Wenn Vampire Tango tanzen - Heike Möller - E-Book

Wenn Vampire Tango tanzen E-Book

Heike Möller

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  • Herausgeber: neobooks
  • Kategorie: Erotik
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Hannas ruhiges Leben nimmt eine Auszeit, als ihre beste Freundin Helena sie bittet, ihre Trauzeugin zu sein. Sie muß - wohl oder übel - für den Eröffnungstanz Tango lernen. Ihr Tanzpartner und Lehrer Tobias ist der Trauzeuge des Bräutigams. Und Hanna hat noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen. Und dann ist da noch Tristan, ein Verwandter von Tobias. Als jedoch Hannas Tochter Lyssa in Gefahr gerät weiß sie, wer zu ihrem Leben gehören kann.

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Seitenzahl: 407

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Heike Möller

Wenn Vampire Tango tanzen

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

Kapitel 1: Die Einladung

Kapitel 2: Versöhnung ausgeschlossen?

Kapitel 3: „Hat dir die Krankheit den Brägen püriert?“

Kapitel 4: Der erste Schritt

Kapitel 5: „Lass dich einfach fallen!“

Kapitel 6: Das perfekte Kleid

Kapitel 7: Die nächste Hausaufgabe

Kapitel 8: Der Menüplan

Kapitel 9: Überraschungsbesuch

Kapitel 10: Dunkle Vergangenheit

Kapitel 11: Schuhwerk

Kapitel 12: Diverse Kostproben

Kapitel 13: Annäherungen

Kapitel 14: Wannsee bei Nacht

Kapitel 15: Neue Aufregungen

Kapitel 16: „Ich kann es nicht!“

Kapitel 17: Urlaubspläne

Kapitel 18: „Du tropfst!“

Kapitel 19: Hingabe

Kapitel 20: Ein paar Bröckchen Wahrheit

Kapitel 21: Letzte Vorbereitungen

Kapitel 22: Das Ja-Wort

Kapitel 23: Vor Gott

Kapitel 24: Von Geschenken und Tortenstücken

Kapitel 25: Tango

Kapitel 26: „Du bist mein Licht!“

Kapitel 27: Endlich Urlaub

Kapitel 28: Vertrauensbeweis

Epilog

ENDE

Impressum neobooks

Prolog

Mit einem lauten Stöhnen wachte Tobias Kerner schweißgebadet auf. Keuchend setzte er sich auf, zitterte, die dunkelblonden Haare klebten nass in Stirn und Nacken.

„Nicht schon wieder!“, murmelte er, atmete ein paar Mal tief durch, machte seine Nachttischlampe an und stand auf. Er brauchte einen Moment, bis der Schwindel in seinem Kopf verflogen war, dann raffte er seine Schultern und verließ das Schlafzimmer. Mit nackten Füßen tappte er durch den Korridor, der mit einer flauschigen und teuren Auslegeware belegt war. Er mochte das weiche und warme Gefühl unter seinen Füßen, doch jetzt hatte er kein Empfinden dafür. Pustend öffnete Tobias die Tür zu seinem Arbeitszimmer, das am Anfang der großen Wohnung neben der Küche lag. Er ging zu seinem Schreibtisch, knipste auch hier die Lampe an und startete seinen Computer. Während das Gerät hochfuhr, blickte Tobias auf die Uhr, die an der Wand über der Tür hing.

>3 Uhr 17. Die Stunde des Wolfes. Wie passend!<

Sich den Schlaf aus den Augen reibend griff Tobias nach einem Zeichenblock und einem Bleistift. Geschickt zeichnete er das Gesicht, das er in seinem Traum gesehen hatte. Dabei versuchte er, die grauenhaften Einzelheiten außer Acht zu lassen, die er gesehen hatte.

Es war das Gesicht eines Mannes, etwa vierzig Jahre alt. Markante Gesichtszüge, ausgeprägte Wangenknochen und dichte, beinahe buschige Augenbrauen. Als Tobias mit der Zeichnung fertig war, gab er in seinem PC das Kennwort und die Pin ein und öffnete seinen Account. Er fuhr mit seiner Maus auf eine geschützte Datei, die sich wiederum nur mit einem anderen Passwort von ihm öffnen ließ. Außer ihm gab es noch zwei Leute, die, falls Tobias etwas zustoßen sollte, Zugang zu dieser Datei hätten.

Tristan Kadian und Jannik Cerný.

Jeder Versuch, die Datei mit einem falschen Passwort zu öffnen, würde in der sofortigen Löschung der Datei enden.

Tobias hatte sich die Datei vor drei Monaten angelegt, als er nach dem Tod von Bertrand Leclerc auf dessen Recherchen gestoßen war. Dabei ging es um eine Organisation, die sich die `Krieger des Reinen Glaubens´ nennen. Diese Organisation wurde im 3. Jahrhundert nach Christus unter dem damaligen koptischen Papst in Alexandria gegründet. Deren Anhänger bekämpften überall auf der Welt Hexen, Dämonen und Vampire, da diese, nach ihrem Glauben, ein verfluchtes und unnatürliches Dasein fristeten und das Unheil in der Welt verbreiteten.

Als im 16. Jahrhundert die Organisation verboten wurde, gerieten die `Krieger des `Reinen Glaubens´ in Vergessenheit. Aber sie waren nicht inaktiv. Im Stillen und ohne den Schutz der christlich-orthodoxen Kirche Ägyptens jagte sie auf eigene Faust die Unseligen, wie sie sie nannten.

Heute mit modernster Technik und ausgefeilten Waffen.

Die Organisation war stark, hatte viele Mitglieder. Die Rekruten mussten sich erst beweisen und wenn sie mindestens einen Vampir, Hexer oder Dämon in die Falle gelockt oder sogar auf schmerzhaft langsame Art getötet hatten, wurden sie als Legionäre auf Lebenszeit verpflichtet. Als Zeichen der Zugehörigkeit wurde ihnen ein Koptenkreuz auf den linken Unterarm tätowiert.

Es gab nur ein Problem: es gibt keine Dämonen!

Dämonen sind nur Manifestationen in den verschiedenen Religionen und Kulturen der Erde. Sie symbolisieren das Böse als erdachte Personifizierung.

Hexen und Vampire hingegen gibt es.

Hexen und Hexer beziehen ihre Kräfte jedoch nicht aus dem Bösen und Dunklen, sondern aus den Energiefeldern, die überall in der Natur um einen herum existieren. Früher nannte man sie Schamanen und Druiden.

Vampire jedoch waren eine natürliche Erscheinungsform, sozusagen ein Missing Link der Menschheit.

Eine eigene Spezies.

Die um ihr Überleben kämpfte.

Tobias Kerner klickte auf eine E-Mail-Adresse und begann, das, was er geträumt hatte, niederzuschreiben. Oder besser gesagt, seine Vision, von der er wusste, dass sie der Wahrheit entsprach. Er hatte den gewaltsamen Tod eines Bruders gesehen.

Gut, er hatte den Vampir nicht gekannt, weswegen sein Empfinden nur das eines Zuschauers war. Doch seitdem Tobias vor drei Monaten einen Sinn in diese Visionen erkannt hatte konnte er endlich der Gemeinschaft nützlich sein. Etwas, was Tobias immer wollte, um von seiner eigenen Vergangenheit loszukommen.

Tobias beendete seinen Bericht, legte die Zeichnung in den Scanner und legte das Bild der Mail als Anhang bei. Da Tobias den Vampir nicht kannte war es vielleicht sinnvoll, wenn er ein Bild des Toten beilegte, damit man seine Identität und die letzten Aufenthalte ermitteln konnte.

Dann schickte Tobias die Mail ab, die über verschiedene verschleierte Accounts und Wege den eigentlichen Empfänger in wenigen Stunden erreichen würde.

Vorsicht war geboten, denn wenn die `Krieger des Reinen Glaubens´ mitbekämen, dass die Vampire gegen die Organisation vorgingen, war ein offener Krieg wahrscheinlich. Und dann würden auch unbeteiligte Menschen darunter zu leiden haben.

Und das war das letzte, was das Konzil und das Triumvirat wollte.

Deswegen hatte das Konzil eine eigene Einheit gebildet, die die Informationen aus der ganzen Welt empfingen, verarbeiteten und weiterleiteten. Man würde erst dann zuschlagen, wenn man genau wüsste, wer was und wo tat.

Und Tobias´ einzigartige Visionen waren eine große Hilfe.

Erschöpft schloss Tobias die Datei und öffnete nach kurzem Zögern seinen normalen E-Mail-Account.

>Eine Nachricht von Jan!<

Neugierig las Tobias die Mail, grinste dann.

>Kaffee am Sonntag um drei. Wie abgefahren ist das denn? Jetzt wird Jan doch noch ein Hausmann, wer hätte das gedacht.<

Seit drei Monaten lebten Jan und Helena zusammen in dem Loft. Jan hatte Helena nach ihrer Wandlung unter seine Fittiche genommen, ihr alles beigebracht, was sie erst mal wissen musste, um zu überleben und sich unauffällig unter Sterblichen zu bewegen. Und Helena stellte sich sehr geschickt an.

Immer noch grinsend machte Tobias den Computer aus und öffnete den kleinen geheimen Kühlschrank unter dem Schreibtisch, der von außen einem Safe glich. Drinnen lagen Blutkonserven und Tobi griff einfach die oberste. Geschickt bohrte er seine verlängerten Eckzähne in das Plastik und saugte langsam und genüsslich, während er aufstand und zum Fenster ging.

>Ich lege mich lieber noch etwas aufs Ohr. Wird ein langer Tag im Studio. <

Kapitel 1: Die Einladung

„Stopp!“

Da war es schon geschehen. Alyssandra Martens hatte beim Zugießen der Milch auf ihre Cornflakes zu viel Schwung und die Milch schwappte über den Rand der Müslischale. Auch der Ruf ihrer Mutter Johanna, die das Malheur hatte kommen sehen, konnte das nicht verhindern.

„Entschuldige, Mama.“ Lyssas blaue Augen sahen ihre Mutter zerknirscht an.

„Schon gut, Schatz. Kann ja mal passieren.“

Hanna Martens stand auf und ging in die Küche. Sie holte ein feuchtes Schwammtuch und ein Küchenhandtuch und ging zur Essecke des Wohnzimmers zurück.

„Am besten, du gießt die Milch in die Schale, solange ich das Tuch in der Hand habe.“

Lyssa zog einen Flunsch. „Ha-ha!“ Dann griff sie erneut nach der Milchpackung. Vorsichtig kippte sie das Tetra-Pack und diesmal gelang es ihr ohne zu kleckern Milch über ihre Cornflakes zu gießen.

Lächelnd wischte Hanna die Milchflecken weg und legte die Tücher beiseite.

„Hast du eigentlich Hausaufgaben übers Wochenende auf?“

„Nicht direkt“, nuschelte Lyssa mit vollem Mund. Dann riss sie die Augen auf, legte den Löffel hin und schnippte sich selbst auf den Arm. Hanna hatte Lyssa damit abgewöhnt, ständig mit vollem Mund zu sprechen. Wenn es dann doch gelegentlich passierte, merkte es Lyssa und schnippte sich selbst. So wie gerade eben.

Lyssa schluckte ihr Essen herunter. „Wir sollen, wenn wir wollen, ein bisschen Lesen üben. Frau Müller hat gesagt, dass wir bald ein kleines Diktat schreiben und wir können uns den Text vorher durchlesen.“

„Das ist gut, dann machen wir das gleich nach dem Frühstück.“ Hanna legte sich eine Scheibe Käse auf ihr Vollkornbrot. „Du ließt mir laut vor und danach schreiben wir einen Satz als Probediktat.“

„Ach nö!“ Lyssa sah ihre Mutter genervt an.

„Ach ja! Die Geschäfte haben lange geöffnet, Lys. Aber deine Konzentration ist morgens nun mal am besten. Also erst üben, dann einkaufen.“

Lyssa löffelte grummelnd ihre Flakes, während Hanna genüsslich von ihrem Brot abbiss. Gedankenverloren hörte sie der Musik aus dem Radio zu. Es war ein Song aus den späten 1980er Jahren. Hanna fing an, den Rhythmus mit ihrem Fuß mit zu tippen.

„Mama!“

„Was?“ Hanna wurde aus ihren Tagträumen gerissen.

„Du bist völlig im Takt daneben. Hör lieber auf, sonst denken die Nachbarn noch, du hämmerst einen Nagel in die Wand.“

Hanna sah ihre siebenjährige Tochter erstaunt an. Lyssa hatte ihren eigenen Kopf und sagte des Öfteren, was sie gerade dachte. Und wie Kinder nun mal so sind, fehlte hier noch das Fingerspitzengefühl für den richtigen Zeitpunkt, den richtigen Ton oder der richtigen Wortwahl.

„Sehr nett von dir, Alyssandra. Danke!“ Hanna mochte es nicht gerne hören, wenn sie von irgendjemanden auf ihr mangelndes musikalisches Talent hingewiesen wurde.

Schon gar nicht, wenn dieser jemand ihre eigene Tochter war.

Etwas später, als Hanna gerade die Lebensmittel wieder in den Kühlschrank verstaut hatte, klingelte das Telefon. Sie klemmte sich das Mobilteil zwischen Schulter und Ohr und wischte dabei den Esstisch ab.

„Martens!“

„Hallo Nana!“

Hanna wäre fast der Hörer runter gefallen. „Lena?“

„Ich dachte, ich melde mich mal wieder bei dir.“

Helena `Lena´ Kapodistrias war Hannas älteste und beste Freundin. Sie lernten sich im Kindergarten kennen, gingen zusammen zur Schule bis zum Abitur und hatten in vielen Dingen den gleichen Geschmack.

Außer wenn es um Männer ging.

Helena war der Inbegriff der klassischen Schönheit: hochgewachsen, gertenschlank, hohe Wangenknochen in einem schmalen Gesicht, dunkler Teint, ebenmäßige Zähne, dunkle Augen und langes, glattes, nachtschwarzes Haar.

Hanna hingegen war nur 1,62 Meter groß, normal weiblich gebaut mit höchstens fünf Kilo zu viel. Sie hatte ein eher herzförmiges Gesicht, eine eher blasse Hautfarbe, die im Sommer aber schnell Farbe bekam. Braune, leicht gewellte Haare und braune Augen, die hinter einer modischen Brille neugierig die Welt erforschten.

Aber Hanna war nie neidisch oder eifersüchtig auf ihre Freundin. Im Gegenteil, sie war gleichermaßen froh und stolz, dass die zwei Jahre jüngere Helena ihre Freundin war.

„Ich habe in den letzten drei Monaten kaum was von dir gehört, Lena. Wie geht es dir?“

„Einfach nur gut, Nana. Táwo hat mir erzählt, dass du ein paar Mal bei ihm angerufen und nach mir gefragt hast?“

„Natürlich! Du hast dich nicht gemeldet und ich erreiche dich nicht.“ Hanna warf das Küchenhandtuch auf den Tisch und stemmte ihre Faust in die Hüfte. Lyssa kam gerade mit dem Lesebuch und einem Übungsheft in das Wohnzimmer und sah ihre Mutter fragend an. „Táwo hat mir gesagt, dass du ziemlich schwer krank warst. Warum durfte ich nicht zu dir? Lyssa hat ihre Patentante auf ihrem Geburtstag vermisst.“

Das Mädchen winkte hektisch in Richtung Telefon und grinste breit mit funkelnden Augen. Hanna machte eine beruhigende Handbewegung zu ihrer Tochter.

„Ach, Nana. Das ist eine lange Geschichte. Ich hatte eine … Immunschwäche. Aber Jan hat sich aufmerksam um mich gekümmert.“

„Jan? Jannik Cerný? Den du mir damals in der Disco vorgestellt hast?“ Hanna setzte sich hin. Das konnte ein längeres Gespräch werden.

„Genau der. Wir wohnen jetzt zusammen.“

Hanna fiel die Kinnlade herunter. „Wow!“, würgte sie hervor.

Das ging schnell. Viel zu schnell. Sie und Helena hatte sich immer alles erzählt, keine Geheimnisse voreinander gehabt. Zumindest hatte Hanna das bisher geglaubt.

Doch plötzlich verschwand Helena, war drei Monate quasi wie vom Erdboden verschluckt und tauchte dann mit enormen Neuigkeiten wieder auf.

„Nana?“ Helenas Stimme klang beinahe ängstlich. „Bist du noch dran?“

Hanna fasste sich schnell wieder. „Natürlich. Ich bin nur ein bisschen überrascht.“

“Was hältst du davon, wenn du und Lyssa uns morgen besuchen. So gegen 15.00 Uhr. Ich vermisse dich so sehr!“

Hanna war immer noch ein wenig sauer, vermisste ihre Freundin aber auch. „Okay. Wo?“

Sie stand auf, griff sich einen Zettel und einen Stift, schrieb die Adresse von Jannik Cerný auf. „Gibst du mir auch gleich bitte deine neuen Telefonnummern?“ Auch diese schrieb Hanna auf.

„Ach, und bring´ doch auch Monika mit.“

Hanna stutzte. „Meine Mutter?“

„Ja. Du weißt, deine Mutter war für mich immer eine Art Ersatzmutter. Ich möchte sie einfach wiedersehen.“

“Okay. Ich frage sie. Bis morgen dann!“

Grübelnd kappte Hanna die Verbindung, legte das Mobiltelefon zur Seite.

„Übst du jetzt mit mir, Mama?“

Lyssas Stimme riss Hanna aus ihren Gedanken. „Klar doch. Dann mal los.“

Hanna studierte die Namen auf dem Klingeltableau, drückte dann auf `Cerný´.

Sie, Lyssa und Hannas Mutter Monika waren bis U-Bahnhof Mehringdamm gefahren und den Rest des Weges gelaufen. Nun standen sie vor einem ehemaligen Fabrikgebäude, das vor noch gar nicht allzu langer Zeit zu einem modernen Wohnhaus mit mehreren Wohnungen, so genannten Lofts, umgebaut worden war. Die Fassade bestand aus roten Klinkersteinen, die Eingangstür aus dunklem Holz mit Schnitzereien im Jugendstil und Glaseinlagen. Von außen waren drei Stockwerke zu erkennen und auf dem Klingelbrett standen sechs Namen. Offensichtlich waren die Wohnungen extrem großzügig geschnitten, so dass in dem riesigen, über einhundert Jahre alten Gebäude nur sechs Wohnungen waren.

„Wer ist da?“ Helenas Stimme krächzte verfremdet aus dem Klingeltableau.

Einen Moment hatte Hanna das Gefühl, dass sie beobachtet würde. Irritiert sah sie sich um und entdeckte eine kleine Kamera über dem Tableau.

„Hanna, Lyssa und Monika!“

„Kommt rein! Nehmt den Aufzug. Dritte Etage.“

Der Türsummer ging an und Hanna drückte die Haustür auf.

Der Hausflur war eine riesige und hohe Halle aus Marmor, Stuck und dunklem Holz. Eine breite Marmortreppe mit einem gewundenen Holzgeländer war der Mittelpunkt des Foyers. An den Wänden und der hohen Decke befanden sich zwischen den Stuckarbeiten Fresken im Jugendstil.

Hanna drehte sich um. Von außen war es nicht zu erkennen gewesen, aber die Glaseinlagen der Haustür schimmerten im Sonnenlicht in den schönsten Farben und zeigten die einzigartigen Motive aus dem Jugendstil.

„Verflucht, das ist teuer hier!“, murmelte sie.

„Mama, du trödelst!“

„Naseweis!“ Hanna ließ sich von ihrer Tochter zu dem Aufzug ziehen. Der Aufzug muss schon von Beginn an hier im Haus gewesen sein, denn der äußere Teil wies schmiedeeiserne Handwerkskunst auf. Im Ziehharmonika-Prinzip gingen die Türen auf und die drei Frauen gingen in den Fahrstuhl hinein.

Der Fahrstuhl war ziemlich groß und geräumig, von innen kernsaniert und entsprach mit TÜV-Siegel und Wartungsdaten den modernsten Anforderungen und Sicherheitsbe­stimmungen.

„Das ist wunderschön!“, sagte Monika und deutete auf das Tableau mit den Zahlenangaben für die Stockwerke. Passend zu dem Gesamtstil waren die Zahlen und Buchstaben verschnörkelt.

„Hhm!“, bestätigte Hanna und drückte auf den Knopf mit der Zahl drei. Als die Türen zugingen, fiel ihr plötzlich ein, dass sie schnell Beklemmungen in Aufzügen bekam. Kurz krampfte sie ihre freie Hand zur Faust. Monika legte ihre Hand auf den Arm der Tochter, lächelte ihr aufmunternd zu.

Als der Aufzug hielt, stieß Hanna ein stilles Dankesgebet aus. Die Aufzugtür öffnete sich und Helena Kapodistrias stand breit grinsend vor ihr.

„Nana!“ Helena zog Hanna in ihre Arme, drückte sie an sich.

„Umpf!“ Hanna bekam fast keine Luft und sie glaubte eine Rippe knacken zu hören.

„Entschuldige. Ich freue mich nur so, dich wieder zu sehen.“

„Kein Problem, Lena. Ich habe ja noch ein paar Rippen übrig.“

Helena kicherte und umarmte Monika Martens herzlich, aber vorsichtiger und auch respektvoll.

„Meine Güte, Kind! Du siehst wundervoll aus!“ Monika machte große Augen und maß Helena vom Scheitel bis zur Sohle.

Hanna blinzelte und sah sich ihre Freundin genauer an.

Es stimmte. Helena Kapodistrias war schöner, als sie es je zuvor war. Ihre Haut war ebenmäßig und ohne jeden Makel. Die Augen glänzten in verschiedenen Schattierungen und sie lächelte. Sie lächelte offen und ehrlich, strahlte eine innere Zufriedenheit und tiefes Glück aus. Ihre Zähne, schon immer ebenmäßig und weiß, schienen noch ebenmäßiger und weißer geworden zu sein.

„Verdammt, die Liebe bekommt dir!“, ächzte Hanna. Sie empfand plötzlich Neid. Etwas, was sie in Helenas Gegenwart noch nie empfunden hatte.

Helena hob Lyssa hoch und drückte sie an sich. „Hallo, mein Patenkind!“

„Hallo, Tante Lena! Du riechst toll!“

Die schöne Frau strahlte Lyssa an. „Du bist schon wieder gewachsen.“

„Kommt doch in die Wohnung, oder wollen wir im Hausflur Kaffee trinken?“

Die warme, männliche Stimme hinter Helena lenkte die Aufmerksamkeit erfolgreich von ihr ab. Ein großer, blonder Mann mit Engelsgesicht stand lässig in Bluejeans und Poloshirt im Türrahmen der Wohnung.

„Hallo, Hanna. Wir sind uns schon einmal begegnet.“

Hanna musste jetzt doch Grinsen. „Ich weiß. In der Disco. Damals hattest du noch ´ne Matte im Gesicht.“

Jannik Cerný grinste breit zurück und ging auf die drei Gäste zu. Sein Gang war leicht, fast federnd. Immer noch lächelnd nahm er Hannas Hand, drückte sie sanft. „Freut mich, dich noch mal kennen zu lernen. Und Sie müssen Hannas höchstens ein Jahr ältere Schwester sein.“ Er nahm Monika Martens Hand in seine, verbeugte sich leicht darüber und deutete einen Handkuss an. Monika wurde knallrot.

Hanna blickte ihre Mutter erstaunt an. Sie konnte sich nicht erinnern, dass ihre Mutter jemals wegen einem Mann einen roten Kopf bekommen hätte.

„Himmel, Sie sind ein Charmeur!“ Monika war hin und weg. „Helena, wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre, wären wir zwei jetzt Konkurrentinnen!“

Helena lachte und Janniks Grinsen wurde noch breiter. „Frau Martens, Sie sind jung und absolut anbetungswürdig.“

Monika kicherte albern wie ein junges Mädchen und Hanna verdrehte die Augen. Zugegeben, Janniks Charme war überwältigend, aber Hanna fand, dass er zu dick auftrug.

Helena ließ Lyssa runter und sie gingen alle in die Wohnung. Galant half Jannik seinen Gästen aus den Jacken und hängte sie in die Garderobe.

Hanna war beeindruckt. Der Eingangsbereich der Wohnung hatte dunkles Parkett, die Wände waren in rot, schwarz und creme gehalten. Moderne Grafiken in dunklen Rahmen hingen als Blickfang an den Wänden.

Helena öffnete eine dunkellackierte Schiebetür und führte die Gäste in den Wohnbereich. Auch hier war der Boden aus dunklem Parkett. Die Wände waren nur roh verputzt worden, an manchen Stellen blitzten Klinkersteine im Originalfarbton hervor. Dunkle Regale standen sparsam verteilt an den Wänden, gefüllt mit Büchern, CDs und Accessoires. Ein Fernseher mit Flachbildschirm stand auf einem dunklen, kleinen Sideboard. Der dunkle Couchtisch stand auf einem cremefarbenen Kamelhaarteppich, drapiert von einer cremefarbenen Dreisitzer-Couch und zwei Sesseln in derselben Farbe. Auf dem Couchtisch stand ein einzelner Kerzenhalter, der eine dicke rote Kerze hatte.

>Die Couch sieht irgendwie neu aus! <, dachte Hanna.

Große Fenster, die auf eine Dachterrasse führten, fluteten den Raum mit hellem Licht.

„Lena, das ist wundervoll!“

„Oh, ich habe gar nicht so viel verändert, als ich eingezogen bin.“

„Häh?“

„Jan wohnte schon hier. Wir haben einfach den gleichen Geschmack. Lediglich die Couchgarnitur und die Essecke sind neu. Kommt mit, ich zeige euch den Rest des Lofts.“

Helena und Jannik führten ihre Gäste umher. Die Küche war ein moderner und stilistisch geschmackvoller Raum. Marmor und gebürsteter Edelstahl, die modernsten Geräte, die das Kochen erleichterten.

Das Schlafzimmer der beiden war ein Traum in Blau und Weiß ohne viel Schnörkel. Der Kleiderschrank war in der Wand eingelassen und störte somit das Gesamtbild des Zimmers nicht.

Das angrenzende Badezimmer war aus dunklem Marmor mit goldfarbenen Armaturen. Eine riesige Badewanne bildete den Mittelpunkt und die ebenerdige Dusche in der einen Ecke bot Platz für zwei.

Hanna hatte plötzlich einen Anfall von lebhafter Fantasie, als sie sich ihre Freundin und deren Freund bei zärtlichen Spielen in diesem Raum vorstellte. Schnell und mit hochrotem Kopf schüttelte sie ihre Gedanken ab.

„Das Bad ist ja größer als mein Kinderzimmer!“, stöhnte Lyssa.

„Wir haben auch zwei Gästezimmer und ein Gästebad.“ Jan hatte seine Gäste den Korridor entlang geführt und öffnete eine weitere Tür. Das Gästezimmer, das er zeigte, war ebenfalls modern eingerichtet und wies eine klare Linie auf. Hier standen ein kleiner Kleiderschrank und ein Sideboard gegenüber dem Bett. Auf dem Sideboard stand ein kleiner Fernseher. Alles war hell und freundlich. Auch das Gästebadezimmer war eine Augenweide in cremeweiß und blau.

„Ich bin schwer beeindruckt“, gab Hanna zu, als sie sich an den Esstisch gesetzt hatten, der ausgezogen worden war und zwischen Küche und Wohnzimmer stand. Duftender Kaffee und ein luftig leichter Käsekuchen standen bereit. Sechs Stühle standen an dem Tisch, wobei zwei Stühle anders aussahen als die anderen vier.

„Lyssa, möchtest du Kakao oder Saft?“ Helena stand mit einem Glas an der Küchentür.

„Saft bitte, Lena!“

„Orange oder Apfel?“

„Orange bitte!“

Jannik beugte sich zu Hanna hinüber. „Kompliment, du hast eine sehr höfliche Tochter.“

„Danke, Jannik.“

„Nur Jan.“

Hanna fiel auf, dass ein weiteres Gedeck auf dem Tisch stand. „Erwartet ihr noch jemanden?“

„Tobi. Er müsste auch gleich kommen.“

In dem Moment klingelte es und Helena flitzte zur Tür, nachdem sie den Orangensaft vor Lyssa hingestellt hatte.

Hanna grübelte. >Tobi? Irgendwoher kenne ich den Namen!<

„Du erinnerst dich bestimmt an ihn.“ Jannik goss erst Monika, dann Hanna Kaffee ein. „Du hast ihn damals ebenfalls im `Everage´ kennen gelernt.“

Hanna erinnerte sich und bekam schlagartig schmale Augen. Ein dunkelblonder Mann mit grünbraunen Augen. Sehr von sich und seinem Charme überzeugt. Er wollte ständig mit Hanna tanzen und sie hatte abgelehnt. Dann bekam er einen anaphylaktischen Schock, klappte zusammen und reagierte äußerst unwirsch, als Hanna ihm helfen wollte.

>Dieser Arsch!<

„Ich erinnere mich. Ich hoffe, es geht ihm heute besser als damals.“ Sie konnte nicht verhindern, dass der Sarkasmus aus ihr heraus tropfte.

Jannik schmunzelte tatsächlich. „Es war ihm wahnsinnig peinlich, glaub mir.“

„Hhm.“ Mehr wollte Hanna dazu nicht sagen. Schließlich war dieser Tobi der Freund von Jannik, also ziemte es sich nicht ihrer Meinung nach, ihn schlecht zu machen. Was sie jedoch über den Mann dachte, war ihre eigene Sache.

Hanna sah, wie Helena den neuen Gast herzlich umarmte und auf die Wangen küsste. Jannik stand auf und ging ebenfalls in Richtung Eingang.

„Wer ist dieser Freund?“, fragte Monika leise.

„Niemand, über den ich reden will oder über den es sich lohnt, Gedanken zu machen, Mutter!“, zischte Hanna leise und setzte ihr charmantestes Verkäufer-Kunden-Lächeln auf.

Die beiden Männer umarmten sich freundschaftlich, aber die Augen des Neuankömmlings blickten unsicher zu Hanna hinüber. Diese Unsicherheit besänftigte Hanna augenblicklich, obwohl sie nicht sagen konnte, warum es so war.

Janniks Freund war etwa 1,75 groß, mit dunkelblonden Haaren, die er zu einem streng nach hinten gekämmten Zopf im Nacken zusammengebunden hatte. Die hohe Stirn kam besonders durch die hoch angesetzten Geheimratsecken zur Geltung, ließen das feingeschnittene junge Gesicht reifer wirken. Die grünbraunen Augen standen etwas schräg und weit auseinander, die Lippen waren sinnlich gewölbt, der Unterkieferknochen klar definiert.

>Himmel, das war mir in der Disse gar nicht aufgefallen! <

Jannik schien dem Mann etwas zugeflüstert zu haben, denn er nickte kurz und sah Helena in die Augen. Auch bei ihr musste er den Kopf etwas anheben, da die schöne Frau ebenfalls größer war als er selbst.

>Na ja. Ich bin halt ein Erdnuckel! <, dachte Hanna und zuckte kurz mit der Augenbraue.

Helena nahm Janniks Freund bei der Hand und führte ihn zu dem Esstisch. „Nana, du erinnerst dich an Tobias Kerner?“

Hanna wollte eigentlich sagen: >Klar! Das war doch der undankbare Idiot, der mit seinem Kopf in meinem Schoß lag und mir ´ne Heidenangst eingejagt hatte. Und dann besaß er auch noch die Frechheit, mich anzufahren!<

Stattdessen streckte Hanna ihre Hand aus. „Hallo! Nett dich wieder zu sehen.“

Tobias streckte seine Hand aus und ergriff Hannas mit zusammengekniffenen Lippen. „Ich … freue mich auch, Hanna.“ Seine Stimme klang merkwürdig belegt.

>Oh je! Er kriegt doch nicht wieder so einen Anfall!<

„Das ist Monika Martens, Hannas Mutter.“ Helena stellte rasch die andere Frau vor, weil sie merkte, wie befangen Tobias plötzlich war. So kannte sie Jans Freund gar nicht. Normalerweise war er jemand, der mit Frauen sehr charmant und locker umging, aber bei Hanna verhielt er sich zurückhaltend.

Tobias ergriff die Hand der älteren Frau. „Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennen zu lernen, Frau Martens“, sagte er und lächelte Hannas Mutter freundlich an. Dabei wirkte er schon deutlich entspannter als zuvor.

„Und ich bin Alyssandra. Meine Mama sagt aber immer Lyssa oder Lys zu mir. Außer wenn ich etwas angestellt habe.“ Lyssa stand auf, streckte ihre Hand dem fremden Mann entgegen und grinste ihn keck an. Ihr hellblonder Pferdeschwanz wippte leicht.

Als ob ein Schalter umgelegt worden war löste sich Tobias´ verkrampfte Haltung. „Hallo, Lyssa. Ich bin Tobi.“

„Du bist nett. Du kannst neben mir sitzen!“

Hannas Kinnlade klappte hinunter. Normalerweise erteilte Lyssa nicht so schnell den Ritterschlag der Freundschaft. Da mussten wenigstens mehrere Stunden, wenn nicht sogar Tage vergehen, bis Lyssa sich zu einer positiven Äußerung hinreißen ließ.

„Dieser charmanten Einladung kann ich wohl kaum widerstehen, nicht wahr?“ Tobias grinste breit und zeigte seine ebenmäßigen, perlweißen Zähne.

>Haben die alle den gleichen Zahnarzt?<, fragte sich Hanna erstaunt und bekam mit, dass Helena Jannik liebevoll ihren Ellenbogen in die Rippen stieß. Der lächelte verhalten und schob seiner Freundin den Stuhl ran.

Kapitel 2: Versöhnung ausgeschlossen?

Helena hatte Lyssa ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk überreicht. Es war eine Umhängetasche von Hello Kitty mit dazugehörigem Portemonnaie und Schlüsselband sowie eine kleine silberne Kette mit einem silbernen Anhänger, in dessen Mitte ein blauer Stein eingefasst war.

„Versprich´ mir, dass du die Kette nicht in der Schule trägst. Jedenfalls nicht, wenn du an dem Tag Sport hast.“ Helena band das Schmuckstück gleich um Lyssas Hals.

Hanna sah ihre Freundin fragend an. „Das ist doch nicht etwa echter Schmuck, oder?“

Helena grinste. „Ein Saphir. Passt zu Lyssas Augen.“

Betreten blickte Hanna auf ihren Teller, sagte nichts mehr.

„Danke, Tante Lena. Das ist wunder-wunderschön! Ich werde ganz doll darauf aufpassen, versprochen!“ Lyssas Augen glänzten. Die Umhängetasche hatte sie der Einfachheit halber gleich quer um ihre Schulter gehängt.

„Süße, nimm´ bitte die Tasche ab und lege sie neben deinen Stuhl. Nach dem Essen kannst du sie gern wieder umhängen.“ Hanna sprach sanft und leise zu ihrer Tochter. Diese zog kurz einen Flunsch, nahm dann aber brav die Tasche ab und hängte sie an die Stuhllehne. Hanna half ihrer Tochter und begegnete dabei den Blick von Tobias, der auf der anderen Seite neben Lyssa saß und Mutter und Tochter beobachtete.

„Du hast mir in der Disco gar nicht erzählt, dass du eine Tochter hast“, sagte Tobias ruhig. Seine Stimme war nicht besonders tief, aber männlich und warm.

Hanna fielen ungefähr drei mögliche Antworten ein und zwei waren definitiv nicht für Lyssas Ohren bestimmt. „Nun, du hattest mich nicht gefragt. Und bevor ich dir noch irgendetwas von mir erzählen konnte, lagst du schon auf dem Fußboden.“ Sie wollte sich am liebsten auf die Zunge beißen. Nun war es doch rausgerutscht, was sie unbedingt vermeiden wollte.

Tobias wurde blass und starrte in Hannas braune Augen.

>Oh je! Sie hat mir immer noch nicht verziehen!<, dachte er und sendete seine Gedanken an Helena und Jan.

>Nein. Sie ist nachtragend!<, antwortete Jan und beeilte sich, einen Schluck aus seiner Kaffeetasse zu nehmen, damit er nicht lauthals loslachte.

>Quatsch!< Helena funkelte Jan kurz an. >Sie hat lediglich ein verdammt gutes Gedächtnis für solche Nichtigkeiten!<

>Sie ist nachtragend!<, bestätigte Jannik unbekümmert.

Tobias seufzte schwer, dann stand er auf, ging auf Hanna zu und kniete sich vor ihr auf den Boden. Hanna riss die Augen auf und war bemüht, ihre Kinnlade unter Kontrolle zu halten. >Was kommt denn jetzt?< Sie spürte, wie eine Panikwelle in ihr hochstieg.

„Hanna, es tut mir aufrichtig Leid, wie ich mich benommen habe.“

Tobias kniete auf einem Knie, das andere Bein war angewinkelt und stand auf dem Fuß, wie ein Ritter, der vor seinem König kniete. Seine Arme hingen links und rechts herab, die Handflächen straff geöffnet. Fest sah er in Hannas braune Augen, die ihn misstrauisch ansahen.

„Du hast mir nur geholfen und ich habe mich wie ein Schuft benommen. Es gibt keine adäquate Entschuldigung, ich kann nur hoffen, dass du mir verzeihst.“

„Ähm ….“ Hanna war irgendwie überfordert.

„Mama, was hat Tobi denn gemacht, weil er sich bei dir entschuldigt?“ Lyssas unschuldige Kinderstimme riss Hanna aus ihrer Lethargie. Doch bevor sie antworten konnte, drehte sich Tobias zu Hannas Tochter um.

„Ich habe deiner Mutter Unrecht getan. Als wir uns kennen lernten, ging es mir nicht gut und ich bin umgefallen. Deine Mutter hat mit geholfen, wollte sogar, dass ein Arzt kommt. Aber ich wollte keinen Arzt, reagierte unhöflich und undankbar. Ich war sehr gemein zu deiner Mutter. Und das tut mir wirklich sehr, sehr Leid!“

Verlegen rückte Hanna ihre Brille zurecht. Sie war stark kurzsichtig und normalerweise saß die Brille immer perfekt. Aber sie hatte das Gefühl, das die Brille ausgerechnet jetzt schief saß. „Ist schon gut. Ich meine, vergessen und vergeben. Ich bin nicht nachtragend!“ Sie merkte, dass ihr Gesicht tiefrot sein musste. Es glühte nämlich.

>Von wegen!<, dachte Jan und steckte sich ein Stück Käsekuchen in den Mund. Für seinen offenen Gedanken an Helena und Tobias bekam er einen ziemlich unsanften Rippenstüber von seiner Freundin. Jan gab keinen Laut von sich und zuckte auch nicht zusammen, dafür sendete er einen Gedanken, der nur für Helena bestimmt war.

>Mein Schatz, dafür werde ich dich nachher bestrafen!<

Helenas Augen gingen auf Halbmast. >Mit Handschellen?<

Tobias konnte die Gedanken seiner beiden Freunde nicht empfangen, spürte aber eine plötzliche erotische Anspannung und musste grinsen. >Hört auf! Ich werde sonst rot!<

„Der Beginn einer Freundschaft?“, fragte er gleichzeitig Hanna und lächelte sie sanft an.

„Vielleicht“, antwortet sie schnippisch und widmete sich wieder ihrem Kuchen und dem Kaffee. Dabei erhaschte sie den Blick ihrer Mutter, die sich eine Serviette vor den Mund presste. Offensichtlich versuchte Monika im Moment alles, um nicht lauthals zu lachen.

„Ich stehe nicht auf, bevor wir uns nicht versöhnlich die Hände gereicht haben.“ Tobias streckte ihr mit einem feierlichen und ernsten Gesichtsausdruck die Hand entgegen.

Perplex starrte Hanna auf die Hand. Es war eine relativ kleine Hand, mit eher kurzen, aber kräftigen Fingern. „Das ist doch lächerlich!“, stieß sie hervor.

„Wie du meinst.“ Tobias faltete seine Arme über dem nach oben gerichtete Bein und wartete.

„Das meinst du ernsthaft, oder?“ Hanna glotzte in grünbraune Augen. Monika konnte sich nicht länger beherrschen und kicherte ungehalten, Lyssa grinste über beide Backen.

>Tobi! Du blamierst meine Freundin!<

>Sie hat angefangen, Helena. Sie ist am Zug!< Dabei sah er weiterhin ruhig in Hannas braune Augen.

Diese warmen braunen Augen, die ihn vor drei Monaten so gefesselt hatten. Er hatte sich gern mit ihr in der Diskothek unterhalten. Schnell erkannte Tobias, dass er eine warmherzige, kluge und selbstbewusste Frau vor sich hatte, die mit beiden Beinen fest im Leben stand. Von Anfang an kam sie weder als Mitternachtssnack noch als One-Night-Stand in Frage.

„Okay!“ Hanna warf ihre Hände kurz in die Luft, drehte sich Tobias wieder ganz zu. Dann holte sie tief Luft und reichte ihm die Hand. „Ich verzeihe dir und biete dir eine Versöhnung an. Könntest du jetzt bitte wieder aufstehen, das ist wirklich peinlich!“

Tobias ergriff Hannas Hand und drückte sie sanft. Dabei schmunzelte er, was zur Folge hatte, dass sich ein kleines Grübchen auf der rechten Wange bildete.

>Scheiße!<, dachte Hanna beim Anblick des Grübchens. >Ich bin in Schwierigkeiten!<

Dann sah sie in seine Augen und war bestürzt. Unter der höflichen und charmanten Oberfläche entdeckte sie eine tiefe Traurigkeit. Melancholie und Schwermut Einsamkeit.

>Tobi! Sie ist tabu!<

Dieser Gedanke von Helena überraschte Tobias. >Ich habe nicht vor, mit ihr etwas anzufangen. Ich will nur nett zu deiner Freundin sein.<

>Gut. Falls du ihr wehtun solltest, reiße ich dir den Kopf ab, klar?<

Tobias erhob sich aus seiner knienden Position und blickte Stirn runzelnd zu Helena. >Ich habe verstanden, Helena.<

„So, wenn alle Positionen geklärt sind können wir jetzt zum Wesentlichen kommen.“ Jannik schob seinen Teller beiseite und trank den letzten Schluck Kaffee aus seiner Tasse. Dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und legte seinen Arm um Helena, zog sie an sich und küsste sie auf die Stirn.

>Bleib ruhig, Schatz. Tobi wird Hanna nichts tun. Er schätzt sie, das erkenne ich an seiner Haltung.<

>Tut mir Leid, Jan. Ich habe schon immer so ´ne Art Beschützerinstinkt Hanna gegenüber gehabt.< Sie kuschelte sich an Jans Halsbeuge. >Entschuldige, Tobi. Ich habe es eben übertrieben. Kommt nicht wieder vor.<

Tobias lächelte. „Schon gut, Helena.“

Hanna blickte verwirrt von Helena zu Tobias, verstand nicht, worauf Tobias gerade geantwortet hatte.

„Ihr zwei habt uns doch nicht ohne Grund für heute eingeladen.“ Tobias steckte sich eine Gabel voll mit Käsetorte in den Mund. „Um was geht es?“

Lyssa schnippte ihn auf den Arm. Überrascht sah Tobias das Kind an.

„Wofür war das denn?“ Dummerweise sprach er immer noch mit vollem Mund und Lyssa schnippte ihn erneut.

„Man redet nicht mit vollem Mund!“

Helena, Jannik und Monika bekamen einen heftigen Lachanfall, während Hanna auf ihrem Stuhl vor Scham immer tiefer sank. Tobias sah Lyssa immer noch verblüfft an, wollte etwas sagen, verkniff es sich aber im letzten Moment. Rasch schluckte er den Kuchen hinunter und spülte mit Kaffee nach.

„Hat dir deine Mutter etwa auf diese Art beigebracht, nicht mit vollem Mund zu reden?“

„Klar. Davor hat sie immer versucht, es mir mit Worten abzugewöhnen. Hat nicht geklappt. Jetzt mache ich das nur noch sehr selten und schnippe mich dann selbst, wenn ich es merke.“

Tobias sah Hanna über Lyssas Kopf hinweg leicht missbilligend an. „Auch eine Möglichkeit, aber etwas fragwürdig, oder?“ In seiner Stimme lag ein leichtes Knurren.

>Ich werde mit dir bestimmt nicht über Kindererziehung diskutieren!< Hannas Augen blitzten Tobi an und sie gab keine Antwort.

„Beruhigt euch, in Ordnung?“ Helena merkte, dass in Hanna die Anspannung wieder wuchs. „Jan und ich möchten euch etwas mitteilen.“

Hanna sah ihre Freundin neugierig an. „Schieß los!“

„Wir haben beschlossen zu heiraten.“

Ein dicker Kloß legte sich in Hannas Magen und weitete sich aus.

„Na endlich!“ Tobias griff über den Tisch und gab Jan eine High-Five. Der Bräutigam strahlte über das ganze Gesicht.

„Kann ich Blumen streuen?“, fragte Lyssa.

„Klar doch. Darauf bestehe ich sogar.“ Helena strahlte ihr Patenkind an.

„Das ging aber schnell!“, sagte Monika, strahlte aber ebenfalls. „Aber wenn ihr beide euch liebt, warum nicht? Habt ihr schon einen Termin?“

Helena blickte zu Hanna, die bisher gar nichts gesagt hatte. Die Freundin war blass und starrte sie nur an. Die Lippen wirkten zusammengekniffen.

„Hanna?“

Hanna räusperte sich. „Oh, ich … gratuliere euch. Ehrlich. Ich muss das nur kurz verdauen.“

Ein betretenes Schweigen machte sich plötzlich breit und Hanna fand die Situation unerträglich.

„Also, dann erzählt doch mal, wann und wo ihr heiraten wollt. Ich muss das wirklich nur in meinen Kopf kriegen, alles in Ordnung.“ Hanna setzte ihr Apotheker-Lächeln auf und sah ihrer Freundin in die Augen.

„Wir wollen am 14. August standesamtlich und am 15. August kirchlich heiraten.“ Jannik nahm die Hand seiner Verlobten und führte sie an seine Lippen. Dabei sah er sie so zärtlich an, dass Hannas Bedenken einfach verflogen. Der Mann liebte Helena wirklich.

„Das heißt, ihr habt das Aufgebot schon bestellt“, stellte Monika fest.

„Ja. Haben wir. Wir wissen auch schon, in welcher Kirche wir heiraten wollen, wie der Gottesdienst in etwa laufen soll und wo wir dann anschließend feiern wollen.“ Helena fixierte immer noch Hannas Gesicht. „Ich bin griechisch-orthodox und Jan ist evangelisch. Also wird es einen ökumenischen Gottesdienst geben, der beiden Religionen zu Gute kommt.“

„Wow.“ Tobias lehnte sich zurück und grinste. „Das ist doch sehr modern und großartig.“

„Wir wollen, dass du, Hanna, und du, Tobias, unsere Trauzeugen seid.“ Jannik sah die beiden fragend an. Bittend.

Hanna klappte die Kinnlade herunter und sie vergaß zu atmen. „Oh.“ Es war ein überraschtes Quieken, das ihren Mund verließ.

„Es wird mir eine Ehre sein, Jan.“ Tobias strahlte seinen Freund an. >Damit ehrst du mich, mein Freund. Du ahnst nicht, wie sehr du mich damit ehrst!<

Jan lächelte seinen Freund milde an. >Von allen meinen Freunden bist du mir der, der einem Bruder am nächsten kommt, Tobi. Wenn du mein Trauzeuge wirst, ehrst du damit mich!<

Tobias nickte, musste sich räuspern.

Hanna stand auf, ging um den Tisch herum und umarmte ihre Freundin. Helena schloss erleichtert ihre Arme um Hanna und musste sich zusammenreißen, um nicht plötzlich loszuheulen.

Was fatal gewesen wäre, da sie blutige Tränen nicht hätte erklären können.

„Natürlich will ich deine Trauzeugin sein, Lena! Scheiße, ist das schön!“ Hannas Stimme klang gedämpft, da sie an Helenas Schulter sprach. Dann schniefte sie ein wenig. „Verdammt, ich bin undicht!“

„Ich hatte schon Angst, du würdest ablehnen oder wütend sein oder irgendetwas in der Art!“ Helena drückte Hanna leicht von sich, um ihrer Freundin ins Gesicht sehen zu können.

„Ich bin nur sauer, weil ich von eurer ganzen Entwicklung nichts mitbekommen habe!“, gestand Hanna. Dann beugte sie sich an Helenas Ohr. „Ich möchte aber demnächst alles von dir hören. Jede schmutzige Einzelheit!“

Helena kicherte. „Abgemacht, Nana.“

„Wir könnten einen Abstecher zu der Kirche und dem Gasthof machen, wo wir feiern wollen.“ Jans Ohren hatten durchaus mitbekommen, was Hanna und Helena miteinander geflüstert hatten. Bei der Vorstellung, dass die Frauen sich über ihn und den intimen Einzelheiten zwischen sich und Helena unterhalten würden, wurde er unruhig.

„Jetzt gleich?“, fragte Tobi.

„Warum nicht! Du hast doch immer einen Kindersitz im Auto, oder?“

Tobias nickte. Als Leiter einer Tanzschule hatte er auch Kindergruppen unter seine Fittiche. Es kam gelegentlich vor, dass er Kinder zu Veranstaltungen mitnahm oder auch mal nach Hause fuhr. Deshalb hatte er immer eine Sitzschale für Kinder in seinem Golf zu liegen.

„Das ist ´ne tolle Idee!“, sagte Helena und grinste Hanna und Monika an. „Ihr habt doch in den nächsten zwei Stunden nichts weiter vor, oder?“

Hanna schüttelte den Kopf, grinste plötzlich. „Und das ganze ist natürlich total spontan.“ Ihre Stimme tropfte wieder vor Sarkasmus.

Helena kicherte. „Du kennst mich eben doch zu gut, Süße!“

Die Kirche war relativ klein, aber üppig dekoriert und wirkte sehr einladend. Überall waren die koptischen Kreuze zu sehen, die Ikonostase mit Heiligen und Fresken mit Themen aus dem Neuen Testament schmückten die Wände und Decken. Gold glänzte in allen Nischen und auf den Insignien, die am Altar und den Säulen angebracht waren. Hier und da war das Symbol der griechisch-orthodoxen Kirche zu sehen: ein zweiköpfiger Adler, über dessen Haupt eine Krone schwebte. In der einen Kralle hielt er ein Schwert, in der anderen einen Reichsapfel, das ganze schwarz auf gelb.

„Wir haben vor zwei Wochen schon alles mit dem Patriarchen klargemacht“, raunte Helena Hanna zu. Sie standen vor dem Kolymvithra, dem traditionellen Taufgefäß. Das Gefäß war ein dickwandiger Kupferkessel. Der Täufling wird mit gesegnetem Olivenöl und Myrrhe komplett eingerieben und dann in das Gefäß getaucht. Dabei nennt der Nonós oder die Noná, also der Pate oder die Patin den Namen des Kindes. Dieser Name ist dann bindend.

„Zwei Wochen vor der Hochzeit setzen wir uns dann mit dem Patriarchen und dem evangelischen Pfarrer zusammen und besprechen die Einzelheiten. Es wäre gut, wenn du und Tobi dann auch dabei sein könntet.“

Hanna nickte. „Kein Problem. Aber du weißt, dass man in Deutschland eigentlich keine Trauzeugen mehr benötigt, oder?“

Helena grinste etwas. „Weiß ich, aber ich bin doch ziemlich traditionell. Und Jan auch. Wir sind der Meinung, wenn wir schon heiraten, und das nur ein einziges Mal im Leben, dann richtig. Mit allem drum und dran!“

Hanna verstand ihre Freundin. Sie beobachtete, wie Tobias Kerner Lyssa umher führte und ihr die Fresken an den Wänden geduldig erklärte.

„Kann es sein, dass ich mich in Tobias getäuscht habe?“, fragte sie unvermittelt.

Überrascht sah Helena ihre Freundin an. „Natürlich! Tobi ist wirklich ein guter Freund und sehr nett. Du trägst ihm doch nicht wirklich die Sache in der Diskothek nach, oder?“

Hanna verzog ihr Gesicht. „Ein wenig.“

„Als ich … krank wurde, hat Tobi viel für mich getan. Wie auch viele andere, die du noch kennen lernen wirst.“

Beschämt sah Hanna ihrer Freundin in die Augen. „Als ich hörte, was mit Onkel Dim passiert war, wollte ich dich besuchen, dich trösten. Aber Táwo sagte nur, dass dein Gesund­heitszustand es nicht zulassen würde, mich oder irgendjemand anderen zu sehen. Es tut mir Leid, dass Dimítrios durch einen Autounfall gestorben ist.“

Helenas Augen blitzten kurz auf, ihre Miene verhärtete sich. „Ist schon in Ordnung, Hanna. Das Leben geht weiter, auch ohne Onkel Dim.“

Hanna runzelte die Stirn. „Aber du hast ihm immer sehr nahe gestanden.“

Helena schloss die Augen, die Wangenmuskeln zuckten unrhythmisch. „Hanna, ich würde dir sehr gern alles erzählen, aber ich kann nicht. Glaube mir, ich bin über den Tod meines Onkels hinweg. Und ich möchte nicht mehr an ihn denken, in Ordnung?“

Hanna war beinahe schockiert. Sie nahm sich vor, Helena irgendwann einmal deswegen zur Rede zu stellen, aber sie spürte, dass jetzt ein ungünstiger Moment war. Also schwieg sie.

Monika betrachtete den jungen Mann, mit dem sie sich angeregt unterhielt, unverhohlen. Jannik Cerný gefiel ihr, nicht unbedingt als Mann nach ihrem Geschmack, sondern als Bräutigam von Helena. Schließlich kannte sie Helena Kapodistrias seit deren Kindheit. Oft hatte das griechischstämmige Mädchen mit Hanna zusammen in ihrer Küche zu Mittag gegessen, Hausaufgaben gemacht, gespielt und gelacht.

„Und Sie sind wirklich auf einer Burg aufgewachsen?“

Jannik nickte. „Mein Cousin Adolar hat jetzt den Grafentitel, aber das ist okay. Ich habe mir hier in Berlin eine neue Heimat geschaffen. Wenn ich will, kann ich jederzeit auf die Burg. Helena und ich werden dort unsere Flitterwochen verbringen.“

„Das ist ziemlich romantisch, Herr Cerný.“

Jan wurde doch tatsächlich leicht rot. „Danke. Aber es würde mich freuen, wenn Sie mich Jan oder Jannik nennen würden.“

„Dann bestehe ich auf Monika.“ Sie rieb ihm sanft über den Oberarm in einer sehr mütterlichen Geste.

Jan sah kurz zu seiner Verlobten und deren Freundin. „Helena bedeutet die Freundschaft mit Hanna wirklich unglaublich viel, Monika. Es tat ihr weh, die drei Monate nicht mit ihr in Kontakt treten zu können.“

„Dabei hätte Hanna sich gern um Helena gekümmert. Sie hat sich große Sorgen gemacht. Am liebsten hätte sie Stavros gezwungen, ihr zu sagen, wo sich Lena befindet und wollte zu ihrer Rettung schreiten.“

Jan grinste und sein Engelsgesicht bekam etwas Spitzbübisches. „Ja, das glaube ich gern. Hanna ist eine Frau, die mir sehr selbstbewusst und energisch vorkommt.“

„Stur, spitzzüngig und nachtragend“, ergänzte Monika, grinste aber dabei.

„Wir sollten jetzt zum See fahren!“, schlug Helena vor und winkte den Männern zu.

Kapitel 3: „Hat dir die Krankheit den Brägen püriert?“

Das Restaurant lag in der Nähe des Großen Wannsee direkt am Havelufer. Es gab zwei Bootanlegeplätze und ein kleines Bootshaus. Wenn man wollte, konnte man sich entweder ein Ruderboot oder ein Tretboot mieten.

Vom Wasser gingen steinerne Stufen zu dem Restaurant hinauf, das eine riesige Terrasse hatte. Markisen, die je nach Wetterlage ein- oder ausgefahren werden konnten, leuchtete in gelb und weiß. Überall standen Blumenkübel und –kästen, deren Pflanzen und Blumen sehr gepflegt wirkten. Vor der Terrasse gab es noch eine große, freie und gepflegte Rasenfläche, die allerdings etwas uneben erschien.

„Was meinst du, Tobi? Kann man hier ein transportables Tanzparkett auslegen?“ Jan hatte sich hingehockt und strich mit seiner Hand über den Rasen. Tobias hockte sich neben seinen Freund, strich über den Rasen, nahm etwas Erde in seine Hände und begutachtete die Ebenmäßigkeit der Fläche.

„Man müsste ein Gitter legen, das ausbalanciert werden sollte. Dann kann man darauf den Steckparkett legen. Alles in dem Erdboden verankern und es hält.“

„Könntest du dich darum kümmern, mein Trauzeuge?“ Jan grinste seinen Freund entwaffnend an.

„Wusste ich doch, dass die Trauzeugennummer in Arbeit ausartet.“ Tobias grinste zurück. „Klar doch. Aber wie ich euch beide kenne, gibt es noch mehr, was ich und auch Hanna tun sollen, stimmt´s?“

Jan kratzte sich verlegen am Hinterkopf, sah seine Verlobte Hilfe suchend an. „Na ja, da gibt es schon noch ein paar Punkte.“

„Monika, könnten wir uns demnächst zusammensetzen und über die Blumenarrangements reden?“ Helena sah die ältere Frau bittend an. „Ich meine, du bist Floristin und hast immer so einen tollen Geschmack und so.“

Monika lachte laut los. „Aber ja doch. Du musst mir nur definitiv sagen, welche Blumen oder Pflanzen auf gar keinen Fall dabei sein dürfen und welche auf jeden Fall dabei sein müssen. Und über die Farben müssen wir uns Gedanken machen.“

„Und ich?“ Hanna sah ihre Freundin leicht misstrauisch an.

„Also, wir brauchen Hilfe bei der Sitzplatzbelegung. Und da ist dein Organisationstalent dringend gefragt. Außerdem musst du mit mir mein Brautkleid aussuchen gehen. Und wir beide müssen dein Kleid als Trauzeugin aussuchen, in Ordnung?“

„Gern. Hast du schon ein paar Brautgeschäfte ausfindig gemacht, die in Betracht kommen würden?“

Helena schüttelte den Kopf.

„Ich habe einige Adressen.“

Alle sahen erstaunt zu Tobias. Er lächelte verlegen.

„Na ja. Einige meiner Angestellten haben in den letzten zwei Jahren eine Art Hochzeitsmarathon aufgestellt. Die kann ich fragen, welches Geschäft sie empfehlen. Außerdem kenne ich selbst zwei Geschäfte, wo wir bei Turnieren und Auftritten fündig werden. Vielleicht hilft das auch.“

Helena strahlte. „Klasse Tobi!“

„Und es wäre toll, wenn du uns bei der Entscheidung für das Catering hilfst, Hanna“, sagte Jan und legte seinen Arm um Helenas Taille.

Hanna nickte. „Mache ich. Aber erwartet nicht, dass ich mich überall durch futtere. Das geht höllisch auf die Figur.“

„Da kann ich helfen!“, meldete sich wieder Tobias, wurde aber etwas rot, als Hanna ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen ansah. „Ich meine, beim Probieren kann ich helfen. Ich kann unheimlich viel Essen und nehme einfach nicht zu.“

>Witzbold! <, dachte Jan.

>Ist doch wahr. Seitdem ich diese Visionen habe ist mein Grundumsatz erheblich gestiegen. Da kann ich mich doch durchfuttern.<

„Da ist noch etwas.“ Helena druckste herum, sah Jan vorsichtig an.

„Wir wollen die Party mit einem speziellen Tanz eröffnen. Einem Tango“, sagte der Bräutigam.

„Wow!“ Hanna riss die Brauen hoch. „Du kannst Tango tanzen, Jan?“

„Ja. Ich brauche nur eine Auffrischung. Tobi?“

„Klar. Ich denke, zwei oder drei Termine müssten bei dir reichen, Kumpel. Helena?“

„Ich brauche auch nur eine Auffrischung. Aber ….“ Sie schielte zu Hanna hinüber und wurde rot.

Hanna gefiel dieser Blick nicht. Ganz und gar nicht. „Lena?“

„Wir möchten einer Tradition folgend den Tanz gemeinsam mit den Trauzeugen eröffnen.“

Janniks Ansage bescherte Hanna ein heftiges Rauschen in den Ohren. Sämtliches Blut wich aus ihrem Gesicht und landete in den Füßen. Der Mund war staubtrocken und weit aufgerissen.

„Hat dir die Krankheit den Brägen püriert?“, donnerte Hanna Helena entgegen.

Die Heftigkeit, mit der Hanna diese sehr unfreundlichen Worte ausstieß, verwunderte alle, bis auf Monika und Helena.

„Johanna! Das kannst du doch nicht sagen!“ Monika war trotzdem schockiert.

„Und ob. Das kann nur ein sehr verspäteter Aprilscherz sein!“ Hannas Stimme klang leicht schrill vor Panik.

„Hanna. Bitte. Es würde mir so viel bedeuten.“ Helena ließ Jannik los und nahm die Hände ihrer Freundin in ihre.

„Lena, ich verstehe deinen Wunsch, wirklich. Aber wie um Himmels Willen willst du dieses Wunder geschehen lassen, häh?“

Helena blickte zaghaft lächelnd zu Tobias. „Könntest du ihr das Tanzen bei bringen, Tobi? Ich meine, es sind noch über neun Wochen bis zur Hochzeit und sie muss ja auch nur die Grundlagen tanzen können.“

Tobias hatte seine Augenbrauen hochgezogen und bisher kein Wort gesagt. Es verwunderte ihn nur zutiefst, mit welcher Vehemenz Hanna reagiert hatte. Vorsichtig drang er in Hannas Gedanken ein, kam aber nicht weit. Ein unglaubliches Durcheinander an Gefühlen und Gedanken schleuderten ihn regelrecht zurück.

„Whoa!“

„Siehst du? Er findet die Idee auch nicht berauschend!“ Hanna funkelte Helena wild an.

„Das meinte ich eben nicht, Hanna. Wirklich nicht. Ich bin nur über deine heftige Reaktion überrascht.“

„Helena nicht, denn sie weiß, warum ich so reagiere, nicht wahr?“

„Süße, die Tanzlehrer damals waren eben nicht wie Tobi. Er ist wirklich geduldig und einfühlsam. Er schafft das ganz bestimmt.“

„Vor oder nachdem ich ihm aus Versehen irgendwelche Knochen gebrochen habe?“

Helena blickte betreten zu Boden.

Monika bekam einen Lachanfall. Sie stand da und schüttelte sich regelrecht. „Meine Güte! Du denkst doch etwa nicht an diesen Vorfall?“

„Vorfall?“ Hannas Stimme kiekste etwa zwei Oktaven höher als sonst. „Ich habe es in drei Tanzschulen versucht. Dem letzten Tanzlehrer habe ich den Mittelfußknochen gebrochen, als ich ihn mit meinem Absatz traf! Eure Haftpflichtversicherung musste dem Mann Schmer­zensgeld zahlen.“

Tobias sah Hanna erstaunt an, schmunzelte dann aber. „Interessant.“

Hannas Augen gingen auf Halbmast. „Bist du masochistisch oder was?“

Tobias rieb sich mit der Hand über den Mund, blickte kurz zu Lyssa, die ein paar Meter weiter auf einer Schaukel saß und aufmerksam zugehört hatte.

„Kommt darauf an, um was es geht.“ Seine Stimme war sehr leise.

Hannas Kinnlade klappte runter und sie wurde puterrot. Die Deutlichkeit, die hinter der Aussage stand, war ihr nicht entgangen.

„Tobias!“ Helena blitzte Jans Freund an.

>Was denn? Sie hat angefangen!<, wollte er eigentlich sagen, aber Janniks kaum merkliches Kopfschütteln bremste ihn.

„Entschuldige, Hanna. Das war unpassend. Ist mir so rausgerutscht.“