Wachsflügel der Vergeltung - Nelle Lin - E-Book

Wachsflügel der Vergeltung E-Book

Nelle Lin

0,0

Beschreibung

Robert, ein sechzigjähriger ehemaliger Ermittler des Drogendezernats Zürich, lebt sehr zurückgezogen. Am Flughafen Rom begegnet ihm die junge Amerikanerin Megan, die auf ihrer ersten Europareise ist. Aufgrund einer Bombendrohung muss der Flughafen evakuiert werden, alle Fluggäste werden in Hotels untergebracht und die beiden Gestrandeten kommen sich näher. Doch wer ist Megan und weshalb sucht sie ausgerechnet zu ihm, dem alten, verbrauchten Mann, Kontakt, der keinen rechten Sinn mehr im Leben findet? Warum lässt sie sich durch nichts entmutigen und bleibt ständig in seiner Nähe? Im Zwiespalt zwischen Skepsis und Sehnsucht nach Zuwendung lässt Robert sich auf die Zufallsbekanntschaft ein, die ihm zwei Liebesnächte schenkt. Schliesslich ist Megan wie eine Meereswelle, die den Steinbrocken langsam, aber stetig unterspült in der universellen Gewissheit, dass sie nichts weiter zu tun habe, als dranzubleiben. Allerdings hat sie nicht mit Roberts wiedererwachendem Ermittlergeist gerechnet … So trifft Megan auf ihren grössten Gegenspieler.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 137

Veröffentlichungsjahr: 2024

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

Wachsflügel der Vergeltung

Nelle Lin

Die Geschichte

Robert, ein sechzigjähriger ehemaliger Ermittler des Drogendezernats Zürich, lebt sehr zurückgezogen. Am Flughafen Rom begegnet ihm die junge Amerikanerin Megan, die auf ihrer ersten Europareise ist. Aufgrund einer Bombendrohung muss der Flughafen evakuiert werden, alle Fluggäste werden in Hotels untergebracht und die beiden Gestrandeten kommen sich näher. Doch wer ist Megan und weshalb sucht sie ausgerechnet zu ihm, dem alten, verbrauchten Mann, Kontakt, der keinen rechten Sinn mehr im Leben findet? Warum lässt sie sich durch nichts entmutigen und bleibt ständig in seiner Nähe? Im Zwiespalt zwischen Skepsis und Sehnsucht nach Zuwendung lässt Robert sich auf die Zufallsbekanntschaft ein, die ihm zwei Liebesnächte schenkt. Schliesslich ist Megan wie eine Meereswelle, die den Steinbrocken langsam, aber stetig unterspült in der universellen Gewissheit, dass sie nichts weiter zu tun habe, als dranzubleiben. Allerdings hat sie nicht mit Roberts wiedererwachendem Ermittlergeist gerechnet … So trifft Megan auf ihren grössten Gegenspieler.

Die Autorin

Forensische Psychiaterin, Tochter bulgarischer Eltern, wohnhaft und tätig in der Schweiz. Anhängerin der Philosophie der Weiterentwicklung bis ans Lebensende.

Umschlagbild KI-generiert

Umschlaggestaltung: Rouska Nenov

CH-8213 Neunkirch

Korrektorat: Dr. Lotte Husung und KI

1.

Robert konnte diese Nacht gut schlafen. Das Feuer im Kamin war erloschen und es war irrsinnig kalt, aber die Stille nachts, weit weg vom Donnern der Lastwagen, dem Treppengalopp der Nachbarn und Geknalle der Türen, tat ihm gut. Die Ruhe in ihm war tief und er lag wie gelähmt unter den warmen Wolldecken und wünschte sich, dieser Zustand möge ewig anhalten. Alles schön, alles so, wie es sein sollte. Er war allein, wie schon nicht immer, aber seit einigen Jahren, ja, seit einigen langen Jahren, auch wenn es ihn nicht mehr störte und sogar sehr gut so war. Gestern Abend hatte er sich Schallplatten am alten Grammophon angehört und sein Hirn summte noch den Nachhall von «Summer Wine» sehr lange danach, bis er einschlief.

«Strawberries, cherries and an angel`s kiss in spring.

My summer wine is really made from all these things.

Take off your silver spurs and help me pass the time.

And I will give to you summer wine (…)»

Das hatte er sich angehört, mein Gott, dachte er, der Winter ist noch nicht vorbei, aber er denkt an den Sommer, als möchte er alles gleichzeitig haben und hätte keine Geduld mehr. Aber er sang mit, tanzte leicht vor sich hin und … war glücklich! Keine geballten Fäuste, kein angehaltener Atem, keine sorgenvollen Gedanken, keine Trauer …

Seine Lungen holten tief Luft und es war, als käme mit ihr auch ein gelboranges Licht mit herein und erwärmte und entspannte ihn. Sein Körper war nicht länger der Körper eines sechzigjährigen Mannes, geplagt von der dicken Prostata, dem Pfeifen in den Ohren, den Nierensteinen, Magenschmerzen, Herzstolpern und dem Bluthochdruck – ohne zu Übertreiben der Körper, der sich oft wie ein Sarg anfühlte, ein Sarg, in dem seine Seele begraben lag.

Er sah vor sich zum Fenster hin, als die Sonne unter den oberen Fensterrahmen hervorkroch und den Raum erhellte. Er starrte in das Licht hinein, das der Welt alle in der Nacht verloschenen Farben wiedergab und solange es da weilte, von Sorgen und vom Alleinsein befreite. Im Licht roch das Grün draussen und sogar die abgekühlte Erde duftete. Es müssten nicht unbedingt Blumen da sein, damit man das Leben um sich herum riechen und spüren konnte. Es war gut und schön, wie er sich gerade fühlte, wie er die Dinge um sich herum sah, aber warum konnte das nicht immer so bleiben, warum konnte er es nicht immer so sehen?

Nach dem Frühstuck – er ass nicht viel, nur ein Ei und eine Schnitte Brot mit Käse – machte er sich auf den Weg zu einem Spaziergang. Das Blau des Sees war bezaubernd und gleich lächelte er wieder, aber dieses Mal war es kein herzliches Lächeln, es war nur ein Lächeln aus der Oberflächlichkeit des Augenblicks heraus, der nichts weiter von ihm verlangte, als genau dort haltzumachen und vor sich hin zu sehen. Es war ein Reflex, ein Nachhall eines alten Glücks, das er an diesem Seeufer vor vielen Jahren gespürt hatte. Genau wie die Schallplatten, die er sich am gestrigen Abend angehört hatte, genau wie der leichtfüssige Tanz, zu welchem die Musik ihn hinübergleiten liess, genau wie das alte Gefühl der Vertrautheit und Liebe, die er einst in diesem Chalet über mehrere Tage zusammen mit Liane empfunden hatte. Aber auch jetzt war es schön, weil es still und ruhig war. In den Wölbungen der Steine hatten sich kleine Wasserpfützen gebildet und dort spiegelte sich glitzernd das Sonnenlicht. Wind kam auf und schlug einen kleinen Schwall Wasser gegen den hölzernen Steg. Ein paar Wasserspritzer flogen herüber, erwischten seine Hand und er spürte, wie kalt das Wasser war.

Und dann war der Augenblick vorbei.

Die Schwere der Einsamkeit überkam ihn wieder und Robert ging fort, gebeugt, als wäre er in seiner Mitte gebrochen und als hätte sich der ganze Himmel auf seine Schultern gesenkt.

Ich muss nach Hause, dachte er. Das muss ich wohl, ich habe genug Sauerstoff getankt, und das alles bringt mir nichts mehr.

Er kam beim Chalet an, setzte sich in seinen Wagen und fuhr fort, ohne in das Haus zu gehen und sein Gepäck mitzunehmen. Vielleicht hatte er es vergessen.

Robert musste aufpassen, sehr aufpassen, dass er nicht aus den Serpentinen des Weges hinausfuhr, so nahm er den Fuss vom Gas. Dann kam ihm plötzlich der Gedanke, dass es gar nicht schlimm wäre, wenn er doch vom Weg abkäme und hinunterstürzte. Er fragte sich sogar, warum ihm das früher so viel Angst gemacht hatte, wo es doch sicher nur um einige schmerzhafte Augenblicke ginge, bis die allmächtige Ruhe des Todes über ihn fiele. Das Summen des Motors liess ihn in eine seltsame Müdigkeit versinken und er spürte, wie ihm die Augenlieder immer schwerer wurden und am Ende ganz zufielen. So schön, dachte er. So leicht ist das also, ich werde gleich einschlafen und loslassen … ja, loslassen …

Plötzlich ein lautes Hupen. Ein Laster fuhr den Weg hinauf und Roberts Wagen entgegen. Das Gesicht des Fahrers war kreidebleich. Er drückte mit beiden Händen auf die Hupe und blinkte mehrfach mit den Scheinwerfern. Robert schrak aus der Mattigkeit hoch und drückte hastig auf die Bremse. Immerhin rechtzeitig. Der Lastwagen fuhr vorbei und er konnte dem wild gestikulierenden Fahrer ins Gesicht sehen. Wut und Angst in einem.

Robert fuhr rechts ran. Er atmete schwer, sein Puls raste und es fühlte sich an, als hätte sich in seine Magengrube ein Stein gesetzt. Der Druck in seinem linken Rücken war heftiger geworden und er dachte an seine kranke Niere und daran, dass er sein harntreibendes Mittel nicht genommen hatte. Er hatte es vergessen. Wie so vieles und immer wieder. Der Schleier der Vergesslichkeit war der Schatten, der Vorbote seines Abgrunds, in den er so oder so irgendwann bald hinunterstürzen würde.

«Schade», sagte er halblaut vor sich hin. «Es hätte sich mit einem Mal erledigt.»

Robert kehrte um und fuhr zum Chalet zurück. Er machte den Kamin aus, kontrollierte, ob der Strom ausgeschaltet war, und nahm dieses Mal seinen Rucksack mit.

2.

Es war eine sonderbare Dämmerung und eine Stille, die sich sehr seltsam anfühlte. Nach dem gestrigen Vorfall hatte Robert sich ins Bett gelegt und nur noch geschlafen. Er war erschöpft und wusste nicht einmal, wodurch. Es machte ihm Angst, wie hilflos er dem ausgeliefert war, was ihm durch den Kopf ging, und wie schnell der Verstand sich ausgeklinkt hatte. Die linke Niere glühte, denn sie hatte sich entzündet, seine Leber musste wieder eine Menge Alkohol verarbeiten, in seinem Magen hatten sich sicherlich wieder Erosionen gebildet und daraus sickerte Blut, Tröpfchen für Tröpfchen. Das Blut mischte sich mit dem Schleim des weissen entzündeten Wals, so wie es auf den Bildern der letzten Magenspiegelung stand. Nun war es auch egal. Alles. Vielleicht nur nicht der Traum der letzten Nacht, in dem eine Frau zu ihm gekommen war, mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm. Das Kind streckte ihm ein Blatt Papier entgegen, auf das es Blumen gemalt hatte. Robert spürte sogar, dass diese Blumen einen feinen Duft von sich gaben, auch wenn er wusste, dass Blumen auf Papier nicht duften können. Er nahm das Blatt, aber es zerfiel in seinen Händen zu Staub. Dann erwachte Robert, stand auf und trank ein Glas Rotwein. Und dann noch eines. Als drei Stunden später die Flasche geleert war, konnte er trotzdem nicht in den Schlaf finden, auch wenn er entsetzlich müde war. Der Schmerz in der linken Leiste stieg ihm bis unter den Rippenbogen und machte die Atmung schwer. Es überkam ihn eine dumpfe Angst, wieder einen Herzinfarkt zu bekommen, dann fiel ihm ein, dass er am Vortag bereits dabei gewesen war, sich eine Klippe hinunterzustürzen. Er fragte sich, wie diese Angst vor dem Herzinfarkt, die einer Todesangst nahekam, überhaupt möglich war, wenn er gleichzeitig einen Wunsch nach dem Tode verspürt hatte. Ein kompletter Verstandesverlust, was anderes konnte es nichts sein! Der Altersirrsinn legte seinen Schatten über ihn, sogar viel früher als bei den anderen Menschen. Aber dann los, wenn es so sein sollte, sollte es auch geschehen! Hauptsache, er würde danach nichts mehr als so arg empfinden und der ganze Jammer der Welt, der sich in seiner Seele angehäuft zu haben schien, würde sich für immer auflösen. Dann kam Robert der Gedanke, dass nicht der Tod an sich es war, wovor er sich fürchtete, sondern der womöglich mühsame Weg dahin, die Ohnmacht gegenüber der Endgültigkeit aller Dinge, die mit ihm geschehen würden. Der Schmerz in der linken Nierengegend machte jeden Schritt zur Qual, aber er ging unter die Dusche und wusch sich mit aller möglichen Sorgfalt. Dann zog er einen sauberen Schlafanzug an. Die Wärme und die Schmerztabletten machten es erträglicher. Als er sich ins Bett legte, hatte der Schmerz nachgelassen, aber das Bett kam ihm wie eine Bahre vor.

«Ich kann nicht gehen, ohne Abschied von Felina genommen zu haben», flüsterte er. «Das kann ich ihr nicht antun. Wenn ich aufwache, werde ich mich auf dem Weg zu ihr machen.»

3.

Robert wusste sofort, was er sich am Abend zuvor vorgenommen hatte. Es war noch dunkel und seine Augen konnten nicht viel sehen, aber als könnte sein Geist alles erblicken. Das Gefühl kannte er aus der Zeit, als er jeden Tag zum Sporttraining ging und abends Schachaufgaben löste, um auch sein Denken fit zu halten. Es war schön, sich lebendig zu fühlen. Der Druck in der linken Leiste war dumpf und sein Urin war braun, aber alles ging. Gut sogar. Er kannte auch andere Leute, die ohne Partner oder Familie lebten, und schimpfte jetzt laut vor sich hin, dass er sich in den letzten Jahren so aufgegeben hatte. Was war mit ihm geschehen? Wie konnte er das zulassen? Nach der Dusche sah er sich im Spiegel an. Sein Körper war noch muskulös und aufrecht. Man sagte früher über ihn, er gehöre der ganz bösen Sorte von Männern an, nämlich derjenigen, die die Herzen der Frauen stolpern liess. Sein Blick glitt von den breiten Schultern hinunter zum Bauch und stoppte dort. Tja, das war`s wohl mit der glorreichen Vergangenheit.

Zwei Stunden später überkam ihn schon wieder die Trostlosigkeit und die Kraft war weg. Aber er liess nicht nach, nahm die Tagesration seiner Medikamente ein und packte den Rest, mitsamt frischer Unterwäsche, einem Pullover und einer Zahnbürste in den Rucksack. Es krachte, als er vor dem Ausgang der Wohnung stand. Er hatte eine Vase umgestossen, die zu Boden fiel und in Stücke brach. «Altes Ding», sagte er und ging hinaus, ohne die Scherben wegzuräumen.

4.

Das Hotelzimmer war recht gemütlich, das Bett breit, die Matratze weich. Die Wäsche roch nach Waschmittel, nicht viel, gerade richtig. Es gab keinen Kühlschrank, dafür aber ein blitzsauberes Bad und auf dem Kissen lag eine kleine Schokolade. Aus dem Balkon konnte Robert das Meer sehen.

Der Nachmittag verging schneller, als er dachte. Er hatte gelesen, dass das Lokal gegenüber um achtzehn Uhr öffnete. Eine Viertelstunde später stand er vor dem Eingang. Drinnen war es warm und gemütlich. An der Bar sassen schon zwei Männer, die – so heimisch und vertraut sie sich verhielten – sehr wahrscheinlich Stammkunden waren. Der eine war blond und gross, der andere dunkelhaarig und klein – gegensätzlicher konnten sie nicht aussehen, dafür waren sie aber gleichermassen angetrunken.

Eine stämmige Frau bediente sie, sie war wahrscheinlich gerade in ihren Vierzigern, recht jung eigentlich, aber mit einem ernsten und abgeklärten Ausdruck in den Augen, zu dem sie sicherlich die eine oder andere Lebenserfahrung befähigt hatte. Robert nahm an, dass sie die Besitzerin war.

Sie lächelte ihn breit an, wischte die Theke vor ihm mit einem feuchten Stofflappen ab und stellte einen Glasbehälter mit Weizenstangen hin.

Die Aussentür ging auf und ein Pärchen betrat das Lokal. Selbst in der schlechten Beleuchtung konnte Robert sehen, dass die Frau um einiges älter war. Die zwei hängten ihre Jacken an den Holzhaken neben dem Eingang auf und suchten sich eine dunkle Ecke hinter dem Musikautomaten aus, um sich dort dicht aneinandergedrückt zu setzen.

«Was darf‘s sein?», fragte ihn die Wirtin, die nur flüchtig die neuen Gäste beäugt hatte. «Ich kann Ihnen heute Prosciutto di Parma und Wein anbieten. Oder vielleicht etwas Richtiges zum Abendessen? Kürbissuppe, Pasta mit Meeresfrüchten, Fisch vom Grill?»

Ihm knurrte der Magen, aber er spürte keinen Hunger. Je näher das Treffen mit Felina gerückt war, desto mehr hatte sich in ihm die Angst eingeschlichen, dass sie vielleicht gar nicht kommen würde. Robert bestellte eine Suppe mit Brot, nur um etwas zu bestellen. Die Wirtin nickte freundlich und wischte wieder die Theke vor ihm mit dem Stofflappen ab, wahrscheinlich aus Gewohnheit. Auf dem Weg in die Küche machte sie Musik an.

«Gib dem mehr Gas, Vincenza!», rief der blonde Mann gleich. «Der alte Ennio – es gibt keinen besseren! Weisst du was, ich kenne ihn persönlich, wir sind mal zusammen durch die Gegend gezogen.»

«Der kommt nicht von hier. Der Morricone ist Amerikaner, du Blödmann», antwortete der Dunkelhaarige.

«Du bist schlecht informiert, ich bin mit dem in dieselbe Schule gegangen, er ist von hier!»

«Du wirst gleich sagen, dass du mit Claudia Cardinale und Brigitte Bardot geschlafen hast», lachte der Dunkelhaarige seinen Kumpan aus.

«Ich habe mit vielen geschlafen, ich weiss nicht mehr, wer alles dabei war!»

Die Aussentür des Lokals ging wieder auf. Eine Windböe kam zusammen mit einer jungen Frau herein und Roberts Körper erbebte leicht. Ihre Jacke war ganz nass und sie blieb an der Tür stehen, als wartete sie, dass das Wasser von ihr abtropfte.

«Salute, mia cara, was für ein Wetter!», rief die Besitzerin zu ihr hinüber.

Die Frau zog endlich ihre Jacke aus und warf einen beiläufigen Blick zu Robert hinüber, bevor sie zu ihm kam. Sie trocknete ihre nassen Hände an ihrem Rock ab und setzte sich neben ihn an die Theke. Sie hatte einen gelben Rollkragenpullover und kniehohe Stiefel an.

Jemand bestellte Rotwein. Irgendwo hinter ihnen ratterte eine scheinbar schwere Tür. Die zwei Typen fingen an zu singen. Die junge Frau nahm sich ein paar von den Weizenstangen und bestellte eine Cola.

«Und? Hier bin ich», sagte sie. Es waren keine Worte, sondern Messerstiche.

«Schön, dass du gekommen bist, ich wollte dich sehen», sagte Robert. «Morgen fliege ich zurück nach Hause.»

Im Schein der Barbeleuchtung konnte er sehen, wie hübsch Felina war. Mein Kind, dachte er, so schön, so erwachsen geworden! Er wollte sie umarmen. Wann hatte er sie zum letzten Mal umarmt? Vor zehn, fünfzehn Jahren? Länger vielleicht. Bestimmt zwanzig sind es, dachte er und fühlte sich schuldig. Schuldig wie an jenem Tag, als Liane ihn vor die Tür gesetzt hatte. Es war ausgerechnet am zwölften Geburtstag von Felina gewesen, als Liane von der Sache mit der Frau erfahren hatte, wie hiess sie noch mal? Robert konnte sich an ihren Namen nicht erinnern, aber er wusste noch, dass er damals gelogen hatte. Die Affäre hätte gar nicht sein sollen. Eine kurzlebige Sache, eine reine ungestüme Dummheit. Die schöne Geburtstagstorte von Felina lag im Schnee, ihre Lieblingstorte. Und sie sah ihm von der Terrasse aus zu und weinte. Die Kerzen hatte er noch in der Jackentasche und seine Finger ertasteten sie verblüfft, unentschlossen, sein Blick wechselte zwischen dem weinenden Gesicht von Felina, den roten Erdbeeren im Schnee und dem Koffer, den Liane ihm vor die Füsse warf …