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Die Geschichte zeigt, dass die Beziehung zwischen Eltern und Kindern, vor allem im Kindesalter, essenziell ist für deren Entwicklung. Liebe und Geborgenheit sind die Nahrung, mit welcher die Kraft aufgebaut wird, spätere Einschnitte im Leben meistern zu können. Bei Lisa, der Hauptperson in diesem Buch hat diese Elternliebe, nebst Therapeutin und guten Freunden verhindert, dass die Kraft des Bösen nach ihr greifen konnte. Ihre schrecklichen Erlebnisse nach dem Tod ihrer Eltern, die ihr Leben mit 10 Jahren auf den Kopf stellten, hätten beinah ihre Psyche in ein Karussell verwandeln lassen. Indem sie immer und in jeder Situation ihre Eltern spüren konnte, entwickelte sie die Kraft, ihre Liebessucht und ihr Geborgenheitsdrang so zu leben, dass ein Wandel in echte und tiefe Liebe möglich war. So ist ihr die Fähigkeit gegenüber Freunden echte Liebe zu leben erhalten geblieben. Ja, sie behielt ihr offenes Herz, welches gelernt hatte zu unterscheiden, wen es in Liebe in sich hineinlassen soll. Dadurch gelingt es ihr, Vertrauen zu lernen und die echte Liebe kennenzulernen. Dass dabei Urplötzliches passieren kann, gehört zu ihrem Charakter. So urplötzlich lernte sie ihre Freundin kennen, der sie vom ersten Augenblick vertraute, So sehr, dass sie ihr die ganze, teilweise apokalyptisch anmutende Geschichte erzählte. Bisher war das für sie unvorstellbar. Das war der Moment, der ihren Geist definitiv frei machte für eine Beziehung, die ungewöhnlich, jedoch auf Lebzeiten untrennbar bleibt.
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Seitenzahl: 444
Veröffentlichungsjahr: 2022
Johann Albert Rüthemann
Aufgewachsen im St. Gallischen Toggenburg in der Schweiz, verließ ich früh das Elternhaus.
Nach einem bewegten Berufsleben genieße ich auf dem Land im Zürcherischen Rafz, mit meiner Frau das Pensionierten Dasein.
Lange schon hegte ich den Traum, ein Buch zu schreiben, welchen ich jetzt mit diesem Roman umgesetzt habe.
Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum.
Ein altes und schnell gesagtes Sprichwort. Doch erst die Umsetzung in der Wirklichkeit macht den Traum wahr.
Für meine Liebe, Yvonne
Johann A. Rüthemann
Wenn Augen wieder lächeln lernen
Roman
© 2022: Johann A. Rüthemann
Umschlag, Illustration: Jessica Wirth
Druck und Distribution im Auftrag des Autors: Tradition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland
ISBN
Paperback
978-3-347-55563-1
Hardcover
978-3-347-55564-8
Großschrift
978-3-347-55566-2
e-Book
978-3-347-55565-5
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung “Impressumsservice“, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.
Wir alle lieben die Liebe, doch welche leben wir wirklich?
Da sitze ich, mit 69 Jahren, vor meinem ersten Buch und spüre Zufriedenheit. Es macht glücklich und stolz. Ich habe meinen Traum wahr gemacht.
Die fiktive Geschichte handelt von falscher Liebe und Dramatik. Vor allem aber, von wahrer und echter Liebe, ohne die unsere Welt nicht mehr wäre. Manchmal denke ich, dass die Liebe schon beinah zu einem Modewort verkommen ist. Ja, das Wort wird oft missbraucht, oder einfach vergessen. Welche ich meine ist die wahre und tiefe Liebe.
Liebe zwischen Menschen ist durch nichts zu ersetzen. Doch dürfen wir dabei nicht vergessen, dass es noch eine andere, elementare Liebe gibt. Die Liebe zu dem, was uns leben lässt. Nämlich, zur Natur, zu unserer Erde. Sie erst, macht die Liebe komplett. Denn, wir sind ein Teil davon. Sie ist unerlässlich. Meine Intuition sagt, dass die Menschheit und als Folge die Erde, sich nicht zum Guten verändern wird, weil wir uns nicht mehr bewusst sind, dass es nicht die Menschen und die Natur gibt, sondern dass wir ein Teil dieser Natur sind. Das stimmt mich traurig.
Macht, Gier und Egoismus legen uns Steine in den Weg, wenn es darum geht, unser wahres Sein zu erkennen und zu leben. Wir wissen, es liegt an uns, unserer Natur, damit auch uns Menschen, mit Respekt, Demut und Toleranz zu begegnen. Das kostet nichts und macht glücklich. Und, wir retten des Menschen Zuhause.
Holen wir die verborgene Liebe, die in uns allen schlummert, ans Licht. Dieses Licht der Liebe ist eine Investition in die Zukunft der Nachfahren. Den Erfolg erleben wir vielleicht nicht mehr. Dafür sind Worte wie „ich tue alles für meine Kinder“ keine leeren Phrasen. Sie werden dankbar sein für die Weitsicht ihrer Eltern. Ich bin davon überzeugt, lieben und Liebe vererben kann nur, wer geliebt wird. Das gilt auch für unsere Mutter Erde.
Leider kann das Böse nicht verhindert werden. Darum ist die wahre Liebe, zu wem auch immer, eine Lebensversicherung die, eben mit dieser Liebe, ganz einfach bezahlt werden kann.
Schön, dass du dabei bist. Ich wünsche dir, Spaß und Vergnügen und zwischendurch ein paar Tränen, beim Lesen dieser Leidens- und vor allem und Liebes-Reise.
1
Lisa de Vries schlenderte, wie so oft, durch ihre liebste Stadt, Amsterdam. In Gedanken versunken lehnte sie sich an einen Baum, ihr Blick verklärt aufs bewegte Wasser der Gracht gerichtet. Dieser Tag sollte zum Start in die ersehnte Befreiung werden, die Befreiung von ihrem Trauma.
Seit sie mit 10 Jahren ihre Eltern verloren hatte, war und ist ihr Leben ein Wellental. Zu früh wurde sie aus dem glücklichen Familienleben gerissen. Die Odyssee, die sie hinter sich hat, führte sie in Heime, vor Gericht, zu Pflegeeltern und intensiver Therapie. Mit 19 Jahren löste sie sich selbstbewusst von ihrer Therapeutin Robin Edmundson. Doch seither versuchte sie vergebens, sich selbst zu werden. Dort anzuknüpfen, wo sie als kleines Mädchen im Stich gelassen wurde.
Ihr Geist löste sich vom Autolärm und der pulsierenden Stadt. Die Gedanken bewegten sich, wie so oft, um ihre Eltern und um die eigene Unfähigkeit, das umzusetzen, was sie an Mama und Papa so geliebt hatte. Nämlich wahre Liebe zu finden, zu empfangen und zuzulassen. Sie wusste es, und drehte sich im Kreis. Also begnügte sie sich, in immer kürzer werdenden Abständen mit Wunschgedanken.
Nein, es ist mir nicht gelungen. Dabei war ich davon überzeugt, es geschafft zu haben. Es soll endlich verschwinden, dieses Gefühl, alles falsch zu machen. Nicht fähig sein zu lieben, ehrlich und von Herzen zu lachen, zu feiern, einfach gelöst zu leben. Seit fünf Jahren arbeite ich daran. Was habe ich erreicht? Falsche Freunde, Erniedrigende Sexnächte. Liebe? Die war nie dabei. Was ist nur mit mir? Ich spüre die Sehnsucht nach echter Liebe und Geborgenheit. Sie lässt mein Hirn tanzen. Vor Freude, dann bis in tiefe Abgründe. Ist es das, was ich suche? Ich weiß doch, dass es sie gibt, diese echte Liebe. Ich habe sie gesehen und gespürt bei Mama und Papa. Sie sollen verschwinden, diese Depressionen. Dafür bin ich heute hier. Ich kann nicht mehr in den Spiegel schauen und diese fremde Frau ansehen. Wo ist mein unwiderstehliches, in jede Falte harmonisierte Lächeln, das die Pupillen leuchten lässt, geblieben? Was sagte einst Papa zu mir?
„Weisst du Lisa, Menschen können nur lieben, wenn sie geliebt werden. Verstehst du was ich damit, meine?“
„Ja Papa. Weil du Mama liebst, liebt sie mich. Und weil ihr mich liebt, liebe ich euch beide“.
„Ja Lisa, das darfst du nie vergessen.“
Aber verdammt, das habe ich doch nie vergessen? Doch die Erklärung dieser Sätze meines geliebten Papas in die Tiefe, ja die hat er mitgenommen. Auch das ist mir bewusst. Und trotzdem. Die schlaflosen Nächte, das Studieren haben mich zu dem Menschen geformt, der ich bin. Eine liebessüchtige, naive, labile und doch im Inneren herzensgute, junge und erfolgreiche Frau, der alle Männer nachsehen. Ja Lisa, das bist du. Dein blindes Vertrauen in das vermeintliche Gute hat das Gegenteil bewirkt, von dem, was du dir wünscht. Dabei liegt es auf der Hand. Ich müsste mich von der Vorstellung lösen, dass jeder Mensch ist,wie meine Eltern waren. Hätte ich in mein Heimatdorf ziehen sollen, statt ins südlich gelegene Zeeland davonzurennen? Es ist schön in Middelburg. Doch ersetzt es mein Heimatdorf Midlum, wo ich Mama und Papa viel näher wäre? Ich konnte es nicht und war dermassen davon überzeugt, das Richtige zu tun. Jetzt ist die Zeit gekommen für die Veränderung. Mein Leben wird jetzt geordnet. Mit diesen Gedanken löste sie sich aus der Starre am Baum. Sie war voller Euphorie. Ein paar Minuten, und ich treffe Robin. Sie hatte mich damals aus dem tiefsten Loch geholt.
Dazu kam es nicht mehr. Die nachfolgende Begegnung liess urplötzlich die als heilig eingestuften Vorsätze aus Lisas Hirn löschen. Ja, das ist Lisa. Unstet, mit unberechenbaren Gedankengängen und labil, getrieben von ihrer Sucht.
In die Stadtkarte vertieft, stolperte Josef Hasler durch Amsterdam. Dabei prallte er in eine Frau, dass sie beinah das Gleichgewicht verlor. Er erschrak, als begegne er einem Monster.
Dummkopf, Idiot, Blödmann, und weitere Beschimpfungen wurden ihm an den Kopf geworfen. So brauchte er eine Weile, um sich zu sammeln, was ihm nur mäßig gelang.
Reiß dich zusammen, Josef. Was bist du für ein Dödel. Eben wollte er seine verlorene Stadtkarte aufheben, da tönte es mit einem stechenden Hall in den Ohren: „Passen Sie doch auf, sie Depp.“
„Entschuldigung!“
Er schaute von der Karte zu ihr auf und erschrak. Auge in Auge mit dieser rothaarigen Schönheit. Was für eine Fee, schoss es ihm durch den Kopf. Röte stieg in sein Gesicht, und die Hände wurden nass. Lisa merkte, wie sie den Fremden verunsicherte.
„Kann ich ihnen helfen?“
„Danke, sie schickt der Himmel. Ich bin mit einem Geschäftspartner verabredet, und habe keine Ahnung, wo ich bin. Wissen sie, ich bin das erste Mal in Amsterdam.“
„Da haben sie Glück. Amsterdam ist meine zweite Heimat.“
„Und das genau, wenn ich Trottel aus der Schweiz, mich in dieser attraktiven Stadt verliere. Da habe ich aber sowas von Glück.“
„So ist das manchmal. Ich liebe diese Stadt. Sie müssen sie unbedingt erkunden.“
Josef war nicht so scheu, wie sein erster Impuls vermuten ließ. Verdammt nochmal, arbeite endlich an deinem Selbstvertrauen. Hast du gehört? Charakter allein hilft dir nicht. Doch sein innerer Jubel war zu groß. Er hätte freudvoll in die Luft springen können. Dabei stellte er sich vor, wie Fredy aus Neid platzen würde. So genoss er den Moment.
„Sie sind nicht aus Amsterdam?“, fragte er die Unbekannte.
„Mein Name ist Lisa.“
„Josef, freut mich.“
„Nein, ich bin im Friesland aufgewachsen, wohne aber in Middelburg, im Zeeland,“ erwiderte sie knapp.
„Wenn Sie mir sagen, welche Adresse Sie suchen, kann ich Ihnen besser helfen.“
„Du“, sagte Josef. „Mein Termin ist im W Amsterdam Hotel.“
„Ok, du. Komm, ich beschreib dir den Weg“, antwortete Lisa und freute sich, einem Fremden ein Stück ihrer Stadt zu zeigen.
Da riss Josel allen Mut zusammen und fragte: „Darf ich dich zu einem Kaffee einladen?“
„Sehr gerne, herzlichen Dank“.
Stumm gingen sie ein paar Minuten dem Wasser entlang.
„Schau, da ist ein Kaffee. Von hier haben wir einen schönen Blick auf die Grachten. Von wo in der Schweiz kommst du her“? fragte sie, wie sie sich an einen Tisch setzten.
„Aus Zürich. Ich betreibe eine Druckerei.“
„Dort zu arbeiten war schon länger mein Traum. Ich hatte mich bereits für eine Stelle beworben. Leider wurde daraus nichts“, sagte Lisa, und verzog ihr Gesicht leicht, so dass es Josef nicht auffiel.
„Was ist dein Beruf?“
Josefs Herz pochte stärker. Die offene Assistentenstelle in seiner Firma war noch unbesetzt.
„Ich bin Werbefachfrau.“
„Ein kreativer und fordernder Beruf. Ist nicht ohne, von hier aus eine Anstellung in diesem Beruf in Zürich zu finden.“
„Ich weiß, gebe aber nicht auf. Wird schon irgendwann klappen.“
„Welche Straße ist das? Es ist wunderschön hier, wirklich eine attraktive Stadt,“ bemerkte Josef.
„Man nennt sie Herengracht“, erwiderte Lisa. „Ich muss dich jetzt leider verlassen. Lisas Kaffeetasse war schnell leer. Schau, du gehst dort an der Raadhuis Straat nach rechts über die Brücke, und überquerst den nächsten Kanal. Das Hotel ist dann auf der rechten Seite. Du kannst es nicht verfehlen. Ich wünsche dir einen schönen Tag und viel Erfolg.“
Es gelang Josef nicht, mehr in Erfahrung zu bringen.
„Ruf mich an, falls du nach Zürich kommst.“ Dabei steckte er Lisa seine Karte zu.
„Mache ich, tschüss.“
Während Josef verlegen auf seine noch volle Kaffeetasse schaute, klemmte Lisa ihre Handtasche unter den Arm und lief mit ausholenden Schritten davon, ohne nochmal zurückzuschauen.
Da sass er, allein am Tisch, mit offenem Mund, ihr verwundert nachsehend. Die üblichen Zweifel kamen wieder über ihn. Einmal mehr war er der Überzeugung, dass er als Mann nichts tauge.
Lisa schob alle Zweifel zur Seite.
Das ist es. In zwei Tagen sei er wieder in Zürich. Ich werde ihn gleich anrufen. Robin muss warten. Ich weiß, mein Weg ist der Richtige. Wenn ich in Zürich arbeite, wird alles besser. Josef ist ein netter Mann. Nicht aufdringlich, Einer ohne Allüren, jedoch nicht sehr attraktiv. Mein Ziel ist nur ein Job in Zürich. Ein Tapetenwechsel wird mir helfen.
Lisa warf alle Vorsätze über Bord. Das beschrieb ihre aktuelle Verfassung. Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt. Doch Lisa schob alle Zweifel zur Seite.
2
Seit einem halben Jahr arbeitet Lisa bei Josef Hasler in der Druckerei. Es ist nicht der Traumjob, doch sie fühlt sich aufgehoben. Sie ist Josef dankbar für diese Chance in Zürich. Sie mögen sich. Josef ist stolz auf seine Assistentin und weiß genau, dass dieser Job für sie nur eine Zwischenstation sein kann. So wurde auch der Vertrag entsprechend gestaltet, unbefristet, mit einer jederzeit möglichen, zwei-monatigen Kündigungsfrist. Josef war sich schon immer bewusst, dass er eine gute Seele hat, vor allem auch seinen Angestellten gegenüber. Dafür verlangt er Solidarität.
„Lisa“, kommt er eines Morgens, gut gelaunt ins Büro. „Heute Abend ist die Firmeneröffnung der brand design GmbH. Ich kenne den Besitzer, Manfred Colman. Ich habe eine Einladung erhalten. Würdest du mich dorthin begleiten?“
„Klar Josef, sehr gerne.“
„Danke Lisa, dann fahren wir um 18: 00h. Ich freue mich.“
„Ok, bis dann,“ antwortet Lisa.
3
Fredy Colman war ein begabter Junge. Das nutzte er gnadenlos aus. Die damit verbundenen Freiheiten genoss er in vollen Zügen. Sein Vater war in der Diplomatie zuhause. Dadurch hatte er keinen Einfluss auf die Erziehung seines Sohnes. Der schlaue Fredy wusste geschickt mit seiner Art jeden Fingerstreich für sich zu nutzen. Wenn das nicht klappte, besann er sich auf die Aggressivität des Vaters. Dies bekamen vor allem seine Mutter und die ständig wechselnden Nannys zu spüren. Sie hatten keine Chance, auch nur einen Hauch von Erziehung zu vermitteln. Wenn seine Mutter weinte, sagte er ihr. „Mama, das wird schon. Finde dich damit ab, dass ich mein eigener Chef bin. Du kannst mich nicht zähmen. Mach es dir nicht schwerer als es ist“.
Der Luxus, in dem seine Eltern lebten, hatte ihn zu einem nimmersatten Macht- und Geldmenschen geformt. „Arme Schweine, wie Handwerker, oder sonstige Loser es sind, bringen mich zum Kotzen. So werde ich nie“, sagte er zu seiner Mutter.
Geld und Macht war das einzig Erstrebenswerte in seiner Vorstellung von Leben. Ja, er träumte früh von vollen Bankkonten. In der Schweiz große Kohle verdienen, war seit je sein Traum. Dafür ordnete er alles unter. In Berlin verkrachte er sich mit seinem Chef, der ihn fristlos entließ. Fredy sagte ihm beim Abschied, „dir armes Schwein werde ich einst aufs Grab spuken. Du bist nicht mehr wert als die Straßenkehrer.“ Damit verließ er Berlin und startete seine Karriere in Zürich.
Nach zwei Jahren in der gleichen Firma wurde er selbstständig. Die Eröffnung der „brand-design GmbH“ feierte er mit einer Riesenparty auf dem Firmendach.
4
„Hallo Seppi, wie läufts?“
So nannte Fredy Josef Hasler, wenn er ihn, vor allem im Beisein attraktiver Frauen, kleinmachen wollte.
„Lange nicht gesehen.“
Nur das nicht, sinniert Josef, und setzt ein Lächeln in sein, von Narben durchfurchtes Gesicht.
„Hallo Fredy, danke für die Einladung“, sagt er merklich angewidert. „Ist ja die Hölle los hier auf dem Dach.“ Er dreht sich weg, um zwei Glas Champagner zu holen, wie ihn Fredys unüberhörbare Stimme aufschreckt.
„Seppi, habe ich was verpasst? Warum hast du mir deine Begleitung noch nicht vorgestellt?“
„Oh, entschuldige bitte. Das ist Lisa de Vries, meine Assistentin.“
Fredy verbeugt sich, greift nach Lisas Hand und hebt sie, einen Kuss andeutend nahe an seinen Mund.
„Sehr erfreut, darf ich sie Lisa nennen? Mein Name ist Fredy, Fredy Colman.“
„Klar Fredy, die Freude ist ganz meinerseits. Danke für die Einladung.“
„Seppi, wie hast du es nur geschafft, mir diese schöne Frau zu verschweigen. Ich hätte sie direkt eingeladen.“
Das ist typisch für Fredy. Leicht irritiert weicht sie einen Schritt, dabei Josef anschauend, zur Seite. Doch ihr Begleiter kennt Fredy und misst der Bemerkung keine Bedeutung zu. Dies, obwohl ihm das Blitzen in Lisas Augen nicht entgangen ist.
Fredy nutzt die Gelegenheit gnadenlos. Er holt zwei Glas Champagner und reicht eines Lisa. Ihr in die Augen schauend, nimmt er sie sanft am Arm. Sie begeben sich an den Rand der Terrasse. So bleibt Josef, einmal mehr provoziert von Fredy, sprachlos und alleine stehen. Dieser Blick über die Stadt entzückt sie, und zaubert ihr ein Lächeln ins Gesicht. Beinah befreit bedankt sie sich bei Fredy und lässt dabei unbewusst im Mondschein ihre smaragdgrünen Augen glänzen.
Lisas Interesse gilt nicht dem lauen Abend oder dem Lichtermeer der Stadt. Auch nicht dieser Firmeneröffnung. Sie ist von Fredy beeindruckt. Sie hört kaum, was er sagt. Seppi hat sie inzwischen beinah vergessen. Dieser Strahlemann Fredy hat sie mitten ins Herz getroffen. Sie würde alles einsetzen, ihm näher zu kommen. Ihr Hunger nach Geborgenheit und Liebe wurde im Laufe der letzten Jahre unerträglich. So sieht sie ihre Chance.
„Lisa?“
„Ja Fredy?“
„Darf ich sie morgen Abend zum Essen einladen?“
Ihr Herz pocht, ihre Knie zittern.
„Gerne“ flüstert sie und merkt dabei nicht, wie nahe sie ihm gekommen ist.
Der Champagner, sie hat in dieser Zeit drei Gläser getrunken. Das Vierte in der Hand fängt er an, seine Wirkung zu zeigen.
„Ich muss mich um die anderen Gäste kümmern. Ich bin gleich wieder da“, sagt Fredy plötzlich.
Ihre Lippen verziehen sich und sie würgt eine Antwort hervor. Doch Fredy ist bereits weg. Sie erschrickt kurz, als sich Seppi zu ihr gesellt.
„Hat er dich schon ins Bett eingeladen?“
Er hat bereits einige Biere intus, wie üblich. Vor allem wenn er nicht den Mut hat, sich Frauen zu nähern. Schon gar nicht in Fredys Beisein.
„Lass mich in Ruhe und verschwinde.“
Sie lässt ihn stehen, rennt zur Tür. Im Toilettenraum begegnet sie tränenüberströmt Maria, die seit einem Jahr mit Fredy arbeitet. Die Beziehung beschränkt sich auf die Arbeit. Eine Affäre mit ihrem Chef war und ist für sie nie vorstellbar. Früh war ihr klar, dass er mit seiner Macht spielt. Frauen sind sein Vergnügen. Ihr Verständnis ist ein anderes. Sie ist seit Jahren verheiratet. Dass junge Frauen in ihm den Krösus sehen, ist ihr nur zu bewusst. Es stimmt ja, er ist eine geile Erscheinung und wirkt auf Frauen unwiderstehlich.
Heute hat es wieder eine erwischt. Sie verflucht Männer, die schamlos, ohne Rücksicht alles an sich reißen. Dass sexy Wesen nie Eigentum sind, steht nicht in seinem Lebensbuch. Nein, seine Geilheit kennt keine Grenzen.
5
Am nächsten Morgen erscheint Lisa nicht zur Arbeit. Sie schämt sich wegen der Vorfälle mit Fredy. In dieser Stimmung ist es für sie nicht vorstellbar, Josef zu begegnen. Ihm hat sie zu verdanken, dass sie überhaupt einen Job in Zürich bekommen hat. So bleibt sie länger im Bett wie geplant. Um 10: 00h ertönt die Wohnungsglocke. Vor der Tür steht eine Blumenvase mit roten Rosen. Ihr Magen zieht sich zusammen, wie sie die kleine Karte liest.
„Heute Abend um 20: 00h steht mein Wagen vor der Tür, ich freue mich, Fredy.“
Heiße Wangen und kalter Schweiß wechseln sich ab. Woher um Gottes Willen hat er diese Adresse. Oh, Seppi du verdammter Trottel, war ihr erster Gedanke. Na warte! Sie hat vergessen, dass sie es war, die Fredy mit dem Champagner in der Hand, ihre Wohnadresse verraten hatte.
Der Tag verläuft unharmonisch. Sie verbringt die meiste Zeit im Bett. Der Spätsommer zeigt sich mit tieferen Temperaturen und herbstlichem Nebel. Ja, der Abend hatte sie aufgewühlt. Sie schämt sich. Sie ist wütend, vor allem auf sich. Was war nur in sie gefahren, ihren Chef auf diese Weise zu demütigen. Ja, auch Josef hatte genug getrunken. Sie tröstet sich damit, dass sie nun quitt sind. Sie ist sich bewusst, das war nicht ich. Lisa de Vries ist ein Kind aus einer harmonischen Familie, die auf Werte gesetzt hatte. Es ist jeweils, wie ein Film, in dem Sehnsucht nach Mama und Papa aufkommt. Mit all den unvergesslichen Erinnerungen. Dabei sind ihr die Tränen derart zentral wie die Gedanken. Erst wenn sie dabei ihre nassen Augen abwischt, ist sie sich sicher, dass die Gefühle echt sind. An diesem Tag ist die Freude, trotz der Tristheit, auf einen romantischen Abend unvergleichlich. Sie würde von einem Traummann abgeholt, bei dem sie absolut davon überzeugt ist, dass er echt ist. Dass er nicht einer ist wie die anderen.
Halb benommen liegt sie im Bett und realisiert, dass es 19: 00h ist. Nur im Slip bekleidet springt sie aus dem Bett, direkt ins Badezimmer. Eine Stunde muss reichen, um ihrem „Traummann“ so zu begegnen, wie er sich sie hoffentlich wünscht. Sie ist sich dessen bewusst, dass Sie eine Frau ist, nach der sich Männer umdrehen. Das hatte Fredy sofort realisiert. Er ist pünktlich. Durch das Fenster sieht sie den weinroten Jeep Wrangler. Sie stolpert beinah über die Haustürschwelle und rennt freudestrahlend auf Fredy zu. Der Augenblick ist für Lisa voller Freude. Zum ersten Mal ist sie sich einer Frau bewusst, die als solche geschätzt werden würde, ja eine die getragen wird.
„Ich habe im Atlantis reserviert“, sagt Freddy, während er losfährt, „und hoffe, das ist für dich ok.“
„Wohin wir auch fahren, mir soll´s recht sein.“
6
„Champagner bitte, Dom Perignon“, ruft er.
Der Chef de Service schnippt mit dem Finger und die Servicemaschinerie wird für Fredy in Gang gesetzt. Lisa setzt sich auf dem Stuhl zurecht und erfreut sich am Personal. Sie bekommt eine Speisenkarte ohne Preise, was sie merklich unruhig werden lässt.
Fredy bemerkt ihr Unbehagen.
„Such dir das aus, was du am liebsten magst. Hier ist alles teuer, selbst das Wasser. Fühl dich wohl und frei“, setzt ein süffisantes Grinsen auf und vertieft sich in seine Karte.
Lisa ist angetan ob dieser Worte.
„Erzähl was von dir“, versucht Fredy das Gespräch in Gang zu bringen. „Du bist aus den Niederlanden. Du sprichst mit einem Akzent, unverwechselbar und süß.“
„Ja, ich bin im Friesland, nahe der Stadt Harlingen aufgewachsen.“
„Deine Familie lebt dort?“
Lisa kommt kurz ins Stottern und schluckt zweimal leer.
„Die gibt es nicht mehr.“
„Was heißt das?“
„Mama und Papa sind bei einem Unfall umgekommen, wie ich 10 Jahre alt war und Geschwister habe ich keine.“
„Das tut mir leid.“
„Schon ok, ist ja eine ganze Weile her“, sagt Lisa auf diese Bemerkung. Sie fühlt einen Kloß im Hals, und wechselt das Thema.
„Nochmals herzlichen Dank für die Einladung“, hebt das Glas mit Champagner und streckt es Fredy entgegen, um erneut mit ihm anzustoßen. Ihr Strahlen ist unübersehbar und lässt sie noch umwerfender aussehen.
„Sehr gerne, und dazu mit einer attraktiven Frau, wie du es bist. Prost.“
„Lisa, möchtest du nicht bei mir einsteigen?“, kommt Fredy sofort auf den Punkt.
Das Glas fällt ihr beinahe aus der Hand. Sie errötet mit einem Schlag.
„Ich arbeite seit einem halben Jahr bei Josef, und es gefällt mir bestens. Er behandelt mich gut und gibt mir die Freiheit, die ich brauche.“
„Seppi? Seppi ist ein Loser. Bei ihm wirst du nie glücklich werden. Du wirst dich nicht entwickeln. Ich bin auf der Suche nach einer persönlichen Assistentin, was denkst du?“
Für Lisa kommt das aus heiterem Himmel, was sie blockiert. Damit hat sie zuletzt gerechnet. Wie sie sich ein wenig erholt hat, antwortet sie knapp: „Aber du kennst mich nicht. Weißt du denn, wie ich arbeite, welche Ausbildung ich habe, was für Referenzen? Das geht zu schnell.“
„Als Seppi dich vorgestellt hatte, war mir auf einen Schlag bewusst, eine ausgebildete Werbefachfrau wird eine Bereicherung für meine Firma sein. Du bist eine charmante und wunderschöne Frau. So war es sofort klar, dass ich keine Zeit verlieren darf.“
„Du schmeichelst mir. Ich bin es nicht gewohnt, auf diese direkte Art angesprochen zu werden. Ich werde darüber schlafen.“
Die Gedanken die in diesem Moment von Lisa Besitz nehmen sind so wirr, dass sie beginnt sich unwohl zu fühlen. Was ist mit mir los? Ist es nicht das was ich will? Einen Mann wie Fredy, dazu in dieser Postion. Ein unbestimmtes Gefühl der Unsicherheit regt sich. Waren es in der Vergangeheit nicht eben solche Momente, die mich ins moralische Elend gestossen hatten? Lisa, das geht so nicht. Nicht in diesem Tempo.
Fredy bemerkt ihre plötzliche Abwesenheit und sagt: „Erzähl von deiner beruflichen Laufbahn.“
Sie hört kaum, was er gesagt hat, und starrt auf ihren Teller. Trotzdem bemerkt sie seinen lüsternen Blick auf die leicht geöffnete Bluse, der über ihren Mund gleitend und durchdringend an ihren Augen haften bleibt, als wäre Klebstoff an ihm, und sagt unvermittelt: „Wie schmeckt dir das Essen?“
Was ist sein Ziel? Will er mich kulinarsich testen, seine Geilheit leben, oder sucht er ein Spielzeug? Verdammt, das bin ich nicht und will ich nicht. Unsicherheit überkommt sie. Sie kennt ihre Unberechenbarkeit, ist jedoch so blockiert, dass ihr keine andere Wahl bleibt.
„Herzlichen Dank Fredy, aber ich möchte jetzt gehen.“ Lisa du schmeisst gerade dein Glück weg. Was ist nur in mich gefahren? Ein kurzer Anflug von Stolz setzt sich fest. Es muss sein. Mein Leben wird sich zum Guten ändern. Du hast es dir versprochen. Mit diesen Gedanken steht sie auf, und verlässt das Lokal mit der stillen Hoffnung, dass Fredy sie nachhause fährt.
„Lisa, warte doch”, ruft Fredy hinter ihr her. „Natürlich fahre ich dich.”
Sie dreht sich nicht um, läuft mit schnellen Schritten zum Auto und wartet bis ihr Fredy die Autotür öffnet.
Auch Fredy hat seine Gedanken, doch die hatten mit denen von Lisa nichts gemein. Er versteht nicht, wie er den Abend einzuschätzen hat. Sein Ziel ist diese Schönheit. Er will sie. Für heute Nacht und in seiner Firma. Sie wird sein Vorzeigeobjekt. Er kocht innerlich, lässt sich nichts anmerken. Er fährt los, den Blick stur auf die Straße gerichtet. Sie fahren den ganzen Weg ohne ein Wort im Auto, bis vor ihre Haustür.
Langsam dreht er sich zu ihr.
„Was habe ich falsch gemacht?“
Sie erwidert nichts darauf und sagt mit zittriger Stimme: „Darf ich dich morgen anrufen?“
Lisa ist noch immer irritiert und öffnet, ohne ein weiteres Wort zu sagen die Wagentür, steigt aus und verschwindet im Hauseingang. Fredy sieht ihr lange nach und versteht die Welt nicht. Er ist sich keines Fehlers bewusst. Wütend und erstaunt fährt er los. Dass eine Frau es wagt, derart mit mir umzugehen. Ich schwöre, sie zu nehmen,zu besitzen, und dass sie nie mehr auf diese beleidigende Art mit mir umgeht, geschweige denn von mir loskommen wird.
Lisa zieht sich aus, legt sich ins Bett. Ein lang andauernder Weinkrampf lässt sie zittern. Die Welt dreht sich in ihrem Kopf. Sie hatte überreagiert. Sie ist sich sicher, Fredy verloren zu haben. Sie hatte sich im ersten Augenblick verliebt, obwohl sie ihn nicht kannte. Ja, das ist Lisas Muster. Sie hasst es.
Lisa schiebt sofort wieder jeden Zweifel auf die Seite und sieht nur noch Gold. Sie rekelt sich in ihrem Bett und beginnt wild von ihm zu träumen.
Die Tür öffnet sich, Fredy, halb nackt kommt er auf sie zu. Die Wölbung in seinen Boxershorts ist dermaßen betörend, dass sie mit offenem Mund nach Luft ringen muss. Er kommt auf sie zu, bleibt vor ihrem Bett stehen.
Dieser Blitztraum lässt sie die Welt um sich vergessen. Die Erregung schoss wie ein Beben durch ihren Körper. Er verlangt nach dem für sie gewohnten Fingerspiel. Über ihre wohl geformten Brüste gleiten sie tänzelnd tiefer, bis sie die Stelle erreichten, die ihr jeweils die Entspannung bringt. Ihre rein rasierte Wölbung empfängt sie und genießt eine lange, heftige Massage. Höchste Ekstase und eine tiefe Befriedigung lässt sie in die Matratze sinken. Die Tränen sind nicht eine Folge dieses Traums. Einmal mehr wird ihr bewusst, wie groß die Sehnsucht nach echter Liebe in ihr ist. Wo bist du, Unbekannter? Zeige dich und lass mich es spüren. Dann übermannt sie der Schlaf.
7
Es schneit und der Tag zeigt sich trist. Die Straßenlaternen brennen noch, wie sie das Haus verlässt. Pünktlich um acht Uhr betritt sie das Geschäft. Sie ist erstaunt, dass sie von Josef empfangen wird, der sie direkt in sein Büro bittet.
„Setz dich Lisa.“ Er schaut sie an, tief und vorwurfsvoll. „Wie lange kennen wir uns?“
„Seit wir uns in Amsterdam begegnet sind, warum?“ „Wie gefällt dir der Job bisher?“
„Sehr gut, warum fragst du? Hat es mit dem Fest bei Fredy zu tun?“
„Auch“ sagt Josef. „Vor allem aber mit gestern. Du bist nicht zur Arbeit erschienen, jedoch bist du am Abend mit Fredy Essen gegangen. Hast du dafür eine Erklärung?“
„Nein.“
„Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?“
„Ja, Ja, verdammt. Was soll ich sagen. Es ist, wie es ist.“
„Ok, bitte verlass die Firma. Den Schlüssel deponiere auf deinem Pult. Vertrauen ist im Geschäft das, worauf es ankommt. Sei es zum Personal oder zu Geschäftspartnern. Das restliche Gehalt für die Kündigungszeit werde ich dir morgen überweisen. Alle müssen wissen, das gilt auch für Fredy, dass mir niemand auf den Füßen herumtritt, ohne das doppelten an Schmerz zu spüren zu bekommen. Ich wünsche dir, dass du dich für das Richtige entschieden hast und nichts bereuen wirst. Ich nehme an, du wirst zu ihm fahren. Grüße ihn von mir.“ Josef öffnet die Tür, und bittet Lisa, den Raum zu verlassen.
Lisas Blick wird unklar. Sie sieht Josef wie durch ein Wellenwasser. Ihre Tränen lassen die Augen überlaufen, wodurch sich kleine Rinnsale über den Wangen bilden. Sie kann nicht mehr denken, geschweige denn sprechen. Wortlos steht sie auf und verlässt das Büro, ohne sich umzudrehen.
Josef setzt sich an den Schreibtisch, stützt den Kopf zwischen die Hände. Seine Gedanken kreisen ohne Ende.
Ich habe es nicht anders verdient, sinniert er. Die Tränen zwängen sich langsam aus den Augen.
Fredy dieser Bastard hat es wieder einmal geschafft, mich zu demütigen. Josef, du bist ein Nichts. Er wird immer über dir stehen. Nein, dieses Mal wird er dafür zahlen. Ich weiss es, Lisa ist nicht die Frau für mich. Doch das gibt ihm nicht die Berechtigung, mich so zu quälen. Immer und immer wieder. Kunde hin oder her. Dieses ewige Psychospiel, ich habe es satt. Er geniesst es, meine Schwäche brutal auszunutzen. Ich will nichts von Lisa. Ich bin nur stolz, sie bei mir in der Firma zu haben. Ist denn das das so abwegig? Nein, kein anderer Mensch verhält sich so wie Fredy. Und ja, ich bin ein bisschen verliebt in diese Frau.
Der ganze Körper fängt an zu zittern und er weint stumm ein paar Minuten. Er schaut kurz aus dem Fenster und sieht Lisa in Richtung Bus eilen. Sie wirkt müde und Josef ist sich bewusst, dass er eine bestraft, die keine Schuld trägt an seinem Unvermögen, und, dass er ein Waschlappen ist.
Er lehnt sich auf dem Chefsessel zurück, und starrt das Gemälde an, welches er in Amsterdam gekauft hatte. Eine große Leere erfasst ihn. Er greift nach einer Flasche besten Armagnac, schenkt sich einen kräftigen Schuss ein und schwört Rache. Ich werde mit Onkel Jack darüber reden. Das Glas fliegt mit dem Rest des köstlichen Getränks, und zerstörerischer Wucht, begleitet von einem verzweifelten Schrei mitten ins Bild. Den Fleck und die Scherben beachtet er nicht.
Zuhause angekommen legt sich Lisa aufs Bett und starrt zur Decke. Langsam begreift sie, was ihr widerfahren ist. Ich muss es wieder gutmachen. Der Abschied gestern war eine Katastrophe. Hin und her gerissen von Gefühlen entscheidet sich Lisa für das, aus ihrer Sicht, Gute. Nein, er kann kein schlechter Mensch sein. Er ist ein Mann und es ist meine Chance. Sie greift schluchzend zum Telefon. und wählt Fredys Nummer. Josefs Nummer zu wählen, um die Sache zu klären, kommt ihr in diesem Moment nicht in den Sinn. Sie ist geblendet von Fredy, und vom ungestilltem Drang nach Liebe und einem guten Job. Bei Josef wäre beides nicht möglich.
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„Lisa, welche Freude.“ Doch er kommt nicht mehr dazu weiterzureden.
„Fr-ee-dy“, schluchzt sie und weint erschütternd.
„Was ist los?“, fragt Fredy.
Sie nimmt sich zusammen und sagt ihm, dass Josef sie rausgeworfen hat.
„Hast du Zeit für mich? Darf ich vorbeikommen?“ Sie hoffte so auf ein Ja. Es blieb aus.
„Sorry Lisa, ich habe eine wichtige Sitzung und am Nachmittag bin ich weg. Ruf morgen Mittag an, dann vereinbaren wir einen Termin.“
Lisa bemerkt die Kälte in Fredys Stimme. Ein Zucken durchfährt ihren zarten Körper. War sie zu fahrlässig, zu naiv, oder hat sie unerfüllbare Erwartungen?
8
Josef ist zu allem bereit. Er ruft Jack Wissmann an.
„Hallo Josef, wie geht es dir, lange nichts gehört.“
„Hallo Onkel Jack, soweit gut. Ich möchte mit dir etwas Persönliches besprechen. Darf ich dich zum Lunch einladen?“
„Gerne, doch erst in zwei Wochen. Morgen fliege ich nach Taipeh.“
„Ich freue mich darauf. Besten Dank Onkel Jack. Einen angenehmen Flug und erfolgreiche vierzehn Tage.“ Josef
lehnt sich zufrieden zurück. Er freut sich, denn die Abhängigkeit Fredys Firma von Wissmann Holding ist zu groß.
9
In Gedanken versunken, mit Tränen in den Augen liegt Lisa auf dem Bett. Sie träumt, einmal mehr, von ihrer Kindheit.
Komm Liebes, wir gehen einkaufen, hört sie ihre Mama sagen, als stünde sie im Zimmer. Es fühlt sich so warm an, mit ihr an der Hand durchs Dorf zu spazieren. Die Wärme ihrer Hände, das stetige Lächeln. Sie war die Sonne dieses Dreierteams. Wie sie mit ihren Eltern Tiere und Pflanzen, ja die ganze Natur kennenlernte. Sie waren die glücklichste Familie auf Erden. Mit Papa Fischnetze flicken war ihre Lieblingsbeschäftigung.
All das sieht Lisa in diesem Moment, wie wenn sie neben ihr stünden. Traurig, in Gedanken versunken, erschrickt sie. Ihr wird auf einen Schlag klar, dass dies alles nicht die Wirklichkeit ist. Sie greift zum Handy und sucht die Nummer, die bis vor fünf Jahren zu den Favoriten gehörte.
In diesem Moment vibriert das Mobile. Sie vergisst das Suchen und beginnt, nervös zu werden. Das Display zeigt die Nummer von Fredy. Sie zögert einen kurzen Augenblick, drückt die grüne Taste.
„Ja?“
„Hallo meine Liebe“, tönt es vom anderen Ende.
Wärme steigt in Lisas Körper. Er ruft an, was für sie nicht mehr vorstellbar war, nachdem er sie ja auf den nächsten Tag vertröstet hatte.
„Morgen Vormittag, 09: 00h bei mir im Büro? Ich freue mich.“
Ihr Ja ist kaum hörbar, da knackt es in der Leitung. Ist egal, Hauptsache Fredy hat sich gemeldet. Alles wird gut. Sie steht auf, holt sich das attraktivste Kleid aus dem Schrank. Nicht zu reizvoll, doch er darf sehen, was sie zu bieten hat. Er ist in dieser Beziehung, sinniert sie, anspruchsvoll. Jetzt gilt es ernst. Trotz der Vorkommnisse ist ihr nicht wohl. Ihr ist bewusst, dass sie an der Situation nicht unschuldig ist. Fredy um jeden Preis, liegt über allem. Sie steht in ihrem Badezimmer vor dem Spiegel, streicht sich durch das Haar, dreht sich mal links, mal rechts. Dabei strahlt mit sich um die Wette. Die innere Freude ist voller Erwartung.
Um 07: 30h lässt sie sich vom Handy wecken. Der neblige Morgen kann ihr nichts anhaben. Die Zeit vor dem Spiegel dauert. Noch ein letzter Stoss Festiger über die Haare.
Maria sieht Lisa, wie sie zur Tür hereinkommt. Sie hat sie nicht vergessen.
„Lisa de Vries“, sagt sie knapp, „bitte melden Sie mich beim Chef.“
„Einen Augenblick.“ Maria verschwindet in Fredys Büro.
„Lisa de Vries ist da.“
„Soll reinkommen.“
Er steht auf, um ihr die Tür zu öffnen.
„Hallo Lisa, ich freue mich, dass du da bist. Komm, und setz dich bitte.“ Zu Maria sagt er: „Bring uns zwei Kaffee.“
Er dreht sich um, nachdem er der Tür mit dem Fuß einen Stoß gab, wendet sich zu Lisa und küsst sie auf beide Wangen.
„Bitte nimm Platz.“ Er setzt sich ihr gegenüber an den Tisch und kommt direkt zum Thema.
„Zuerst, entschuldige wegen gestern Abend.“
Sie erwidert nichts.
„Wie ich bereits erwähnte, ich bin mir sicher, du bist eine exzellente Werbefachfrau. Darum bist du hier, Lisa.“
Sie hört ihm weiterhin zu.
„Ich möchte dir den Job meiner persönlichen Assistentin anbieten.“
Maria klopft, bringt zwei Kaffees und dreht sich weg.
„Maria, darf ich dir Lisa de Vries vorstellen“, sagt er schnippisch. „Sie wird unser Team ergänzen und ist meine persönliche Asistentin. Sie ist eine hervorragende Werbefachfrau und wird somit auch das Projekt Wissmann leiten.“
Beide sind perplex. Maria schluckt zweimal leer. Lisa lässt es über sich ergehen. Ihr Ziel ist nicht nur der Job. Noch immer ist sie angetan von diesem attraktiven Mann.
„Danke Maria“, sagt Fredy.
Diese muss sich erst für Bruchteile von Sekunden fangen, ehe sie kehrtmacht.
„Den Vertrag“, beginnt Fredy, „besprechen wir morgen. Du könntest ihn dann auch gleich unterschreiben. Wann möchtest du mit der Arbeit bei uns beginnen? Ich will das schnell regeln.“ Diese Ansage saß.
„Gerne würde ich diese Woche ein paar Sachen erledigen. Gibt es denn dringende Arbeiten, dass du ein solches Tempo draufhast?“, fragt sie.
Ich habe es gewusst. Das Projekt ist für die Firma äußerst wichtig, doch die Frau, sie gehört mir. Sie werde ich nie mehr loslassen. Fredy jubelt innerlich.
Lisa bemerkt das zweideutige feine Lächeln Fredys nicht.
„Ja, die gibt es. Das besprechen wir morgen auch gleich. Ist das für dich in Ordnung?“
„Ok, gerne“
„Ich gebe heute eine Party in meinem Haus am Zürichsee. Ich lade dich ein.“
„Was ist das für eine Party?“
Lisa ist verwundert. Alles verläuft in einem Tempo, das ihr Angst macht. Zuerst der Job, dann der übereilige Vertrag, heute die Party am Abend. Ihr ist nicht klar, wie sie sich zu verhalten hat. Sie möchte ihren, hoffentlich neuen Chef nicht enttäuschen. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als allem zuzustimmen.
„Ok, wann holst du mich ab?“
Seine Stirnfalten kräuseln sich.
„Um 18: 30h steht ein Taxi vor deiner Haustür. Ich werde früher vor Ort sein. Keine Angst, du bist dann nicht allein.“
„Ok, ich werde pünktlich sein.“ Sie steht auf, um sich zu verabschieden.
Fredy springt auf, kommt um den Tisch herum, nimmt ihre beide Händen und drückt sie an seine Brust. Dann sagt er, ihr in die Augen schauend: „Es wird ein wunderbarer Abend werden.“
Sie errötet, nickt, und entzieht sich seinen Händen.
„Bis später“, sagt sie, noch irritiert.
Maria eilt aufgebracht zum Chef.
„Verdammt, Fredy was sollte das eben?“
„Hast du ein Problem damit? Oder bist du eifersüchtig?“
„Wie gut kennst du Sie? Hat sie deine Geilheit geweckt?“
„Geht dich nichts an, mach deine Arbeit.“
Die Tür knallt. Sie verlässt Fredys Büro.
Nein Maria, es geht dich nichts an. Doch, ich kann nicht anders. Es ist immer das Gleiche. Ja, er ist dein Chef, und du arbeitest bei ihm. Eigentlich hast du bei einem solchen Macho nichts verloren. Er ist eine attraktive Erscheinung. Aber sonst? Zudem habe ich Familie. Die steht an erster Stelle, auch wenn es nicht immer leicht ist. Fredy ist ohne Charakter, zumindest ohne den, den ich mir vorstelle. Aber ich verstehe sie, diese Girls. Doch Lisa ist anders. Ich habe es in ihrem Gesicht gelesen. Sie ist kein Flittchen, und bestimmt keine Gespielin.
Maria fängt innerlich an sich zu freuen. Ich habe es genau gesehen. Sie ist eine Frau mit tiefem Bewusstsein. Er wird sich die Zähne ausbeißen, sobald sie realisiert, was für ein Typ er ist. Auch habe ich in Ihrem Gesicht Sympathie gesehen. Sie war an mich gerichtet.
10
Pünktlich steht das Taxi vor dem Haus.
Sie greift ihren Mantel, schritt nach draußen und schließt die Haustür. Der Taxifahrer fährt sie durch Stadtgebiete, die ihr fremd sind. Dann dem See entlang bis weit außerhalb der Stadt, zu einem modernen Haus, auf einer Anhöhe gelegen.
Erstaunt in die Weite blickend verlässt Lisa das Taxi. Wartend sieht sie Fredy auf der Terrasse. Die Begrüßung ist herzlich, eine kurze Umarmung.
Dabei flüstert er ihr ins Ohr „Du siehst umwerfend aus. Du wirst heute viele Freunde kennenlernen. Es wird eine wunderbare Party.“
„Ja, danke.“
Lisas Euphorie hält sich in Grenzen. Ihm bleiben ihre Zweifel verborgen. Ihr ist nicht klar, wie sie die Geschwindigkeit der Anmache deuten soll.
Die Traumvilla liegt auf einer Anhöhe, abseits mit Blick auf einen Teil des Zürichsees. Lisa genießt den Fernblick auf den See und die Berge.
„Komm, ich stell dir ein paar Freunde vor.“
Die bewundernden, und gleichzeitig herausfordernden Blicke der männlichen Gäste bleiben an ihr kleben. Sie sieht überwiegend junge, sexy Frauen. Jede puppenhafter als die andere. Sie bemüht sich, alles gleichgültig auf sich einwirken zu lassen. Bin ich nun Fredys Freundin, oder auch eine von denen? Er stellte sie als Frau an seiner Seite vor, was viele mit Bewunderung zur Kenntnis nahmen.
Fredy reicht ihr ein Glas Champagner. „Schau dich ein wenig um, ich bin gleich wieder da.“
Mit dem Drink in der Hand erkundet sie langsam das Haus. Es ist groß mit vielen Zimmern. Auf der Terrasse bemerkt sie den großen Pool. Die Gäste stehen drum herum, diskutieren stehend oder sitzend, meist mit einem Glas Champagner in der Hand. Sie entdeckt einzelne Paare, die abseits Zärtlichkeiten austauschen. Teilweise hemmungslos. Zurück im Haus zählt sie bestimmt dreißig Personen. Sie hält Ausschau nach Fredy, doch sie findet ihn nicht. Unsicherheit ersetzt ihre noch erwartungsvolle, freudige Laune, bis ein Gast sie von der Seite anspricht.
„Gefällt es Ihnen hier, sind sie zum ersten Mal dabei?“
Dabei? sinniert Lisa kurz, dreht sich verwundert um und sieht einem 30-jährigen Schönling direkt in seine grünen Augen.
„Ja, ich bin mit Fredy das erste Mal auf einer Party.“
Der Blick des erregt wirkenden Gastes trifft sie tief. Ihr Herz fängt an zu pochen. Sie fühlt sich unbehaglich und will der Lage entgehen. Er fasst sie aus dem Nichts sanft am Arm, um ihr zu deuten, stehen zu bleiben. Seine Erregung ist nicht zu übersehen. Es passiert so unvermittelt, dass sie sich von ihm wegdreht. Sie schlendert legere an teils offenen oder verschlossenen Türen vorbei. Fredy war nirgends zu sehen. Einen älteren Herrn fragt sie, ob er ihn gesehen habe.
„Ich glaube, er ist in diesem Zimmer“, erwidert er und deutet auf eine geschlossene Tür.
„Danke.“
Sie klopft kurz, bevor sie eintritt. Die Frau ist um 35, und äußerst attraktiv. Sie sitzt auf Fredys Schoß. Seine rechte Hand gleitet langsam zwischen den Oberschenkel unter ihren ultrakurzen Mini. Lisa erschrickt und erblasst. Sie dreht sich, knallt die Tür hinter sich mit Wut und Entsetzen zu. Verstohlene Blicke, und das Getuschel, das sie begleitet, sind ihr in diesem Moment egal. Nur wegrennen von allem, was sie gesehen hat. Das sind ihre einzigen Gedanken. Sie schnappt sich ein Taxi. Ihre Enttäuschung ist elend. Sie schämt sich dafür, sich mit Fredy eingelassen zu haben. Ja, sie würde die geplante Vertragsbesprechung platzen.
Die Suche nach dem Schlüssel ist erfolglos. Sie greift kurzentschlossen zum Handy. Die halbverschlafene Stimme am anderen Ende strahlt durchs Telefon Wärme.
Bin ich verrückt. Lisa ist verunsichert. Zu spät.
„Rosetti?“
„Hier spricht Lisa de Vries.“
„Woher haben Sie meine Nummer?“
Stotternd entschuldigt sich Lisa für den späten Anruf.
„Es ist elf Uhr nachts. Ist was passiert?“
„Darf ich vorbeikommen?“
„Ich weiß nicht, wir kennen uns kaum.“
„Ja, aber sie kennen Fredy. Ich bin da in was hineingerutscht, womit ich nicht umgehen kann. Es tut mir sehr leid für diese späte Störung.“
Maria erinnert sich an ihr Gefühl für Lisa, welches sie beim ersten Treffen erfasste. Dieses gibt ihr das unbestimmte Vertrauen, zuzustimmen.
Das Taxi steht noch vor dem Haus. Schon ist Lisa wieder auf dem Weg, zu Maria. Ob das wohl gut geht? Sie macht sich Vorwürfe. Wie konnte ich eine bisher mir kaum bekannte Frau mitten in der Nacht anrufen.
„Komm rein, mit dir habe ich nicht gerechnet.“
„Entschuldige bitte. Weißt du, ich habe in Zürich niemanden, dem ich mich anvertrauen kann. Da bist du mir eingefallen. Ich hatte in den letzten Jahren nicht immer eine gute Hand was Vertrauen betrifft. Doch bin ich mir sicher, ja ich habe dich in der sehr kurzen Zeit auch beobachtet, dass ich dir vertrauen kann. Jetzt bin in Panik geraten. Darum dieser Überfall, spät nachts.“
„Fredy?“
„Ja“, sagt Lisa nach kurzem Zögern.
„Und wie soll ich dir da helfen? Er ist mein Chef.“
„Bitte sei ehrlich zu mir“, sagt Lisa. „Wenn ich dich damit in Schwierigkeiten bringe, gehe ich sofort.“
In diesem Augenblick schauen sich beide in die Augen. Es war wie eine gegenseitige Analyse bis tief ins Herz.
„Weißt du Lisa, ich habe nur zugestimmt, weil ich in deinem Blick Ehrlichkeit und Reife gesehen habe. Du unterscheidest dich von den jungen Girls, die Fredy sich angelacht hat.“
Lisa schluckt zweimal, bevor sie in der Lage ist, zu antworten.
„Ich hole uns was zu trinken. Ein Glas Rotwein, oder lieber was Härteres?“
Lisa nickt nur. Sie überlegt, die Wohnung gleich wieder zu verlassen. Doch das Bauchgefühl sagt, nein. Die Konfrontation mit Marias Urteil gibt ihr Hoffnung. Sie fühlt, es ist ehrlich. Ich bin nicht einfach eine weinende Tussi. Der Schmerz war zu groß.
Lisa trinkt das erste Glas mit einem Zug leer und stellt es mit einem tiefen Seufzer zurück auf den Tisch.
„Erzähl mal“, sagt Maria und sieht sie fordernd an. „Was ist denn passiert?“
Es sprudelt wie ein Schwall aus Lisa heraus. Sie erzählt den Verlauf des Abends in jedem Detail. Die Tränen stehen ihr zuvorderst.
„Was soll ich dir sagen? Ja, Fredy ist kein Mann für feste Beziehungen. Er liebt das Leben und, Frauen. Was ich dir sagen kann ist, dass ich mit Fredy noch keine Frau gesehen habe, wie du eine bist. Ich erlaube mir dieses Urteil, denn bisher waren seine, entschuldige bitte, Gespielinnen sehr Jung, das bist du auch, ich meine eher, unreif. Aber ich denke nicht, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, darüber eine vertiefte Unterhaltung zu führen. Ich verstehe dich. Lass denn Abend einfach mal sacken. Gerne können wir uns darüber unterhalten wenn deine Emotionen sich gelegt haben.“
Lisas Augen werden dabei nass. Sie ringt nach Worten. Maria kann bei Lisas Gequassel nicht verstehen, was sie sagt. Sie legt behutsam den Arm um ihre Schultern und ist einen Moment einfach für sie da. Dann erfasst sie eine eigenartige Energie.
Ist das der Start in eine spezielle Beziehung von Frau zu Frau? Seltsame Gedanken durchströmen Marias Hirn. Ich kenne Lisa erst seit einem Tag. Nun liegt sie hier weinend in meinen Armen. Maria überkommt ein Glücksgefühl. Sie wird gebraucht. Das muss echt sein. Ihr Herz pocht, die Kehle schnürt. Eine nie dagewesene Sehnsucht sticht in ihren Magen. Die Familienmutter hat keine richtigen Freunde. Seit langer Zeit wartet sie darauf, die vielfältigen Sorgen und Probleme einer Familienfrau, mit jemand zu teilen. Oder mit Freundinnen einen Kaffee zu trinken. Das ist ihr Wunsch, seit sie eine Familie hat. Ob diese Zeit heute gekommen ist?
„Wie spät ist es denn?“, fragt Lisa. Sie war in Marias Armen kurz eingenickt.
„Ein Uhr morgens.“
„So spät? Entschuldige bitte“, steht auf und geht zur Tür.
„Bis morgen“, sagt Maria. „Es hat nicht nur dir gut getan“, flüstert sie zum Abschied, schließt die Tür, legt sich zufrieden ins Bett und schläft ein. Die eingehende SMS hört sie nicht mehr.
Am nächsten Morgen ist Maria früh im Büro. Sie hat Lisas Vertrag fertigzustellen. Beinah unbemerkt tritt diese an ihr Pult, und sagt mit sanfter Stimme.
„Hallo und einen schönen Tag, danke für gestern.“
„Gerne.“
„Meldest du mich bitte beim Chef?“
Maria bemerkt den klaren, forschen Blick. Den hatte sie bei allen Schönheiten, die sich Fredy zu eigen machen wollte, vermisst. Sie ist sich sicher, dass diese Frau anders sein würde.
„Klar, er erwartet dich. Bleib standhaft.“
Lisa schließt hinter sich die Tür in Fredys Büro.
„Hallo Lisa. Wie kann ich dir helfen? Haben wir einen Termin?“, begrüßt Fredy sie.
„Ja, du mit mir“, antwortet sie knapp.
„Gibt es ein Problem?“
„Ich bin sicher, du hast keine Ahnung, was du mir gestern angetan hast.“
„Meinst du das mit der anderen Frau? Wo liegt das Problem? Ich bin dir nichts schuldig.“
„Genau das habe ich mir gedacht“, entgegnet Lisa. „Du hast mich gedemütigt und unter den vielen fremden Menschen allein gelassen. So geht das nicht, nicht mit mir. Erst stellst du mich vor, als neue Frau an deiner Seite. Dann hast du mich diesem, vor Erregung geifernden männlichen Haufen zum Fraß vorgeworfen. Das machen Zuhälter mit Nutten. Währenddessen vergnügst du dich mit irgendeiner Gespielin. Ist das deine Art, mit Frauen umzugehen? Du bist ein echter Macho, der die Frauen besitzen und ihnen jede Würde abspricht. Nein Fredy, das ist nicht meine Art. Hiermit verzichte ich auf den angebotenen Job.“
Lisa verlässt das Büro und eilt aus dem Haus. Sie nickt Maria mit tränenden Augen zu. Fredy sitzt wie ein geschlagener Hund auf seinem Stuhl. Er ist sich nicht bewusst, was soeben geschehen ist.
Noch immer mit den Tränen kämpfend legt sich Lisa zuhause, an die Decke starrend ins Bett. Sie ist nicht in der Lage, klare Gedanken zu finden. Wie öfters in solchen Momenten flüchtet sie in ihr Mitleid und tröstet sich mit ihrem eigenen Körper. Die Entspannung lässt nicht lange auf sich warten, da klingelt die Haustürglocke. Sie braucht einen Moment, um sich zu fangen. Durch den Türgucker sieht sie Fredy.
Er hat es bemerkt, klopft an die Tür.
„Lisa bitte mach auf, ich will mit dir reden.“
Nach kurzem Zögern öffnet Sie die Tür. Fredy sieht sie von unten bis oben an und entschuldigt sich.
„Was willst du hier, habe ich dir nicht deutlich zu verstehen gegeben, dass ich nicht deine Gespielin bin?“ Mit einem Trommelfell strapazierenden Knall fällt die Tür ins Schloss. Er gibt nicht auf.
„Lisa, mach bitte auf.“
„Lass mich.“ Ich bleib hier stehen, bis morgen früh.“
Sie zögert einen Augenblick und öffnet die Tür. „Meine Zeit ist knapp. Was willst du?“
„Na, mit dir reden.“
„So leg los“, schnippt sie.
„Lisa, ich möchte dich nicht verlieren, weder als Freundin noch als Mitarbeiterin. Du bedeutest mir mehr als alles andere.“
„Wie kannst du nach so kurzer Zeit so was sagen. Du kennst mich nicht als Frau. Du kennst mich nicht als Mitarbeiterin. Das ist eine typische Macho-Floskel, die jede Frau von dir zu hören bekommt.“
„Auf der Party, das war nicht korrekt. Aber weißt du, auf solchen Partys ist man meist großzügiger.“
„Wenn das die Normalität ist, gehöre ich nicht dazu. Für mich zählen andere Werte. Entweder du akzeptierst meine Einstellung, oder wir gehen definitiv getrennte Wege. Verlass bitte die Wohnung.“ Wieder knallt die Tür.
Das Telefon klingelt. Am anderen Ende ist Maria.
„Hallo Lisa, wie fühlst du dich?“
„Maria … Danke, dass du anrufst. Wie ich mich fühle? Beschissen.“
„Hast du Lust, darüber zu reden? Komm heute Abend zu mir. Ich bin solo.“
„Lisa zögert kurz, reden gerne. Würde es dir was ausmachen, zu mir zu kommen?“ Sie gibt Maria die Adresse.
Lisa begutachtet zufrieden ihre Apéro-Häppchen, da summt die Hausglocke.
„Die Tür ist offen“, ruft sie aus der Küche. Die Begrüßung ist herzlich. „Weißwein?“
„Liebend gerne.“ Mit zwei gefüllten Gläser setzt sie sich zu Maria aufs Sofa.
„Erzähl von heute Morgen.“
„Er hat bepisst dreingeschaut. Dass der Abend mich frustriert, und gedemütigt hat, kapiert er nicht. Dann habe ich sein Angebot abgelehnt, und das Büro verlassen.“
„Unbemerkt ist er mir nach Hause gefolgt. Jetzt besteht er darauf, mit mir zu reden, alles wieder gutzumachen. Weißt du, was das Größte ist? Er sagte mit gespielt betretener Mine, ich möchte dich nicht verlieren. Du bedeutest mir alles, als Freundin und als Mitarbeiterin. Dabei kennt er mich kaum.“
Maria hört zu, ohne ein Wort dazwischen zu reden. Unvermittelt sagt sie: „Was bedeutet er dir?“ Lisa ist betrübt, den Tränen nahe.
„Verdammt, ich habe mich in diesen Macho verliebt. Vom ersten Moment, als er vor mir stand, war ich hin und weg. Verstehst du das?“
„Sag Lisa, wann warst du das letzte Mal so richtig verliebt? Wie ist es mit Sex?“
„Richtig verliebt? Keine Ahnung, was das ist. Sex, dafür habe ich meinen Körper. Der betrügt mich nie.“
Sie fängt bitter an zu heulen. Maria streicht ihr über das samtene, rote Haar. Sie sitzen eine Zeit lang schweigend da, bis sich Lisa wieder erholt hat. Sie schmiegt sich an Maria. Sie tauschen ihre Körperwärme. Beide empfinden das, was eine tiefe Freundschaft ausmacht. Eine engelsfeine Harmonie legt sich über sie.
Maria löst sich aus dieser Zweisamkeit.
„Wie ist das möglich, wie kommt eine bildhübsche Frau mit dieser Energie in eine solch unwürdige Lage? Da muss in jungen Jahren was passiert sein, das dich total aus dem Tritt geworfen hat. Sag, wie sieht dein Plan mit Fredy jetzt aus?“
„Scheiße noch mal, ich habe mich verliebt. Der Job reizt mich. Zudem bin ich Holländerin. Wenn ich den Job verliere, ist meine Aufenthaltsbewilligung weg. Ja ich werde mit ihm reden. Eines musst du wissen. Ich lass mich nicht von ihm steuern. Ich bin schon in tiefste Abgründe gefallen. Jetzt, da es mir gelingt, Fuß zu fassen, ziehe ich das durch, Fredy hin oder her.“
„Noch ein Glas Wein?“, fragte sie, öffnet die Flasche und schenkt ein, bevor Maria ja sagt.
Es ist bereits zehn Uhr. Maria erwacht benommen aus ihrem kurzen, Power Nap und ist auf einen Schlag wach. Lächelnd schaut sie Lisa an. Was ist mit dir passiert. Erzähl mal.
Die Geschichte, die Maria zu hören bekommt, macht sie tief betroffen.
11
„Niemand kennt meine Lebensgeschichte. In all den Jahren war ich nie in der Lage, sie zu erzählen. Sie ist auch nicht an einem Abend erzählt. Bitte versprich mir, zu sagen, wenn es dir zu viel ist. Und, behalte meine Geschichte absolut für dich.“
„Schau Lisa“, antwortet Maria und rückt auf dem Sofa wieder näher an sie. Damit gibt sie ihr Halt. „Von meiner Seite hast du das Versprechen. Es liegt an dir, wie weit du mir dein Vertrauen schenkst.“
Lisa gibt Marias feinem Druck nicht nach. Sie soll ihr Zittern spüren. Sie ist nervös, wie wenn die Geschichte soeben passiert wäre. In solchen Momenten hat sie sich nicht unter Kontrolle. Doch spürt sie, dass es sich lohnen wird.
„Wir waren die glücklichste Familie, die du dir vorstellen kannst. Auch hatte ich die liebevollsten Eltern. Bis zu jenem verhängnisvollen Tag, kurz nach meinem zehnten Geburtstag.“
„Was ist denn geschehen?“
„Meine Eltern waren auf dem Weg nach Amsterdam. Das passierte alle zwei Monate. Mama freute sich wie ein Kind auf diesen Tag, denn es war ihre Zeit mit Papa.