Watersong - Wiegenlied - Amanda Hocking - E-Book

Watersong - Wiegenlied E-Book

Amanda Hocking

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Beschreibung

Der Fluch der Sirenen kennt keine Erlösung

Sie sind schön. Sie sind stark. Und gefährlich ... Penn, Lexi und Thea ziehen alle Blicke auf sich – sie aber haben nur Augen für Gemma. Immer tiefer ziehen die geheimnisvollen Fremden Gemma in ihren betörenden Bann. Doch dahinter lauert eine Welt, die faszinierender, abgründiger und tödlicher ist als alles, was Gemma je erlebt hat ...

Gemma hat sich den verführerischen Sirenen angeschlossen – und ist nun selbst eine von ihnen. Verzweifelt wehrt sie sich gegen ihre dunkle Seite, ihren tödlichen Hunger, den Sog des Meeres. Aber je länger sie mit ihren neuen »Schwestern« zusammenlebt, desto schwerer fällt es ihr, dieser faszinierenden, abgründigen Welt zu widerstehen. Als es Harper, Daniel und ihrer großen Liebe Alex gelingt, Gemma aufzuspüren, entscheidet sie sich zur gemeinsamen Flucht. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis Lexi, Thea und Penn sie finden werden. Und wenn Gemma es bis dahin nicht geschafft hat, den Fluch der Sirenen zu brechen, erwartet sie bittere Rache ...

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Seitenzahl: 352

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AMANDAHOCKING

Aus dem Amerikanischenvon Anja Hansen-Schmidtund Violeta Topalova

cbt

ist der Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House

Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform

1. Auflage 2013

© 2013 für die deutschsprachige Ausgabe

cbt Verlag in der Verlagsgruppe

Random House GmbH, München.

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

© 2012 by Amanda Hocking

Die amerikanische Printausgabe erschien 2012

unter dem Titel »Lullaby. A Watersong Novel« bei

St. Martin’s Griffin, New York.

Übersetzung: Anja Hansen-Schmidt und Violeta Topalova

Lektorat: Christina Neiske

Umschlaggestaltung: © Lisa Marie Pompilio;

Mauritius Images/beyond fotomedia/RF; Shutterstock (MustafaNC, mexrix)

he ∙ Herstellung: kw

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-10345-3

www.cbt-jugendbuch.de

EINS

Nachspiel

Harper erwachte, als die Sonne gerade aufging, und blinzelte in das matte orangefarbene Licht, das durch ihre Vorhänge strömte. Einen Moment lang, einen kurzen, wundervollen Moment, hatte sie die Nacht zuvor vergessen, die Nacht, in der ihre kleine Schwester angegriffen worden war, bevor sie sich dann in eine Art Meerjungfrau verwandelt hatte und im Ozean verschwunden war.

Nun kam alles wieder zurück. Harpers Kopf pochte bei der Erinnerung und sie kniff die Augen zusammen.

Nachdem Gemma davongeschwommen und Harper allein an der Mole von Bernies Insel zurückgeblieben war, hatte Daniel sich um Alex gekümmert, der bewusstlos in der Hütte am Boden lag. Harper hatte zwar nicht miterlebt, was mit ihm geschehen war, konnte es sich aber ungefähr vorstellen.

Als sie das Haus auf der Insel erreicht hatten, beugte sich gerade ein schreckliches Vogelmonster über ihn, das Maul voller rasiermesserscharfer Zähne und mit riesigen schwarzen Flügeln am Rücken. Dann hatte es seine Gestalt verändert und sich in eine andere Art von Monster verwandelt– in die wunderschöne Penn.

Harper fiel es selbst schwer, das alles richtig zu begreifen. Nachdem Alex wieder zu sich gekommen war, hatte er felsenfest geglaubt, seine Erinnerungen wären nur ein bizarrer Traum gewesen, verursacht durch einen Schlag auf den Kopf. Doch Harper und Daniel hatten ihm mitteilen müssen, dass das alles wirklich passiert war: Die Monster waren echt und Gemma war verschwunden.

Und als all das vorbei und Harper wieder zu Hause war, musste sie auch noch ihrem Vater erklären, was mit Gemma passiert war, obwohl sie es doch selbst nicht verstand. Natürlich konnte sie ihm nicht die Wahrheit sagen– kein vernünftiger Mensch würde ihr glauben, ohne es selbst gesehen zu haben.

Und so hatte Harper ihrem Vater Brian erzählt, Gemma sei mit Penn und ihren Freundinnen weggelaufen. Das kam der Wahrheit wenigstens ein bisschen nahe, doch selbst das war für ihn nur schwer zu verstehen. Harper hatte den ganzen Vormittag damit verbracht, ihren Vater davon zu überzeugen, dass Gemma nicht mehr nach Hause kommen würde. Das war so ziemlich das Schwerste gewesen, was sie in ihrem Leben jemals hatte tun müssen.

Dabei war ihr bewusst, dass alles noch viel schwieriger werden würde. Sie hatte keine Ahnung, was für Wesen Penn und die anderen Mädchen waren, ganz zu schweigen davon, wie man sie aufhalten oder Gemma zurückholen könnte.

Den ganzen Tag im Bett zu liegen brachte sie der Lösung allerdings auch nicht näher. Harper drehte sich zur Seite und nahm ihr Handy vom Nachttisch. Eigentlich wollte sie nur nach der Uhrzeit schauen, doch dann stellte sie fest, dass sie zwei verpasste Anrufe von einer fremden Nummer hatte. Gemma hatte ihr Handy zurückgelassen– wenn sie also anrief, würde eine unbekannte Nummer angezeigt werden.

Harper rutschte das Herz in die Hose. Sie war so todmüde gewesen, dass sie das Handyklingeln gar nicht gehört hatte. Hastig wählte sie die Nummer ihrer Mobilbox.

»Sie haben eine neue Nachricht«, erklärte ihr die automatische Stimme. Harper fluchte leise. Sollte sie einen Anruf von ihrer Schwester verpasst haben, würde sie sich das nie verzeihen.

»Hi, Harper, Daniel hier«, drang seine tiefe Stimme durch das Handy.

»Daniel«, flüsterte Harper, legte die Hand an die Stirn und lauschte seiner Nachricht.

»Ich habe deine Nummer von dem mürrischen Mädchen in der Bücherei bekommen. Ich wollte mich vergewissern, dass du gut nach Hause gekommen bist, und mal nachfragen, wie es dir geht… Du weißt schon, nach allem, was letzte Nacht passiert ist. Ich habe nach Gemma gesucht, wie ich es dir versprochen habe. Aber als ich vorhin mit dem Boot raus bin, hab ich sie nicht gesehen. Ich werde weiter nach ihr suchen, und wenn ich was finde, melde ich mich. Also, ruf mich bitte später mal zurück.« Er verstummte. »Ich hoffe, dir geht’s einigermaßen.«

Nach seiner Nachricht hielt sie das Handy noch eine Weile gegen das Ohr gedrückt, selbst als die automatische Stimme ihr versicherte, sie habe keine weiteren Nachrichten mehr.

Es war sehr nett von Daniel, anzurufen und sich nach ihr zu erkundigen, aber Harper brachte es nicht über sich, ihn zurückzurufen. Sie musste diese merkwürdige Flirterei zwischen ihnen aus ihrem Kopf verbannen. Wenn er etwas Neues über Gemma erfuhr, würde er es sie wissen lassen, und darüber hinaus durfte sie nichts mit ihm zu tun haben. Gemma kam an erster Stelle. Sie musste sich erst um ihre Schwester kümmern, bevor sie an andere Dinge denken konnte.

Harper hatte in ihren Kleidern geschlafen, die nach Meer und Schweiß rochen. Jetzt nahm sie ein paar frische Klamotten und schlich über den Flur ins Bad, für den Fall, dass ihr Vater zu Hause war. Mittlerweile hatte sie ihm zwar alles über Gemmas Verschwinden erzählt, was sie erzählen konnte, aber Brian würde die Sache trotzdem immer wieder mit ihr durchkauen wollen, bis er es wirklich begriffen hatte.

Sie duschte kurz und zog sich an. Auf dem Rückweg durch den Flur fiel ihr Blick auf Gemmas Tür. Der Anblick des abgedunkelten Zimmers brach ihr das Herz. Harper blieb stehen und fragte sich, ob Gemma wohl jemals wieder hier leben würde.

Sie schluckte den Klumpen in ihrem Hals hinunter und schüttelte energisch den Kopf, um dieses Gefühl zu vertreiben. Natürlich würde ihre Schwester eines Tages wieder hier leben. Harper würde erst aufhören zu suchen, wenn sie Gemma gefunden und zurückgeholt hatte.

Als Harper zu ihrem eigenen Zimmer kam, hätte sie fast aufgeschrien vor Schreck. Auf ihrem Bett saß Alex. Er starrte auf den Boden und wirkte sehr verzweifelt.

»Alex?«, stieß sie hervor, als ihr Herz wieder langsamer schlug. »Was machst du denn hier?«

»Oh, tut mir leid.« Er hob den Kopf und deutete auf die Treppe. »Dein Vater hat mich reingelassen. Ich wollte mit dir reden.«

Sie blickte rasch über ihre Schulter, um sich zu vergewissern, dass Brian nicht im Flur stand und lauschte, dann schloss sie die Zimmertür.

»Was macht mein Dad für einen Eindruck auf dich?«, fragte Harper.

»Ganz okay«, sagte Alex achselzuckend. Er hatte einen tiefen Kratzer an der Stirn, vermutlich von dem Schlag, der ihn letzte Nacht niedergestreckt hatte. »Etwas traurig und verwirrt. Er hat mich nach Gemma gefragt, aber ich habe gesagt, ich wüsste nicht, wo sie ist.«

Sie hatte Alex eigentlich anrufen wollen, damit sie ihre Aussagen über Gemmas Verbleib aufeinander abstimmen konnten. Doch die Wahrheit war nun mal, dass sie nicht wussten, wo sie war, und mehr gab es dazu im Grunde nicht zu sagen.

»Also, was zum Teufel ist letzte Nacht eigentlich passiert?«, fragte Alex ganz direkt.

»Ich habe keine Ahnung.« Harper setzte sich kopfschüttelnd auf ihren Schreibtischstuhl. »Ich weiß nicht mal, was das für… für Monster waren.«

»Ich erinnere mich kaum noch daran, wie sie aussahen.« Er überlegte mit gerunzelter Stirn. »Die letzte Nacht ist voll von seltsamen verschwommenen Bildern, die ich nicht kapiere.«

»Das liegt vermutlich daran, dass du dir den Kopf gestoßen hast«, meinte Harper.

Alex dachte nach und erwiderte dann: »Nein, das glaube ich nicht. Ich kann mich an alles genau erinnern, bis wir zu der Schmugglerbucht kamen und dieses Lied anfing.«

Das Lied! Harper hatte es völlig vergessen. Sie versuchte, es sich in Erinnerung zu rufen, aber die Worte fielen ihr nicht mehr ein. Nur die Melodie zog wieder durch ihren Kopf wie ein halb vergessener Traum.

Auch sie konnte sich an einige Momente in der Schmugglerbucht nicht mehr erinnern. Die Ereignisse waren wie in einen Dunstschleier gehüllt, sie konnte sich nur an eine tiefe Sehnsucht entsinnen und daran, von diesem geisterhaften Lied gerufen zu werden. Daniel hatte sie davon abgehalten, sich wie Alex in die Fluten zu stürzen– mehr wusste sie nicht mehr. Ihre Erinnerung setzte erst wieder ein, als sie wieder auf dem Boot war.

»Bist du zu der Insel geschwommen?«, fragte Harper. Im gleichen Moment wusste sie, dass es so gewesen sein musste.

»Ich glaube schon.« Er schüttelte wieder den Kopf. »Ich erinnere mich nicht genau. Da war dieses Lied, dann bin ich durchs Meer geschwommen, und plötzlich war ich auf der Insel. Da waren diese hübschen Mädchen und… und Gemma. Sie hat mich geküsst…« Er schluckte schwer.

»Erinnerst du dich an das Wesen, diesen Vogel?«, fragte Harper.

»War es das?«, erwiderte Alex. »Ein riesiger Vogel?«

»Eher ein Vogelmonster«, versuchte Harper zu erklären. »Und dann hat es sich langsam in Penn verwandelt.«

»Sind diese hübschen Mädchen so was wie Gestaltwandler?«, fragte Alex. »Sie haben sich doch auch in Fische verwandelt, oder? Sind Gemma und die Mädchen nicht zu Fischen geworden und davongeschwommen?«

»Zu Meerjungfrauen«, klärte Harper ihn auf.

»Das ist doch total verrückt«, murmelte Alex, wie zu sich selbst, dann richteten sich seine braunen Augen mit ernstem Blick auf sie. »Die Frage ist blöd, ich weiß, aber ich muss sie trotzdem stellen. Gemma war nicht etwa schon immer eine… eine Meerjungfrau, oder? Ich meine, das ist nicht so eine Art Familienfluch wie in Teenwolf?«

»Nein.« Harper musste trotz allem lächeln. »Nein. In unserer Familie hat es noch nie Meerjungfrauen oder sonstige Fabelwesen gegeben.«

»Okay. Gut«, sagte Alex, dann besann er sich und schüttelte den Kopf. »Na ja, nicht wirklich. Wenn du wüsstest, was das für Biester sind, könnten wir besser mit ihnen fertigwerden.«

»Das stimmt.«

»Du hast also keine Ahnung, was Gemma oder Penn und die Mädchen sein könnten?«, fragte Alex.

»Nein«, gab Harper voller Bedauern zu.

»Und du weißt auch nicht, wo sie jetzt sind?«

»Nein.«

»Hmm. Wie sollen wir sie dann zurückholen?«, fragte Alex.

»Na ja…« Harper holte tief Luft. »Wir finden heraus, was sie sind und wie wir sie aufhalten können. Und dann suchen wir sie und holen Gemma nach Hause.«

ZWEI

Metamorphosen

Marcy redete schon eine ganze Weile, doch Harper hatte ihr nicht zugehört. Sie saß an ihrem Schreibtisch, starrte ins Leere und überlegte, was sie nun tun sollte.

Bevor Alex am Abend zuvor gegangen war, hatten sie vereinbart, ganz normal mit ihrem Alltag weiterzumachen, bis sie Gemma gefunden hatten. Das bedeutete auch, zur Arbeit zu gehen, obwohl Harper lieber zu Hause geblieben wäre, um das Internet nach Hinweisen zu durchsuchen, in was für ein rätselhaftes Wesen Gemma sich verwandelt haben könnte.

Sie hatte bereits viel Zeit auf Internetseiten verbracht, die behaupteten, Experten für Bigfoot und Chupacabras zu sein, aber niemand hatte je von einem bizarren Vogelmonster gehört, das sich gleichzeitig in eine Meerjungfrau und in ein wunderschönes Mädchen verwandeln konnte.

Spät am Abend beim Einschlafen hatte Harper beinahe schon selbst geglaubt, die ganze Sache nur erfunden zu haben. Bestimmt war es eine durch zu viel Stress hervorgerufene Halluzination gewesen. Das schien die einzige logische Erklärung für das, was sie gesehen hatte.

»Und ich dann so: Du kannst aus einem Basset aber keinen Pelzmantel machen«, plapperte Marcy gerade, als Harper sich wieder auf sie konzentrierte. »Schließlich bin ich nicht Cruella De Vil!«

»Nein, ganz sicher nicht«, erwiderte Harper abwesend.

Marcy schaute sie spöttisch über ihr dunkles Brillengestell hinweg an. »Du hast kein Wort von dem gehört, was ich gesagt habe, stimmt’s, Harper?«

»Dass du nicht Cruella De Vil bist.« Harper rang sich ein Lächeln ab.

Marcy verdrehte die Augen. »Zufallstreffer.«

»Wieso Zufall?«

Die Eingangstür der Bücherei schwang mit einem Glockenläuten auf. Harper wandte den Blick von Marcys beleidigtem Gesicht ab und sah Alex zum Ausleihschalter kommen. Er grinste breit, eine gewaltige Veränderung zu seiner düsteren Miene am gestrigen Abend.

»Hast du was von ihr gehört?«, platzte Harper heraus und unterbrach damit Marcy, die wieder von Bassets sprach, mitten im Satz.

»Nein.« Sein Lächeln flackerte. Er legte die Arme auf den Schalter vor ihr. »Aber ich habe gute Neuigkeiten.«

»Ehrlich?« Harper beugte sich vor.

»Ich weiß es jetzt.« Nun lächelte er wieder so breit wie vorher. »Es sind Sirenen.«

»Sirenen?« Harper verzog verwirrt das Gesicht. »Wie Polizeisirenen?«

»Geht es um Gemma?«, fragte Marcy und schaffte es tatsächlich, ausnahmsweise mal besorgt zu klingen. »Hat die Polizei sie gefunden?«

»Nein«, antwortete Alex. »Wo ist eure Abteilung über Sagen und Mythen?«

»Mythen?«, wiederholte Harper, während er schon einen Schritt vom Schalter zurücktrat.

»Ja, griechische Mythologie und so«, erklärte er.

»Drüben in der Ecke, hinter den Kinderbüchern«, erwiderte Harper und deutete auf die andere Seite der Bücherei.

»Super.« Er lächelte noch breiter. Bevor sie weiterfragen konnte, eilte er schon in die Richtung davon, die sie ihm gezeigt hatte.

»Alex«, rief Harper und stand auf, aber er ging unbeirrt weiter und verschwand zwischen den Bücherregalen. »Marcy, kannst du mal kurz übernehmen? Ich muss nachsehen, was er da treibt.«

»Äh, ja, klar«, sagte Marcy und klang ähnlich verwirrt wie Harper. »Wenn es um Gemma geht, lass dir ruhig Zeit. Aber ich habe keine Ahnung, was die klassischen Sagen des Altertums mit ihrem Weglaufen zu tun haben könnten.«

»Ich auch nicht«, murmelte Harper und folgte Alex in den hinteren Bereich der Bücherei.

Sie fand ihn mitten in der Sagen- und Mythenabteilung, wo er eine Ausgabe von Ovids Metamorphosen durchblätterte. Mittlerweile hatte sie begriffen, was er mit Sirenen meinte, aber die Puzzleteile wollten trotzdem nicht zusammenpassen.

»Du glaubst also, sie sind Sirenen?«, fragte Harper skeptisch.

»Ich weiß es«, erwiderte Alex, ohne aufzublicken.

»Aber das klingt doch total verrückt.«

»Jetzt überleg doch mal.« Er sah sie an. »Dieses seltsame Lied! Dafür sind Sirenen doch bekannt. Ganz abgesehen von der Meerjungfrauengestalt.«

»Das mag schon sein«, räumte Harper ein. »Aber was ist mit dem Vogelmonster?«

»Es sind trotzdem Sirenen.« Er blätterte eine Seite in dem Buch um und überflog sie hastig. Dann lächelte er wieder und hielt ihr das Buch hin. »Lies selbst.«

»Was denn?«, fragte Harper verwirrt, und Alex tippte auf einen Abschnitt.

Laut begann sie zu lesen: »Woher habt ihr, acheloische Mädchen, Füße wie Vögel und Flaum, da ihr tragt ein jungfräuliches Antlitz?«

»Siehst du?«, sagte Alex fast vergnügt.

»Vielleicht erinnerst du dich nicht mehr, aber Penns Gesicht war nicht gerade jungfräulich, als sie sich in dieses Vogeldings verwandelt hat«, wandte Harper ein.

»Das ist natürlich keine akkurate Beschreibung«, erklärte Alex unbeirrt. »In manchen Büchern steht, es gibt nur zwei Sirenen, andere berichten von vier. Einige beschreiben sie als Meerjungfrauen, andere als Vögel. Kein Buch weiß es genau, aber vielleicht liegt das ja auch daran, dass sie ihre Gestalt verändern.«

Harpers Augen wurden schmal, sie überlegte. »Was meinst du damit?«

»Vielleicht hat Ovid sie als Vögel gesehen.« Alex deutete auf das Buch in Harpers Hand. »Aber andere sahen sie als Meerjungfrauen. Die Mädchen können ihre Gestalt verändern, wie du gesehen hast. Die einzige Konstante ist ihr Lied. Und von dem wissen wir ganz genau, dass es existiert.«

Harper biss sich auf die Lippe und starrte auf das Buch in ihren Händen. Was Alex sagte, klang logisch. Sofern irgendwas an dieser Sache logisch klingen konnte.

»Aber das ist eine Sage, Alex«, wandte Harper ein und gab ihm kopfschüttelnd das Buch zurück. »Das ist alles nur erfunden.«

Er stöhnte. »Ach, komm schon, Harper. Du hast es doch auch gesehen. Das war echt und das weißt du!«

»Na gut.« Harper verschränkte die Arme vor der Brust. »Sagen wir, du hast recht. Was wir gesehen haben, waren wirklich… Sirenen. Ist dann Gemma eine von ihnen? Und wie wurde sie dazu?«

»Ich weiß es nicht. Vieles von dem, was ich gelesen habe, ist total widersprüchlich. Ich habe die ganze Nacht im Internet recherchiert, aber ich hatte gehofft, in den Büchern hier konkretere Infos zu finden.« Alex deutete auf das Regal hinter sich.

»Und wie sind die Sirenen überhaupt zu Sirenen geworden?«, fragte Harper.

»Soweit ich herausgefunden habe, hatte es damit zu tun, dass sie eine Göttin verärgert haben.« Alex wandte sich wieder den Büchern zu und fuhr mit dem Finger die Buchrücken entlang, auf der Suche nach einem bestimmten Titel.

»Wonach suchst du?«, fragte Harper und trat näher, um ihm zu helfen.

»Ich habe im Internet einen Ausschnitt aus einem Buch gelesen. Ich glaube, es hieß… Argonautica oder so ähnlich.«

»Hier.« Harper griff an ihm vorbei und holte ein abgenutztes Exemplar aus dem obersten Regalfach.

Sie selbst nahm sich eine Enzyklopädie über griechische Mythologie und zog dann noch alle anderen Bücher heraus, die möglicherweise Informationen über Sirenen enthalten könnten, darunter auch eines mit dem Titel Mythologie für Dummies.

Sämtliche Bände reichte sie Alex. Sobald er einen kleinen Stapel im Arm hielt, kauerte er sich zwischen den Regalen auf den Boden und breitete die Bücher um sich herum aus.

»Da drüben gibt’s auch Tische«, sagte Harper zu ihm. »Und sogar ein altes Sofa.«

»Es geht schon«, murmelte Alex und blätterte bereits drauflos.

Mit einem Achselzucken setzte sich Harper ihm gegenüber.

»Na gut.« Sie legte die Arme auf die Knie und beugte sich vor. »Erzähl mal, was du schon alles weißt.«

»Ich weiß nicht, inwieweit man überhaupt von ›wissen‹ sprechen kann, weil es offenbar eine Menge falscher Informationen gibt«, fing Alex an.

»Du meinst also, sie wurden in Sirenen verwandelt, weil sie die Götter verärgert haben?«, fragte Harper, und er nickte. »Aber Gemma hat ganz bestimmt keine Götter verärgert.« Da kam ihr ein Gedanke und sie schüttelte den Kopf. »Wenigstens glaube ich das nicht.«

»Ich auch nicht«, stimmte Alex zu. »Dann ist sie vielleicht doch keine Sirene.«

Harper dachte wieder an jene Nacht zurück, als Gemma im blassrosa Licht der Morgendämmerung im Meer verschwunden war. Selbst da war ihre Schwanzflosse eindeutig zu sehen gewesen. Gemma hatte definitiv die Gestalt einer Meerjungfrau gehabt.

»Doch, sie ist eine«, stellte Harper entschieden fest. »Aber es ist mir völlig egal, warum oder wie sie eine Sirene geworden ist. Ich muss nur wissen, wie ich sie wieder zurückbekomme.«

»Das ist ja das Knifflige an der Sache.« Alex verzog das Gesicht. »Ich habe nirgends auch nur einen Satz darüber gelesen, wie sich der Fluch wieder rückgängig machen lässt. Nur, wie man sie tötet.«

»Na ja, Gemma wollen wir natürlich nicht töten, aber ich hätte nichts dagegen, mir diese Schlampen mal vorzuknöpfen«, meinte Harper und war ein wenig überrascht über den Rachedurst in ihrer Stimme. »Aber wie?«

»Ich weiß nicht genau. Anscheinend sind die Sirenen zum Sterben verdammt, wenn jemand ihr Lied hört und ihm entkommt«, erklärte Alex ratlos.

»Aber du hast das Lied gehört und ich auch und wir sind entkommen«, gab Harper zu bedenken. »Und sie sind trotzdem nicht gestorben.«

»Das ist das Einzige, was ich bis jetzt darüber gelesen habe«, sagte Alex. »Aber nach dem, was in Homers Odyssee steht, müssten die Sirenen längst tot sein.«

»Na toll«, murmelte Harper. »Das heißt, du weißt im Grunde auch nicht mehr als ich.«

»Wahrscheinlich nicht«, räumte er ein. »Aber wenigstens habe ich herausbekommen, was die Mädchen für Wesen sind.«

»Gut, das ist immerhin ein Anfang«, gab Harper widerwillig zu und hob ein Buch vom Boden auf.

Mangels eines besseren Plans beschlossen Harper und Alex, alles über Sirenen zu sammeln, was sie finden konnten. Während sie die Bücher durchblätterten, sprachen die beiden kaum miteinander. Sie waren zu sehr darauf konzentriert, herauszukriegen, wie sie Gemma retten konnten.

Harper wusste nicht, wie lange sie schon da saßen und lasen, aber irgendwann waren ihre Beine eingeschlafen und sie musste eine andere Sitzhaltung einnehmen. Sie lehnte sich mit dem Rücken an ein Bücherregal, die Argonautica aufgeschlagen auf den Knien. Auch Alex hatte sich bewegt, vermutlich aus dem gleichen Grund. Er lag nun auf dem Bauch, ein offenes Buch vor sich. Seine Finger waren in seinem dunklen Haar vergraben und sein hübsches Gesicht war starr vor Konzentration.

Harper schaute von ihrem Buch auf und ihr Blick fiel auf ihn. Sein andächtiger Gesichtsausdruck rührte sie. Seine Sorge um Gemma schien beinahe so groß wie ihre, und schon das bewirkte, dass sie sich etwas besser fühlte. Sie musste das nicht alleine durchstehen.

»Was macht ihr da?«, fragte Marcy. Sie war am Ende der Regalreihe aufgetaucht, die Arme vor der Brust verschränkt.

»Äh…« Harper warf Alex einen Hilfe suchenden Blick zu, doch dieser wusste darauf ebenso wenig eine Antwort wie sie.

»Hast du vor, heute auch noch etwas zu arbeiten?«, wollte Marcy wissen. »Oder willst du dich den ganzen Tag hier hinten verkriechen?«

»Na ja…« Harper setzte sich aufrechter hin. Eigentlich hätte sie wirklich arbeiten müssen, aber sie wollte ihre Suche nicht aufgeben. Das hier war wichtiger, als Mahnungen für überfällige Bücher zu verschicken.

»Wenn du dich nicht in der Lage fühlst zu arbeiten, weil Gemma weggelaufen ist oder so, dann könntest du es auch einfach sagen«, fuhr Marcy fort. »Du brauchst dich nicht unter einem Vorwand wegzuschleichen.«

»Das haben wir doch gar nicht«, entgegnete Harper eilig.

Marcys Augen wurden schmal; offenbar klangen Harpers Worte glaubwürdig. »Was macht ihr dann?«

»Wir… ähm…« Harper schaute wieder zu Alex, der hastig eine Erklärung lieferte.

»Wir, äh, wir lesen… Bücher«, antwortete er lahm.

Harper schaute ihn an, als hielte sie ihn für einen Idioten, worauf Alex nur schulterzuckend den Kopf schüttelte.

»Und was lest ihr da?«, beharrte Marcy. Als keiner von beiden antwortete, bückte sie sich und hob das Buch auf, das vor ihren Füßen lag. Zufällig lautete der Titel: Sirenen– Mägde des Meeres.

»Meintest du das mit Sirenen?«

»Ähm, ja«, antwortete Alex.

»Diese wunderschönen unheimlichen Mädchen«, sagte Marcy, die die Puzzlestücke rasch zusammengefügt hatte. »Ihr glaubt also, sie sind Sirenen?«

»Na ja…« Harper schluckte und beschloss dann, ehrlich zu antworten. »Sozusagen. Ja.«

»Und sie haben Gemma entführt oder zumindest mit ihrem Verschwinden zu tun?«

»Ja«, gab Alex zu. »Das glauben wir.«

Marcy dachte einen Augenblick darüber nach, nickte dann, als fände sie das völlig logisch, und setzte sich zu ihnen auf den Boden. »Und habt ihr schon herausgefunden, wie ihr Gemma zurückholen könnt?«, fragte sie.

»Noch nicht«, sagte Harper vorsichtig. »Wir suchen noch.«

Marcy hielt das Sirenenbuch in die Höhe. »Habt ihr das schon gelesen oder soll ich es mal durchsehen?«

»Wenn du magst.« Harper wusste nicht recht, was sie von Marcys Bereitschaft, an diese abstruse Idee zu glauben, halten sollte.

»Ja, das wäre toll«, schaltete sich Alex ein, mit deutlich mehr Begeisterung in der Stimme. »Wir müssen verdammt viele Bücher durchschauen.«

»Cool«, sagte Marcy, schlug das Buch auf und vertiefte sich darin.

Harper wechselte einen Blick mit Alex, doch der zuckte lediglich mit den Schultern und las dann in seinem eigenen Buch weiter. Harper wollte die Sache jedoch nicht einfach auf sich beruhen lassen. Sie selbst hatte die Monster mit eigenen Augen gesehen, und trotzdem fiel es ihr schwer, an sie zu glauben. Marcy hingegen schien dieser Theorie ohne jeden Beweis zu vertrauen.

»Heißt das… du glaubst an Sirenen?« Harper schüttelte den Kopf, unsicher, wie sie es ausdrücken sollte. »Du glaubst an Sirenen, einfach so?«

»Keine Ahnung«, sagte Marcy achselzuckend. »Aber ihr glaubt daran. Und da ich weiß, dass ihr beide nicht verrückt seid, muss wohl was Wahres dran sein. Außerdem habe ich gleich gewusst, dass an diesen Mädchen was faul ist, und die Beschreibung der Sirenen passt wirklich perfekt auf sie.«

»Oh.« Harper lächelte sie matt an. »Danke für deine Hilfe.«

»Gerne.« Marcy lächelte zurück und rückte ihre Brille zurecht. »Mein Onkel hat mal das Ungeheuer von Loch Ness gesehen. Deshalb bin ich für solche Sachen wahrscheinlich ein bisschen offener als du.«

Erstaunt schüttelte Harper den Kopf. »Okay.«

»Nicht, dass ich eure Hilfe nicht zu schätzen wüsste«, meinte Alex plötzlich, »aber sollte nicht eine von euch vorne an der Ausleihe sein, falls jemand Hilfe braucht?«

»Es gibt eine Klingel«, erklärte Marcy. »Und das hier ist wichtiger, findet ihr nicht?«

Normalerweise nahm Harper ihre Arbeit sehr ernst, aber in diesem Fall hatte Marcy recht. Außerdem war in Harper der schlimme Verdacht aufgekommen, dass sie sich beeilen mussten, wenn sie Gemma helfen wollten. Es könnte schon bald zu spät sein.

DREI

Enthüllungen

Obwohl die drei den gesamten Tag damit verbrachten, Sagenbücher zu durchforsten, fanden sie nichts darüber heraus, wie sie Gemma helfen konnten. Doch als Harper später nach Hause kam, ging es ihr zum ersten Mal seit der Nacht, in der Gemma verschwunden war, wieder besser.

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