Wachtmeister Studer - Friedrich Glauser - E-Book

Wachtmeister Studer E-Book

Friedrich Glauser

4,8

Beschreibung

Friedrich Glauser gilt als erster deutschsprachiger Autor, der den Kriminalroman hof- und salonfähig gemacht hat. Seine Kriminalerzählungen besitzen eine stilistische und sprachliche Geschmeidigkeit, die es ihm ermöglichten, gekonnt Stimmung und Atmosphäre einzufangen und dabei auch ein Auge für soziale Details zu haben. Mit seinem Wachtmeister Studer schuf er einen Kollegen von Sherlock Holmes, der sich durch eine Schwäche für Außenseiter und viel Mitgefühl auszeichnet. Im vorliegenden Band sind die ersten drei Fälle von Wachtmeister Studer enthalten: Wachtmeister Studer, Die Fieberkurve, Matto regiert.

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Über den Autor

Über den Autor

Friedrich Glauser (1896 – 1938) verübt 1913 einen ersten Selbstmordversuch. 1916 gründet mit einem Freund die Zeitschrift Le Gong und schreibt sich als Chemiestudent ein. Da ist er bereits an Lungentuberkulose erkrankt und wird mit Morphium behandelt. 1918 folgt die Einweisung in die Psychiatrische Klinik, Diagnose: Dementia Praecox. 1921 Fremdenlegion. In Nordafrika erkrankt er an Malaria und muss die Legion 1923 verlassen. Die folgenden Jahre sind geprägt von Morphiumsucht, Beschaffungskriminalität, Einweisungen in Psychiatrien und Heilanstalten, Selbstmordversuchen. 1931 beginnt seine Karriere als Kriminalautor. 1934 beantragt der Vater die lebenslängliche Internierung seines Sohnes in der Schweiz. Glausers Leben endet tragisch: Am Vorabend seiner Hochzeit erleidet er beim Abendessen einen Zusammenbruch. Nach Stunden im Koma stirbt er 41-jährig am 8. Dezember 1938.

Zum Buch

Zum Buch

«Mit leidenschaftlicher Kühle entwickelt (…) Glauser in jedem Buch ein anderes rätselhaftes Fluidum. So erreicht er eine Suggestion, die nach der Lektüre anhält, selbst dann noch, wenn man Handlung und Pointen längst vergessen hat. Der Schriftsteller zielt damit auf jenen ursprünglichen Menschen in uns, dem, wie Herder sagt, die Gefühle nur noch ‹zusammengewebt› sind.» NZZ

Die Kriminalerzählungen Friedrich Glausers besitzen eine stilistische und sprachliche Geschmeidigkeit, die es ihm ermöglichen, gekonnt Stimmung und Atmosphäre einzufangen und dabei auch ein Auge für soziale Details zu haben. Mit seinem Wachtmeister Studer schuf er einen Kollegen von Sherlock Holmes, der jedoch nicht ein Ausbund an Scharfsinn und unbestechlicher Logik ist, sondern ein Mann, der mit sich reden lässt, dem Irrtümer unterlaufen können, der sich durch eine Schwäche für Außenseiter und viel Mitgefühl auszeichnet, kurz: der bei allem kriminalistischen Berufseifer nie vergisst, Mensch zu sein. Im vorliegenden Band sind die ersten drei Fälle von Wachtmeister Studer enthalten: 

Wachtmeister Studer

Die Fieberkurve

Matto regiert

Glauser über Glauser - Brief von Friedrich Glauser an Josef Halperin, 15. Juni 1937

«(…): 1896 geboren in Wien von österreichischer Mutter und Schweizer Vater. Großvater väterlicherseits Goldgräber in Kalifornien (sans blague), mütterlicherseits Hofrat (schöne Mischung, wie?). Volksschule, 3 Klassen Gymnasium in Wien. Dann 3 Jahre Landerziehungsheim Glarisegg. Dann 3 Jahre Collège de Génève. Dort kurz vor der Matur hinausgeschmissen... Kantonale Matur in Zürich. 1 Semester Chemie. Dann Dadaismus. Vater wollte mich internieren lassen und unter Vormundschaft stellen. Flucht nach Genf ... 1 Jahr (1919) in Münsingen interniert. Flucht von dort. 1 Jahr Ascona. Verhaftung wegen Mo[rphin]. Rücktransport. 3 Monate Burghölzli (Gegenexpertise, weil Genf mich für schizophren erklärt hatte). 1921–23 Fremdenlegion. Dann Paris Plongeur. Belgien Kohlengruben. Später in Charleroi Krankenwärter. Wieder Mo[rphin]. Internierung in Belgien. Rücktransport in die Schweiz. 1 Jahr administrativ Witzwil. Nachher 1 Jahr Handlanger in einer Baumschule. Analyse (1 Jahr) ... Als Gärtner nach Basel, dann nach Winterthur. In dieser Zeit den Legionsroman geschrieben (1928/29), 30/31 Jahreskurs Gartenbaumschule Oeschberg. Juli 31 Nachanalyse. Jänner 32 bis Juli 32 Paris als ‹freier Schriftsteller› (wie man so schön sagt). Zum Besuch meines Vaters nach Mannheim. Dort wegen falschen Rezepten arretiert. Rücktransport in die Schweiz. Von Juli 32 – Mai 36 interniert. Et puis voilà. Ce n'est pas très beau ...» 

Haupttitel

Friedrich Glauser

Wachtmeister Studer Die Fieberkurve Matto regiert

Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar.  Alle Rechte vorbehalten  Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2011   Der Text wurde behutsam revidiert nach den Ausgaben Zürich 1936, 1938 und 1943 Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH Bildnachweis: Porträt Friedrich Glausers von Gotthard Schuh / Schweizerische Stiftung für Photographie, Winterthur Redaktion: Dr. Bruno Kern, Mainz Gesetzt in der Palatino Ind Uni – untersteht der GPL v2   ISBN: 978-3-8438-0007-5  www.marixverlag.de

Wachtmeister Studer

Einer will nicht mehr mitmachen

Der Gefangenenwärter mit dem dreifachen Kinn und der roten Nase brummte etwas von »ewigem G’stürm«, weil ihn Studer vom Mittagessen wegholte. Aber Studer war immerhin ein Fahnderwachtmeister von der Berner Kantonspolizei, und so konnte man ihn nicht ohne weiteres zum Teufel jagen.

Der Wärter Liechti stand also auf, füllte sein Wasserglas mit Rotwein, leerte es auf einen Zug, nahm einen Schlüsselbund und kam mit zum Häftling Schlumpf, den der Wachtmeister vor knapp einer Stunde eingeliefert hatte.

Gänge … Dunkle lange Gänge … Die Mauern waren dick. Das Schloss Thun schien für Ewigkeiten gebaut. Überall hockte noch die Kälte des Winters.

Es war schwer, sich vorzustellen, dass draußen ein warmer Maientag über dem See lag, dass in der Sonne Leute spazieren gingen, unbeschwert, dass andere in Booten auf dem Wasser schaukelten und sich die Haut braun brennen ließen.

Die Zellentüre ging auf. Studer blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen. Zwei waagrechte, zwei senkrechte Eisenstangen durchkreuzten das Fenster, das hoch oben lag. Der Dachfirst eines Hauses war zu sehen mit alten, schwarzen Ziegeln und über ihm wehte als blendend blaues Tuch der Himmel. Aber an der unteren Eisenstange hing einer! Der Ledergürtel war fest verknüpft und bildete einen Knoten. Dunkel hob sich ein schiefer Körper von der weiß gekalkten Wand ab. Die Füße ruhten merkwürdig verdreht auf dem Bett. Und im Nacken des Erhängten glänzte die Gürtelschnalle, weil ein Sonnenstrahl sie von oben traf.

»Herrgott!« sagte Studer, schoss vor, sprang aufs Bett und der Wärter Liechti wunderte sich über die Beweglichkeit des älteren Mannes packte den Körper mit dem rechten Arm, während die linke Hand den Knoten aufknüpfte.

Studer fluchte, weil er sich einen Nagel abgebrochen hatte. Dann stieg er vom Bett und legte den leblosen Körper sanft nieder.

»Wenn Ihr nicht so verdammt rückständig wäret«, sagte Studer, »und wenigstens Drahtgitter vor den Fenstern anbringen würdet, dann könnten solche Sachen nicht passieren. So! Aber jetzt spring, Liechti, und hol den Doktor!«

»Ja, ja!« sagte der Wärter ängstlich und humpelte davon.

Zuerst machte der Fahnderwachtmeister künstliche Beatmung. Es war wie ein Reflex. Etwas, das aus der Zeit stammte, da er einen Samariterkurs mitgemacht hatte. Und erst nach fünf Minuten fiel es Studer ein, das Ohr auf die Brust des Liegenden zu legen und zu lauschen, ob das Herz noch schlage. Ja, es schlug noch. Langsam. Es klang wie das Ticken einer Uhr, die man vergessen hat aufzuziehen; Studer pumpte weiter mit den Armen des Liegenden. Unter dem Kinn durch, von einem Ohr zum andern, lief ein roter Streifen.

»Aber Schlumpfli!« sagte Studer leise. Er nahm sein Nastuch aus der Tasche, wischte sich zuerst selbst die Stirne ab, dann fuhr er mit dem Tuch über das Gesicht des Burschen. Ein Bubengesicht: jung, zwei dicke Falten über der Nasenwurzel. Trotzig. Und sehr bleich.

Das war also der Schlumpf Erwin, den man heut morgen in einem Krachen des Oberaargaus verhaftet hatte. Schlumpf Erwin, angeklagt des Mordes an Witschi Wendelin, Kaufmann und Reisender in Gerzenstein.

Zufall, dass man zur rechten Zeit gekommen war! Vor einer Stunde etwa hatte man den Schlumpf ordnungsgemäß im Gefängnis eingeliefert, der Wärter mit dem dreifachen Kinn hatte unterschrieben man konnte getrost den Zug nach Bern nehmen und die ganze Sache vergessen. Es war nicht die erste Verhaftung, die man vorgenommen hatte, es würde auch nicht die letzte sein. Warum hatte man das Bedürfnis verspürt, den Schlumpf Erwin noch einmal zu besuchen?

Zufall?

Vielleicht … Was ist schon Zufall? … Es war nicht zu leugnen, dass man dem Schicksal des Schlumpf Erwin teilnahmsvoll gegenüberstand. Richtiger gesagt, dass man den Schlumpf Erwin lieb gewonnen hatte… Warum?… Studer in der Zelle strich sich ein paar Male mit der flachen Hand über den Nacken. Warum? Weil man keinen Sohn gehabt hatte? Weil der Verhaftete auf der ganzen Reise seine Unschuld beteuert hatte? Nein. Unschuldig sind sie alle. Aber die Beteuerungen des Schlumpf Erwin hatten ehrlich geklungen. Obwohl …

Obwohl der Fall eigentlich ganz klar lag. Den Kaufmann und Reisenden Wendelin Witschi hatte man am Mittwochmorgen mit einem Einschuss hinter dem rechten Ohr, auf dem Bauche liegend, in einem Walde in der Nähe von Gerzenstein aufgefunden. Die Taschen der Leiche waren leer … Die Frau des Ermordeten hatte behauptet, ihr Mann habe dreihundert Franken bei sich getragen.

Und am Mittwochabend hatte Schlumpf im Gasthof zum ›Bären‹ eine Hunderternote gewechselt … Am Donnerstagmorgen wollte ihn der Landjäger verhaften, aber Schlumpf war geflohen.

So war es eben gekommen, dass der Polizeihauptmann am Donnerstagabend den Wachtmeister Studer in seinem Büro aufgesucht hatte:

»Studer, du musst an die frische Luft. Morgen früh gehst du den Schlumpf Erwin verhaften. Es wird dir gut tun. Du wirst zu dick …«

Es stimmte, leider … Gewiss, sonst schickte man zu solchen Verhaftungen Gefreite. Es hatte den Fahnderwachtmeister getroffen … Auch Zufall?… Schicksal? …Genug, man war an den Schlumpf geraten, und man hatte ihn lieb gewonnen. Eine Tatsache! Mit Tatsachen, auch wenn sie nur Gefühle betreffen, muss man sich abfinden. Der Schlumpf! Sicherlich kein wertvoller Mensch! Man kannte ihn auf der Kantonspolizei. Ein Unehelicher. Die Behörde hatte sich fast ständig mit ihm beschäftigen müssen. Sicher wogen die Akten auf der Armendirektion mindestens anderthalb Kilo. Lebenslauf? Verdingbub bei einem Bauern. Diebstähle. Vielleicht hat er Hunger gehabt? Wer kann das hinterdrein noch feststellen? Dann ging es, wie es in solchen Fällen immer geht. Erziehungsanstalt Tessenberg. Ausbruch. Diebstahl. Wieder gefasst. Geprügelt. Endlich entlassen. Einbruch. Witzwil. Entlassen. Einbruch. Thorberg drei Jahre. Entlassen. Und dann hatte es Ruhe gegeben zwei volle Jahre. Der Schlumpf hatte in der Baumschule Ellenberger in Gerzenstein gearbeitet. Sechzig Rappen Stundenlohn. Hatte sich in ein Mädchen verliebt. Die beiden wollten heiraten. Heiraten! Studer schnaubte durch die Nase. So ein Bursch und heiraten! Und dann war der Mord an dem Wendelin Witschi passiert …

Es war ja bekannt, dass der alte Ellenberger in seinen Baumschulen mit Vorliebe entlassene Sträflinge anstellte. Nicht nur, weil sie billige Arbeitskräfte waren, nein, der Ellenberger schien sich in ihrer Gesellschaft wohlzufühlen. Nun, jeder Mensch hat seinen Sparren, und es war nicht zu leugnen, dass die Rückfälligen sich ganz gut hielten beim alten Ellenberger … Und nur weil der Schlumpf am Mittwochabend eine Hunderternote im ›Bären‹ gewechselt hatte, sollte er den Raubmord begangen haben? … Der Bursche hatte das so erklärt: Es sei erspartes Geld gewesen, er habe es bei sich getragen …

Chabis1! … Erspart! … Bei sechzig Rappen Stundenlohn? Das machte im Monat rund hundertfünfzig Franken … Zimmermiete dreißig … Essen? Zwei Franken fünfzig am Tag für einen Schwerarbeiter war wenig gerechnet. Fünfundsiebzig und dreißig macht hundertfünf, Wäsche fünf Zigaretten, Wirtschaft, Tanz, Haarschneiden, Bad Blieben im besten Falle fünf Franken im Monat. Und dann sollte er in zwei Jahren dreihundert Franken erspart haben? Unmöglich! Das Geld bei sich getragen haben? Psychologisch undenkbar. Solche Leute können kein Geld in der Tasche tragen, ohne es zu verputzen … Auf der Bank? Vielleicht. Aber nur so in der Brieftasche? …

Und doch, der Schlumpf hatte dreihundert Franken bei sich gehabt. Nicht ganz. Zwei Hunderternoten und etwa achtzig Franken. Studer sah das Einlieferungsprotokoll, das er unterzeichnet hatte:

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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