Wenn der Sturm naht: Die große Australien-Saga - Band 3 - Peter Watt - E-Book
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Wenn der Sturm naht: Die große Australien-Saga - Band 3 E-Book

Peter Watt

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Beschreibung

Das epische Finale der Australien-Saga: »Wenn der Sturm naht« von Peter Watt – jetzt als eBook bei dotbooks. Australien im 19. Jahrhundert: Seit Jahrzehnten liegen zwei irische Auswandererfamilien in unerbittlicher, blutiger Fehde. Die Hoffnung auf Frieden ruht nun in den Händen der jüngsten Generation: Patrick Duffy, der Sohn aus einer heimlichen Liebe zwischen Fiona Macintosh und Michael Duffy, soll die Geschäfte der Macintoshs übernehmen. Doch seine Feinde, allen voran Fionas Ehemann, der skrupellose Granville White, spinnen ein Netz aus Intrigen und schrecken vor keiner Tat zurück. In den roten Hügeln dieses wilden Landes wird sich das Schicksal von Patrick und seiner ihm versprochenen Catherine entscheiden … Das dramatische Finale der Familiensaga über das abenteuerliche Leben im Australien des 19. Jahrhunderts, eine unerbittliche Familienfehde – und die Kraft der Liebe … Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Wenn der Sturm naht« ist nach »Weit wie der Horizont« und »Wer dem Wind folgt« der dritte und letzte Teil der großen Australien-Saga von Peter Watt. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 769

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Über dieses Buch:

Australien im 19. Jahrhundert: Seit Jahrzehnten liegen zwei irische Auswandererfamilien in unerbittlicher, blutiger Fehde. Die Hoffnung auf Frieden ruht nun in den Händen der jüngsten Generation: Patrick Duffy, der Sohn aus einer heimlichen Liebe zwischen Fiona Macintosh und Michael Duffy, soll die Geschäfte der Macintoshs übernehmen. Doch seine Feinde, allen voran Fionas Ehemann, der skrupellose Granville White, spinnen ein Netz aus Intrigen und schrecken vor keiner Tat zurück. In den roten Hügeln dieses wilden Landes wird sich das Schicksal von Patrick und seiner ihm versprochenen Catherine entscheiden …

Das dramatische Finale der Familiensaga über das abenteuerliche Leben im Australien des 19. Jahrhunderts, eine unerbittliche Familienfehde – und die Kraft der Liebe …

Über den Autor:

Peter Watt hat in seinem Leben schon in vielen verschiedenen Ländern gelebt, darunter Vietnam, Island, Tasmanien und Papua-Neuguinea. Heute wohnt er im australischen Maclean, im Norden von New South Wales. Er schätzt gutes Essen, das Angeln und die Weite des Outbacks von Queensland, wo auch seine Romane spielen.

Peter Watt veröffentlicht bei dotbooks ebenfalls:

»Weit wie der Horizont. Die große Australien-Saga: Band 1«

»Wer dem Wind folgt. Die große Australien-Saga: Band 2«

Die Website des Autors: www.peterwatt.com

***

eBook-Neuausgabe August 2019

Dieses Buch erschien bereits 2003 unter dem Titel »Auf den Flügeln des Adlers« bei Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der englischen Originalausgabe 2001 Peter Watt

Die englische Originalausgabe erschien 2001 unter dem Titel »Flight of the Eagle« bei Pan Macmillan Australia, Sydney.

Copyright © der deutschen Ausgabe 2003 Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Tim Price, kwest und Jessica Knauppe

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-96148-789-9

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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***

Besuchen Sie uns im Internet:

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blog.dotbooks.de/

Peter Watt

Wenn der Sturm naht

Australienroman

Aus dem Englischen von Imke Walsh-Araya

dotbooks.

Die Handlung dieses Buches und die darin auftretenden Personen sind frei erfunden. Abgesehen von der gelegentlichen Nennung historischer Gestalten enthält es keinerlei Hinweise auf lebende oder tote Personen. Es ist denkbar, dass manche Leser an bestimmten Schilderungen Anstoß nehmen und ihnen Ausdrucksweise und Einstellung mancher Figuren rassistisch vorkommen. All das muss im historischen Kontext des Romans gesehen werden und spiegelt in keiner Weise persönliche Ansichten des Verfassers wider.

Für meine Mutter, Elinor Therese, mit all meiner Liebe

Ulula, sieh ihn dir an! Der Donner,Der sich mit dem Regen an den Felsen bricht,Und der Wind, der das Salz der Seen in die Höhe peitscht,Sie haben ihn erneut zum Jäger gemacht:In einen Jäger und Fischer zurückverwandelt.

»Der Letzte seines Stammes«, HENRY KENDALL

PROLOG

In der Kolonie Queensland

Der Landstrich gehörte zu den lebensfeindlichsten, die das Auge eines Weißen je erblickt hatte.

Endlose Weite und Sand, der nur von vereinzelten Sträuchern unterbrochen wurde. Die tödlichsten Giftschlangen der Welt verbargen sich während der glühenden Hitze des Tages in den Rissen der ausgedörrten Lehmpfannen, um während der Nacht Beuteltiere zu jagen. Durch dieses Land streifte der einsame Aborigine-Jäger, der in der unbarmherzigen Natur seinen bescheidenen Lebensraum gefunden hatte.

Doch Wallarie fühlte sich nicht allein in diesem Landstrich, denn die Geister seines Volkes zogen mit ihm. Schon die Tatsache, dass er noch lebte, war Beweis genug für ihre Existenz. Sein Leben war unauslöschlich geprägt von dem Warten auf den Sturm, der die Welt der Menschen erschüttern und auf Jahre hinaus verändern würde.

Der Krieger stand in den mittleren Jahren, und sein langer Bart war von grauen Strähnen durchzogen. Narben zeichneten seinen Körper, und seine Augen besaßen nicht mehr die Schärfe der Jugend. Doch trotz seines Alters war er immer noch ein Kämpfer, und die Eingeborenen, denen er auf seinen langen Wanderungen kreuz und quer durch die Kolonie Queensland begegnete, hatten ihn fürchten gelernt. Auch bei den europäischen Siedlern im Grenzgebiet blieb sein Ruf als Weißenmörder unvergessen.

Wallarie war in die Mythologie des Grenzlandes eingegangen. Man sprach von ihm wie von einem Geist, und geplagte Kindermädchen drohten ihren Schützlingen mit dem Schwarzen, der unartige kleine Kinder hole.

In jener Nacht saß er im Schneidersitz vor einem Lagerfeuer und stimmte die Gesänge seines Volkes an. Die Geister des Landes lauschten, während das Feuer sanft in der Dunkelheit knisterte, und der alternde Krieger fiel in einen tiefen Schlummer. Während er am Feuer schlief, kamen die Geister auf den Schwingen des Nachtwindes zu ihm und sprachen von den Dingen der Zukunft. Sie kündigten merkwürdige Ereignisse an: Der lange Schlaf der Geister seiner Ahnen sei gestört worden, und ein Sturm der Rache erhebe sich aus der Erde, um die Welt des weißen Mannes zu vernichten. Nach Norden solle er reisen, ins Land der grausamen Krieger der Kalkadoon, wo er dem Blut seiner Vergangenheit begegnen werde. Der Sinn dieser Worte lag für ihn im Dunkeln, aber er wusste, dass er den Stimmen folgen musste.

So träumte Wallarie, der Letzte seines Stammes, während das klagende Heulen der Dingos die Wüstennacht erfüllte und die tödlichen Taipan-Schlangen aus den Spalten der Lehmpfannen krochen, um nach Beute zu suchen.

Als die Sonne über den mit Brigalow-Akazien bestandenen Ebenen von Zentral-Queensland aufging, verließ Wallarie die kühle Geborgenheit der uralten Höhle, um nach Norden zu ziehen, ins Land der Kalkadoon.

DER STURM KÜNDIGT SICH AN

1884

1

Ein junger Beamter der berittenen Eingeborenenpolizei von Queensland hockte im roten Staub der Ebene und untersuchte die schwachen Umrisse von Fußspuren, während seine Kameraden unbehaglich auf ihren mächtigen Pferden saßen. Seine Einschätzung konnte über das Leben der acht Polizisten entscheiden, die sich auf ihrer Patrouille tief in das Gebiet der gefürchteten Kalkadoon gewagt hatten.

Die Polizeistreife hatte einen weiten Weg zurückgelegt, seit sie die Kasernen nahe der Grenzstadt Cloncurry verlassen hatte. Vor den Männern erhoben sich die zerklüfteten, wüstenhaften Godkin-Berge, während hinter ihnen eine rote Ebene lag, die nur von spärlichem Buschwerk und stachligen Bäumen, in denen Termiten nisteten, aufgelockert wurde. Bis auf das Summen der unerträglichen Fliegen und das Klatschen der Pferdeschweife herrschte in der allgegenwärtigen trockenen Hitze der semiariden Steppe Nordaustraliens vollkommene Stille.

Peter Duffy, der Polizist, stand zwischen zwei Welten. Als Sohn von Tom Duffy, einem Buschläufer, und Mondo, einer Frau aus dem Nerambura-Clan, war er halb Ire und halb Aborigine. Von seinem Vater hatte er den kräftigen Körper geerbt, von seiner Mutter die Hautfarbe. Er war Anfang zwanzig, und seine exotische Attraktivität trug ihm in den Grenzstädten kokette Blicke der Europäerinnen ein. Die Männer dagegen starrten ihn nur grimmig an. Trotz seiner hervorragenden Schulnoten und seiner europäischen Erziehung ließen ihn die Weißen nie vergessen, dass er ein halbblütiger Nigger war.

Nachdem er gemeinsam mit seinem besten Freund, Gordon James, zur berittenen Eingeborenenpolizei gegangen war, hatte man ihn automatisch als Fährtenleser der Patrouille zugewiesen, während Gordon Offizier wurde. Schließlich war Gordon der Sohn des berühmten Sergeant Henry James, der vor vielen Jahren maßgeblich an der Vertreibung der Eingeborenen aus dem Fitzroy-Gebiet beteiligt gewesen war.

Zunächst hatte es Peter zu schaffen gemacht, dass ein Trupp der berittenen Eingeborenenpolizei sechzehn Jahre zuvor in Burkesland seine Eltern getötet hatte. Doch die Loyalität zu seinem besten Freund war stärker gewesen als die ferne, verschwommene Erinnerung. Er war jung, für ihn zählte die Gegenwart, und er sehnte sich nach Abenteuern.

Als er jetzt zu den fernen Bergen hinüberblickte, war er überzeugt davon, dass die Spuren zum Heiligtum in den Hügeln führten. Das gefiel ihm gar nicht. Sein Instinkt sagte ihm, dass sich in dem in der Hitze flimmernden Dunst über den zerklüfteten Felsen der uralten Berge eine tödliche Bedrohung verbarg, sie schien geradezu in der Luft zu liegen. Die Stille wirkte Unheil verkündend, als wären die Felsengeister verstummt, um auf das Schnauben der Pferde und das Klirren der metallenen Sattelbeschläge zu lauschen. In den Ohren des jungen Polizisten lag ein Dröhnen, das den Tod prophezeite.

»Und, Trooper Duffy, was sehen Sie?«, erkundigte sich Unterinspektor Potter gereizt von seinem Pferd herab. Der lange Ritt war fatal für seine Hämorrhoiden gewesen, und die ergebnislose Jagd nach den flüchtigen Kriegern hatte auf seine Stimmung geschlagen. Das ließ er nun an seinen Männern aus.

»Nichts Gutes, Mahmy«, gab Peter nachdenklich zurück. »Ich glaube, die Kalkadoon wollen, dass wir ihnen folgen.«

»Blödsinn!«, schnaubte der Unterinspektor. »Schwarze sind nicht in der Lage, wie Weiße eine militärische Strategie zu planen. Sie sind übervorsichtig, Trooper!«

Peter wandte das Gesicht ab, damit der Polizeioffizier die Verachtung in seiner Miene nicht sah. Hätte doch nur Gordon James, mit dem er seit ihrer Kindheit befreundet war, die Patrouille befehligt und nicht dieser aufgeblasene Idiot. »Wir sollten uns da nicht hineinwagen, Mahmy«, sagte er ruhig. »Ich glaube, sie warten auf uns.«

Ihm war klar, dass der Offizier ihn nicht ausstehen konnte, weil er ein Halbblut war, das Produkt einer abscheulichen Sünde in den Augen des Herrn.

Der Inspektor hatte heftig dagegen protestiert, dass Peter seiner Einheit zugewiesen wurde. Nein, er wolle ein Vollblut als Fährtenleser, nicht irgendeinen braunen Mischling!! Aber der Mischling hatte Freunde bei der berittenen Polizei, die darauf bestanden, dass er den Posten erhielt. Jetzt mussten sie miteinander auskommen.

Die europäischen Polizisten blickten sich unruhig um. Sie respektierten den jungen Fährtenleser, der »fast ein Weißer« war, wie sie scherzhaft sagten. Wenn Peter meinte, sie sollten sich nicht in die engen, mit Buschwerk bedeckten Schluchten des Massivs wagen, dann glaubten sie ihm. Wie Peter Duffy hielten auch sie wenig von ihrem arroganten Kommandeur, der bis vor kurzem noch bei der britischen Armee in Indien gedient hatte.

Die Aborigines unter den Polizisten wussten, dass Peter Recht hatte. Nervös an ihren Snider-Karabinern herumfingernd, suchten sie mit den Blicken Hänge und Bergkuppen nach den gefürchteten Kalkadoon-Kriegern ab. Diese Vertreibungsaktion würde sich als Fehlschlag erweisen.

Inspektor Potter schlug nach den Fliegen, die in dichten Schwärmen um sein Gesicht schwebten und es auf seinen Schweiß abgesehen hatten. Er hatte bereits beschlossen, seinen Fährtenleser zu ignorieren. Den verteufelten Kalkadoon würde er es schon zeigen Noch ein Weißer sollte ihren Speeren nicht zum Opfer fallen. Seine Männer würden in die Berge gehen.

Falls die Kalkadoon wirklich auf sie warteten, würden die Wilden eine unangenehme Überraschung erleben. Auch ihre massiven Holzschilde konnten die Kugeln aus den Karabinern der Beamten, die im Namen von Königin Viktoria in Queensland für Gerechtigkeit sorgten, nicht aufhalten.

»Vorwärts!«

In Inspektor Potters Stimme lag Verachtung für alles, das nach gesundem Menschenverstand roch.

Peter schwang sich in den Sattel und zog den Karabiner aus der Halterung. Er legte den Kolben auf seinen Oberschenkel. Das tödliche Schweigen der Berge gellte ihm in den Ohren wie ein Todesschrei.

Schweigend ritten sie dahin.

Es gab kein nervöses Wortgeplänkel, während sie den Spuren folgten, die Peters scharfe Augen auf dem trockenen Boden fanden. Zahlreiche Fußabdrücke führten sie in eine enge Schlucht, deren Hänge mit Felsen übersät waren.

Felsen, die groß genug waren, dass sich ein Mann dahinter verbergen konnte, dachte Peter. Sein Unbehagen wuchs, denn er konnte sich vorstellen, was geschehen würde. Felsen und Buschwerk, hinter denen Männer kauerten, die von Geburt an als Krieger ausgebildet worden waren. Die Patrouille folgte ihm nur widerwillig, sah man von Unterinspektor Potter in seiner selbstzufriedenen Unwissenheit ab.

Der von der Sonne verbrannte, schwitzende Offizier schüttelte den Kopf. Dieser verdammte Halbnigger war so feige, wie er vermutet hatte. Kein Rückgrat, wenn es darum ging, mit primitiven Schwarzen fertig zu werden, die mit wenig mehr als Stöcken und Steinen bewaffnet waren. Sein Zaudern war jedoch bemerkt worden und würde bei der Rückkehr in die Kasernen von Cloncurry gemeldet werden. In der Zwischen...

Sein Monolog des Tadels wurde jäh unterbrochen, als er flüchtig ein seltsames Zischen wahrnahm, das die heiße, bewegungslose Luft in der engen Schlucht erfüllte. Ein brennender Schmerz schnitt durch seine Lenden. Sein Pferd bäumte sich, von Pein und Entsetzen gepackt, auf, als sich ein mit Stacheln bewehrter Speer in seine Flanke bohrte. Gleichzeitig ertönte an den scheinbar verlassenen Hängen aus hunderten Kehlen der blutrünstige Kriegsschrei der Kalkadoon.

Verzweifelt an den Zügeln reißend, versuchte Potter vergeblich, sein Pferd auf den Beinen zu halten, doch das tödlich getroffene Tier ging mit einem donnernden Krachen zu Boden und klemmte ihn dabei unter sich ein.

Die Männer, die die Polizeistreife mit Steinen und langen Hartholzspeeren bewarfen, waren weit über einen Meter achtzig groß, und die Emu- und Geierfedern ihres Kopfschmucks ließen sie noch größer und furchterregender erscheinen. Die Gesichter zierten Streifen aus weißen Federn, die sie mit ihrem eigenen Blut festgeklebt hatten; Arme und Beine waren ebenfalls mit Federn geschmückt. Für die in die Falle gegangenen Polizisten wirkten sie in dieser geisterhaften Aufmachung wie Dämonen der Hölle, die ihr Leben forderten.

Verzweifelt zerrte Potter an dem Speer in seiner Lende, doch dessen Stacheln waren so angebracht, dass sich die Waffe weder ziehen noch schieben ließ, wenn sie erst einmal fest steckte. Die Kalkadoon-Krieger, über die er sich noch vor wenigen Minuten lustig gemacht hatte, hatten ihn in die enge Schlucht gelockt, wo sie das in taktischer Hinsicht günstiger gelegene, höhere Gelände kontrollierten. Dagegen saß die Polizeistreife ohne jede Manövriermöglichkeit fest.

Ein speerschwingender Krieger ragte über Potter auf, der seinen Revolver verloren hatte. »Stirb, weißer Bastard!«, zischte der grauhaarige Kämpfer. Etwas überrascht stellte Potter fest, dass sein Mörder Englisch sprach – dann krallten sich seine Hände verzweifelt um den Speer, der sich in seine Brust gebohrt hatte. Mit verzweifelt rollenden Augen blickte er zu seinem Gegner auf. Er hatte seine Patrouille verloren, und nun ging es ihm ans Leben.

Mit einem gewaltigen Ruck riss der Krieger den Speer aus der Brust des sterbenden Inspektors, während die letzten überlebenden Polizisten verzweifelt versuchten, von ihren um sich tretenden Pferden loszukommen und zu fliehen. Doch wohin sie auch sahen, ihre Augen entdeckten nur immer neue Wellen federgeschmückter Körper, die hinter Felsen und Büschen auftauchten und die Hänge herunterstürmten.

Mit Hohnrufen stürzten sich die Kalkadoon auf die Polizisten, um sie mit ihren lanzenartigen Speeren an die rote Erde zu nageln. Vergeblich um Gnade flehend, starben die Beamten unter Nullah-Keulen und Steinäxten.

Rasiermesserscharfe Steinmesser schlitzten die Bäuche der Toten auf, sodass die Krieger ihnen die Nieren entnehmen konnten. Später würden sie deren Fetthülle als Geste der Ehrerbietung vor den Gefallenen verzehren.

Wallarie wandte sich von dem Inspektor zu seinen Füßen ab und richtete seine Aufmerksamkeit auf den letzten Polizisten, der noch aufrecht stand und sein Gewehr wie einen Schlagstock herumwirbelte. Der Mann hatte keine Chance, das war Wallarie klar, als er die Kalkadoon betrachtete, die ihn umringt hatten und mit Spottrufen verhöhnten.

Peter wusste, dass er sterben würde. Von den Männern, die sie in der Vergangenheit so erbarmungslos gejagt hatten, war keine Gnade zu erwarten. Aber er wusste auch, dass er kämpfend untergehen würde.

War nicht sein Vater vor vielen Jahren in den regennassen Hügeln von Burkesland im Kampf gefallen? Hatte nicht eine Kugel seine Mutter getötet? So war es nun sein Schicksal, zu sterben wie ein Mann. Sein Atem ging stoßweise, als er seine Lungen mit der heißen Luft füllte, um sich ein letztes Mal aufzubäumen.

Da trat ein älterer Krieger, mit einem blutbefleckten Speer bewaffnet, aus dem Kreis der spottenden Kalkadoon. Sein Körper war von zahlreichen Narben gezeichnet, und Peter wurde klar, dass er es mit einem erfahrenen Kämpfer zu tun hatte.

Obwohl er auf den Tod vorbereitet war, hoffte er, nicht leiden zu müssen. Im Stillen betete er darum, dass er tapfer sein würde, wenn der Speer seinen Körper durchbohrte. Er wollte den Kalkadoon noch im Tod zeigen, dass er sich mit jedem von ihnen messen konnte. Peter hatte gelernt, einen Speer auch im Nahkampf einzusetzen, doch die lanzenartige Waffe und die Art, wie die Kalkadoon sie verwendeten, unterschieden sich von dem, was er als Jugendlicher von seinem legendären Verwandten Wallarie gezeigt bekommen hatte. Die wilden Bergstämme warfen den Speer nicht, sondern verwendeten ihn häufiger wie eine Stichwaffe.

Wallarie wollte, dass ihm der Fährtenleser in die Augen sah, bevor er ihn aufspießte, und sein trotziger Gegner tat ihm den Gefallen.

Tom!, dachte Wallarie verwirrt. Er blickte in Tom Duffys Augen!

Er zauderte. Peter entging das unerwartete Zögern in den Bewegungen des narbenübersäten Kriegers nicht. Hatte er diesen Mann nicht schon einmal in einem Traum gesehen? Oder sogar im wirklichen Leben? Der fast vergessene Name kam wie ein Zischen von seinen Lippen.

»Wallarie!«

Beide Männer senkten die Waffen und starrten sich an, als sie einander schließlich erkannten. Ein Jahrzehnt der Weißen war vergangen, seit Wallarie den jungen Mann, der der Sohn seines weißen Bruders war, zum letzten Mal gesehen hatte. Die rätselhafte Botschaft des Traumes, der ihn in der uralten Höhle der Nerambura heimgesucht hatte, klang wie ein Echo durch den Kopf des grauhaarigen Kriegers. Er war nach Norden gekommen, um den Letzten zu finden, in dessen Adern noch das Blut seines Volkes floss.

Unter den Kalkadoon, die auf den tödlichen Stoß des fremden Darambal warteten, der aus dem Süden zu ihnen gekommen war, wurde unruhiges Gemurmel laut. Warum hatte der Darambal seinen Speer vor dem verhassten Feind gesenkt?

Da trat Wallarie vor, um seinen Verwandten zu begrüßen.

2

Ohne sich um den kalten, monotonen Nieselregen zu kümmern, starrte Patrick Duffy, Captain der Armee der Königin, auf das Keltenkreuz mit der Aufschrift MOLLY O'ROURKE. Das Grab war von Blumen bedeckt, die der irische Frühling hervorgebracht hatte und die im Winter zu dürrem Gestrüpp vertrocknen würden.

Hier lag also die Frau, die ihn vor zweiundzwanzig Jahren der Obhut der Familie seines Vaters im fernen Sydney übergeben hatte, dachte er düster.

Kerzengerade stand er am Fuß des Grabes und hing seinen bitteren Gedanken nach. Lady Enid Macintosh – seine Großmutter mütterlicherseits – hatte ihm die Umstände seiner Geburt geschildert: wie das alte irische Kindermädchen, das einst in ihren Diensten gestanden hatte, ihn vor seiner Mutter gerettet hatte. Diese hätte ihn sonst auf eine der berüchtigten Babyfarmen Sydneys geschickt, um ihn loszuwerden. Doch Molly hatte ihn in Sicherheit gebracht und vertrauensvoll seiner Tante Bridget und seinem Onkel Frank vom Gasthof Erin in Sydney in die Arme gelegt.

Es war eine traumatische Nacht gewesen, hatte man Patrick erzählt, denn in jener Nacht hatten die Duffys erfahren, dass sein Vater in den neuseeländischen Maorikriegen ums Leben gekommen war. Ein Leben genommen, ein anderes gegeben, lautete Onkel Francis' pragmatisch-philosophischer Kommentar.

Patrick war ein großer, breitschultriger junger Mann. Bis auf die smaragdgrünen Augen glich er seinem Vater Michael Duffy aufs Haar. Seine Augen verdankte er seiner Mutter, der schönen Fiona Macintosh.

Doch die war nun Fiona White, Gattin von Granville White, jenem Mann, der die mächtigen Finanzunternehmen der Macintoshs kontrollierte. Deren Handelsimperium reichte von riesigen Besitzungen in England und Australien bis zu Transport- und Handelsgesellschaften im Pazifikraum, in Asien und Indien. Ein Finanzkonglomerat mit Wurzeln in England, das seine Arme über den gesamten Globus bis an die fernen Grenzen des britischen Empire von Königin Viktoria ausstreckte.

Für einen Augenblick verschleierten sich die Augen des jungen Mannes, als er an Granville White dachte. Aber er wollte keine Zeit auf den Mann verschwenden, den seine Großmutter für die Ermordung seines ihm unbekannten Onkels verantwortlich machte. Heute hatte er von seinem Regiment Urlaub erhalten, um das Dorf zu besuchen, aus dem die Familie Duffy geflohen war – kaum sechs Stunden, bevor der Haftbefehl für seinen Großvater väterlicherseits erging. Zumindest hatte ihm das Tante Bridget erzählt, als er ein kleiner Junge war und im Erin lebte.

Seufzend schlug Patrick den Mantelkragen hoch, um sich gegen den bitterkalten Wind zu schützen. Auf einen Stock gestützt, beobachtete eine in ein zerlumptes Umschlagtuch gehüllte alte Frau den gut gekleideten jungen Mann, der schweigend am Fuß von Mollys Grab stand. Es kam ihr so vor, als wäre der selige Patrick Duffy selbst in sein Dorf zurückgekehrt. Mit abergläubischer Ehrfurcht betrachtete sie das Ebenbild eines Mannes aus einer anderen Zeit.

Als junges Mädchen hatte Mary Casey gemeinsam mit Molly die verhassten englischen Soldaten, die ihr Land besetzt hielten, in mehr als einen Hinterhalt gelockt. Beide hatten dem gut aussehenden, wilden Patrick Duffy nachgestellt.

Doch der junge Rebell hatte nur Augen für die protestantische Tochter eines anglo-irischen Großgrundbesitzers, die ihn mit in ihr Bett nahm. Um dieselbe Zeit sandte der Magistrat seine Lakaien aus, um Molly wegen aufrührerischen Verhaltens verhaften zu lassen. Als Vierzehnjährige wurde sie in die tödliche Verbannung nach Neusüdwales geschickt.

Mary Casey lebte als Haushälterin des jungen Priesters im Pfarrhaus des Dorfes. Vater Eamon O'Brien, der Nachfolger von Vater Clancy, war erst vor kurzem ordiniert worden. Er war nicht in Irland geboren und benahm sich mit seiner englischen Erziehung verdächtig ausländisch. Er verbrachte auffallend viel Zeit an den alten Kultstätten, wo die keltischen Druiden einst ihre blutigen Rituale vollzogen hatten. Man hatte ihn sogar sagen hören, der wahre Glaube sei in Irland mit den alten Religionen verschmolzen.

Alte Religionen! Blasphemie war das! Mary schauderte. Allerdings nicht vor Kälte, sondern bei der Erinnerung daran, wie sich der junge Mann höflich als Patrick Duffy vorgestellt und nach Mollys Grab gefragt hatte. »Jesus, Maria und Josef!«, hatte sie, von abergläubischer Furcht gepackt, hervorgestoßen und sich zum Schutz gegen böse Geister bekreuzigt. Er war leibhaftig aus jenem dürren Land jenseits des Ozeans von den Toten zurückgekehrt!.

Ihre Reaktion auf seine Frage hatte Patrick überrascht. Aber woher hätte er wissen sollen, wie sehr er seinem Großvater väterlicherseits glich, und dass die Furcht der alten Frau durch ihren keltischen Aberglauben ausgelöst worden war? Wortlos humpelte sie zu dem Grab und deutete mit ihrem Stock auf das Steinkreuz.

Eine Böe vom grauen Atlantik ließ den kalten Nieselregen um Patricks Beine wirbeln. Kälte war er nicht gewöhnt. Offenbar hatten die jahrelangen Nordafrika-Feldzüge in der Armee der Königin sein Blut ausgedünnt.

Das Soldatenleben schien Lady Enid Macintosh keine geeignete Beschäftigung für ihren einzigen Enkel, der sich entschlossen hatte, seine Studien in Oxford aufzugeben. Energisch hatte sie sich dagegen verwahrt, dass er als Offizier zur Armee ging, dann jedoch widerwillig nachgegeben, als er sich einem schottischen Hochlandregiment anschloss.

Das Leben eines Gelehrten interessierte Patrick nicht. Ihn trieb eine merkwürdige, unerklärliche Sehnsucht, zu reisen und an den verlassensten Orten der Erde nach sich selbst zu suchen. Zudem wollte er nur ungern nach Australien zurückkehren, wo er sich zwischen seinen beiden Familien hätte entscheiden müssen. Welche Wahl er auch träfe, er hätte eine Hälfte seiner Abstammung verleugnen müssen.

Als junger Lieutenant war er im ägyptischen Tel-el-Kibir in seine ersten Kampfhandlungen verwickelt worden. Obwohl der Feldzug zum Schutz des strategisch wichtigen Suezkanals, der von ägyptischen Rebellen eingenommen worden war, bereits drei Jahre zurücklag, suchte der Lärm der erbitterten Kämpfe Patrick immer noch in seinen Träumen heim.

Die Ägypter hatten quer zu der Route, auf der die britischen Streitkräfte unter dem Oberbefehl von General Sir Gamet Wolseley vorrückten, einen riesigen Graben ausgehoben. Siebzehn hitzeglühende Tage lang war Lieutenant Patrick Duffy mit seiner Hochlandinfanterie durch die endlose ägyptische Wüste marschiert, bis sie vor den gewaltigen Erdwällen des Feindes standen. Im Schutze der eisigen Wüstennacht führte Lieutenant Duffy seine Hochländer, die im schottischen Kilt marschierten, unter dem kristallklaren Sternenhimmel gegen den Feind. Während er neben seinen Männern herging, wanderten seine Gedanken zu dem, was vor ihm lag. Doch die Vergangenheit ließ ihn nicht los.

Im Alter von elf Jahren hatte er Sydney gemeinsam mit seiner Großmutter mütterlicherseits, der gefürchteten Lady Enid Macintosh, verlassen, um im Londoner Haus der Macintoshs zu leben. Dass sie ihn unter ihre Fittiche nahm, war nur durch einen Pakt möglich geworden, den sie Jahre vorher in Sydney mit seinem Vormund, Daniel Duffy, geschlossen hatte.

Angeblich war der junge Katholik Patrick Duffy der streng protestantischen Lady Enid Macintosh anvertraut worden, damit er in den besten Schulen Englands erzogen werden konnte. Ihr wirkliches Motiv war jedoch reiner Eigennutz: Er sollte darauf vorbereitet werden, seine Stelle als legitimes Oberhaupt des Finanzimperiums der Macintoshs einzunehmen. Da durch seine Familie mütterlicherseits Macintosh-Blut in seinen Adern floss, sollte er als Gegengewicht zu Granville White und der eigenen Mutter, Fiona White, geborene Macintosh, wirken.

Allerdings würde Lady Macintosh niemals einen Papisten an der Spitze des stolzen protestantischen Clans dulden. Sie war davon überzeugt, dass eine englische Erziehung mit der Zeit schon dafür sorgen würde, dass er die Schlüssigkeit ihres Glaubens erkannte.

Daniel Duffy hielt den Gedanken, dass sich Patrick am Ende für ihre Religion entscheiden würde, für lächerlich. Er war katholisch getauft worden, und Katholik würde er bis zu seinem Ende bleiben.

Enid hatte nicht mit dem natürlichen Charme des Jungen und ihren bislang unterdrückten großmütterlichen Gefühlen gerechnet. Mit der Zeit hatte sie gelernt, Patrick wie eine Mutter zu lieben. Er hatte die Lücke gefüllt, die der Tod ihres geliebten Sohnes David gerissen hatte. Ihre Angst, Patrick zu verlieren und völlig zu vereinsamen, war so groß, dass sie ihn nicht zu einer Entscheidung zwischen seiner irisch-katholischen und seiner schottisch-protestantischen Seite drängte. Eines Tages würde er seine Wahl ohnehin treffen müssen, wenn er seinen angestammten Platz an der Spitze des, Macintosh-Imperiums einnehmen wollte. Zumindest konnte er in der Armee der Königin seinem wilden irischen Blut in der Hitze der Schlacht freien Lauf lassen.

Während er mit seinen Männern ins Gefecht zog, wurde Patrick bewusst, dass er sich zwischen der Liebe von Lady Enid auf der einen und der seiner irischen Familie auf der anderen Seite entscheiden musste. Ihm bot sich die beneidenswerte Chance, eines der größten Vermögen des Empire zu erben – doch würde er vermutlich die Wertschätzung von Daniel und dessen Familie verlieren. Im Augenblick aber, rief er sich selbst grimmig zur Ordnung, war die Wahrscheinlichkeit größer, dass er getötet oder verstümmelt wurde. Jeder Gedanke an Vergangenheit und Zukunft wurde von seiner wachsenden Furcht verschlungen, als sich die Hochländer dem Feind näherten.

Würde er plötzlich wie ein Feigling von Panik gepackt werden und davonlaufen? Würde er vor Schreck erstarren und als Offizier versagen? Würde er ...

Der Horizont färbte sich rot wie bei einer verfrühten Morgendämmerung. Die Soldaten marschierten schweigend dahin, doch im Stillen fragten sie sich, warum ihre Offiziere nicht dafür gesorgt hatten, dass sie den Feind vor Sonnenaufgang erreichten.

Auch Sir Garnet Wolseley war von der unerwartet frühen Morgendämmerung überrascht worden, doch man hatte ihm erklärt, es handle sich um ein astronomisches Phänomen: den Widerschein eines Kometenschweifs, der direkt unter dem Horizont vorüberziehe.

Direkt vor dem Morgengrauen riss sporadisches Feuer von Posten jenseits der ägyptischen Gräben Patrick aus seinen Gedanken. Dann war die Luft plötzlich vom ohrenbetäubenden Lärm der Gewehre erfüllt, die eine Feuerwand in die Dunkelheit sprühten. Wolseley schickte seine Armee gegen die ahnungslosen ägyptischen Rebellen. Überall entlang der ägyptischen Verteidigungslinie blitzte Mündungsfeuer auf, und die Hörner der Briten bliesen zum Angriff.

Später erinnerte sich Patrick an das Gefühl der Erleichterung, als sich die aufgestaute, überwältigende Angst in Gewehrsalven entlud. Nachdem er seine anfängliche Erstarrung überwunden hatte, konzentrierten sich die Gedanken des jungen Offiziers auf die vor ihm liegende Aufgabe.

Er hatte seine Männer angebrüllt, ihm zu folgen – und sie folgten ihm. Mit aufgepflanztem Bajonett und um die gebräunten Beine wirbelndem Kilt fegten Lieutenant Patrick Duffy und seine Hochländer mit wildem Kriegsgeschrei heran.

In dem erbitterten Handgemenge verlor Patrick seinen Revolver, ersetzte ihn jedoch sofort durch das Martini-Henry-Gewehr eines gefallenen Hochländers. In den nächsten fünfzig Minuten schlug er eine blutige Schneise in die Reihen der Feinde der Königin.

Angriff ... Gegenangriff. Schreie und erstickte Flüche von Freund und Feind, die auf Leben und Tod miteinander rangen, Männer, die, tödlich verwundet, in vielen Sprachen nach ihrer Mutter riefen, ein schwarzes Gesicht, das in der Dunkelheit die Zähne fletschte, wilde Mordlust ... Stöße mit dem langen Bajonett und qualvolles Stöhnen, wenn das Bajonett im weichen Fleisch sein Ziel fand. Der Nubier, der verzweifelt nach Patricks Gesicht langte, die pure, ungebändigte Lust am Töten. Noch mehr Gesichter und Körper, bis seine rote Jacke steif von Blut war. Die Schlachtrufe seiner grimmigen schottischen Vorfahren brüllend, metzelte er wie im Rausch die Gegner mit dem Bajonett nieder.

Als alles vorüber war, wurden Lieutenant Duffys Führungsqualitäten und persönlicher Mut in Wolseleys Depeschen lobend erwähnt. Schließlich erhielt er als Belohnung für seine Teilnahme am Feldzug zur Rettung des Suezkanals ein Offizierspatent als Captain.

Doch die Monate des Feldzugs in der Wüste und in den Sümpfen des Nil hatten seine Gesundheit untergraben. Als er am Fuß von Molly O'Rourkes Grab stand, war er von der Malaria noch so geschwächt, dass seine militärische Haltung in sich zusammenbrach und er zu schwanken begann.

Mary Casey, die auf ihn zuhumpelte, um ihm zu helfen, entdeckte hinter den Augen, die sie durch das Fieber hindurch anlächelten, eine seltsame Macht.

Die Augen des Teufels, dachte sie. Augen, die selbst einer Nonne Herz und Jungfräulichkeit rauben konnten!

Zunächst versuchte Patrick, Mary abzuwimmeln. Schließlich ließ er sich jedoch überzeugen, dass es das Vernünftigste wäre, wenn er bei ihr im Pfarrhaus einen Teller heiße Suppe aß. Er folgte ihr zu dem kleinen, gemauerten Anbau, der sich an die Kirche lehnte. Während sie Patrick ins Haus führte, rief sie nach Vater O'Brien.

Hastig beendete der Priester, der ihre Rufe gehört hatte, die vorgeschriebenen Gebete und schloss das Messbuch. Als er in die winzige Küche eilte, sah er gerade noch, wie seine gebrechliche Haushälterin einem jungen Riesen auf den abgewetzten Holzstuhl am Tisch half.

»Vater Eamon O'Brien«, sagte der junge Priester, während er Patrick die Hand reichte. Seinem Auftreten und dem teuren Anzug nach zu urteilen, musste es sich bei dem Fremden um eine bedeutende Persönlichkeit handeln. Als Patrick sich vorstellte, erkannte der Priester sofort den Akzent der gebildeten britischen Oberschicht.

Unterdessen wärmte Mary Casey die Suppe – eine dünne Grütze aus abgestandenem Gemüse und Gerste, der ein winziges Stückchen Lammfleisch Geschmack verlieh – in einem altmodischen Kessel, den die Feuer von über einhundert Jahren schwarz gefärbt hatten.

Patrick fühlte die Wärme der Küche in seinen Körper strömen wie die frühe Morgensonne, die sich über den Wüsten des Nilgebiets erhob. Diese Wärme, aber auch die ganze Atmosphäre in der Küche des Priesters, rief flüchtige Erinnerungen an eine Gasthausküche im irischen Viertel Sydneys wach – jenen Ort, wo er mit Tante Bridget, Onkel Francis und Daniels Familie die erste Hälfte seines Lebens verbracht hatte.

»Sie sind nicht aus dem Dorf, Mister Duffy«, stellte Vater O'Brien sachlich fest. »Obwohl Sie einen hier wohlbekannten irischen Namen tragen, sprechen Sie mit englischem Akzent.«

Bei dieser Bemerkung lächelte Patrick, denn der junge Priester klang selbst keineswegs so irisch, wie er offenbar glaubte. Im Grunde sah er nicht einmal aus wie ein Priester, sondern eher wie jemand, der in den geheiligten Hallen von Oxford oder Cambridge zu Hause war.

Eamon war groß und dünn und trug eine Brille. Sein intelligentes, wissbegieriges Gesicht schien unentwegt Fragen zu stellen – selbst wenn seine Lippen schwiegen. »Nein, Vater, ich bin nicht von hier«, gab Patrick mit einem schwachen Lächeln zurück. »Und auch wenn ich mit englischem Akzent spreche, wie Sie sagen, bin ich in Wirklichkeit Australier.«

»Ein Australier! Ich wusste gar nicht, dass solch ein Wesen existiert«, meinte der Priester mit ironischem Lächeln. »Doch das dürfte erklären, warum ein Ire mit englischem Akzent spricht und sich dennoch seine Identität bewahrt hat. Immerhin stammen Sie aus einem Land, das sich gegen die Besetzung dieser heiligen Gestade ausgesprochen hat.«

»Meine Familie hat dieses Dorf in den Fünfzigerjahren verlassen. Patrick und Elizabeth Duffy waren meine Großeltern väterlicherseits«, erwiderte Patrick nicht ohne Stolz. Schließlich wusste er aus den Geschichten, die im Erin kursierten, dass sein Großvater in seinem Geburtsort eine Art Legende war.

Als Soldat der Armee Ihrer Majestät hatte er deswegen immer ein schlechtes Gewissen gehabt, denn die rebellischen Iren waren eine beständige Geißel der Streitkräfte des Empire. Ihr lächerliches Streben nach Unabhängigkeit band wertvolle militärische Ressourcen.

»Dann bist du also nicht Patrick Duffy selbst!«, stieß Mary Casey erleichtert hervor. Bis dahin hatte sie immer noch die abergläubische Furcht geplagt, sie hätte es mit einem Geist zu tun, den es an den Ort seiner Jugend zog. »Gott sei Dank!«

Diese rätselhafte Bemerkung trug ihr fragende Blicke von Priester und Soldat ein.

Vater O'Brien, dem Patricks überraschte Miene nicht entgangen war, griff ein, um ihn von seiner Verwirrung zu erlösen. Immerhin war er mit der seltsamen Art seiner Pfarrkinder vertraut. »Dann statten Sie uns wohl einen Besuch ab, Mister Duffy. Eine Pilgerfahrt, könnte man sagen.«

»Das trifft es am besten.«

»Ich habe von Ihrem Großvater gehört«, fuhr Eamon fort. »Es heißt, er habe mit Peter Lalor bei den Palisaden von Eureka gegen die britische Armee gekämpft. Die wilden Schwarzen sollen ihn in Australien getötet haben.«

Patrick fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, um den Schweiß wegzuwischen. »Ja, das stimmt«, erwiderte er. »Er gehörte zu den aufständischen Bergleuten, die sich bei Ballarat der Revolverschützenbrigade der California Rangers angeschlossen haben.«

»Dann wird man Sie in allen Pubs hier willkommen heißen.«

»Das bezweifle ich, Vater.« Patrick schüttelte betrübt den Kopf. »Ich bin Captain der Armee der Königin.«

Der Priester starrte seinen Gast an.

Das erklärt die Sonnenbräune, dachte er – ein Feldzug in irgendeinem fernen, gottverlassenen Land. »In ausländischen Armeen zu kämpfen hat hier eine lange Tradition«, sagte er mitfühlend. »Viele junge Männer aus dem Dorf waren beim Militär, viele haben unter dem Union Jack gedient. Für einen Iren ist es wahrscheinlich egal, für wen er kämpft, wenn es nur eine ordentliche Prügelei gibt. Aber«, setzte er warnend hinzu, »vielleicht sollten Sie nicht erwähnen, dass Sie Offizier sind. Ihr Akzent weist Sie ohnehin als Engländer aus.«

Patrick nickte. Engländer, Iren, Schotten ... in seinen Adern floss das Blut von Kelten, Angeln und Sachsen. Nicht zu vergessen den französischen Einschlag vonseiten seiner Großmutter väterlicherseits. Das war typisch für sein Land, sinnierte er. Er war als Australier geboren, und in Eton hatte er die Ehre seines Landes mehr als einmal mit den Fäusten verteidigt, obwohl er viele Jahre nicht mehr dort gewesen war. Vielleicht war es sein übermächtiges irisches Blut, das keine abwertenden Bemerkungen über seine Herkunft aus den Kolonien vertrug. Gleichzeitig aber war er unbändig stolz auf seine anglo-schottischen Vorfahren.

Mary servierte Patrick die dampfende Suppe in einer angeschlagenen Porzellanschüssel. Er blickte zu ihr auf und bedankte sich mit seinem besten irischen Akzent. »Du lieber Himmel, Mrs. Casey, das riecht ja wie bei meiner guten, alten Tante, Gott hab sie selig!« Dabei zwinkerte er ihr spitzbübisch grinsend zu.

Mary gluckste vor Entzücken. »Nun hör aber auf, Paddy Duffy!« Ihre Stimme klang wie die eines jungen Mädchens, als sie dem gut aussehenden Enkel des alten Patrick einen neckischen Schubs versetzte. »Du willst dich doch wohl nicht an eine ehrbare Frau wie mich heranmachen!« Der vertrauliche Ton versetzte die Alte in eine andere Zeit zurück, in der der Großvater des Jungen sie in seine Arme gerissen hatte, um ihr einen Kuss zu rauben. Alte Erinnerungen in einer neuen Zeit.

»Na, und ob ich das will, Mary Casey, aber vielleicht hat Vater O'Brien was dagegen.«

Die herausfordernde Bemerkung seiner Haushälterin und die respektlose Art, wie Patrick sie ermutigte, waren Eamon so unangenehm, dass er rot wurde und den Kopf einzog. Bevor Patrick seine Suppe kosten konnte, murmelte Eamon ein hastiges Dankgebet für die Speise. Da der junge Offizier von seiner Stellung als Priester des Dorfes keineswegs eingeschüchtert zu sein schien, vermutete er, dass Patrick kein praktizierender Katholik war.

»Wo wohnen Sie während Ihres Aufenthalts, Captain Duffy?«, erkundigte er sich.

»Ich bin im Gasthaus unten im Dorf abgestiegen. ›Bernard Riley's Pub‹ nennt es sich, glaube ich.«

»Ein entfernter Verwandter von Ihnen«, bemerkte Eamon. »Sie haben überhaupt eine Menge Verwandte im Dorf. Einige davon sind sogar Protestanten, schließlich war Ihre Großmutter Elizabeth Fitzgerald. Mit dem Bruder Ihrer lieben verstorbenen Großmutter pflege ich regen Kontakt. Wir interessieren uns beide für Archäologie, was meine irischen Landsleute nicht so recht zu schätzen wissen. Habe ich Recht, Missus Casey?«

»Es is nich richtig, dass Sie mit Hacken und Schaufeln an den alten Plätzen rumwühlen, Vater«, schimpfte Mary, während sie die Suppe in dem großen Kessel umrührte. »Die Alten soll man in Ruhe lassen.«

»Aber das ist abergläubischer Unsinn, Missus Casey«, gab Eamon zurück. »Schließlich hat Sankt Patrick die Macht der Alten gebrochen und den Glauben an den Herrn nach Irland gebracht.« Patrick entdeckte in der provokativen Erwiderung einen neckenden Unterton.

Wortlos rührte Mary Casey in der Suppe herum. Sie war eine ebenso gute Katholikin wie die anderen im Dorf, aber manche Dinge änderten sich nie. Dinge, die in den stillen grauen Nebeln hinter dem Dorf lebten. Viele gläubige Iren hatten sie gesehen und konnten ihre Existenz beschwören.

»Sie reden nicht wie die irischen Priester meiner Kindheit in Sydney, Vater.«

Eamon lächelte breit, obwohl er sich nicht sicher war, ob es sich um ein Kompliment oder einen Tadel handelte. Das hing davon ab, ob man ein treuer Anhänger des wahren Glaubens war. »Ich bin in England unter anglikanischen Katholiken aufgewachsen und viel in Europa gereist«, erwiderte er. »Doch leider hat mich meine Erziehung in der weiten Welt nicht auf das Leben als Pfarrer in einem irischen Dorf vorbereitet. Aber ich habe der Kirche Gehorsam geschworen, und deswegen bin ich hier.«

»Manche meinen, die englischen Katholiken hätten in der Kirche Roms nichts zu suchen.« Auch Patrick verstand es zu provozieren. »Sie sollen ebensolche Ketzer sein wie die Protestanten.«

Der Priester strahlte und nahm die Brille ab, um die Gläser zu polieren. »Ach, Captain Duffy, ich glaube, wir beide könnten viele philosophische Gespräche führen. Sie haben in Cambridge studiert?«

»Nein, in Oxford«, erwiderte Patrick mit affektiertem britischem Akzent. Dann wechselte er ins Lateinische. »Das könnten wir in der Tat, Vater. Tacitus, der Historiker, hat mich stets besonders interessiert.«

Der Priester hob die Augenbrauen, als er den jungen Captain so flüssig in der Sprache der Kirche sprechen hörte. »Und wie steht es mit der irischen Geschichte?«, fragte er auf Englisch zurück.

Patrick runzelte die Stirn. »Ich fürchte, darüber weiß ich nicht viel.«

»Das überrascht mich nicht«, schnaubte Eamon. »Schließlich haben Sie Ihre klassische Bildung in England erhalten. Aber ich könnte Sie bestimmt für die frühe Geschichte des Landes Ihrer Vorfahren begeistern, Captain Duffy. Wenn Sie Tacitus mögen, dann dürfte Sie auch die Geschichte der wichtigsten Rivalen Roms – der Kelten – interessieren.«

Bevor Patrick antworten konnte, löffelte Mary Casey eine weitere Kelle dampfende Suppe in seine fast leere Schale. Dann entschuldigte sie sich und schlurfte davon, um sich in dem kleinen Anbau, der als Pfarrhaus diente, um ihre anderen Pflichten zu kümmern.

Nachdem Patrick seine zweite Portion Suppe aufgegessen hatte, setzte Eamon das Gespräch fort. »Wenn Sie eine Weile bleiben, sollte ich Sie George Fitzgerald vorstellen. Er besitzt eine ausgezeichnete Sammlung von Kunstgegenständen, die unserer Meinung nach aus der Zeit der alten irischen Heldenkrieger stammen. ›Bronzezeit‹ nennen wir Amateurarchäologen jene Epoche.«

»Das wäre schön. Sie können übrigens meinen Rang weglassen. Mein Name ist Patrick.«

»Da Sie offensichtlich kein religiöser Mensch sind, Patrick, nennen Sie mich am besten Eamon«, erwiderte der Priester mit einem warmen Lächeln. »Wahrscheinlich hängt Ihr mangelnder Respekt vor Titeln mit Ihrer kolonialen Abstammung zusammen.«

Patrick lachte. »Manche Gewohnheiten wird man nie los. Ja, Sie haben wohl Recht. Australier denken grundsätzlich, sie wären so wichtig wie jeder andere, ganz gleich, welchen Beruf sie haben und was ihre gesellschaftliche Stellung ist.«

»Das ist auch dem weit gereisten Engländer Mister Trollope bei seinen Reisen in den Kolonien aufgefallen«, meinte Eamon lächelnd. »Er war ziemlich entsetzt, als ihn der Kutscher wie einen Gleichgestellten behandelte.«

Bis in den späten Nachmittag hinein führten Priester und Soldat ein angeregtes Gespräch über Politik und Geschichte. Bei aller Unterschiedlichkeit verband ihre gemeinsame Erziehung die beiden Männer, die sich von der Ungezwungenheit des jeweils anderen angezogen fühlten. Der Priester holte eine Flasche Whisky hervor, und bevor die Sonne am grauen Himmel untergegangen war, hatten die beiden sie zu drei Viertel geleert.

Mary Casey war, so schnell sie konnte, zu Riley's Pub gehumpelt, wo sie die Nachricht verbreitete, dass der Enkel des großen Patrick im Dorf eingetroffen war. Für diese Neuigkeit wurde sie mit endlos fließendem Whisky belohnt, während sie den gebannt lauschenden Stammgästen des Lokals ihre Geschichte erzählte.

Die alten Männer nickten weise und saugten bedächtig an ihren Pfeifen, als sie sich an den Patrick Duffy von damals erinnerten. Ein wahrer Riese war das. Sie waren noch jung gewesen, aber sie erinnerten sich gut an die Nacht, in der die britischen Truppen kamen, um ihn zu verhaften. Ein mitfühlender Gerichtsschreiber hatte die Familie gewarnt. Nur wenige Stunden waren sie dem Haftbefehl zuvorgekommen. Aus diesem Grund mussten sie das erste Schiff, das den Hafen verließ, nehmen – und das ging zufällig nach Australien und nicht nach Amerika, wie Patrick Duffy gehofft hatte.

Als der Enkel des großen Mannes schließlich etwas mitgenommen von seinem Trinkgelage mit Vater O'Brien im Gasthaus eintraf, starrten ihn die Gäste mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Mitleid an. Ehrfurcht vor dem Blut, das in seinen Adern floss, und Mitleid, weil sich dieses Blut mit dem der Engländer vermischt hatte.

In der verrauchten Bar nickte Patrick höflich grüßend der Wand schweigender Gesichter zu, die ihn neugierig anstarrten. Er ging sofort auf sein Zimmer. Obwohl er Schlaf bitter nötig hatte, fand er sich in seinen wirren Träumen auf dem Schlachtfeld wieder. Sein Stöhnen und Wimmern verlor sich, während er sich schweißüberströmt von einer Seite auf die andere warf, in der irischen Nacht.

3

Einen Tagesritt östlich vom Ort des Überfalls der Kalkadoon auf die berittene Polizeipatrouille brachte Ben Rosenblum ächzend die letzten Stangen an dem Holzzaun an, den er um seine Viehkoppeln errichtet hatte.

Mit fast dreißig Jahren hatte er sich endlich seinen Traum von einer eigenen Rinderfarm erfüllt. Der Besitz war nicht besonders großartig: eine Rindenhütte mit einem einzigen Raum, ein paar Koppeln und ein Wellblechschuppen, in dem Sättel, Werkzeug und ein paar Strohballen untergebracht waren. Aber eines Tages würde er daraus ein Imperium für seine junge Familie schaffen – das wusste er mit dem Optimismus seiner jüdischen Vorfahren, die das Schicksal selten auf ihrer Seite gehabt hatten.

Früher hatte Ben für Kate O'Keefe, eine großartige Geschäftsfrau, gearbeitet und miterlebt, wie sie zu beträchtlichem Reichtum gekommen war. Als junger Fuhrmann hatte er sie auf dem gefährlichen Weg zu den Goldfeldern am Palmer begleitet. Gemeinsam waren sie mit feindlichen Ureinwohnern, Überschwemmungen, Hunger und Durst fertig geworden. Ihr unermüdlicher Siegeswille färbte auf den jungen Mann ab; der den ersten Teil seines Lebens in den berüchtigten Hafenvierteln Sydneys verbracht hatte. Von Kates leuchtendem Vorbild inspiriert, begann Ben, Geld beiseite zu legen. Das Ergebnis seiner Sparsamkeit war dieser Besitz, dem er aus sentimentalen Gründen den Namen Jerusalem gegeben hatte.

Das war eine verspätete Anerkennung seiner jüdischen Herkunft, obwohl er an sich kein praktizierender orthodoxer Jude mehr war. Auch die Speisevorschriften seiner Religion beachtete er nicht, weil sie ihm angesichts der Härten des Lebens im Grenzland unbedeutend und unpraktisch erschienen.

Seine Hochzeit mit Jennifer Harris – von einem anglikanischen Priester vollzogen – hatte ihn noch weiter von seinem Glauben entfernt. Bens Tante Judith und sein Onkel Solomon Cohen, die beide sehr konservativ waren, hatten sich geweigert, seine Frau zu akzeptieren. Nicht nur, dass Jennifer keine Jüdin war – sie hatte außerdem ein uneheliches Kind. Die schlimmsten Befürchtungen der beiden bestätigten sich, als sie sich auch noch weigerte, ihre Kinder im Sinne von Bens Religion aufzuziehen.

Ben hatte Jenny am Palmer kennen gelernt. Damals war sie ein schmutziges, unterernährtes junges Mädchen gewesen. Das schweigsame Kind, das sie im Schlepptau hatte, war das Produkt einer entsetzlichen Untat. Jenny war Bens erste und einzige Liebe.

Sie erwiderte Bens Gefühle, aber ihre Zuneigung war eher spirituell als körperlich. Doch obwohl es ihr an körperlicher Leidenschaft mangelte, wusste er, dass sie für ihn tiefe Liebe empfand, und verlor nie die Geduld. Einmal hatte Kate angedeutet, dass Jennifer als Kind in Sydney auf furchtbare Weise missbraucht worden war, aber sie selbst sprach nie darüber – und Ben fragte nicht.

Als Ben jetzt in der Ferne das Donnern von Pferdehufen hörte, ließ er den schweren Hammer sinken, mit dem er die Stangen zusammennagelte. Das konnte nur sein Adoptivsohn sein, Willie, der sich da in vollem Galopp näherte. Fluchend schwor er sich, ihm die Leviten zu lesen, weil er das Tier so hetzte.

»Beni.« Der junge Mann schien sehr aufgewühlt, was bei ihm nicht oft vorkam. Mit seinen sechzehn Jahren hatte Willie so viel Schreckliches erlebt, dass er nur selten die Fassung verlor.

Ben reckte den schmerzenden Rücken und blickte dem Jungen entgegen, der sein Tier auf der anderen Seite der Koppeln gezügelt hatte. Gewandt sprang Willie vom Pferd, um seinem hoch gewachsenen, bärtigen Adoptivvater Bericht zu erstatten. »An der Westgrenze lagert eine große Gruppe von Schwarzen, die ziemlich kriegerisch aussehen«, berichtete er außer Atem. Es klang, als wäre er die sechs Kilometer von dem trockenen Wasserlauf, der die westliche Grenze von Bens Besitz markierte, hergerannt. »Fünfzig, vielleicht hundert«, stieß er mit einer Mischung aus Aufregung und Furcht hervor.

»Hast du Gins und Piccaninnies bei ihnen gesehen?«, fragte Ben gelassen. Die beiläufig gestellte Frage wirkte beruhigend auf den jungen Mann, der sich angesichts der Souveränität des Älteren ein wenig kindisch vorkam.

»Ja, sie haben Frauen und Kinder dabei.«

»Dann stellen sie für uns vermutlich keine unmittelbare Gefahr dar«, schloss Ben. »Aber wir gehen besser kein Risiko ein.«

Willie nickte. Er vertraute Bens Entscheidungen vollkommen, der im Lauf der Zeit für ihn fast wie ein richtiger Vater geworden war. Wer sein leiblicher Vater war, wusste er immer noch nicht. Seine Mutter weigerte sich, darüber zu sprechen, und von Ben erfuhr er auch nichts.

»Zeit für eine Tasse Tee.« Mit diesen Worten schwang sich Ben den Hammer über die Schulter und ging in Richtung der kleinen Rindenhütte, die ihr Heim war. Willie folgte ihm und band sein Pferd an dem Geländer vor der Hütte an.

Drinnen im Haus knetete Jenny Teig für einen Brotlaib. Der Schweiß lief ihr in Rinnsalen über das Gesicht, und der Knoten, zu dem sie ihr Haar aufgesteckt hatte, löste sich allmählich auf Die Zeit und das harte Leben an der Grenze hatten ihre prächtigen goldenen Zöpfe mit grauen Strähnen durchzogen. Längst hatte sie jeden Versuch aufgegeben, das große, erdbeerförmige Muttermal auf ihrer linken Wange zu verstecken, und eigentlich hatte sie vergessen, dass es überhaupt existierte.

Ben sagte ihr immer wieder, dass sie die schönste Frau der Welt sei, obwohl ihr bewusst war, dass ihre schmale Taille an Umfang zugenommen hatte, seit sie sich vor vielen Jahren kennen gelernt hatten.

Rebecca, ihr jüngstes Kind, saß an der grob behauenen Tischplatte und knetete wie ihre Mutter einen Laib, der allerdings etwas kleiner war. Obwohl sie erst vier war, konnte sie bereits kochen: Sie sah zu den beiden Männern auf, die den Eingang verdunkelten, wandte sich dann jedoch wieder dem Brotbacken zu.

»Wo sind Saul und Jonathan?« Ben bemühte sich, so ruhig wie möglich zu klingen.

Jenny hielt in ihrer Arbeit inne und strich sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht, wobei ein wenig Mehl an ihrer Nase hängen blieb. Die Sorge verdüsterte ihre Augen, als sie ihren Ehemann anstarrte. »Warum? Was ist passiert?«

»Nichts. Ich wollte nur wissen, wo die Jungen sind.«

»Sie sind mit den Hunden in den Busch gegangen, um nach wildem Bienenhonig zu suchen.«

»Ich hab an dem ausgetrockneten Bachbett eine Gruppe Schwarzer gesehen. Sind sie in die Richtung gegangen?«, mischte sich Willie ein.

Jenny blieb der Mund offen stehen. »Weiß ich nicht. Sie sind einfach losgezogen. Vor der Dämmerung wollten sie zurück sein, haben sie gesagt.«

»Denen passiert schon nichts.« Willie versuchte, seiner Mutter die verständliche Angst zu nehmen. »Keine Sorge.«

Auch Ben war beunruhigt, aber er vertraute auf die Cleverness seiner Söhne. Jonathan und Saul waren im Busch geboren, und obwohl sie erst neun beziehungsweise zehn Jahre alt waren, wussten sie, wie man da draußen überlebte. Auf der Farm arbeiteten sie wie Männer, und Ben respektierte sie, weil sie im Nehmen hart wie Erwachsene waren. Sie konnten mit dem Vieh umgehen und waren beide ausgezeichnete Schützen mit dem schweren Snider-Gewehr. Fast immer kamen sie mit einem Känguru zur Hütte zurück, das mit den fünf Hunden geteilt wurde.

Rebecca, die die Spannung in der kleinen Hütte spürte, verfolgte das Gespräch der Erwachsenen mit weit aufgerissenen Augen. Willie sah ihr an, wie verängstigt sie war. Er liebte das kleine Mädchen fast so sehr wie seine Mutter. Beruhigend legte er ihr die Hand auf den Kopf, um ihr über die prächtigen goldenen Locken zu streichen. In Aussehen und Art glich sie ihrer Mutter, während seine beiden Halbbrüder mehr nach ihrem Vater kamen. Mit fragendem Blick sah die Kleine zu Willie auf, der ihr mit einem zuversichtlichen Lächeln antwortete.

»Ich reite los und suche nach den Jungen«, sagte Ben, der sich keinerlei Angst anmerken ließ. »Willie, du bleibst hier und baust weiter an den Zäunen.«

Jenny nickte. Sie fühlte sich daran erinnert, wie Ben vor vielen Jahren unbewaffnet losgezogen war, um den Eurasier John Wong vor dem Hinterhalt zu warnen, den ihm die Aborigines auf dem Weg zum Palmer gelegt hatten.

»Ben?«, sagte sie leise und mit einem kaum merklichen Anflug von Furcht.

»Ich weiß«, erwiderte er traurig lächelnd. Die beiden wechselten besorgte Blicke, die jedes Wort überflüssig machten.

Ben nahm ein Gewehr aus der langen Kiste neben ihrem Bett und ließ eine Schachtel Patronen in seine Tasche gleiten. Dann schnallte er sich den schweren Colt um, den Kate ihm bei ihrem ersten Treck nach Westen geschenkt hatte. Jenny holte die Bleikugeln und das Schießpulver aus der Anrichte. Sie liebte dieses Möbelstück wegen der zarten Blumen und Blätter, die an den Kanten eingeschnitzt waren. Es war einer der wenigen Gegenstände in der Hütte, die sie in einem Geschäft gekauft hatten. Aber Ben hatte ihr versprochen, dass sie eines Tages die schönsten Möbel in der gesamten Kolonie haben würde.

Nicht dass ihr materielle Güter so wichtig gewesen wären wie ihr großer, sanfter Ehemann, dem sie über die Grenze gefolgt war. Damals war er neben den riesigen, quietschenden Wagen hergegangen, die von phlegmatischen Ochsen gezogen wurden. Im Schatten dieser Fuhrwerke hatte sie ihre Söhne zur Welt gebracht. Nur Rebecca war in ihrem jetzigen Heim geboren worden.

Nachdem Ben die Vorbereitungen für seine Suche abgeschlossen hatte, drückte er seine Tochter liebevoll an sich und strich seiner Frau sanft über die Wange. Sie presste ihr Gesicht in seine breite, von der Arbeit schwielig gewordene Hand. Beim Abschied flossen keine Tränen, weil Jenny sich und den anderen nicht eingestehen wollte, dass sie sich um Mann und Söhne sorgte, doch sie schloss kurz die Augen, um den Duft nach frisch geschlagenem Holz und Tabak einzusaugen, der sich in den Poren von Bens Haut festgesetzt hatte.

Ben schwang sich in den Sattel und trieb sein Pferd mit einem sanften Tritt an. Während er an den Koppeln vorbeiritt und auf die in der Hitze flimmernden, bewegungslosen Sträucher blickte, hatte er für einen flüchtigen Augenblick den Eindruck, der Busch würde nach der Hütte greifen.

Als er außer Sicht war, nahm Jenny Rebeccas Hand und führte sie in die Hütte. Dort durfte sie die Tochter ihre Tränen sehen lassen. Zu weinen war das Vorrecht der Frauen. Männer ertrugen ihren Schmerz still.

Das Gelächter der Frauen und Kinder verwandelte sich in Schreie des Entsetzens, als sie aus dem trockenen Bachbett in den Schutz der Büsche flüchteten.

Terituba riss einen Speer aus dem Bündel zu seinen Füßen und stellte sich dem großen, bärtigen Weißen entgegen, der sich ihnen plötzlich näherte. Wie hatte ein Weißer sie so überraschen können? Fluchend schickte er sich an, die mit Widerhaken versehene Waffe auf den Mann zu schleudern, der ihm im Bachbett furchtlos entgegenkam. Doch der Kalkadoon-Krieger zögerte. Wenn es dem weißen Teufel gelungen war, ins Lager seines Clans einzudringen, hätte er auch längst mit den schrecklichen Waffen der Weißen auf sie feuern können, die blutige Löcher in den Körpern ihrer Opfer hinterließen.

Terituba war nicht allein. Junge und alte Krieger hatten ihre Waffen zu einer Wand aus Speeren erhoben und blickten dem sich nähernden Weißen verunsichert entgegen, der in jeder Hand einen Sack hielt. An der Hüfte trug der Fremde die Feuerwaffe, die man viele Male abfeuern konnte, ohne dass man wie bei den langen Gewehren nachladen musste. Aber sie lag nicht in seiner Hand.

»Bringen wir ihn um«, rief ein junger Krieger Terituba nervös zu, »bevor er uns tötet!«

»Nein«, herrschte Terituba die Männer an. »Erst wenn ich es sage« Widerwillig gehorchten die Krieger. Es wäre so einfach gewesen, die nach Blut dürstenden Speere auf den einsamen Fremden herabregnen zu lassen.

Jeder einzelne Nerv in Bens Körper schien zu kribbeln, als er sich auf den Einschlag des mit Widerhaken versehenen Speers vorbereitete. Er spielte nicht nur um sein eigenes Leben – es ging um seine beiden Söhne. Aus ihren Spuren hatte er ersehen, dass sie wohl über das Bachbett zurückkommen würden. Dabei mussten sie auf die schwer bewaffnete Kalkadoon-Gruppe stoßen. Also handelte er zuerst. Statt ihnen feindselig gegenüberzutreten, übermittelte er ihnen eine Geste der Freundschaft.

Er ging weiter auf den Größten unter den nackten Kriegern zu, da er zu Recht vermutete, dass dieser einen beträchtlichen Einfluss auf seine Leute ausübte, die sich entlang des ausgetrockneten Bachbetts versammelt hatten. Breite Schultern und ein massiger Brustkorb, unter deren Haut sich die Muskeln wie Schlangen bewegten, machten ihn zu einer eindrucksvollen Gestalt.

Während er näher kam, sah Ben, dass ihn der Krieger aus dunklen, unergründlichen Augen fixierte. Etwa zehn Schritte entfernt hielt er an und legte die beiden Säcke auf die Erde. Dann trat er zurück und deutete freundlich lächelnd auf Mehl und Zucker. Kalte Furcht packte ihn, und sein Magen schien sich in eine Masse sich windender Würmer zu verwandeln, während er angespannt wartete.

Die dunklen, kühlen Augen suchten ihn nach Anzeichen von Angst – oder Wahnsinn – ab. Doch Terituba entdeckte weder das eine noch das andere, und so nahm er an, dass es sich tatsächlich um eine Geste des guten Willens handelte.

»Tut dem weißen Mann nichts. Er will uns nichts Böses«, rief er seinem Stamm mit lauter Stimme zu. Ben konnte den Umschwung in der Atmosphäre, in der Sekunden zuvor noch tödliche Bedrohung gelegen hatte, deutlich fühlen.

Vorsichtig wagten sich Frauen, Kinder und Alte aus den nahen Büschen hervor, in die sie sich geflüchtet hatten. Terituba senkte den Speer und ging auf Ben zu, um die beiden Säcke zu seinen Füßen zu untersuchen. Er kannte Mehl und Zucker, weil sie diese köstlichen Nahrungsmittel erbeutet hatten, als sie vor einer Woche südlich von ihrer jetzigen Lagerstätte einen Fuhrmann in einen Hinterhalt gelockt hatten.

Terituba stieß mit der Speerspitze gegen die Säcke und grinste. Das war das Zeichen, dass alles in Ordnung war. Zuerst wagten sich die Kinder heran. Sie streckten die Hände aus, um das Wesen zu berühren, das man sie zu fürchten gelehrt hatte und das sie nun anlächelte. Schüchtern lächelten sie zurück.

Die Frauen stürzten sich auf die Säcke und rissen mit den scharfen Spitzen ihrer Grabstöcke daran. Jede wollte das Geschenk für sich. Mit seiner Nullah-Keule brachte Terituba Ordnung in das Chaos. Die Frauen kreischten protestierend, wichen aber zurück und warteten missmutig, bis er auf diejenige zeigte, die ihren Anteil zuerst erhalten sollte. Unterdessen hielten sich die Männer abseits. Mit gesenkten Speeren starrten sie misstrauisch auf den weißen Mann. Nur das Wohlwollen Teritubas hielt ihn am Leben.

»Ben«, sagte der jüdische Viehzüchter und deutete auf sich. »Ich Ben.«

»Iben«, wiederholte Terituba. Ben lächelte bei dieser Interpretation seines Namens.

»Terituba«, erwiderte der Krieger, dem klar war, dass der weiße Mann ihm sein Totem genannt hatte. »Wofür ist das?«, fragte er in seiner Sprache.

Doch keiner der beiden verstand des anderen Sprache, und ein unbehagliches Schweigen breitete sich aus.

»Ich suchen Piccaninnies meine«, sagte Ben schließlich, um das Schweigen zu brechen. Terituba verstand »Piccaninnies«. Das Wort hatte er entlang der Handelsstraßen, die die verstreut lebenden Stämme von Queensland miteinander verbanden, aufgeschnappt. Es war ein Wort des weißen Mannes, das die Ureinwohner übernommen hatten.

Ben wiederholte die Frage, wobei er mit der Hand die Augen beschattete und suchend um sich blickte. Dann deutete er auf sich. Terituba entnahm der Geste, dass der Mann seine Kinder suchte, was automatisch sein Mitgefühl weckte.

»Ich habe deine Piccaninnies nicht gesehen«, erwiderte er in der Sprache der Kalkadoon. Obwohl Ben die Antwort nicht verstand, hörte er das Mitgefühl in der Stimme des anderen. Er nickte, als wüsste er, was der Aborigine gesagt hatte. Dann streckte er dem Kriegshäuptling der Kalkadoon seine Hand hin.

Der hatte die Geste mit neugierigen Blicken verfolgt. Nun antwortete er mit derselben Bewegung, und Ben nahm seine Hand. Er schüttelte sie zweimal, um dem hoch gewachsenen Kalkadoon zu danken. Terituba konnte nur vermuten, dass es sich um einen Gruß unter Gleichgestellten handelte. Es war ein eigenartiges Gefühl, die Hand eines weißen Mannes zu halten, der nicht gekommen war, um ihn zu töten.

Dann ließ der Weiße, dessen merkwürdiges Totem Iben war, seine Hand los und wandte sich ab. Die Krieger erhoben ihre Speere und rasselten hinter dem Rücken des sich entfernenden Mannes drohend damit. Doch Terituba befahl ihnen, den Weißen ungehindert ziehen zu lassen. Neugierig beobachtete er, wie der Fremde durch das trockene Bachbett ging, während sich die Frauen erneut um den kostbaren Vorrat von süßem Zucker und Mehl stritten.

Würden sie einander wiedersehen?, fragte sich Terituba, ohne dass es ihm besonders wichtig gewesen wäre, während Ben in der flimmernden Hitze verschwand.

Als Ben sein Pferd erreichte, das er an einen Baum gebunden hatte, begann er unter den Nachwirkungen der ausgestandenen Angst zu zittern. Er lehnte sich gegen die raue Rinde eines Yarran-Baums, von dem das Hartholz stammte, aus dem die Kalkadoon Speere und Bumerangs fertigten. Ben dagegen nutzte es für seine Zaunpfähle und als Brennholz.

Er hatte sein Leben aufs Spiel gesetzt und gewonnen, weil sich seine Annahme, dass ein Kriegervolk Mut und guten Willen respektierte, als richtig erwiesen hatte. Jetzt wusste er, dass er ohne Furcht vor einem Hinterhalt nach seinen Söhnen suchen konnte.

Kurz vor Sonnenuntergang hatte Ben die Spur der beiden wieder aufgenommen. Glücklicherweise hatten sie einen Weg eingeschlagen, der sie vom Bachbett und den dort lagernden Kalkadoon wegführte. Die Spuren führten schließlich in Richtung Hütte, sodass Ben nach Hause ritt.

Als er sich ihrem Heim näherte, ging die Sonne gerade unter. Das laute Bellen der Hunde beruhigte ihn: So ausgelassen gaben sie sich nur, wenn die Jungen zu Hause waren.

Doch seine Freude verwandelte sich in kalte Angst, als Willie auf ihn zutaumelte wie ein Scherer, der sich sinnlos betrunken hatte, um die Auszahlung seines Jahreslohns zu feiern. Tränen flossen in Strömen über das Gesicht des jungen Mannes, das von untröstlichem Kummer verzerrt war.

Mit einem scharfen Tritt spornte Ben sein Pferd an und galoppierte auf den Jungen zu. Willie schrie seinen Namen, und in seiner Stimme lag jene Verzweiflung, die nur der Tod brachte.

4

Als Patrick am nächsten Morgen erwachte, herrschte schönstes Sommerwetter.

Die Wolken am Himmel hatten sich verzogen. Während er verschlafen aus dem winzigen Fenster seines Zimmers sah, entdeckte er die wahren Farben Irlands: ein Meer von Grün, aus dem sich heideartiges Buschwerk und in ordentlichen Gruppen stehende, hohe Lärchen erhoben.

In der Ferne entdeckte er hinter einem glitzernden blauen See einen mit Bäumen bewachsenen Hügel, der sich zwischen den Feldern zu einer kleinen, aber charakteristischen Kuppel wölbte.

Ein Klopfen riss ihn aus seiner Verzückung. Bevor er antworten konnte, ging knarrend die Tür auf. Eine junge Frau mit rosigen Wangen trat ein, vorsichtig eine große Emailleschüssel mit heißem Wasser balancierend. Sie war etwa sechzehn, und das Funkeln in ihren Augen verriet ihre Belustigung, als sie den jungen, gut aussehenden Mann in langer Unterhose am Fenster stehen sah. Patricks Verlegenheit schien sie nur noch mehr zu amüsieren.

»Tut mir Leid, dass ich Sie störe, Captain Duffy«, sagte sie, obwohl sie es offensichtlich keineswegs bedauerte, den jungen Offizier in der Unterwäsche ertappt zu haben, »aber mein Vater hat gedacht, Sie wollen bestimmt heißes Wasser zum Waschen.«

Patrick wurde noch röter, als er merkte, dass das Mädchen ungeniert auf seine Lenden starrte. »Danke, Miss ...«