Welche Pferde sind das, die da werfen ihren Schatten aufs Meer? - António Lobo Antunes - E-Book

Welche Pferde sind das, die da werfen ihren Schatten aufs Meer? E-Book

António Lobo Antunes

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In diesem Roman taucht António Lobo Antunes in den Alentejo ein, das große Herzstück Portugals zwischen der Algarveküste und dem Tal des Flusses Tejo. Hier singen die Bauern vom Meer, obwohl sie es selbst nie gesehen haben; hier züchtet eine Großgrundbesitzerfamilie seit Generationen Stiere für den Kampf, doch nun droht der Ruin. Meisterlich fängt Lobo Antunes diese untergehende Welt ein, in all ihren so unterschiedlichen, melancholischen oder wütenden Stimmen, in funkelnden Bildern.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 550

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



António Lobo Antunes

Welche Pferde sind das,die da werfen ihrenSchatten aufs Meer?

Roman

Aus dem Portugiesischenvon Maralde Meyer-Minnemann

Dona Maria José Natércia liegt auf ihrem Landgut im Sterben. Einst wurden hier berühmte Stiere für den Kampf gezüchtet, doch ihr inzwischen verstorbener Mann hat die Familie durch seine Spielsucht in den Ruin getrieben, und die Kinder haben ganz eigene Interessen. Da ist Beatriz, die früh schwanger wurde und heiraten musste, da ist Anna, die immer als intelligenteste von allen galt und jetzt stiehlt, um ihre Drogensucht zu finanzieren. Da ist João, der Liebling der Mutter, der homosexuell ist und sich im Parque Eduardo VII in Lissabon, einer einschlägigen Adresse, herumtreibt. Und da ist Francisco, der seine Geschwister hasst und beabsichtigt, den Besitz nach dem Tode der Mutter ganz an sich zu reißen. Auch Rita, die früh an Krebs gestorben ist, sowie der tote Vater bekommen ihre Stimme in diesem faszinierenden Wechselgesang aus Bewusstseinsströmen, die Lebenden und die Toten vereinen sich, um Zeugnis abzulegen vom Zerfall.

ANTÓNIO LOBO ANTUNES wurde 1942 in Lissabon geboren und hat Medizin studiert. Während des Kolonialkrieges war er als Militärarzt in Angola, arbeitete danach in der Psychiatrie und war lange Jahre Chefarzt in einer Psychiatrischen Klinik in Lissabon. Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. Sein mit zahlreichen Preisen ausgezeichnetes Werk ist in vierzig Sprachen übersetzt.

Die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel»Que Cavalos São Aqueles Que Fazem Sombra No Mar?« beiPublicações Dom Quixote, Lissabon.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © der Originalausgabe 2009 António Lobo Antunesund Publicações Dom Quixote

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2013Luchterhand Literaturverlag in derPenguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlaggestaltung: semper smile, München,

nach einem Entwurf von buxdesign | München

Covermotiv: © plainpicture/Bildhuset

CP · Herstellung: sc

ISBN 978-3-641-29856-2V001

www.btb-verlag.de

www.facebook.com/btbverlag

Für Maria João

Inhaltsverzeichnis

Vor dem Stierkampf

Tércio de Capote

1

2

3

4

Tércio de Varas

1

2

3

4

Tércio de Bandarilhas

1

2

3

4

Die Faena

1

2

3

4

Der Todesstoß

1

2

3

4

Nach dem Stierkampf

Vor dem Stierkampf

Das ganze Leben lang, vor der Krankheit und während der Krankheit, erzählte uns meine Mutter wieder und wieder

– Hört mal zu

dass meine Großmutter, als sie klein war, meine Urgroßmutter auf ihren Besuchen bei den Damen begleitete, die in alten Häusern und Wohnungen im alten Teil Lissabons wohnten, Zimmer und Flure in ewigem Halbdunkel, in dem die Silber- und Porzellangegenstände sie verfolgten, und meine zehn Jahre alte Großmutter dachte

– Wie traurig dieses Haus um drei Uhr nachmittags sein muss

denn im Winter regnete es in den Zimmern, in den Fluren und auch in den Abseiten voller Pantoffeln und Besen, nicht draußen, und es war auch kein Regen, sondern ein Überraschtsein in den Dingen, denen wir leidtaten, meine Urgroßmutter und die Damen bewegten wortlos den Mund, und dennoch sprachen sie, denn da war ein Spuckeglitzern, ein Zahn, ein Lächeln vor dem Zahn, wenn ein bislang unsichtbares Foto aus dem Dunkeln hervortrat oder ein von den Geheimnissen der Zeit fleckiger Spiegel die Fotos aus einem anderen Winkel verdoppelte, der verstörte, denn obwohl sie es waren, waren sie es nicht, Geschöpfe, die den Toten in den Träumen glichen und sich von der Höhe der Zelluloidkragen und getupften Plastrons herab an die Lebenden wandten, man verstand

– Ich bin es

aber wem gehört das Ich, das

– Ich bin es

flüsterte, und wer sind wir ohne Mund und Augen, ohne fleischliche Substanz, wie meine Mutter heute, die kein Haus um drei Uhr nachmittags traurig findet und auch die Fotos nicht bemerkt

– Ich bin es

überzeugt davon, dass meine Mutter ihnen half, indem sie an sie glaubte, sie beruhigte

– Ihr seid es

und schalem Parfüm und Spitzenflattern Leben einhauchte, meine Mutter, die nicht einmal mehr einen Satz zustande bringt, Silben, bei denen die Hand über die Brust wandert, bis sie diese ganz bedeckt, sie erinnert sich nicht an die Flure, auf denen es im Winter regnete, oder an das Überraschtsein der Dinge, so wie sie sich auch nicht an die Pferde erinnern wird, an die Stiere und die Ferien auf dem Landgut, an meinen Vater, der auf dem Gatter saß und die Dreijährigen auswählte, wobei ihm der Hut die Stimme verdüsterte, er setzte sich an den Tisch, und die Gabel verschwand unter der Krempe und kam unter ihr hervor, wie viele Jahre sind Sie schon tot, seit wie vielen Jahren fragen Sie

– Wer bin ich?

oder besser gesagt, fragen Sie nichts, Sie haben nie etwas gefragt, haben meiner Mutter nicht geantwortet, waren zu den Feldern dort draußen und zu den Füßen der Tiere gewandt, die, obwohl sie weit weg waren, über den Fußboden trabten, wir sahen ihn auf dem Landgut, denn er kam nicht nach Lissabon, hatte vergessen, dass es Lissabon gab, und daher war er den Toten in den Träumen gegenüber taub, und jetzt, wo er tot war, schwieg er, sein Hut an der Garderobe verdüsterte nichts mehr, und dennoch wurde er immer größer, meine Mutter empfing den Maioral, den Chef der Stierhirten, außerstande, was auch immer hinsichtlich der Weiden und des Viehs zu entscheiden, beschränkte sich auf Silben, die ein Spuckeglitzern oder ein Zahn interpunktierten, wenn ich sie fragte

– Mein Vater?

ein mühsames, von einer Kontraktion der Schulter begleitetes Grummeln, ein Teil von ihr versuchte sich auszudrücken und konnte sich nicht ausdrücken, die winzige Hand auf der Brust, und adieu, die Krankenschwester legte ihr Windeln an, reinigte den im Rachen steckenden Tubus, wechselte ihre Position im Bett, und da richtete sich meine Mutter zum Vorhang auf

– Du

unerwartet zornig, was hat Ihnen der Vorhang getan, Mutter, ich drückte sie hinunter in die Betttücher

– Senhora

während ihre Finger mit einem letzten

– Du

meinen Arm verletzten, das aufhörte

– Du

zu sein, um zum Galopp der Pferde zu werden, die dort hinten aus den Reitställen mit den Angestellten kamen, die Befehle über die Mauer riefen, an der im März die Rosenstöcke blühten, meine krebskranke Schwester Rita

– Was ist mit den Rosen los Schwesterherz?

erbittert, weil die Welt ohne sie weiterbestand, der Eindruck, dass meine Mutter

– Wie traurig dieses Haus um drei Uhr nachmittags sein muss

doch das stimmte nicht, meine Mutter starrte, so mager, nunmehr ganz ohne Zorn den Vorhang an, hörte auf, ihn anzustarren, schaute mich an, ohne mich zu sehen

– Was sahen Sie?

sie sah meinen Vater die Tiere für den Stierkampf auswählen

– Sahen Sie meinen Vater die Tiere für den Stierkampf auswählen Senhora?

und meine Mutter verscheuchte außerhalb des Gatters die Hitze und den Gestank der Tiere mit dem Fächer, den Kamm im Haar

(ich habe ihn vor ein paar Tagen gefunden, zerbrochen, als ich die Perlenketten im Tresor des Schlafzimmers durchstöberte)

prachtvoll mit ihren Mantillen, aber heute keine einzige Mantille, zwei Eheringe, ihren und den meines Vaters, nicht am Ringfinger, sondern am Mittelfinger, damit sie nicht rutschten, was sie dennoch taten, ich fand die Eheringe auf dem Kopfkissenbezug, also verwahrte ich sie am Ende in Begleitung des Kammes, ein an eine Steineiche gelehnter Stier schaute uns wachsam an, Sabber tropfte aus seiner Nase, er setzte sich wieder in Bewegung, und ich hatte Angst, der Schatten des Hutes von meinem Vater sprach mit den Angestellten, und einer trabte hin und vertrieb den Stier, meine Mutter

– Du

ganz leise, verscheuchte das

– Du

mit dem Fächer, und wer garantiert mir, dass der Vorhang nicht der Mann war, was hat Ihnen der Angestellte getan, Mutter, Pferde und noch mehr Pferde zwischen den Rosenstöcken, jedes Haus ist um drei Uhr nachmittags traurig, wegen dieser inneren Nacht, die auf die Tagesmitte folgt und lange nicht vergeht, die Silber- und Porzellangegenstände tief in unserem Inneren und die Erinnerung an ein Paar Handschuhe auf dem Boden, aber wem sie gehörten, wissen wir nicht mehr, wie eigenartig es ist, zu leben, wie macht man das, wo fängt man an, bei welchem Kapitel, ich hatte zwei Ehemänner und weiß nicht, was aus ihnen geworden ist, oder besser gesagt, ich weiß es wohl, werde mich aber nicht mit ihnen beschäftigen, es ist aus, zumindest einen von ihnen gibt es noch irgendwo, und mir fällt nicht einmal sein Name ein, Jaime oder Ricardo, ich glaube, Jaime, nein, Ricardo, ich weiß den Namen meiner Mutter, meiner Geschwister, den meines Vaters, und das reicht, zwingt mich nicht, an etwas festzuhalten, was ich nicht will, ich hatte zwei Ehemänner, und keinen rufe ich

– Du

auch wenn es Augenblicke gibt, ich kenne mich, in denen ich, während ich den Teller in die Maschine stelle, denke, dass ich, denke, dass ich gern Gesellschaft hätte, will heißen, der Teller hätte gern Gesellschaft, was man an seiner Art zu tropfen sieht, ich brauche keine, Pferde und noch mehr Pferde zwischen den Rosenstöcken, wenn ich an den Strand mitgenommen wurde, stellte ich sie mir am Rand der Wellen vor, wie sie ihren Schatten aufs Meer warfen, da war der Schatten, dichter als der Seetang, keine Schiffe, keine Felsen, keine Vögel, Pferde, das Pferd meines von seiner Hutkrempe verborgenen Vaters und dahinter ich auf der Kruppe, wo ich mich an seiner Jacke festhielt, mir nicht sicher war, ob mein Vater Pferd oder Mensch war, mir nicht sicher war, wessen Tochter ich war, die Angestellten

– Ihre Tochter Senhor

und daher gehöre ich zu meinem Vater, denn die Angestellten irrten sich bei den Dreijährigen nicht, sie rezitierten die Familien aus dem Kopf, die Abstammung, die Verbindungen, was wird mit dem Haus in Lissabon und mit dem Haus auf dem Landgut geschehen, wenn meine Mutter stirbt, ihr Haar ist übrigens schon halb verstorben, ich hätte beinahe staubig gesagt, tue es aber nicht, ich hätte fast gesagt, nicht aus dem Inneren der Haut gewachsen, daraufgeklebt, aber ich tue es nicht, ich sage nicht, die Augen fast blind, wozu, ich sage, dass die Rosen von ganz allein blühten, Gegenstände, die zu Dingen werden, sie, die einstweilen noch brodeln, atmen, aber ich vergesse euch nicht, keine Sorge, die Muschel mit den Initialen meiner Mutter im Kreis aus Perlmutt auf dem Deckel des Kästchens, und eine Münze darin rutschte hin und her, wenn mein Vater mit meiner Mutter stritt, nahm er die Muschel von der Kommode, schüttelte sie, und die Münze sang, er stellte die Muschel nie an ihren Platz zurück, und sosehr er es auch versuchte, es gelang ihm nicht, den richtigen Platz genau zu treffen, zu weit nach links, zu weit nach rechts, er drehte sie im Uhrzeigersinn, in die Gegenrichtung, ein oder zwei Grad, aber nie stimmte es, er trat zurück, um das Ergebnis zu überprüfen

(die Zunge des Stiers kam aus der Schnauze und verschwand wieder, was bedeutete die Zunge, was bedeutet ein Steineichenzweig, der ohne Wind erzittert?)

und nicht an der Stelle, nicht so, wegen der Muschel erschien mir alles in Unordnung geraten zu sein und ich ebenfalls in Unordnung, ich hörte die Schritte meines Vaters im Esszimmer und hasste ihn, weil er die Vergangenheit durcheinanderbrachte, auf dem Boden blaue Handschuhe mit einem Knopf, und ich komme nicht darauf, wem sie gehörten, der Wunsch, meinem Vater zu befehlen

– Stellen Sie die Muschel ordentlich auf ihren Platz und zwar schnell

damit die Erde in Ordnung ist, wer ordnet das Universum, wenn es mich nicht gibt, schau, der Stier von der Steineiche ist vom Häkeldeckchen heruntergekommen, verfolgt mich, stünde die Muschel an ihrem Platz, würde der Stier ruhig dastehen, der Schatten der Pferde kann sich gern bewegen, mir ist das gleich, der Stier allerdings, der sollte ruhig auf der Kommode stehen, ich bitte um so wenig, widersprechen Sie mir nicht, mein Mann, nicht Jaime oder Ricardo, der zweite

Afonso

endlich kommen mir die Namen wieder in den Sinn, Ricardo und Afonso, mit Afonso hatte ich einen Hund, der den ganzen Tag im Körbchen verbrachte und uns beobachtete, er fraß nur aus Herablassung aus seiner Schüssel und kehrte, dabei auf dem Weg die Teppichfransen verdrehend, mit misstrauischem Blick ins Körbchen zurück, wir führten ihn, der Baumstämme und Autoreifen verächtlich ansah, gegen seinen Willen aus, als der Bus ihn überfuhr und der Veterinär sagte

– Man sollte ihn besser einschläfern

blieb das Körbchen ewig lange in Begleitung eines Gummiknochens stehen, ich steckte den Knochen in die Schürzentasche, hin und wieder drückte ich ihn

(Sehnsucht, nehme ich an)

und nicht ein einziges Bellen, würde ich ihn rufen, würde er wie meine Mutter zum Vorhang

– Du

vielleicht eine verlorene Silbe, die mich beruhigt, im Laufe der Jahre gewinnt man Gegenstände lieb, selbst solche, die sich bewegen, heute ist Ostersonntag und der dreiundzwanzigste März, er ist in diesem Jahr früh gekommen, um mich zu quälen, würde ich das Fenster öffnen, wären Wolken dort draußen, würde ich es nicht öffnen, Wolken im Zimmer und Regen auf dem Bett meiner Mutter, der Veterinär beugte die Pfote des Hundes, und der Knorpel saß locker

– Da ist nichts mehr zu machen

der Hund schätzte ihn mit verächtlichen Blicken und Blut spuckend ab, nein, er spuckte bloß, nun übertreib doch nicht, die Kruppe erschauerte, und das war’s, die Angestellte, die uns in der Praxis empfing, verkaufte Futter in Dosen mit einem Foxterrier auf dem Etikett und Hinweisen in drei Sprachen, die man nur mit Hilfe einer Lupe entziffern konnte, dazu Tabletten, die zur Verbesserung der Eckzähne dienen sollten

(was würde passieren, wenn ich sie nähme?)

und apropos Eckzähne, das Kinn meiner Mutter ohne Gebiss, anders gesagt, nicht meine Mutter zwischen Nase und Hals, sondern Kiefer und Zahnfleisch, regnen Sie nicht, Senhora, bringen Sie nicht wieder Oktober und die Resignation der Ulmen, um zwei Uhr nachmittags eingeschaltete Lampen, eine sanfte Hoffnung aufs Sterben, die Wirkung der Spritze kostspielig, und mein Mann bemerkte es nicht einmal, weil er damit beschäftigt war, die Hinweise auf der Dose, Zeile für Zeile mit dem Finger verfolgend, zu lesen, der Friede

(wird Frieden sein, oder brennen wir, und sie merken es nicht?)

wir bezahlten für das Krematorium im Garten, das mir wie ein Ofen zum Brotbacken vorkam, und kurz darauf ganz leichte Kohlestückchen, ich möchte lieber ganz begraben werden, um unter dem Grabstein weiter nachzudenken, während die Fingernägel wachsen und die Handschuhe in der Erinnerung verbleichen, von allem, was ich durchgemacht habe, bleiben ausgerechnet die Handschuhe, nicht die Nacht, als ich mit achtzehn Jahren auf dem Parkplatz vor den Wellen Schmerzen und Angst hatte und den Wunsch, zu beten, meine Mutter zeigte mir die Flecken in der Unterwäsche

– Was ist das da?

es bleiben die Handschuhe, damals haben sie mich nicht interessiert, und hätte man mir versichert

– Du wirst dich an die Handschuhe erinnern

hätte ich es nicht geglaubt, Handschuhe, ausgerechnet, wer begreift schon die Seele, sie sind letzte Woche gekommen, um Stiere für den ersten Stierkampf zu holen, und die Pferde warfen ihren Schatten aufs Meer, oder besser gesagt, auf den Felsen, wo wir spielten und auf den Grünalgen ausrutschten, meinem Bruder João gelang es nicht hinaufzuklettern

– Zieht mich rauf

und das Tier schaute ihn von der Steineiche her an, womit zerstreut sich meine Mutter in ihrem Inneren, mein Mann mit der Hundeleine und einem Päckchen Asche, die kein Körbchen brauchte

– Willst Du vielleicht das Päckchen haben?

die Hundeleine ist wer weiß wo abgeblieben, oben auf dem Schrank, auf dem sich die Koffer stapeln, in einer Abseite, in der Speisekammer, in meiner Abseite, in der Speisekammer, die Handschuhe in meiner Abseite, und meine Mutter, die ich nicht so deutlich sehe wie die Handschuhe, zeigt mir Flecken

– Was ist das da?

ein Parkplatz, auf dem nichts auf was auch immer Schatten warf, in der Ferne Schiffslaternen beim Fischen, immer zwei, die eine am Fischkutter, die andere im Wasser, die erste schien nach oben und die zweite nach unten, und beide verbreiteten die Einsamkeit von Herzdamen, ein Auto, besser als unseres, schaukelte ebenfalls vor und zurück, die Scheinwerfer gelöscht, um zu verhindern, dass die Stiere es sahen, einer meiner Füße war gegen das Lenkrad verdreht, der Schalthebel zerquetschte meine Nieren, eine Niere, also ich glaube, eine der Nieren, die auf der anderen Seite wurde von den Aufwölbungen der Sitzbank zerdrückt, mein Körper war aus zu vielen Teilen gemacht, die störten, ich hätte vom Meer nicht so viele Ellenbogen erwartet, die mir die Bluse zerrissen, ich bin ganz Ihrer Meinung, Mutter, was ist das da, meine Mutter vergrößerte die Flecken, indem sie den Stoff auseinanderzog

– Wiederhole nicht was ich sage

mit zitterndem Mund untersuchte sie auf dem Sofa die Wäsche, führte sie an die Nase, ich

– Werden Sie sich an mir schnäuzen?

und als das Meer verstummte, verstummte mein Mann, jünger, als er vorher gewirkt hatte, er strich sich mit Handflächen glatt, die ihm nicht gehörten

(in seiner Beklommenheit gehörte ihm wenig)

oder besser, er strich das, was wir getan hatten, glatt, um sich einbilden zu können, dass wir nichts gemacht hatten

– Ehrenwort wir haben nichts gemacht

obwohl meine Mutter

– Was ist das da?

wir haben nichts gemacht, wenn wenigstens die Pferde an den Strand zurückkehren und ihre Schatten auf das treten würden, was die Ebbe zurückgelassen hat, Röhricht, Öl, Seetang, den Henkel eines Tonkruges, mein Mann

– Und jetzt?

die Schatten der Pferde traten auch auf das

– Und jetzt?

und ich hatte Mitleid mit uns, schau, die Handschuhe auf dem Fußboden, warum sie mich anrühren, weiß ich nicht, die Hand, die nicht wagte, meine zu berühren, und die, würde sie meine Hand berühren, die Finger verlieren würde, die Arme, sie flehte

– Lass mich

ohne was auch immer zu flehen, als wir den Parkplatz verließen, schaukelte das Auto, das besser als unseres war, nicht mehr, die Angestellten transportierten die Stiere in einem Lastwagen, der nach Urin roch, zum Stierkampf, und die Schnauzen spähten durch die Ritzen zwischen den Brettern, mein Mann drehte am Lenkrad, bei dem ich mir sicher war, dass mein Fuß noch immer

– Ich mag dich

mit einem Altarkerzenflackern, bei dem ich dachte

– Sie geht gleich aus sie geht gleich aus

im Inneren des

– Ich mag dich

der flatternde Schmetterling einer Bitte

– Erzähl es niemandem

mit taumelnden Fühlern, zwei Finger kamen aus dem Hemd heraus, streiften mein Knie, und er verlor sie wieder, während meine

(ich zählte sie heimlich einzeln nach)

zum Glück immer noch an ihrem Platz waren, imstande, sich zu strecken, zu beugen, die Handtasche zu nehmen, meine Mutter hinunter in die Betttücher zu drücken

– Senhora

in diesem Haus, das um drei Uhr nachmittags so traurig ist, meine Schwester Ana

– Sie ist gestorben

und von wegen, sie ist gestorben, denn immer noch Silben, der Lastwagen mit den Stieren, Staubwolken, die lange brauchten, bis sie sich gelegt hatten, die uns vor uns selber verbargen, und indem sie uns vor uns selber verbargen, waren wir nicht, wie oft war es mir auch ohne Staubwolken so vorgekommen, als wäre ich nicht, nach den Staubwolken die Steineichen und Weiden Gott sei Dank wieder untadelig, alles, was mein Bruder Francisco verkaufen will, als wäre es möglich, ein Paar Handschuhe auf dem Fußboden zu verkaufen, ich schreibe nicht darüber, dass mein Vater gestorben ist, jemand wird es für mich tun, aber gebt auf den Märzwind acht, der die Eschen biegt, und gebt auf die menschliche Stimme des Grases acht, das möchte, dass wir begreifen

– Ich bin es

als wäre Begreifen wichtig, und was denn begreifen, wenn es überhaupt nichts zu begreifen gibt, mir war es nie wichtig zu begreifen, auch das mit eingeschlossen, was in meiner Mutter heute noch fortbesteht oder, besser gesagt, eine Abwesenheit im Bett mit ihrem unvermittelten

– Du

lassen Sie mich in Ruhe, Mutter, und in dem noch wachen Winkel des Gehirns umherschwirrende Silben, was wird mit ihren Kleidern geschehen, die von den Bügeln rutschen, mit ihren Parfümflakons, ihren kleinen Heiligenfiguren, was wird mit mir geschehen, einmal abgesehen davon, dass ich altere, na klar, was bedeutet, die Stufen eine nach der anderen erobern, während das Klavier des Herzens die Saiten der Adern zerreißend die Treppe hinunterpoltert, mein Mann

– Müssen wir wirklich heiraten?

nicht im Auto, bei den Schatten der Pferde im Wasser, im Straßencafé, wo kein Galopp, als wir das Papier mit dem Laborergebnis lasen und mir die Niere noch einmal wehtat, tauchte ein unerwarteter Finger, anders als jene Finger, die ich an ihm kannte, auf der Suche nach wer weiß was am Augenlid auf, prüfte wer weiß was, wischte es an der Hose ab, und mein Mann fragte den Finger

– Und wenn nicht ich das war?

ich habe noch nie jemanden so wenig Platz einnehmen sehen wie ihn an jenem Nachmittag, während unentschlossene Teile sich in mir zu vereinigen begannen, durchsichtige Membranen und diese Art von Tränen, die uns das ganze Leben begleiten, manchmal an den Augenlidern, aber meist vor uns selber verborgen in einer der Falten der Trostlosigkeit, aus der wir gemacht sind, wenn ich euch erzählen könnte, aber ich schaffe es nicht, was uns ohne unser Wissen zerfrisst, was es uns kostet, ohne dass wir es merken, ausgenommen die hinuntergewürgten Geheimnisse und das bewusste Unglück, so viele verstorbene Puppen, so viele nur uns gehörende Augen, die uns tadeln

– Warum?

meine Mutter

– Was ist mit dir los?

lügen

– Nichts ist mit mir los ehrlich

wenn gerade alles los ist, reiten Sie nicht darauf rum und beachten Sie mich einfach nicht, ich habe doch meinen Mann geheiratet und die Flecken ungeschehen gemacht, ohne die Pferde ungeschehen zu machen, da sind sie bei mir und quälen mich, ich erkläre das nicht besonders gut, weil die Worte voraneilen und das Papier nicht reicht, da ist António Lobo Antunes, der Sätze überspringt, außerstande, mich zu begleiten, und der, um mich loszuwerden, in einem Waschtrog die Kätzchen dessen ersäuft, was ich fühle, ich habe meinen Mann geheiratet, und nachdem das mit dem Veterinär und dem Hund war, saß jeder von uns beiden an seinem Ende des Sofas, das immer länger wurde, immer länger, nicht einmal schreiend hörten wir einander, nicht einmal nebeneinandersitzend sahen wir uns, nicht einmal aus der Nähe erkannten wir einander, fragten beide den Finger, jemand holte die Hälfte der Möbel ab, das Silberbesteck, das uns seine Tante geschenkt hatte, und das Mountainbike, mich machten die Kleidungsstücke in den Umzugspappkartons traurig, ich dachte

– Sie werden seine Hemden verderben seine Schuhe unbrauchbar machen

ich hatte Mitleid mit meinem Mann und mit mir, ich sah, wie er in den Wagen stieg, sah, wie er mich beim Einsteigen zuschauen sah, ich wartete auf eine Geste, aber da war keine Geste, kein Arm, der winkte, der Wimpel eines Lächelns, das aufgab, ein

– Ich mag dich

erlosch in einer kleinen Spirale, was würde ich nicht darum geben, es zu hören, würde mein Vater mich mögen, vielleicht ginge es mir etwas besser in der Wohnung voller Nägel an den Wänden anstelle von Bildern und einem Foto von uns auf dem Landgut, mein Sohn ist uns nicht ähnlich, er gleicht meinem Nichtverstehen und meinem Schrecken, wenigstens sah mich der Stier bei der Steineiche abschätzend an, um sechs werden sie einen Stoßdegen in ihn hineinrammen, und falls der Stoßdegen versagt, versuchen sie es noch einmal und versagen, sie werden einen Stoßdegen in Sie hineinrammen, Mutter, lassen Sie von dem

– Du

ab, beruhigen Sie sich, ein halbes Dutzend Stunden, und Sie sind die Infusionsflasche, den Sauerstoff, die Magerkeit los, es ist einfacher, als man denkt, quälen Sie mich nicht

– Was ist das da?

denn es ist nichts weiter als ein Blutfleck, der nichts wert ist, ganz bestimmt nicht, ein Tröpfchen, die Knie knicken ein, der Körper knickt über den Knien ein, der Kopf knickt über dem Körper ein, Sie fallen auf die Seite, glauben nicht, dass Sie gefallen sind, und in dem Augenblick, in dem Sie es nicht glauben, vergessen Sie es, ein Gespann schleift Sie aus der Arena, und die Angestellten glätten die Furchen im Sand

– Es hat Sie nie gegeben

das Bett wird abgezogen, die Arzneien vom Nachttisch genommen, alles in einem Karton verwahrt, und Ende, aus, wir befinden uns nicht auf den Friedhöfen, sondern in Schachteln als Blisterpackungslamellen, als mit Paketband zusammengebundene Briefe, als Kaffeestaub in mit einer Wäscheklammer verschlossenen Beutelchen, und zurück bleibe ich, die ich die Dinge auf dem Kommodendeckel zurechtrücke und genervt bin, weil ich den richtigen Platz nicht finde

– Hier ist es nicht so was Blödes

und ich rücke sie erneut zurecht, der Schatten der Pferde, wenigstens das, läuft auf dem Meer entlang, und ihn brauche ich nicht neu auszurichten, er tritt dabei weder auf Röhricht noch auf Öl, tritt auf das, was wir einmal waren, Senhora, und noch immer sind, zwei Frauen allein in diesem Zimmer und im Inneren der Falten der Untröstlichkeit ein flüchtiges, unbemerktes Glitzern, wir müssen aufbrechen, nicht wahr, die Tür schließen, hinausgehen, der Stier bei der Steineiche macht einen kleinen ziellosen Schritt, bevor der erste Muskel schwach wird und wir ihn verlieren, wenn ich es mir genauer überlege, hat mein Mann gewinkt, wer setzt nicht ein Lächeln auf, selbst wenn er es gleich wieder verliert, achten Sie auf meines, Senhora, und lächeln Sie zurück, werden Sie nicht zu einem Karton, seien Sie kein Schimmel im Keller zwischen noch älterem Schimmel, das Fenster oben beleuchtet eine Katze, die uns mit den Lämpchen ihrer Augen beleuchtet, es gibt Augenblicke im Dunkeln, in denen nur die Katzen zu leuchten beginnen, was haben sie im Buch zu suchen, aus welcher Region der Kindheit ist diese hier gekommen, um die Seite mit Kapok und Stille zu füllen, während mein Mann den letzten Koffer hinunterträgt, der auf den Stufen aufschlägt, und da kommen der Parkplatz, der Fuß am Lenkrad, die Pferde, und einer der Angestellten

– Was ist das da?

nein

– Was ist das da?

das war meine Mutter, die auf meine Wäsche zeigte, wenn ich eines Tages den Karton besuche, antworte ich

– Das ist vom Stier bei der Steineiche nicht meins

wenn der Stoßdegen und die Knie, der Körper, der Kopf, die Musik und die Taschentücher des Publikums, meine Schwester Ana weint, und ich

– Weine nicht

es war nicht die Mutter, es war ein Tier, man stirbt nicht hier im Haus, wilde Kaninchen im Garten und feuchte Augen, Geschniefe, der Gärtner behauptete, dass die Käuzchen uns mit ihren Krallen auftrennen, ich bin meinem Mann nie wieder begegnet

(von meinem Sohn spreche ich nicht)

aber das Auto entfernt sich unaufhörlich, als ich über Blumentöpfe stolpernd auf den Balkon komme, will heißen, ich entdecke ihn, wie er zwischen stehenden Autos steht, mein Mann stellt den Koffer ab, steckt den Schlüssel ins Schloss, rückt den Koffer auf dem Sitz zurecht, auf den ich mich immer setzte, als wäre der Koffer ich, und die Vorstellung gefiel mir, ich anstatt der Tasche mit den Bartutensilien

(trockener Schaum außen an der Tube, sofort aushärtende Flocken)

Krawatten Schuhwichse Hemden, der Atem meiner Mutter stockt kurz, der Blick wird abwesend und setzt mit einem Schluchzer wieder ein, wobei der Blick dann zugleich hier und woanders ist, wie wenn sie auf der Suche nach den Schlüsseln oder dem Taschenkalender

(Telefonnummern des Zahnarztes, des Enthaarungssalons, des Friseurs)

in der Handtasche wühlte, mit den Händen dem Zufall folgend, ich habe mich immer darüber gewundert, dass die Augen blind werden, wenn wir sie nicht gebrauchen, würde ich in einem Beet eine Katze finden, würde sie vor mir fliehen, so wie alles vor mir flieht, nicht nur mein Mann, mein Vater beispielsweise meidet mich stumm, das auf dem Landgut, in Lissabon meine Mutter

– Du

also lenke dich ab, reihe die Solitärvasen, die Bürsten auf, um den Ring vom Vorhang an der Stange zu befestigen, brauchst du eine Leiter, und als du die Leiter bringst, ist der Teppich umgeschlagen, leg den Teppich wieder flach, mit dem Fuß schaffst du es nicht, er wellt sich noch mehr, beug dich weiter herunter, du musst in die Knie gehen wie der Stier und die Fransen richten, beim Richten der Fransen schütteln sich die Nippes auf dem Beistelltischchen und verstellen sich, räum die Nippes auf, das Schachspiel, bei dem ein Bauer den anderen umgekippt, was wiederum das Pferd von seinem Platz gerückt hat, das keinen Schatten aufs Meer wirft, ein Spielstein mit offenem Mund

– Machen Sie den Mund nicht auf Mutter

der sich nie bewegt, wozu nützt das Pferd, wozu bin ich nütze, wenn ich die Welt ordne, die einer von uns

(wer von uns?)

in Unordnung bringen wird, so wie die Erinnerung an meinen Mann in mir in Unordnung gerät, ich verstecke sie unter den Handschuhen und auch vor meinem Vater, der mich meidet

(warum meiden Sie mich, Vater?)

und sie kommt umgehend wieder, hartnäckig, man macht sich keine Vorstellung davon, wie schwierig es ist, sie zu verstecken, was für ein Leben, das Schachbrett nehmen und es gegen die Wand werfen, bis nur noch der Stier bei der Steineiche übrig bleibt, der mich ausspäht, wie traurig dieses Haus um drei Uhr nachmittags ist, das Tier war aus dem Viehgatter der Stierkampfarena gekommen, wo es in Panik uriniert hatte, am eigenen Urin und eigenen Kot geschnuppert hatte und sie nicht wiedererkannte, den eigenen Geruch schnupperte und sich selber angriff, weil der Geruch sich verändert hatte, gebt ihm den Baum, den Wind und die Pferde vom Schachspiel zurück, die die Stiere lenken, aus Elfenbein und ohne Füße springen sie über die Bauern und beruhigen sich feierlich, die alten Wohnungen im alten Teil Lissabons, heutzutage gibt es da neue Gebäude, wo sind die Zimmer und Flure, in denen es im Winter regnete, nicht draußen, und es war auch kein Regen, sondern ein Überraschtsein in den Dingen, denen wir leidtaten, meine Urgroßmutter und die Damen wortlos, und dennoch sprachen sie, denn da war ein Spuckeglitzern, ein Zahn, was wollten sie, was erwarteten sie, was interessierte sie noch, ein Foto trat aus dem Dunkeln hervor, voller Hoffnung, dass wir es verstehen würden, aber wir verstanden es nicht, man verstand

– Ich bin es

aber wer ist das Ich, das

– Ich bin es

flüstert, meine Mutter Silben, bei denen die Hand über die Brust wandert, bis sie diese ganz bedeckt, vielleicht in der Absicht, Echos zu ersticken, die nichts bedeuten oder das bedeuten, was sich mir entzieht und dennoch existiert, mein Bruder João schaut zu mir, schaut zu ihr

– Mutter

und das Gesicht der Mutter wendet sich zum Klang hin und gibt auf, bevor sie ihn gefunden hat, denn sie hat ihn vergessen, möglicherweise ist, als sie

– Mutter

hörte, ihre eigene Mutter mit Stücken von Erinnerungen vermischt in ihrem Kopf aufgetaucht, mein Vater zog vor meiner Großmutter den Hut

– Senhora

so verschüchtert und ohne Finger wie mein Mann, nur Dutzende Daumen, die sich gegenseitig zerfetzten, da einer oder zwei herunterhingen, oder keine Erinnerungen, ich drückte sie ins Betttuch hinunter, und ihr Hass auf mich

– Was willst du?

was wir füreinander empfinden und ich nicht sagen kann, sie starrte mich an, schüttelte den Kopf, hatte die Flecken vom Parkplatz im Sinn, zeigte auf den Bilderrahmen meines Großvaters hinter ihr

– Wenn dein Großvater das wüsste

ohne zu bemerken, dass es nicht mein Großvater war, es war eine Landschaft mit Schäfchen und Hirten, mein Großvater hing weiter oben, oder aber anstatt meines Großvaters ein zehn- oder elfjähriges Mädchen, das dachte

– Wie traurig dieses Haus um drei Uhr nachmittags sein muss

während es einen Sessel umfangen hielt, einen losen Faden fand und den Faden aufrollte, der Sessel verschwand in dem Maße, wie sie den Faden um das Handgelenk wickelte, der Karton im Keller und die Katze mit zarter Vorsicht

(ich hatte einen Vetter, der immer bat

– Mit Verlaub

weil er mit dem Leben förmlich umging, Pinzetten statt Hände, Wimpern anstelle von Augen, Seidenpapierhusten, das Taschentuch, das das Jackett zierte, wurde zur Magnolie)

mein Bruder João, indem er sich dem Bett näherte

– Ist sie schon gegangen?

aber noch war sie es nicht, warte, erst nach sechs Uhr, wenn die Leute in der Stierkampfarena sind und die Musik zu spielen beginnt, unterdessen das

– Du

von einst, aber unregelmäßiger, schwach, ein

– Du

nicht an uns gewandt, an sie gewandt, beinahe das

– Ich bin es

der Verstorbenen in den Träumen, und mit dem

– Ich bin es

ein fernes Galoppieren, anfangs auf dem Landgut, wie es die Stiere lenkte, dann auf dem Korridor und am Ende in dem, was ich für Wellen halte, Lichter, die sich gegenseitig widerspiegeln, nicht uns, die wir aufgehört haben zu sein, mein Mann stellte die Rückenlehne hoch, verlangte

– Stell die Rückenlehne hoch

um auszulöschen, was geschehen war, aber was geschehen war, wurde nicht ausgelöscht, er wischte die Scheiben mit dem Ärmel, schaffte es nicht, sie klar zu putzen, und wir beide von Ewigkeit zu Ewigkeit beschlagen, und dennoch die Pferde auf dem Sand, zehn, zwölf, fünfhundert, und mein Vater inmitten von ihnen, mein Vater sagte zum ersten Mal meinen Namen

– Beatriz

mied mich nicht, war freundlich, mein Vater war mein Freund, packte mich an der Taille und setzte mich auf die Kruppe, wir ritten gemeinsam weiter, und unser Schatten war größer als die übrigen, so groß, dass aus unseren Schatten ein einziger Schatten wurde, der das Haus verdunkelte, wir verschwanden aus dem Zimmer, aus Lissabon, aus dem Landgut zwischen Tausenden von Mähnen, ohne zu sehen

(wie konnten wir sehen?)

wie der Kopf eines Stieres sich auf den Körper legt, und im Inneren eines verbeulten Kartons ein letztes

– Du

das sich an niemanden wendet.

Tércio de Capote

1

Denkt auch nicht nur eine Minute daran, mir wegzunehmen, was mir gehört: wo ich jahrelang die abgenagten Knochen dieser Familie genossen habe, das heißt, die netten Bescherungen meines Vaters wieder ausgebügelt und die Launen meiner Mutter an die kurze Leine gelegt habe, ist es mehr als gerecht, das Stück Fleisch zu essen, das nach den Hypotheken und Schulden vielleicht noch übrig ist, und ordentlich zu leben wie damals, als meine Schwester Beatriz, die sich um meine Mutter kümmert und die ihre Ehemänner verlassen haben, um meinen Vater herumscharwenzelte

– Nehmen Sie mich mit auf einen Ausritt nehmen Sie mich mit auf einen Ausritt

und sich oben in den Sattel setzte, sie hat schwanger geheiratet, als ich noch ein kleiner Junge war, ich erinnere mich daran, wie meine Mutter ihr wer weiß was auf der Wäsche zeigte

– Was ist das da?

ich ging näher heran, um zu sehen, was das da war, und meine Mutter schob die Wäsche weg

– Geh raus Francisco

ich erinnere mich daran, wie mein Vater an jenem Tag am Tisch saß, die Krawatte mal weit, mal eng war, je nachdem wie er atmete, und ich habe niemals jemanden so heftig atmen sehen, auch die Fohlen nicht, nachdem sie viel gerannt sind, meine Schwester Beatriz und der Löffel, beide in der Suppe, das nicht auf dem Landgut, im Haus in Lissabon, mein Vater legte die Serviette auf dem Tischtuch ab und verschwand unter dem Vordach, meine Mutter wollte aufstehen, und anstatt aufzustehen, wurde sie auf dem Sitz immer größer, meine Geschwister schwiegen

– Mutter

ich schwieg ebenfalls

– Regen Sie sich nicht künstlich auf beruhigen Sie sich

(fast alles im Leben läuft stumm ab, nur die Schreie nicht)

wir haben einander nie gemocht, nicht wahr, warum zum Teufel haben Sie mich und dazu noch all diese anderen Kinder bekommen, die besser auch nicht nur eine Minute daran denken sollten, mir wegzunehmen, was mir gehört, ich habe die abgenagten Knochen der Familie genossen, indem ich Gläubiger charmiert, Viehzüchter überzeugt, Verrücktheiten kaschiert, das Betttuch von hier nach da gezogen habe, um die Risse in der Matratze zu verkleinern, die jeder bemerkte, meine Mutter, wenn ich ihr Rechnungen zeigte

– Mach was du willst ich bin müde

will heißen arbeite, mach dich kaputt, lüg mich an, solange du mich in Frieden lässt, sie tadelte den Hut meines Vaters an der Garderobe

– Du hattest kein Recht mich mit zwei Häusern an der Backe zu verlassen

er, der Sie immer verlassen hat, Senhora, dem Sie piepegal waren, mein Problem ist, dass ich die Leute denken höre, sie verstummen, und ich höre sie, bei der Hochzeit meiner Schwester gaben sie mir zwei Glas Wein, und der Fußboden krümmte sich, als es mir gelang, eine Art Gleichgewicht zu erlangen, krümmte er sich in die andere Richtung, ich geriet durcheinander

– Hör auf

aber er war taub, was ich gegessen hatte, wurde im Magen zu lebendigen Fröschen, die Bläschen quakten, ein erschrockener Herr

– Der Kleine übergibt sich gleich

noch heute, auch wenn ich nicht trinke, damit die Fußböden ruhig bleiben, kein ganzer Frosch, die Andeutung eines Frosches, der Arzt

– Machen Sie sich keine Sorgen das sind Gase

aber ich weiß, dass es ein Tier ist, wir bei der Hochzeit und mein Vater auf dem Landgut, die Hündin zu seinen Füßen, eine Rassehündin für die Fasane und die Hasen, sie blieb reglos, eine Pfote in der Luft, in Startposition stehen, kein Zittern bis zum Schuss der Flinte, und mit dem Schuss belebte sich die Pfote, mein Vater ohne Begleitung auf dem Landgut verweigerte das Mittagessen, Mercília brachte das Tablett, fixierte ihn einen Augenblick lang und nahm das Tablett wieder mit, vielleicht das einzige Geschöpf, das ich nicht ganz und gar hasste, ich habe nicht gesagt, dass ich sie mochte, ich habe gesagt, dass ich sie nicht ganz und gar hasste

– Ich habe sie alle großgezogen

während ich ihr den Rücken zuwandte

– Sieht man sich das Ergebnis an wäre es besser gewesen uns zu töten

kam Mercília mit ihrem üblichen Satz

– Gott hat ihm keine Seele gegeben

und es ist ein Glück, dass er mir keine Seele gegeben hat, hätte er das getan, wäre ich zu einem Taugenichts geworden wie die anderen, und wir hätten nicht einmal Geld fürs Essen, mein Vater verscheuchte die Hündin

– Du bist eine Hure wie meine Tochter

die Hure, der er erlaubte, sich auf der Kruppe des Pferdes an seinem Gürtel festzuhalten, einmal, ich konnte damals noch nicht lesen, bat ich

– Nimm mich ein Stückchen mit

und er gab dem Tier die Sporen und entfernte sich, Mercília nahm mich auf den Arm

– Machen Sie sich nichts daraus junger Herr

ich, der ich keine einzige Träne weinte, ich strampelte mit den Füßen, bis sie mich auf dem Boden absetzte, und Mercília überrascht

– Wollen Sie mich etwa schlagen junger Herr?

(konnte sie etwa auch die Menschen denken hören?)

nicht mit den Schwierigkeiten von heute, und ich weiß nicht, warum sie immer noch hier ist

(sobald meine Mutter tot ist, schmeiße ich sie raus)

mit einem Spazierstock in jeder Faust, von rechts nach links stolpernd, wobei sie atemlos fragt

– Wollen Sie mich immer noch schlagen junger Herr?

zu nichts nütze, außer ihre Gaumen in die Reste im Topf zu stecken, auf einem Stuhl mit kaputter Sitzfläche, den sie wer weiß wo aufgetrieben hat, dieselbe Schürze von Anfang an und Pantoffeln, die meine Mutter weggeworfen hat, als meine Schwester Beatriz mit ihrem Mann das Landgut besuchte, ging mein Vater weg, begleitete das Vieh, um sie nicht zu sehen, ich beobachtete ihn in der Ferne, bis das Auto wegfuhr, seine hasserfüllten Manöver, die die Tiere durcheinanderbrachten, meine Schwester Beatriz mit meiner Mutter im Nähzimmer, sie schwieg, sobald ich kam, ihr Ehemann strich herum und untersuchte die Terrinen, suchte nach der Marke auf der Unterseite, wenn er mich denken hörte, würde er verstehen

– Was hat sie in dir gesehen?

und der Sohn auf allen vieren mit dem Feuerwehrauto, das ich an einem weit zurückliegenden Weihnachten geschenkt bekommen habe, da war die Leiter, die der Rost gelähmt hatte, und die Farbe mit Kratzern, ich nahm dem Kind den Wagen weg, wie jeder es getan hätte

– Woher hast du das Auto?

versicherte mich, dass die Türen noch aufgingen und die Sirene noch funktionierte, denkt auch nicht nur eine Minute daran, mir wegzunehmen, was mir gehört, lass das Weihnachtsfest los, das mir gehört, verschwinde, die Sirene funktionierte nicht, die Türen gingen nicht auf, und mein Vater nahm mich nicht mit, wenn er hinter den Stieren herritt, ich frage mich, was mir bis heute Gutes passiert ist, und da fallen mir unvermittelt die Insekten ein, die auf der Oberfläche des Baches spazierten, und ich schaute ihnen verblüfft zu, dieses Wunder habe ich vollbracht, mich auf einem Stein hinzuhocken und Insekten zu betrachten, meine Schwester Beatriz zu meiner Mutter

– Francisco hat dem Kleinen das Spielzeug weggenommen

und ich möchte wetten, bald würde sie zu Mercília gehen und sich über mich beschweren, Mercília schrie ihr ins Ohr, denn für einen Tauben ist die Welt hart geworden, nicht er selber

– Gott hat ihm keine Seele gegeben

und was interessiert mich schon, was ich im Kopf habe, eine Seele oder Pleuelstangen, solange ich am Leben bleibe und sie daran hindere, das Fleisch zu essen, das mir gehört, die Ewigkeiten, die ich die abgenagten Knochen der Familie genieße, geben mir das Recht, finde ich, wer verhandelt, wer bittet, wer unterschreibt, wer spiegelt etwas vor, damit sie weiterhin überzeugt sind, reich zu sein, so viel Weideland, so viel Vieh, so viele Bäume

– Er hat ihm das Spielzeug weggenommen Mercília

und ich mit den Spielzeugen, die ich gehabt habe, will heißen mit den Insekten vom Bach im Sinn, meine Mutter, die sterben wird

– Du

zu mir, nehme ich an, denn sie hat mich ständig getadelt

– Sogar wenn du das Haus nicht verlässt gelingt es dir dich schmutzig zu machen

und wer hat sich denn bis heute jemals um mich gekümmert, ich habe mich um euch gekümmert, ihr solltet mir dankbar sein, sobald meine Mutter auf dem Friedhof liegt, will ich euch hier nicht mehr haben, ich sage einem der Angestellten, dass er Mercília zum Linienbus begleiten und zuschauen soll, wie sie wegfährt, wohin interessiert mich nicht, solange ich sie nicht mehr zu sehen brauche, sie hat mich dabei erwischt, wie ich grünes Obst aß, und wurde böse, eines Nachmittags hat sie sich plötzlich heruntergebeugt und mich umarmt, als wäre ich ihr Sohn, aber das bin ich nicht, wie oft habe ich wiederholt

– Ich habe keine Eltern

und ich wagte weder mich zu bewegen noch zu gehen, denn vor mir war anstatt des Fußbodens ein Loch, niemand beruhigte mich mit der Versicherung

– Da ist überhaupt kein Loch

niemand sagte

– Komm her

darum ahmte ich die Unterschrift meiner Mutter und meiner Geschwister nach und setzte mich mit dem Notar ins Einvernehmen, der zögerte zu, nein, das erzähle ich später, niemand sagte

– Komm her

es hieß

– Sogar wenn du das Haus nicht verlässt gelingt es dir dich schmutzig zu machen es fällt mir schwer zu glauben dass ich dich geboren habe

und der Abscheu, die Verachtung, wenn Sie es mir nicht glauben, fragen Sie das Feuerwehrauto, das ich, ohne es zu wollen, verbeult habe, und es wird es bestätigen, oder das Obst, das mir den Magen durcheinandergebracht hat, und Mercília

– Ich habe ihn gewarnt

die Insekten liefen immer noch ziellos auf dem Wasser herum, so wie ich oft ziellos auf dem Landgut herumgelaufen bin und unter den Steinen stöberte

– Ich werde einen Schatz finden

und ich fand vertrocknete Beeren, ein Stück Hufeisen, Müll, warum erlaubt man mir nicht, an Orten ohne Koliken oder Erbrechen und ohne den Arzt zu leben

– Das hast du ja mal wieder gut hingekriegt

und ohne meine Mutter, die in einem Glas Pillen für die Eingeweide auflöste, und Mercília trocknete, unermüdlich auf- und abgehend, Tränen

– Ich habe ihn gewarnt

wobei die Schritte mich in meinem Kopf zermalmten, und wo ich schon daran denke, es gibt Augenblicke, in denen ich beinahe akzeptiere, dass, oder Augenblicke, in denen ich beinahe zulasse

ich lasse es nicht zu

sie nicht zu zwingen, in den Linienbus zu steigen, gebe Gott, dass du umgehend aus dem Landgut und aus mir verschwindest, wenn sie mich umarmt, werde ich, der ich zu gut bin, schwach, aber zum Glück fange ich mich schnell wieder

– Francisco hat dem Kleinen das Spielzeug weggenommen Mercília

wo sich Francisco doch nur darauf beschränkt hat, sich zurückzuholen, was ihm gehört, und ihm gehören Türen, die sich nicht öffnen lassen, und eine Leiter, die nicht funktioniert, großartig, meine Geschwister hingegen haben Fahrräder, Dreiräder, meine Schwester Rita, die an die Fensterbrüstung gelehnt, die Hand unterm Kinn, versicherte, dass der Mond sie anlächelte, hatte ein Pony nur für sich, mal unter uns und ganz spontan, was außer dem Feuerwehrauto haben sie mir sonst noch gegeben, ich habe die Unterschrift meiner Mutter und die meiner Geschwister nachgeahmt, habe mich mit dem Notar ins Einvernehmen gesetzt, der ewig für das Stempeln und das Zurechtrücken der Brille brauchte, die er mit dem kleinen Finger auf die Nase schob

– Besonders moralisch ist das nicht oder?

also musste ich seine Moral mit dem Versprechen von feuchtem Ackerland und ein paar Häuschen in Santarém aufbessern, in denen der Legende zufolge mein Großvater geboren wurde und die nichts hergaben, der Notar, der wieder mit der Brille beschäftigt war, beklommen

– Ich weiß nicht

brachte Papiere durcheinander in seinem engen Büro, in dem der Mond ihm ganz gewiss nicht zulächelte, bat

– Mit Verlaub

holte eine Flasche und einen Löffel aus der Schublade, schluckte, mit der offenen Hand unter dem Löffel das Hemd schützend, den Sirup, leckte den Löffel ab, wickelte ihn ins Taschentuch, verkorkte die Flasche

(nein, er verkorkte sie nicht, er drehte den Verschluss zu)

zeigte auf die Weste

– Die Lunge

denn die Frösche saßen bei ihm nicht im Magen wie bei mir, sondern in der Lunge, er schloss die Augen im Brillengestell, und man hörte die Tierchen raspeln, ich habe die Unterschriften meiner Familienangehörigen nachgeahmt, erfand ein Handzeichen, als ich ihm das feuchte Ackerland und die Häuser übertrug, die Frösche misstrauisch

– Sieht nicht wie dein Name aus

und selbstverständlich war das nicht mein Name, wie ich später vor Gericht beweisen werde, auch wenn ich nicht glaube, dass es ein Später gibt, du stützt die Siruptropfen mit der Handfläche ab, und der Arzt sagt, dass du dich wieder anziehen sollst

– Die Frösche fressen Sie auf Gevatter

wie konntest du glauben, dass ich dir übergeben würde, was ich damit verdient habe, dass ich die abgenagten Knochen esse, der Notar entschied sich schließlich und rief den Gehilfen, dem ich ebenfalls das feuchte Ackerland versprach, damit er als Zeuge diente, und stempelte alles ab, während ich ihn beneidete, denn wenn es drei angenehme Dinge im Leben gibt, dann sind das, Papier an der perforierten Linie abzureißen, die Plastikblasen, mit denen die Gläser in Kartons geschützt werden, zwischen Daumen und Zeigfinger, mit diesem leisen Knall, der mich hinreißt, platzen zu lassen und, der höchste Genuss, zu stempeln, da sich das Stempeln aus unterschiedlichen Phasen zusammensetzt, zuerst den Stempel auf dem Tintenkissen anfeuchten, ihn als Nächstes mit grimmiger Energie auf das Papier hauen und am Ende das Werk betrachten, ich wollte gerade glücklich schreiben und schreibe glücklich, glücklich das abgeschlossene Werk betrachten, das Stück Fleisch, das nach den Hypotheken und den Schulden noch übrig ist, gehört Gott sei Dank mir, wenn ich es mir recht überlege, lächelte der Mond möglicherweise doch im Fenster des Notars, während er, als ich über die Schulter meiner Schwester Rita spähte, in den Steineichen verhakt ganz ernst war

– Ich sehe ihn nicht lächeln

und meine Schwester Rita

– Weil du nicht richtig hingeguckt hast

ihn sehe ich nicht lächeln, aber mich sehe ich lächeln, als ich die Aktenmappe des Notars im Tresor einschließe, zwei Zahlenräder an der Tür und dahinter in einem Beutel die Juwelen, die meiner Mutter gehört haben und die von diesem Augenblick an mir gehören, wenn Mercília das wüsste

– Gott hat Ihnen keine Seele gegeben junger Herr

im Linienbus mit einem Hütchen mit zerbrochener Feder, die eine Hälfte der Feder steht hoch, die andere schaukelt hin und her, der Sitznachbar

– Wohin fahren Sie Dona Mercília?

und Mercília braucht etwas, bis sie ihn versteht, blickt auf die rückwärts laufenden Baumstämme, eine Mühle, Turteltauben auf den Weiden

– Weit weg

nicht zum Nachbarn, ohne den Nachbarn zu beachten, zu mir, der nicht bei ihr war

– Weit weg

und dennoch habe ich den Verdacht, dass sie mich, obwohl ich keine Seele hatte, den anderen vorzog, denn das menschliche Wesen ist ein Abgrund, mich ärgert das Osterfest mit einem neuen Tischtuch auf dem Tisch, brennenden Kerzen und Tellerchen mit Mandeln, die Temperatur der Suppe wurde mit dem kleinen Finger geprüft, in den sich die Zunge verwandelte, der kleine Finger zog sich sofort in den Mund zurück

– Heiß

dreiundzwanzigster März und das

– Du

verblasst, warum bewegst du dich nicht mehr wie früher, Mercília, die Vorstellung, meine Mutter wäre tot, dennoch

– Sogar wenn du das Haus nicht verlässt gelingt es dir dich schmutzig zu machen es fällt mir schwer zu glauben dass ich dich geboren habe

dennoch kein Drama, sie hat mich nicht geboren, und daher ist sie nicht meine Mutter, aber ich habe mich daran gewöhnt, sie in der Nähe zu spüren, und irgendwie stört mich die Vorstellung doch, dass sie stirbt, nimm mich in den Arm, Mercília, bring die Frösche zum Schweigen, hindere sie daran, mich zu quälen, und zwing mich zu schlafen, wozu so viel Lärm in den Ohren, der nicht zulässt, dass ich höre, was Mercília sagt, und es ist nicht

– Gott hat ihm keine Seele gegeben

es ist

– Francisco mein Junge

und eine gewisse Zärtlichkeit, so ein Quatsch, Zärtlichkeit, regt sich in mir, der Verdacht, dass ich, würdest du mich in den Arm nehmen, sogar akzeptierte, dass die anderen es ausnützen und mir wegnehmen, was mir gehört, will heißen die Ruinen des Hauses auf dem Landgut und die Wohnung in Lissabon nach den Hypotheken, den Wechseln, den Schulden, die Reste dessen, was meine Schwester Ana nicht für Drogen ausgegeben hat oder was mein Bruder João nicht für die Knaben ausgegeben hat und was mein Vater nicht im Casino ausgegeben hat, wenn er gekämmt, nach Parfüm stinkend, in Jackett und mit Krawatte aus dem Haus ging, meiner Mutter verkündete

– Ein Treffen mit spanischen Stierkampf-Impresarios bin morgen wieder da

und ihr Gesicht, das aus der Strickarbeit herauskam, senkte sich ein wenig, das Parfüm blieb stundenlang, obwohl meine Mutter die Nasenlöcher rundete

– Mach das Fenster auf Mercília ich ertrage den Gestank nicht mehr

und im Fenster lächelte der aufgehende Mond, das Parfüm wurde von den Äpfeln im Obstgarten und den Käfern ersetzt, die der Dunkelheit vorangehen, man hörte die Pferde im Stall husten, und ich höre den Schuss, den von vor vielen Jahren, als sich die alte Stute ein Bein gebrochen hatte, meine Mutter legte die Strickarbeit weg

– Ich bin so verbraucht

und begutachtete die Wangen, und die Gardinen weiteten die Nacht, denn durch sie atmen die Schatten, wenn nicht jemand ein Licht in meinem Zimmer anmachte, weigerte ich mich, ins Bett zu gehen, ich starrte die Lampe voller Angst an, jemand könnte sie löschen, und plötzlich sah ich keine Lampe mehr, und es war Tag, der Notar packte die Aktenmappe, die ich, an die Stempel denkend, ebenfalls gepackt hielt

– Sie werden mich doch nicht etwa in Bezug auf Ihr Versprechen betrügen?

und ich hätte am liebsten das Löschpapier auf dem Schreibtisch gestempelt, die Gesetzesbücher, den Bauch, die in einem Ablagekorb gestapelten Papiere, warum ist die Treppe zur Kanzlei fast so verbraucht wie meine Mutter, der Empfangstresen verbraucht, die Schreibmaschinen verbraucht, eine Angestellte mit Ehering, aber im Herzen verwitwet, redete mit einem Seufzer, der Traurigkeiten ausblutete, und der Seufzer

– Haben Sie denn kein Mitleid mit mir?

die falsch gehende Uhr an der Wand log hemmungslos, sogar der Sirup in der Schublade ekelte mich an, der Löffel, das Taschentuch, die trockenen Flecken auf dem Etikett, als ich klein war, erschien einmal der Krankenpfleger mit Zäpfchen, und ich wartete bäuchlings darauf, dass sie meinen Mund erreichten und ich sie schlucken konnte, mein Vater kam immer ohne Krawatte und Parfüm zurück, aber mit Frauenspuren am Kragen, die man bemerkte, weil die Strickarbeit meiner Mutter reglos in der Luft hing, Finger, die im Gesicht Absackungen, Erdrutsche, fehlende Backsteine eingehend abschätzten, Rohre, in denen das Wasser festsaß und nicht in die Augen aufstieg, man bemerkte Tropfen am Rand der Augenlider, aber keiner zeigte sich ganz, heute werden Sie sterben, Senhora, ist nun mal so, für den Fall, dass der Krankenpfleger Zäpfchen mitbringt, werden diese nicht Ihren Mund erreichen, die Beine der alten Stute ausgestreckt, und eine Fliege versteckte sich in den Nüstern, Mercília beugte sich unter Spazierstockanstrengungen zu meiner Mutter herunter

– Später am Nachmittag

wenn sie den Stier im ersten Stierkampf mit dem Stoßdegen töten und wir in der Loge zusehen, die Knie knicken ein, der Körper knickt über den Knien ein, der Kopf knickt über dem Körper ein, mein Bruder João, der mit meinem Geld auf die Suche nach Knaben in den Park ging

– Was kostest du Kleiner?

verbarg sich hinter dem Arm

– Wenn Schluss ist sagt mir Bescheid

die Perücke tragende Gattin des Notars faltete, den Lippenstift zu einem Kuss geformt, die Hände, wenn sie uns mit meiner Mutter vorbeikommen sah

– Entzückend

und strich uns Streifen auf die Stirn, die schlecht wieder abzubekommen waren, Mercília mit Bimsstein und Chlorbleiche

– Eine Strafe

während die Gattin mit verrutschter Perücke

– Entzückend

womit sie und ihr Mann sich wohl abends beschäftigen, wahrscheinlich saßen sie wie Schwalben auf Telefondrähten nebeneinander auf dem Sofa und zählten die Minuten, die sich ansammelten, ohne dass die Uhrzeit sich veränderte, immer halb zehn oder viertel vor zehn, er blickt auf die Perücke, und sie versteht das und rückt sie zurecht, der Notar blickt weiter auf die Perücke, und sie rückt sie noch einmal zurecht, möchte ihm gefallen

(– Ich gefalle ihm nicht mehr er interessiert sich nicht für mich)

– Ist es nicht richtig so?

(er interessiert sich nicht für mich)

wo es doch nicht die Perücke war, die ihn ganz kribbelig machte, seit Ewigkeiten hatte er das Interesse an der Perücke und der Gattin verloren, es war der fehlende Zusammenhang der Tage, was man mit ihnen macht, früher war alles so klar, so langsam, die Angestellte mit dem Ehering wagte ein

– Sind Sie nicht glücklich Herr Doktor?

und der Notar schaute die Angestellte so an, wie er die Perücke anschaute, aus einer Distanz heraus, die ihn selber erschreckte

– Wo bin ich dass ich es nicht weiß?

nichts kannte, nichts wusste, ohne Kompass in der Gewissheit immer weiter existierte, dass ihn, wenn er die Straße entlangging, nicht einmal sein Schatten begleitete

(– Was ist mit meinem Schatten passiert lügt mich nicht an)

wenn er nach dem Mittagessen in die Kanzlei zurückging, suchte er auf dem Boden nach ihm, an den Gebäuden, oder ein Teil davon begleitete ihn auf dem Boden und ein Teil an den Gebäuden und dann wieder nichts, er machte versuchsweise eine Bewegung in der Hoffnung, der Schatten würde ihn nachahmen, aber von wegen Schatten, sein Vater hingegen drehte eine Lampe gegen die Wand und formte Tiere mit den Händen, ein schnupperndes Kaninchen, einen Vogel, der die Flügel bewegte, und der Vater

– Was ist das hier?

er staunend

– Das ist ein bellender Hund

das Loch des Auges mal kleiner, mal größer und die Kinnlade tack tack, ein Zicklein, ein Hahn und etwas, von dem der Vater behauptete, es sei ein Tiger

– Ein Tiger

obwohl er nicht dieses Bärtchen der Tiger hatte, diese Zähne, der Vater war für Kaninchen und Vögel geboren, nicht für Tiger, der Notar drehte die Schreibtischlampe gegen die Wand, rollte die Finger ein, versuchte einen Tiger, und da war nur das Oval der Lampe, das die Risse im Putz zeigte, die Angestellte sorgte sich

– Irgendein Problem mit dem Putz Herr Doktor?

und der Notar drehte die Lampe umgehend zum Schreibtisch zurück, auf dem ihn neben den Stempeln ein Schornsteinfeger aus Paste mit Besen, Frack und Zylinder verspottete

– Nein

der Schornsteinfeger, den er von Kindheit an vom Kaminsims her kannte, da gab es noch eine Figur

(was ist mit ihr passiert?)

die eines Zeitungsverkäufers mit Schirmmütze, nicht mit einer Perücke wie die Gattin, der Münzen in der Handfläche zählte, ebenso wie eine gläserne Ente und einen Elefanten mit vom Kopf abgespreizten Ohren, damals gaben so viele Dinge den Tagen einen inneren Zusammenhang, die Mutter, die hinter dem Haus die Wäsche aufhängte, beruhigte ihn, welch eine Gewissheit von Ewigkeit und welch Abwesenheit von Bedrohung, Mercília richtete sich zwischen den Spazierstöcken auf

– Später am Nachmittag

und von später am Nachmittag an denkt auch nicht nur eine Minute daran, mir wegzunehmen, was mir gehört, wenn ich die abgenagten Knochen der Familie genossen habe

(– Entzückend)

Probleme gelöst habe, ist es mehr als gerecht, dass mir das Stück Fleisch gehört, das übrig bleibt, ich zu meinen Geschwistern, indem ich ihnen die Papiere vom Notar zeige

– Verschwindet

und sie, was bleibt ihnen anderes übrig, kaum dass sie vom Friedhof zurück sind, mit bereits gepacktem Köfferchen, während der Zeremonie beharrte eine Lerche

(entzückend)

auf einem Grabmal oder einer Pappel auf ihrem Ton, hätte ich das Luftgewehr, das irgendwo verloren gegangen ist, würde ich schießen, und ein Blätterwirbel, gehen wir in dem Rechteck, das die Schaufel geöffnet hat, zu Ende, befindet sich möglicherweise das

– Du

oder das

– Sogar wenn du das Haus nicht verlässt gelingt es dir dich schmutzig zu machen es fällt mir schwer zu glauben dass ich dich geboren habe

unter dem Grabstein und geht das, was man hinter sich gelassen zu haben glaubte, womöglich irgendwo anders weiter, genau das erschreckt mich am Tod, der Verdacht, dass er nicht das Ende dessen ist, was wir leben, alles auf andere Weise identisch, die Intensität der Gefühle, die Tränen und das Lachen unangetastet, mein Vater schädigte mein Erbe, indem er die Stiere im Casino mit einem Kügelchen verspielte, das in einem Rad mit Zahlen hüpfte, und eine Frau, die ich noch nie gesehen habe

(weder die Angestellte des Notars noch die, die ich mittwochs besuche, die mir

– Schatzi

ins Ohr flüstert und mit einem taubstummen Windhund zusammenwohnt)

stützte sich auf seine Schulter

(ich schreibe Windhund, aber ich habe nicht darauf geachtet, ob es ein Männchen oder Weibchen ist, denn er flüchtet sich mit vor Eile ausrutschenden Krallen auf den verglasten Balkon)

auf die sich keine seiner Töchter stützte, er redete nicht mit uns, er redete mit den Angestellten, ohne den Galopp abzubremsen, eines Nachmittags, kurz bevor sie heiratete, meine Schwester Beatriz fast so, als würde sie ein Geheimnis verraten

– Es gibt Pferde im Meer

die über den Strand laufen und Röhricht zerbrechen, welcher ist mein wahrer Name unter diesem Namen, Francisco, wie heiße ich wirklich, erkennen mich die, von denen ich nicht weiß, wer sie sind, und die mich aufwecken, indem sie an mir rütteln, ich suche nach dem Lichtschalter und sehe sie nicht, sehe ein Zimmer, das haargenau dem gleicht, in dem ich eingeschlafen bin, Kleidung tropft von der Kommode, vereinte Schuhe warten, mich mit den Spitzen anklagend

– Mistkerl

die Uhr auf dem Tischchen voller Verspätungstaumel, so viel Angst in den Uhren, so groß der Wunsch, die Zeit einzuholen, öffnet man den Mechanismus, versichern kleine hippelige Unruhen

– Sind gleich da sind gleich da

waren es aber nicht, wie schaffe ich es, diese Qual am Handgelenk zu tragen, diese Unruhe

– Beruhige dich einen Augenblick wir sind gleich da

ganz bestimmt ist das Blut im linken Arm nervös, die Mittwochsfrau

– So schnell

zufrieden, denn sie glaubt, sie sei der Grund für die kleinen Unruhen, letztendlich behalte ich vielleicht Mercília, um mich an das zu erinnern, was ich einmal war, nicht aus Freundschaft, nicht aus Mitleid, aber wenn ich es mir genauer überlege, ist es besser, es zu lassen, Gott hat mir keine Seele gegeben, zum Glück, all die Arbeit, die mir die Seele machen würde, und deshalb Mercília im Bus, der hier um sieben Uhr hält, ohne Gepäck, denn mir gehört, was ihres ist, ich leihe ihr die Spazierstöcke, ich bin ein guter Mensch, Mercília mit dem billigen Hütchen

(nein, einem alten Hut meiner Großmutter, auf dem die eine oder andere Paillette sich gehalten hat)

ich gestehe ihr das Hütchen mit der zerbrochenen Feder zu, die eine Hälfte steht hoch, und die andere schaukelt hin und her, ein höflicher Nachbar

(ihre Zerbrechlichkeit, ihr Alter, diese Ärgernisse)

– Wohin fahren Sie Dona Mercília?