Vorstadtleben - Stefanie Grötzner - E-Book

Vorstadtleben E-Book

Stefanie Grötzner

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Beschreibung

Das mit dem Vorstadtleben ist schon seltsam. Es vermittelt einem das Gefühl von Sicherheit und Geheimnisfreiheit. Doch diese Sicherheit ist trügerisch, denn wie gut kennen wir unsere Nachbarn wirklich? Eine Hausfrau erlebt den ganz normalen Wahnsinn, den eine Vorstadt zu bieten hat: Spannung, Aufregung, gebrochene Herzen und vieles mehr. Das Leben wird nie ruhig und langweilig, wenn man Nachbarn hat wie die Hausfrau in der Vorstadt. Jeder der Nachbarn ist für eine Überraschung gut und kein Tag gleicht dem anderen. So hatte sich die Hausfrau ihr Leben in der Vorstadt nicht vorgestellt. Es sollte ruhig und beschaulich sein, damit ihre Kinder behütet aufwachsen können. Doch meistens kommt es anders und meistens als man denkt. In diesem Band sind die ersten 100 Kapitel des Vorstadtlebens erstmalig in einem Band zusammengefasst.

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Seitenzahl: 214

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Das Glück gedeiht im eigenen Haus und kann nicht in Nachbars Garten gepflückt werden.

- Douglas Jerrold –

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Kapitel 85

Kapitel 86

Kapitel 87

Kapitel 88

Kapitel 89

Kapitel 90

Kapitel 91

Kapitel 92

Kapitel 93

Kapitel 94

Kapitel 95

Kapitel 96

Kapitel 97

Kapitel 98

Kapitel 99

Kapitel 100

Kapitel 1

Das mit dem Vorstadtleben ist schon seltsam. Es vermittelt einem das Gefühl von Sicherheit und Geheimnisfreiheit. Doch diese Sicherheit ist trügerisch, denn wie gut kennen wir unsere Nachbarn wirklich? Wir glauben, nur, weil wir nicht in einem anonymen Block in einer Großstadt leben und die Namen und Gesichter unserer Nachbarn kennen, dass das Leben sicherer ist. Doch wer weiß, was hinter verschlossenen Türen vor sich geht? Was sich wirklich hinter den akkuraten Vorgärten versteckt?

Nehmen wir die Nachbarin, die mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in einem schönen, kleinen beschaulichen Häuschen wohnt. Der Vorgarten und der Garten hinter dem Haus sind ordentlich gepflegt. Kein Unkraut darf sich hier einnisten. Es würde sofort herausgezogen und entsorgt. Doch was geht hier hinter verschlossenen Türen vor? Wochen- sogar monatelang wohnt nur einer der Ehepartner in diesem Haus. Meistens ist dies im Herbst/Winter soweit. Beide arbeiten in der Stadt. Keiner muss beruflich länger von zuhause fernbleiben.

Der ausgezogene Partner mietet eine Wohnung in der Stadt. Besuche finden statt, das können die Nachbarn an den Autos vor der Haustüre sehen, doch keiner hört und sieht, was hinter diesen Türen vor sich geht.

Sobald die ersten Sonnenstrahlen den Sommer ankündigen, kehren beide Ehegatten in das Familienheim zurück. Alle Nachbarn beobachten das Schauspiel, doch keiner würde fragen, was dort los ist. Tun doch auch die beiden Ehegatten so, als wäre alles perfekt und sie würden eine normale Ehe führen.

Oder nehmen wir den Nachbarn, der eine Firma führt, von der alle aufgrund der vielen Angestellten und Fahrzeuge davon ausgehen, dass sie gut läuft. Er hat eine Firma, ein Haus, eine Familie. Alle gehen davon aus, dass er ein gutes Leben hat. Kaum einer nimmt wahr, wie komisch sein Auto vor der Haustüre geparkt ist. Wie häufig er nicht gehend, sondern mehr kriechend zur Wohnungstür gelangt. Vielen fällt seine verwaschene Ausspräche entweder nicht auf, weil sie schleichend eintrat, oder sie ignorieren die Anzeichen. Er hat doch alles, was man braucht, um glücklich zu sein. So einer kann kein Alkoholiker sein. Er ist schließlich ein netter Nachbar.

Zur Erheiterung trägt eine weitere Nachbarin bei, die, sobald die Familie aus dem Haus ist, die Musikanlage so weit aufdreht, wie es möglich scheint. Alle Nachbarn können nicht nur die Musik hören, sie wissen auch: Die Show beginnt. Tanzend vor den großen Küchenfenstern, im Garten, an der Wäschestange, mit Kleidung oder ohne. Sie lässt sich oft etwas Neues einfallen. Ob sie dies für sich oder für andere tut, wird ihr Geheimnis bleiben.

Das Leben in der Vorstadt hält viele unterschiedliche Menschen und Geschichten bereit.

Kapitel 2

Was war es für eine Aufregung und ein Getuschel, als das neue Paar in die Dorfstraße einzog. Ein junges Pärchen, das an den Wochenenden selten zuhause war und wenn es doch einmal ein Wochenende zuhause war, dann war ein anderer junger Mann übers Wochenende dort. Die Nachbarn tuschelten und stellten Vermutungen an. Geschichten und Gerüchte verbreiteten sich, bis einer der ruhigeren älteren Nachbarn sich ein Herz fasste. Er sprach die junge Frau direkt an, wie das Leben zu dritt so sei. Erst jetzt erkannte die junge Frau, was die Nachbarn über die drei dachten. Nach einem herzlichen Lachanfall stellte sie die Situation klar. Sie bemerkte zwar, wie unangenehm dem Nachbarn seine Mutmaßung war, doch sie nahm es mit Humor. Seine Äußerung, dass man sich nicht so viel Gedanken um das Leben anderer Menschen machen sollte, tat sie mit einem Lächeln ab.

Was jedoch keiner in dieser Vorstadt ahnte war, dass die nette Hausfrau, der sie alle vertrauten, die geduldig Pakete für die arbeitenden Nachbarn annahm, derer sie ihre Geheimnisse anvertrauten, jedes Detail in ein Tagebuch aufschrieb. Ein Tagebuch, welches bereits einen beträchtlichen Umfang hatte und in dem mehr Geheimnisse standen, als die Nachbarn ahnen konnten. Wer den ganzen Tag zuhause war und sich um den Haushalt und die Kinder kümmerte, bekam mehr mit, als vielen der Nachbarn lieb gewesen wäre. Warum sie dieses Tagebuch schrieb, wusste die Hausfrau selbst nicht. Vielleicht, weil sie so das Gefühl hatte, ein aufregenderes Leben zu haben, als sie es tatsächlich hatte.

Begonnen hatte sie mit dem Tagebuch an einem schönen Sommertag. Sie saß mit einem Kaffee auf ihrer Terrasse und genoss die wenigen Minuten, in denen die Waschmaschine noch lief, das Haus schon geputzt war und keiner zuhause war. Sie blickte über die niedrigen Zäune der Nachbarschaft und sah den Nachbarn drei Gärten weiter durch seinen Garten streifen. An sich war dies nicht ungewöhnlich. Die Uhrzeit sprach dafür, dass er Urlaub hatte. Sie gönnte es ihm. Am Ende des Gartens gab es ein kleines Mäuerchen zum angrenzenden Grundstück. Behende sprang er hinüber und verschwand im Haus der Nachbarn.

Ihre Neugier war geweckt. Immerhin arbeiteten auch diese Nachbarn Vollzeit und die Kinder mussten in der Schule sein. Sie reckte den Kopf in die Höhe und entdeckte, dass das Auto der Nachbarin in der Einfahrt stand. Auch diese hatte dann wohl Urlaub. Zunächst dachte sie sich nichts dabei und trank weiter ihren Kaffee. Erst als der Nachbar mit zerzaustem Haar das Haus eine halbe Stunde später wieder verließ, während sie im Garten die Wäsche aufhängte, dachte sie sich ihren Teil.

Als die Kinder im Bett waren und ihr Mann mit einem Bier vor dem Fernseher saß, zog sie ein altes leeres Notizbuch hervor und entschied, diese Beobachtung aufzuschreiben. Vielleicht konnte sie später kreativ sein und sich eine Geschichte dazu ausdenken.

Kapitel 3

Noch während sie die erste Beobachtung in ihr Tagebuch schrieb, überlegte sie, ob es richtig war. Es waren nicht ihre Geheimnisse, sondern die von anderen Menschen. Dennoch fand sie, diese Geheimnisse verdienten es, niedergeschrieben zu werden. Sie behielt sie für sich, da es nicht ihre Geheimnisse waren, sie vertraute sie nur ihrem Tagebuch an. Das, wie sie inständig hoffte, niemand jemals lesen würde, so lange sie noch auf Erden weilte. Vielleicht würden ihre Kinder es nach ihrem Tod finden, doch dann waren sicher auch viele Nachbarn nicht mehr hier, ob verstorben oder verzogen, darüber machte sie sich jetzt noch keine Gedanken. Zur Sicherheit gab sie ihren Nachbarn Spitznamen. Sicher ist sicher.

Monatelang schon schreibt sie in ihr Tagebuch, wie der Nachbar über den Zaun hüpfte, während seine Frau und der Nachbar nicht zuhause waren. Bei jedem neuen Eintrag in ihr Tagebuch überlegt sie, ob sie es einem der Partner sagen soll. Doch sie entschließt sich, dass es nicht ihre Sache ist. Wenn sie darauf angesprochen würde, würde sie nicht lügen, aber bei der Nachbarin klingeln und ihr von der Beobachtung erzählen, das ging zu weit.

Ein glücklicher Zufall kommt ihr heute zugute, um sie aus ihrer Bredouille zu befreien. Sie sitzt am Küchentisch und schreibt die Einkaufsliste für diese Woche. Sie sitzt so, dass sie aus dem Fenster zur Einfahrt und zur Straße hinaussehen kann. Bevor sie es sieht, hört sie das Auto der Nachbarin, die sie nunmehr Irene tauft (Irene, die über ihren Mann irrt, denkt sie kichernd). Ein Blick auf die Küchenuhr verrät der Hausfrau, dass sie gerade einmal 5 Minuten am Küchentisch sitzt. Als sie zuvor die Fenster zum Garten geputzt hatte, hatte sie beim letzten Schließen der Fenster den Nachbarn gesehen auf seinem Weg zu seiner Geliebten. Er war also nicht einmal 10 Minuten fort und die Erfahrungen der letzten Monate hatten gezeigt, dass er durchschnittlich eine halbe Stunde im Haus der Nachbarn verbrachte.

Die Situation verspricht spannend zu werden. So natürlich wie möglich, geht sie durch die Küche in den Flur und in ihr Wohnzimmer. Hier öffnet sie unauffällig alle Fenster. Draußen scheint die Sonne, da kann man ja auch mal frische Luft ins Haus lassen, redet sie sich selber ein. Da kommt ihr eine Idee. Schnell zieht sie sich um. Im Garten gibt es immer etwas zu tun. Die Einkaufsliste kann warten. Sie kniet vor ihrem Tomatenbeet und beginnt, das Unkraut herauszuzupfen, langsam und gewissenhaft.

Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis sie den Nachbarn pfeifend über den Zaun klettern sieht. Sein Hemd steckt nur halb in der Hose, seine Haare sind verwuschelt. Vom Garten aus kann er nicht sehen, dass seine Frau schon zurück ist. Weiterhin pfeifend betritt er das Haus durch die Terassentür, die er während seiner Stelldicheins stets für den Rückweg geöffnet ließ.

Kapitel 4

Just in dem Moment, wo sich die Tür hinter dem vermeintlichen Betrüger schließt, wirft ein anderer Nachbar den Rasenmäher an. Die Hausfrau seufzt und gibt sich geschlagen. Es geht sie auch nichts an, was hinter den verschlossenen Türen der Nachbarn vor sich geht. Sie zupft das Unkraut zuende und widmet sich wieder ihrem Tagewerk. Der Haushalt führt sich schließlich nicht von allein und die Einkaufsliste wartet auch noch auf sie.

Sie sitzt am Küchentisch vor ihrer Einkaufsliste. Sie kaut auf ihrem Bleistift herum, wohl wissend, dass sie ihren Kindern immer wieder sagt, dass sie es lassen sollen. Sind Eltern nicht häufig inkonsequent? Du sollst keinen rohen Teig essen, sagen sie zu ihren Kindern und schlecken selbst die Teigschüssel aus, wenn keiner hinsieht. Während sie vor sich hinsinniert, kommen ihre Kinder von der Schule nach Hause.

„Was ist denn bei den Nachbarn los,“ fragt ihre Tochter.

„Wieso,“ fragt die Hausfrau mit Unschuldsmiene.

„Es wird dort geschrieen und Geschirr zerschmissen.“

„Wir leben in der Vorstadt, wir werden es bald wissen,“ sagt die Hausfrau mehr zu sich selbst als zu ihrer Tochter. Natürlich hatte sie sich vorgenommen, nicht für die Nachbarn zu lügen, aber waren ihre Kinder schon alt genug, um über ein derartiges Thema informiert zu werden? Wann waren Kinder alt genug, die Tragweite dessen zu verstehen, was dort vor sich ging? Sie wird es mit ihrem Mann besprechen, wenn dieser nach Hause kommt.

Von ihrem Platz am Küchentisch sieht sie, wie immer mehr Nachbarn zufällig die Straße entlang gehen. Zufällig? Nein, aber sie versuchen es so aussehen zu lassen. Es hatte sich schneller herumgesprochen, dass es dort einen Krieg gibt, wie es die Hausfrau vermutet hatte. Die anderen Kinder müssen ebenfalls zuhause berichtet haben, dass es dort einen großen Streit gab. Niemand klingelte oder sah durch die Fenster hinein, alle Nachbarn gingen vorbei oder führten Gespräche mit anderen Nachbarn. Beide Parteien jeweils erfreut darüber, einen Grund zu finden, in Hörweite des Streithauses stehenbleiben zu können.

Die Hausfrau kochte bereits das Essen für die Kinder und ihren Mann. Sie deckte bereits den Tisch für das gemeinsame Essen, als sich die Straße nach und nach leerte. Die Nachbarn waren zwar alle neugierig, doch war es schwierig, über einen langen Zeitraum so zu tun, als wäre man zufällig gerade auf der Straße. Niemand schien herausgefunden zu haben, was geschehen war.

Als ihr Mann nach Hause kommt, ist Ruhe eingekehrt, sowohl im Nachbarhaus wie auch in der Straße. Jeder kümmert sich um seine Familie und alle fragen sich, was bei den Nachbarn einen derartigen Streit ausgelöst hat und wie es weitergehen wird.

Kapitel 5

Die Sonne scheint. Es ist ein perfekter Sommertag. Eine leichte Brise sorgt dafür, dass die Wärme nicht zu drückend ist. Überall in der Nachbarschaft hört man Rasenmäher, Sägen oder anderes Gartenwerkzeug. Jeder Nachbar werkelt an Haus oder Garten um das, was man eh schon hat, weiter zu perfektionieren.

Die Hausfrau wischt noch einmal den Tisch auf der Terrasse ab. Die Vögel hinterlassen immer irgendwelchen Dreck, wenn sie darüber fliegen. Heute wird mit der ganzen Familie gegrillt, sogar ihre Eltern kommen zu Besuch. Ihr Mann hat sich einen neuen Grill gekauft, der eingeweiht werden soll. Es ist ein Probedurchlauf, bevor die Nachbarn eingeladen werden. Denn dann soll, wie in der Vorstadt üblich, alles perfekt sein. Jeder weiß, dass nach einem gemeinsamen Grillabend viel darüber geredet wird. Da möchte man so wenig wie möglich dem Zufall überlassen.

Sie deckt den Tisch mit Liebe für 6 Personen. Ein kleiner Strauß Sommerblumen perfektioniert die Optik. Sie hört, dass auch auf der Nachbarterrasse mit Tellern geklappert wird. Noch einmal streicht sie die Tischdecke glatt. Niemand deckt den Tisch so perfekt wie sie. Sie hört die Autotür und freut sich auf den ruhigen Abend im Kreise ihrer Lieben.

Ihre Aufmerksamkeit wird von ihrer Familie abgelenkt als sie die Nachbarn von unten, also die vermeintliche Betrügerin und ihren Ehemann, im Garten von Irene und ihrem vermeintlichen betrügerischen Ehemann sieht. Sie kommen den Garten hinauf. Die vermeintliche Betrügerin Beate trägt eine große Tupperschüssel unter dem Arm. Der Abend verspricht, spannend zu werden. Ein bisschen bereut die Hausfrau, dass sie das Familienessen auf heute gelegt hat. Schließlich möchte sie ihrer Familie und dem Abend gerecht werden. Neugierig ist sie aber auch. Auch wenn sie es immer bestreitet und nach außen hin so tut, als würde sie sich nicht am Klatsch und Tratsch beteiligen, liegt es doch in ihrer Natur.

„Wie konntet ihr uns das antun,“ brüllt Irene und zieht so die Aufmerksamkeit der ganzen Familie der Hausfrau auf sich. Nun sind alle neugierig, auch die Männer, die sich sonst aus so etwas heraushalten.

Während Beate versucht, darzulegen, wie es passieren konnte, dass sie und Bob eine Affäre hatten, sind Bob und Beate´s Ehemann erstaunlich ruhig. Kein Wort kommt über ihre Lippen. Die Frauen diskutieren heftig und leidenschaftlich, bis Irene mit der Faust auf den Tisch schlägt.

„Es reicht. Ist es zu Ende?“

„Ja,“ sagt Beate und klingt überzeugt.

„Okay,“ sagt Irene, „dann vergessen wir die Angelegenheit und es wird nie wieder vorkommen.“

Danach hören die Hausfrau und ihre Familie, wie Gläser aneinandergestoßen werden. Wow, denkt die Hausfrau. Ich wüsste nicht einmal, ob ich einen Fehltritt verzeihen könnte, aber es dann einfach vergessen und anzustoßen, das könnte ich mit Sicherheit nicht. Über dem Familienessen schwingt nun eine eigenartige Atmosphäre, während nach einigen Getränken auf der Nachbarterrasse gelacht und gescherzt wird.

Kapitel 6

Die Hausfrau schreibt am nächsten Morgen alles in ihr Tagebuch. Den Vorteil an ihrem Tagebuch hat sie entdeckt. Sie kann ihre Geschichte teilen, ohne, dass sie zur Tratschtante mutiert. Es befreit sie, die Geheimnisse zu teilen. Es fällt schwer, ein Geheimnis für sich zu behalten, aber sie möchte um keinen Preis der Welt zur Tratschtante des Dorfes mutieren. Diesen Titel hat schon immer die Nachbarin von gegenüber. Trutchen wusste über alles und jeden Bescheid oder tat zumindest so. Wenn man etwas wissen wollte, fragte man einfach sie. Die Geschichten von Trutchen waren jedoch mit Vorsicht zu genießen. Trutchen stand gerne im Mittelpunkt und spielte sich gerne auf. Es kam daher sehr häufig vor, dass sie eine kleine Neuigkeit derart aufbauschte, dass es hinterher eine Geschichte von mindestens einer halben Stunde wurde.

Nehmen wir als Beispiel den einen Nachbarn, der einmal mit seinem Fahrzeug nach Hause kam und von der Polizei verfolgt wurde. Auf seiner Auffahrt wurde er sodann gestellt. Natürlich hatten einige Nachbarn es gesehen und waren neugierig, aber keiner traute sich direkt zu fragen, also besuchten sie Trutchen auf einen Kaffee und erfuhren so die unglaubliche Geschichte.

Trutchen wusste zu berichten, dass im nahen Waldstückchen wenige Straßen entfernt eine Leiche gefunden worden sei. Der betreffende Nachbar sei beobachtet worden, wie er den Tatort verließ. Fußspuren seien ihm zugeordnet worden, die von dem Fundort der Leiche aus dem Wald hinausführten. Bei der Leiche sollte es sich um eine junge Frau gehandelt haben, deren Identität noch nicht festgestellt worden war. Es sei jedoch keines der Mädchen aus dem Dorf gewesen, da keines von ihnen vermisst wurde. Schnell machte sich im Dorf Panik breit. Sind es nicht immer die stillen, netten Menschen, die eigentlich Serienkiller sind? Die hilfsbereiten Nachbarn, denen keiner je zugetraut hätte, etwas Böses zu tun? Eltern wachten über ihre Kinder, als würde feststehen, dass sie das nächste Opfer des Nachbarn werden würden.

Die wahre Geschichte war nicht halb so spektakulär. Da die Biotonne voll war, die Nachbarn aber einer großen Tanne den Garaus gemacht hatten, war noch reichlich Grünschnitt zu entsorgen. Kurzerhand wurde der Grünschnitt auf einen Anhänger geladen. Da die Natur nicht weit ist, fuhr der Nachbar dorthin und entsorgte seinen Grünschnitt am Waldesrand. Dies ist jedoch illegal, so dass die Polizei sich gezwungen sah, eine Anzeige aufzunehmen.

Obwohl jeder wusste, dass Trutchen war, wie sie war, war sie doch für jeden die erste Anlaufstelle für Klatsch und Tratsch. Wie würde es Trutchen wurmen, wenn sie wüsste, was über Irene, Bob, Beate und Olaf in ihrem Büchlein steht. Sanft streicht sie über den Einband und lächelt. Nie wird Trutchen dieses Buch in Händen halten.

Kapitel 7

Am nächsten Morgen wacht sie voller Panik auf. Ihr Albtraum führte ihr vor Augen, dass auch sie Gefahr laufen kann, dass ihr Mann sie betrügt. Weiß sie wirklich, was er tut, wenn er zur Arbeit fährt oder wenn er mit Kollegen noch ein Bier trinken geht? Immerhin war sie Mitte 30 und hatte zwei Kinder zur Welt gebracht. Sie war nicht mehr so jung und schön wie damals, als sie ihren Mann kennenlernte.

Verstohlen schleicht sie aus dem Ehebett und betrachtet sich im großen Spiegel im Bad. Sie war schon etwas aus der Form geraten. Seit der Geburt ihrer Tochter wollte sie nur Hausfrau und Mutter sein. Es war der Inhalt ihres Lebens. Nichts mehr mit gehenlassen, entschied sie.

Nachdem die Kinder auf dem Weg in die Schule und ihr Mann auf den Weg zur Arbeit waren, durchwühlt sie die Kisten im Keller mit aussortierter Kleidung. Irgendwo mussten sie doch sein. Im vierten Karton liegen sie, ihre alten Sportkleidungen. Ehrfürchtig hebt sie sie hoch und beachtet sie. Gut, vor 12 Jahren waren sie der letzte Schrei, aber jetzt? Sie schüttelt den Kopf.

Was soll´s? Sie wird schon keiner sehen, immerhin sind alle arbeiten.

Bevor sie es sich anders überlegen kann, fährt sie in das nächste Fitnessstudio. Es gibt zwar auch eine Laufgruppe im Dorf, an der sie teilnehmen könnte, aber 1. wäre diese erst am Sonntag und 2. sind hier nur die Frauen aus dem Dorf zum Tratschen unterwegs. Und sie wäre sicher das Gesprächsthema Nummer eins.

Nach einer kurzen Einweisung in die Geräte, entscheidet sie sich für das Laufband. Wenn sie regelmäßig trainiert, könnte sie sonntags mit den anderen laufen gehen, ohne sich zu blamieren. Sie entscheidet sich für eines der Laufbänder mit Blick nach draußen. Der Blick wird sie ablenken.

„Was machst denn du hier,“ wird sie aus den Gedanken gerissen. Es ist Olaf, der in knappen Radlerhosen und einem engen Shirt neben ihr auf das Laufband steigt. „Ich habe dich nicht für einen Fitnessmenschen gehalten.“

„Bin ich auch nicht“, gibt sie ehrlich zu und hofft, das Gespräch so zu beenden.

„Das freut mich. Ich mochte dich immer. Beate ist ein absoluter Fitnessfreak. Selbst im Urlaub kann sie nicht entspannen. Immer müssen wir einen Urlaub in einem Fitnesshotel buchen. Schon vor dem Frühstück muss die erste Fitnesseinheit absolviert werden.“

Sie fragt sich, wie ein Leben mit so einer Frau wohl sein würde. Warum ging er nicht. Selbst nach dem Betrug blieb er bei ihr. Verstohlen betrachtete sie ihn von der Seite. Schon häufig hat sie gedacht, dass er wie ein Hund wirkt. Treu und ergeben, aber auch nicht besonders helle. Er wirkt, als würde er tun, was ihm gesagt würde, ohne weiter nachzufragen. Er steigert das Tempo auf seinem Laufband.

„Vielleicht sehen wir uns ja jetzt öfter hier,“ sagt er, „ich rede gern mit dir.“

Reden? War das eine Unterhaltung, in der sie einfach schwieg und sich nicht traute die Fragen zu stellen, die ihre Neugier stillten?

„Vielleicht,“ gibt sie ausweichend zurück.

Kapitel 8

Am Morgen spült sie das Geschirr und sieht aus dem Fenster, dass Beulchen wieder zurück ist. Beulchen hatte sie den Sohn der Nachbarn kurz nach seinem 18ten Geburtstag getauft. Das lag gerade einmal ein halbes Jahr zurück. Das Fahrzeug von Beulchen war unübersehbar. Beulchen machte eine Ausbildung, bei der er immer 2 Wochen im Betrieb war und 2 Wochen zur Berufsschule in ein Internet fuhr. Bei jeder Rückkehr hatte er es geschafft, eine neue Macke an seinem Auto zu verursachen. Manche waren harmlos wie Kratzer oder Beulen, andere wichtiger, wie der Verlust eines Außenspiegels oder Rücklichts.

Was ihre Aufmerksamkeit jedoch mehr in den Bann zog, war die Tatsache, dass der Vater von Beulchen wohl für Beulchen den Parkplatz auf der Auffahrt freihalten wollte und daher an der Straße parkte. Das wäre an sich nicht schlimm, wenn er nicht in der Einfahrt eines weiteren Nachbarn mit dem Fahrzeug hineinragen würde. Zum ersten Mal seit sie hier wohnt, fragt sich die Hausfrau, ob die Nachbarschaft wirklich so nett und rücksichtsvoll ist, wie sie sich gerne bezeichnet.

Achselzuckend macht sie sich daran, eine Torte zu backen. Heute ist das jährliche Sommerfest der Straße. Ihre Torten waren stets eines der Highlights des Festes.

Als sie die letzten Handgriffe an die Deko legte, sah sie, wie die Nachbarn, bewaffnet mit Tupperdosen, Richtung Festwiese strebten. Eine große Wiese wurde mit Tischen und Stühlen eingedeckt und Bernd (der seinen Spitznamen von dem Lied „ich bin der Bernd und steh am Grill“ hat) grillt für die ganze Nachbarschaft. Für Salate, Brote, Nachtische, Stühle, Tische etc. ist der Rest der Nachbarschaft verantwortlich. Alle sind eingeladen und alle kommen.

Alle? Nein, ein kleines Haus am Ende der Straße blieb für sich. Wie viele Personen dort tatsächlich lebten wusste niemand. Stetig gingen dort Menschen ein und aus. In der Nacht standen immer zwei Autos in der Einfahrt. Mehr wusste man nicht. Zurückgegrüßt wurde nicht, wenn man klingelte, wurde nicht geöffnet. Nach und nach ließen die Bemühungen der Nachbarn, Kontakte aufzubauen, daher nach.

Aber alle anderen waren gekommen. Da es nicht weit weg von zuhause war, konnte man am Abend die Kinder in ihre Betten stecken und danach zur weiteren Feier zurückkehren. Häufig gingen die Feste bis die frühen Morgenstunden. Dieses Jahr sollte keine Ausnahme bilden.

Kapitel 9

„Je später der Abend, desto leerer die Flaschen“, ist auch in diesem Jahr das unausgesprochene Motto des Sommerfestes.

Die Kinder sind in ihren Betten oder zumindest zu Hause, denken die Eltern. Wissen Eltern wirklich, was ihre Kinder tun, wenn sie auf dem Sommerfest feiern, bis der Morgen hereinbricht? Hierüber macht sich bis zu diesem Abend keiner von ihnen Gedanken.

Die Frauen stehen zusammen bei Sekt und Aperol, die Männer stehen bei Bier und Rum in Grüppchen zusammen. Während die Männer über das Alter und die Qualität eines Rums diskutieren, diskutieren die Frauen darüber, welches Motto das diesjährige Schulfest haben soll. Der eigens für diesen Abend verpflichtete Nachbar DJ dreht die Musik lauter und die ersten Frauen begeben sich auf die Tanzfläche. DJ heißt schon sein Leben lang DJ, obwohl dies nichts mit den Initialen seines Namens zu tun hat, sondern damit, dass er schon zu Schulzeiten mit seiner Stereoanlage und Kassetten eine beachtliche Anzahl von Musikmixen für die damals noch harmlosen Partys zusammengestellt hat.

Bernd steht noch immer hinter dem Grill und wippt zur Musik im Takt. Seine Grillzange gibt er nicht aus der Hand. Irgendwann wird er sicher mit ihr begraben, denkt die Hausfrau und schämt sich gleich für den Gedanken, an den Tod eines Nachbarn gedacht zu haben. Sie hofft, dass es kein Unglück bringt.

Die betrogene Irene scheint es wie immer, mit dem Alkohol zu übertreiben. Wobei bei ihr wohl jedes Glas Sekt übertrieben ist. Sie trinkt erst ihr zweites und kichert und gackert schon wie ein Teenager. Sie stellt ihr Glas auf einen der Tische und geht geradewegs zu der Männerrunde hinüber. Die betrogene Irene nimmt den betrogenen Olaf bei der Hand und zerrt ihn auf die Tanzfläche. Wobei zerren vielleicht das falsche Wort ist. Die Hausfrau hat ja schon oft gemerkt, dass Olaf einfach tut, was ihm gesagt wird. Er wusste nur nicht, dass er jetzt mit Irene tanzen zu wollen hatte.

Die Blicke der Frauen heften sich nun auf die Tanzfläche. Während sie an ihren Getränken nippen, wippen die Köpfe zur Musik. Einer nach der anderen bleibt der Mund offenstehen. Die Hausfrau glaubt ihren Augen nicht zu trauen. Sie selbst hatte doch beobachtet und gehört, dass Beate und Bob die mit der lockeren Moral sind.