Wenn Träume reisen - Heike Propst - E-Book

Wenn Träume reisen E-Book

Heike Propst

4,4

Beschreibung

Meinen Traum, mit viel Zeit durch die Welt zu reisen, konnte ich erst mit 72 Jahren verwirklichen. Mit großer Tasche und kleinem Budget fing das Abenteuer an. Durch Kanada und Alaska fuhr ich mit Zug, Bus und Fähre, übernachtete in Hostels, hatte aufregende Begegnungen mit Grizzlys und Gänsehaut pur im Denali Nationalpark. Ein Hauch von Luxus erwartete mich auf meiner Schiffsreise von Alaska nach China. Anschließend fuhr ich mit dem Zug von Peking quer durch China bis nach Hongkong.

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Zur Person

Heike Propst, 1941 in Schladming, Österreich, geboren, in Graz aufgewachsen, in Deutschland, Frankreich und Spanien lebend, war Geschäftsführerin einer Volkshochschule. Dann nach einem Parisaufenthalt 20 Jahre Inhaberin einer Galerie mit Bildereinrahmungen und die letzten 15 Jahre Seminarleitung bei einem großen Seminaranbieter.

Heike Propst lebt jetzt in Wien und bereitet ihre nächste Reise vor.

„In 20 Jahren wirst du dich mehr über die Dinge ärgern, die du nicht getan hast, als über die, die du getan hast. Also wirf die Leinen los. Verlasse den sicheren Hafen. Fange den Wind in deinen Segeln. Erforsche. Träume. Entdecke.“   Mark Twain

Ich bin 72 Jahre alt und habe beschlossen, meinen Lebenstraum zu verwirklichen: eine Weltreise. Ich nehme mir sehr viel Zeit, bleibe, wo es mir gefällt, und reise weiter, wann ich möchte. Es soll eine ganz individuelle Reise werden mit kleinem Budget. Da ich Land und Leute intensiv kennenlernen möchte, benutze ich in erster Linie Bahn, Bus und Fähre. Meine Gedanken gehen schon ein halbes Jahr vor der Abreise auf der Landkarte spazieren. Bis spät in die Nacht wälze ich Bücher über die Länder, die ich bereisen möchte, schneide aus Zeitschriften Artikel heraus und schaue mir fast jede entsprechende Dokumentation im Fernsehen an.

Und dann wird es immer konkreter: Von Kanada aus will ich nach Alaska und von dort mit dem Schiff über Japan, Russland und Südkorea nach China. Dann weiter nach Australien, Neuseeland, Asien und schließlich mit der Transsibirischen Eisenbahn zurück nach Europa. So der Plan. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, dass meine Reise im Krankenhaus enden wird.

Meine Freunde meinen, ich sei sehr mutig: „In deinem Alter? Ganz alleine?“, fragen sie ungläubig. Ich entgegne ihnen, dass Altsein oder Jungsein absolut nichts für einen Reisenden bedeuten, der mit wachen Augen unterwegs ist. Deshalb ist dieses Buch allen gewidmet, die mit dem Gedanken spielen, alleine zu verreisen und noch Bedenken haben. Lassen Sie mich Ihnen zeigen, wie ich mit über 70 Jahren alleine die Welt bereiste und Sie werden merken, dass Sie das auch können.

Im Mai 2013 packe ich meine Siebensachen und ehe ich mich versehe, sitze ich im Zug nach Frankfurt am Main und steige in das Flugzeug nach Toronto. Aufregung breitet sich in mir aus, aber keine Angst. Ich freue mich auf die kommenden Monate. Nach neun Stunden sehe ich unter mir schneebedeckte Gipfel, Wälder, breite Flüsse und bekomme eine erste Ahnung von der unendlichen Weite Kanadas, die auf mich wartet…

***

INHALTSVERZEICHNIS

TORONTO - BUFFALO

QUÉBEC – LA VIEILLE CAPITALE

HALIFAX - NOVA SCOTIA

NEUFUNDLAND

VON ST. JOHN´S BIS VANCOUVER

VON VANCOUVER BIS WHITEHORSE

VON WHITEHORSE BIS ANCHORAGE

ALASKA

DIE SCHIFFSREISE

CHINA

Nachbemerkung

Ganz herzlichen Dank…

TORONTO - BUFFALO

Am späten Nachmittag komme ich voller Neugierde in Toronto an. Ich nehme mir ein Taxi und lasse mich zu der Adresse des Hostels fahren, das ich von Deutschland aus gebucht hatte. Als wir ankommen, stelle ich fest, dass der Weg zum nächsten Supermarkt mindestens zwanzig Minuten dauern wird. Bepackt mit Tasche und Rucksack drücke ich auf die Klingel und warte. Und warte. Und warte.… Niemand öffnet.

Als sich das Taxi wieder in Bewegung setzen will, signalisiere ich dem Fahrer, anzuhalten. Gemeinsam finden wir die Nummer des Hostelbetreibers heraus und der Taxifahrer ist so freundlich, mit ihm zu telefonieren. Wir vereinbaren, dass wir uns in einer halben Stunde treffen werden. Der Taxifahrer wartet mit mir und so erfahre ich aus erster Hand, was Toronto ausmacht.

Toronto ist mit 2,6 Millionen Einwohnern nämlich die größte Stadt Kanadas und wird auch als „City of Neighbourhoods“ (Stadt der Stadtteile) bezeichnet, weil die Stadt vor 1998 240 Stadtteile hatte, bevor sie dann in Metropolitan Toronto eingegliedert wurde und jetzt aus nur noch sechs Stadtteilen besteht. Nur 50 Prozent der Einwohner sind hier geboren, die übrigen stammen aus allen Ländern der Erde.

Eine Stunde später falle ich müde in mein Bett. Ich habe für die ersten Nächte meiner Abenteuerreise ein Einzelzimmer gebucht. Wo ich in den kommenden Monaten schlafen werde, weiß ich noch nicht, da diese Unterkunft die einzige Schlafmöglichkeit ist, die ich im Vorfeld gebucht habe.

Um alle Sehenswürdigkeiten kennenzulernen, ist ein roter, doppelstöckiger Touribus das beste Fahrzeug, wie ich in den kommenden Tagen feststelle. An der Haltestelle steht eine Frau, die offensichtlich auch auf den Bus wartet. Wir kommen ins Gespräch und stellen fest, dass wir beide in Graz aufgewachsen sind und noch einige weitere Gemeinsamkeiten haben. Die Welt ist ein Dorf. Die Multikultur des Landes fällt mir auch bei einer Fahrt mit der U-Bahn auf. Ich finde es sehr spannend, diese verschiedenen Nationalitäten zu sehen. Jeder Mensch hat seine eigene Lebensgeschichte und ein paar davon erfahre ich auf dieser Reise.

Mit dem Bus fahre ich zwei Tage kreuz und quer durch die Stadt und steige aus, wo es mir gefällt. Wir fahren an der Stadtbibliothek vorbei und ich erfahre über den Kopfhörer, dass sie mit über elf Millionen Medien die größte Bücherei im Land ist und dass es 30 verschiedensprachige Radiosender gibt, unter anderem auch mit einem Programm in kantonesischer Sprache.

Ich sehe Bauwerke von führenden Architekten wie Daniel Libeskind und Ludwig Mies van der Rohe. In Downtown Toronto steht ein Wolkenkratzer neben dem anderen. Der höchste ist fast 300 Meter hoch und es befinden sich nicht nur Büros in diesen wunderschönen Gebäuden, sondern auch viele Privatwohnungen. Könnte mir auch gefallen, da hoch oben zu wohnen.

Sehr beeindruckend ist auch das Wahrzeichen von Toronto, der CN Tower. Er ist der höchste Fernsehturm der Welt, mit über 500 Metern. Ich würde gerne hinauffahren, aber die Tage in Toronto sind sehr nebelig und statt auf eine Nebelwand zu starren, gehe ich lieber in eines der vielen interessanten Restaurants mit Fusion-Küche. Da werden traditionelle westliche Rezepte mit östlichen Zutaten angereichert und mit einer panasiatischen Note versehen. Schmeckt sehr gut und ich nehme einige Anregungen mit.

Nach vier Tagen Toronto mit allen must-Besichtigungen und Museumsbesuchen – es gibt da unter anderem auch ein tolles Schuhmuseum mit Schuhen aus Ötzis Zeit bis heute und Flipflops gab es schon vor über 3000 Jahren – habe ich genug von der Großstadt, und genieße eine Woche Landleben in Hamilton.

***

Mein Hostel hier ist sehr gemütlich, im Aufenthaltsraum treffe ich andere Gäste. Und anders als in einem Hotel reden und kochen wir zusammen und ich lerne von Ella aus Calgary einige kanadische Gerichte, wie Hühnerflügel mit Ahornsirupglasur. Ella erzählt, sie brauche so ein- bis zweimal im Jahr Abstand von ihrer Familie und quartiere sich dann in einem Hostel ein, koche jeden Tag für sich selbst die leckersten Gerichte, und fahre dann wieder heim zu Mann und Kindern.

Ich führe lange Gespräche mit Alice, meiner Zimmergenossin, die seit zwei Jahren auf der Straße lebt, Gitarre spielt und sich nur ab und zu ein paar Nächte in einem Hostel leistet. Sie ist ziemlich durchgedreht. Eines morgens beschuldigt sie mich, einen ihr sehr wichtigen Stein gestohlen zu haben. Schließlich findet sie ihn in ihrem Plastiksack. Es ist ihr sehr unangenehm und sie entschuldigt sich mehrmals. Ich sage ja, durchgedreht und doch ein ganz nettes Mädchen. Sie hat mir versprochen, nach Hause zu ihrer Mutter zu fahren, ob sie es getan hat, ich weiß es nicht.

Hier in Hamilton am Ontariosee, der Stadt mit 126 Wasserfällen, mache ich mich auf die Suche nach einem ganz Bestimmten, der mir von Einheimischen empfohlen wurde. Er soll der schönste und imposanteste hier sein und ich fahre erstmal eine Stunde mit dem Bus und laufe dann drei Stunden über Stock und Stein durch einen dichten Wald mit moosbewachsenen Baumstämmen. Wurzeln, die da herumliegen, als seien sie von Künstlerhand drapiert, lassen mich immer wieder stehenbleiben und Gesichter und Figuren sehen. Dieser Wald ist wie ein Märchenwald, ich sehe keine Menschen und bin sehr froh, auch keinen größeren Tieren zu begegnen. Durch dieses Sichtreibenlassen verliere ich natürlich völlig die Orientierung. Ich bin schon mehrere Stunden unterwegs, doch dieser imposante Wasserfall lässt sich nicht blicken. Aber dank der besagten Turnschuhe und meinem Kompass ist es kein Problem, wieder zurückzufinden.

Na ja, vielleicht ein kleines.

Aber ich will ja den ganz großen Wasserfall sehen und fahre mit dem Bus ca. 1 Stunde zu den Niagarafällen. Ich treffe mich mit einer Freundin, die mit ihrer Tochter eine USA-Reise macht, an den Wasserfällen und wir haben einen herrlichen Tag. Erst betrachten wir die Wasserfälle von der amerikanischen und kanadischen Seite und fahren dann mit dem Boot Maid of the Mist ganz nah heran. Alle werden patschnass, alle sind fröhlich und es ist eine Mordsgaudi. Und dann zeigt man uns noch den Ort, an dem die aufregenden Szenen des Films Niagara mit Marilyn Monroe gedreht wurden. Wow! „Marilyn Monroe und Niagara – ein reißender Strom voller Emotionen, die selbst die Natur nicht kontrollieren kann!“ So steht es auf einem alten Filmplakat.

„Niagara“ bedeutet in der Sprache der Ureinwohner „donnerndes Wasser”. Der Niagara-River stürzt 58 Meter in die Tiefe, mit einem durchschnittlichen Wasserdurchfluss von 4.200m3/s. Die Wasserfälle werden nachts und außerhalb der Saison auf bis zu 10 Prozent der ursprünglichen Wassermenge gedrosselt und die restlichen 90 Prozent über ein Stauwehr für die Stromgewinnung umgeleitet. Sie werden also jeden Morgen per Knopfdruck angeschaltet. Ich frage mich, was passiert, wenn die oder der Knopfdrückende mal verschläft.

Durch einen Sturm in der Nacht des 29. März 1848 hatten Eisschollen auf dem Eriesee den Austritt des Flusses bei Buffalo fast dreißig Stunden lang blockiert, bis der Fluss wieder in Bewegung kam. Da viele Menschen keine Erklärung für den plötzlichen Schwund der Niagarafälle fanden, vermuteten einige eine übernatürliche Ursache, was volle Kirchen zur Folge hatte. 1969 wurde dann der amerikanische Teil für fünf Monate bewusst trockengelegt und eine geologische Untersuchung veranlasst. Es wurde Beton in den Fels gedrückt, um der Erosion Einhalt zu gebieten.

Es gab einige Leute, die sich die Fälle hinunterstürzten, manche überlebten sogar. Generell ist es aber verboten und wird, sofern man überlebt, mit hohen Geldstrafen oder sogar Gefängnis bestraft. Deswegen lass ich es lieber.

Einer meiner Träume war schon immer, an den Ufern des Eriesees zu stehen. Von den Niagarafällen ist es nicht weit nach Buffalo, der Bus bringt mich in einer Stunde dorthin und ich sehe den See, spüre meine Gänsehaut und verdrücke ein paar Tränen. Schon in der Schule hat mich die Ballade über den tapferen Steuermann John Maynard sehr gerührt. Da ich immer schon eine blühende Fantasie hatte, konnte ich mir die Szenen die da beschrieben wurden, sehr gut vorstellen:

John Maynard! „Wer ist John Maynard?“ „John Maynard war unser Steuermann, aushielt er, bis er das Ufer gewann, er hat uns gerettet, er trägt die Kron‘, er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn. John Maynard.“

Die „Schwalbe“ fliegt über den Erie-See, Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee; von Detroit fliegt sie nach Buffalo - die Herzen aber sind frei und froh, und die Passagiere mit Kindern und Fraun im Dämmerlicht schon das Ufer schaun, und plaudernd an John Maynard heran tritt alles: „Wie weit noch, Steuermann?“ Der schaut nach vorn und schaut in die Rund: „Noch dreißig Minuten… Halbe Stund.“

Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei - da klingt‘s aus dem Schiffsraum her wie Schrei, „Feuer!“ war es, was da klang, ein Qualm aus Kajüt und Luke drang, ein Qualm, dann Flammen lichterloh, und noch zwanzig Minuten bis Buffalo.

Und die Passagiere, bunt gemengt, am Bugspriet stehn sie zusammengedrängt, am Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht, am Steuer aber lagert sich´s dicht, und ein Jammern wird laut: „Wo sind wir? wo?“ Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo. -

Der Zugwind wächst, doch die Qualmwolke steht, der Kapitän nach dem Steuer späht, er sieht nicht mehr seinen Steuermann, aber durchs Sprachrohr fragt er an: „Noch da, John Maynard?“ „Ja, Herr. Ich bin.“ „Auf den Strand! In die Brandung!“ „Ich halte drauf hin.“ Und das Schiffsvolk jubelt: „Halt aus! Hallo!“ Und noch zehn Minuten bis Buffalo. - -

„Noch da, John Maynard?“ Und Antwort schallt‘s mit ersterbender Stimme: „Ja, Herr, ich halt‘s!“ Und in die Brandung, was Klippe, was Stein, jagt er die „Schwalbe“ mitten hinein. Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so. Rettung: der Strand von Buffalo!

Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt. Gerettet alle. Nur einer fehlt!

Alle Glocken gehn; ihre Töne schwell‘n himmelan aus Kirchen und Kapell‘n, ein Klingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt, ein Dienst nur, den sie heute hat: Zehntausend folgen oder mehr, und kein Aug‘ im Zuge, das tränenleer.

Sie lassen den Sarg in Blumen hinab, mit Blumen schließen sie das Grab, und mit goldner Schrift in den Marmorstein schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein:

„Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand hielt er das Steuer fest in der Hand, er hat uns gerettet, er trägt die Kron, er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn. John Maynard.“

Diese Ballade von Theodor Fontane konnte ich in der Schule perfekt auswendig und bekam dafür ein „sehr gut“. Nun kann ich sie schon lange nicht mehr auswendig, aber der Eriesee kam mir immer wieder in den Sinn. Ich unternehme eine wunderschöne Wanderung am See entlang, stecke die Zehen ins Wasser und gehe ein Stück mit zwei Studentinnen – die eine aus Nigeria, die andere aus Afghanistan –, die hier studieren und oft am Seeufer spazieren. Sie kennen die Geschichte als Gedicht des amerikanischen Autors Horatio Alger, welcher ein reales Schiffsunglück zugrunde lag. Fontane hat danach eine eigene Fassung über dieses Ereignis geschrieben. Und dann sehe ich bei meinem Spaziergang eine Bronzetafel „zu Ehren der Legende von John Maynard“ mit der englischen Übersetzung von Fontanes Ballade, die letzte Strophe in deutscher Sprache. Es freut mich, dass ich diese liegende Bronzetafel auf der Kaimauer entdeckt habe. Ein Abendessen mit den beiden Studentinnen rundet diesen emotionalen Tag ab.