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Ist dies das Ende der großen Liebe? Ilse ist sich sicher, ihren Mann verloren zu haben. Sie hat keine Kraft, sich gegen die neue Geliebte ihres Mannes zu erheben. Erst bei einer Operation um Leben oder Tod findet sie eine Verbündete, die ihr zur Seite steht. Doch ihre Konkurrenz setzt alle Hebel in Bewegung, im „Duell der Liebe“ als Siegerin hervorzugehen.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
»Bitte, halte mich jetzt nicht auf.« Carl Franke zog mit lässiger Bewegung seinen Regenmantel über.
»Ich muss einfach ein wenig an die frische Luft« Seine junge Frau, deren kastanienbraunes Haar etwas verwuschelt war, sah ihn resigniert an.
»Aber jetzt - so kurz vor dem Abendessen. Bist du rechtzeitig zurück?« Carl konnte plötzlich den leidenden Ausdruck in ihren grauen Augen nicht mehr ertragen. Auch ihre Kittelschürze, die sie immer beim Kochen trug, widerte ihn an.
»Der Arzt hat gesagt, dass du Ruhe brauchst«, sagte Ilse noch einmal mit ihrer sanften Stimme. »Du solltest vielleicht doch nicht. «
»Bin ich ein Kind, das ständig bemuttert werden muss? Ich gehe jetzt spazieren, weil ich spazieren gehen möchte« Carl machte eine ungeduldige Handbewegung und fegte einige Papiere von seinem Schreibtisch, die wirbelnd auf den Boden flatterten.
»Ich werde sehen, dass ich rechtzeitig zurück bin«, meinte er noch, dann schlug die Tür hinter ihm zu. Ilse Franke stand eine ganze Weile reglos da. Sie empfand nichts, gar nichts in diesem Moment. Warum ließ er sie heute allein? Warum ging er so oft allein weg? Sie fand keine Antwort auf diese Frage. Vielleicht bemutterte sie ihn wirklich zu sehr. Vielleicht nahm sie ihm dadurch die persönliche Freiheit, die jeder Mann braucht. Ilse Franke zuckte müde mit den Schultern. Dann bückte sie sich, um die Papiere aufzuheben, die ihr Mann zu Boden gefegt hatte. Mechanisch hob sie die Blätter auf, aber plötzlich zuckte sie zusammen. Sie nahm den Brief, der mit einer ihr unbekannten Handschrift an ihren Mann adressiert war. Seit wann bekam Carl Privatbriefe in sein Büro geschickt? Ilse Franke fror plötzlich. Sie legte das Kuvert auf den Schreibtisch zurück, aber ihre Hand konnte sich nicht davon lösen. Warum sollte sie den Brief eigentlich nicht lesen? Schließlich war der Briefumschlag bereits geöffnet. Und hatte sie als Ehefrau nicht ein Recht darauf, zu wissen, wer ihrem Mann schrieb? Gewiss war es nur eine Bagatelle, eine ganz harmlose Sache. Dennoch zitterten ihre Hände, als sie den Briefbogen entfaltete, dem ein zarter Parfümduft entströmte. Auf dem Papier standen nur wenige Zeilen: Erwarte Dich am Sonntag, um neun Uhr, wie immer. Ilse hatte das Gefühl, man müsste ihr Herzklopfen laut im Raum hören. Sie stand völlig starr und bewegungslos da.
»Kommen Sie noch auf einen Schluck zu mir herauf?« Dr. Bayer zögerte, als er das Klinikgebäude verließ. Fragend schaute er seinen Praktikanten Frank Marx an. Der Student nickte.
»Sehr gerne, Herr Doktor, wenn Sie etwas Zeit haben. «
»Ich denke sicher, dass wir jetzt Ruhe haben werden. Außerdem habe ich heute keinen Dienst, da wird es wohl kaum passieren, dass man mich noch einmal wegho1t.« Dr. Hans Bayer bog nach rechts ein. Er ging, gefolgt von Marx, durch die Anlagen des Krankenhauses. In der Ferne sahen sie das langgestreckte Ärztehaus liegen. Dr. Bayer steuerte darauf zu. Martha, die Hausmeisterin, kam neugierig hinter ihrer halbgeöffneten Tür hervor, als sie Schritte im Flur hörte. Sie nickte Dr. Bayer freundlich zu.
»Jetzt haben Sie wohl endlich Feierabend, Herr Doktor, nicht wahr? Es wird auch Zeit. Es ist ja schon zwanzig Uhr durch. «
»Leider existiert für uns Ärzte der Achtstundentag noch nicht. Es wäre ja auch nicht auszudenken, wenn wir plötzlich mitten während einer Operation unsere Instrumente niederlegen würden, um den Achtstundentag genau einzuhalten« Dr. Bayer öffnete die Tür zu seinem Zimmer.
»Bitte, Herr Marx, treten Sie ein. Ich weiß allerdings nicht, was ich Ihnen zu trinken anbieten soll.« Frank Marx setzte sich in den Sessel, der in einer Ecke stand, und Dr. Bayer ging zu der kleinen Hausbar.
»Viel kann ich Ihnen nicht bieten, Herr Marx. Ich habe leider im allgemeinen nur wenig alkoholische Getränke im Haus. Möchten Sie vielleicht einen Kognak?«
»Mir würde ein Glas Wasser durchaus genügen« meinte der Praktikant lachend. »Ich meine immer, dass man gar keinen Alkohol braucht. Im Gegenteil: Es ist mir lieber, wenn ich keinen Schwips habe.« Dr. Bayer kam lächelnd mit der dickbauchigen Kognak Flasche zurück. Er stellte sie auf den Tisch und setzte zwei Kognakschwenker daneben.
»Ich bin durchaus Ihrer Meinung. Aber am Abend, nach getaner Arbeit, schmeckt ein Gläschen Kognak ganz gut. Sie wissen ja, dass Alkohol, in kleinen Mengen genossen, belebt.«
Er zog den Korken aus der Flasche und schenkte die Gläser voll. Dann hob er sein Glas, sah Marx an und sagte:
»Trinken wir also auf den Feierabend, Herr Marx. Wir haben ihn uns heute wirklich ehrlich verdient. « Dr. Bayer zog sich einen kleinen Fußschemel heran.
»Am liebsten würde ich ja die Füße auf den Tisch legen. Die Amerikaner machen es ganz ungeniert. Und ich möchte fast sagen, aus gutem Grund. Denn die Blutzirkulation wird nach stundenlangem Stehen durch das Hochlagern der Füße wenigstens ein bisschen angeregt. Aber bei uns in Deutschland ist es wohl besser, besonders wenn man einen Gast hat«, er deutete eine leichte Verbeugung zu Frank Marx hin an, »sich auch deutschen Sitten unterzuordnen. Zu diesem Zweck habe ich mir diesen Fußschemel angeschafft, um meine Füße wenigstens ein wenig hoch lagern zu können.« Er lehnte sich in seinen Sessel zurück.
»Man kann den Feierabend erst dann wirklich genießen, wenn man einen anstrengenden und arbeitsreichen Tag hinter sich hat. Die alten Bauern wussten noch genau, wie schön ein Feierabend ist, wenn sie sich den ganzen Tag körperlich auf ihren Feldern müde gearbeitet hatten.« Er wollte zu seinem Glas greifen, doch in diesem Augenblick klingelte das Telefon. Bestürzt sahen sich Dr. Bayer und Frank Marx an.
»Das beste wird sein, Sie gehen gar nicht an den Apparat« riet Frank Marx.
»Oder ich melde mich und sage, dass Sie sich gerade im Badezimmer befinden« Dr. Hans Bayer hob abwehrend die Hand.
»Man möchte es ja manchmal wirklich tun. Aber Sie wissen ja, dass uns das berühmte ärztliche Gewissen dann keine Ruhe lässt« Er griff nach dem Hörer, nahm ihn ab und meldete sich.
»Hier Bayer.« Marx konnte nicht verstehen, was der andere in den Apparat sagte, aber er sah am Gesicht von Dr. Bayer, dass es etwas Unangenehmes sein musste. Je länger Dr. Bayer zuhörte, desto mehr verfinsterten sich seine Gesichtszüge. Und als er schließlich den Hörer auflegte, sah er Frank Marx melancholisch lächelnd an.
»Man sollte sich tatsächlich nie auf den Feierabend freuen. Gerade hatte ich es mir bequem gemacht, gerade wollte ich nach langer Zeit endlich einmal wieder einen gemütlichen Abend genießen, da geht es schon wieder los.« Er kehrte zum Tisch zurück, setzte sich aber nicht. Er nahm nur sein Kognakglas auf und trank es leer.
»Professor Berger hat mich angerufen. Oberarzt Wieser ist leider im Augenblick nicht zu erreichen. In Stommeln - das ist etwa 25 Kilometer von hier entfernt - hat ein alter Patient des Professors plötzlich eine starke Blutung bekommen. Heute ist Sonntag. Außerdem ist es bereits Abend. Es ist kein Arzt aufzutreiben. Der Bereitschaftsarzt, der in diesem Bezirk Dienst hat, ist unterwegs. Niemand weiß, wann er zurück sein wird. Da hat der Patient sich in seiner Not direkt an den Professor gewandt. Und das sogar mit gutem Recht, denn der Professor ist ja schließlich sein behandelnder Arzt gewesen, der ihn operiert hat. «
»Und nun werden Sie hinfahren?« fragte Marx.
»]a, ich muss Sie leider hinauswerfen. Vielleicht können wir unseren gemütlichen Abend später einmal nachholen.« Dr. Hans Bayer ging zum Schrank und entnahm ihm eine große Ledertasche. »Meine Bereitschaftstasche!« sagte er zu Frank Marx, der interessiert zugeschaut hatte.
»In dieser Tasche ist alles, was ich für einen Notfall unbedingt brauche.«
»Ich habe eine große Bitte, Herr Dr. Bayer. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich mitfahre?« Dr. Hans Bayer griff nach der Hand des jungen Mannes.
»Ganz im Gegenteil! Ich freue mich, wenn Sie als Student ein solches Interesse an unserer Arbeit haben. Gerade was Notfälle anbetrifft„können Sie nicht genug sehen. Sie können auch einmal in eine solche Situation kommen. Und dann kann man am besten handeln, wenn man schon früher einen solchen Fall gesehen hat.«
Sie verließen das Ärztehaus, durchquerten den Vorgarten und wandten sich zum Parkplatz, der von Büschen eingerahmt war. Der rote Sportwagen Dr. Bayers stand am Eingang. Dr. Bayer öffnete den Schlag und ließ Marx einsteigen, dann ließ er den Motor an. Er nickte dem Pförtner zu, als er den Wagen aus dem Krankenhaus hinaus steuerte.
Carl Franke war langsam die Treppen hinuntergegangen. Die Haustür war bereits abgeschlossen. Er musste seinen Schlüssel suchen, um aufzuschließen. Als er auf der Straße stand, zögerte er. Wäre seine Frau jetzt heraus gekommen und hätte ihn gerufen, er wäre zurückgekehrt. Aber er überwand diese Anwandlung von Sentimentalität, wie er es bei sich nannte, sehr bald. Mit entschlossenen Schritten ging er die Straße hinunter. Er musste sich beeilen, damit er noch den Bus erreichte. Es war nicht mehr sehr weit bis zur Haltestelle am Bahnhof. Schon konnte er die Busse in der Ferne sehen. Da überfiel ihn wieder jenes Schwächegefühl, das in letzter Zeit so häufig aufgetreten war. Er musste stehenbleiben. Sein Atem ging keuchend. Er rang nach Luft. Einen Augenblick wurde ihm schwarz vor Augen. Er musste sich gegen die Wand eines Hauses lehnen, um nicht umzufallen. Mit einem mal verspürte er einen starken Hustenreiz. Er griff in die Tasche, riss ein Taschentuch heraus und presste es vor den Mund. Ein starker Hustenstoß erschütterte seinen Körper. Der Hustenreiz wollte einfach nicht aufhören. Als sich der Husten endlich gelegt hatte, war Carl Franke so erschöpft, dass er kaum weitergehen konnte. Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, und seine Hand, die das Taschentuch hielt, zitterte. Er wollte sich mit dem Tuch über die Stirn wischen, aber plötzlich schien seine Hand zu erstarren. Das weiße Tuch war blutrot gefärbt. Er glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Vorsichtig breitete er es aus. Es bestand kein Zweifel: Er hatte große Mengen Blutes heraus gehustet. Es dauerte lange, bis er wieder zu sich kam. Sorgfältig faltete er das Tuch zusammen. Eigentlich sollte es ihn nicht erschrecken. Er hatte schon seit längerer Zeit immer wieder bemerkt, dass beim Husten etwas Blut dabei war, aber solch große Mengen wie heute hatte er noch nie verloren. Er hatte seiner Frau nichts davon gesagt. Er hatte diese Tatsache auch seinem Arzt verschwiegen. Er fürchtete, dass man ihm sagen würde, er leide an einer schrecklichen Krankheit. Wo hatte er doch unlängst gelesen, dass Bluthusten eines der ersten Anzeichen für Lungenkrebs sei? Langsam ging er weiter. Er fürchtete sich davor, schnell zu laufen, weil er fürchtete, dass dann wieder dieser Hustenreiz beginnen würde. Da stand schon der Bus. Carl Franke stieg ein. Es fiel ihm schwer, sich die Stufen in das Innere des Wagens hochzuziehen. Deutlich fühlte er die mitleidsvollen Blicke der anderen Fahrgäste auf sich gerichtet. Ein junges Mädchen stand auf und bot ihm ihren Platz an. Er nahm das Angebot dankend an, denn seine Beine drohten, ihm den Dienst zu versagen. Carls Gedanken eilten dem Bus voraus. Sie gingen zu jener Frau, die jetzt auf ihn wartete. Er wusste selbst nicht, warum er in den letzten Tagen immer wieder zu ihr gefahren war. War es nur die Lust am Abenteuer, die ihn zu der anderen trieb? Oder waren es ihr gepflegter Haushalt und ihre Schönheit, die ihn anzogen? Seine Frau machte sich nie für ihn hübsch. Er kannte sie eigentlich nur in der Schürze. Sie arbeitete den ganzen Tag. Es gab nichts, was ihn an sein zu Hause band. Wenn sie wenigstens ein Kind gehabt hätten, welches ihn erwartete, das seine Freizeit ausfüllte, das er lieben konnte. Als der Bus hielt und er ausstieg, griff ihm der Schaffner hilfreich unter die Arme. Carl blieb einen Augenblick stehen und schaute dem davonfahrenden Bus nach. Rasch entschwand das erleuchtete Rechteck seinen Blicken. Er blieb allein auf der dunklen Landstraße zurück. Noch etwa zehn Minuten musste er zu Fuß gehen, um zu ihrem Haus zu kommen. Er fühlte sich wieder kräftiger. Das Sitzen imBus hatte ihm gutgetan. Langsam machte er sich auf den Weg. Die Straße war uneben. Und da die Landstraße still und friedlich dalag, ging er direkt auf der Mitte der Straße.
»Eine Fahrt durch den Sommerabend ist doch wirklich etwas herrliches.« Marx hatte sich in seinen Sitz zurückgelehnt. Seine Blicke glitten an den Bäumen vorbei, die wie Schatten vorüber huschten. Sie gingen zum Himmel hoch, an dem die Sterne glitzerten. Ein zunehmender Mond zeigte seine schmale Sichel.
»Es wäre schöner, wenn nicht am Ende dieser Fahrt ein todkranker Mensch auf uns warten würde.« Die Blicke Dr. Bayers folgten dem Scheinwerferlicht des Wagens, das sich wie lange Finger nach vorn tastete und die Landstraße auf eine weite Strecke hin hell erleuchtete. Er fuhr sehr schnell. Der Wagen legte sich kreischend in eine Kurve. Dr. Bayer hatte Mühe, die Herrschaft über das Fahrzeug zu behalten.
»Wo Blut auftritt, ist immer Gefahr vorhanden« erklärte er. »Die rote Farbe ist ein Warnsignal. Wenn wir das missachten, kann es unter Umständen sogar den Tod bedeuten.«
Sie hatten die offene Landstraße verlassen und fuhren durch einen Wald. Die Bäume standen schwarz zu beiden Seiten. Ein ganz leichter Bodennebel breitete sich aus. Dr. Bayer musste das Tempo seines Wagens etwas verlangsamen. Die Sicht war nicht mehr einwandfrei.
»Hinter dem Wald liegt Stommeln.« Dr. Bayer spähte angestrengt nach vorne. Der Nebel reflektierte das Scheinwerferlicht und blendete die Augen. Der Weg machte hinter dem Wald eine Kurve.
»Gleich haben wir den Nebel hinter uns!« seufzte Dr. Bayer erleichtert.
»Es ist anzunehmen, dass außerhalb des Waldes der Nebel verschwindet. « In diesem Augenblick tauchte urplötzlich ein Schatten vor seinem Wagen auf. Dr. Bayer versuchte, im letzten Augenblick zu bremsen, aber es gelang ihm nicht. Ein lautes Krachen ertönte, ein Aufschrei. Dann erklang ein Geräusch, als wenn ein schwerer Koffer zu Boden fiele. Bayer und Marx sprangen fast gleichzeitig aus dem Wagen heraus. Sie eilten auf den Menschen zu, der offenbar besinnungslos am Boden lag. Hans Bayer beugte sich zu ihm hinab. Er untersuchte ihn flüchtig. Frank Marx half ihm dabei.
»Es scheint alles in Ordnung zu sein, bis auf das linke Bein.« Dr. Bayer zeigte auf den Oberschenkel, der in einer seltsam abgewinkelten Form dalag. »Fraktur?« Frank Marx blickte Dr. Bayer fragend an. Dr. Bayer nickte.
»Fraktur und Gehirnerschütterung« Einen Augenblick sahen sich die beiden Männer ratlos an. »Was soll jetzt geschehen?« fragte Marx. »Wir können den Verletzten doch hier nicht einfach liegenlassen. Und nur wenige Kilometer weiter wartet ein anderer Schwerkranker auf uns wartet.«
Ilse Franke war ziel- und planlos davongelaufen. Erst als sie eine kurze Strecke gegangen war, ordneten sich ihre Gedanken etwas. Sie blieb stehen und überlegte. Sie hatte keine Ahnung, wo die Straße war, in der die fremde Frau wohnte. Aber sie musste schnell sein, wenn sie ihren Mann überraschen wollte. In Gedanken überschlug sie, wie viel Geld sie bei sich hatte. Am besten wäre es wohl, ein Taxi zu nehmen. Bei ihrem knappen Wirtschaftsgeld war das zwar geradezu ein Luxus, aber in einem solchen Fall galten eben andere Richtlinien. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich ein Taxistand. Als Ilse den ersten Chauffeur nach der Adresse fragte, sah dieser sie erstaunt an.
»Die Straße liegt aber weit vor Köln. Das kostet eine ganze Stange Geld, wenn ich Sie dort hinfahren soll.« Ilse Franke überlegte. Zurück konnte sie ja einen Autobus nehmen. »Würden Sie mich bitte fahren?« fragte sie. Der Chauffeur schaute Ilse ein wenig argwöhnisch an. Schließlich meinte er: »Weil Sie eine Frau sind, werde ich es tun. Wenn Sie ein Mann wären, würde ich es ablehnen.« »Warum?« fragte Ilse Franke erstaunt
»Weil der Weg durch eine ziemlich menschenleere Gegend führt, und ich hätte Angst, dort überfallen zu werden.« Er öffnete die Tür und ließ Ilse Franke einsteigen.
Der Verletzte stöhnte auf, als Dr. Bayer ihn vorsichtig bewegte. »Es bleibt uns nichts weiter übrig, als den Verunglückten in unseren Wagen zu packen und ihn mit nach Stommeln zu nehmen.« Erstaunt sah Frank Marx Dr. Bayer an.
»Was wollen Sie denn mit ihm in Stommeln?« Dr. Bayer zuckte die Schultern. »Während ich den Patienten des Professors untersuche, können Sie mit dem Verletzten nach Köln zurückfahren. Es ist die einzige Möglichkeit, die ich sehe. Auf diese Weise schaden wir weder dem einen noch dem Anderen.«»Aber werden Sie sich damit nicht selbst schaden?« fragte Marx.
»Kann man nicht annehmen, wenn man Ihnen böse will , dass Sie den Mann überfahren haben und nun versuchen wollten, die Unfallspuren zu verwischen, um auf diese Weise den Verdacht von sich abzulenken?« »Das ist mir im Augenblick völlig gleichgültig. Meine einzige Sorge gilt jetzt den beiden Menschen, die meiner Hilfe bedürfen. « Er fasste den Verletzten bei den Schultern und bedeutete Marx, ebenfalls mit Hand anzulegen. Der Mann war nicht sehr schwer. Es gelang den beiden, ihn in den Wagen hineinzubringen. »Ich werde mich auf den Notsitz setzen«, sagte der Praktikant.
»Dann kann der Verunglückte auf dem Nebensitz Platz finden. « Sie legten ihn so hin, dass das verletzte Bein abgestützt wurde. Dennoch konnten sie es nicht vermeiden, dem Verletzten Schmerzen zu bereiten. Trotz seiner Bewusstlosigkeit merkte er, dass mit ihm etwas geschah. Er stöhnte mehrere Male, als er in das Auto gelegt wurde. Marx schwang sich auf den Notsitz, und Hans Bayer setzte sich hinter das Steuer. Schweigend legten sie den letzten Teil des Weges zurück. »Gut, dass der Nebel aufgehört hat. Jetzt können wir wieder einen Zahn zulegen!«
Der Taxichauffeur fuhr schneller. In der Ferne wurden die Lichter eines Ortes sichtbar. Sie wirkten nach der Dunkelheit des Waldes beruhigend. Als sie den Ortseingang erreicht hatten, fuhr er ganz langsam, um die Straßenschilder lesen zu können. Ganz am Ende der Straße hielt er an.
»Da wären wir«, sagte er. Er beugte sich nach unten und schaltete das Licht seines Taxameters an. »Es macht 19.50 €. « Ilse Franke 'griff in ihre Tasche und nahm ihr Portemonnaie heraus. Sie besaß noch genau 30 €. Sie reichte dem Taxifahrer den 20 Euro Schein.
»Stimmt so.« Der Fahrer sah sie prüfend an. Sein Blick glitt über ihr abgetragenes Kleid. Lächelnd hob er die Hand und wehrte ab.
»Lassen sie mal, Fräulein. Ich habe schon durch die Fuhre genug verdient. Trinken Sie für den Rest etwas auf mein und Ihr Wohl.« Ilse Franke schaute ihn verdutzt an. Aber er fuhr schon an. Lächelnd winkte er ihr noch einmal zu. Langsam wandte Ilse sich um. Ihre Blicke glitten über das kleine Haus, das etwas zurückgebaut vor ihr lag. In dem kleinen Vorgarten blühten Tulpen. Die Büsche hatten sich mit dem ersten zarten Grün bedeckt. Im Erdgeschoss war ein Fenster erleuchtet. Einmal tauchte ein Schatten hinter der Gardine auf, er blieb einen Augenblick am Fenster, verschwand dann aber sofort wieder. Jetzt ist er bei ihr, dachte Ilse Franke. Sie wartete, dass ein zweiter Schatten erscheine würde, der Schatten ihres Mannes. Doch hinter dem Fenster rührte sich nichts mehr. Ganz leise, fast auf Zehenspitzen, schritt sie den kleinen Weg durch den Vorgarten hinauf, der zu der Tür des Hauses führte. Sie musste ganz nahe herangehen, um das Türschild lesen zu können. Mühsam entzifferte sie den Namen: Erika Becker. Jetzt waren die beiden dort hinter jener Tür. Und sie stand davor und wusste nicht, was sie tun sollte. Sollte sie klopfen, sollte sie nach Carl fragen, sollte sie eine andere Frau beschimpfen, wenn diese ihr die Tür öffnete? Ilses Hand ging zu der Klingel. Sie fürchtete sich ein wenig vor dem, was jetzt kommen würde. In diesem Augenblick ertönten hinter der Tür Schritte. Es schien, als lausche jemand. Dann aber entfernten sich die Schritte wieder. Eine Tür schlug zu, damit blieb alles still im Haus. Ilse trat noch einmal zurück und blickte zu dem Fenster hin. Es war jetzt dunkel. Ganz plötzlich überfiel sie blinde Eifersucht. Sie lief zur Tür zurück und klingelte anhaltend. Schnelle, leichte Schritte ertönten. Sie verhielten vor der Tür einen Augenblick. Ein Schlüssel wurde herumgedreht, und die Tür öffnete sich.
»Wie schön, dass du endlich kommst, Liebling! « sagte eine Frauenstimme. Über der Tür ging eine helle Lampe an. Ilse musste einen Augenblick geblendet die Augen schließen. Als sie sie wieder öffnete, sah sie sich einer Frau gegenüber, die sie erstaunt und ein wenig entsetzt anstarrte. Erika Becker fasste sich zuerst. Sie trat einen Schritt nach vorn und musterte Ilse von Kopf bis Fuß.
»Zu wem möchten Sie?« Ilse hielt sich am Türrahmen fest. Feindlich sah sie die andere Frau an. »Ich suche meinen Mann! Wo ist er?« fragte sie leise. Erika Becker zog einen Moment lang die Augenbrauen zusammen. Schließlich schüttelte sie verwirrt den Kopf.
»Ihr Mann?« Erika trat einen Schritt in das Innere des Hauses zurück, als könne sie sich so vor der anderen retten.
»Was geht mich Ihr Mann an?« Sie wollte die Tür wieder schließen, aber Ilse war ohne Aufforderung eingetreten.
Das rote Sport Cabriolet fuhr durch die Straßen von Stommeln. Obwohl der Professor die Straße genau beschrieben hatte, war es doch schwer, sie zu finden. Endlich entdeckten Bayer und Marx einen alten Mann, der gerade in ein Haus gehen wollte. Als der rote Wagen plötzlich mit quietschenden Bremsen vor ihm hielt, versuchte der Alte in das Haus zu entkommen. Anscheinend glaubte er, jemand wolle ihn überfallen. Wäre Marx nicht so rasch aus dem Wagen gesprungen, hätten sie den alten Herrn nie fragen können. Endlich wussten sie, wo sie hinzufahren hatten. Die Straße war nicht mehr weit. Sie waren bald da.
»Nehmen Sie bitte den Wagen und fahren Sie ihn sofort in die Klinik! « forderte Dr. Bayer Marx auf. Der Praktikant überlegte.
»Ich denke, es wird gescheiter sein, ich warte noch einige Minuten auf Sie. Es wird sonst für Sie schwierig sein, wieder zurückzukommen.«
Dr. Bayer warf einen Blick auf den Verletzten, der ruhig atmend auf dem Beifahrersitz lag. Er fühlte nach dem Puls. Der Verletzte erholte sich jetzt auch allmählich von seiner Bewusstlosigkeit. Als Dr. Bayer ihn berührte, schlug er langsam die Augen auf. Er versuchte sich umzusehen, aber das dämmrige Licht der Straßenlampe ließ nichts erkennen. Dr. Bayer beugte sich über ihn. Er rüttelte ihn an der Schulter. Wieder schlug der Verletzte die Augen auf und ließ seinen Blick lange auf Dr. Bayers Gesicht ruhen.
»Wie geht es Ihnen?« fragte Dr. Bayer. Der Verletzte dachte nach, dann schüttelte er leicht den Kopf. Nach einer ganzen Weile sagte er: »Ich habe Schmerzen! « Er versuchte, mit der Hand zum Bein hinunter zu tasten, aber dann schloss er wieder seine Augen und lag ruhig atmend da.
»Nun gut.« Dr. Bayer sprang aus dem Wagen.
»Beobachten Sie den Kranken genau, und warten Sie auf mich, Marx. Sobald sich irgend etwas Besonderes bei dem Verletzten zeigt, rufen Sie mich, oder besser noch, fahren Sie sofort los, um ihn in die Klinik zu schaffen. « Dr. Bayer brauchte nicht erst bei seinem nächsten Patienten zu läuten. Die Tür öffnete sich, und eine aufgeregte Frau stand auf der Schwelle.
»Ich habe den Wagen gehört. Bitte kommen Sie doch sofort! Meinem Mann geht es sehr schlecht.« Noch einmal wandte sich Dr. Bayer um und nickte Marx zu, dann folgte er der Dame, die die Treppe hinaufgeeilt war und schon auf dem oberen Treppenabsatz auf ihn wartete.
»Wo ist mein Mann?« wiederholte Ilse Franke ihre Frage. Die andere, die einen Schritt zurückgetreten war, sah sie immer noch erschrocken an.
»Ich weiß nicht, wer Sie sind und was Sie von mir wollen«
Ilse hatte jetzt Gelegenheit, sich ihre Rivalin genauer anzusehen. Sie war eine hübsche blonde Frau. Zweifelsohne hatte sie ihrer Haarfarbe ein wenig nachgeholfen, aber es stand ihr nicht schlecht. Ihr Kleid ließ darauf schließen, dass sie es in einem der besten Modegeschäfte der Stadt gekauft hatte. Im ganzen Haus aber war jener Duft, den Ilse bereits von dem Briefpapier her kannte.
»Ich bin Ilse Franke«, stellte sie sich jetzt vor. Bei diesem Namen zuckte Erika Becker leicht zusammen. Einen Augenblick lag ein Ausdruck der Ratlosigkeit auf ihrem Gesicht. Aber es dauerte nicht lange, dann hatte sie sich wieder gefasst.
»Ich verstehe Sie noch immer nicht.« Ilse zitterte am ganzen Leib. Sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sie war noch nie in einer ähnlichen Situation gewesen. Außerdem war sie so rasch davongeeilt, dass sie sich keine Zeit gelassen hatte, genau zu überlegen, was sie sagen wollte. Mit zitternden Händen nestelte sie an ihrer Tasche herum. Sie holte den Brief heraus, der die Ursache dieses abendlichen Besuches gewesen war. »Kennen Sie diesen Brief?« Sie wedelte das Blatt Papier, das sie auseinandergefaltet hatte, wie ein Tuch vor Erikas Gesicht hin und her. Erika zuckte die Schultern. Sie schaltete jetzt auf Gleichgültigkeit um.
»Wollen Sie mich dafür verantwortlich machen, wenn Ihr Mann Ihnen davonläuft?« Sie musterte Ilse nachdenklich. Ein etwas mitleidiges Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie die einfache, abgetragene Kleidung ihres Gegenübers bemerkte. Ilse litt unter dem Blick dieser Frau und steuerte auf die Treppe zu, die nach oben führte, aber Erika stellte sich ihr in den Weg.
»Es hat wirklich keinen Zweck. « Irgend etwas rührte sie an Ilse Franke. Sie konnte sich nicht erklären, was es war. Sie trat zur Seite. Ihre Stimme klang jetzt milder und voller Besorgnis.
»Um ehrlich zu sein, ich erwarte ihn bereits seit einer halben Stunde. Er ist nicht gekommen. Außerdem habe ich wirklich nicht gewusst, dass er verheiratet ist. « Ilse sah erstaunt auf. Misstrauisch musterte sie das Gesicht der anderen. Es schien ihr frei von jeder Verstellung zu sein. Sie kämpfte mit sich, ob sie ihr glauben sollte. »So, Sie wussten nicht, dass er verheiratet ist! «
»Bestimmt nicht. Ich schwöre es ihnen! Es tut mir leid, dass Sie diesen Ärger haben. Aber ...«
Sie legte bedeutungsvoll ihren Finger auf den Nasenrücken.
»Ihm wird doch hoffentlich nichts passiert sein!« Die Eifersucht, die Ilse eben noch gequält hatte, war jetzt der Sorge gewichen. Sie trat von der Treppe zurück und wollte wieder zur Haustür gehen. Erika hielt sie zurück. »Kommen Sie doch für einen Augenblick zu mir herein. Am besten warten wir gemeinsam auf ihn. Gemeinsames Warten verkürzt die Zeit. Und außerdem möchte ich dann einmal sein Gesicht sehen, wenn er wirklich kommt.« Erika stieß die Tür auf und drehte das Licht an. Ilse betrat ein gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer. Erika wies auf einen der breiten Sessel, die um den kleinen Tisch aus Teakholz standen.
»Bitte«, sagte sie, »nehmen Sie doch Platz« Ilses Blick blieb auf den beiden Gläsern haften, die auf dem Tisch standen. Erika lächelte, als sie dies bemerkte.
»Sie sehen, Ihr Gatte wurde bereits erwartet. Ich hatte schon die Flasche kalt gestellt. Da er nun nicht kommt, können wir sie zusammen leeren. Werden Sie mein Gast sein?« Ilse zögerte noch. Sie wusste nicht, ob die Gefühle der Frau ehrlich waren oder ob sie sich auf diese einfache Art und Weise aus der Affäre ziehen wollte. Doch bevor sie etwas sagen konnte, hatte Erika schon eine Flasche Champagner auf den Tisch gestellt.
»Es ist eine gute, französische Marke,« sagte sie und lächelte. Gluckernd ergoss sich das teure Getränk in die Spitzkelche. »So setzen Sie sich doch bitte.« Erika ging mit gutem Beispiel voran. Sie ließ sich mit einem Seufzer in den Sessel fallen. Zögernd tat Ilse das gleiche. Die Uhr auf der Kommode ließ eine liebliche Melodie erschallen. Erschrocken fuhr Erika auf.
»Es ist tatsächlich schon zehn Uhr?« Sie stand auf, trat an das Fenster und hob die Gardine hoch. Angestrengt spähte sie auf die schwach erleuchtete Straße, als könne sie den Erwarteten durch ihre Ungeduld schneller herbeiholen. Ilse Franke erhob sich nun ebenfalls. Sie hatte noch nicht an ihrem Glas genippt. Sie stand jetzt neben Erika. Der Duft des süßen Parfüms widerte Ilse an. Sie trat einen Schritt zur Seite.
»Ich weiß nicht - vielleicht sollte man tatsächlich die Polizei benachrichtigen« Erika Becker trat zu ihrem Glas zurück und hob es hoch.
»Ich weiß etwas viel Besseres!« Lächelnd schaute sie Ilse an, die aufgeregt hin und herzugehen begann. »Und das wäre?« Ilse blieb vor Erika stehen.
»Wir trinken zunächst einmal auf sein Wohl und auf seine Gesundheit.« Sie setzte das Glas an den Mund und leerte es in einem Zug. Auch Ilse nahm jetzt ihr Glas auf. Sie nippte daran, aber der Sekt schien ihr nicht zu bekommen. Kaum hatte sie eine kleine Menge in den Mund genommen und hinuntergeschluckt, da wurde ihr übel. »Entschuldigen Sie - mir ist nicht wohl. Wo ist Ihre Toilette?« Erschrocken sah Erika sie an.
»Die Aufregung schadet Ihnen.« Sie nahm Ilse bei der Hand und führte sie auf den Flur.
»Dort ist das Bad. Der Lichtschalter ist links neben der Tür.« Ilse erreichte gerade noch das Badezimmer.