Vorhang auf - Blaulicht an - Ingrid Geier - E-Book

Vorhang auf - Blaulicht an E-Book

Ingrid Geier

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Beschreibung

Nachdem sie nach einem Autounfall aus dem Krankenhaus entlassen wird, macht Olivia sich bereit, als Schauspielerin auf eine Tournee durch ganz England zu gehen. Als sie zum ersten Mal ihre Schauspielkolleginnen trifft, scheint das komplizierte und angespannte Verhältnis zwischen ihr, der temperamentvollen Elvira und der weinerlichen Lulu das größte Problem zu sein. Doch dann taucht plötzlich eine Leiche auf, die Olivia intensive, lebhafte Visionen beschert. Hat sie eine Verbindung zu dem Toten? Als es die Truppe auf ein mysteriöses Gut in der Nähe verschlägt und Olivia von der Polizei steckbrieflich gesucht wird, beginnt ein Abenteuer voller Geheimnisse, Intrigen und verhängnisvoller Beziehungen.

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Seitenzahl: 362

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2025 novum publishing gmbh

Rathausgasse 73, A-7311 Neckenmarkt

[email protected]

ISBN Printausgabe: 978-3-7116-0344-9

ISBN e-book: 978-3-7116-0345-6

Lektorat: Emma J. Dharmaratne

Umschlagabbildungen: www.canva.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

1. Kapitel

Diese Kopfschmerzen! Ich fühle mich wie gerädert. Angestrengt versuche ich einen klaren Gedanken zu fassen. Was genau ist passiert? Wie lange bin ich schon hier?

Die ganzen Fragen zu meiner Person blieben unbeantwortet. Mein Kopf ist leer. Ich kann mich an nichts erinnern. Nur das Pochen in den Schläfen nehme ich wahr.

Die eingekehrte Ruhe, als die Krankenschwester das Zimmer verlässt, ist eine wahre Erleichterung. Sie wird wiederkommen und mir erneut Fragen stellen. Was soll ich ihr erzählen? Unter Aufwendung all meiner Kräfte öffne ich die Augen. Das grelle Neonlicht blendet mich. Ich drehe mich zur Seite. Das hätte ich nicht tun sollen, ein messerscharfer Schmerz durchbohrt meinen Kopf. Die Lider senken sich schwer über meine Augen. Lange verharre ich in dieser Position, nicht imstande sie wieder zu öffnen. Der Schreck fährt mir in alle Glieder. Habe ich alle Macht über mich verloren? Das ist ja grauenvoll! Nein, so geht das nicht, ich will meine Augen öffnen, wenn mir danach ist.

Neben mir sitzt ein junges Mädchen. Sie lässt die Beine baumeln und beobachtet mich. Ihr Bett ist höher als meines, sie sieht auf mich herab. Plötzlich beugt sie sich nach vorne und lächelt mich an. Ihre Beine baumeln munter weiter. Darum beneide ich sie. Ich kann mir nicht vorstellen, jemals wieder meine Beine baumeln zu lassen. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, mich jemals wieder bewegen zu können. Ich fühle mich wie einbetoniert. Leblos, mit unendlichen Kopfschmerzen.

Irgendwie schaffe ich es, die Decke zurückzuschlagen. Ja, so ist es besser. Eine Last fällt von mir ab.

„Du hattest einen Unfall. Du bist vor ein Auto gerannt. Zu allem Unglück bist du auch noch mit dem Kopf auf dem Asphalt aufgeschlagen“, sagt das Mädchen.

Ihre Stimme tut mir gut. Es ist eine schöne Stimme. Sie stellt auch keine Fragen. Sie sieht mich nur an und spricht munter weiter.

„Das wird schon wieder, du hattest eigentlich sehr viel Glück. Du hast dir nichts gebrochen. Wenn man bedenkt, dass der Fahrer dich mit voller Wucht niedergestoßen hat, grenzt es fast an ein Wunder, dass dir nicht mehr passiert ist. Das hätte anders ausgehen können. Morgen wirst du dich an alles erinnern. Du brauchst Schlaf. Wahrscheinlich stehst du noch unter Schock.“ Sie nickt bekräftigend.

Ja, so ist es. Ich hatte einen Unfall. Die Tatsache, dass ich mich nicht erinnern kann, ist auf den Schock zurückzuführen. Erleichtert schließe ich die Augen, in der Hoffnung, weiter dieser angenehmen Stimme lauschen zu können. Dieser Stimme, die so aufmunternd und erfrischend klingt. Den Luxus, meine Augen geschlossen zu halten, gönne ich mir. Wenn mir danach ist, werde ich sie wieder öffnen. Das funktioniert wieder. Wenigstens etwas.

Das Gesicht des Mädchens habe ich mir eingeprägt. Die dunklen Augen und die ebenso dunklen Haare, die ihr bei jeder Wippbewegung ein Stück weiter ins Gesicht fallen. Leider ist mit dem Schließen meiner Augen auch ihre Stimme verstummt. Also öffne ich sie wieder. Ihr Blick geht an mir vorbei, sie schwingt ihre Beine in das Bett.

„So, jetzt kehrt hoffentlich Ruhe in dieses Zimmer ein.“

Diese Stimme kenne ich auch. Sie ist keinesfalls aufmunternd. Erfrischend dagegen schon, im Sinne von herrisch. Diese Stimme hat meinen Kopf schon einmal in einen gefährlichen Zustand gebracht, nahe an das Zerplatzen.

Die Krankenschwester scheint Gefallen an meiner Hilflosigkeit zu haben. Mit Vehemenz deckt sie mich zu. Die Decke scheint mich schier zu erdrücken.

„So ist das also. Die Decke aus dem Bett werfen kann die feine Dame, aber ansonsten ist sie nicht fähig, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Was für eine Vorstellung ziehen Sie hier ab? Mich täuschen Sie nicht und wenn Sie sich noch tagelang stumm stellen.“

Streng blickt sie auf mich, eine Infusion in die Höhe haltend. Wie ein Damoklesschwert lässt sie diese über mir pendeln. Jetzt käme es mir gelegen, wenn sich meine Lider senken würden. Aber nichts dergleichen passiert. Ich bin in Alarmbereitschaft. Von der Infusionsflasche und noch mehr von der Schwester geht eine Bedrohung aus, die mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Die Flüssigkeit, so klar und rein wie Wasser, hat es bestimmt in sich. Man will meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Welche Substanzen werden dafür verwendet? Alles, was ich brauche, ist eine Tablette, um die Kopfschmerzen loszuwerden, sonst nichts.

„Nach dieser Infusion werden Sie schlafen. Morgen um neun Uhr werden Sie von unserem Psychologen befragt. Ich hoffe, Ihre Antworten bestehen nicht nur aus einem nichtssagenden Nicken. Sie glauben wohl, Sie sind die einzige Patientin hier? Wenn Sie Hilfe erwarten, müssen Sie kooperieren.“

Wie gelähmt starre ich sie an. Es war doch keine Willkür meinerseits, nicht zu antworten. Es war nur leider so, dass ich keine Antworten auf die Fragen hatte. Meine Stimme versagte mir den Dienst, als ich nicht einmal meinen Namen wusste, geschweige denn, meinen Beruf oder meine Wohnanschrift. Dann haben sie in meiner Tasche gewühlt und meinen Ausweis gefunden. Das heftige Nicken beim Hören meines Namens legt mir diese Dienstbeflissene nun als Willkür aus. Das Wort Amnesie hat mir schließlich den Rest gegeben. Das leise Geraune zwischen den Ärzten und Schwestern über eine Einweisung in die Psychiatrie schlug mich nieder. Die Fragerei, wohin ich wollte und woher ich kam, als ich niedergefahren wurde, hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich konnte mich an gar nichts erinnern. Das Mädchen neben mir hat Recht, ich stehe unter Schock.

Die Infusion hängt über mir. Mit jedem Tropfen werde ich müder. Worüber habe ich gerade nachgedacht?

Ein Lachen, so hell wie eine Glocke, zwingt mich zur Seite zu schauen. Zuerst sehe ich nur baumelnde Beine, dann das lachende Gesicht des Mädchens. Sie wird von einem Mann geküsst. Halbherzig wehrt sie ihn ab. Die zur Schau gestellte Abwehr lässt ihn ganz übermütig werden. Er drückt sie fest an sich und dann in die Kissen. Halb sitzend, halb liegend schaut er ihr in die Augen.

„Geh von meinem Bett runter“, sagt sie lachend, „oder willst auch du von der Oberschwester behandelt werden?“

„Gott bewahre, mir fehlt nichts.“

Er richtet sich auf und zieht das Mädchen mit in die Höhe.

„Jetzt hast du sie aufgeweckt.“ Ein Finger zeigt nach mir.

Von der Infusion ist nichts mehr zu sehen. Trotzdem fühle ich mich ausgelaugt und leer und sehr müde. Die Kopfschmerzen sind verschwunden. Einen klaren Gedanken kann ich dennoch nicht fassen. In meinem Kopf geht es drunter und drüber. Das wilde Durcheinander lässt sich nicht steuern. Alles dreht sich im Kreis, schnell, beängstigend. Ich muss doch Rede und Antwort stehen. Name, Adresse, Beruf. Wo kam ich her? Wo wollte ich hin? Mir wird übel. Mit aller Kraft kämpfe ich dagegen an. Ich kämpfe auch noch gegen etwas anderes an, aber gegen was?

„Du kannst wohl keine Minute stillsitzen? Deine Beine scheinen die Bettruhe nicht zu akzeptieren?“ Der Mann ist äußerst vergnügt. „Deinem Naturell als geborener Wildfang scheint es nicht zu behagen, hier den letzten Tag auszuharren.“ Er lacht dröhnend und wird in die Seite gepufft.

„Benimm dich und sprich leiser. Sie soll unbedingt schlafen. Sie wurde von einem Pkw niedergestoßen. Als sie eingeliefert wurde, war sie bewusstlos. Sie ist mit dem Kopf auf dem Asphalt aufgeschlagen. Das Schädel-CD war ohne Befund. Eine Verletzung hat sie nicht davongetragen.“ Sie räuspert sich und spricht sehr leise weiter.

Angestrengt versuche ich mehr über mich zu erfahren. Ohne Erfolg, ihr Flüstern hallt in meinem Kopf, ohne dass ich auch nur ein Wort verstehe.

„Das ist die beste Klinik weit und breit, sie werden ihr helfen können. Sie ist in guten Händen“, sagt der Mann.

Ich bin in guten Händen, wie Balsam fühlen sich diese Worte an. Die Übelkeit verflüchtigt sich. Na also, es geht mir schon besser. Ob ich auch ein Wildfang bin? Natürlich. Ich schiebe ein Bein unter der verknüllten Decke hervor und lasse es neben dem Bett baumeln. Was für ein gutes Gefühl. Jetzt kann ich mit ruhigem Gewissen weiterschlafen, obwohl mich die Worte des Mädchens mehr interessieren. Warum sie plötzlich so leise sprach, wüsste ich schon gerne, schließlich geht es um mich. Im Grunde ist sie kein Mädchen mehr, sie ist eine junge, hübsche Frau mit viel Temperament. Eine eigenartige Faszination geht von ihr aus. Der Mann hat sie einen Wildfang genannt. Das hört sich gut an. Sie scheinen sehr verliebt zu sein. Leise sprechen sie weiter und halten sich an den Händen.

Es gehört sich nicht, ihrem Gemurmel zu lauschen. Was sich diese Verliebten zu sagen haben, geht mich nichts an. Sie sprechen nicht mehr über mich. Erleichtert wende ich mich ab. Erleichtert auch deswegen, mich nicht mehr konzentrieren zu müssen. Das Unvermögen, ihre Worte nicht verstanden zu haben, hat einen regelrechten Druck in meinem Kopf erzeugt.

Ein Lachen, diesmal verhaltener, lässt mich wieder zur Seite blicken. Neugierig schiele ich zum Bett, in der Erwartung zwei schwingende Beine zu sehen. Ich richte mich auf. Das Bett wird frisch bezogen. Zwei Krankenschwestern machen sich daran zu schaffen. Die Matratze hat eine U-Form angenommen. Das Leintuch ist zu straff gespannt. Die sehr jungen Krankenschwestern machen sich einen Spaß daraus. Sie lassen sich mit ihrem Gewicht darauf fallen, um das unbändige Ding wieder in Form zu bringen.

„Wo ist denn die junge Frau?“

„Entlassen.“ Beide richten sich auf und starren mich an.

„Entlassen? Wann?“

„Heute Morgen. Sie haben noch geschlafen. Sie haben sehr lange geschlafen. Geht es ihnen heute besser? Haben Sie Schmerzen?“

„Nein, ich habe keine Schmerzen.“

Die Enttäuschung, die junge Frau nicht mehr zu sehen, ist größer als das Pochen in meinem Kopf.

„Ich bringe Ihnen jetzt Ihr Frühstück, Sie haben nämlich um elf Uhr einen Termin bei Dr. Konsik. Den Termin um neun Uhr hat ein anderer Patient in Anspruch genommen. Sie waren nicht aufzuwecken.“

„Ja, weil sie mich an irgendeinen Tropf angehängt haben, was für Substanzen waren denn in der Flasche? Ich hatte von Anfang an ein komisches Gefühl.“

„Das war eine physiologische Kochsalzlösung. Die meisten unserer Patienten bekommen diese verordnet.“

„Standard-Therapie, wie?“ Ich weiß auch nicht, warum ich plötzlich so aggressiv bin.

„Von einer Kochsalzlösung schläft man aber nicht so gut, dass man nicht aufzuwecken ist, wie sie sagen.“

Die Schwesternschülerin, das lese ich von ihrem Namensschildchen ab, lässt die Matratze die U-Form wieder annehmen. Hilfesuchend blickt sie zur Tür. Jetzt bräuchte sie Unterstützung von ihrer Kollegin, die holt aber gerade mein Frühstück.

„Ein Beruhigungsmittel und ein Schmerzmittel waren der Kochsalzlösung auch beigemengt.“

„Ja, wahrscheinlich war noch viel mehr beigemengt. Nicht umsonst hat die Schwester drohend die Flasche über mir geschwungen.“

„Nein, das war keine Drohung, die Flasche muss so hoch gehängt werden. Wie soll denn sonst die Flüssigkeit in ihre Vene?“

Sofort bereue ich meine Worte. Der Druck in meiner Brust lässt nach, die Wut ebenso. Mir fällt nämlich ein, dass ich wieder weiß, wer ich bin. Ein Glücksgefühl sondergleichen überfällt mich. Ich stürze zu der Schwesternschülerin und umarme sie. Noch nie spürte ich eine so große Erleichterung.

Ihr wird mein Gebaren zu viel, pure Unverständnis steht ihr ins Gesicht geschrieben. Sie entschuldigt sich und verlässt unverrichteter Dinge das Zimmer. Natürlich, sie kann mich nicht verstehen. Mein Verhalten muss für sie mehr als sonderbar und zugleich erschreckend gewesen sein. Zuerst bin ich aggressiv, dann umarme ich sie. Das alles in nur einer Minute. Sie hat aber sicherlich noch nie die Diagnose Amnesie erhalten. Sie weiß nicht, wie es sich anfühlt, wenn man sich an nichts erinnern kann. Und wie erleichtert man ist, wenn das Gedächtnis wieder zurückkehrt.

Das Raunen der Ärzte hallt mir noch in den Ohren. Wenn man da nicht aggressiv wird, wann dann? Mein Verhalten darf ruhig befremdlich auf sie wirken. Sie steht noch in der Ausbildung, wahrscheinlich ganz am Anfang. Das Bettenüberziehen ist so ziemlich das Erste, was zu absolvieren ist.

Als ich aus dem Bad komme, steht mein Frühstück schon auf dem Tisch. Ich bin allein im Zimmer. Die Betten sind gemacht, die Rollos zur Hälfte heruntergezogen. Die Stille ist sehr angenehm. Auch in meinem Kopf ist es still geworden. Kein Hämmern, kein Zermartern meiner grauen Zellen wegen meiner Herkunft und Tätigkeiten. Hungrig mache ich mich über die frischen Brötchen her. Es ist kaum zu glauben, was für ein tolles Lebensgefühl es ist, wenn man weiß, wer man ist. Ich könnte Bäume ausreißen, so energiegeladen bin ich.

Da stürmt auch schon die Schwester von gestern herein, die mich mit der Infusion beglückt hat. Einen Rollstuhl vor sich herschiebend, mit einem strengen Blick im Gesicht. Geistesgegenwärtig ziehe ich meine Beine an. Die Funktionalität meiner Füße ist mir wichtig. Sie hält erst an, als sie den Widerstand meiner Knie an dem Geschoß spürt. Gekonnt stellt sie die Lehne in Sitzposition.

„Hineinsetzen“, ist das kurze Kommando, dann zurrt sie die Bremsen fest.

„Nein.“ Dieser Dame hat wohl noch nie jemand Paroli geboten.

Sie stemmt ihre Hände in die Hüften. „Wie, nein?“

„Nein, ich gehe. Ich habe keine Beschwerden in den Beinen.“

„Da hinein, aber schnell, ich wiederhole mich nicht gerne.“

„Ich wiederhole mich auch nicht gerne.“

„Sie wurden vorgestern bewusstlos eingeliefert, Sie setzen sich da hinein. Sie haben einen Termin bei Dr. Konsik.“

„Vorgestern war vorgestern, heute ist heute. Dann wollen wir einmal.“ Geschickt zwänge ich mich an der Koryphäe an Autorität vorbei und laufe auf den Flur.

„Ich muss zu Dr. Konsik.“

„Am Ende des Ganges“, ruft jemand freundlich.

Ich sprinte los.

Gleichzeitig kommen wir vor dem Behandlungszimmer an. Die Schwester mit dem Rollstuhl, ich ohne Behelf. Das Gerangel vor der Tür gewinnt sie. Null zu eins. Klarer Fall von Heimvorteil. Das Zepter nun nicht mehr aus der Hand gebend, saust sie auf den Arzt zu. Dieser erkennt den Ernst der Lage oder vielleicht auch nur die Gefahr, die von dem auf ihn zurasenden Rollstuhl ausgeht und verschanzt sich geistesgegenwärtig hinter seinem Schreibtisch.

„Diese da“, räuspert sich die Krankenschwester. „Diese Patientin wollte sich partout nicht in den Rollstuhl setzen, obwohl sie gestern bewusstlos eingeliefert wurde. Ihr fehlt es an jeglicher Kooperation.“

„Aber Schwester Gundula, beruhigen Sie sich doch. Es ist doch ein gutes Zeichen, wenn sie den Weg zu mir ohne fremde Hilfe schafft.“

Sehr sympathisch und kompetent, ich bin erleichtert.

„Setzen Sie sich“, sagt er und deutet auf den Sessel, ohne mich anzusehen. Er stellt sich nicht vor, er reicht mir auch nicht die Hand. Zu viel an Vertraulichkeit ist wahrscheinlich in dieser Berufssparte zu vermeiden. Es ist nicht von Belang, wie der Patient heißt. Vermutlich wird man nur mehr als Krankheit wahrgenommen. Ich bin der Unfall mit den Kopfschmerzen und der anfänglichen Bewusstlosigkeit. Deswegen sollte sein Name auch für mich ohne Belang sein. Er ist Arzt, das genügt. Er stellt die Diagnose und ist für die Anordnung der Behandlung zuständig. Das allein ist entscheidend. So in der Art kann ich mir Ihren Alltag vorstellen. Das sind natürlich nur Vermutungen. Das würde ich gegenüber einem Arzt auch nie äußern oder deswegen eine Diskussion anfangen. In meinem Fall wäre das schon gar nicht sinnvoll. Ich möchte entlassen werden. Ich fühle mich heute schon recht gut. Verwunderlich ist nur, dass er mir die Hand nicht gegeben hat. Ein Händedruck ist doch aufschlussreich, zumindest habe ich das einmal gelesen. Hat die Schwester nicht gesagt, er wäre Psychologe? Für ihn könnte so ein Händedruck informativ sein. Jemand, der sich ganz verschüchtert gibt und einen starken Händedruck hat, könnte doch ein Simulant sein? Nein, wie gesagt, davon verstehe ich nichts. Die Mutmaßungen sind umsonst. Ich setze mich. Da fällt mir wieder ein, dass er nicht der Psychologe ist, das wäre der Arzt gewesen, bei dem ich um neun Uhr einen Termin gehabt hätte.

Schwester Gundula verlässt pikiert den Raum. Sie scheint weder von dem Arzt noch von mir viel zu halten.

„Wohl umsonst, die teure Anschaffung“, pfaucht sie. Damit ist wohl der Rollstuhl gemeint, an dem sie jetzt auch keine Freude mehr hat. Sie stößt ihn regelrecht zur Tür hinaus. So teuer kann er auch nicht gewesen sein. Unter teuer verstehe ich etwas anderes. Ein Computertomograph zum Beispiel ist eine teure Anschaffung. Egal. Interessiert verfolge ich das Blättern in meiner Krankenakte. Unglaublich, wie viel sich in der kurzen Zeit angesammelt hat. Röntgenbilder und Dokumentationen, daraus könnte man ein ganzes Skript erstellen. Wer um Gottes willen hat das alles niedergeschrieben in nur zwei Tagen? Das ist die gefürchtete Bürokratie, von der alle sprechen. Die nimmt mehr Zeit in Anspruch als die tatsächliche Arbeit. Jetzt verstehe ich das Unverständnis von Schwester Gundula bezüglich meiner Verweigerung ihrer Anweisung. Das gibt sicher zusätzliche Notizen in meiner Krankenakte. Noch mehr Schreibereien für nichts und wieder nichts.

Dr. Konsik gibt sich ganz dem Geschriebenen hin. Er blättert angeregt vor und zurück. Seine Stirn legt sich mehr und mehr in Falten. Das beunruhigt mich. Was steht denn da drin? Zu welcher Diagnose ist man gekommen? Von einer einzigen Diagnose kann unmöglich die Rede sein. Nach dem Ausmaß der Aufzeichnungen muss es sich um mehrere Diagnosen handeln. Hier geht es um mich. Seine gefurchte Stirn bedeutet nichts Gutes. Zögert er deswegen so lange, mit mir zu sprechen, weil die Diagnosen so schrecklich sind? Man hört immer wieder, dass Leute wegen einer Lappalie in die Klinik gehen und bei Routineuntersuchungen unheilbare Krankheiten zutage kommen. Die Ärzte, sie sind ja keine Unmenschen, wissen dann oft nicht, wie sie die furchtbaren Diagnosen den Patienten beibringen sollen. Meine Lider flattern, meine Sehkraft lässt nach. Die Falten, nein das ganze Erscheinungsbild des gutaussehenden Dr. Konsik verschwimmt vor meinen Augen.

„Zu welchen Diagnosen sind sie gekommen?“, wage ich endlich zu fragen. Meine Stimme versagt vollends den Dienst. Die Kopfschmerzen kehren zurück.

„Diagnosen? Wieso sprechen Sie in der Mehrzahl. Von Diagnosen kann keine Rede sein, nicht einmal von einer Diagnose. Dafür ist es noch zu früh. Es müssen noch viele Untersuchungen durchgeführt werden, ganz besonders in Ihrem Fall. Eine Diagnose passiert auf Fakten, davon sind wir noch meilenweit entfernt. Ich orientiere mich fürs Erste an Ihrem Verhalten gestern bei Ihrer Einweisung.“

Keine Diagnosen, meine Sehkraft kehrt zurück. Gott sei Dank!

Von welchen Untersuchungen spricht er? Nein, das möchte ich nicht wissen. Dem muss ich schleunigst entgegenwirken. In den Unterlagen hat man sicher auf Amnesie hingewiesen. Bevor dieses Hirngespinst weiterverfolgt wird, muss ich handeln.

„Ich möchte entlassen werden. Mir geht es wieder gut, bis auf die Kopfschmerzen, und die sind schon erträglich.“

„Jetzt aber mal halblang. Von Entlassung ist noch lange keine Rede. Hier muss noch mehr abgeklärt werden.“

„Was muss noch abgeklärt werden? Gestern stand ich unter Schock. Ich konnte mich an nichts erinnern. Heute sieht das anders aus. Ich kann mich an alles erinnern. Ich bin Schauspielerin und Mitglied im hiesigen Ensemble des Theaters. Sie müssten mich doch kennen. Gehen Sie nie ins Theater?“

„Selten.“ Er nimmt mich nun bewusst wahr. Neugierig schaut er mich an.

Er geht doch ins Theater. Jetzt versucht er, sich an mich zu erinnern. Seinem Blick zufolge gelingt es ihm nicht. Ja, so kann es gehen Herr Doktor. Aber deswegen leiden Sie nicht an Amnesie und es äußert auch niemand diesen Verdacht. Mit solchen Vermutungen sollte man vorsichtig umgehen. Man erschreckt damit Leute, insbesondere Patienten, die gerade einen Unfall hatten.

„Es freut mich, das zu hören. Die vorübergehende Amnesie, an der Sie augenscheinlich gelitten haben, hat sich von selbst eliminiert. Das kommt öfter vor, als man denkt. Nicht selten rebelliert das Gehirn nach traumatischen Vorfällen. In Ihrem Fall der Unfall. Viele von den Patienten erholen sich sehr langsam davon, andere müssen mit dieser Diagnose leben, ohne eine Besserung.“

„Das ist bei mir nicht der Fall“, unterbreche ich ihn. „Mein Gedächtnis funktioniert wieder. Eigentlich müsste ich längst zu Hause sein und mein Skript lernen. Nächste Woche gehe ich auf Tournee. Alles, was ich brauche, sind Kopfschmerztabletten, dann bin ich schon weg.“

„Sie hatten einen Unfall, Sie sind nicht vollständig belastbar. Ruhe und Schlaf sind jetzt das Wichtigste. Das Schädel-CD war ohne Befund, aber eine Gehirnerschütterung haben Sie dennoch davongetragen. Sie können froh sein, dass nicht mehr passiert ist. Also gehen Sie in Ihr Zimmer und ruhen Sie sich aus.“

„Ausruhen kann ich mich auch zu Hause. Das Skript muss ich auch noch ausdrucken. Ich hätte es vorgestern abholen sollen. Aber wie Sie wissen, ist es nicht dazu gekommen. Wegen des Skripts war ich auch so in Eile und habe den Autofahrer übersehen.“

„Sie heute zu entlassen wäre grob fahrlässig. Das kommt überhaupt nicht in Frage. Wenn Sie darauf bestehen, dürfen Sie morgen die Klinik verlassen, aber auch nur auf eigene Verantwortung. Heute haben Sie noch strenge Bettruhe, und jetzt gehen Sie in Ihr Zimmer. Oder soll ich Schwester Gundula rufen?“ Er zieht seine Brauen hoch, ich meine auch.

„Ihrer Krankenakte nach haben Sie strenge Bettruhe.“

„Danke, ich bewege mich gerne.“

Sein zufriedenes Lächeln und seine ausgestreckte Hand stimmen mich fröhlich. Beherzt fasse ich danach.

„Schwester Gundula wird für sie sorgen.“

Er versucht, mich ernst anzusehen, seine Augen sprechen aber eine andere Sprache. Er amüsiert sich. Natürlich kann ich mich täuschen, vielleicht ist er von Haus aus eine Frohnatur. Aber das Kundtun, dass Schwester Gundula für mich sorgen wird, hatte doch einen zynischen Unterton. So nach dem Motto, Schwester Gundula hat noch jeden bekehrt. Soll mir auch recht sein, solange ich nicht von ihr im Rollstuhl durch die Gegend gefahren werde.

Ich bin noch keine Minute im Zimmer, kommt sie auch schon herein. Ein großes Tablett auf den Tisch knallend mit der Aufforderung: „Aufessen.“

„Ich habe erst gefrühstückt.“

„Sie wollen also noch eine Infusion, um zu Kräften zu kommen?“

„Nein, das nicht.“

Welch barbarische Methoden, um an das Ziel zu kommen. Wer ist hier nicht kompromissbereit?

„Ja, wenn ich es bedenke, dann habe ich doch Hunger.“ Die Androhung einer Infusion bekehrt mich.

„Na also.“

Genugtuend sieht sie mir beim widerwilligen Hinsetzen zu. Dann verlässt sie den Raum, kopfschüttelnd, mit raschen Schritten. Eine Oberschwester, wie sie im Buche steht. Energisch, von den Patienten oft missverstanden, aber für jeden nur das Beste wollend. Die Uneinsichtigen müssen etwas härter an die Kandare genommen werden, das gilt auch für mich. Schließlich will ich doch zu Kräften kommen. Sie handelt korrekt, Essen oder Infusion. Mehr Auswahl hat sie nicht zu bieten. Erste Option angenommen. Vorsichtig luge ich unter die Abdeckhaube. Es war glatte Erpressung. Aber immer besser, als nochmals an den Tropf gehängt zu werden. Von Appetit kann keine Rede sein. Den Namen der Speise kenne ich nicht. Höchstwahrscheinlich handelt es sich um Schonkost. Wenig Salz, wenig Gewürze, Fleisch und Gemüse gedünstet in einer durchsichtigen Soße, um Blähungen zu vermeiden.

Ansonsten esse ich gerne scharf und ab und zu auch sehr süß. Dennoch habe ich keinen Grund zu meckern. Ich bin in ein Auto gerannt und, abgesehen von den Kopfschmerzen, heil davongekommen. Das hätte anders ausgehen können. Hier wird mir ein Essen vorgesetzt und ich bemerke die fehlenden Kräuter. Schwester Gundula bemüht sich um meine Genesung. Was will ich mehr? Daheim stellt mir keiner ein Menü vor die Nase. Wenn mir danach ist, muss ich selbst an den Herd. Ich, die alles andere als eine begnadete Köchin ist, sollte in keiner Weise Kritik an irgendeinem Gericht üben. Artig leere ich den Teller.

Als ich das Besteck weglege, kommt Schwester Gundula mit wehendem Rock zur Tür herein. Ihr Gesicht hellt sich auf. Sie sieht auf einmal sehr entspannt aus. Ich weiß noch immer nicht, was ich gegessen habe. Außer den Kartoffeln und den Karotten habe ich nichts identifizieren können. Mein Magen, dem ich augenscheinlich zu viel zugemutet habe, zwingt mich ins Bett. Den Füßen wird die Kraft entzogen. Sogar das Denken fällt mir schwer.

„Ihre Kopfschmerzen sollen doch auch verschwinden.“ Schwester Gundula reicht mir eine Tablette.

Eine wahre Perle einer Krankenschwester.

„Danke.“

2. Kapitel

„Erholen Sie sich gut, bevor Sie auf Tournee gehen.“ Dr. Konsik schüttelt mir die Hand. Zum zweiten Mal wohlgemerkt. Da soll mal einer schlau werden aus den Ärzten.

„Genau genommen stehen Sie noch unter Bettruhe. Befolgen Sie meinen Rat und ruhen Sie sich aus. Ansonsten werden Sie die Kopfschmerzen noch Wochen mitschleppen.“

Diesen Rat erteilt er mir auch zum zweiten Mal. Die Entlassungspapiere samt Kopie meiner Krankenakte, ebenso in doppelter Ausführung, stecke ich in meine Tasche. Sie sieht, wie ich, leicht mitgenommen aus, aber voll funktionstüchtig.

„Mache ich, ehrlich. Glauben Sie mir, alles, was ich mitschleppen will, ist mein Gepäck. Das wird schwer genug sein. Die Kopfschmerzen kann ich dabei nicht gebrauchen.“

Er ringt sich ein Lächeln ab, begleitet von einem verhaltenen Seufzer und einem belustigten Kopfschütteln.

„Grüßen Sie Schwester Gundula von mir“, sage ich artig.

Mein erster Weg führt mich zur Agentur. Da es gerade Mittagszeit ist, empfängt mich die Praktikantin.

„Das ging aber schnell“, sagt sie. „Für gewöhnlich dauert es länger, einen Ersatz zu finden.“

Ich bin erstaunt. Die Unterlagen sollte ich doch schon vor zwei Tagen abholen. Von schnell kann hier nicht die Rede sein.

„Der Vertrag muss nur noch unterzeichnet werden. Tragen Sie Ihren Namen ein und unterschreiben Sie. Ihr Manuskript wurde für Sie von Frank hinterlegt. Er besteht darauf, dass Sie sich gut vorbereiten. Die Proben beginnen zwei Tage früher. Das heißt, schon am Abend ihrer Ankunft. Das wird er Ihnen aber noch persönlich sagen. Sie fliegen alle mit der gleichen Maschine. Ihr Platz ist schon reserviert. Ich rufe Sie an, wenn Ihr Ticket eingelangt ist.“

„Sehr gut, ich brauche mich also um nichts zu kümmern.“

„Ja genau, die Unterkunft ist auch reserviert. Sie logieren in einem Hotel nahe dem Theater.“

Aufgeregt blättere ich im Skript. Eine kleine Rolle ist das nicht. Die wenigen Tage bis zum Abflug werde ich gebrauchen, um den Text zu lernen. Frank kann ausrasten, wenn jemand seinen Text nicht kann. Er wird dann nicht müde, denjenigen zu denunzieren, der Unsicherheiten aufweist, im wahrsten Sinne des Wortes.

Alles, was er macht, ist übertrieben. Dafür hat er sich ein eigenes Konzept zurechtgelegt. Jede noch so kleine und unwichtige Rolle muss überspitzt gespielt werden. Das hat natürlich schon etwas. Das Publikum liebt Vorführungen unter seiner Regie. Jedes Stück bekommt seinen bizarren Charakter aufgedrückt. Für uns Mimen ist das ganz amüsant, für die Autoren weniger. Manche schrammten nahe an einer Hysterie vorbei, als sie ihr Geschriebenes so zweckentfremdet auf der Bühne sahen. Manche drohten sogar schon mit Klagen und versuchten mit allen Mitteln, ihr Buch wieder zu bekommen. Damit bezwecken sie genau das Gegenteil.

Davon wird Frank nur noch mehr angestachelt, die Charaktere der Figuren zu verändern. Gekauft ist gekauft, sagt er dann großspurig. Einmal hat ein Schriftsteller öffentlich Morddrohungen ihm gegenüber ausgestoßen. Mit dem Ergebnis, das Frank Tag und Nacht getüftelt hat, wie er noch mehr Spektakel in das Stück bringen konnte. Das Ergebnis war letztendlich grandios. Alle Zeitungen haben davon berichtet. Er wurde als exzentrischer, genialer Regisseur gefeiert.

Die Tournee dürfte spannend werden. Wir haben noch nicht viel von seiner Auffassung dieses Stückes erfahren. Wir wissen nur, dass es sich um eine Humoreske handelt, mit versuchtem Mord. Was genau schlussendlich daraus wird, steht noch in den Sternen, außer, dass es wieder sehr theatralisch zugehen wird.

Das Manuskript klemme ich unter meinen Arm. Meine Konzentration gilt dem Verkehr. Außerdem pocht es wieder in meinem Kopf. Ich brauche eine Schmerztablette.

Für einen Moment vermisse ich das Krankenhausbett und Schwester Gundula. Zu gern hätte ich mich ausgeruht und mir ein undefinierbares Essen aufzwingen lassen. Spaß beiseite, ich freue mich außerordentlich auf die Tournee. Die Schwäche, die mich soeben befallen hat, ist normal. Bis zur Abreise bin ich wieder fit. Die Bevormundungen der letzten Tage reichen, ich bin ausgesprochen gern mein eigener Herr.

Das flotte Dahinschreiten geht in ein langsames Traben über. Schweißgebadet erreiche ich meine Wohnung. Beim Verlassen der Klinik hätte ich nicht gedacht, so ausgelaugt zu Hause anzukommen. Die Ermahnungen von Dr. Konsik haben seine Berechtigung. Hastig fingere ich nach den Tabletten und falle ermattet auf das Sofa. Die verordnete Ruhe werde ich wohl oder übel einhalten müssen. So viel ist mir inzwischen klar geworden, wenn ich mit von der Partie sein will.

Die Kopfschmerzen lassen dann doch erstaunlich schnell nach. Die Müdigkeit verflüchtigt sich, parallel stellt sich Hunger ein. Den vollen Obstkorb an mich heranziehend und nach dem Skript angelnd, niste ich mich ein. Es geht doch nichts über die eigenen vier Wände.

Essend, schlafend und Text lernend verbringe ich die Tage bis zur Abreise. Die Zeit ist schnell vergangen.

Das Flugticket habe ich heute abgeholt. Zuerst wollte ich mit der U-Bahn zur Agentur fahren. Der Schwächeanfall auf dem Heimweg von der Klinik war mir Mahnung genug. Ich habe regelrecht mit mir gerungen, bis ich mich endlich entschlossen habe, doch zu Fuß zu gehen. Von Schwäche und Müdigkeit wurde ich diesmal nicht geplagt. Die Bewegung hat mir gutgetan. Die Zweifel, ob die Tournee zu bewerkstelligen ist, kann ich ad acta legen. Ich fühle mich ausgesprochen wohl.

Meine Rolle als schrullige Agathe behagt mir. Die unterschwellige Hinterhältigkeit fasziniert mich. Es war kein mühseliges Lernen des Textes, es war vielmehr ein Aufsaugen amüsanter Worte einer ungewöhnlichen Frau. Den Zusatz am Ende des Drehbuches habe ich zu spät bemerkt. Jeder von uns Mimen muss zusätzlich eine Rolle lernen. Für mich bedeutet es, in Krisenfällen den Part der alten Tante zu übernehmen. Lulu, meine Kollegin, ist die Option eins, ich die Option zwei. Liebe Lulu, werde nicht krank oder unpässlich, wie es treffend vermerkt ist! Deine Rolle behagt mir überhaupt nicht. Das ist das einzige Manko, was mir leichtes Kopfzerbrechen bereitet. Anmerken lasse ich mir gewiss nichts, wozu bin ich denn Schauspielerin? Mit solchen Kleinigkeiten muss man in unserem Beruf immer wieder rechnen. Wenn wir erst einmal in England angekommen sind, habe ich immer noch Zeit, um mir die Rolle der sonderbaren Tante anzueignen.

Meinen Zweitschlüssel habe ich zu Frau Molte gebracht. Das funktioniert gut. Sie sieht immer nach dem Rechten, wenn ich nicht zu Hause bin. Heute war nur ihr Mann zu Hause. Gerne hätte ich mich mit ihr unterhalten. Sie ist sehr redselig und nimmt an meinem Leben gern Anteil. Ihr Mann ist das genaue Gegenteil. Er will von fremden Episoden nichts wissen. Das kommt von seiner Schwerhörigkeit und der Angewohnheit, sich immer zur Seite zu drehen, wenn man mit ihm spricht. Lautes Reden hilft da auch nicht. Immer wieder kommt es zu Missverständnissen, meistens zwischen ihm und seiner Frau. Deswegen klopft sie des Öfteren an meine Tür und schüttet mir ihr Herz aus. Ich bekomme dann regelmäßig einen Lachanfall. Zu verworren und nebulös sind die Situationen, die sich daraus entwickeln. Frau Molte sieht die ganze Sache nüchterner. Sie hat schon gedroht, ihren Angetrauten zu ermorden. Sie hat auch Zweifel wegen der Echtheit dieser plötzlich aufgetretenen Schwerhörigkeit. Da mag sie vielleicht richtig liegen. Seine Ohren haben nämlich genau zwei Wochen nach dem Pensionsantritt ihren Dienst niedergelegt. Das ist wirklich seltsam. Auch deswegen, weil er sich vehement weigert, einen Arzt aufzusuchen. Akute Taubheit aufgrund des Pensionsschockes. Bei Gelegenheit werde ich Frau Molte diese Diagnose suggerieren. Ich hoffe, sie hat bis dahin nicht den letzten Rest ihrer Nerven verloren.

Die Androhung, die neu erworbene Bratpfanne als Mordwerkzeug zu benutzen, rückt in greifbare Nähe, wenn ich nicht da bin. Das Eheleben scheint nichts für schwache Nerven zu sein. Die allgemeine Meinung, dass mit dem Alter auch eine gewisse Ruhe in den Ehealltag einkehrt, widerlegt sich von selbst. Das Zusammenleben meiner Nachbarn ist der Beweis. Ich hoffe, dass Herr Molte in der Zwischenzeit nicht Bekanntschaft mit eben dieser Pfanne schließt. Aber vielleicht braucht er gerade so eine Bekanntschaft, um wieder Klarheit in sein Leben zu bringen. Die Holzhammermethode hat schon so manchen zur Vernunft gebracht. Taten statt Worte. Höchst amüsiert ordne ich zum wiederholten Male meine Reisedokumente. Gleich muss ich los.

Ein- oder zweimal werde ich Frau Molte anrufen. Den zur Gewohnheit gewordenen seelischen Beistand kann ich ihr nicht verwehren. Sie wird viel zu berichten haben. Ich werde mich wie immer amüsieren und sie wird erleichtert sein, auf ein verständnisvolles Ohr zu stoßen. Was habe ich doch für eine gute Kinderstube!

3. Kapitel

So, den Koffer bin ich los. Jetzt habe ich noch genug Zeit für eine Tasse Kaffee. Es war doch eine gute Idee, früher zum Flughafen zu fahren. In allerletzter Minute mit dem Koffer durch die Gegend zu rennen und Hektik verbreiten, weil die Schlange am Check-In-Schalter so lang ist, war noch nie meine Art. Das Gedränge hasse ich. Noch mehr aber, wenn mir jemand seinen Koffer in die Waden stößt, um schneller voranzukommen. Genau dieses Szenario spielt sich hinter mir ab.

Freudig eile ich auf die Theke zu. Ein Griff in meine Handtasche beruhigt mich. Das Skript habe ich geistesgegenwärtig nicht in den Koffer gepackt. Den Flug werde ich nutzen, um meine Ersatzrolle zu studieren, man weiß ja nie.

„Olivia?“

„Ja.“

„Frank.“ Eine Hand streckt sich mir entgegen.

„Die anderen sind schon da. Komm mit, wir sind vollzählig.“

Ich fasse nach seiner Hand und starre ihn an.

„Was ist denn los? Hast du jemand anderen erwartet?“

„Nein, natürlich nicht“, stottere ich. „Ich war nur in Gedanken vertieft. Ich wollte mir noch eine Tasse Kaffee genehmigen.“

„Das kannst du später.“ Er schüttelt den Kopf.

„Genehmigen“, wiederholt er brüskiert. Meine Ausdrucksweise zaubert ihm Falten auf die Stirn.

Er stürmt voraus. Auf eine Gruppe zu, die lachend und wild gestikulierend durcheinanderredet.

„Ruhe“, brüllt er, in der gleichen Weise gestikulierend wie die verstummende Gruppe.

Das sind ja Unarten. Schon vor der Probe so zu brüllen, ein bisschen mehr Anstand bitte! Die umstehenden Leute sind auch verstummt. Alle Blicke sind auf ihn gerichtet. Einzig die Stimme aus dem Lautsprecher kündigt eine Verspätung an. Sie nimmt keine Notiz von dem Regisseur, der es gewohnt ist, an jedem Ort Instruktionen zu erteilen, und zollt ihm auch keinen Respekt.

Ich dagegen schon. Heftig nicke ich, um ihm zu zeigen, dass sein gebrülltes „Ruhe“ bei mir angekommen ist. Seine tiefen Stirnfalten und sein aufgeblähtes Gehabe, haben etwas von einem strengen Oberlehrer. Er drängt uns nahe an den Kiosk. Ihm dürfte es entgangen sein, dass er mit seinem Gebrüll, nicht nur unsere Aufmerksamkeit erlangt hat.

„Ab sofort sind wir eine Einheit. Das heißt, wir halten zusammen. Wir sprechen uns alle mit dem Vornamen an. Für Förmlichkeiten werden wir keine Zeit haben. Die Truppe ist neu zusammengewürfelt. Ich weiß nicht, inwiefern ihr euch kennt. Verleumdung und Neid dulde ich nicht. Wenn mir so etwas zu Ohren kommt, hat das Konsequenzen.“ Er sieht uns der Reihe nach an. „Intrigen haben in meinem Ensemble nichts zu suchen. Das schwächt die Gruppe. Außerdem erwarte ich, dass Ihr immer textsicher und mit vollem Einsatze bei der Sache seid. Urlaub wird das keiner, damit wir uns verstehen.“

Klar, ich habe auch nichts anderes erwartet. Das Verlangen nach einer Tasse Kaffee ist mir abhandengekommen. Das Wort „textsicher“ schwebt wie eine Drohung über mir. Nur gut, dass die schrullige Tante nicht so oft zu Wort kommt. Die Reserverolle sollte keinesfalls Anlass für Klagen sein.

„Lulu“, er wendet sich aufblähend an die Schönheit in weißem Kleid.

„Gerade du solltest dich an meine Anweisungen halten. Ich habe keine Lust, alles zweimal sagen zu müssen. Deinen Rededrang kannst du auf der Bühne unter Beweis stellen, aber nicht, wenn eine Besprechung ansteht.“

Eine Besprechung? Von einer Besprechung kann hier wohl keine Rede sein. Dann wären auch wir involviert. Das ist nicht der Fall. Militärische Anweisung trifft eher zu.

Lulu schießen die Tränen in die Augen. Sie presst die Lippen zusammen. Man kann sehen, wie sie mit sich kämpft.

„Du hast dich doch nicht schon wieder zu einer Diät hinreißen lassen. Das wäre die glatte Katastrophe. Die Rührseligkeit in Person lässt du gefälligst hier. Ich will keine Tränen mehr sehen. Verstanden? Und keine Diät während der Tournee.“

Mir verschlägt es die Sprache, obwohl ich noch gar nichts gesagt habe.

„Macht euch bekannt, nähert euch an!“ Eine wilde Geste und ein theatralisches Augenrollen kündigen seinen Abgang an.

Lulu schluchzt, sie droht zusammenzubrechen. Sie lässt den Tränen nun freien Lauf.

„Mach dir nichts daraus. Eine Diät zu machen ist keine Schande. Das geht ihn sowieso nichts an. Das ist Privatsache.“

„Ja, genau“, sagt die Brünette. „Ich bin Elvira, freut mich, dich kennenzulernen. Du bist bestimmt Olivia?“

Das Kennenlernen geht los. Genauso theatralisch wie der Abgang von Frank. Wen wundert’s? Wir sind schließlich Mimen. Höchste Erheiterung löst dann die Namensgleichheit der männlichen Hauptrolle mit der temperamentvollen, schrulligen Agathe aus. Der Hüne von Mann heißt Oliver.

„Oliver und Olivia, wenn das kein gutes Omen ist. Lass dich drücken!“ Schon liege ich an seiner Brust.

„Nur gut, dass ich deine Gegenspielerin bin“, sagt Elvira. „Die Komplikationen würden kein Ende nehmen.“

„Die Wutausbrüche von Frank auch nicht. Stellt euch das einmal vor!“ Lulu dreht sich im Kreis. Ihr weißes Kleid nimmt viel Platz in Anspruch. Von Tränen keine Spur mehr. Der angekündigte Zusammenbruch hat sich in Euphorie gewandelt.

„Warst du schon im Theaterfundus?“, fragt Tony spitz, die Arme ausbreitend, um die wirbelnde Lulu zu stoppen. Treffend, wo hat sie wirklich das Kleid gekauft? Vor hundert Jahren war es in Mode. Aber jetzt, ich weiß nicht. Für einen Moment macht es den Anschein, als wolle diese Bemerkung sie wieder zum Weinen bringen. Verdächtig schimmert es in ihren Augen.

„Du hast Glück, dass ich Humor habe“, sagt sie brüsk. „Ansonsten würde ich dir eine knallen.“

„Interessant, dieses Wechselspiel der Gefühle. Was stellst du hier zur Schau? Wie viel ist echt. Wie viel ist Schauspiel? Auf alle Fälle ist es die Mühe wert, deinem Treiben auf die Schliche zu kommen.“ Klaus macht ein nachdenkendes Gesicht.

„Lass das, die Kummerfalten auf deiner Denkerstirn stehen dir nicht.“ Lulu dreht sich nochmals im Kreis.

Sie sorgt auch später noch für Aufregung. Wir trinken alle Sekt, sie bestellt als einzige Sodawasser. Der ein oder andere Lacher geht auf ihre Kosten. Das Thema Diät scheint auf sie zugeschnitten zu sein. Sie bestellt sich nämlich das süßeste Törtchen aus der Vitrine.

„Kein Schampus, aber Zucker im Übermaß. Wie verträgt sich denn das?“ Für Klaus ergibt das keinen Sinn.

„Hört auf Kinder, macht nicht so ein Trara. Das ist ja die reinste Vorstellung. Seht ihr nicht, wie ihr das Interesse der Leute erregt“, ruft Elvira.

„Und was soll daran falsch sein. Das wollen wir doch. Andersherum hätten wir ein Problem. Nicht wahr Olivia, meine Namensvetterin?“

„Auf der Bühne schon. Am Flughafen ist Zurückhaltung vielleicht die bessere Option. Aber sagt einmal, wie textsicher seid ihr denn?“

„Textsicher? Dass ich nicht lache.“ Tony verstummt.

Unser Flug wird aufgerufen. Hektisch packen wir unsere sieben Sachen zusammen. Elvira hat plötzlich allerhand zu bemängeln.

Bei der Sicherheitskontrolle geht es ihr zu langsam. Das Wachpersonal verdient keine Gnade unter ihren Augen. Zu vorsichtig, im gleichen Atemzug findet sie deren Verhalten zu unvorsichtig. Das Handgepäck der Reisenden ist zu groß, das Gedränge zu übertrieben. Die Stewardessen sind zu unpersönlich, von Freundlichkeit keine Spur. Der Pilot ist zu alt, wie lange will er denn noch fliegen? Bis er uns in den Tod fliegt? Ihr herrisches Wesen findet erst Ruhe, als sie ihren verdienten Fensterplatz erspäht. Wieso verdient? Wir hätten auch gerne einen Fensterplatz. Ich starre sie an. Das Verhalten einer Diva. Sie wurde zu wenig beachtet. Mit keiner Silbe stimme ich ihr zu. Ich bin auch eine Diva. Benehme ich mich so? Nein. Die anderen auch nicht. Sie blickt zum Fenster raus. Lulu hat den Platz am Gang. Sie hat Flugangst und ist den Tränen nahe. Ich sitze zwischen den beiden, nicht gewillt auch nur eine zu trösten. Die Männer sitzen hinter uns. Sie scheinen sich gut zu amüsieren. Sie haben einvernehmlich Gefallen an der jungen Stewardess gefunden, die das Handgepäck einer Dame verstaut. Zwei Reihen hinter uns auf der gegenüberliegenden Seite sitzt Frank. Er beobachtet uns. Er hat uns genau im Visier. Das hat er geschickt eingefädelt. Wie sagt man so schön, aus der Ferne hat man den besseren Blick. Entspannt lehnt er in seinem Sitz. Täusche ich mich oder habe ich da ein Schmunzeln entdeckt?

„Hörst du das Dröhnen?“

„Natürlich höre ich das Dröhnen, das sind die Turbinen. Das ist normal in einem Flugzeug, welches bald starten wird.“

Elvira ist meine spitze Bemerkung nicht entgangen, beleidigt dreht sie sich wieder dem Fenster zu.

„Ist alles in Ordnung? Das Dröhnen klingt bedrohlich.“ Lulu richtet sich auf, sie umfasst ihre Lehne und meine auch gleich dazu. „Und dieser alte Pilot, ich fühle mich sehr unwohl. Wie wird das enden?“ Dicke Tränen kullern über ihre Wangen.

Langsam reicht es mir. „Es wird damit enden, dass wir in Heathrow landen.“ Hoffentlich sehr bald. Ich beneide Frank um seinen Sitzplatz. Außen zwei Blüten, der Esel in der Mitte. Oder war es andersherum? Es ist andersherum.

Ruhe kehrt ein. Friede herrscht unter uns Frauen. Was für eine Wonne. Wir starten.

Zwischen den Männern herrscht auch Frieden. Sie haben jedoch eine andere Auffassung dies zu zeigen. Sie quasseln munter weiter, im Gegensatz zu uns. Sie zelebrieren Eintracht, indem sie die Flasche Rum öffnen, die sie im Duty-Free Shop gekauft haben. Sehr lange unterhalten sie sich über Frauen. Oliver und Klaus finden Schwarzhaarige attraktiv. Tony spricht mit überdimensionaler Lautstärke und lässt somit alle wissen, dass er von seinem Beuteschema keinen Millimeter abweicht und Blondinen bevorzugt.

Sie sprechen auch über das Skript. Dieses Thema wird leiser behandelt. Sie haben Frank auch bemerkt. Viel kann ich nicht verstehen. Das Zuteilen der Reserverolle behagt ihnen auch nicht. Oliver hat sich auch nicht vorbereitet. Gewichtig meint er, diese auch ohne konkretes Lernen spielen zu können. Dafür sind Proben doch da, man stehe doch gemeinsam auf der Bühne und höre, was die anderen sagen. Da lerne man die Ersatzrolle ganz automatisch, weil man schließlich seinen Einsatz nicht verpassen wolle. Er und Klaus sowie Lulu haben schon öfters unter Franks Regie gearbeitet. Aber zusammen haben sie noch nie auf der Bühne gestanden. Das Gemurmel hinter mir verstummt. Zwei Stewardessen sind im Anmarsch. Das hat natürlich Priorität.

Lulu bestellt sich prompt ein Glas Wein. Elvira löst sich aus der Erstarrung und hat keine Lust mehr, aus dem Fenster zu stieren. Ich habe mich die ganze Zeit schon gewundert, wie man so lange ins Leere blicken kann. Vielleicht hat sie gewartet, bis ich das Wort an sie richte? Den Gefallen habe ich ihr nicht getan. Die Verspannung hat sie sich selbst zuzuschreiben. Sie knetet ihren Nacken. Das sture Verrenken des Halses fordert ihren Tribut.

„So abstinent ist unsere gute Lulu gar nicht. Der Schein hat nicht lange angehalten.“

Lulu verschluckt sich fast, als sie diese Worte hört.

„Was geht es dich an?“, zischt sie. „Das ist doch meine Sache.“

„Das sehe ich auch so. Jeder soll seine Eigenheiten beibehalten. Nur weil man einmal keinen Alkohol trinkt, ist man noch lange nicht abstinent. Man ist schließlich auch kein Alkoholiker, wenn mal einmal Wein trinkt“, wende ich ein, um die Spannung nicht noch mehr in die Höhe zu treiben. „Wir Mimen sind doch alle mit Macken behaftet. Das bringt doch unser Beruf mit sich.“

„Soll das eine Anspielung sein?“

„Nein, wie kommst du denn auf so was, Elvira?“

Lulu entspannt sich. Die erwarteten Tränen bleiben aus. Elvira, die sich selbst in die Klemme gebracht hat, überspielt ihren Ausrutscher geschickt.

„Ich bin impulsiv, deswegen habe ich auch die Hauptrolle bekommen. Ich wollte dich nicht beleidigen, Lulu. Manchmal gehen die Pferde mit mir durch. Das müsst ihr verstehen.“

Sie blickt mich an. Gerade noch einmal die Kurve gekriegt. Das nächste Mal könnt ihr eure Wortspielereien allein austragen. Bin ich eure Mutter? Das süße Lächeln kannst du dir sparen, Elvira. Ich lächle zurück. Wir wissen beide, dass es ein gespieltes Lächeln ist, nicht echt, nicht ehrlich.

Oliver steckt seinen Kopf nach vorne. „Mädels, wie geht es euch? Wollt ihr einen Schluck von diesem vorzüglichen Rum?“ Keine von uns hat Lust zu antworten.