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Bella Block: eine unverwechselbare Ermittlerin Eigenbrötlerisch und cool, resolut und trinkfest: Das ist Bella Block. Bis heute gilt sie als Ikone unter den weiblichen Ermittlerfiguren, vielen starken Frauen der deutschsprachigen Krimilandschaft diente sie als Vorbild. Mit "Weinschröter, du musst hängen" ist nun der legendäre erste Fall aus der Feder von Doris Gercke wieder im Taschenbuch erhältlich. Landidylle? - Der Schein trügt. Bella Block von der Hamburger Kripo soll wegen zweier Selbstmorde ausgerechnet in jenem Dorf im Umland ermitteln, in dem sie selbst ein Wochenendhäuschen besitzt. Was sich für Bella zunächst wie ein kleiner Sonderurlaub anlässt, wird schnell zu einer schrecklichen Entdeckungsreise. Sie stößt auf Brüche in der Dorfidylle. Ein nervöser Wirt packt plötzlich aus, und Bella ist klar, dass die Selbstmorde keine waren ... Prickelnde Spannung von der Großmeisterin des deutschen Kriminalromans Mit Bella Block hat Doris Gercke eine Kultfigur geschaffen, die ZDF-Verfilmungen mit Hannelore Hoger in der Hauptrolle gehören zu den meist gesehenen TV-Krimis im deutschen Fernsehen. In ihrem legendären Erstling beschreibt Gercke das dörfliche Leben und seine Strukturen ohne Weichzeichner. Prickelnde Spannung für Krimifans!
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Seitenzahl: 147
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Doris Gercke
Weinschröter, du musst hängen
Weinschröter, schlag die Trommel,
bis der bittre Bauer kommt.
Mit den Grenadieren
musst du fortmarschieren,
mit dem blauen Reiter
auf die Galgenleiter.
Weinschröter, du musst hangen,
bist bei Nacht zum Weib gegangen.
Napoleon, Napoleon,was macht denn deine Frau?Sie wäscht sich nicht,sie kämmt sich nicht,sie ist ’ne alte Sau!
„Es kam nicht oft vor, dass sie mit mir sprachen, eigentlich sogar sehr selten. Manchmal dachte ich, es wäre, weil ich zu hässlich bin. Als sie mich ansprachen, waren die Vorbereitungen schon vorbei. Der Abend war warm. Sie saßen neben dem Feuerwehrhäuschen und tranken Bier. Ich ging hin und setzte mich neben sie. Sie gaben mir Bier und redeten weiter, so als ob ich gar nicht da wäre oder als ob ich dazugehörte. Wie das Gras, auf dem wir saßen, oder die Margeriten. Die schimmerten weiß, weil Vollmond war.
Sie sprachen nicht mit mir, und ich hörte ihnen nicht zu. Es war mir recht, in der Dunkelheit zu sitzen, neben ihnen, und Bier zu trinken. Das war schön. So war es noch niemals gewesen. Deshalb überhörte ich auch die Frage, die sie an mich richteten, und sie mussten sie zum zweiten Mal stellen. Sie hatten gefragt, ob ich glaubte, dass es leicht sei, einen Eber zu melken.
Ich sagte, das sei bestimmt nicht leicht, denn ich hatte schon genügend Eber gesehen und hatte Angst vor ihnen.
‚Seht ihr‘, sagte sie, ‚sie sagt es auch, und sie muss es ja wissen.‘ Sie lachten leise, und ich lachte auch, weil sie mir noch ein Bier gaben und der Abend noch nicht zu Ende war. Und weil sie mir recht gegeben hatte, deshalb lachte ich auch.
Ich weiß jetzt, warum sie immer wieder von dem Eber sprachen, aber damals wusste ich es nicht. Vielleicht hätte ich es wissen können, wenn ich mich an ihrem Gespräch beteiligt hätte. Aber es wäre gegen die Spielregeln gewesen. Ich saß da, trank Bier und war glücklich.
Ich weiß, dass sie es war, die mich gefragt hat, ob ich mitkommen will. Ich war nicht mehr ganz nüchtern. Ihre Gesichter um mich herum waren wie grinsende Lampions. Das fand ich sehr komisch. Wir mussten alle vier lachen. Sie halfen mir beim Aufstehen, aber sie waren auch nicht mehr ganz sicher auf den Beinen, jedenfalls schien es mir so, und wir lachten und lachten. Sie hatte mich eingehakt, und jede hatten wir einen Mann an der anderen Seite. An meiner Seite ging der Wirt. Ich dachte, weshalb es nicht immer so sein könnte, und fing an zu überlegen, wie ich es anstellen müsste, damit sie mich auch am Tage beachteten. Aber ich kam nicht weit mit meinen Gedanken, das Bier, und außerdem war der Weg nicht weit genug, um Ordnung in meinen Kopf zu bringen.
Als wir am Hoftor standen, fiel mir wieder ein, weshalb wir hier waren: Die Männer wollten uns zeigen, wie einfach es ist, einen Eber zu melken. Ich erinnere mich, dass ich keine Lust hatte, mit in den Stall zu gehen. Ich hatte auch Angst, aber sie zog mich weiter.
Der Hof war mit hellem Kies bestreut. Um die Alten nicht aufzuwecken, gingen wir auf dem Plattenweg an der Hauswand entlang. Die beiden Männer gingen vor mir, die Frau ging hinter mir.
Niemand sagte etwas, ab jetzt war es unmöglich, etwas zu sagen, wir hätten gehört werden können. Im Stall war es noch wärmer als draußen. Er war niedrig, ziemlich groß, weiß gekalkt und leer bis auf ein Gestell, so ähnlich wie das, was in der Schule zum Bockspringen benutzt wird. An den Wänden waren ein paar Ringe eingemauert, vielleicht hatten da früher Pferde gestanden. Es brannte das rötliche Licht, das für die Ferkelaufzucht gebraucht wird. In seinem Stall kam er mir plötzlich größer vor, auch seine Stimme klang anders, als er uns sagte, dass wir uns ganz ruhig verhalten sollten. Ich habe es nicht gemerkt, aber jetzt hat sie mir – sie muss es gewesen sein, er war hinter der Stalltür verschwunden, und der Wirt stand mir gegenüber an der Wand – die Handgelenke an die Ringe gebunden. Sie hat ihre Hände auch in die Ringe gesteckt, und so, ohne ein Wort zu sagen, die Rücken an die Wand gedrängt, die Hände nebeneinander in die Ringe gesteckt, sahen wir auf die Stalltür.
Ich hatte Angst, aber es gefiel mir auch, mit den anderen etwas gemeinsam zu machen, und wenn es auch nur so ein Blödsinn war wie jetzt.
Er hatte die Stalltür nur angelehnt, und der Eber, der sie mit der Schnauze aufschob, war riesig. Er kam ganz langsam in den Stall. In dem warmen Licht sah er braunrot aus und friedlich. Er schnüffelte am Boden, der Mann hatte hohe Stiefel an, er ging hinter ihm und lenkte ihn mit einem Stock. Sie trotteten einen Halbkreis, und er lenkte ihn hin zu dem Bock. Der Eber beschnüffelte den Bock. Er besprang den Bock, legte sich ganz friedlich über den Bock, sein Kopf ragte in die Höhe, dünne Schleimfäden liefen aus den Winkeln des halb offen stehenden Mauls. Er sah ungeheuer dämlich aus, wie er da hing.
Zwischen seinen Hinterbeinen erschien ein langer rosa Schlauch. Er kniete neben dem Eber, fasste den glitschigen rosa Schlauch, steckte den vorderen Teil in eine Plastikröhre und streichelte ihn mit langsamen gleichmäßigen Bewegungen, bis die weiße Flüssigkeit in die Röhre lief. Wir hörten den Eber schnaufen. Er schob ihn vom Bock und führte ihn langsam zur Tür. Niemand sagte ein Wort, bis er zurückkam, die Röhre in der Hand, und die Tür hinter sich zumachte. Da lachte die Frau neben mir.
‚Das war ja ganz einfach‘, sagte sie.
Und ich lache auch, alle lachen. Und die beiden Männer gehen an den Bock und schieben ihn gegen die Wand, genau dahin, wo ich stehe. Ich trete zur Seite, aber meine Hände sind an den Ringen festgemacht, und ich weiß jetzt, was sie vorhaben und worüber sie die ganze Zeit gelacht haben, aber ich habe nicht darauf geachtet.
‚Du weißt, dass du nicht schreien kannst‘, sagt die Frau. Sie ist betrunken. Ihre Augen sind rot.
‚Der Eber ist nicht immer so friedlich.‘
Sie spricht leise, aber sie hat nicht mehr die sanfte Stimme, die mir so gut gefallen hat, als wir im Gras saßen und Bier tranken und die Margeriten gesehen haben. Sie hat wieder die Stimme, die ich kenne, wenn sie über den Hof nach ihren Kindern schreit.
Die Männer sagen kein Wort. Ich liege mit dem Rücken auf dem stinkenden Bock, den Kopf an der Wand, meine Hände stecken in den Ringen. Sie haben aus der Röhre eine Spritze gemacht. Sie haben meine Hose ausgezogen. Sie haben meine Beine festgehalten. Er hat mit seinen fetten Fingern zwischen meinen Beinen gerieben. Sie haben mir das Zeug eingespritzt. Sie haben gelacht.
Draußen war alles ruhig. Es muss noch der Mond geschienen haben, wie sonst hätte der Kies so hell sein können. An der Stelle, wo wir gesessen und Bier getrunken hatten, war das Gras noch niedergedrückt, eine größere Fläche, auf der drei Personen Platz gehabt hatten, und eine kleinere Fläche, da hatte ich gesessen. Ich blieb einen Moment stehen, um meine Hose anzuziehen. Sie stank nach dem Bock, und ich übergab mich. Ich habe lange dort gestanden, glaube ich. Ich hätte gar nicht weitergehen können. Ich konnte nur würgen. Als ich wieder denken konnte, spürte ich, dass die Nacht noch genauso warm war wie vorher.
Ich stand da und begriff, dass sie über mich lachten und bei der erstbesten Gelegenheit damit angeben würden, wie sie mich reingelegt hatten. Ich hasste sie so, dass ich mich von Neuem übergab. Mein ganzer Körper war nass von Schweiß. Ich hab mir auf die Schuhe gekotzt und hab sie noch mehr gehasst. Ich bring’ sie um, dachte ich immer wieder.
Bis mir klar wurde, dass das wirklich die einzige Lösung war.“
Ist ein Mann ins Wasser gefallen,hab ihn hören plumpen.Hab meint, es wär ein großer Mann,wars ein kleiner Stumpen.
Bella Block stand neben dem Fahrstuhl und wartete. Der Kopf tat ihr weh, weil sie am Abend zuvor zu viel Wodka getrunken hatte. Die Füße taten ihr weh, weil sie unbequeme Schuhe anhatte. Zwischen dem Zustand ihres Kopfes und dem ihrer Füße gab es einen mittelbaren Zusammenhang. Sie hatte den vergangenen Abend damit verbracht, in Gedichten ihres unehelichen Großvaters zu lesen, was regelmäßig ein fürchterliches Besäufnis zur Folge hatte, wie immer ausgelöst durch die Zeilen:
„… wie sie da liegt … Hurengeschmeiß
Dich Aas macht auch der Schnee nicht keusch.“
Am Morgen hatte sie, noch immer benebelt, ihre Schuhe nicht finden können. Die Notlösung, um nicht zu spät zu kommen, war knallrot und hatte Vierzehn-Zentimeter-Absätze.
Scheiße, murmelte sie vor sich hin.
Es war unklar, ob damit der Zustand ihres Kopfes, der ihrer Füße oder die Montagsmorgensitzung gemeint war, die sie erwartete.
Die war eine der Neuerungen, die Kohlau, ihr neuer Vorgesetzter, eingeführt hatte. Die Montagsmorgenlage. Er nannte das tatsächlich so und musste dabei mindestens eine Situation von Mogadischu-Ausmaßen im Kopf gehabt haben, sonst hätte er nicht so ein wichtigtuerisches Gesicht machen können, als er das Montagstreffen ankündigte.
Eine wöchentliche Lagebesprechung hatte es auch vorher schon gegeben. Neu eingeführt hatte Kohlau einen Teil, der politische Information genannt wurde. Er war der Meinung, dass ein Kriminalbeamter nur wirklich gut sein könne, wenn er über politische Zusammenhänge genau informiert sei. Die tatsächliche Folge der Neuerung war, dass sie sich jeden Montag einen Lagebericht anhören musste, der es an Unschärfe der Analyse mit jedem Biertisch-Politologen hätte aufnehmen können. Die Füllwörter der letzten Sonntagsabendnachrichten kehrten darin ebenso unvermeidlich wieder, wie der Montagsmorgenkommentar der Bild-Zeitung. Darüber, dachte Bella Block, während der Fahrstuhl sie in den ersten Stock transportierte, könnte ich noch hinwegkommen. Schlimmer ist der Teil, der sich an die Lage anschließt.
Kohlau wollte, dass diskutiert wurde. Sie wusste, dass keiner ihrer Kollegen sich für Politik interessierte, aber fast jeder für seine Karriere. Teil zwei der Montagsmorgenlage war also ziemlich bald zu der Veranstaltung geworden, die sie bei sich den Hahnenkampf nannte.
Wirklich, dachte sie, so ist es. Sie betreten, behüpfen, bekriechen, betorkeln die Arena, je nach Temperament, Alter und Intelligenz, scharren mit den Füßen den Sand weg, stellen, setzen, legen oder rollen sich in Positur und fangen an zu krähen. Es wird nicht diskutiert, sondern posiert. Diskussionspartner sind die, die sich als ebenbürtig, das heißt, als um denselben Sessel kämpfend betrachten. Alle anderen werden nur als Publikum wahrgenommen. Da ist zum Beispiel der junge Anwärter aus ihrer Abteilung, der offenbar wirklich Interesse an politischen Zusammenhängen hat. Ein paarmal hat er versucht, sich in den Hahnenkampf einzumischen. Jetzt hat er vorläufig aufgegeben. Sie haben ihm einfach nicht geantwortet.
Er tut mir leid, dachte Bella Block, während sie auf das Konferenzzimmer zuging.
Aber ein paar Jahre noch, und er macht mit, wie die anderen. Bis dahin hat er seine politischen Interessen garantiert gegen die Lust auf Karriere vertauscht. Dann ist er für die Lage ebenso gut präpariert wie seine Kollegen. Um Inhalte geht’s doch nicht. Das ganze Theater ist so sinnlos, wie das Scharren von Hunden auf Beton, nachdem sie geschissen haben.
Sie öffnete die schwere, innen gepolsterte Tür und betrat den schmalen, lang gestreckten Raum. Ihr Platz war in der Nähe der Tür, ein Platz, den sie sich schon vor Jahren mit Ausdauer und Geschick erkämpft hatte. Von hier war ein guter Überblick über die Arena möglich, und sie konnte, wenn es gar nicht mehr auszuhalten war, ohne viel Aufhebens zwischendurch den Raum für ein paar Minuten verlassen. Fast alle hatten ihre Plätze eingenommen. Es fehlten der junge Kollege und Kohlau selbst. Beide kamen kurz nach ihr.
Kohlau hüpft in die Arena, während Beyer kriecht, dachte Bella. Und jetzt werde ich mich anderen Dingen zuwenden. Es muss ja nicht sein, dass ich Kohlau dabei zuhöre, wie er den Haufen Mist produziert, auf dem er in zwanzig Minuten krähend und flügelschlagend sitzen wird.
Während sie nach dem Block griff, fiel ihr Blick auf den jungen Beyer. Sinnend sah sie ihn an, als sie langsam die Kappe des Füllers abschraubte.
Ich bin ungerecht, dachte sie.
Natürlich kriecht er nicht, noch nicht. Er hat sogar einen ziemlich aufrechten Gang. Wahrscheinlich treibt er mit Vergnügen Polizeisport.
Eigentlich gefiel ihr das an ihm, auch wenn sie im Allgemeinen Sport treibende Leute nicht ausstehen konnte. Für Bella gab es nur zwei Sorten von Menschen, die Sport trieben. Die mit dem gesunden Geist im gesunden Körper, die ihr immer äußerstes Unbehagen bereiteten. Und die mit dem ungesunden Geist im gesunden Körper, vor denen sie sich ekelte. Die meisten Polizisten gehörten nach ihren Erfahrungen der zweiten Gruppe an. Und Beyer? Vermutlich keiner, dachte sie. Er hat etwas ausgesprochen Nicht-Polizistisches an sich. Intelligent, eher sanfte Stimme und ein hübsches Lächeln …
Sie lächelte zurück, auf ganz vorsichtige Weise nur mit den Augen. Unterm Tisch zog sie die drückenden Schuhe aus. Manche Männer sind von hinten wunderschön, dachte sie. Beyer wird dazugehören mit seinen langen Beinen und dem kleinen Hintern.
Sie nahm endgültig ihren Block und begann, sich Notizen zu machen für das Gespräch mit dem Staatsanwalt, das sie für den Nachmittag verabredet hatte.
Als sie damit fertig war, hatte Kohlau gerade erst seine einführenden Worte beendet. Sie hätte nicht sagen können, ob es dabei um den Golfkrieg, den Krieg in Afghanistan oder den jüngsten Bandenkrieg auf der Reeperbahn gegangen war. Das Wort Krieg war jedenfalls mehrmals wie eine Beschwörungsformel darin aufgetaucht. Als Erster, er war in den letzten Minuten schon unruhig geworden aus Angst, es könne ihm jemand zuvorkommen, meldete sich einer der älteren Kollegen zu Wort. Sie wusste, was jetzt kam, nämlich ein Koreferat zu dem gerade von Kohlau beendeten Vortrag. Dieser Kollege hatte damit gerechnet, und einige andere auch, selbst auf den Sessel zu gelangen, auf dem Kohlau jetzt saß. Daraus war nichts geworden, und so begann jeder Montagmorgen mit einer ausführlichen Wortmeldung seinerseits, in der er, inhaltlich nichtssagend, etwa eine Viertelstunde bewies, dass er auch etwas zu sagen hatte. Das ging schon so über vier Monate. Ein Ende war nicht abzusehen. Der stark ritualisierte Ablauf der Konferenz begünstigte sein Verhalten.
Bella Block, die nicht jedes Mal den Raum verlassen wollte, hatte sich nach ein paar Wochen ein Spiel ausgedacht, um ihre Langeweile zu bekämpfen. Sie nahm einen leeren Bogen, schrieb darauf irgendein Wort und begann, aus den Buchstaben des Wortes neue Wörter zu bilden. Es war erstaunlich, wie viele neue Gebilde man bei gründlichem Nachdenken aus so unscheinbaren Wörtern wie Riesenrad oder Tomatenmark gewinnen konnte. An diesem Morgen versuchte sie sich an Mondgesicht und Pampelmuse, wobei die Auswahl der Wörter damit zusammenhängen musste, dass sie noch immer nicht wusste, wem von beiden Kohlau ähnlicher sah.
MONDGESICHT
PAMPELMUSE
Mond
Gesicht
Ampel
Sau
sein
seht
Muse
Mal
ich
mein
es
Summe
die
nie
am
Saum
Dom
mit
Mus
Maul
Heim
Gischt
Pups
Lappe
Eis
Sonde
Esel
Mappe
es
ein
Palme
um
Ton
sie
Mulm
Laus
Gicht
Tod
Lampe
Suppe
Mensch
Lupe
Summe
Puls
Pampe
Maus
aus
Es konnte passieren, dass sie beim Nachdenken den jeweils krähenden Gockel aufmerksam-sinnend anstarrte. War ihr eine neue Kombination eingefallen, so beugte sie sich über den Bogen, wie um sich eine kurze Notiz zu machen. Manchmal geschah es, dass sie beim Wiederaufblicken einen Ausdruck im Gesicht des Redners entdeckte, der Zufriedenheit darüber widerspiegelte, dass sie seine Ausführungen wichtig genug nahm, um sich Notizen zu machen. Dann unterbrach sie ihre Spielerei sofort. Um nichts in der Welt wollte sie dazu beitragen, das Selbstbewusstsein ihrer Kollegen dadurch noch zu heben, dass sie als einzige Frau in der Runde aufmerksam an ihren Lippen hing.
Erst beim Teil drei der Lage war sie wieder dabei. Kurz zusammengefasst teilten die Kollegen jeweils den Stand ihrer Ermittlungen mit. Auch sie sagte ein paar Worte zu der Kindesmisshandlung, mit der sie befasst war. Damit war die Veranstaltung beendet.
Als sie das Zimmer verlassen wollte, rief Kohlau sie zurück. Er machte das jedes Mal mit irgendeinem von ihnen. Bella hatte sich schon gefragt, weshalb sie in den Monaten, seit sie hier war, noch nie zurückgehalten worden war.
Jetzt also, dachte sie.
Frau Block, ich habe Ihre Arbeit beobachtet und bin sehr zufrieden mit Ihnen.
Arschloch, dachte sie, ich weiß selbst, dass ich gut bin. Sie sagte nichts.
Es gibt da einen interessanten Fall – mein Gott, wie er das sagt! Interessanten Fall! Wir haben hier nur mit Dreck zu tun, hat er das noch nicht gemerkt? – Wissen Sie, ich habe eine Theorie, über die ich mit Ihnen noch nicht gesprochen habe. Wir sollten das bei der nächsten Lage nachholen.
Ja?
Ich will’s kurz machen. Ich bin der Meinung, dass es keine Selbstmorde gibt, oder doch nur in den allerseltensten Fällen. In den meisten Fällen handelt es sich um geschickt vertuschten Mord.
Heiliger, dachte Bella, was habe ich getan, um mir ein Gespräch mit diesem Dummkopf einzuhandeln? Allein diesen Mann zum Vorgesetzten zu haben wäre schon ein hinreichender Grund, sich umzubringen.
Ja?
So dumm war Kohlau nicht, um ihr höflich-distanziertes Interesse falsch zu deuten. Sein Ton wurde unpersönlicher.
Ich sagte ja, ich will es kurz machen. Hier ist ein anonymer Brief aus Roosbach.
Er begann, in seinen Unterlagen zu kramen, konnte aber den Brief nicht finden. Bella wartete schweigend. Die Sucherei wurde ihm peinlich.