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Was steht eigentlich in den biblischen Weihnachtsgeschichten, die uns Matthäus und Lukas überliefern? Beide wollen uns zu Beginn ihres Evangeliums einen ersten Eindruck der Person Jesus vermitteln. Aber der ist uns weitgehend abhandengekommen. Denn unsere Kultur hat die Weihnachtszeit auf ein Geschenksorgien-und Lichterfest mit zusätzlichen Feiertagen reduziert, und auch für bekennende Christen besteht der Geburtstag ihres Erlösers im Wesentlichen nur noch aus besinnlich-emotionaler Krippenfigurenromantik. Das entspricht mit Sicherheit nicht der Intension der ursprünglichen Weihnachtsberichte. Also: Was steht denn nun tatsächlich über das Kommen des Christus in der Bibel?
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Seitenzahl: 129
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Stefan Michaeli ist Theologe und war Gemeindepastor in mehreren freikirchlichen Gemeinden im südlichen Deutschland. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Er publiziert zum Selbstschutz unter einem Künstlernamen.
Der Autor steht gerne für Predigten, Referate, Schulungen oder Autorenlesungen zur Verfügung. Gerne kann mit dem Autor Kontakt aufgenommen werden unter: [email protected] oder über seine Webseite: stefanmichaeli.weebly.com. Über die Webseite können auch weitere Bücher des Autors bestellt werden.
Von Stefan Michaeli liegen bisher vor:
»Erbärmliche Gemeinden« (2005/2020)
»Sterbefall Gemeinde« (2020)
»Hundertachtzig Grad verkehrt« (2020)
»Jesus provoziert!« (2021)
»Weihnachten, wie’s im Buche steht« (2023)
„Euch ist heute ein Befreier geboren!“
Ein Engel zu einer Gruppe völlig überraschter Hirten vor rund zweitausend Jahren (Lukas 2,11)
Kulturweihnachten
Zwei Erzählungen
Probleme
Durchblick
Weihnachten heute
Anhang:
Die Weihnachtsgeschichte nach Matthäus
Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas
Diese Auslegung erhebt nicht den Anspruch auf eine umfassende und ausgewogene Darstellung des weihnächtlichen Geschehens, sondern legt bewusst den Schwerpunkt auf diejenigen Inhalte der biblischen Weihnachtsüberlieferung, die wir hierzulande verdrängt beziehungsweise sogar verloren haben.
Über die Bedeutung der Messias-Ankunft für Israel und die Heidenvölker, über die Textbezüge zum Alten Testament und die Erfüllung alttestamentlicher Verheißungen, über den geistlichen Gehalt der verschiedenen Lobpreisungen sowie über die zeitgeschichtlichen Weihnachts-Hintergründe informieren längst eine Fülle von empfehlenswerten Bibelkommentaren.
Der Autor verzichtet in diesem Booklet bewusst darauf, diese bereits ausführlich erläuterten und für Interessierte weitgehend bekannten Aspekte von Weihnachten erneut zu wiederholen.
Weihnachten hat sich verselbständigt. Unsere Kultur hat daraus ein jährlich wiederkehrendes Emotionalitätsspektakel für die gesamte Bevölkerung gemacht, dessen Ursprung und ehemalige Bedeutung zumeist nur noch Eingeweihte kennen: Wir, die frommen Christen.
Einer davon, ein bekannter und beliebter Kinder-Entertainer, hat es vor einigen Jahren auf diesen markanten Nenner gebracht: „Weihnachten ist Party für Jesus!“ Dieser Spruch und das Kinderlied dazu machen seither unaufhaltsam die Runde unter den Gläubigen hierzulande. Und diese Weihnachtsdefinition passt wie die Faust aufs Auge.
Ein erfolgreicher Entertainer für Kinder ist selbstverständlich ein Profi in Bezug auf Entertainment. Da sich unsere Art, Weihnachten zu feiern, inzwischen tatsächlich zum Entertainment entwickelt hat, bringt es logischerweise also nun ein Unterhaltungsprofi passend auf den Punkt.
Nicht nur für die Kinder. Zwar hat er Weihnachten mit seinem Spruch griffig auf Kinderniveau transferiert. Und es war bestimmt auch irgendwie spaßig gemeint. Aber der Spruch macht wohl deshalb die Runde unter den Frommen, weil er nicht nur die Kinder, sondern uns alle abbildet: Mehr als „Party für Jesus“ haben weitestgehend auch wir bekennenden, jesusgläubigen Christen an Weihnachten nicht mehr auf dem Schirm.
Wie sollten wir auch? Weihnachtszeit ist Party für alle. Ein Entertainment, ein Unterhaltungsprogramm, eine mehrwöchige Dauerveranstaltung von atmosphärischer Dichte und alles vereinnahmendem Stimmungszwang, dem sich keiner entziehen kann. Advent mit Kulminationspunkt Weihnachten: Die ganze Bevölkerung, alle machen mit. Wir Frommen auch. Denn wir sind nun mal Teil dieser Kultur, die die Weihnachtszeit zum Kulturerbe, ja fast schon zum Kulturzwang erhoben hat.
Und wir machen gerne mit. Umso mehr wir ja den wahren Grund des Feierns, dessen Ursprung, kennen. Die ganze flächendeckende Advents- und Weihnachtsorgie mit ihren besinnlich getrimmten Stimmungsveredlern und ihren romantischen Emotionalitätsverstärkern, die gesamte optische und akustische Reizüberflutung ist eben nicht nur „irgendein“ gigantisches Entertainment, nicht nur „irgendein“ wochenlanges Mega-Event, sondern eben eine ganz spezielle Party: Die „Party für Jesus“!
Wir christlich orientierten und fromm Geprägten wissen das. Deshalb sagen wir: Es ist gerade richtig, dass wir den Geburtstag von Jesus so ausgiebig feiern! Denn er ist ja immerhin unser „Erlöser“! Also: Alle feiern, und wir feiern selbstverständlich mit! Es ist ja auch unsere Party! Genau besehen sogar erst recht „unsere“ Party, denn wir wissen sogar - im Gegensatz zur Mehrheit hierzulande - warum wir diese Party feiern!
Wissen wir das wirklich?
Nun, in der Theorie schon. An Weihnachten feiern wir die Geburt Jesu. Wir feiern, dass Gott sich in Form seines Sohnes aufgemacht hat, seinen herrlichen Himmel zu verlassen und mitten hinein in unsere Welt zu kommen, „einer von uns“ zu werden. Ziel der Aktion: Rettung von uns Menschen. Diese Rettungsaktion startet mit Weihnachten. Weihnachten ist der Augenblick, wo der Retter Jesus tatsächlich in unsere Sphäre, in den Bereich des Irdischen und Weltlichen, eintritt. In unsere Welt eben.
Die Geburtsfeier unseres Herrn Jesus Christus ist gleichzeitig die Feier des Eintreffens des Gottessohns bei uns Menschen. Und wir feiern damit insbesondere den Startschuss zu unserer Errettung, weil diese Errettung eben nicht durch ein System oder durch eine Philosophie oder durch eine „zu glaubende Wahrheit“ vollzogen wird und auch nicht mit edler Gesinnung und ethisch hochwertigen Taten erworben werden kann, sondern ausschließlich durch eine Person geschieht: Durch Jesus höchstpersönlich. Er kommt zu uns in diese Welt, ermöglicht hier durch sein Sterben am Kreuz unsere Errettung und bietet sie uns nach seiner Auferstehung an: Errettet wird ausschließlich derjenige, der diesem Gottessohn sein Leben anvertraut.
So hat es Gott bestimmt, genau so funktioniert sein Rettungsplan. Und diese ganze göttliche Rettungsaktion startet eben mit der Ankunft von Jesus, seinem Sohn, in dieser Welt. Also mit Weihnachten.
Das ist die Theorie. Die kennen wir zwar durchaus, aber gerade zu Weihnachten gerät sie stark in den Hintergrund. Im Vordergrund steht dann nicht mehr die Geburt Jesu, unseres Erlösers, sondern vielmehr romantische Stimmung, harmonisches Familientreffen, ausgiebiges Tafeln und gegenseitiges Geschenkeaustauschen. Denn in dieser Kultur leben wir. Auch als jesusgläubige Christen. Und die Kultur prägt uns! Auch die Weihnachtskultur hierzulande.
Unsere alles vereinnahmende Weihnachtskultur, die exzessive Art des Feierns, der unentrinnbare Dezember-Trubel mit permanentem und wochenlangem Advents- und Weihnachtsentertainment, der jährlich über uns hereinbricht, überdeckt und durchdringt alles. Auch unsere eigentlich vorhandene Erkenntnis oder zumindest Überzeugung, zu wissen, was wir tatsächlich feiern. Dieses Wissen gerät unweigerlich ins Abseits, wenn nicht sogar total unter die Räder. Es wird sozusagen zermalmt im Räderwerk der Weihnachtsmaschinerie.
Das alles ist nun allerdings keine neue Erkenntnis, sondern wir wissen es längst und haben durchaus kapiert, dass Weihnachten, so wie wir es feiern, auch seine geistliche Schattenseite hat. Wir Christen finden es zwar ganz toll, dass Weihnachten in unserer Kultur einen so hohen „Feier-Wert“ hat; weniger toll finden wir jedoch manche Auswüchse, die die Art unseres Weihnachtfeierns zeitigt. Und gar nicht toll empfinden wir es, dass wir selbst dadurch fast jedes Jahr unweigerlich das Eigentliche von Weihnachten ziemlich aus dem Blick und aus dem Sinn verlieren.
Letzteres Bedauern wir dann auch pflichtgemäß, tappen aber jedes Mal wieder in dieselbe Falle. Weihnachten in der Art, wie wir es hierzulande feiern, ist einfach zu verführerisch und zu anziehend, als dass wir uns der allgemeinen Advents- und Weihnachtstimmung entziehen könnten. Wir feiern deshalb mit, und gerne gleich mit allem, was dazugehört.
Wir sind eben auch als Christen Kinder unserer Kultur und betrachten, genauso wie alle Welt, Weihnachten alljährlich durch unsere rührselig verklärte Weihnachtsbrille: Lebkuchenduft, schummriges Kerzenlicht und „Jingle-Bells“-Gedudel im Hintergrund. Das gehört einfach dazu!
Und momentan erleben wir sogar noch eine kleine weihnachtsromantische Revolution: Die metamorphose Schwerpunktverschiebung hin zur Lichterorgie. Nicht nur unsere Innenstädte und Häuserfassaden werden inzwischen flächendeckend illuminiert, sondern auch der kulturrelevant unverzichtbare Christbaum in unseren Wohnzimmern mutierte innerhalb weniger Jahre zur Lichtersäule: Statt mit einem Dutzend flackernder Kerzen bestückt erstrahlen unsere Bäume sei kurzem mit hunderten, wenn nicht sogar tausenden von kleinen Lämpchen! LED-Technik sei Dank!
Zusätzlicher Aufwind also in unseren kulturgesteuerten Romantikbemühungen, eine neue Stufe der Stimmungshebung wird erklommen: Lichterglanz in Orgienfülle als ultimativ angesagter Weihnachtskick mit garantierter Wohlfühlsteigerung!
Das ist unser alljährliches Weihnachtserleben. Das ist das, wie unsere Welt jeweils Jesu Geburtstag begeht. Und wir Christen mittendrin. Wir, die wir wissen: Es geht dabei ja eigentlich um die Tatsache, dass Gott höchstpersönlich in unsere Welt hineinkam. Und das feiern wir.
Als „Party für Jesus“.
***
Natürlich freuen wir uns als Christen, dass Weihnachten einen solchen Stellenwert besitzt und so breit gefeiert wird in unserer Kultur. Natürlich betonen wir, dass dies immerhin noch dasjenige Fest im Kirchenjahr ist, zu dem sich Hinz und Kunz doch noch einmal aufmachen und zum Festgottesdienst in die Kirche pilgern! Evangelistisch Gesinnte versuchen sogar, über die allgemeine Wohlfühl-Weihnachtshysterie hinausgehend mit Menschen über den „wahren Sinn von Weihnachten“ ins Gespräch zu kommen. Leider zumeist erfolglos, denn die Menschen um uns her haben halt besagte „Wohlfühl- und Harmonie-Weihnachtsbrille“ auf und sind ausschließlich in Feierlaune. Genauso wie wir Frommen ja eigentlich auch. Und deshalb sind sie natürlich nicht in der Stimmung, sich über den Ursprung des Feierns grundsätzliche Gedanken zu machen, zu echter innerer Besinnung zu gelangen oder gar eine weltanschauliche Problematik mit persönlicher Relevanz zu bedenken.
Missionarisch erleben wir deshalb jede Weihnacht dasselbe Desaster: Null Erfolg. Logisch. Denn uns selbst geht es im Prinzip doch genauso: Wenn wir „weihnächtlich eingestimmt“ sind, dann sind wir gepolt auf Lebkuchen, Musikberieselung, Lichtergirlanden, Familienfestessen und allenfalls noch etwas gemütliche Besinnlichkeit. Genauso wie alle um uns rum. Die Weihnachtszeit ist deshalb ausgesprochen ungeeignet für eventuelle evangelistische Bemühungen.
Und genauso scheitern dann fast immer auch unsere Anstrengungen, wenigstens uns selbst inmitten allen Trubels ernsthaft auf „das Eigentliche“ zu besinnen. Weil wir es partout nicht schaffen, unsere romantisch verklärte Weihnachtsbrille beiseite zu legen. Auch für die allermeisten Frommen funkelt der Stern verheißungsvoll über einem gerade durch seine bewusst kärgliche Ausstattung ausgesprochen romantisch wirkenden Stall; das strohbedeckte Innere wirkt auch auf uns gemütlich und warm; in einer Ecke äsen friedlich Ochs und Esel und im Zentrum blicken Maria und Josef milde lächelnd auf das in der Krippe fröhlich zappelnde Baby. Dann öffnet sich die Stalltür und eine Schar Hirten drängelt sauber, gepflegt und neugierig inmitten ihrer wollenen Schäfchenschar zur Tür herein, gefolgt von drei edlen Weisen, die in orientalischem Habitus dem frischgebackenen Elternpaar ihre Aufwartung machen und königliche Geschenke überreichen.
Ungefähr das sind die Weihnachtsbilder, die während dem gemeinsamen Feiern konstant durch unsere Köpfe und Blicke geistern; egal ob geistlich oder weltlich gesinnt. Einfach unwiderstehlich!
Die christlich gesinnte Fraktion unter uns ergänzt diese szenischen Weihnachtsvorstellungen dann jeweils immerhin noch durch das feierliche Verlesen der Weihnachtsgeschichte im trauten Familienkreis, wozu wir eine betont besinnliche Miene aufzusetzen haben. Dabei lesen wir stets die Version von Lukas, diejenige aus dem 2. Kapitel seines Evangeliums, die mit dem vertrauten lutherdeutschen „Es begab sich aber …“ beginnt. Wir tun dies jedoch zumeist nicht wirklich aus theologischen, geschweige denn aus geistlichen Gründen, sondern vielmehr aus Tradition. So gehört es sich einfach!
Diese ganze Leseaktion erinnert dann weniger an das Kommen des Gottessohns, sondern viel eher an das „The same procedure as every year“ („derselbe Ablauf wie jedes Jahr“) aus dem englischen Sketch „Dinner for one“, den die weltlich gesinnte Fraktion der Weihnachtsfeiernden sich alljährlich anstelle der von der frommen Gruppe bevorzugten lukanischen Weihnachtgeschichte zu Gemüte führt. So pflegen beide Fraktionen ihre jeweilige Tradition, wobei die eine es dabei etwas besinnlicher angehen lässt, die andere dafür etwas unterhaltsamer.
Ergänzend zur Lesung aus dem Lukasevangelium gehört dann selbstverständlich für wahre Christen auch der Besuch eines Weihnachtsgottesdienstes zum Pflichtprogramm. Der nächste Versuch also, sich auf „das Wesentliche“ zu besinnen. Dort stimmen wir dann in den ausgesprochen hoffnungsfroh stimmenden Kirchengesang mit ein, auch wenn wir uns weniger auf den textlichen Gehalt der Lieder konzentrieren, sondern vielmehr daran aufblühen, dass wir diese von Kindsbeinen an gewohnt sind und die vertrauten Melodien jedes Jahr wieder gerne singen. Dazwischen gönnen wir uns das unvermeidliche Krippenspiel, von engagierten Mitarbeitern und Kindern der Sonntagschule aufopferungsvoll eingeübt und dargeboten. Die theatralische Darstellung des Weihnachtsgeschehens bedient dabei haargenau unsere gehätschelten und gepflegten Weihnachtsklischees vom romantischen Stall, dem weichen Stroh, den netten Hirten und den skurrilen orientalisch Royals.
Nicht dass ich das jetzt geringschätzen oder lächerlich machen wollte. Aber der Erfolg jeden Krippenspiels ist, neutral betrachtet, in aller Regel zur einen Hälfte darin begründet, dass wir die Darsteller zumindest teilweise persönlich kennen und stolz sind, wenn sich die Mitglieder unserer Familie auf der Bühne gut schlagen, und zum anderen Teil darin, dass die Aufmachung und der Ablauf der Szenen genau unsere romantisierenden Vorstellungen von Weihnachten bedient und somit die eigene Sichtweise bestätigt. Es ist folglich erneut nicht nötig, zumindest jetzt mal die rosarote Stimmungsbrille, die wir permanent seit Beginn der Adventszeit tragen, abzunehmen.
Da in diesem Gottesdienst dann regelmäßig auch die kurze Weihnachtsbotschaft unseres Theologen vom Dienst keinerlei Überraschungen, geschweige denn Herausforderungen enthält (denn das sollte sie keinesfalls, weil das ja dann die weihnächtliche Stimmung trüben würde!), geben wir uns zwar auch da noch leicht besinnlich, weil sich dies eben so gehört, werden uns aber hüten, preiszugeben, was wir geistlich in diesem Festgottesdienst erlebt haben. Nämlich Nichts! Denn es wurden auch da ausschließlich Traditionen bedient, um ja unsere Weihnachtsstimmung aufrecht zu erhalten und keinerlei Unruhe in die allgemeine „Party für Jesus“ zu säen.
Das war’s dann aber auch schon für die allermeisten Christen betreffend „sich auf das Wesentliche besinnen“. Nur ganz wenige schaffen es vielleicht noch, sich selbst wenigstens für den einen oder anderen kurzen Augenblick doch noch mal an den Kern des Feierns zu erinnern. Mitten in allem Weihnachtstrubel, in einer sich abgerungenen ruhigen Minute oder vielleicht abends vor dem Einschlafen erinnern wir uns daran, dass wir eigentlich gerade die Ankunft unseres Erlösers feiern.
Mit Betonung auf „eigentlich“ …
Nein, ich will die schönen Aspekte der Weihnachtszeit hier nicht grundsätzlich in Bausch und Bogen verurteilen. Die Wahrheit ist: Auch ich genieße durchaus die besondere Atmosphäre über die Advents- und Weihnachtszeit. Wahr ist aber auch, dass es mir schwerfällt, diese Art der Weihnachtsbegehung mit dem, was uns die Bibel als „Weihnachten“ überliefert, in Einklang zu bringen.
Fakt ist nämlich, dass es so gut wie keine Berührungspunkte gibt zwischen unserem derzeitigen Weihnachtserleben und den damaligen Gegebenheiten bei der Geburt Jesu, so wie sie uns in der Bibel überliefert werden.
Welche Weihnacht-Vorlage also finden wir tatsächlich in der Bibel?
Die Bibel überliefert uns bekanntlich zwei Weihnachtsberichte. Matthäus und Lukas haben uns ihre je eigene Schilderung des Weihnachtsgeschehens hinterlassen 1 , wobei Lukas die fast gleichzeitig stattfindende Geburt von Johannes dem Täufer in die Geburtsgeschichte Jesu mit einbezieht. Matthäus seinerseits schildert vor allem Begleitumstände; die Geburt Jesu als solche fasst er in einem knappen Halbsatz zusammen: „Und er [Josef] berührte sie [Maria] nicht, bis sie einen Sohn gebar …“ (Matthäus 1,25).
Mit diesen beiden Weihnachtsdarstellungen sollten wir selbstverständlich - genauso wie mit allen biblischen Texten – sorgsam umgehen. Wir dürfen auch hier keinesfalls der Versuchung erliegen, irgendetwas in diese Erzählungen hineinzulesen, sondern müssen vielmehr die Intension der Geschichten aus ihnen herauslesen.
Leider gelingt uns das bei den beiden Weihnachtsgeschichten nicht wirklich. Aufgrund der soeben geschilderten Ausprägung unserer Weihnachtsfeiern legen wir sowohl bei der Version von Lukas wie auch bei der von Matthäus Romantik hinein, statt dass wir die – leider recht nüchternen und unromantischen – Fakten herauslesen. Wir überkleistern die Berichte so vollständig mit unseren rührseligen Weihnachtsgefühlen, dass deren wahrer und ursprünglicher Gehalt nicht mehr zu erkennen ist. Dadurch interpretieren wir aber die Erzählungen über Jesu Geburt unsachgemäß und ungeistlich. So kann und darf mit der Bibel nicht umgegangen werden, und Lukas genauso wie Matthäus würden sich mit Sicherheit gegen unsere Lesart ihrer Berichte verwehren. Müssten die beiden gar einem unserer heutigen Krippenspiele beiwohnen, würden sie höchstwahrscheinlich laut protestierend und entrüstet den Saal verlassen!
Außerdem stellen wir uns durch unsere verzerrte WeihnachtsbrillenOptik schon zu Beginn der Lektüre von zwei der insgesamt vier biblischen Evangelien ein völlig verklärtes, weltfremdes und rosarot übertünchtes Jesus-Bild vor Augen. Der Jesus unserer heutigen Weihnachtsfeiern ist keinesfalls der Jesus, über den Matthäus und Lukas in ihren Evangelien berichten wollen!
Wir legen damit also gleich am Anfang der beiden Evangelien den Grundstein zu einem Jesus-Verständnis, das ohnehin derzeit in mancherlei Hinsicht mangelhaft und fragwürdig ist. Auch in evangelikalen Kreisen!