Was denkst du? - Kati Naumann - E-Book

Was denkst du? E-Book

Kati Naumann

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Beschreibung

Tom und Lisa sind älter geworden, die Töchter sind aus dem Haus, das Ehepaar hat sich auseinandergelebt. Dann entdeckt Lisa, daß Tom sie betrügt und die Geliebte die Scheidung verlangt. Lisa kämpft um ihre Ehe. Jahrelang hatte sie sich nur auf die Familie konzentriert und muß nun lernen, ihre Selbständigkeit zurückzugewinnen. »Was denkst du??« ist ein schnörkelloser Roman über die Möglichkeiten der Liebe nach zwanzig Ehejahren und über unerfüllte Sehnsüchte.

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Kati Naumann

Was denkst du?

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Tom und Lisa sind älter geworden, die Töchter sind aus dem Haus, das Ehepaar hat sich auseinandergelebt. Dann entdeckt Lisa, daß Tom sie betrügt und die Geliebte die Scheidung verlangt. Lisa kämpft um ihre Ehe. Jahrelang hatte sie sich nur auf die Familie konzentriert und muß nun lernen, ihre Selbständigkeit zurückzugewinnen. »Was denkst du?« ist ein schnörkelloser Roman über die Möglichkeiten der Liebe nach zwanzig Ehejahren und über unerfüllte Sehnsüchte.

 

Über Kati Naumann

Kati Naumann, geboren in Leipzig, studierte Pädagogik und Museologie. Ihr Erfolgsmusical »Elixier« (Musik vom »Prinzen« Tobias Künzel, an der Oper Leipzig uraufgeführt), wurde als »East Side Story aus Bitterfeld« (Spiegel) bezeichnet und mit der »Rocky Horror Picture Show« verglichen. Kati Naumann lebt mit ihrer Familie bei Leipzig.

Inhaltsübersicht

Wenn ein Morgen ...

Wenn ein Morgen so harmlos anfing wie dieser, konnte der Tag nichts Gutes bringen. Warum weiß man nie, wann etwas zum letzten Mal geschieht? Der Tag, an dem die Welt noch in Ordnung war, ging achtlos vorüber. Ich konnte mich nicht einmal mehr genau daran erinnern. Irgend etwas hatte mich an diesem Morgen geweckt. Es mußte gegen sechs gewesen sein, denn es dämmerte bereits. Kalte Luft kroch unter der Gardine hindurch über unsere Betten und an meinem Fuß hoch, der sich in der Nacht aufgedeckt hatte, und erreichte bereits meinen Rücken. Meine Augen waren verklebt, und ich kriegte sie kaum auf. Über mir an der Decke wehte ein Spinnenfädchen im leichten Luftzug hin und her. Ich war mir plötzlich ganz sicher, daß nun das letzte Drittel meines Lebens begonnen hatte. Damit konnte ich mir meinen Todestag ausrechnen. Was würde eigentlich von mir übrigbleiben außer einem Haufen Kram und einer Theorie über den Zusammenhang zwischen der Kopf- und der Zahnform? Das stimmte übrigens wirklich. Tom hatte zum Beispiel große, lange und rechteckige Zähne und einen ebensolchen Schädel, und meine Tochter Susanne, die mit dem Mondgesicht, besaß kleine, fast quadratische Zähne. Plötzlich wurde mir klar, was mich geweckt hatte. Es war die Stille. Unsere jüngere Tochter war seit heute zum Studium in Berlin. Wir waren wieder ganz allein. Es war wie vor zwanzig Jahren und doch ganz anders. Ich fühlte mich plötzlich so einsam. Ich hatte mich immer viel um die Kinder gekümmert, und nun waren sie beide weg und wahrscheinlich auch noch froh darüber. Meine Arbeit hatte ich sicher auch nicht mehr lange, denn es standen Entlassungen bevor, und ich als Halbtagskraft würde sicher eine der ersten sein, die gehen mußte. Eigentlich hatte ich ursprünglich, wie originell, zum Theater gewollt, als Maskenbildnerin oder Bühnendekorateurin. Aber diese Idee hatten außer mir noch ungefähr dreihundert andere, und ich war zwar nicht ungeschickt, aber leider auch nicht überdurchschnittlich begabt, wie ich bei der Eignungsprüfung feststellen mußte. Also lernte ich Friseuse, in der Hoffnung, mit diesem Beruf zum Theater gehen zu können, was natürlich Blödsinn war. Ich habe nicht lange als Friseuse gearbeitet, denn ich merkte schon am ersten Tag, daß ich mich vor nassen Haaren ekelte, besonders wenn sie an den Händen klebten oder im Spülbecken schwammen. Ich wollte unbedingt etwas anderes machen und studieren, also holte ich mein Abitur an der Volkshochschule nach, und dann studierte ich Bibliothekswissenschaften, mit der Begründung, daß ich gerne lesen würde. Ich hatte mir eingebildet, es wäre ungeheuer interessant, und das war es ja auch, wenn man es spannend fand, die Buchtitel nach den Regeln der alphabetischen Katalogisierung oder, was noch viel edler war, nach den preußischen Instruktionen zu sezieren und sich in mehrstündigen Diskussionen über das Setzen eines Kommas auf der Karteikarte zu ergehen. Ich war eine der ganz wenigen Privilegierten, die eine Halbtagsstelle bekamen. Dadurch gehörte ich allerdings auch nie richtig dazu, wenn es um so entscheidende Dinge wie Urlaubsplätze im FDGB-Heim, Prämien und Beförderungen ging. Die einzige Auszeichnung, die ich jemals erhalten habe, war die für das Kollektiv der sozialistischen Arbeit, aber ich glaub, die hat jeder irgendwann mal gekriegt. Ich dachte überhaupt nie viel an Karriere, solange die Kinder klein waren, aber nun hatte ich das Gefühl, es könnte ein Fehler gewesen sein. Ich drehte mich zur Seite und zog mit der Nase hoch, um Tom auf mich aufmerksam zu machen. Aber er lag neben mir und schlief wie ein Stein. Tom schlief immer wie ein Stein, selbst wenn ich im Bett neben ihm weinte. Ich begann mich hin und her zu wälzen. Aber er schlief weiter, und seine Gesichtszüge hingen schlaff herunter. Tom schlief immer so, als ob es auf der ganzen Welt keine Probleme gäbe. Wenn wir uns gestritten hatten, konnte er sich plötzlich, ohne Überleitung umdrehen und in Tiefschlaf fallen, während ich noch stundenlang wach lag und mich schwarz ärgerte. Ich stieß ihm dann manchmal vor Wut beim Umdrehen einen Arm in die Rippen, aber er schreckte dann höchstens verstört hoch, um gleich wieder zu versinken. Tom mußte doch merken, wie mir zumute war. Als Angela wegzog, hatte es ihm auch etwas ausgemacht, aber nun hatte er sich wohl daran gewöhnt, daß seine Töchter aus dem Haus gingen. Wir waren seit dreiundzwanzig Jahren zusammen, und ich mochte ihn noch immer, auch wenn ich gelegentlich eine ziemliche Wut auf ihn hatte. Ich habe nie mit einem anderen Mann geschlafen, ich hatte es mich, ehrlich gesagt, nicht getraut, es aber bisher auch nie bereut, denn bei Tom fühlte ich mich sicher. Toms Gesicht gefiel mir auch heute noch, na ja, außer vielleicht, wenn er, wie jetzt, mit offenem Mund schlief und Grunzlaute von sich gab. Er hatte einen leichten Ansatz von Doppelkinn, aber nur wenn er lag. Seine Nase war ziemlich groß und hatte einen leichten Haken, den ich sehr mochte und den Angela zu ihrem großen Ärger in ausgeprägterer Form geerbt hatte. Seine Nase also hing in dieser Position ein wenig zur Seite, was mir zeigte, daß Tom völlig entspannt war. Seine Haare hatte er zerwühlt, und ich entdeckte erst jetzt, daß sie im Laufe der Zeit dunkler geworden sein mußten. Jetzt hatten sie einen schmutzigen Mischton. Bei dem kurzen Haarschnitt, den sein Vertreterjob erforderte, sah man jedes weiße Haar sofort, und ich mußte es ihm immer ausreißen, denn Tom war eitel. Früher, das heißt noch vor ein paar Jahren, war Tom Musiker gewesen. Er hatte immer in irgendwelchen Bands zum Tanz gespielt. Er war immer unterwegs, aber es machte mir nie viel aus, zu Hause zu warten. Tom war kein Charmeur, und er machte keine Geschichten. Außerdem sahen wir uns nicht so oft, um einander überzukriegen, und das Wichtigste war, Tom war glücklich. Aber heute konnte kein Mensch mehr von Tanzmusik leben. So war Tom Versicherungsvertreter geworden. Ich fragte mich manchmal, wie er das verkraftete. Tom war nicht gerade berühmt gewesen, aber er hatte es gebraucht, daß die ländlichen Schönheiten ihn vom Bühnenrand her anhimmelten, und er hatte die Freiheit, so zu leben, wie es ihm paßte. Und nun rannte er jeden Morgen in einem schicken Anzug mit einer schicken Frisur in ein schickes Büro oder ging den Leuten auf die Nerven und verkaufte ihnen, was sie weder haben wollten noch brauchten und ihm doch abnahmen, weil er so nett war oder, was noch schlimmer für Tom sein mußte, weil sie ihn von früher kannten. Aber nach der letzten Mieterhöhung hatte sich gezeigt, daß seine Entscheidung richtig gewesen war. Das Leben war schließlich nicht nur zum Vergnügen da. Ich betrachtete Tom weiter, seinen Hals mit den rötlichen Bartstoppeln, seine knochigen Hände mit den schmalen Fingern, die im Schlaf die Decke ganz festhielten. Tom deckte sich selbst in der größten Hitze wie ein kleines Kind zu. Unten schauten seine Füße hervor. Sie waren dürr, krumm, behaart und ungefähr doppelt so groß wie meine, so daß jeder dunkle Schuh wie ein kleiner Kindersarg aussah. Ich kannte Tom genau, und ich hatte nie mit jemandem über seine Schwächen gesprochen. Ich hatte kaum Freunde, denn Tom mochte es nicht, wenn ich eine beste Freundin hatte, mit der ich mich vielleicht über seine Füße amüsieren würde, wie das seine Schwestern immer getan hatten. Außerdem konnte ich sehr gut mit Tom reden. Aber in letzter Zeit hatten wir nicht mehr viel miteinander gesprochen, obwohl es mir so vorkam, wir würden uns näherstehen als je zuvor. Seit einer Weile war Tom so aufmerksam und lieb, und ich hätte manchmal gerne gewußt, was in seinem Kopf vorging.

 

 

 

Ich war an diesem Morgen von Lisa aufgewacht. Sie versuchte wieder mal, auf sich aufmerksam zu machen. Warum sie sich gerade um vier Uhr früh über Weltschmerz unterhalten mußte! Wenn ich noch ein paar Stunden schlafen wollte, durfte ich unter gar keinen Umständen zeigen, daß ich schon wach war. Ich ließ meinen Unterkiefer nach unten fallen und atmete weiter durch den Mund, zum Zeichen meines Tiefschlafs. Lisa beobachtete mich. Ich konnte ihre prüfenden Blicke auf meinem Gesicht spüren und gab ein gurgelndes Geräusch von mir, denn ich wollte meine Ruhe haben. Ich wußte, daß sie das haßte. Ich konnte mir schon denken, was Lisa hatte. Sie war unglücklich, weil Susanne weg war. Aber darüber hatte ich mich schon vor zwei Jahren bei Angela aufgeregt. Es war ja klar, daß sie irgendwann gehen würden. Natürlich fehlten sie mir. Aber darüber konnte man auch noch um zehn oder vielleicht lieber gegen elf reden. Außerdem war ich ganz froh, daß sich die Wahrscheinlichkeit, im Bad gestört zu werden, mittlerweile um zwei Drittel verringert hatte. Dann dämmerte ich endlich weg und schlief noch ein bißchen, was ich mir schließlich verdient hatte …

 

 

 

Tom hatte auf keinen meiner Versuche, ihn unauffällig wach zu kriegen, reagiert. Als ich es nicht mehr aushielt, stand ich auf. Manchmal glaubte ich fast, er machte das mit Absicht. Ich stand also auf und ging ins Badezimmer, wobei von Zimmer eigentlich keine Rede sein konnte, so klein war es. Ich ließ mir Zahnputzwasser ein, drückte Zahncreme auf die Bürste und putzte mir die Zähne. Als ich mein Gesicht mit kaltem Wasser abgespült hatte, blickte ich in den Spiegel. Meine Freundinnen hatten mich früher immer geärgert, grüne Augen Froschnatur, von der Liebe keine Spur. Ich war jetzt zweiundvierzig, aber ich sah noch ganz gut aus. In meine braunen Schnittlauchhaare hatten sich nur ganz wenige weiße Fäden hineingeschmuggelt, die ich nicht ausriß, weil ich Angst hatte, irgendwann eine Glatze zu haben. Ich hatte im Laufe der Zeit ein wenig zugenommen, ziemlich genau fünf Kilo, und ich hatte ein paar kleine Falten auf der Stirn und um die Augen herum. Aber die konnte man noch übersehen, wenn man wie ich etwas kurzsichtig war und wie ich keine Brille aufsetzte. Von meinen Nasenflügeln bis zu den Mundwinkeln verlief eine etwas schärfere Falte. Irgendwann würde ich wahrscheinlich wie ein Affe aussehen. Ich stieg unter die Dusche, machte mir dann die Haare ein wenig zurecht und war fertig. Ich zog mich im Schlafzimmer an, in der Hoffnung, daß Tom vielleicht doch aufwachen würde, aber er schlief immer noch fest. Ich nahm Toms Anzug, ich hasse Anzüge, und es war eine Unverschämtheit, daß so ein häßliches Ding so viel Geld kostete. Morgen war Montag, und er würde ihn wieder brauchen. Auf dem Revers war ein kleiner Fleck, und ich holte mir ein feuchtes Leinentuch und eine Fleckentube, um ihn herauszureiben. Dann leerte ich den Inhalt der Jackentaschen aus, um nichts aufzuweichen. Dabei fielen mir zwei Karten auf. Sie waren gelb und aufwendig bedruckt. Ich wurde neugierig und schaute sie mir genauer an. Es waren Eintrittskarten für eine »Cats«-Vorstellung in Hamburg! Das war einer meiner geheimsten Wünsche. Tom mußte es irgendwie geahnt haben, wie lange ich davon schon träumte! Die Karten waren für den kommenden Sonnabend. Ich überlegte, ob ich unseren Hochzeitstag vergessen hatte, aber der war im Frühjahr, und auch sonst fiel mir kein Anlaß ein. Mich überkam ein zärtliches Gefühl für Tom. Er war anders als andere Männer. Er machte Geschenke, wenn er eine Idee hatte, und nicht nur, wenn es an der Reihe war. Ich liebte ihn. Ich hatte ein etwas schlechtes Gewissen, daß ich die Karten entdeckt hatte, denn ich würde nun die Überraschte spielen müssen. Eigentlich wühlte ich nie in Toms Sachen, aber nun war ich einmal dabei und durchsuchte alle Papiere. Ich fand die Zugfahrkarte erster Klasse für zwei Personen nach Hamburg. Sonnabend hin und Sonntag zurück. Sorgfältig steckte ich alles an seinen Platz zurück, schlich mich ins Schlafzimmer und legte den Anzug wieder über den Stuhl. Die Herbstsonne vergoldete die Lehne, und alles war still und friedlich. Tom schlief immer noch. Sollte er ruhig schlafen, er hatte es sich verdient.

 

 

 

Ich war trotz Lisas Geschäftigkeit tatsächlich noch mal eingeschlafen und merkte nur im Halbschlaf, daß sie um mich herumschlich, sicher in der Hoffnung, daß ich von allein aufwachen würde, worauf sie aber lang warten konnte. Ich wußte genau, daß sie mich nie wirklich wecken würde. Sie wollte, daß ich denken würde, ich sei von allein aufgewacht. Es war ein Spiel, das wir schon seit Jahren betrieben, nur ganz am Anfang hatte sie mich manchmal reingelegt. Inzwischen hatte ich absolute Perfektion erreicht. Sie erwischte mich schon lange nicht mehr dabei, daß meine Augenlider zuckten oder ich nicht regelmäßig genug atmete. Lisas Geschäftigkeit am Morgen ging mir auf die Nerven. Sie hatte einfach nicht soviel zu tun wie ich. Ich jedenfalls war völlig ausgelastet und brauchte meine Ruhe. Susanne und Angela fehlten mir auch. Aber wahrscheinlich anders als Lisa. Was war aus den beiden kleinen Zopfmädchen geworden, die wie Kletten an meinen Pantoffeln hingen und die mich am Wochenende nicht weglassen wollten? Als sie noch klein waren, war alles anders. Es rührte mich so, wie sie mich anhimmelten. Ich war ihr Held, und das stärkte jahrelang mein Selbstbewußtsein ungemein. Wenn irgendwas schiefgegangen war, brauchte ich nur nach Hause zu kommen, dort machte ich alles richtig. Lisa hatte sich in all den Jahren nicht sehr verändert. Na gut, sie hatte ein wenig zugenommen, aber es stand ihr ganz gut, besser als wenn sie so ein Knochengerippe wie ihre Mutter geworden wäre. Doch die Mädchen waren hochgeschossen und ungelenk, konnten sich nicht anständig bewegen und wußten alles besser als ich. Ich hatte immer gehofft, sie würden mir wenigstens bald eine Menge Babys anschleppen, die mich wieder anhimmeln würden. Aber wie es aussah, war damit in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren nicht zu rechnen. Die Damen machten erst mal Karriere und entwickelten sich zu intellektuellen Monstern. Ich traute ihnen zu, daß sie noch im Bett ihren Liebhabern den ursächlichen Zusammenhang der Erektion mit den primitiven Brunfttrieben der Affen erläutern würden. Sie waren mir unheimlich und fremd geworden, und nur wenn sich Susanne verschluckte - sie aß schon immer zu gierig - oder Angela sich die Nase schnaubte, erinnerten sie mich an die beiden rührenden Wesen, die mal meine Babys gewesen waren. Als mein Magen knurrte, stand ich endlich auf. Lisa lugte wie auf Stichwort um die Ecke und schaute mich so erwartungsvoll an, daß ich sofort ein schlechtes Gewissen bekam. Ich streichelte vorsichtig ihr Gesicht und drückte sie an mich. Sie roch frisch und angenehm. Ich nahm eine Zeitung und verzog mich für die nächste halbe Stunde ins Bad, während Lisa Frühstück machte. Als wir uns dann gegenübersaßen, machten mich ihre durchdringenden und liebevollen Blicke unsicher. Manchmal fragte ich mich, ob sie in mich hineinsehen konnte, und bemühte mich, ganz intensiv und ausschließlich an mein Frühstücksei zu denken. Ich hätte in diesem Moment gern erfahren, wieviel sie von mir wußte und was sie von mir dachte.

 

 

 

Die ganze Woche wartete ich auf Toms Überraschung mit den Karten, die ja nun eigentlich keine mehr war. Aber es wurde Freitag, und Tom hatte noch nichts verlauten lassen. Langsam kam mir die Sache eigenartig vor, und meine gute Laune wurde gedämpft. Ich hatte Angst, er könnte es vergessen haben, und die schönen Karten verfielen, aber ich konnte ihn ja schlecht daran erinnern. Dann endlich am Freitagabend fing er an. Wir wollten grade ins Bett gehen, da fragte mich Tom, ob er mir eigentlich schon gesagt habe, daß er am Wochenende arbeiten müsse. So eine Schulung in Hamburg. Ich sagte nichts. Während ich versuchte, seine Worte zu verstehen, redete er schon weiter. Sonntagnacht käme er zurück. Ich war froh, daß ich mit dem Rücken zu Tom stand, denn sonst hätte er wahrscheinlich in meinem Gesicht wie in einem Buch lesen können. Ich war mehr verblüfft als geschockt, und währenddessen behauptete Tom, er müsse allein hin, und zwar mit dem Zug, damit er während der Fahrt ein bißchen schlafen könne. Bis dahin hatte ich noch gehofft, er würde die Wahrheit sagen. Aber Tom hatte zwei Karten in seinem Jackett gehabt. Er fuhr nicht alleine. Ich war erschrocken über die Tatsache, daß Tom lügen konnte. Das hatte ich nicht gewußt. Ich sagte irgend etwas, daß es doch nicht so schlimm sei, und machte dann ganz schnell das Licht aus. Diesmal war ich froh, daß Tom keine fünf Minuten später ruhig und gleichmäßig zu schnaufen anfing. Ich konnte in der Nacht kaum schlafen. Ich fand einfach keine Erklärung für Toms Verhalten. Wir hatten zwar immer mal wieder Krach miteinander, aber ich war fest überzeugt gewesen, er könne mich nie anlügen. Ich hatte ihm eigentlich immer blind vertraut. Was war los mit Tom? Und was mir im Laufe der Nacht immer wichtiger wurde, wer war die zweite Person, die mit nach Hamburg fuhr? Schließlich wurde mir klar, daß ich entweder so tun mußte, als wüßte ich von nichts, oder aber ich mußte auch am Bahnhof sein. Ich überprüfte noch mal den Wecker und dämmerte dann irgendwann, als es schon wieder hell wurde, ein. Als der Wecker klingelte, hatte ich das Gefühl, nur fünf Minuten geschlafen zu haben. Ich schreckte hoch, ging schnell auf Toilette, putzte die Zähne und weckte dann Tom. Es wäre ihm sicher lieber gewesen, wenn ich mich wieder hingelegt hätte, aber ich bestand darauf, ihm Frühstück zu machen, und zog mich schnell an. Während ich den Kuchen auf den Tisch stellte und der Kaffee vor sich hin blubberte, überlegte ich, ob ich wirklich das Richtige vorhatte. Ich hatte Tom noch nie hinterherspioniert. Bisher war ich immer der Meinung gewesen, wenn er mir etwas nicht sagte, würde er schon seine Gründe haben. Ich kam mir schäbig vor, ihm einfach nachzufahren. Ich hatte keine Ahnung, was mich am Bahnhof erwartete. Eigentlich hoffte ich immer noch, daß sich die ganze Sache als äußerst harmlos herausstellte. Doch ich hatte bereits das dumme Gefühl, daß diese Geschichte noch einen Haufen Ärger machen würde. Meine Hände zitterten, als wir uns beim Frühstück gegenübersaßen, und ich fühlte, wie sich langsam rote Flecken auf meinem Gesicht ausbreiteten. Glücklicherweise schaute Tom nicht ein einziges Mal zu mir herüber. Er hatte wieder den gräßlichen Nadelstreifenanzug an, und ich konnte seine Nervosität fast riechen. Dann schoß er plötzlich und ohne Ankündigung vom Stuhl hoch und murmelte, er müsse los und nähme das Auto. Während ich ihn noch zur Tür brachte, überlegte ich schon fieberhaft, wie ich vor ihm am Bahnhof sein konnte. Ich wußte nicht mal, wann und auf welchem Bahnsteig der Zug abfuhr. Als Tom sich von mir verabschiedete, drückte er mich lange an sich, so als lege er seine ganze Liebe in diese Umarmung, und mir kam der Gedanke, daß vielleicht alles nur Einbildung war. Aber sobald die Wohnungstür hinter Tom ins Schloß gefallen war, zog ich mir schnell eine Jacke an, spähte am Fenster, ob er schon fortgefahren war, und lief zur Straßenbahn, die natürlich grade weg war. Ein Taxi! Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Ich rannte weiter zum Taxistand, wo man geradezu auf mich wartete. Die Fahrt kostete zwölf Mark achtzig - es war eine glatte Sünde -, dafür hatte ich früher bis zu meiner Mutter fahren können. Ich würde mir zum Ausgleich keinen frischen Kuchen fürs Wochenende holen. Als ich am Bahnhof ausstieg, kam ich mir vor, als würde ich einen Diebstahl begehen. Wenn ich eine solche Szene im Film sah, ging ich an diesen Stellen immer auf die Toilette, weil es mir peinlich war. Aber es war kein Film, und das Bahnhofsklo würde mich nicht retten. Dabei fiel mir ein, daß Tom mich garantiert sofort sehen würde. Also kaufte ich mir noch eine der großen Tageszeitungen, die ich sonst nie las, und stellte mich wie in meinem Lieblingsfilm von Hitchcock hinter einen Getränkeautomaten. Doch Tom kam erst einmal nicht. Der Zug fuhr doch schon in ein paar Minuten ab! Wollte er etwa mit einem späteren Zug fahren? Das würde mir wahrscheinlich recht geschehen. Vielleicht saß er auch schon lange im Abteil. Ob ich es wagen sollte, an den Zugfenstern entlangzugehen und ihn zu suchen? Als ich gerade aufgeben wollte, kam er. Ich riß schnell die Zeitung hoch und war ganz sicher, daß er mich bemerken mußte, ich kam mir so auffällig vor. Da sah ich also Tom, meinen Mann, wie einen Fremden an mir vorüberspazieren, und an seinem Arm hing eine, wie soll ich sagen, wahrscheinlich drückt es das Wort Frau nicht richtig aus, aber es war auf alle Fälle eindeutig ein weibliches Wesen. Sie war sehr groß, fast genauso groß wie Tom, und sie gaben ein schönes Paar ab. Er berührte sie mit großer Vertrautheit. Tom war ein Fremder, und ich hatte es nicht einmal geahnt. Ich hatte wissen wollen, wer die zweite Person war, die mit nach Hamburg fuhr, und nun wußte ich es. Ich hätte jetzt hingehen und eine Szene machen können, aber ich wäre mir vorgekommen wie der Überraschungsgast in einer Samstagabendshow, und ich mag weder Samstagabendshows noch Szenen. Als Tom einstieg, nahm ich noch wahr, daß er sich irgendwo, was heißt irgendwo, natürlich bei ihr, umgezogen hatte. Er war jetzt wie Tom und nicht wie ein Vertreter gekleidet. Hoffentlich hatte er nicht vergessen, die Karten umzustecken, sonst würde er bei der Fahrkartenkontrolle alt aussehen. Aber sicher hatte er den Anzug im Koffer, er brauchte ja auch was fürs Theater. Dabei fiel mir wieder der Fleck ein, der noch drin war. Da stand ich nun auf Bahnsteig fünfzehn, mit hochgeschlagenem Mantelkragen und einer albernen Zeitung vorm Gesicht und wußte für einen Moment überhaupt nicht, was ich da eigentlich machte. Mir wurde klar, daß man niemandem trauen konnte, wahrscheinlich nicht einmal sich selbst.

 

 

 

Die ganze Woche über suchte ich nach einer Möglichkeit, Lisa beizubringen, daß ich am Wochenende wegfahren müßte. Im Grunde war es ganz einfach, schließlich war ich dauernd unterwegs. Aber ich brachte es nicht fertig, Lisa anzulügen. Sie kam mir in den letzten Tagen so aufgekratzt vor. Am Freitagabend mußte ich es ihr dann sagen und war froh, daß sie gerade die Betten zurechtmachte und mir den Rücken zukehrte. Ich hätte ihr nicht in die Augen sehen können. Lisa würde mich nie betrügen, dazu war sie gar nicht fähig. Aber ich betrog sie und hatte dabei nicht einmal ein schlechtes Gewissen. Außer eben, wenn ich lügen mußte. Ich weiß nicht, was mich an Brit so faszinierte, ich hatte mir eigentlich bisher noch keine Gedanken darüber gemacht. Als sie damals zu mir ins Büro kam, erkannte ich sie sofort, sie war früher mal zu jedem Auftritt von uns gekommen. Wir waren zwar nur eine Tanzkapelle, aber wir hatten richtige Groupies, die uns nachreisten. Ich nehme an, da sie die echten Stones nicht mal im Fernsehen angucken konnten, waren wir besser als nichts. Sie kam also ins Büro, weil sie bei uns versichert war und wir die Beiträge einfach erhöht hatten. An diesem Tag waren andauernd Leute mit Beschwerden dagewesen, und dann kam auch noch sie. Sie wollte loslegen, aber dann sah sie mich genau an, und plötzlich strahlte sie, als ob sie gerade im Lotto gewonnen hätte. Sie war sehr hübsch, sehr jung, keine dreißig, aber zu mir kommen eine Menge schöner Frauen, und ich finde nichts dabei, weil sie mich immer mit diesem Blick ansehen, mit dem man eben einen Vertreter ansieht. Wenn sie mich auch so angeguckt hätte, wäre rein gar nichts passiert. Aber so war's wie ein Funke, der sofort auf mich übersprang. Sie hatte mich damals verehrt, und sie tat es heute noch. Es fing alles ganz zaghaft an, aber dann konnte ich von diesen Gesprächen über alte Zeiten gar nicht genug kriegen. Ich verabredete mich wieder mit ihr. Sie fragte mich nicht nach meinem Alter, aber ihr mußte klar sein, daß ich jenseits der Vierzig war. Das spielte aber alles keine Rolle. Als ich sie unter dem Vorwand eines Vertrages aufsuchte, passierte es. Es war im ersten Moment so, daß sich keiner von uns beiden traute, den Anfang zu machen, aber es war unausweichlich. Ich füllte ein Formular aus, und sie sah dabei so auf meine Hände, daß ich gar nicht mehr richtig schreiben konnte. Ich saß am Tisch, und sie stand neben mir. Ich sah zu ihr hoch und erkannte in ihren Augen, daß sie mich bewunderte. Ich schrieb noch den Selbstbehalt je Schadensfall hinein, und sie guckte so, als hätte ich gerade »Let it be« komponiert. Ich wußte nicht, warum sie das tat, aber es war Balsam auf mein angekratztes Selbstbewußtsein. Die Verehrung, die sie mir entgegenbrachte, nahm mir den Atem. Sie hockte sich hin, damit sie auf gleicher Höhe mit mir war. Ihr Gesicht kam mir sehr nah. In diesem Moment vergaß ich Lisa. Nicht absichtlich. Ich vergaß alles. Wer ich war und was ich war. Als hätte es die letzten Jahre nicht gegeben. Der Geschmack ihrer Lippen erinnerte mich an etwas. Als ich in der neunten Klasse war, gab es an meiner Schule ein Mädchen, das andauernd Erdbeerpfeffis lutschte. Damit färbte sie ihren Mund immer knallrot. Als ich Brits Lippen fühlte, mußte ich an den ersten Kuß von diesem Mädchen denken, den ich zwischen Turnhalle und Speiseraum bekam. Brit hatte eine Haut, die ich einfach berühren mußte. Ich konnte nicht verstehen, daß sie mich wollte. Aber das war egal, und egal war auch, daß ich schon eine Frau hatte, denn als ich wieder an Lisa dachte, erschien sie mir mehr wie eine Mutter oder eine Schwester, nicht so, als wäre sie auch meine Geliebte. Wenn ich bei Brit war, dann dachte ich ohnehin nicht mehr. Dort ließ ich die Dinge nur noch passieren. Es war so schön, daß es nichts Schlechtes sein konnte, und ich nahm Lisa schließlich nichts weg. Ich machte Brit nie Geschenke, denn das Geld, das ich verdiente, war ziemlich knapp und gehörte Lisa genauso wie mir. Bis auf die Sache mit den Theaterkarten. Zum Glück fragte Lisa nicht weiter nach, und ich war froh, mit heiler Haut aus der Wohnung gekommen zu sein. Es war wundervoll, wie aufgeregt Brit jedesmal war, sie bekam meinetwegen sogar feuchte Hände. Ich zog mich schnell bei ihr um, denn ich fühlte mich im Anzug nie besonders wohl. Dann steckte ich noch die Fahrkarten aus meiner Jackentasche um, packte den Anzug in den Koffer, und los ging's. Das Licht schien durch Brits helles Haar. Sie hatte glücklicherweise keine moderne Schnittfrisur, sondern eine natürlich gewachsene, schulterlange Löwenmähne, die sie unanständig erotisch machte. Brit war ziemlich groß, was ich eigentlich nicht so mag, aber sie trug flache Schuhe und sah zu mir auf. Ich bin früher nie gern Zug gefahren, ich sitze lieber in meinem Auto und vermeide den Kontakt mit fremden Menschen, aber diesmal genoß ich es. Wir saßen in der ersten Klasse, die zwar schweineteuer, aber ziemlich leer war. Ich hatte meine Tasche und meinen Mantel auf verschiedene Sitze verteilt, damit keiner auf die Idee kam, daß hier noch Platz wär. Ich zog auch noch die Vorhänge zu, mußte sie aber gleich wieder aufmachen, weil die Fahrkarten kontrolliert wurden. Aber dann waren wir völlig allein, und ich konnte mich ganz Brit zuwenden. Für einen Moment erinnerte sie mich an Angela, als diese vier Jahre alt war und mir ohne Zögern jedes Wort glaubte. Ich war für Brit kein Versicherungsagent, sie wollte mich anders sehen, so wie ich früher war, und bei ihr konnte ich das auch sein. Ich war witzig, ich war überlegen, ich war locker. Dieses Gefühl habe ich seit damals nur bei Brit wieder gehabt, und dafür werde ich ihr ewig dankbar sein. Wir konnten zum Hotel laufen. Ich sah uns in einer großen Schaufensterscheibe und glaubte für einen Moment, einen fremden Mann zu sehn, der mit seiner Frau den täglichen Abendspaziergang macht. Ich fand den Gedanken ganz lustig, der Mann hat nämlich sehr gut ausgesehen, und die Frau paßte einfach zu ihm. Wir konnten aus Zeitgründen nur die Koffer im Hotel abstellen, obwohl ich viel lieber mit Brit auf dem Zimmer geblieben wäre, statt zu »Cats« zu gehen. Ich steh nicht so auf Musicals, ich wäre lieber zum Open air von Jethro Tull gegangen, die spielten nämlich heute auch in Hamburg. Wir machten uns also schnell fertig fürs Theater, was bedeutete, daß ich meine Arbeitskleidung anziehn mußte. Das nervte mich natürlich etwas, aber ich trug wenigstens einen schwarzen Pullover unter dem Anzug und hatte mir meine Haare, die eigentlich dieses Wochenende dran gewesen wären, noch nicht von Lisa schneiden lassen. Mit etwas gutem Willen sah ich aus wie George Harrison. Brit freute sich wie ein Kind auf die Weihnachtsvorstellung. Ich habe von dem Stück nicht viel mitbekommen, ich hätte auch im Ohnsorg-Theater sitzen können, denn ich sah immer nur Brits Profil und ihre ungetrübte Freude. Brit besaß einen weißen fußligen Rassekater. In dem Stück kam auch so ein weißes Tier vor, was Brit entzückte. Es war zwar eine elegante, sehr weibliche Katze, aber da Brits Kater kastriert war, schien das keinen Unterschied zu machen. Wenn das Vieh sich kratzte oder die Pfoten leckte, hier im Stück leckten sie sich nämlich nur die Pfoten und nichts anderes, flüsterte mir Brit zu, genauso, ganz genauso würde ihr Kater das auch machen! Ich begann ein wenig eifersüchtig zu werden auf das blöde Katzenvieh, war aber dann doch ganz froh, daß Brit das Stück nicht im übertragenen Sinn betrachtete, sonst wäre ihr vielleicht aufgefallen, daß es zwischen mir und dem alten Theaterkater auch gewisse Übereinstimmungen gab. In der Pause gab ich ein bißchen mit Brit an, und wir tranken Sekt. Das Theater war ein neues und ein westdeutsches Theater. Als ich mit Lisa mal im Theater war, was selten genug vorkam, brachten sie auch noch so einen Käse, ich meine, es war eigentlich kein Käse, es war Shakespeare, aber auf modern. Lady Macbeth hatte in ihren Monolog Schimpfworte eingebaut, die nicht mal ich auf der Bühne sagen würde. Ich meine, wenn der Regisseur klüger ist als Shakespeare, warum schreibt er dann nicht sein eigenes Stück? War nur eine rhetorische Frage. Wir wissen natürlich alle, warum. Weil die Leute sich von dem kein Stück angucken würden. Also verarschte er sie mit Shakespeare. Als dann endlich Pause war, nach der ich eigentlich gehn wollte, meinte Lisa, wir hätten bis zum Schluß bezahlt, und deswegen würde sie auch bis zum bitteren Ende bleiben. Also in der Pause jedenfalls mußte Lisa mal. Ich mußte nicht. Es wäre aber besser gewesen, wenn ich gemußt hätte und nicht sie. Das Theater war nämlich ein ostdeutsches Mehrspartentheater, was mich an sich nicht stören würde, aber vielleicht hatten die Erbauer des Theaters ja gedacht, weil's in der DDR nicht so viel Feines zum Fressen gab, würde unten auch nicht so viel rauskommen. Das war aber ein Irrtum vom Amt, denn zu trinken gab's schließlich genug. Dort hatten sie nämlich nur ein Klo für jede Fraktion. Und vor dem Damenklo war eine endlose Schlange, vor dem Herrenklo dagegen überhaupt nicht. Ich bin dann aus Langeweile auch gegangen, aber Lisa wurde davon auch nicht schneller fertig, da anscheinend sämtliche weibliche Wesen, die im Theater waren, am Klo anstanden. Das konnte einem hier in Hamburg nicht passieren. Es war alles durchgestylt, und ich nehme mal an, daß sogar auf dem Klo noch ein Merchandisingstand war. Als die Pause vorbei war, konnte ich kaum das Ende des Stücks abwarten. Es dauerte nämlich ziemlich lang, kein Wunder bei dem Preis. Ich schielte immer wieder zu Brit hinüber. Ich würde ihr nachher die goldgelben Träger von der Schulter streifen und ihr die Sonnenblume aus dem Haar nehmen. Und je länger das Stück dauerte, um so mehr freute ich mich auf diesen Augenblick. Weil der Fahrstuhl im Hotel dann sehr langsam war, tat ich es bereits dort und mußte ihr mein Jackett überwerfen, damit wir das Zimmer erreichen konnten, ohne verhaftet zu werden. Ich wachte am nächsten Morgen neben ihr auf, und hatte noch einen Augenblick Zeit, sie anzusehn, während sie schlief. Sie kam mir vor wie ein Engel. Ich war mir nicht sicher, wer mir dieses kostbare Geschenk gemacht hatte, auf jeden Fall war ich grenzenlos dankbar. Erst als auf der Rückfahrt die Sprechanlage knackte und unseren Heimatbahnhof ankündigte, wurde mir bewußt, daß Lisa zu Hause auf mich wartete. Und erst da machte es klick, und ich begann, wieder klar zu denken.

 

 

 

Tom hatte also