Watersong - Todeslied - Amanda Hocking - E-Book

Watersong - Todeslied E-Book

Amanda Hocking

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Beschreibung

Dunkel die Gezeiten, ewig ihr Geheimnis

Gemmas Tage sind gezählt. Denn es ist nur eine Frage der Zeit, bis Penn sie durch ein anderes Mädchen ersetzen – und töten wird. Gemma hat nur eine Chance, den Fluch zu brechen: Sie muss das jahrhundertealte Schriftstück finden, auf dem der Sirenenbann verewigt ist, und es vernichten – selbst wenn sie damit das Leben von Thea, ihrer einzigen Freundin unter den Schwestern des Meeres, aufs Spiel setzt. Fieberhaft macht Gemma sich auf die Suche, ohne etwas von Penns teuflischem Plan zu ahnen. Und der bringt nicht nur Daniel in Versuchung, sondern auch Gemma und Harper in höchste Gefahr ...

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Seitenzahl: 446

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AMANDAHOCKING

Aus dem Englischen

von Anja Hansen-Schmidt

und Violeta Topalova

Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House

Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform

1. Auflage 2014

© 2013 by Amanda Hocking

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2013

unter dem Titel »Tidal. A Watersong Novel« bei

St. Martin’s Griffin, New York.

© 2014 für die deutschsprachige Ausgabe

by cbt Verlag in der Verlagsgruppe

Random House GmbH, München.

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Aus dem Englischen von Anja Hansen-Schmidt

und Violeta Topalova

Lektorat: Christina Neiske

Umschlaggestaltung: bürosüd, München,

www.buerosued.de, unter Verwendung von

eines Motivs von Gettyimages / Zena Holloway

he · Herstellung: kw

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-11014-7

www.cbt-buecher.de

EINS

Macht

Gemma gefiel es, wie er sie küsste, sein Mund hungrig und leidenschaftlich auf ihrem. Er wirkte nicht besonders stark – obwohl sie die drahtigen Muskeln unter seinem dünnen T-Shirt spüren konnte, wenn er sie fest an sich drückte –, aber seine Leidenschaft schien ihm Bärenkräfte zu verleihen.

Dabei war Kirby nicht einmal ein besonders guter Küsser. Gemma hatte beschlossen, dass sie damit aufhören musste, andere Jungs mit Alex und der Art, wie er küsste, zu vergleichen, denn gegen ihn verblassten alle anderen. Aber selbst ohne den Vergleich mit Alex war Kirby kein besonders begabter Ersatz.

Dennoch gab es triftige Gründe dafür, dass sie ein paarmal mit ihm ausgegangen war und alle ihre Dates auf dem Rücksitz seines alten Toyotas geendet hatten. Aber bisher hatten sie nur geknutscht, und Gemma hatte auch nicht die Absicht, mit ihm weiter zu gehen.

Was sie immer wieder zurück zu Kirby führte, war weder Liebe noch die Sehnsucht nach seinen Küssen. Ihr Herz brannte immer noch für Alex, und nur für ihn. Aber sie durfte nicht mit ihm zusammen sein und sie hatte lange genug zu Hause herumgesessen und ihm nachgetrauert. Zumindest hatten das Harper und ihr Dad gesagt.

Und deshalb war sie hier bei Kirby und holte sich bei ihm eine rein körperliche Zuwendung, die sich zugleich falsch und vollkommen richtig anfühlte.

Selbst wenn Gemma rein menschlich gewesen wäre, hätten ihr diese Knutschorgien Spaß gemacht. Kirby war sexy und nett, und er brachte sie zum Lachen. Aber der Sirenenanteil ihres Wesens verzehrte sich geradezu nach körperlicher Nähe. Und wenn sie ehrlich zu sich war, dann wurde ihre Unruhe immer größer. Thea hatte ihr erklärt, dass das passieren würde, wenn sie nicht aß. Im Grunde musste sie nur vier Mal pro Jahr essen, vor den Sonnwenden und den Äquinoktien, aber je länger sie auf Nahrung verzichtete, desto unruhiger und reizbarer wurde sie.

Es gab jedoch ein paar Tricks, um den Hunger zu dämpfen. Einer davon war schwimmen, und das tat Gemma so oft wie möglich. Ein anderer Trick war, häufig zu singen, aber davor hatte Gemma zu viel Angst. Sie wollte nicht aus Versehen jemanden verzaubern.

Der dritte Trick war, den Hunger nicht zu verleugnen, sondern sich ihm hinzugeben. Und das machte sie mit Kirby. Sie küsste ihn, um sich davon abzuhalten, ihre Zähne in ihn zu schlagen.

Als er jetzt seinen Mund auf ihren presste und sie gegen die Rückenlehne drückte, regte sich etwas in ihr. Hitze stieg in ihr auf und ließ ihre Haut kribbeln, genau wie in den Momenten, in denen ihre Beine sich in einen Fischschwanz verwandelten.

Die Sirene in ihr drängte an die Oberfläche, und es war ein seltsames, aber sehr erhebendes Gefühl, sie zurückzuhalten. Gemma, und nicht das Monster in ihr, hielt die Zügel in der Hand, und als Kirby ihren Hals küsste, blieb sie sicher an der Grenze zwischen Mensch und Sirene stehen.

Erst als seine Hand sich unter ihren Rock stahl und über die weiche Haut ihres Oberschenkels glitt, brachte Gemma die Sirenenlust in ihr zum Schweigen. Ihre Haut hörte auf zu kribbeln, die Hitze in ihr erlosch. Sie setzte sich auf und schob Kirby sanft von sich weg.

»Oh, entschuldige«, stammelte Kirby schwer atmend und wich zurück. »Bin ich zu weit gegangen?«

»Du kennst die Regeln«, erwiderte Gemma achselzuckend und strich ihren Rock glatt. »Weiter will ich nicht gehen.«

»Sorry.« Er zog eine Grimasse und strich sich das dunkle Haar aus der Stirn. »Ich habe mich kurz vergessen. Wird nicht wieder passieren.«

Gemma lächelte ihn an. »Schon okay. Ich weiß, dass du beim nächsten Mal besser aufpassen wirst.«

»Heißt das, es gibt ein nächstes Mal?«

Kirby kniete auf dem Sitz, seine blauen Augen funkelten. Er sah aus wie ein Model – schlank, mit ebenmäßigen, markanten Gesichtszügen –, aber er war auch ein wirklich netter Junge.

Die Verehrung, mit der er sie behandelte, hatte wahrscheinlich mehr mit ihrem Sirenenwesen zu tun als mit tiefen Gefühlen für Gemma selbst. Sie hatte nicht für ihn gesungen, also war er nicht ihr Liebessklave. Aber ihre Erscheinung verlieh ihr ebenfalls eine Macht, der Jungs sich nur schwer entziehen konnten.

Kirby war ein paar Jahre älter als sie, aber sie kannte ihn noch aus der Schule. Trotz seiner Attraktivität und Beliebtheit war er zu den anderen Kids immer freundlich gewesen. Seit sie miteinander ausgingen, hatte er noch nie ein böses Wort über andere verloren, und es kam ihm gar nicht in den Sinn, ihr nicht zu gehorchen.

Und genau das war es, was Gemma immer wieder zu ihm hinzog: Er war harmlos.

Sie mochte ihn, aber nicht zu sehr. Der magische Funke, der dazu geführt hatte, dass sie sich in Alex verliebt hatte, war nirgendwo zu finden. Wenn Gemma mit Kirby zusammen war, hatte sie die komplette Kontrolle über ihre Gefühle, über das Monster in ihr, sogar über ihn. Sie würde ihn niemals verletzen und er konnte auch sie nicht verletzen.

»Ja, es gibt ein nächstes Mal«, sagte Gemma.

Er grinste breit. »Cool. Ich würde mir nie verzeihen, wenn ich die Sache mit dir versaue.«

»Du wärest überrascht darüber, was man sich alles verzeihen kann«, murmelte Gemma.

»Wie bitte?«, fragte Kirby.

»Ach, nichts.« Sie schüttelte den Kopf und zwang sich zu einem Lächeln. »Wie sehe ich aus?«

»Wunderschön, wie immer.«

Gemma lachte. »Nein, ich will wissen, ob mein Make-up verschmiert ist und ich aussehe, als hätte ich gerade auf dem Rücksitz eines Autos herumgeknutscht.«

Kirby beugte sich vor, inspizierte ihr Make-up und gab ihr einen schnellen Kuss. »Nö. Alles perfekt.«

»Danke.« Gemma fuhr sich mit der Hand durch ihre dunklen, welligen Haare. Im Licht der Straßenlaterne leuchteten die goldenen Strähnen darin auf.

»Wir sind also immer noch kein offizielles Paar, stimmt’s?«, fragte Kirby. Er lehnte sich zurück und beobachtete, wie Gemma ihre Kleidung wieder in Ordnung brachte.

»Nur noch heute«, sagte sie. »Morgen endet mein Hausarrest endlich.«

»Schade eigentlich«, erwiderte Kirby. Als sie ihn fragend anschaute, fuhr er fort: »Es ist irgendwie scharf, sich heimlich zu treffen und ständig Angst zu haben, erwischt zu werden.«

Gemma lachte und Kirby schloss verzückt die Augen. Sosehr sie darauf achtete, nie in seiner Nähe zu singen, um ihn nicht mit einem Zauber belegen, so konnte sie doch nicht verhindern, dass auch ihre Stimme und sogar ihr Lachen einen enormen Effekt auf ihn hatten.

»Du bist süß, wenn du den Bad Boy spielst«, neckte sie ihn.

»Hey. Ich bin ganz schön gefährlich.«

Er ließ seine Muskeln spielen und sie beugte sich vor und küsste ihn. Kirby schloss sie in die Arme und versuchte, sie wieder an sich zu ziehen, aber sie machte sich von ihm los.

»Sorry, Kirby, aber ich muss wirklich gehen«, sagte sie. »Mein Vater wartet wahrscheinlich noch auf mich.«

»Na toll«, seufzte Kirby, aber er ließ sie los. »Sehen wir uns morgen bei der Probe?«

»Klar.« Gemma öffnete die Autotür und glitt ins Freie. »Bis dann.«

Sie schloss die Tür und joggte die Straße entlang zu ihrem Haus. Wenn Kirby sie nach Hause brachte, parkte er immer hinter der Straßenecke, damit Gemmas Vater nicht aus dem Fenster schauen und sie beim Knutschen erwischen konnte.

Als sie an Alex’ Haus vorbeiging, schaute sie stur auf den Gehweg. Sie wollte nicht hinsehen, denn es war vollkommen egal, ob sein Auto in der Einfahrt stand oder das Licht in seinem Zimmer brannte. Er wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben und genau so sollte es sein.

Ihr eigenes Haus war dunkel, was sie als gutes Zeichen wertete.

Brian musste morgen früh zur Arbeit, also war er hoffentlich bereits zu Bett gegangen. Gemma öffnete so leise wie möglich die Haustür.

Aber sobald sie hinter ihr ins Schloss gefallen war, ging eine Tischlampe an. Gemma hätte vor Schreck beinahe aufgeschrien.

»Um Gottes willen, Harper!« Gemma legte sich die Hand auf die Brust und lehnte sich gegen die Haustür. »Was soll denn das?«

»Ich wollte mit dir reden«, erklärte Harper.

Sie hatte den Sessel ihres Dads so verschoben, dass er zur Tür zeigte, und saß mit vor der Brust verschränkten Armen darin. Ihr langes, dunkles Haar war zu einem unordentlichen Knoten zusammengefasst und sie trug ihre uralte rosafarbene Pyjamahose, was ihre einschüchternde Pose komplett ruinierte.

»Dafür hättest du dich doch nicht wie ein irrer Serienmörder im Dunkeln verstecken müssen.« Gemma zeigte auf die Lampe neben Harpers Sessel. »Du hast mich zu Tode erschreckt.«

»Gut.«

»Gut?« Gemma verdrehte mit einem Stöhnen die Augen. »Echt jetzt? Wird das wieder so ein Gespräch?«

»Was soll denn das heißen?«, fragte Harper.

»Die Art von Gespräch, die man auch Gardinenpredigt nennt.«

»Ich will dir keinen Vortrag halten«, erwiderte Harper beleidigt. »Es ist nur …«

Sie holte tief Luft und setzte von Neuem an. »Es ist schon nach zehn Uhr, und deine Probe hätte schon um acht enden sollen. Zu deinem Glück vertraut Dad dir wieder, aber ich weiß genau, dass die Probe pünktlich aus war.«

»Weil Daniel mir nachschnüffelt«, murmelte Gemma und starrte auf den abgetretenen Läufer zu ihren Füßen.

»Daniel ›schnüffelt‹ dir überhaupt nicht nach!«, erwiderte Harper empört. »Ich weiß es, weil ich am Theater vorbeigefahren bin und keine Autos mehr dort standen. Und deinem Make-up und diesem lächerlich kurzen Rock nach zu urteilen …«

»Der ist überhaupt nicht zu kurz«, knurrte Gemma, zog den Saum aber in Richtung Knie.

»… muss ich ja wohl davon ausgehen, dass du dich mit einem Typen herumtreibst«, fuhr Harper fort. »Weißt du nicht, wie gefährlich das für dich ist? Natürlich weißt du das. Die Sirenen töten Jungs, das hast du mit eigenen Augen gesehen.«

Gemma starrte zu Boden. Sie hatte ihrer Schwester immer noch nicht erzählt, dass auch sie schon mal einen Mann getötet hatte. Er war im Begriff gewesen, sie zu vergewaltigen, und das hatte dazu geführt, dass Gemma sich in das Monster verwandelt hatte. Aber der eigentliche Grund, aus dem sie ihn getötet hatte, war, dass es nötig gewesen war. Um als Sirene zu überleben, musste sie fressen.

Im Laufe der vergangenen vier Wochen, die Gemma wieder zu Hause verbracht hatte, und nach dem Deal mit Penn, war Harper zu der Überzeugung gekommen, dass die Sirenen sich dadurch ernährten, dass sie junge Männer töteten und ausweideten. Allerdings hatte sie Gemma bisher noch nicht direkt gefragt, ob sie selbst auch schon einen Menschen getötet hatte, also hatte Gemma es ihr auch nicht erzählt. Was Harper aber sicherlich wusste, war, dass auch Gemma früher oder später morden musste, um nicht selbst zu sterben.

»So ist es nicht«, seufzte Gemma. »Der Typ arbeitet an der Theaterproduktion mit und wir haben uns ein paarmal getroffen. Es ist nichts Ernstes.«

»Der Typ?« Harper zog eine Augenbraue hoch.

»Kirby Logan«, sagte Gemma.

»Der ist nett.« Harper schien sich ein bisschen zu entspannen. Wahrscheinlich kannte sie ihn auch aus der Schule. »Aber das bedeutet nicht, dass du mit ihm herumziehen solltest. Er ist zu alt für dich …«

»Echt jetzt, Harper?«, schnaubte Gemma. »Ich bin ein mythisches Monster, und du hast ein Problem damit, dass er drei Jahre älter ist als ich?«

»Nein, eigentlich …« Harper schaute Gemma eindringlich an. »Es gibt eine Million Gründe dafür, dich nicht heimlich mit Kirby herumzutreiben. Einer ist sein Alter, und ein weiterer ist, dass du gerade erst mit Alex Schluss gemacht hast. Aber darum geht es nicht. Der einzig wichtige Grund ist, dass du weißt, dass es falsch ist.«

»So ein Bockmist.« Gemma ließ ihren Kopf gegen die Tür fallen. »Du und Dad wart doch diejenigen, die mir ständig damit in den Ohren gelegen haben, dass ich endlich aus dem Haus gehen und etwas unternehmen soll. Also habe ich mich aufgerafft, mache seit einer Woche bei dem Theaterstück mit und habe neue Freunde gefunden. Und jetzt soll das alles wieder falsch sein?«

»Nein, Gemma. Und das habe ich auch nicht gesagt.« Harper bemühte sich, ruhig zu sprechen, um ihren Vater nicht zu wecken. »Du hast den ganzen Tag lang im Pyjama zu Hause gesessen, bist erst nachmittags aus dem Bett gekrochen und hast weder geduscht noch gegessen. Ich wollte, dass du wenigstens wieder halbwegs funktionierst.«

»Und das tue ich auch. Aber hör auf, so streng zu mir zu sein. Ich kann nicht mehr an Schwimmwettkämpfen teilnehmen, weil ich so übernatürlich schnell geworden bin, dass es den anderen gegenüber nicht fair wäre. Aber mir selbst gegenüber ist es auch nicht fair. Ich habe hart trainiert, um so gut zu werden, wie ich war, und jetzt kann ich mich anstrengen, so viel ich will, es ist alles egal.«

»Es ist nicht alles egal, Gemma«, sagte Harper schnell. Ihre Stimme war weicher geworden.

»Beim Schwimmen schon«, sagte Gemma. »Ich habe das Schwimmen aufgegeben. Ich musste Alex aufgeben. Vielleicht muss ich bald auch dich und Dad aufgeben …«

»Wir werden einen Weg finden, das zu verhindern«, sagte Harper zum millionsten Mal diesen Sommer.

Ihre Schwester hatte ihr zwar das Wort abgeschnitten, aber insgeheim war Gemma froh darüber. Sie hätte beinahe gesagt, dass sie wahrscheinlich auch ihr Leben aufgeben musste, aber darüber hatte sie mit Harper noch nicht gesprochen. Den Sirenen ging allmählich die Geduld aus, und obwohl sie Gemma gegenüber nichts davon erwähnt hatten, war sie überzeugt, dass sie bereits nach einem Ersatz für sie suchten. Es würde nicht ewig dauern, bis sie eine geeignete Kandidatin fanden, und dann würden sie Gemma aus dem Weg schaffen.

»Ich weiß nicht mehr, wer ich bin«, sagte Gemma schließlich unter Tränen. »Ich habe alles aufgegeben, was ich geliebt habe. Bitte lass mich herausfinden, was noch von mir übrig ist, okay?«

Harper atmete aus. »Okay. Aber bitte sei vorsichtig.«

»Das bin ich immer«, log Gemma, drehte sich auf dem Absatz um und eilte die Treppe hinauf. Sie konnte nicht mehr reden.

Als sie sicher in ihrem Schlafzimmer angekommen war, legte sie sich die Hand auf den Mund und weinte lautlos.

Harper glaubte, Alex sei der Grund, aus dem Gemma in den vergangenen Wochen immer depressiver geworden war, und zum Teil stimmte das auch. Die restlichen Gründe waren die Tatsache, dass ihr Traum, Olympiaschwimmerin zu werden, geplatzt war, dass sie sich damit abfinden musste, eine Mörderin zu sein, und dass ihr gesamtes Leben in Trümmern lag.

Wieder und wieder hatte Gemma sich gefragt, was sie tun würde, wenn sie nur noch wenige Wochen zu leben hätte. Denn sie glaubte nicht, dass ihr noch viel mehr Zeit bleiben würde. Die Sirenen würden sie und Capri bestimmt nicht mehr lange ertragen.

Das Problem war nur, dass sie keine Antwort gefunden hatte. All das, was Gemma am liebsten tun wollte – mit ihren Eltern, Harper und Alex am Strand zu sitzen und in jeder freien Minute zu schwimmen –, war unmöglich.

Sie musste etwas anderes finden. Und bislang war es ihr einziger Lichtblick gewesen, Kirby zu küssen und so zu tun, als wäre alles nicht so schlimm.

ZWEI

Besessen

Der Wind in der Bucht kühlte Daniels nackte, von der Sonne erhitzte Haut, als er die Schmutzige Möwe in den Hafen lenkte. Als das Boot zum Stehen gekommen war, sprang er auf die Mole und vertäute es.

Er hatte das Tau gerade verknotet, als er hinter sich ein Plätschern hörte. Daniel seufzte tief auf. Er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer es war. Inzwischen konnte er beinahe spüren, wenn sie ihn beobachtete.

Daniel war zwar im Gegensatz zu anderen Menschen gegen den Bannzauber der Sirenen immun, aber das bedeutete nicht, dass er sich ihrem Charme vollständig entziehen konnte. Penns Ausstrahlung war stärker als alle vernünftigen Gedanken. Wenn sie in der Nähe war, schien sich die Luft zu verändern und vor Elektrizität zu knistern.

Auf dem Weg von Bernies Insel zum Festland hatte er kurz geglaubt, Penn hinter dem Boot schwimmen zu sehen. Er sah fast jedes Mal, wenn er auf dem Wasser war, neben dem Boot einen Schatten unter der Wasseroberfläche dahingleiten, der möglicherweise Penn in ihrer Fischgestalt war. Ganz sicher war er sich bisher nicht gewesen, aber als Penn plötzlich auf dem Dock auftauchte, sah er sich in seinem Verdacht bestätigt. Sie verfolgte ihn.

»Gutes Schwimmwetter?«, fragte er.

Ein Schulterblick bestätigte ihm, dass Penn nur ihr Bikinioberteil trug, und er schaute schnell wieder nach vorne.

»Man wird dich verhaften, wenn du dich nicht anziehst«, sagte er und stand auf.

Penn kicherte. »Das bezweifle ich. Ich bin noch nie für irgendwas verhaftet worden.«

Aus dem Augenwinkel sah Daniel, wie sie ihre Bikinihose aus ihrem Oberteil zog, wo sie sie zusammengerollt aufbewahrt hatte.

Er kletterte wieder auf sein Boot und schlüpfte in das T-Shirt, das auf dem Deck lag. Als er es über den Kopf zog, hörte er Penn enttäuscht mit der Zunge schnalzen. Daniel ging unter Deck, um seine Schuhe und Socken zu holen. Die kleine Tür fiel hinter ihm ins Schloss.

Seit er auf Bernies Insel wohnte, war das Boot, seine ehemalige Wohnstatt, beinahe leer, aber paradoxerweise machte das die Suche nach seinen Schuhen nicht leichter. Auf der Fahrt waren sie gewandert, und inzwischen war unter seinem Bett so viel Platz, dass er sie schließlich darunter fand.

Er griff schnell nach ihnen und eilte dann an Deck zurück. Er traute Penn nicht und wollte sie im Auge behalten. Als er die Kajütentür aufstieß, prallte er beinahe mit ihr zusammen. Sie stand direkt am Kajüteneingang, von ihrem langen, schwarzen Haar fielen Wassertropfen auf ihre gebräunte Haut und ihre dunklen Augen funkelten.

»Hast du ein Handtuch für mich?«, fragte sie mit samtweicher Stimme.

»Warum bist du auf meinem Boot?«, fragte Daniel zurück. »Ich kann mich nicht erinnern, dich eingeladen zu haben.«

»Ich bin kein Vampir«, sagte Penn mit einem Hauch von Schärfe. »Ich brauche keine Einladung.«

»Ich habe keine Handtücher mehr an Bord«, beantwortete Daniel ihre erste Frage.

Er ging an Deck, und da sie sich nicht bewegte, schob er sich an ihr vorbei. Ihre Haut fühlte sich durch sein T-Shirt heiß an, und als er sie berührte, hörte er sie tief einatmen. Aber das war es nicht, was ihm einen kalten Schauer über den Rücken schickte – es war ihr seltsames Knurren.

Das Geräusch war nicht menschlich und hatte eine urzeitliche Wildheit. Es war leise, und Penn schien es ganz unbewusst von sich gegeben zu haben. Daniels Nackenhaare richteten sich auf.

»Ich weiß immer noch nicht, was ich mit dir machen werde«, gestand Penn seufzend und folgte ihm. »Ein Teil von mir würde dich am liebsten sofort mit Haut und Haaren fressen. Der andere Teil würde viel lieber mit dir ins Bett hüpfen.«

»Warum willst du überhaupt irgendetwas mit mir machen?« Daniel setzte sich auf einen Sitzplatz an Deck und zog seine Schuhe an.

»Ich weiß es nicht«, sagte Penn, und das schien sie zu beunruhigen.

Daniel schaute im grellen Sonnenlicht blinzelnd zu ihr auf. Sie lehnte an der Bank ihm gegenüber, hatte die Beine ausgestreckt, den Kopf auf die Reling gelegt und ihre langen Haare hinter sich ausgebreitet.

»Kennst du den Mythos von Orpheus?«, fragte Penn.

»Nein.« Daniel lehnte sich ebenfalls zurück. »Sollte ich?«

»Er ist eine sehr beliebte Figur der griechischen Mythologie«, sagte Penn. »Bekannt für seine Musikalität und seine Dichtkunst.«

»Sorry. Gedichte interessieren mich nicht«, erwiderte Daniel.

»Mich auch nicht«, sagte Penn achselzuckend. »Und seine habe ich gar nicht gelesen. Während wir zusammen waren, schrieb er kaum. Er hatte seine Musik aufgegeben und den Namen Bastian angenommen. Der ›Mythos‹ besagt, dass er nach dem Tod seiner Frau ebenfalls starb, aber in Wirklichkeit legte er nur seinen Namen ab und gab sein altes Leben auf.«

»Er ist also wie du, richtig?«, fragte Daniel. »Unsterblich oder so was?«

Penn nickte. »Richtig. Aber im Gegensatz zu den Sirenen, die ihre Unsterblichkeit einem Fluch verdanken, bekam er seine als Segen. Die Götter liebten ihn und seine Musik so sehr, dass sie ihm ewiges Leben gewährten.«

»Und warum erzählst du mir von dem Typen?«, fragte Daniel. »Was hat das mit mir zu tun?«

»Wahrscheinlich nichts.« Penn verschränkte die Beine. »Bastian und ich waren uns eine Zeit lang sehr nahe. Er gehörte zu den paar Unsterblichen, die gegen das Lied der Sirenen immun waren. Die Götter und Göttinnen waren alle immun, aber viele andere Unsterbliche – Menschen also, die aufgrund eines Fluchs oder eines Segens ewiges Leben erlangten – waren unserem Gesang ausgeliefert. Bis auf Bastian.« Penn starrte ins Leere. Wehmut huschte über ihr Gesicht, aber sie gewann schnell wieder die Herrschaft über ihre Züge. »Na ja. Ich dachte, du seiest möglicherweise mit ihm verwandt.«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass in meinem Stammbaum kein Unsterblicher auftaucht.« Daniel stand auf. »Okay. War nett, mit dir zu plaudern, Penn, aber ich muss zur Arbeit. Ich habe …«

Bevor er seinen Satz beenden konnte, hatte sie sich mit solcher Kraft auf ihn gestürzt, dass sein Rücken schmerzhaft auf das Deck knallte. Dann sprang sie auf ihn und presste ihm mit den Oberschenkeln die Arme an den Körper. Er konnte sich nicht bewegen.

Penn drückte ihm eine Hand auf die Brust und ihre rasiermesserscharfen Fingernägel gruben sich durch sein T-Shirt in sein Fleisch. Ihre andere Hand lag auf seinem Hals, aber hier war ihre Berührung weich, beinahe zärtlich.

Ihr Gesicht schwebte dicht über seinem, ihre Lippen berührten Daniels beinahe und ihre schwarzen Augen starrten ihn unverwandt an. Sie beugte sich vor und drückte ihren Oberkörper an seinen, sodass sein T-Shirt feucht wurde.

»Ich könnte dir jederzeit das Herz herausreißen«, flüsterte Penn aufreizend und streichelte sanft seine Wange. Ihre Finger kratzten durch seine Bartstoppeln.

»Das könntest du«, stimmte Daniel ihr zu und erwiderte ihren Blick. »Aber du wirst es nicht tun.«

»Irgendwann schon.« Sie musterte ihn einen Moment lang. »Irgendwann.«

»Aber nicht heute?«, fragte Daniel.

»Nein. Nicht heute.«

»Gut. Dann muss ich zur Arbeit.« Er legte ihr die Hände um die Taille, und da sie ihn als Reaktion weder kratzte noch anschrie, hob er sie hoch und setzte sie neben sich ab.

Penn schmollte. »Arbeiten ist doch ätzend.«

»Aber nur so bezahlt man Rechnungen«, sagte Daniel achselzuckend.

Er war inzwischen beim Bootsrand angelangt und wollte gerade die Gangway betreten, als Penns Hand sich um sein Handgelenk schloss. Sie bewegte sich mit übernatürlicher Schnelligkeit, und es fiel ihm schwer, sich daran zu gewöhnen.

»Geh nicht«, sagte Penn, und der flehentliche Ton ihrer Stimme ließ ihn innehalten. Sie kniete auf der Bank neben ihm und in ihren Augen stand eine seltsame Verzweiflung. Schnell blinzelte sie ihre Emotionen fort und schenkte ihm ein unsicheres Lächeln, das wahrscheinlich verführerisch wirken sollte.

»Ich muss«, beharrte er.

»Ich kann dich besser bezahlen«, sagte Penn übertrieben nonchalant.

Aber ihr Griff um sein Handgelenk war noch fester geworden. Schmerzhaft fest sogar, doch Daniel widerstand der Versuchung, sich zu befreien. Er wollte sich keine Blöße vor ihr geben.

»Was sollte ich denn für dich arbeiten?«, fragte er.

»Da würde mir schon was einfallen.« Sie zwinkerte ihm zu.

Daniel verdrehte die Augen und riss sich endlich los. »Ich habe versprochen, die Bühnenbilder für das Theaterstück zu bauen, und ich halte mein Wort. Sie warten schon auf mich.«

»Einen Zaun!«, sagte Penn schnell, als Daniel von Bord ging. Sie blieb an Deck, lehnte sich an die Reling und sah ihn an. »Du könntest einen Zaun um mein Haus herum bauen.«

»Warum brauchst du denn einen Zaun?«, fragte Daniel, der auf dem Dock stand. Es interessierte ihn, ob sie tatsächlich einen Grund hatte.

»Was geht es dich an, wieso ich einen Zaun brauche? Ich brauche eben einen.«

»Ich bin ausgebucht.« Er wandte sich ab.

»Zehn Riesen!«, rief Penn ihm nach. »Ich bezahle dir zehn Riesen dafür, dass du mir einen Zaun baust!«

Daniel schüttelte lachend den Kopf. »Bis die Tage, Penn.«

»Wir sind noch nicht fertig, Daniel!«, brüllte Penn, aber er ging einfach weiter.

DREI

Veränderungen

Hör auf damit«, sagte Marcy, als Harper in der Bibliothek begann, den Einwurfkasten mit den zurückgegebenen Büchern zu leeren.

»Womit?« Harper drehte sich zu ihr um, einen Stapel zerlesener Harry-Potter-Romane in den Armen.

»Mit der Arbeit«, erwiderte Marcy knapp.

Harper verdrehte die Augen. »Edie ist schon seit Wochen wieder da. Inzwischen müsstest du dich eigentlich daran gewöhnt haben«, sagte sie. Aber sie schloss den Kasten und ließ die restlichen Bücher unberührt.

Marcy kniete auf dem Stuhl und beugte sich so weit über die Ausleihtheke, dass sie beinahe darauf lag. Ihre dunklen Augen starrten mit manischer Intensität durch ihre Brillengläser auf die Eingangstür der Bibliothek.

»Ich werde mich nie daran gewöhnen«, behauptete sie.

»Ich verstehe überhaupt nicht, wo das Problem liegt.« Harper legte die Bücher auf dem Tisch ab.

»Beweg dich«, zischte Marcy und wedelte mit der Hand, da Harper ihr offenbar die Sicht verstellte.

»Du weißt schon, dass das alles Glas ist, oder?«, fragte Harper und zeigte auf die Glastür, die sich zwischen zwei Panoramafenstern befand. »Du kannst überall durchsehen. Du brauchst deinen Blick nicht wie einen Laserstrahl auf die Tür zu fokussieren.«

»Pfft«, schnaubte Marcy.

Harper ging dennoch zur Seite, denn es war leichter, einfach den Weg zu räumen, als zu versuchen, Marcy mit logischen Argumenten zu überzeugen. »Sie wird erst in zehn Minuten hier sein. Ich verstehe nicht, warum du dich jetzt schon so aufregst.«

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