WEISSGLUT - Ulrike Maier - E-Book

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Ulrike Maier

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Beschreibung

Gyda, die Tochter des Eirik von Hordaland, wird von Harald Schönhaar umworben und sie antwortet ihm mit den Worten, dass sie nur den mächtigsten König der Welt heiraten werde, denn sie kannte ihren Wert. Laut den Dichtern hieß es daraufhin, Harald werde sein Haar nicht mehr schneiden oder kämmen lassen, bis er ganz Nordland unter seine Herrschaft gebracht hatte. Das alles kümmert den jungen, adligen Krieger Bengt Bjarnesson keineswegs, denn er verliert zur selben Zeit seine ganze Sippe durch einen Angriff der Dänen und wird in die Sklaverei verschleppt. Er entrinnt diesem Schicksal und ehelicht die jüngste Tochter seines Königs Rurik. Ein Jahr erhält der verarmte Adlige Zeit den Brautpreis durch Raubzüge zu begleichen, danach erwartet ihn der alternde König als seinen Thronfolger. Ein heftiger Sturm auf See trennt ihn von seiner Mannschaft und er irrt ungewollt mehrere Jahre durch verschiedene Länder. Er ahnt nicht, dass Harald Schönhaar sein geliebtes Land, das nach Norden zeigt, mit brutaler Gewalt unterwirft und zwangsweise zu vereinen sucht. Als Bengt Bjarnesson endlich zurückkehrt, erfährt er vom Tod seiner Frau, seinem Sohn und König Rurik. Wieder scheint es, steht er vor dem Nichts und doch ist er der Einzige, der Gydas Bräutigam noch die Stirn bieten kann.

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

WEISSGLUT

Der junge Krieger kniete schweratmend auf allen Vieren. Seine linke Hand presste sich krampfhaft um den massiven Griff des blutverschmierten Schwertes, als könnte er es nie mehr loslassen. Aus einer tiefen Wunde an seiner rechten Schulter tropfte beharrlich Blut zu Boden. Eisig fegte der Ostwind durch die langen, blonden Haare und er brachte auch die klirrendkalte Gischt mit sich, die Bengt Bjarnesson ständig besprühte.

Langsam wandte er den Kopf in die Richtung des aufgewühlten beinahe milchig weiß erscheinenden Meeres, da er Rufe vernahm. Er leckte sich die rissigen, salzigen Lippen und sein hektischer Atem beruhigte sich endlich. Ein Batr, ein kleines Boot für Kurzstrecken, tauchte auf. Sie holten ihn ab.

Ihn und die Leiche seines Widersachers Hjalmarr!

Er sog die spätwinterliche Luft mehrmals tief ein, spürte die schneidende Kälte nicht, da sein Körper vor Hitze dampfte. Aufgewärmte Luft entließ er und sie wurde sichtbar als graue Wölkchen, die seinem Mund entströmten. Nun richtete er sich ein wenig ächzend auf, streckte den Rücken.

Oðinn hatte es so bestimmt!

Hjalmarr Blitzschwert war nun schuldig gesprochen worden, denn er verlor diesen Zweikampf gegen ihn, der den ganzen Tag angedauert hatte.

Mühsam kam Bengt nun auf die Füße, merkte jetzt erst wie erschöpft er in Wirklichkeit war und matt sah er sich nach dem Toten um, der ein paar Meter von ihm entfernt auf dem Bauch lag. Dessen rotblondes, langes Haar wurde ebenfalls vom Wind zerzaust und sein Blut hatte den Fels unter ihm rot gefärbt. Das Schwert war ihm, während er starb, aus der Hand gerutscht. Es fiel in einen schmalen, nicht besonders tiefen Spalt und zeigte mit der Klinge nach oben.

Das Boot erreichte nun das felsige Ufer der kleinen, kargen Insel, die sie die Holm nannten. Drei Männer waren angekommen, kletterten aus dem Batr heraus und zwei erklommen rasch die glitschigen Steine. Ihre Blicke wandten sich sofort entsetzt der Leiche zu und daraufhin starrten sie den jungen Blonden fassungslos an.

„Du hast ihn getötet, du Hund!“, brüllte Raimo außer sich, ein Schrank von einem Mann, wie sein nun toter Bruder. „Das verstößt gegen die Regeln! Wenn das erste Blut fließt, dann…!“

„Er wollte nicht aufgeben!“, unterbrach ihn Bengt unwirsch.

„Bei Thor!“, entfuhr es dem alten Liass, der vorsichtiger über den tückischen Untergrund gehen musste und erst jetzt den Aufstieg schaffte.

Raimos Rechte lag unschlüssig auf dem Schwertgriff, während er Bjarnesson hasserfüllt musterte.

„Pack mit an!“, forderte ihn nun der dritte, ein Blondbärtiger auf, der den Toten schon auf den Rücken rollte. Hjalmarr war noch warm, als schliefe er nur und Jarne Bjarnesson drapierte dessen Umhang über die klaffende Bauchwunde. Raimo nickte halb betäubt und ergriff schweigend die Leiche seines Bruders. Liass fischte das Schwert aus dem Felsspalt und folgte ihnen, während Bengt seine eigene Waffe kurz im Meerwasser säuberte und dann in die kunstvolle Gürtelscheide gleiten ließ.

Die Männer verließen die Insel. Bengt spürte die stechenden Blicke Raimos in seinem Rücken, was ihn fast noch mehr schmerzte, als die tiefe Fleischwunde, die immer noch blutete. Aber der halbwüchsige Krieger wusste, dass Raimo Oðinns Urteil zu akzeptieren hatte.

Beim letzten Thing vorigen Jahres schon, wurde das Duell beschlossen. Bjarnesson beschuldigte Hjalmarr Blitzschwert Magnusson eine Sklavin ermordet zu haben und der stritt es ab. Vor Gericht stand Aussage gegen Aussage und die Dorfältesten wurden sich klar darüber, dass der Zwist zwischen den beiden jungen Männern endlich ein Ende haben musste.

Bengts Vater Bjarne protestierte noch, aber er wurde überstimmt. Er vermutete ungeniert laut, dass dieser Holmgang nur Blitzschwerts erneuter Versuch war, seinen Sohn durch eine Niederlage zu demütigen. Denn üblicherweise gab es keinen Toten, nur einen Verlierer.

Die Männer auf dem Ruderboot schwiegen beharrlich bis sie die heimatliche Bucht von Tryggvaby erreichten und sahen von weitem wie unzählige Menschen die Heimkehrer erwarteten. Es war schon fast dunkel und mit Fackeln säumten sie das felsige Ufer und die hölzernen Anlegestellen.

Bengt atmete tief durch und begann unwillkürlich zu frieren. Daran war aber nicht nur der kalte Hauch des Windes schuld, der unaufhörlich wehte. Er ahnte, dass er einiges zu erklären hatte.

Nur langsam kam das Batr in den Dunstkreis des Lichtes und Jytte, die ganz vorne stand, begann unvermittelt zu schreien. Hjalmarrs Frau neigte schon immer zu theatralischen Auftritten, womit sie anscheinend ihr größtes Defizit zu kaschieren versuchte. Jyttes Bauch blieb leer und es gab Gerüchte, dass Hjalmarr nach einer zweiten, hoffentlich fruchtbaren Frau Ausschau gehalten hatte.

Ihr Schwager Magnus, der Jarl des Dorfes, knirschte mit den Zähnen, als Jarne das Bootstau befestigte. Der Brauch gebot es Magnus stehen zu bleiben, um den toten Angehörigen in Empfang zu nehmen.

Raimo, Jarne, Bengt und Liass, ein Dorfältester, hievten die Leiche gemeinsam auf den Steg. Jytte warf sich über ihren toten Ehemann und verfluchte lautstark seinen Mörder. Raimo blieb bei ihr, rührte sich aber nicht, um ihr mit irgendeiner Geste Trost zu spenden.

Magnus Jarl aber versperrte den weiteren Weg und Bengt zwang sich das Dorfoberhaupt anzusehen.

„Deinen Schwertgürtel!“, forderte Hjalmarrs ältester Bruder bebend vor Zorn und streckte eine Hand aus.

„Dazu gibt es keinen Grund!“, mischte sich Jarne Bjarnesson ein.

„Das werden wir beim nächsten Thing entscheiden!“, fauchte der Jarl. „Nachdem ich meinen Bruder bestattete!“

„Schon gut“, besänftigte Bengt die beiden Männer und löste den breiten Gürtel, der sich zweimal um seine schmalen Hüften wand. Übergab ihn mitsamt der wuchtigen Schwertscheide und dem Dolch, dessen Griff vergoldet war.

Magnus, ein muskulöser Brocken, zuckte bei dem Gewicht nicht mit der Wimper und machte den engen Steg frei.

Bengts ebenfalls wartender Bruder Kjell griff bald nach seinem Arm und schob ihn fort durch die Reihen der Neugierigen bis zu den Pferden. Außer Jyttes beständigem Gewimmer blieb es still. Sprachlos machende Bestürzung hatte Besitz von den Menschen ergriffen.

Bengt wagte es nicht mehr irgendjemand anzusehen und gelangte, flankiert von Kjell und Jarne, nach einem schnellen Ritt zu Helina, der Frau mit den heilenden Händen des Dorfes. Sie war Jarnes Frau und trotz ihres achtbaren Ranges noch an Jahren jung.

„Blitzschwert ist tot!“, ereiferte sich Kjell seiner Schwägerin die Ungeheuerlichkeit zu überbringen.

Helina bat mit Bengt alleine gelassen zu werden und befahl ihn auf eine Holzbank des kleinen, vollgestopften Langhauses. Es roch betörend, schon beinahe irritierend schwer nach Kräutern. Die Heilerin säuberte die tiefe Schwertwunde zusammen mit anderen harmlosen Blessuren. Eine Sklavin ging ihr dabei zur Hand. Helina bestrich Bengts Verletzungen mit einer übel riechenden Paste, während sie geheimnisvolle Worte flüsterte. Dann verband sie die rechte Schulter. In das saubere Leinentuch wickelte sie längliche Hornplättchen voller eingeritzter Runen. Diese sollten die Heilung unterstützen. Dann hob sie sanft sein Kinn an.

„Weshalb?“, fragte sie nur.

Bengt war jetzt völlig erschöpft und konnte nicht verhindern, dass seine Augen feucht wurden. Aber er hielt Helinas Blick stand.

„Er wollte nicht aufgeben“, sagte er noch einmal und brachte kaum die Zähne bei diesen Worten auseinander.

„Das wird man dir vielleicht nicht glauben?“, gab seine Schwägerin zu bedenken. Ihre hellbraunen, langen Haare wurden durch ein im Nacken verschlungenes Kopftuch gebändigt. Das sichtbare Zeichen einer verheirateten Normannin.

„Dann kann ich es auch nicht ändern!“ Bengt stand auf, langte nach einem Wasserkrug und leerte ihn.

Helina verdrehte die Augen. „Das ist alles, was du zu sagen hast?“

Ihr Schwager reagierte nicht.

„Wenn du Pech hast, …!“

Er ließ Helina nicht ausreden und fuhr herum. „Solange Magnus der Jarl ist, bin ich sowieso nichts weiter als der Sohn von Bjarne, der einst den Respekt seiner Männer verlor, weil er Magnus Vater die Frau ausspannte!“

Sie warf ihm unbeeindruckt über seine erhobene Stimme ein warmes Unterhemd an den Kopf.

„Das ist nun viele Winter her!“, knurrte sie seufzend. „Deine Mutter hatte frei entschieden, Bengt! Liv liebte Bjarne und es war ihr Recht sich scheiden zu lassen, um endlich mit ihm zusammen zu sein!“ Helina klang verärgert, als hätte sie diese Sätze schon zu oft in seiner Gegenwart benutzt. Als reiche es ihr allmählich. Bengt winkte ab und streifte sich ungelenk das Oberteil über. Helina betrachtete seinen schlanken Rücken. Hinter vorgehaltener Hand wurde es schon gemunkelt. Bengt war einer der zukünftigen Anwärter auf den Posten des Dorfoberhaupts. Aber Magnus Jarl hoffte insgeheim, dass einer seiner Söhne die Nachfolge antrat und immer wieder versuchte er die Regeln zu ändern. Er wollte die Erbfolge durchsetzen, wie es schon bei anderen Stämmen Brauch war. Aber die Dorfältesten sahen zu viele Gefahren darin. Was, wenn der Sohn nicht den Ansprüchen genügte, sich nicht entsprechend anstrengte, da er ja ohnehin zum Jarl wurde?

Helina wusste, dass Bengt einen immensen Ehrgeiz entwickelte und Magnus Sippe nicht schuldlos daran war. Der Jarl selbst und seine Brüder Hjalmarr und Raimo hatten es zwar nie gewagt Bjarne, einem Dorfältesten, Vorwürfe zu machen und so ließen sie Bengt dafür büßen. Subtil versuchten sie zuerst dem Kind und dann dem Jungen das Selbstbewusstsein zu rauben. Egal was Bjarnes Sohn leistete, Magnus und seine Sippe waren zur Stelle, um ihm den Erfolg zu vergällen.

Das Produkt dieser ständigen Schmähungen stand nun vor ihr. Bengt verachtete insgeheim seinen Vater, wenn er es auch aus Achtung vor Bjarne zu verheimlichen suchte, aber er arbeitete nur auf ein Ziel hin. Endlich anerkannt zu werden und das gelang ihm nur, wenn er stärker als alle anderen war, tapferer und furchtloser.

Magnus Jarls erschlagener Bruder war mehrere Winter älter gewesen und beherrschte den Schwertkampf wie kein anderer. Sein Beiname war Programm. Blitzschwert!

Nun, das hatte sich geändert. Der blutjunge Bengt tötete ihn und als die beiden heute Morgen auf die Holminsel verbracht wurden, stand der Sieger eigentlich schon fest. Doch Bengt verlor wider Erwarten nicht, aber er brach offensichtlich die Regeln!

In der nächsten Vollmondnacht fand Hjalmarrs Reise zu den Göttern statt. Er würde weiterleben, jedoch in Gesellschaft von Oðinn, dem Göttervater mit den unzähligen Beinamen und Eigenschaften. Blitzschwert ging nach Walhall, in Oðinns Halle der Helden ein, das auf dem Gipfel von Asgard lag, die Heimat der Götter. Die Walküren geleiteten ihn. Diese kriegerischen, schönen Jungfrauen trugen ihm seine Waffen und kredenzten dem Ankömmling Met.

Hjalmarr war im Kampf gefallen, allerdings nicht so ruhmreich, wie er es sich gewünscht hatte und so ruhten bei Bengts Ankunft auf dem Grabfeld düstere Blicke auf ihm. Alle freien, Waffen tragenden Männer erschienen in ihrer besten Kleidung und kompletter Kampfausrüstung, wogegen Hjalmarrs Bezwinger entwaffnet worden war. Erst wenn das Thing, das Gericht, stattgefunden hatte, bekam Bengt vielleicht seine Waffen zurück.

Auch die Frauen waren bestens ausstaffiert und frisiert, zeigten ihren kostbaren Schmuck und nicht wenige trugen Pfeil und Bogen und kunstvoll verzierte Dolche.

Bengt wurde von seiner Familie begleitet, die ihn wie schützend umschloss. Sein alter Vater Bjarne, dessen weitere Söhne Jarne und Kjell, deren Frauen und die Kinder. Einige Sklaven der Bjarnessons standen im Hintergrund bei den anderen Leibeigenen, die sich auf den üppigen Leichenschmaus freuten und diese Vorfreude kaum verbergen konnten.

Eine große rechteckige Grube war ausgehoben worden, mit Brettern befestigt und sie wirkte wie eine überdimensionale, deckellose Kiste. In der Mitte war sie zweigeteilt. Der Leichnam nun, saß aufrecht und angelehnt an der Holzwand, die bis in die Höhe seines Kopfes reichte und die Ruhestätte mittig teilte. Er trug seine schönsten Gewänder und eine große Schmuckfibel hielt die bunte, gewebte Decke fest, die ihn zusätzlich umschlang. Auf dem Kopf hatte er seinen mit Gold beschlagenen Helm, der über Nasen- und Wangenschutz verfügte. Der rotblonde Bart war ordentlich gestutzt und die langen Haare gekämmt worden. Die Leiche war gewaschen und mit Ölen gesalbt, nachdem sie bis zur Bestattung in der kalten Erde konserviert wurde. Kaum eine Spur der Verwesung war zu sehen.

Seinen Rücken stützte eines seiner Schilde, rotfarben und auch mit Goldbeschlägen versehen. Rechts und links von Hjalmarr lagen seine zahlreichen Waffen. Mehrere Schwerter in wertvolle Scheiden gesteckt, Pfeile und Bögen, Speere, Streitäxte und Dolche. Seine Füße pressten sich gegen einen zweiten Schild und allerhand nützliche Dinge wie Hausgeräte und Feuersteine waren um ihn herum drapiert worden. Es durfte Blitzschwert an nichts mangeln und er sollte im Leben nach dem Tod bestehen können.

Bald führte man zwei seiner aufgezäumten Pferde nah an das Grab heran und tötete sie mit einem raschen Schnitt quer durch die Kehlen. Fast wie von alleine sanken sie in die Grube hinter ihren Herrn und bluteten dort schwallartig ihr Leben heraus. Männer zerrten sie noch in eine passende Position und streckten ihnen die Beine. Zupften an Sättel, Mähnen und Zaumzeug, damit es ordentlich aussehen sollte.

Hjalmarr musste aber nicht alleine reisen und so verabreichte man zwei von Met berauschten Sklavinnen zwangsweise Gift und legte sie noch lebend, an Händen und Füßen gefesselt, neben die toten Pferde. Niemand zuckte auch nur mit der Wimper, als sich die beiden Frauen lethargisch und lallend wehrten, aber sie blieben machtlos. Bald verstummte ihr Jammern und Klagen und ihre Körper entspannten sich. Männer befreiten sie von den Fesseln, damit sie unbehindert auf dem Weg nach Walhall blieben. Jytte, die Witwe, sorgte mit ihren anderen Sklaven noch für den nötigen Proviant und sie gab ihrem Gatten Gold und Schmuck und das Elfenbein der Walrösser mit, damit er nicht darben musste.

Jarne Bjarnesson trat nun vor und mit ihm sein Bruder Bengt. Sie stellten sich der Leiche gegenüber auf und Jarne überreichte Bengt sein Schwert, das Hjalmarr tötete. Bjarne, dezent gestützt von Kjell, sah, wie sich seine beiden Söhne vor dem Toten verbeugten. Jarne war inzwischen längst der Hausvorstand und hatte somit solche Pflichten zu erledigen, wie nun seinen jüngsten Bruder in dieser Situation zu begleiten.

Bengt legte das Schwert längs über Blitzschwerts Beine. Die Spitze sah zu den Füßen des Toten. Diese Waffe durfte nicht in seinem Besitz bleiben. Sie gehörte nun Hjalmarr, denn sein Blut klebte daran. Im Grunde war es absolut unfassbar für die Menschen hier, dass einer von Tryggvaby einen anderen getötet hatte.

Magnus Jarl starrte mit glasigem Blick auf den Bezwinger seines Bruders. „Seinen Mörder!“, dachte Magnus bitter.

Alle starrten nun Bengt an, der keine Miene verzog, auch wenn es in seinem Inneren anders aussah, und die Krieger begannen mit ihren Schwertern auf die Schilde zu schlagen. In der Mitte eines jeden Holzschildes befand sich eine eiserne Kuppel, der

Handschutz, und Metall traf auf Metall. Bengt und Jarne harrten während dieses infernalischen Kraches aus. Beinahe schmerzhaft hallten die Schläge in den Ohren des jungen Kriegers wider. Seine Schläfen begannen vor Anspannung zu pulsieren und er meinte die Wurzel jedes einzelnen Zahnes zu spüren. Manchmal hielt er den Atem an und spürte bittere Galle in seiner Kehle brennen. Sein Schwert zerriss den Lebensfaden dieses Mannes und er verspürte keinen Triumph. Nicht einen Augenblick lang.

Als er siegte, dort drüben auf der Holm, empfand er einen Anflug von Erleichterung als es endlich vorbei war. Aber nun spürte er die Konsequenzen seiner Tat am ganzen Leib. Es war falsch, schrie es in seinem Kopf. Doch ich hatte keine andere Wahl, dachte er, aber es tröstete ihn nicht.

Als das hämmernde Dröhnen vorbei war, ein wenig noch nachhallte, stießen die Krieger ihren Schlachtruf aus. Der Ruf verwehte und alle wandten sich in der nun aufziehenden atemlosen Stille der Familie des Toten zu. Die Brüder senkten die Köpfe. Alle Anwesenden neigten die Häupter und bezeugten ihren Respekt vor dem Toten, vor Magnus Jarl, Raimo, Hjalmarrs greisem Vater und der restlichen trauernden Familie des Verstorbenen.

Bengts Herz schlug ihm bis zum Hals. In ihm war es nicht still. Es herrschte Aufruhr, als würde nun sein Herz Schwert und Schild sein. Übermorgen nach Sonnenuntergang musste er sich der ganzen Dorfgemeinschaft stellen. Sein Bruder Jarne berichtete ihm was er längst wusste. Die Stimmung im Dorf war geteilt, aber der Jarl beanspruchte das letzte Wort und Magnus redete offen von Mord. Bisher gingen die Trauerrituale und die Totenwache für Hjalmarr vor und Bengt hatte teilgenommen, wie man es von ihm verlangte. Aber er spürte den Hass von Hjalmarrs Sippe fast körperlich und Jytte hatte ihn sogar einmal angespuckt.

Magnus Magnusson war bisher ein guter Jarl gewesen. Jedermann nahm es auch nicht ernst, dass der Häuptling des Dorfes nicht immer gerecht zu Bjarnes Sohn war. Man konnte ihn sogar verstehen. Sein Vater verlor die erste Frau sehr früh und Liv war eine jüngere Verwandte und somit ein vergleichbarer Ersatz. Aber Liv ließ sich schon nach einem Winter scheiden und als sie zu Bjarne ging, erzog der tief gekränkte Magnus die Kinder zusammen mit einer Sklavin und pflanzte in ihnen die Abscheu gegen Bjarne und Bengt. Bjarne nahm ihnen die junge, starke Ersatzmutter fort und Bengt tötete sie. Seine Geburt war der Grund, weshalb sie starb.

Es schwelte in dem Dorf, aber die Feindschaft zwischen den beiden Familien brandete erst so richtig auf, als Bengt den Kinderschuhen entwuchs und sich als bester Schwertkämpfer nach Hjalmarr und als waghalsigster Reiter hervortat. Aber schon Magnus Vater, der ebenso der Jarl war, versagte ihm jegliche Anerkennung, die Bengt wie alle anderen jungen Männer suchte und auch brauchte. Sein Sohn und Nachfolger fuhr in dieser Tradition fort. Erst als Bengt dreizehn Winter alt war, also ein Jahr später als alle anderen Kriegerzöglinge, durfte er mit auf Große Fahrt.

Das brachte sogar die neutralen Familien des Dorfes Tryggvaby langsam aber beständig gegen Magnus Jarl auf. Irgendwann musste doch Schluss sein! Liv war nun viele Winter schon tot und ihr Sohn entwickelte sich zu einem fähigen Krieger. So wie es einst Bjarne gewesen war, der selbst Anführer des Dorfes war, aber dann den Platz für Magnus räumen musste. Es schickte sich nicht in seiner Position mit einer verheirateten Frau zu liebäugeln und sie dann einen Tag nach der rechtskräftigen Scheidung zu ehelichen.

Ein Jarl hatte Vorbild zu sein und auch Magnus verspielte nun offensichtlich das Vertrauen seines Dorfes. Für Bengt schien der Weg fast frei. Sah man von dem Ausgang des Things ab und seinem jugendlichen Alter. Er würde sich noch ein paar Jahre beweisen müssen und solange duldete man vermutlich Magnus noch in diesem höchsten Amt eines Dorfes.

Die Lurenbläser, die bisher gleichförmige, tiefe Laute der Trauer hervorstießen, schwiegen. Der monotone Ton hatte jeden bis ins Mark erschüttert.

Nun begannen die Frauen ein Lied anzustimmen, das an die Götter gerichtet war. Helina sang am schönsten und es stellte Bengt die Nackenhaare auf. Die Stimme seiner Schwägerin war tragend und dennoch hoch. Die Männer begannen jetzt das Grab zu schließen und die Witwe sank auf die Knie und weinte.

In einer Normannenbrust schlugen mehrere Herzen. Sie waren ein Volk, das sehr der Sippe anhing, das an das Recht und die Menschenwürde jedes Einzelnen glaubte. Ihnen erschienen körperliche Züchtigung und Gefängnisstrafen fremd, da sie es als demütigend ansahen. Sie liebten Feste, Gesang und Tanz, aber ebenso trauerten sie auch ehrlich um einen Toten. Der Schmerz der Familie war ihr gemeinsamer Schmerz und man teilte das Gute sowie auch das Schlechte.

Eine Bestattung ließ keinen kalt und niemand schämte sich der Tränen. Gefühle wurden nicht unterdrückt, aber auch nicht zelebriert. Trauer zu empfinden war das Recht des Individuums, aber man sprach nicht darüber. Tränen waren das Recht jedes Einzelnen, aber man tröstete sich nicht durch Gesten oder Worte. Man ignorierte und akzeptierte es gleichzeitig.

Große Feuer waren entzündet worden und die Sklaven begannen nun Speisen und Getränke herzuschleppen. Man aß und trank bei dem frisch aufgeschütteten Grabhügel bis in den Morgen hinein. Überall standen Fackeln oder brannten große, helle Feuer und die Stimmung wurde gelöster. Immerhin zog Hjalmarr nun in Walhall ein und befand sich schon auf dem Pferd einer wunderschönen Walküre, die ihn in die Halle der toten Helden führte. Wenn das kein Grund zur Freude war!

Blitzschwert war ein tapferer Krieger gewesen. Niemand zweifelte daran, dass er auserwählt wurde, um unter den Tapfersten der Tapferen zu sitzen.

Unzählige Kinder verschiedenen Alters rannten zwischen den Erwachsenen umher und spielten Fangen. Wohl klingendere Musikinstrumente als die Luren wurden hervorgeholt und mit dem Bier und Wein wurden die Menschen lauter und fröhlicher.

Bengt blieb im schützenden Kreis seiner Familie, schweigend und bleich, solange es die Höflichkeit gebot, dann sagte er seinem Vater Bescheid. Er wollte ins Dorf zurück. Bjarne nickte nur und sah ihm nach.

Das Dorf war einer Festung gleich und ringförmig angelegt. Hohe steinerne Mauern standen auf einem Schutzwall, der im Inneren durch Baumstämme verstärkt worden war. Bengts Großvater hatte als damaliger Jarl beschlossen derart seine ihm Anvertrauten zu schützen. Es war wiederholt zu Angriffen anderer nordischer Stämme gekommen, im Sommer, wenn die Krieger unterwegs waren. So hoffte er die Zurückgebliebenen könnten sich besser hinter einem Wehrwall verteidigen und es bewahrheitete sich. Der Stamm wurde nie mehr erfolgreich überfallen, zumindest seit Bengt lebte.

Er passierte nun das offene Tor und beachtete nicht den Wachposten, der sehnsüchtig der noch leise zu vernehmenden Musik lauschte. Ihm war jetzt nach Ruhe und Einsamkeit. Die meisten Dorfbewohner befanden sich auf dem Grabfeld, sah man von den Wachen und einigen Sklaven ab und er erreichte das beeindruckend große Langhaus seiner Familie. Bengt erklomm die leichte Steigung über die Steinstufen und stieß die niedere, schwere Holztüre auf. Ihn umgab Stille und der vertraute Geruch des Viehs, das im Winter im hinteren Drittel des Hauses untergebracht worden war.

Einer älteren Sklavin händigte er schweigend seinen prunkvollen Umhang aus und sie brachte ihm heißes Wasser. Er wusch Gesicht und Hände und zog sich um. Die Wunde an seiner rechten Schulter war fast verheilt.

„Hast du Hunger?“, fragte Meta nicht besonders unterwürfig. Sie hatte den mutterlosen Jungen mit aufgezogen.

„Nein. Geh, ich brauche dich nicht mehr.“

Die Sklavin nickte und zog sich zurück. Sie lebte schon länger bei den Normannen als Bengt an Lebensjahren zählte und trotzdem herrschte eine klare Distanz zwischen den beiden. Bengt hatte früh gelernt, dass Sklaven nur den Zweck hatten zu dienen und zu gehorchen. Sie sollten sich unauffällig bewegen und er brachte Meta nicht mehr Gefühle entgegen als einem Nutztier.

Die Sklavin Svenna dagegen, die von Hjalmarr Blitzschwert getötet worden war, kam als Kleinkind hierher und wuchs in Bjarnes Haushalt auf. Bengt sah sie lange als Spielkameradin an und später, als er besser begriff, dass Welten zwischen ihnen lagen, glaubte er Anspruch auf sie zu haben und entjungferte sie. Svenna schlüpfte gerne zu ihm auf seine Schlafstätte, da Bengt sie nicht nur sexuell begehrte, sondern ihr auch das Gefühl vermittelte, sie wirklich zu mögen. Es fiel ihm schwer, das Mädchen als Sklavin zu sehen und so ging er auch mit ihr um. Nicht gerade ehrfurchtsvoll wie mit einer Frau Seinesgleichen, aber er kam ihr soweit entgegen, wie es die Schicklichkeit zuließ.

Nun war sie längst tot und er fand ein einsames Bett vor.

Rasch verließ er das prächtige Langhaus wieder und wanderte ziellos umher, bis er stehen blieb und hinauf zum runden, prallen Vollmond starrte. Der Mondgott, der Bruder der Sonne, sagte ihm Helina einst, beherrschte nicht nur das Meer und die Flüsse, sondern auch die Säfte im Menschen. Besonders das Blut kam bei Vollmond in Wallung, pulsierte verlangend und bestärkte den Wunsch nach körperlicher Vereinigung.

„So ganz alleine? Ohne deine großen Brüder?“, sagte plötzlich eine männliche Stimme.

„Was willst du, Ingolf?“, fragte Bengt ungehalten.

Mehrere Gestalten tauchten auf, kreisten ihn ein.

„Also, Bengt, wie war das nun?“, fragte Ingolf, der Rädelsführer und kam näher. „Du und Hjalmarr auf der Holm?“

„Das werde ich alles beim Thing vortragen!“, erklärte er und wollte an ihm vorbei.

„Ich will es aber jetzt schon wissen! Immerhin war ich Hjalmarrs bester Freund. Er hat nie einen Kampf verloren!“

„Das war nur eine Frage der Zeit!“, knurrte Bengt. Inzwischen war er von einigen jungen Männern eingekeilt.

„Nur schade, dass niemand deinen Sieg sah. Oder war es der Hinterhalt eines eifersüchtigen Kriegers, der nicht immer nur der Zweitbeste sein wollte?“

„Unser Allvater Oðinn sah es und nun lass mich zufrieden!“

Ingolf gab ein Zeichen und die jungen Männer wichen zurück. Bengt drückte sich an zwei Freunden Ingolfs vorbei, die ihn ein wenig knufften. Er wusste, dass er seine Lage verschlimmerte, wenn er sich jetzt mit ihnen anlegte. Er hatte ein Gerichtsverfahren am Hals und man erwartete von ihm, dass er es würdevoll durchstand, bis Recht über ihn gesprochen wurde. Bengt musste diese Provokation ertragen, was nicht leicht war, denn er hasste es wie alle anderen auch als Feigling dazustehen. Wäre es um etwas weniger Wichtiges gegangen, hätte er längst zugeschlagen. Bjarnes Sohn ließ sich normalerweise nicht von betrunkenen Männern bedrängen und beleidigen!

Nun aber machte er lieber einen diplomatischen Rückzieher. Sie alle waren bewaffnet und er nicht. Bengt entfernte sich und gelangte wieder in das Langhaus, wo sein gebrechlicher Vater auf ihn wartete. Bjarne hatte längst die fünfzig Winter erreicht und galt als alter Mann. Körperlich war er sehr beeinträchtigt, aber sein Verstand arbeitete noch gut, wenn er auch gerne in der Vergangenheit schwelgte. Ständig begleitete ihn ein junger Sklave und auch jetzt war er in der Nähe, um ihm sofort zu Diensten zu sein.

Der Vater saß auf seinem bequemen Stuhl am Feuer, ein warmes Fell über die Beine gelegt.

„Magnus und ich waren damals auch auf der Holminsel und ich bezwang ihn“, begann er ohne Umschweife, „trotzdem setzte man mich beim Thing ab und er wurde zum Jarl. Beides konnte ich nicht haben. Liv und das hohe Amt. Aber ich liebte deine Mutter einen Winter lang. Das war es wert!“

„Verschone mich!“, fauchte sein Jüngster. Er kannte die Geschichte und er war müde.

Bjarne lächelte bitter hinter seinem Rücken. „Sie wusste, was für ein Risiko sie einging nochmals schwanger zu werden. Die Frau mit den heilenden Händen hatte sie schon gewarnt nachdem sie Magnus Kind verlor. Aber sie wollte ein Kind. Unser Kind! Trotzdem ist es kein Privileg für dich! Ich liebe deine Halbbrüder nicht weniger und Jarne erhielt das Land und das Haus, wie es ihm als Erstgeborener gebührt. Auch Finnr und Kjell konnte ich bei ihrer Heirat noch unterstützen. Außerdem haben sie selbst schon viel angehäuft, nachdem sie seit Jahren übers Meer ziehen. Für dich reicht es nicht mehr und du musst für deine Frau selbst sorgen, wenn es soweit ist. Ich kann dir nur eines geben, mein Junge. Die Gewissheit, dass du Livs und mein Sohn bist und wir unbedingt ein Kind haben wollten, in dem sich unser Blut vereinigte!“ Nun lächelte er fröhlicher. „Du bist ein armer Adliger, ein Viertgeborener, aber in dir schlägt ein mutiges Herz und das haben alle anderen auch begriffen. Du kannst es schaffen Jarl zu werden! Du neigst zwar zu leichtsinniger Hitzigkeit, aber das ist deiner Jugend zuzuschreiben, dennoch besitzt du einen messerscharfen Verstand. Das ist Livs Seite in dir. Wenn dich die Weisheit des Alters abkühlt, werden sich deine Qualitäten offenbaren. Bengt, vergiss die Vergangenheit, du bist jetzt erwachsen und Magnus Jarl muss das endlich auch einsehen. Er wird dich nach diesem Holmgang akzeptieren müssen und du musst lernen zu verzeihen. Sieh mich an, Bengt!“

Sein Sohn weigerte sich und zeigte ihm nach wie vor trotzig den Rücken.

„Du kannst der Beste sein, auch wenn du deiner Ansicht nach nur ein Kind der Liebe bist und ich für die Liebe auf Macht verzichtete. Das ist nicht das Schlechteste, auch wenn du dir wünschst, ausnahmslos Helden als Vorfahren zu haben!“

Wenn endlich ein langer, öder Winter endete, lechzten alle in Tryggvaby nach Abwechslung und schon die Bestattung war eine traurige, aber insgeheim sehnlich erwartete Gelegenheit für verstärkte Umtriebe in dem großen Rund. Nun stand das Thing bevor. Es war die Zeit des Erwachens der Natur, des Wiedererwachens des ewigen Zyklus des Jahresrades.

Das letzte Gericht fand noch vor dem ersten Wintermonat statt und es hatten sich inzwischen erneut genügend Streitigkeiten angesammelt, die geklärt werden mussten. So begann die Rechtsprechung schon am frühen Morgen vor dem Langhaus des Magnus Jarl. Die Dorfältesten hielten Gericht über kleinere Delikte wie Beleidigungen, einen erschlagenen Hund, einen toten Hengst beim Pferdekampf und alle möglichen Differenzen, die meist durch ein materielles Bußopfer geahndet wurden.

Alle bemerkten, dass Magnus Jarl und sein Vater Magnus nicht ganz bei der Sache waren, aber bei diesen üblichen Auseinandersetzungen war es auch nicht wichtig, ob sie sich einmischten. Liass, einer der Dorfältesten, übernahm automatisch den Vorsitz und die beiden Männer namens Magnus nickten nur ab und zu.

Auch Bjarne Bjarnesson schwieg den ganzen Tag über. Bengt hatte nichts erwidert, nachdem der Vater heute Nacht seine leidenschaftliche Rede beendet hatte. Er wusste absolut nicht, was momentan in seinem Sohn vor sich ging. Er hatte nichts gesagt, nie darüber geredet, was auf der kleinen kargen Insel wirklich geschah.

Bengt arbeitete bisher nach wie vor in Ukkas Schmiede, denn die Zeit drängte. Bald wollten die Männer mit dem Drachenboot auslaufen, um sich vereinigt mit anderen befreundeten Stämmen auf Raubzüge zu begeben. Trotz des Things gingen die Vorbereitungen auch heute weiter, zumindest bei den Handwerkern, besonders der Schiffsbauleute und den Schmieden.

Erst heute Abend würde alle Arbeit ruhen.

Wenn es soweit war, über seinen Sohn zu richten, würde man Bengt zuhause abholen. Seit dem Morgen musste er den Schmiedehammer ablegen und er nahm eine rituelle Zeremonie vor. Damit versuchte er den Willen Oðinns, des Sturmgeborenen, dahingehend zu lenken, dass er ihm beistand. Hjalmarrs Schuld an Svennas Tod war nun unbestritten, aber war der Gott der Götter auch bereit Bengt in dieser Situation zu helfen? Durch die Opfergabe, die er dem Gott darbrachte, versuchte er einen Handel abzuschließen. Ich gebe, damit du mir gibst!

Bengt lebte wie alle mit Göttern, die Personen aus Fleisch und Blut waren und die auch so ihre Launen aufwiesen. Litt Oðinn heute unter schlechter Stimmung, dann hatte er keine Chance vor dem Thing. Ein Gott war sein einziger Zeuge und er flehte mit Inbrunst um seine Gunst.

Als die Schwester des Mondes ihre heutige Fahrt über den Himmel beendete, waren die Dorfältesten am Ende der gewöhnlichen Rechtsprechung. Es wurde gegessen und getrunken und mit neuer Energie machte man sich an den letzten Fall. Bjarnes Sohn erschien in Begleitung mehrerer bewaffneter Krieger, was die Schwere seines Vergehens offensichtlich machte. Ihnen folgten Jarne, Kjell und Bengts Waffenbruder Asiak, die als Eidhelfer fungierten. Sie würden für ihn sprechen, ihn in der Not mit Worten verteidigen.

Der mit Fackeln und Feuern beleuchtete Platz vor dem Langhaus des Jarls war überfüllt. Für den Angeklagten und seine Fürsprecher sparte man einen Halbkreis aus, vor den mit Fell bespannten Stühlen der Männer, die richten sollten. Die Dorfältesten saßen erhöht auf einer Holzplattform. Bengt stand in angemessener Entfernung dem wuchtigen Thron des Jarl gegenüber. Er trug seine beste lederne Hose, die von den Waden an bis zu den Knöcheln mit Schnüren gebunden war. Die weiße, mit rotem Stoff abgesetzte, gegürtete Tunika über einem schlichten Leinenhemd. Um die Schultern wand sich ein wärmender, dunkelroter Umhang, der an seiner rechten Schulter durch eine goldene Ringfibel zusammengehalten wurde. Sie trug an den beiden offenen Enden das Wappen der Familie, den Bären.

Nun verbeugte er sich ein wenig aus Respekt vor dem Gericht. Bengt gehörte seit alters her einer adligen Sippe an und somit wurde auch er mit einem feinen Nicken der Dorfältesten begrüßt. Kurz trafen sich dann die Blicke von Vater und Sohn. Bjarne entdeckte eine leichte Blässe im Gesicht seines Jüngsten, aber er stand aufrecht da und reckte bald ein wenig das Kinn. Er wirkte wie früher als er noch ein kleiner Junge war, der für eine Missetat bestraft werden sollte. Dabei besaß er die Körpergröße eines Erwachsenen und war sechzehn Winter alt. Bengt hatte noch keinen Bartwuchs und war zu seinem Entsetzen auch sonst nicht besonders behaart. Er verfügte nicht über die muskulöse, fast bullige Erscheinung vieler Nordmänner. Er war schlank und groß und würde vielleicht erst in einem Winter seine durchtrainierte Schlaksigkeit verlieren und breiter werden. Bengt war zweifellos auf dem Weg sich zu einem beeindruckenden Mann zu entwickeln, aber die Natur feilte noch an seiner Gestalt.

Dem Beschützer des Things und Gott des Sieges, Týr, wurde ritusgemäß der erste Satz gewidmet. Dann schilderte der hagere, vom harten Leben gebeugte Liass, von Magnus Jarl als Ankläger beauftragt, mit erstaunlich tragender Stimme zur Erinnerung nun, was auf dem letzten Thing besprochen wurde. Der Streit zwischen Hjalmarr Blitzschwert und Bengt um die tote Sklavin Svenna. Es gab damals keine Zeugen, nur eine Leiche und das Mitglied des Rates bekräftigte noch einmal die Tatsache, dass man normalerweise wegen einer Sklavin keinen Holmgang anordnete. Der schuldig Gesprochene hätte Bjarne, dem Besitzer, etwas bezahlt und damit wäre der Fall erledigt gewesen.

Bengt klagte aber Blitzschwert an und der bestritt seine Schuld. Bjarnesson ließ nicht locker. Der verbale Streit eskalierte und besonders Hjalmarr wurde sehr persönlich. Bjarnes Sohn wäre es ja nie möglich eine eigene Familie zu gründen, nachdem sein adliger, aber mäßig wohlhabender Vater nicht in der Lage war den vierten Sohn zu unterstützen was das Brautgeld anging. Bengt würde also warten müssen, bis er lohnende Beute von den Raubzügen mitbrachte. So einer wagte sich ja nicht an die stammeseigenen Frauen, fuhr Hjalmarr fort und besprang wohl lieber eine schamlose Sklavin, die er hätschelte wie ein Bjarne seine Liv!

Der Geschlechtsverkehr mit Sklavinnen war eine gebräuchliche Angelegenheit, aber es wurde öffentlich nicht darüber gesprochen und Hjalmarrs unverhohlene Worte waren ein Affront gegen Bjarne und seinen Sohn. Bengt zitterte damals vor Zorn und Hjalmarr forcierte förmlich den Zweikampf, der aber erst abgehalten werden konnte, wenn die Holm nach dem Winter wieder erreichbar war.

„Nun“, meinte Liass abschließend und hob die Schultern, als wäre er komplett ratlos, „nur einer kam zurück. Hjalmarr ist tot! Was hast du uns zu sagen, Bengt, Bjarnes Sohn?“

Es war mucksmäuschenstill auf dem großen Platz.

„Als das erste Blut floss…,“ begann er mit gefestigter Stimme.

„Dein Blut?“, unterbrach Magnus mit zitternder Unterlippe, Hjalmarrs betagter Vater. Aufrecht saß er neben dem Thron seines ältesten Sohnes, das Schwert hing zwischen seinen Beinen.

„Hjalmarrs Blut!“, erklärte Bengt geduldig und hielt dem Blick des Alten stand.

Ein Raunen ging durch die Zuhörer.

„Du lügst!“, brüllte nun der graubärtige Magnus, dessen riesige Ohren aus seinem Haargewirr herausragten.

Bengts Brüder wurden blass vor Bitterkeit und Bjarnes Hände krallten sich in die Armlehnen seines Stuhles. Auch Asiak, der Waffenbruder des Angeklagten, tastete nach seinem Schwertgriff. Das war eine der schlimmsten Beleidigungen für einen freien, Waffen tragenden Mann.

„Ein Bjarnesson lügt nicht!“, erklärte der Beschuldigte aber erstaunlich gelassen. Damit hatte er gerechnet. Er konnte keine Zeugen vorbringen und Hjalmarr galt nun einmal als der beste Schwertkämpfer im Dorf.

Liass bat um Ruhe. „Was geschah dann?“

„Hjalmarr fragte mich, ob ich bereit sei, die Regeln zu brechen. Ein Kampf um Leben und Tod. Ich war bereit!“

Sein fünfundzwanzig Winter alter Bruder Jarne lächelte ein wenig. Natürlich war er das! Bengt war immer bereit sich den Hals zu brechen und allerlei Risiken auf sich zu nehmen. Er dürstete nach seiner Anerkennung als Mann. Der goldblonde Junge, dessen Vorbild Týr, der einhändige Kriegsgott war.

Nicht dass diese Huldigung Týrs außergewöhnlich war, denn der kühne Gott legte einst dem Furcht erregenden Riesenwolf Fenrir die linke Hand als Geste des Vertrauens in den Rachen. Der wolfsgestaltige Dämon bemerkte aber bald, dass Týr und die anderen Götter ihn nur einlullen und mit einer unzerreißbaren Kette an die Weltesche fesseln wollten und so biss er dem Kriegsgott die Hand ab.

Als Kind war Bengt auf Grund dessen förmlich den Wölfen hinter her gelaufen, damit er einem von ihnen die Hand in den Fang legen konnte. Er wollte so mutig sein wie Týr und wenn es sich nicht vermeiden ließ, dann auch einhändig wie er.

Bengt fuhr jetzt fort. „Wir kämpften den ganzen Tag. Kurz bevor Liass, Raimo und Jarne eintrafen, konnte ich Hjalmarr den tödlichen Hieb versetzen.“

Liass nickte bedächtig, dann schnaubte er ein wenig und sah den Angeklagten erwartungsvoll an. „Du hast ebenfalls eine Wunde davongetragen?“

„Ja.“

„Kann es nicht so gewesen sein, dass dein Blut zuerst floss und du den Vorschlag machtest, um Leben und Tod zu kämpfen?“, fragte der Alte lauernd.

„Nein! Ich verletzte Hjalmarr zuerst. Er traf mich erst an der Schulter, kurz bevor ich ihn tötete.“

„Ja“, gab Liass zu. „Deine Wunde schien frisch zu sein als ich auf der Holm ankam. Aber warum sollte Hjalmarr Blitzschwert solch einen Vorschlag machen?“

„Er hasste mich“, sagte Bengt trocken, „und ich ihn!“

Liass nickte. „Das Problem ist offensichtlich, mein Junge. Wir alle kennen euren gegenseitigen Hass, aber wir wissen nicht was auf der Insel geschah. Du hast es nun geschildert und ich selbst glaube deinen Worten, aber ich vermute, dass einige von uns daran zweifeln. Was also sollen wir machen?“

„Oðinn hat es doch gesehen!“ Bengts Stimme klang plötzlich heiser und er konnte nichts dagegen tun. „Hjalmarr tötete Svenna, die Sklavin, und unser gerechter Gott fällte mit diesem Ausgang des Kampfes sein Urteil!“ Bengt bebte innerlich. Hilf mir, Oðinn! Du hast es doch gesehen, jetzt hilf mir auch sie zu überzeugen!

„Die Frage bleibt, Bengt. Wessen Blut floss zuerst?“

„Das erklärte er doch schon!“, mischte sich sein Bruder Jarne ein, der in der Funktion eines Fürsprechers neben Bengt seinen Platz eingenommen hatte.

Liass sah sich um. Das Wort Unschuldsprobe lag schon in der Luft und Bengt schluckte innerlich.

Magnus Jarl stand auf. Bisher hatte er geschwiegen und nun wandte er sich an den Bruder des Angeklagten. „So kommen wir jedenfalls nicht zur Wahrheitsfindung, Jarne. Dein Bruder kann uns ja alles erzählen. Ich bin dafür ihn zum Tode zu verurteilen!“

„Das ist doch…“, entfuhr es Jarne schockiert, aber seine Worte wurden von dem Chaos verschluckt, das nun ausbrach und der Vorsitzende Liass hatte Mühe, die Menge wieder zu beruhigen. Der Jarl wartete geduldig ab und weidete sich an Bengts entsetztem Blick, den er zu verheimlichen suchte. Seine Miene blieb unverändert, aber den Ausdruck der Augen konnte niemand verbergen. Sie wirkten größer als sonst, aufgerissen in unterdrückter Panik, verstört.

Als es wieder ruhiger wurde, wandte sich Magnus Jarl direkt an Bengt: „Es war Mord, nicht wahr? Ich halte nichts von der Feuerprobe, um dir die Wahrheit zu entlocken. Ich sehe dir die Schandtat doch an und deshalb wirst du zum Blutadler, Bjarnesson!“

Selma, eine der einflussreichsten Frauen des Dorfes, wurde nun ungeduldig. Sie stand zwischen den anderen Zuschauern und bahnte sich einen Weg nach vorne. „Du lässt dich von deiner Trauer blenden, Magnus Jarl! Wir fühlen alle mit dir, aber du kannst das Urteil nicht so rasch fällen, ohne alle Argumente gehört zu haben!“, erklärte sie. Sie schien Blitze mit ihren Blicken auf ihn zu werfen. Sei auf der Hut, übertreibe es nicht, Jarl!

Bengts Vater ergriff nun das Wort, bevor das Dorfoberhaupt reagieren konnte: „Jetzt hörst du mir mal zu, Magnus Jarl und auch du Magnus, Vater von Hjalmarr!“, sagte Bjarne rasch und riss sich zusammen, angesichts der Tatsache, dass man seinem Jüngsten drohte den Brustkorb aufzubrechen, um ihn aufzuklappen. Daraufhin wurden bei dieser Art von Hinrichtung die Lungenflügel herausgeschnitten, um sie dann auf die Rippen zu legen. Der Blutadler!

„Gehen wir davon aus, Bengt habe Hjalmarr zuerst verletzt, wie mein Sohn es beteuerte, glaubt ihr wirklich nicht daran, dass Hjalmarr den Vorschlag machte, um Leben und Tod zu kämpfen? Hjalmarr war ein tapferer Krieger, um nicht zu sagen der beste Schwertkämpfer. Er wurde wütend, fühlte sich entehrt und forderte Bengt heraus. Oðinn hat zugunsten von Bengt entschieden, da Hjalmarr blutete. Er ist also Svennas Mörder! War die Sache aber anders herum, also mein Sohn blutete zuerst, dann wäre es doch äußerst unsinnig von Hjalmarr gewesen, Bengt noch herauszufordern. Wo er doch der Beste war! Hjalmarr Blitzschwert hatte doch nicht vor einen vermeintlich Schwächeren zu erschlagen, wo das Urteil schon fest stand. Warum sollte er gegen die Regeln verstoßen, wenn Bengt schon besiegt war? Warum eine Strafe riskieren? Also, welche Version erscheint euch wahrscheinlicher?“

„Ich glaube schon, dass Hjalmarr es sich zutraute den Bengel auch verwundet noch zu besiegen!“, rief Raimo, Hjalmarrs jüngster Bruder und wandte sich in Richtung Publikum. „Ja doch, er hat die Sklavin umgebracht und da er nun tot ist, spielt das keine Rolle mehr. Aber der Angeklagte da ist den Handel eingegangen“, er machte eine Pause, in die Magnus, der Alte, krächzend vor Wut brüllte: „Sei still, Raimo. Nichts von dem ist wahr! Hjalmarr war schwer verletzt und Bengt tötete einen wehrlosen Mann! Aus Hass!“

„Mein Bruder hat mehr Ehre im Leib als eure ganze verdammte Sippe!“, schrie nun Kjell, aber Jarne gebot ihm sich zu beruhigen und hielt ihn am Ärmel fest.

„Hjalmarr bekam eine unerhebliche Schulterverletzung verpasst und dann den tödlichen Hieb, der vom Bauch aus aufwärts führte. Das sagte die Frau mit den heilenden Händen. Er muss also nach dem ersten Blutfluss in der Lage gewesen sein weiterzukämpfen. Bengt tötete ihn dann mit einem Hieb. War es so, Junge?“ fragte Liass, als der erneute Tumult sich wieder legte.

Bengt nickte. „Ja.“

Magnus Jarl und sein Vater stöhnten laut auf.

Nun mischte sich Jarne Bjarnesson wieder ein. „Du hättest den Tod deines Bruders verhindern können, Raimo, wenn du beim letzten Thing nicht geschwiegen hättest!“

Hjalmarrs Bruder galt als furchtloses Kraftpaket, aber er war nicht der Hellste. „Hjalmarr wollte doch diesen Kampf, um endlich dieses räudige Aas loszuwerden“, erboste er sich. „Diese Ausgeburt…!“, er suchte nach einem weiteren deftigen Ausdruck „einer, einer…“,

„Da hört ihr es!“, unterbrach ihn Selma. „Oðinn hat also sein Urteil gerecht gefällt, aber eine Antwort fehlt uns noch, Bengt. Wir wollen den Beweis, ob du die Wahrheit sprichst, was den Tod Hjalmarrs angeht. Fiel er im fairen Kampf oder hast du seine Schwäche ausgenutzt und ihn kurzerhand ermordet, weil der Hass zwischen dir und ihm zu groß war? Du musst dich der Feuerprobe unterziehen. Bist du bereit dafür?“

Bengt neigte ein wenig den Kopf. „Ja, das bin ich.“

Sein Vater Bjarne verbarg seine Gefühle geschickt. Die Feuerprobe offenbarte die Wahrheit, zweifellos, aber sie konnte seinen Sohn ein Leben lang untauglich für den Kampf machen. Er hatte schon genügend verbrannte Hände gesehen. Wenn sie heilten, dann war die zerstörte Haut oft sehr empfindlich, wenn nicht gar taub. Ein Schwert zu führen oder einen Pfeil abzuschießen waren völlig unmöglich. Nicht wenige endeten als nutzlose Elemente der Dorfgemeinschaft und hingen der Sippe an.

„Warum ihn erst erproben und ihn dann doch töten!“, brauste nun Magnus Jarl auf. „Er gibt zu, was er für meinen Bruder empfand. Bengt konnte Hjalmarr Blitzschwert nur mit Heimtücke besiegen, das muss euch doch allen klar sein und ich will, dass er dafür stirbt!“

„Wenn du das durchsetzt, Magnus Jarl, und die Götter uns verfluchen, weil wir einen freien Mann hinrichteten, ohne die Wahrheit zu kennen, ohne sie durch die Probe sprechen zu lassen, dann werden sie uns bestrafen!“, brüllte nun Liass.

Auch sein greiser Vater hielt ihn mit einer Geste zurück.

„Wir stimmen ab. Wer ist für die Feuerprobe?“, fragte Selma, die zwar Mitspracherecht, aber kein Stimmrecht besaß. Die meisten Männer des Ältestenrates erhoben den Arm.

Selma machte die Gegenprobe. Nur Magnus Jarl stimmte für den Blutadler.

Bjarnes Hand blieb beide Male unten.

„Du willst keine Wahrheitsfindung?“, fragte die Frau verwundert.

„Ich will nur nicht abstimmen. Ich enthalte mich, das ist mein Recht als Bengts Vater!“ Dann stand er mithilfe seines Sklaven auf und hob etwas schwerfällig den Kopf. „Eines noch! Warum zweifelt ihr denn so sehr an Bengts Worten? Ihr kennt doch den Jungen seit vielen Wintern. Es ist nicht so, dass ich gegen die Wahrheitsfindung bin, nur weil ich ihn zeugte und aufzog, ich bin einfach nur fassungslos! Warum sollte Bengt lügen? Er hat etwas vollbracht, was keiner erwartete und nur weil er den Bruder des Jarl besiegte, wird ihm nun der Prozess gemacht. Wie viele Männer starben schon nach einem Holmgang, frage ich euch? Selten unmittelbar, aber doch Tage später erlagen genügend Verlierer ihren Verletzungen. Oðinns Urteil wurde immer angenommen, nie angezweifelt. Ihr tut so, als könnte es nicht wahr sein, dass Hjalmarr um Leben und Tod kämpfen wollte. Ihr tut so, als habe Hjalmarr nie meinen Sohn provoziert, wo er nur konnte. Warum nicht auch auf der Insel? Hattet ihr irgendwann das Gefühl, Bengt belügt euch? Er sei kein ehrbarer Mann? Warum unterstellt ihr ihm das? Er ist ein Schmied und ein Krieger. Jeden Tag könnt ihr ihn in Ukkas Werkstatt antreffen. Er arbeitet, spielt und lacht mit euch. Ihr trinkt mit ihm und als er auf Große Fahrt mit euch Kriegern ging, waren alle voll des Lobes.“ Bjarne schöpfte neuen Atem. „Ich erwartete heute eigentlich, dass mein Sohn schildert was passierte und ihr es annehmt, so wie wir die Entscheidung der Götter immer anerkennen.“ Er zeigte auf Bengt. „Er ist ein mutiger, junger Krieger. Er ist zu einem wertvollen Mitglied für unsere Gemeinschaft herangewachsen. Wenn er die Feuerprobe bestehen muss, dann zerstört ihr vielleicht fleißige und starke Hände. Ihr zerstört einen jungen Mann, der kaum die Gelegenheit hatte, sich wirklich zu beweisen. Dabei überseht ihr, dass er seine Begünstigung durch die Götter bereits einmal bewies. In einem Zweikampf besiegte er Hjalmarr Blitzschwert, den besten Schwertführer weit und breit. Also überdenkt es noch einmal!“

Liass winkte unwirsch. „Er muss die Feuerprobe bestehen, Bjarne, sonst werden Hjalmarrs Angehörige immer Zweifel an der Wahrheit hegen. Wenn er sie nicht besteht, wird er zum Blutadler. Das ist meine Meinung.“

Die meisten nickten. Bengts Zukunft erschien ihnen zweitrangig, solange Unklarheit bestand.

„Bjarne, sieh es doch ein! Nur die Wahrheit erhält den Frieden!“, erklärte Selma.

„Er sagte bereits die Wahrheit!“, bekräftigte Bengts Vater noch einmal. „Ihr zweifelt an Oðinns Urteil. Das wird er euch nicht durchgehen lassen!“

Viele der Zuhörer bekamen es jetzt mit der Angst zu tun.

„Vater!“, rief Bengt beschwichtigend. „Ich habe längst zugestimmt!“ Das also ist deine Hilfe, Oðinn, Gott der Klugheit, dachte er grimmig. Vielen Dank auch!

„Nun gut“, sagte Magnus Jarl laut. „Im Morgengrauen treffen wir uns bei der Schmiede. Ukka soll heute Nacht das Eisen der Wahrheit schmieden.“

Ukka, selbst Dorfältester und Schmied im Dorf, Bengts Lehrherr und ein sehr geachteter Mann, nickte unbehaglich. Der Jarl löste die Versammlung für heute Nacht auf.

Es war spät geworden. Stumm saßen sie alle um das Feuer herum. Die Sklaven kredenzten dünnes Bier und dazu Helinas sonst sehr beliebten Pferdefleischeintopf, aber nur die müden Kinder aßen davon. Teilweise nickten sie noch kauend ein und wurden auf ihre Liegestätte verfrachtet.

Jede Familie schlief in einem abgetrennten Teil in dem weitläufigen, hauptsächlich aus Holz erbauten Haus. Dreißig Meter lang und acht Meter breit war dieses Gebäude, das sich nur die Wohlhabenden leisten konnten. Es war Bjarnes Geburtshaus, dessen Familie seit Menschengedenken einen Adelstitel trug. Nun sorgten seine Söhne für dessen Erhalt und Jarne war der Hausherr. Helina, seine Frau war die Herrin, die den dicken Schlüsselbund an einem Gürtel bei sich hatte.

Der unverheiratete Bengt war nicht mehr als ein geduldeter Gast. Wenn ein junger Mann alt genug war, um in die Mannschaft eines Drakkars aufgenommen zu werden, so war es ratsam bald einen eigenen Hausstand zu gründen. Ungebundene Männer duldete man oft deshalb nicht, da sie Unruhe ins Haus brachten, während die Alten liebevoll umsorgt wurden. Es gab ein Männerhaus in der Nähe der Sklavenhütten, worin sich die Junggesellen aufhielten. Manchmal schlief Bengt dort, manches Mal hier, da Helina ihn noch nicht offiziell des Hauses verwiesen hatte.

Die Form des Langhauses glich einem Schiff. Im Inneren stützen Pfostenreihen den großen Dachstuhl. Im ersten Drittel befand sich der Gemeinschaftsraum, der durch die niedrige Türe zu erreichen war. Dort stand ein großer Steinofen als Feuerstelle und Wärmequelle. Alles war auf ein raues Klima ausgelegt und so verzichtete man auf Fenster.

Sie waren nicht empfindlich die nordischen Völker, aber nach den harten Wintern atmeten sogar sie auf. An den Wänden verliefen Holzbänke, die mit Fellen bedeckt waren. Sie dienten zum Sitzen und als Schlafstätte für die Sklaven.

In der Mitte befanden sich die abgetrennten Familienräume, aber es waren nur gewebte, bunte Decken, die zimmerartige Schlafräume bildeten. Jeder konnte es hören, wenn ein Mann und eine Frau sich liebten und niemand scherte sich darum. Sie kannten sich alle nackt. Sie stritten und lachten miteinander. Sie waren eine Sippe!

Und Bengts Sippe war in diesem Moment bestürzt.

„Ich sagte die Wahrheit!“, erklärte er.

„Daran zweifeln wir doch nicht!“, beruhigte ihn Kjell, der sechs Winter mehr als Bengt gesehen hatte.

„Sie versuchen dich vor Magnus Jarls Todesurteil zu retten, aber es ist keine Rettung, es ist eine Verstümmelung! Wenn es gut heilt, dann hast du die Wahrheit gesagt, aber die Wahrheit hinter der Wahrheit ist, dass du nie mehr vollwertig sein wirst.“ Bjarne trank wütend seine hölzerne Tasse leer.

„Es bleibt mir nichts anderes übrig.“ Bengt fuhr sich mit beiden, noch intakten Händen, über das Gesicht.

Helina rieb mit einer Hand über seinen Rücken. „Ich darf dich nach der Probe nicht behandeln, aber ich werde für dich bei den Göttern um Hilfe bitten. Bengt, sei versichert, sie sind auf deiner Seite!“

Nun lächelte er ein wenig. „Ich werde eben wie Týr sein. Ich werde weiter kämpfen, so wie er. Týr verlor eine Hand, aber das hinderte ihn nicht daran, der tapferste und kühnste Kriegsgott zu sein.“

„Wenn das Oðinn hört! Dann wird er dich von seinen Wölfen fressen lassen!“, warnte ihn Helina scherzhaft.

Jarne, der als Erstgeborener eigentlich den Namen seines Vaters trug, schüttelte den Kopf und strich sich gleichzeitig die langen Stirnhaare aus dem Gesicht, als er diese ungebührlichen Worte hörte. Auf einem Arm schlief bäuchlings die sieben Monate alte Tochter wie eine Katze auf dem Ast eines Baumes. Entspannt und alle Gliedmaßen schlaff herunterhängend. Sein fünftes Kind. Helina liebte es schwanger zu sein, obwohl sie wusste, wie man das verhinderte. Sie war vierundzwanzig Winter alt und die einzige Angst, die die Frau mit den heilenden Händen umtrieb, war dergestalt, ihre Fruchtbarkeit zu verlieren.

Bengt mochte seine Schwägerin sehr. Sie war klug und geschickt und den Göttern treu ergeben, aber nicht abergläubisch. Das teilte sie mit ihm. Die Götter waren ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens, sie lieferten Erklärungen für viele Vorgänge und sie gaben Kraft und Zuversicht. Aber sie hätten längst die Menschlein ausgerottet anhand ihrer Überlegenheit, wenn sie kein bisschen Unsinn vertragen konnten.

„Die Feuerprobe ist dazu da, Lügner zu entlarven. Insgeheim unterstellen sie dir doch, ein Lügner zu sein!“, meinte Kjells Frau Maire. Sie saß auf der Bank und streckte ächzend die Beine aus. Sie war hochschwanger und rieb zärtlich ihren Bauch.

Bengt blickte in das Feuer, als er an das Geschehen auf der Holminsel zurück dachte. Hjalmarr starrte ihn lange an, als er ihn verletzte. Zuerst betrachtete er seine blutende Schulter und dann wandte er sich ihm zu. Hass verzerrte sein Gesicht.

„Du stirbst heute!“, zischte er nur.

Bengt wollte aus Furcht die Regeln zu brechen, nicht weiter kämpfen. Aber diese Zweifel dauerten nur kurz an.

„Ein fairer Zweikampf“, schlug Hjalmarr vor, „nur du und ich. Oðinn hat dir diesen Treffer geschenkt, weil es ja die Wahrheit ist. Ich habe Svenna abgestochen! Diese läufige Hündin! Aber nun geht es um weit mehr. Auf dieser Welt ist nicht genug Platz für uns beide!“

Bengt warf ein, dass es so kein fairer Kampf in seinen Augen war. „Du bist verletzt!“

Aber Hjalmarr lachte nur. „Das ist ein Kratzer, weiter nichts! Du fürchtest dich doch nicht vor einem Zweikampf?“

Ungeachtet der besorgten Gespräche seiner Sippe, begann er plötzlich zu sprechen und alle verstummten. „Manchmal glaubte ich vor Erschöpfung zu sterben. Hjalmarr lachte viel während des Kampfes, beleidigte mich, ich mag seine Worte nicht wiederholen. Dann traf er meine Schulter und ich spürte wie rasende Wut in mir aufstieg.“ Bengt nahm rasch einen Schluck Bier. „Als ich ihn durchbohrte, stand er einfach so da, flüsterte etwas. Ich kam noch näher und machte einen raschen Schnitt nach oben. Ich…, ich konnte nicht aufhören, ich musste es beenden. Er war tot, ehe er auf dem Felsen aufschlug.“

„Den Kampf hätte ich gerne gesehen!“, lächelte Kjell sehnsüchtig.

„Vor dem Winter hättest du ihn nicht besiegt, aber Hjalmarr rechnete nicht damit, dass du dich so gesteigert hast. Er hat dich unterschätzt, er hat verloren und Magnus Jarl sowie sein Vater wollen es nicht wahrhaben. Sie wollen in Sohn und Bruder einen Krieger sehen, der anscheinend feige gemeuchelt wurde. Dabei war es nur eine Frage der Zeit, bis du sowieso der Beste wirst“, meinte Jarne.

„Der alte Magnus will Bengt tot sehen, weil er Livs Sohn ist!“, fuhr Bjarne dazwischen. „Er sieht nicht den Krieger und schätzt sich glücklich so einen Mann in seinem Dorf zu haben. Er will den Sohn seiner geschiedenen Frau und eines anderen Mannes vernichten und er wird alles daran setzen. Und Magnus Jarl sieht es genauso. Er hat den Titel Jarl längst nicht mehr verdient. Sie wollen Rache, keine Gerechtigkeit und keine Wahrheit!“ Nun griff er nach dem Nacken seines Jüngsten, neben dem er saß, wollte ihn schütteln, aber dazu waren seine Finger zu schwach. „Nimm dein Pferd, Bengt, und flieh! Heute Nacht noch! Ich will nicht, dass sie dir die Brust bei lebendigem Leib aufbrechen!“, sagte er eindringlich. „Du wirst die Probe nicht bestehen, dafür sorgt Magnus schon!“

Sein Sohn entriss sich dem kraftlosen Griff und sprang erbost auf die Füße. „Du verlangst von mir, dass ich dich nicht verachte!“, schrie er und versprühte vor Zorn Speichel. Er wischte sich die Lippen, kurz davor den alten Mann zu schlagen und die Sklaven, die um sie herum werkelten, wagten nicht mehr sich zu rühren. „Du bist erbärmlich, Vater!“ Bengt verließ fast rennend das Langhaus und die Türe schlug laut zu.

„Wie kannst du es wagen, ihn zur Flucht aufzufordern!“, presste Jarne entsetzt hervor. „Ich verbiete mir solche Reden in meinem Haus!“

„Er wäre ein Verbannter! Er verlöre seinen Adelstitel und jeder könnte ihn töten!“, rief Kjell aufgebracht. „Er wäre ohne Ehre!“

Aber Bjarne lächelte nur schmal, die Weisheit des Alters machte ihn sanftmütig und taub gegen die Vorwürfe seiner Sprösslinge. Er verabschiedete sich nickend. Winkte seinem Sklaven zu und der half ihm auf. Bjarne ging zu Bett.

Lange noch regten sich die Brüder und Helina über die Worte des alten Mannes auf, bis Gudrun in einer Pause sagte: „Ab morgen werdet ihr begreifen, warum Bjarne so spricht. Wenn Bengt die Probe besteht und danach doch nichts mehr anderes sein wird, als der verstümmelte Onkel eurer Kinder, der sie hütet, weil er sonst zu nichts mehr in der Lage ist!“

„Wenn er die Wahrheit spricht, werden die Brandwunden verheilen!“, knurrte Jarne die Frau seines Bruders Finnr an. „Und Bengt spricht die Wahrheit. Er hat nichts zu befürchten!“

Helina dagegen, die Feigheit ebenso verabscheute, schwieg nach Gudruns Worten. Insgeheim gab sie ihrem Schwiegervater und Finnrs Frau Recht.

Früh endete für alle eine kalte Nacht, noch ehe die Sonne über dem Meer aufging. Der Himmel wirkte dunkelblau wie das Wasser und keine Wolke war zu sehen. Aus den Mündern und Nasen der Menschen quoll zu dieser Stunde noch zu Dunst gewordene Atemluft, aber alle strömten Ukkas Schmiede zu. Der Durchlass wurde freigehalten. Rechts und links der Türe säumten die Neugierigen den Weg.

Bengt wurde von Kriegern aus dem Männerhaus geholt und ein paar Freunde begleiteten ihn. Solche brachialen Maßnahmen gab es selten in ihrem Dorf und sie freuten sich in jugendlicher Naivität auf das Ereignis, das die Unschuld Bengts beweisen sollte. Seine Sippe war auch schon angekommen und er übersah seinen Vater geflissentlich. Jarne klopfte ihm aufmunternd die Schulter und Helina trat ihm in den Weg. Er beugte sich zu ihr herab und sie flüsterte ihm aufmunternde Worte und Segenswünsche ins Ohr. Dann küsste sie ihn sanft auf die linke Wange, während sie die Rechte sanft berührte. Sie lächelten sich gegenseitig schwermütig an.

„Nun geh“, murmelte seine Schwägerin.

Bengt trat in die Schmiede, die ihm so vertraut war. Dort warteten elf der Dorfältesten. Bjarne zog es vor draußen zu bleiben.

Liass nickte ihm zu. „Die Feuerprobe musst du mit gefesselten Händen ablegen. Geh zu Ukka.“

„Bengt“, sagte der Schmied nur grüßend und langte mit schwieligen, groben Händen nach metallenen Fesseln, die an der Wand hingen.

Der sah ihn stumm an und legte die Hände auf den Amboss. Ukka wand die Schellen um seine Handgelenke und schloss sie geschickt mit jeweils einem Hammerschlag auf den Splint. Es erschien Bengt, als habe ihm der Schmied stattdessen ein Brandeisen ins Gesicht gestoßen, ein Zeichen verpasst, das alle sehen konnten. So empfand er den Umstand, dass er nun Fesseln trug. Gebrandmarkt, entwürdigt, entehrt!

Aber er ging zur gemauerten Esse und Liass stellte sich neben ihn. „Trägt ein Mann das Eisen der Wahrheit, muss er damit neun Schritte gehen, bevor er es fortwirft. Wirft er es eher fort, so ist er schuldig!“

„Ja“, murmelte Bengt leise mit schlaffen Armen.

„Trägt er es erfolgreich neun Schritte, so werden seine Hände verbunden und nach drei Tagen werden die Wunden begutachtet. Heilen sie brandig, so ist er schuldig. Sind die Wunden rein, so ist er unschuldig.“

„Ja“, flüsterte Bengt noch einmal und spürte den schweren Zug der Eisenschellen.

„Es steht dir frei, Bengt Bjarnesson, die Feuerprobe zu bestehen.“

„Ich will sie bestehen“, erklärte er nun mit fester Stimme. Man legte Wert darauf, dass Bengt, ein freier Mann, dies aus eigenem Willen erfüllte. Weigerte er sich, so gab er seine Schuld zu und musste Magnus Jarls Urteil annehmen. Am selben Tag noch würden sie ihn als Blutadler hinrichten.

Ließ er nachher das rot glühende Eisen zu früh fallen, so brach ihm Eirik, der Fleischer, ebenfalls den Brustkorb auf. Waren die Wunden in drei Tagen eitrig und entzündet, stand ihm die gleiche Prozedur bevor.

Ukka hatte eine unterarmlange, zweifingerdicke Eisenstange im Feuer seiner Esse. Mit einer Zange hielt er sie fest und schob sie hin und her. Sein Oberkörper war nackt wie immer, wenn er in seiner Werkstatt stand und unzählige große und kleine Brandnarben verunstalteten ihn. Nun sah er seinen Schmiedegesellen an, der ihm gefesselt gegenüber stand. Die Kette zwischen den Armspangen war lang genug und bot Bengt genügend Freiheit, um die Enden der Stange zu umfassen.

Bengt biss auf die Zähne, als er in die Esse starrte. Er spürte die Hitze des Feuers, das ihm sonst wie ein Freund erschien. Das ihm half Waffen, Hufeisen, Werkzeuge, Rädereisen und viele andere Dinge aus Metall zu formen.

Magnus Jarl stand mit gerecktem Kinn ein wenig abseits. Er überließ dem hageren Liass das Wort, da ihm der Älteste dazu riet. „Schweige Jarl“, hatte er am Abend zuvor noch gesagt, als sie alleine waren, „du machst dir Feinde mit deinen Reden! Bengt ist sehr beliebt bei den jungen Kriegern und du solltest nicht so offensichtlich gegen ihn hetzen. Es geht um die Wahrheitsfindung durch die Götter und nicht darum, wie sehr du ihn hasst!“

Magnus Jarl nickte großzügig. „Morgen ist er sowieso so gut wie erledigt. Er wird kein Schwert mehr heben können und jeder Sklave wird wertvoller sein, als ein Krieger mit verstümmelten Händen!“

„Manche erlangten wieder die volle Gebrauchsfähigkeit, Jarl. Freue dich nicht zu früh!“

„Das wird bei ihm nicht geschehen, Liass. Du weißt es selbst, dass Hjalmarrs Mörder und ich nicht mehr am selben Platz weilen können. Er muss verschwinden, egal wie!“

„Ja, ich weiß“, seufzte der Alte, dem der Frieden des Dorfes sehr am Herzen lag. Er war nicht über Magnus Jarls Offenheit überrascht. Er sprach das aus, was Liass dachte. „Aber wenn ihn die Götter nun doch unschuldig sprechen?“

Magnus entgegnete nichts. Die Leinenbinden, die Liass dem Angeklagten nach der Feuerprobe anlegte, waren präpariert, aber das war sein Geheimnis und würde seines bleiben. Bengts Hände jedenfalls würden nie mehr ganz heilen!

Ukka mit dem Walrossbart brummte nun etwas wie, „heiß genug!“

„Es geht los!“, wurde geflüstert und Bengts Vater kreuzte den Blick mit seinem Sohn Bjarne, den man nur Jarne rief, als die Worte bei ihm ankamen. Trotz der gestrigen Meinungsverschiedenheit sah sein Ältester ihn aufmunternd an. Bjarne aber schüttelte resigniert mit dem Kopf und diese Geste ließ plötzlich sein Herz schneller schlagen. Was geschah da drinnen nur mit seinem jüngsten Bruder? Seinem Halbbruder, den er deswegen nicht weniger liebte. Da er um so vieles älter war, zog Jarne den mutterlosen Bengt mit auf. Nahm ihn unter seine Fittiche. Sie beide neigten nicht zu großen Reden, vermieden Körperkontakt wie es Männer tun, die nicht als weibisch gelten wollten. Jarne war oft bewusst grob zu ihm und Bengt respektierte die Autorität seines ältesten Bruders, aber er spürte auch dessen Zuneigung. Sie wurde nicht ausgesprochen oder demonstriert, sie war vorhanden und sie ging so tief, dass Jarne nun körperliche Qualen litt. Er fühlte es in den Eingeweiden, wenn er auch äußerlich betont gelassen wirkte. Die Feuerprobe war beschlossene Sache, sie musste sein und Bengt hatte keine Wahl.

Jarne hörte seine Frau flüstern, sie rief die Götter um Beistand an und er war froh draußen vor der Schmiede zu stehen, um in diesem Moment nicht in Bengts Gesicht blicken zu müssen.

„Dreh deine Handflächen nach oben und strecke deine Arme ein wenig aus!“, befahl Liass mit seiner außergewöhnlich klaren Stimme und Bengt gehorchte. „Wenn du das Eisen umfasst hast, dann wendest du deine neun Schritte nach draußen.“