Das war Blut!
Wie Hiebe spürte Clint seinen eigenen Herzschlag. Etwas durchtoste seinen Körper. Er musste hier weg, stieß sich ab und sprang aus der offenen Tür des Führerhauses nach draußen. Auf dem Asphalt landete er, lief noch einen Schritt und fuhr mit angeschlagenem und schussbereitem Gewehr herum, weil er die Gegner suchte.
Er sah sie nicht …
Clints Mund verzerrte sich. »Verdammt!«, sagte er keuchend. »Verdammt, kommt raus aus euren Löchern. Ich jage euch meine Kugeln in die Bälger, ihr verfluchten Killer.«
Niemand gab Antwort, und so suchte er weiter nach den Killern, die nicht nur die beiden Fahrer auf dem Gewissen hatten, sondern auch seinen Freund und Partner Ralph.
Da sah er die Bewegungen.
Unter dem Tank des Wagens hatten sie sich verkrochen, dicht neben den Reifen standen sie, und er entdeckte einen geduckt hockenden Körper auf dem Tank, wo die Deckel offen standen, aber kein Kerosingeruch ausströmte. Ihm wurde klar, dass der Truck keinen Treibstoff geladen hatte, sondern eine andere Fracht.
Der Kerl auf dem Tank stierte in seine Richtung. Er trug zerfetzte Kleidung, die im leichten Nachtwind flatterte.
Clint Arrik tat das, was er tun musste, und es machte ihm nicht einmal etwas aus.
Er schoss.
Mehrere Kugeln jagte er aus dem Lauf, sah die Einschläge und bekam mit, wie die Gestalt von der Wucht der Schüsse hinweggefegt wurde.
»Okay, okay!«, schrie er. »Das musste sein!« Der Blick des unter Dauerstress stehenden Mannes fieberte. Vielleicht war sein Freund doch nicht tot. Er musste nachschauen und lief geduckt auf ihn zu.
Da zuckte er zusammen, denn er hatte abermals den Trommelklang vernommen. Voodootrommeln waren es, und plötzlich lachte er nicht mehr darüber. Nicht in dieser verdammten Lage, wo vor seinen Füßen ein Toter lag, das hatte er jetzt festgestellt.
Ralph Hopkins konnte niemand mehr helfen.
Clint richtete sich wieder auf. Seine Augen schwammen in Tränenwasser. »Ihr Schweine!«, brüllte er über den Platz. »Ihr verdammten Schweine habt ihn gekillt!«
Seine Stimme wurde zu einem schrillen Echo, das seinen Widerhall an den blanken Außenseiten der wie glotzend dastehenden riesigen Tanks fand, in die Nacht hineinflog und sich mit dem dumpfen Trommelwirbel der Voodoo-Klänge vermischte.
Dann kamen sie …
Bisher hatten sie in der schützenden Dunkelheit unter dem Truck gelauert. Das Trommeln schien das Zeichen für sie gewesen zu sein, sich aus den Deckungen zu lösen.
Clint packte schleichende Angst.
Vor ihm bewegte sich das personifizierte Grauen. Hineingepresst in die unheimlichen, seelenlosen, roboterhaften Gestalten der lebenden Leichen, die eine kompakte Mauer bildeten und nun das zweite Opfer innerhalb kurzer Zeit haben wollten.
Das war Clint Arrik!
Er sah sie wie durch einen Schleier. Frauen und Männer schoben sich vor. Einige von ihnen hielten die Arme ausgestreckt, andere schwangen damit, um das Gleichgewicht zu halten, doch eines hatten sie gemeinsam, auch wenn sie so unterschiedlich gekleidet waren.
Sie wollten töten.
Programmiert auf Mord.
Und Clint stand ihnen gegenüber. Die Innenflächen seiner Hände waren vom kalten Schweiß so glitschig geworden, dass es ihm kaum möglich erschien, das Gewehr zu halten. Die Mündung zitterte. Von oben nach unten schwang sie, denn Clint war einfach nicht in der Lage, die schwere Waffe ruhig zu halten.
Sein Mund war trocken, dunkle Schweißflecke bildeten auf seinem Hemd ein Muster. Die Angst drückte gegen seinen Magen. Sie verstärkte sich, als er sah, dass aus dem Tank weitere Gestalten kletterten und sich kurzerhand herunterrutschen ließen.
Sie fielen gegen die anderen. Einige von denen wurden zu Boden gestoßen, kamen aber wieder hoch und setzten ihren Weg unbeirrt fort, als wäre nichts gewesen.
»Das ist doch Wahnsinn!«, ächzte der Mann. »Verrückt, einfach …« Ihm fehlten die Worte.
Am Ende des Trucks sah er einen weiteren Zombie kommen. Clint kannte ihn. Das war genau der, den er mit seiner Kugelgarbe vom Wagen geholt hatte.
Der Untote ging schwankend. Sein Körper war mehrmals getroffen worden. Deutlich konnte Clint die Spuren erkennen, denn das Licht der Peitschenleuchte erhellte die Szenerie mit einer nahezu brutalen Deutlichkeit.
Der lebende Tod!
Dieser Begriff kam ihm in den Sinn. Er schüttelte den Kopf und wusste, er musste etwas tun, denn die ersten Zombies standen bereits so nahe vor ihm, dass sie nach ihm greifen wollten und die teigig wirkenden Finger bereits ausgestreckt hatten.
Er schoss.
Das Schnellfeuergewehr tat seine ‚Pflicht’. Clint sah die Gestalten fallen, hörte keinen Schrei, sah nur die um sich schlagenden Arme und vernahm die dumpfen Geräusche, die entstanden, als die Wesen zu Boden klatschten.
Für Sekunden hatte er Luft.
Und er dachte an Flucht.
Aber wo sollte er hin?
In Gedankenschnelle hatte er sich entschieden. Relativ sicher war seine Bude. Wenn er sie erreichte und die Tür abschloss, würde es den Zombies fast unmöglich sein, das gepanzerte Glas des Wachhauses zu zerstören.
Er konnte dann Hilfe holen. Grayson musste Bescheid wissen und mit seiner Kampftruppe anrücken.
Clint wich zurück. Die von ihm getroffenen Zombies erhoben sich wieder und begannen mit der Verfolgung. Die ersten beiden Schritte war er langsam gegangen. Dabei hatte er den Mund weit aufgerissen, holte tief Luft, schüttelte sich, und Schweißtropfen wirbelten wie abgeschleuderte Perlen von seinem Gesicht weg.
Die Angst gab ihm Kraft. Er rannte schneller, obwohl ihm die Knie zitterten. Er drehte sich um, feuerte im Laufen zurück, spürte das Tanzen der Waffe in seinen Fäusten, sah, dass er einige der Gestalten erwischte und setzte seine Flucht fort.
Auf einmal kam ihm der Weg verdammt lang vor. Arrik dachte nur noch daran, dass er Hilfe holen und sein Leben dadurch vielleicht retten konnte.
Etwas flog heran. Er sah es erst, als rechts von ihm in einer gewissen Höhe das Ding vorbeihuschte.
Ein Ei – torkelnd, taumelnd, doch ein Höllenei aus Metall, dem man den Namen Eierhandgranate gegeben hatte.
Wenn die in seiner unmittelbaren Nähe explodierte und die Splitter ihn erwischten, war es aus. Dann wurde er zerrissen.
Aus vollem Lauf warf sich Clint zu Boden. Er hatte sich nicht genügend schützen können, der Aufprall zerschmetterte ihn fast. Rauer Asphalt riss Furchen in seine Gesichtshaut. Zwei Zähne splitterten, der Schädel schien in die Luft zu fliegen, doch das Krachen stammte von etwas anderem.
Die Granate war detoniert!
Ein Splitterregen verteilte sich nach allen Seiten. Der Mann hatte unheimliches Glück, dass die scharfen Metallecken nicht durch seine Kleidung und in den Körper schlugen. Dem tödlichen Hagel folgte die Druckwelle. Sie zerrte an ihm, riss ihn hoch; er überrollte sich und spürte erst jetzt den Schmerz in seinem rechten Bein. Dort hatte es ihn erwischt. Ein zuckendes Stechen und die gleichzeitig außen zu spürende Wärme waren für ihn Beweis genug.
Er kam hoch, knickte wieder ein, denn das rechte Bein wollte nicht so, wie er es gern gehabt hätte.
Jetzt waren die Zombies schneller als der humpelnde Mensch, der rechts von sich den Krater sah, den die Granate gerissen hatte. Clint biss die Zähne zusammen. Sein eigenes Luftholen kam ihm vor wie Schreien, als er sich weiterschleppte und trotz aller Widrigkeiten versuchte, die rettende Wachbude zu erreichen.
Ein Dauerschutz würde es nicht sein, aber Hilfe musste herbeigeholt werden. Wenn Graysons Mannschaft die Wagen nahm, dauerte es nur Minuten, bis sie eintrafen.
Hinkend schleppte er sich weiter. Kalt angestrahlt vom Licht der Peitschenlampen, in deren schattenlosem Schein sich die Blutspur des aus der Wunde rinnenden Lebenssafts abzeichnete.
Wie viele Schritte waren es noch?
Clint wusste es nicht. Er sah die Tür, die Helligkeit dahinter. Selbst der verdammte Kaffeeautomat schien ihn zu erwarten. Immer härter jagten die Schmerzen durch sein Bein. Er hatte nicht erst nach der Wunde geschaut. Sie brannte, sie wollte ihn daran hindern weiterzugehen, aber der Mann gab nicht auf.
Er kämpfte sich vor.
Einsam, verbissen und auch sehr tapfer, das musste man ihm einfach lassen.
Trotz seines desolaten Zustandes fand er die Kraft, den Kopf zu drehen, denn er wollte schauen, ob und wie weit die Zombies aufgeholt hatten.
Er sah die Mauer aus lebenden Toten, aber das schaurige Bild interessierte ihn plötzlich nicht mehr. Viel wichtiger war die Figur, die die Zombies anführte und dabei eine Eierhandgranate lässig von einer Handfläche in die andere warf.
Es war ein schwarzer Koloss! Ein Schwarzer mit Muskeln, wie sie Arnold Schwarzenegger in seinen Filmen zeigte. Vielleicht sogar eine lächerliche Figur, was seine Kleidung anging, doch Clint Arrik hütete sich, den Mann zu unterschätzen. Er war der gefährlichste von allen, und er war kein Zombie, denn er sprach Clint an.
»He, du Irrer, wo willst du denn hin?«
Clint zuckte zusammen. Nicht wegen der lauernd und krächzend klingenden Stimme, er hatte nur sein Gewicht falsch verlagert, sodass er auf dem rechten Bein stand.
Der Schwarze hob den Arm.
Diese eine Bewegung reichte aus, um den Gang der Zombies zu stoppen. Hinter ihm blieben sie stehen. Eine gefährliche, tumbe, lauernde Masse, die darauf wartete, einen Auftrag zu beenden.
Der Schwarze gab sich lässig. Noch zweimal flog die Eierhandgranate hin und her, dann ließ er die Arme sinken. Deutlich erkennbar stand er im Streulicht einer Bogenlampe. Nein, er war keine Witzfigur, auch wenn er im ersten Moment so wirkte.
Auf seinem haarlosen Schädel saß wie angeklebt ein pechschwarzer, seidig schimmernder und steifer Zylinder. Der mit Öl oder Fett eingeriebene muskelbepackte Oberkörper war nackt. Als einziges Kleidungsstück trug er eine rotweißgestreifte Hose. Sie hatte Ähnlichkeit mit Bermuda-Shorts, saß schon provozierend eng und endete mit den Hosenbeinen dicht über den Knien des Mannes. Schuhe trug er nicht. Die Füße mussten nur aus Schwielen bestehen, wenn er sich mit den nackten Tretern bewegte.
Kein Zombie, dachte der Wachtposten. Er ist, verdammt, kein Zombie, sondern ein Mensch. Und sicherlich nicht kugelfest. So gefährlich die lebenden Leichen waren, ihr Vordenker und Boss war der Mann mit dem Topfhut.
Wenn er ausgeschaltet wurde, bestand für Clint Arrik eine Chance, die Wachbude noch zu erreichen. Und er musste schnell sein. Aus der Wunde sickerte immer mehr Blut. Die Splitter hatten ihm die rechte Wade aufgerissen. Er musste einfach etwas tun, um dem Grauen zu entkommen.
Der andere blieb kalt. Er lachte sogar höhnisch und sagte: »Verlass dich nur nicht auf dein Gewehr. Ich bin besser, wir sind besser, und wir werden unseren Job durchführen.«
»Welchen?«, schrie Clint.
»Das Lager muss brennen!«
DieAntwort erschütterte Arrik. Er hatte auf eine unbestimmte Weise damit gerechnet, doch nun war er mit den Tatsachen konfrontiert worden, und die direkte Erkenntnis traf ihn wie der Schlag mit einem Hammer.
»Nein!«, schrie er. »Nein, ihr Hunde. Ich lasse es nicht zu. Ihr werdet nichts dergleichen tun. Ihr …« Er riss das Gewehr hoch, doch die Bewegung war einfach zu hastig durchgeführt worden, denn er knickte mit dem rechten Bein weg, sodass die Schüsse schräg in den Himmel peitschten. Furchtbare Angst quälte ihn jetzt. Arrik wusste genau, dass dies sein Ende war. Er dachte an die Handgranate und deren mörderische Kraft.
Der Schwarze hatte sie längst entsichert, sie aber nicht geworfen, sondern gerollt.
»Ich bin Barnabas!«, schrie er. »Ich bin der Voodoo-Meister!« Dann lachte er und schaute zu, wie Clint verzweifelt versuchte, dem Höllenei zu entkommen.
Er schaffte es nicht.
Zu sehr war er behindert, zu schwerfällig bewegte er sich. Den grellen Blitz nahm er noch wahr, dann spürte er den gewaltigen Druck und das Reißen in seinem Körper.
Barnabas und seine Zombies schauten zu. Das Gesicht des Menschen blieb ebenso ausdruckslos wie das der Untoten. Keinen Funken Mitgefühl besaßen sie mit dem Mann, den sie vor wenigen Sekunden getötet hatten.
Sie würdigten ihn keines Blickes, als sie auf ein Zeichen des gewaltigen Schwarzen voranschritten, um einer mörderischen Aufgabe nachzukommen.
Barnabas war es, der die Sprengladungen persönlich anlegte. Das hatte man ihm in einer langen Zeit der Ausbildung beigebracht. Exakt siebenundzwanzig Minuten später flog das Lager in die Luft. Da hatten es die Zombies bereits verlassen. Sie schauten aus der Ferne zu, wie der Himmel über diesem Teil des Staates Louisiana zu einem gewaltigen Meer aus Flammen und Rauch wurde.
Wieder einmal hatten sie zugeschlagen, und die Welt sollte demnächst mehr von ihnen hören …
II
Mein Vater hatte mir einmal gesagt: »Wenn du dein Glück finden willst, Junge, musst du dem Regenbogen bis zu seinem Ende hin folgen …«
Worte, die in etwa stimmten, nur würde es kaum jemandem gelingen, das Ende des Regenbogens zu erreichen. Und das Glück fand man woanders. In sich selbst vielleicht oder in seiner Arbeit und in der Familie.
Eine Familie besaß ich nicht. Arbeit dafür genug, aber glücklich machte sie mich nicht. Sie musste nur getan werden, und dafür war ich seit Jahren der richtige Mann, wie man mir hin und wieder bestätigte, um mich weiterhin zu motivieren.
Denen, die mich noch nicht kennen, möchte ich mich ganz kurz vorstellen. Mein Name ist John Sinclair, von Beruf bin ich Polizist, arbeite für Scotland Yard und stehe dort im Range eines Oberinspektors.
Damit wäre eigentlich alles gesagt, bis auf eine Kleinigkeit, die jedoch entscheidend war.
Ich musste mich mit Fällen beschäftigen, wo andere gar nicht erst anfingen oder die Brocken hinwarfen und nach mir riefen; meine Arbeit war die eines Selbstmordkandidaten, denn ich stellte mich den Mächten der Finsternis entgegen.
Das heißt, ich kämpfte gegen die Hölle und deren schwarzmagische Kreaturen. Ich hatte zu tun mit Zombies, mit Vampiren, mit Werwölfen und anderen Bestien, fightete gegen Dämonen, Monster und Kreaturen aus anderen Dimensionen und Zeiten.
Mich hatte es schon nach Atlantis verschlagen oder in die Vergangenheit unserer Welt, und ich wusste von den haarsträubenden Dingen und schrecklichen Gefahren, die über der Menschheit schwebten und die ich verzweifelt abzuschwächen oder abzuwehren versuchte.
Zum Glück stand ich nicht allein in diesem gewaltigen Kampf. Da wäre ich schon längst untergegangen. Ich besaß Freunde, die mir halfen. Da war zum Beispiel Suko, mein Kollege, Partner und Freund. Oder das Ehepaar Conolly und die Freunde aus dem alten Atlantis, die Kara und Myxin hießen. In Deutschland hielt ein gewisser Kommissar Mallmann die Augen offen, und weil wir alle so gut zusammenhielten, hatte es bisher geklappt, den Mächten der Finsternis zu trotzen.
In der letzten Zeit war ein junger Türke namens Yakup Yalcinkaya zu uns gestoßen. Er hielt im fernen Amerika die Stellung. Er hatte ein Kloster nahe der Stadt San Francisco geerbt und war dabei, es zu einem Hort des Guten auszubauen. Ihm zur Seite stand seit kurzer Zeit Jane Collins, ehemalige Detektivin und Hexe, in die ich einmal stark verliebt gewesen war.
Nun, das gehörte der Vergangenheit an. Obwohl ich oft genug mit eben dieser Vergangenheit konfrontiert wurde, galt mein Augenmerk mehr der Zukunft oder der Gegenwart, denn ich musste mich einfach immer wieder auf die neuen Fälle konzentrieren.
Davon gab es genug.
Leider, muss ich sagen, denn Schwarzblütler schliefen nie. Sie besaßen keine geregelte Arbeitszeit, sie schlugen eiskalt zu und immer dann, wenn man am wenigsten mit ihrer Attacke rechnete.
Über all diese Dinge dachte ich nach, als ich in meinem Bentley saß und durch die flache südenglische Landschaft gondelte. Es war eine Postkarten-Idylle, die sich zu beiden Seiten der Straße ausbreitete. Parkähnliche Landschaften, satter grüner Rasen, Waldstücke, die wie dunkle Inseln aus ihm herausragten, hin und wieder eine kleine Ortschaft, deren Häuser wie verstreut wirkend im Gelände lagen.
Und mein Ziel war eine Ruine.
Was ich dort sollte, war mir unbekannt. Ich hatte von meinem Chef, Sir James, den Auftrag bekommen und suchte nun den kleinen Ort namens Ticehurst, der an einem idyllischen See liegen sollte.
Auf der Karte hatte ich mir die Strecke genau angesehen, sie aber nicht mehr im Kopf behalten, sodass ich hin und wieder nachschauen musste. In Ticehurst und am See sollte die Ruine liegen.
Ich hatte meinen Freund und Kollegen Suko mitnehmen wollen, war jedoch auf den energischen Widerspruch meines Chefs gestoßen. Der Superintendent hatte verlangt, dass ich allein fuhr. So war mir nichts anderes übrig geblieben, als seinem Wunsch nachzukommen.
Informationen hatte man mir nicht mit auf den Weg gegeben, und das wunderte mich ein wenig. Natürlich machte ich mir meine Gedanken. Mit einer Falle rechnete ich nicht, dann hätte mich Sir James nicht geschickt. Etwas Geheimnisvolles lag über meiner Reise, das hatte ich sehr deutlich beim Gespräch mit Sir James gespürt.
Die Mittagszeit lag hinter mir und leider auch das schöne Sommerwetter. Seit dem gestrigen Tag hatte es sich stark abgekühlt. Große Wolkengebirge ballten sich am Himmel zusammen und bildeten verschiedene Muster. Da schoben sich die dunklen in die hellen Dunstschwaden hinein, kreisten, wirbelten und ließen ihre Ladung, den Regen, ab. Zweimal war ich in heftige Schauer geraten, und dicht vor dem Ziel erwischte es mich zum dritten Mal.
Ich hörte das harte Trommeln der Tropfen auf dem Wagenblech, schaltete die Wischer auf die schnellste Stufe und musste das Licht einstellen.
Sehr dunkel war es geworden. In langen Fäden rann der Regen aus den tiefen Wolken, klatschte auf die schmale Straße oder fegte als Wasservorhang durch das Gelände. Es hatte aufgefrischt. Der Wind trieb die Regenvorhänge über das flache Land und schleuderte sie gegen die einsam wachsenden Wälder, wo die Bäume mit den frischen, grünen Blättern geschüttelt und gerüttelt wurden.
Es war zum Glück nur ein kurzer Schauer. Als ich in die direkte Straße zum See hin einbog, fielen nur noch ein paar Tropfen. Wenig später hörte der Regen ganz auf.
Als hätten Riesenhände die Wolken zerrissen, so wurden sie auseinandergeschoben, und an einigen Stellen lugte die helle Scheibe der Sommersonne wieder durch.
Sie schickte ihre wärmenden Strahlen der Erde entgegen und dampfte die Nässe weg, sodass ich durch dunstige Schwaden rollte, die aufhörten, bevor ich Ticehurst erreichte.
Um an mein Ziel zu gelangen, hätte ich nicht in den Ort hineinfahren müssen, aber ich war ein Fremder und kannte mich nicht aus, deshalb wollte ich mich dort erkundigen, welchen Weg ich nehmen musste.
Es war ein hübsches Städtchen. In der Art eines Rundlings gebaut, denn die Häuser konzentrierten sich kreisförmig um die Kirche, deren schmaler Turm mit dem Wetterhahn darauf sich in den wieder blank gewordenen Himmel schob.
Es blies allerdings ein frischer Wind, der mir nicht unangenehm war. Als ich den Silbergrauen schon in das Dorf hineingelenkt hatte und bremsen musste, weil Hühner über die Straße liefen, entdeckte ich das Schild genau an der Einmündung einer schmalen Gasse.
Ich stoppte den Bentley. Vom Wagen aus las ich die Beschriftung. Abbey and Lake, stand da nur. Wahrscheinlich für Fremde oder Angler, denn ein stilisiert dargestellter Fisch war ebenfalls zu erkennen.
Das Hinweisschild ersparte mir die Fragerei. Ich lenkte den Wagen in den Weg, der keine Asphaltdecke hatte und fuhr zwischen gepflegten Gärten weiter.
Hier passierte ich eine dichte Buchenhecke, dort die Rückfront einer Scheune oder die gepflegte Vorderseite eines Bauernhauses, dessen grüne Fensterläden frisch gestrichen schimmerten.
Nach den Gärten begannen die Felder. Keine großen Kornfelder, mehr Beete, auf denen Obst angebaut wurde.
Erdbeeren!
Zahlreiche Menschen knieten oder standen in gebückter Haltung da, um die Früchte zu ernten. Eine ältere Frau hatte mich heranfahren hören, richtete sich auf, drehte sich um und schaute mir entgegen.
Um ganz sicherzugehen, stoppte ich meinen Bentley neben ihr und ließ die Seitenscheibe nach unten fahren. Mein bestes Sonntagslächeln zauberte ich auf die Lippen, und das Gesicht unter dem bunten Kopftuch der Frau verzog sich zu einem Lächeln.
»Kann ich etwas für Sie tun, Sir?«
Ich grüßte höflich und erkundigte mich nach dem Weg zur alten Klosterruine.
Das Lächeln aus dem Gesicht der Frau verschwand. Sie trat sogar einen Schritt zurück, als hätte sie Angst vor mir.
Ich merkte das natürlich und sagte: »Sorry, Madam, ich verstehe Ihre Reaktion nicht. Ist es schlimm, dass ich Sie nach der Ruine fragte?«
»Nein, eigentlich nicht.«
»Sondern?«
Auf meine Suggestivfrage gab sie mir Antwort. »Sie sind nur nicht der Erste, der die Frage gestellt hat.«
Sieh mal an, dachte ich. »Wer denn noch?«
»In den letzten Tagen ist öfter nach dem Weg zum Kloster gefragt worden.«
»Hat das einen Grund gehabt?«
Sie schaute mich verwundert an. »Den müssten Sie doch eigentlich wissen, Sir.«
»Nein, man hat mich nur geschickt. Stimmt etwas nicht mit dem Kloster?«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Ich sage nichts mehr. Gar nichts.« Sie wollte gehen, aber mein Ruf hielt sie auf.
»Moment, Madam.« Ich hatte meinen Ausweis hervorgeholt und hielt ihn so, dass sie ihn sehen konnte. »Ich bin von der Polizei und …«
Die Frau kam wieder näher, holte eine Brille aus der Kitteltasche, setzte sie aber nicht auf, sondern hielt sie vor ihre Augen, um das Gedruckte lesen zu können.
»Scotland Yard sogar«, flüsterte sie.
»Sehr richtig, Madam. Ich möchte mir die Ruine einmal genauer ansehen, wissen Sie.«
»Wenn Sie unbedingt wollen, Sir …«
Sie hatte die Worte so komisch ausgesprochen, dass ich stutzig wurde. »Es ist mein Job, und ich habe mir bisher bei diesem Auftrag nichts gedacht. Jetzt allerdings wundere ich mich über Ihre merkwürdige Reaktion. Stimmt da irgendetwas nicht?«
Mit der letzten Frage hatte ich die Frau verlegen gemacht. Sie wischte die Hände an der Vorderseite des Kittels sauber und hob die Schultern. »Das kann man nicht so genau sagen. Ich jedenfalls und die meisten anderen Leute im Ort würden die Ruine in der Nacht nicht besuchen. Das ist zu gefährlich.«
»Spukt es dort?« Ich hatte die Frage sehr ernsthaft gestellt, denn ich wusste genau, dass zahlreiche Bewohner unseres Landes an Geister und Spukerscheinungen glaubten, die es tatsächlich gab, wie ich aus eigener Erfahrung wusste.
»Das weiß ich nicht«, wurde mir erwidert. »Jedenfalls ist es komisch. Nachts sollen da Gestalten herumgeschlichen sein. Vielleicht war das Kloster ein Treffpunkt. Wagen sind hingefahren. Schwarze Autos, die sehr offiziell oder gefährlich aussahen.«
»Wann war der letzte Wagen denn da?«
»Noch in dieser Woche.«
»Haben Sie sich zufällig das Kennzeichen gemerkt?«
»Nein, wo denken Sie hin.« Ich wollte schon weiterfahren, aber die Frau hatte einen weiteren Tipp für mich. »Etwas habe ich doch gesehen. Zwischen den Heckleuchten ein ovales Schild. Blau und mit weißer Schrift. USA las ich dort.«
»Das ist doch etwas«, erwiderte ich und bedankte mich sehr herzlich für die Auskunft.
»Wollen Sie trotzdem fahren?«, erkundigte sich die Frau.
»Natürlich.«
»Viel Glück.«
Während ich die Scheibe hochfuhr, rief ich ihr ein »Danke« zu und startete.
Sehr langsam rollte ich über den schmalen Weg. Meine Gedanken beschäftigten sich mit dem Gehörten. So ganz ohne wichtigen Grund schien mich mein Chef, Sir James Powell, doch nicht losgeschickt zu haben. Irgendein Geheimnis musste es um die Ruine geben, wenn sie schon als Treffpunkt für Fremde diente.
Ich war gespannt.
Die Erdbeerfelder verschwanden. Leider wurde die Strecke nicht besser; im Gegenteil, als der Wald auftauchte, wuchs der Weg noch mehr zusammen. Weit konnte ich nicht in dieses Stück Natur hineinfahren. Ich hielt an, und es war nicht zu vermeiden, dass mein Silbergrauer den Weg versperrte. Als ich den Wagen abschloss, warf ich einen Blick zurück. Die erntenden Menschen auf den Erdbeerfeldern waren kleiner geworden. Zudem zog wieder einmal die Bewölkung auf. Sicherlich würde es bald den vierten Schauer geben.
Einen Mantel hatte ich nicht mit, so hoffte ich, dass mich das dichte Laub der Bäume schützen würde. Auf dem Waldweg ging ich weiter. Die Bäume standen sehr dicht, die Helligkeit hielt sich deshalb in Grenzen, und ich sah durch die Lücken auch nicht das Wasser des nahen Sees schimmern. Ein frischer, herrlicher Frühsommergeruch schwängerte die Luft. Das war Gesundheit hoch drei.
An manchen Stellen dampfte es noch. Da trafen die Strahlen der Sonne auf die nach wie vor feuchte Erde.
Ich wunderte mich doch ein wenig. Bestimmt gab es einen zweiten, bequemeren Weg, der zum Kloster oder zum See führte. Ich hatte wohl leider Pech gehabt und den anderen genommen.
Der Boden war weich, mit Humus bedeckt und an manchen Stellen rutschig. Das Gelände führte ein wenig bergab. Vogelgezwitscher begleitete mich, bis es vom Prasseln der ersten Regentropfen auf dem Laub der Bäume übertönt wurde.
Sekunden später goss es wie aus Kübeln. Jetzt hätte ich doch einen Regenschutz gebrauchen können, alles hielten die Blätter nicht ab. Die Tropfen klatschten mir auf den Kopf, rannen in den Nacken und glitten meinen Rücken entlang.
Auch das überstand ich. So heftig der Schauer gewesen war, so rasch hörte er wieder auf. Ich war mittlerweile über zwanzig Minuten unterwegs gewesen, schaute nun nach vorn und entdeckte zwischen den Bäumen eine Fläche, die die Farbe von blaugrauem Blei besaß.
Ein Metall war es sicherlich nicht. Das sah mir eher nach einem Wasser aus.
In der Tat stand ich – nachdem ich einen kleinen Anhang hinuntergerutscht war – am Ufer des Sees, blickte auf die gekräuselte Fläche und sah die Klosterruine.
Sie befand sich auf einer kleinen Insel, die mitten im See lag.
Zum Glück nicht sehr weit. Zudem war sie durch einen Steg mit dem Ufer verbunden. Das gefiel mir.
Ich blieb vor dem Steg stehen und schaute mir die Umgebung noch einmal an.
Das Seeufer war bewaldet. Die Bäume wuchsen bis dicht an das Wasser heran. So etwas wie einen kiesigen Strand gab es nicht. Ich entdeckte keine zweite Zufahrt, es sei denn, sie lag so versteckt, dass die Bäume sie verbargen.
Aus der kleinen, mit Gras, Krüppelbäumen und Unterholz bedeckten Insel wuchsen die Mauern des Klosters hervor. Kantige Stücke, manche von ihnen nur mehr fragmenthaft. Ein Torbogen war heil geblieben. Durch ihn konnte man wohl auf den Innenhof der Klosterruine gelangen.
Er war mein Ziel, da wollte ich hin, und ich machte mich auf den Weg. Der Steg sah mir nicht sehr vertrauenserweckend aus. Die Nässe stammte nicht allein vom letzten Regenschauer. Das Holz war brüchig und faul geworden. Es hatte sogar die Spuren jener Leute konserviert, die vor mir den Steg benutzt hatten.
Anhand der Abdrücke erkannte ich, dass es sich um Männerschuhe gehandelt hatte. Vielleicht befand sich noch jemand zwischen den Mauerresten und erwartete mich.
So etwas wie Spannung überfiel mich. Zudem umgab mich eine seltsame Stille. Als Ruhe vor dem Sturm wollte ich sie nicht gerade bezeichnen, aber normal war sie auch nicht. Vielleicht lag es an der waldreichen Umgebung, dass jeder Laut oder Ton von außen auf ein Minimum reduziert wurde, ich jedenfalls konnte mich mit meiner näheren Umgebung nicht so recht anfreunden.
Der Steg führte durch eine schmale Schilfregion. Ein idealer Platz für Frösche und anderes Kleingetier. Ich vernahm hin und wieder ein Glucksen oder Platschen. Die Geräusche schienen tatsächlich von den Tierchen zu stammen.
Hin und wieder bogen sich die Planken unter meinem Gewicht durch, aber sie hielten stand.
Die Insel war von einem flachen Schilfgürtel umgeben, den ich durchschritt. Dann setzte ich meinen Fuß auf den festen, aber dennoch weichen Boden.
Vor mir lag das Kloster.
Wie Brandruinen wirkende Mauern, als hätte sie irgendwann jemand mit Feuer bestrichen. An einigen Stellen lag kein Stein mehr auf dem anderen. Da waren die Mauern völlig zusammengebrochen.
Ich orientierte mich am Torbogen. Durch ihn schritt ich, wobei hohe, feuchte Grashalme über meine Füße schleiften und auf dem Leder Nässe hinterließen.
Der ehemalige Innenhof des Klosters lag vor mir. Im Laufe der Zeit hatte ihn die Natur überwuchert. Gras, Moos, Unkraut bildeten diesen Teppich, der eine alte Zisterne einrahmte, die mein nächstes Ziel war. Vor dem Brunnen blieb ich stehen und schaute in die Tiefe.
Mein Blick verlor sich in der Düsternis. Selbst als ich meine Bleistiftleuchte anknipste, konnte ich kaum mehr erkennen als nur die moosüberwucherten Innenmauern der Zisterne.
Ich ging weiter.
Zwar war das Kloster zerstört worden, aber aus dem, was stand, konnte ich erkennen, wie die Erbauer es damals angelegt hatten. Ein Hauptgebäude gab es und zwei im rechten Winkel dazu stehende Seitentrakte. Nur war dieses Kloster sehr klein gewesen, vielleicht nur mehr eine Zuflucht für die frommen Männer.
Ich schritt auf den Haupttrakt zu und sah so etwas wie einen alten Eingang. An zwei Mauerresten ging ich vorbei. Sekunden später blieb ich auf einem Steinboden stehen, der ebenfalls überwuchert war, wobei an einigen Stellen der blanke Stein durchschimmerte.
Eine düstere Atmosphäre hielt mich umfangen. Vielleicht lag es am Verschwinden der Sonnenscheibe und an der Rückkehr einiger dicker Wolkenberge.
Ich durchmaß den Innenraum, und mir fiel der kantige, rechteckige Stein auf, der dort stand, wo einmal eine Mauer gewesen war. Diese Form war mir nicht unbekannt. So sah ein Altar aus. Demnach musste ich mich in der kleinen Kirche oder Kapelle des Klosters befinden.
Der Altar stach von der übrigen Umgebung ab. Er war längst nicht so verfallen wie das Mauerwerk und auch nicht von irgendwelchen Unkrautgewächsen überwuchert. Im Gegenteil, seine Platte schimmerte so blank, als hätte jemand sie geputzt.
Bis auf einige dunkle Flecken, die meiner Ansicht nach zu der blanken Platte nicht passen wollten. Weshalb hatte man sie nicht weggewischt? Ich erreichte durch bloßes Schauen nichts. Dafür strich ich mit dem Finger über die Flecken, fühlte die Feuchtigkeit, sodass es mir vorkam wie zähe Schmiere.
Aber das war es nicht. Als ich den Finger hob und genau nachschaute, sah ich die rötliche Färbung.
Die Sache war klar.
Auf diesem Altar gab es Blutflecke!
Es wurde zwar nicht gerade eng in meiner Kehle, trotzdem gefiel mir die Vorstellung, dass auf der Platte jemand umgebracht worden war, überhaupt nicht.
Sollten hier tatsächlich Menschen geopfert worden sein?
Es war kaum zu fassen, und wiederum dachte ich nicht eben mit Freude an meinen Chef Sir James, der mich quasi ohne Informationen auf diese Insel geschickt hatte.
Ich umrundete den Altar. Schräg dahinter, im Schlagschatten einer noch stehenden Mauer, war es ziemlich düster. So dunkel, dass ich leuchten musste, um etwas erkennen zu können.
Ich holte wieder die kleine Lampe hervor und schickte den dünnen Strahl auf die Reise.
Zielgenau traf er das bleiche, mit Blutfäden durchwobene Gesicht eines Toten, dessen offene Augen mich irgendwie anklagend anstarrten, sodass ich unwillkürlich den Atem anhielt.
Meine Bewegungslosigkeit dauerte nicht sehr lange. So schlimm es sich anhört, aber Funde und Anblicke dieser Art war ich gewöhnt, das passierte mir leider öfter.
Tief atmete ich durch, bevor ich niederkniete, um die Leiche genauer zu untersuchen.
Man hatte dem Mann den Kopf eingeschlagen. Ich möchte in keine Details verfallen, aber der Mörder hatte grausam gewütet, und ich schüttelte den Kopf, weil ich so etwas niemals verstehen würde. Trotzdem musste ich meiner Aufgabe nachkommen und die traurige Pflicht der ersten Untersuchung vornehmen.