Wer dem Wind folgt - Peter Watt - E-Book
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Wer dem Wind folgt E-Book

Peter Watt

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Beschreibung

Ein unerwartetes Wiedersehen … Das ergreifende Australienepos »Wer dem Wind folgt« von Peter Watt – jetzt als eBook bei dotbooks. Australien im 19. Jahrhundert: Hals über Kopf musste Michael Duffy aus Sydney fliehen und seine große Liebe Fiona Macintosh zurücklassen. Als er ihr fernab der Heimat eines Tages gegenübersteht, erkennt die mittlerweile verheiratete Fiona ihn zunächst kaum wieder – doch ihre Gefühle füreinander können sie nicht leugnen. Sie beschließen, gemeinsam nach Hause zurückzukehren, denn Michael hat eine Rechnung zu begleichen: Der Mörder seines Vaters ist immer noch auf freiem Fuß. So beginnt eine epische Reise durch Australien voller Liebe, Verrat und tödlicher Gefahr … Eine große Familiensaga über das abenteuerliche Leben im Australien des 19. Jahrhunderts, eine unerbittliche Familienfehde – und ein Paar, dessen Liebe stärker ist als alles, was sie voneinander trennt: »Abenteuer, Liebe und Intrigen machen diesen Roman zu einem satten Lesevergnügen.« Schweriner Volkszeitung Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Wer dem Wind folgt« ist nach »Weit wie der Horizont« der zweite Teil der großen Australien-Saga von Peter Watt. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 830

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Über dieses Buch:

Werden sie gemeinsam ihr Glück finden oder wird eine alte Feindschaft sie für immer voneinander trennen? Australien im 19. Jahrhundert: Zwischen zwei Einwandererfamilien entbrennt in Sydney eine erbitterte Fehde. Machtkampf, Intrigen und offene Feindseligkeiten bestimmen das Leben der bodenständigen irischen Duffys und der wohlhabenden schottischen Macintoshs. Doch dann knüpft die jüngere Generation gegen alle Konventionen zarte Bande: Fiona Macintosh und Michael Duffy fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Fiona aber muss einen anderen heiraten, um den Wohlstand ihrer Familie zu sichern … Ist Michaels und Fionas Liebe stärker als das Schicksal? Und kann sie den alten Hass ihrer Familien eines Tages doch noch überwinden?

Ein großes Epos über das abenteuerliche Leben im Australien des 19. Jahrhunderts, eine unerbittliche Familienfehde – und ein junges Paar, dessen Liebe stärker ist als alles, was sich ihr entgegenstellt.

»Ein großartiges Buch« Daily News

Über den Autor:

Peter Watt hat in seinem Leben schon in vielen verschiedenen Ländern gelebt, darunter Vietnam, Island, Tasmanien und Papua-Neuguinea. Heute wohnt er im australischen Maclean, im Norden von New South Wales. Er schätzt gutes Essen, das Angeln und die Weite des Outbacks von Queensland, wo auch seine Romane spielen.

Peter Watt veröffentlicht bei dotbooks ebenfalls:

»Weit wie der Horizont. Die große Australien-Saga: Band 1«

»Wenn der Sturm naht. Die große Australien-Saga: Band 3«

Die Website des Autors: www.peterwatt.com

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eBook-Neuausgabe Juni 2019

Copyright © der englischen Originalausgabe 2000 by Peter Watt

Die englische Originalausgabe erschien 2000 unter dem Titel »Shadow of the Osprey« bei Pan Macmillan Australia, Sidney.

Copyright © der deutschen Ausgabe 2002 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Philip Ho, imajrma

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (aks)

ISBN 978-3-96148-788-2

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Wer dem Wind folgt« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

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Besuchen Sie uns im Internet:

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Peter Watt

Wer dem Wind folgt

Die große Australien-Saga: Band 2

Aus dem Englischen von K. Schatzhauser

dotbooks.

Die Handlung dieses Buches und die darin auftretenden Personen sind frei erfunden. Abgesehen von der gelegentlichen Nennung historischer Gestalten enthält es keinerlei Hinweise auf lebende oder tote Personen. Es ist denkbar, dass manche Leser an bestimmten Schilderungen Anstoß nehmen und ihnen Ausdrucksweise und Einstellung mancher Gestalten rassistisch vorkommen. All das muss im historischen Kontext des Romans gesehen werden und spiegelt in keiner Weise persönliche Ansichten des Verfassers wider.

Für meinen Onkel John Payne.Im Krieg – ein wahrer SeeheldIm Frieden – immer für mich da.

Der Abend sinkt, das KänguruStrebt furchtsam dem Verstecke zu.Der Krieger vor der erloschnen GlutSieht es und wünscht die Traumzeit her,Wo der Bumerang bei der Streitaxt ruht,Samt der Keule, der Schleuder, dem Speer.

»Der Letzte seines Stammes«, HENRY KENDALL

PROLOG

1868

Die Insel war eine Schildkröte. Ihr grüner Panzer trieb auf einer türkisfarbenen See ...

Zumindest war das der erste Eindruck, den David Macintosh hatte. Der sechsundzwanzigjährige Erbe eines in Sydney ansässigen, weltumspannenden Finanzimperiums stand am Bug einer Sklavenhandels-Bark, die im Auftrag seiner Familie den Pazifik durchpflügte, und sah zu, wie die mit Dschungel bewachsene Insel am Horizont abwechselnd aus dem Wasser emporstieg und niedersank. Obwohl der mittelgroße und glatt rasierte junge Mann durchaus wie jemand auftrat, dem man den Reichtum in die Wiege gelegt hatte, ließ ihn seine natürliche Art liebenswert erscheinen.

Die Reise auf der Osprey hatte er gegen den ausdrücklichen Wunsch seiner Mutter angetreten. Er wollte das dörfliche Leben im Südpazifik studieren. Voll abergläubischer Besorgnis wegen eines einst von einem Ureinwohner über die Familie Macintosh ausgesprochenen Fluchs hatte Lady Enid gesagt, er begebe sich damit in schreckliche Gefahr. Doch er hielt ihre Befürchtungen für töricht und unbegründet und hatte sie sanft getadelt. Deutlich stand ihm noch der Ausdruck von Angst vor Augen, den er auf ihrem sonst so gelassenen Gesicht wahrgenommen hatte, als er ihr beim Ablegen der Osprey vom Deck aus zuwinkte.

Während er an der Reling stand und hinübersah zu der Insel, wo er Gelegenheit haben würde, eine Kultur kennen zu lernen, die weit älter war als die westliche Zivilisation, dachte er nicht an ihre Befürchtungen. Im vergangenen halben Jahrhundert hatten die Europäer auf den Pazifik-Inseln tiefer greifende Veränderungen bewirkt, als dort in Jahrtausenden stattgefunden hatten. Nachdem die Inselgötter so gut wie abgeschafft und durch das neu eingeführte Christentum ersetzt worden waren, verbargen sich die alten Götter im Dschungel. Die wahren Gläubigen brachten ihnen nach wie vor die herkömmlichen Opfergaben, um ihren Zorn über die Vertreibung zu besänftigen.

Morrison Mort, der wortkarge Kapitän der Osprey, hatte David erklärt, dass kaum je ein Sklavenhändler Kontakt mit dieser Insel gehabt habe. Ihre Bewohner seien kriegerischer als die der meisten anderen im Pazifik und bekannt dafür, dass sie die Besatzungen von Schiffen abgeschlachtet hatten, als diese Sandelholz an Bord nehmen wollten. Das liege zwar schon lange zurück, fügte er rasch hinzu, ergänzte aber, dass Tiwi, der Herrscher der Insel, zu den Kriegern alten Schlages gehöre, die sich Missionaren und deren Lehren widersetzten. Aus diesem Grunde meide man gewöhnlich den Kontakt mit ihm, da die Häuptlinge anderer Inseln dem Handel der Weißen mit eingeborenen »Vertragsarbeitern« viel aufgeschlossener gegenüberstünden.

Doch David ließ sich von der kriegerischen Haltung der Inselbewohner nicht abschrecken. Er wollte unbedingt Menschen beobachten und kennen lernen, von denen er annahm, dass sie noch viele der althergebrachten Bräuche pflegten. Dem stillen jungen Gelehrten war es weit wichtiger, neues Wissen zu sammeln, als für das ohnehin schon beachtliche Imperium seiner Familie weitere Reichtümer zusammenzutragen.

Während er über das Deck zu Kapitän Mort ging, kam es ihm vor, als husche ein kaum wahrnehmbares Lächeln über dessen harte Züge. Es reichte aber nicht bis zu seinen blassblauen Augen, in denen animalischer Wahnsinn zu lodern schien.

Kapitän Mort war kein glücklicher Mensch. Auch wenn Jack Horton, sein Erster Steuermann, die Osprey auf einen Kurs gebracht hatte, der dafür sorgen würde, dass die Bark die Lagune erreichte, wo sie im Schutz des Korallenriffs vor den heranrollenden Brechern des Pazifiks sicher wäre, war Mort doch fest davon überzeugt, niemand außer ihm wäre in der Lage, das Schiff gefahrlos vor Anker zu bringen. Er war Mitte dreißig, sah gut aus und erregte mit seinem grüblerischen und geheimnisvoll wirkenden Wesen die Aufmerksamkeit so mancher jungen Dame. Diese Anziehungskraft wurde durch Gerüchte über seine bewegte und möglicherweise gewalttätige Vergangenheit noch verstärkt.

Voll Groll sah er David auf sich zukommen. Die Anwesenheit eines Mitglieds der Unternehmensleitung an Bord war ihm ein Dorn im Auge. Er fürchtete, der junge Macintosh könne ihm das Kommando über die Osprey entziehen, sobald sein Wissensdrang gestillt war – vermutlich dann, wenn die Bark wieder in Brisbane eingelaufen war. Nun ja, überlegte er, einen Dorn konnte man schließlich entfernen.

Mort misstraute allen und jedem. Er wusste, dass Lady Enids Sohn erhebliche Vorbehalte gegen den Sklavenhandel hatte. Schon oft hatte David geäußert, er werde diesen Unternehmenszweig der Familie einstellen, sofern dadurch ein Makel auf den Namen Macintosh falle.

Das Jahr 1868 hatte sich für Mort schlecht angelassen. In Sydney hatte es Ärger mit dem verdammten presbyterianischen Missionar John Macalister gegeben, der unter Aufbietung all seines Einflusses versucht hatte, den Kapitän wegen Mordes vor Gericht zu bringen. Nur außergewöhnliches Glück bewahrte Mort vor dem Galgen.

Außerdem war durch die Konkurrenz zahlreicher anderer Schiffe, die ebenfalls Eingeborene nach Australien schafften, die Zahl der von ihm vermittelten Arbeitskräfte deutlich zurückgegangen. Angesichts dieser Schwierigkeiten hatte er sich entschieden, auch Inseln anzulaufen, die von den Sklavenhändlern gewöhnlich gemieden wurden. Nicht nur kannten die Eingeborenen dort ihre Rechte weniger gut, er hatte auch gehört, Häuptling Tiwi sei gegen gewisse Gegenleistungen zu einer Zusammenarbeit bereit. Das dafür Nötige führte die Osprey in ihrem Laderaum mit sich: Musketen samt Pulver und Blei. Tiwi wollte auf den Nachbarinseln auf Kopfjagd und Frauenraub gehen, wobei ihn die technischen Hilfsmittel des weißen Mannes unterstützen sollten. Dieser wiederum brauchte Arbeitskräfte – ein einwandfreies Geschäft.

Sofern Mort in seinem wild bewegten Leben je ein Gefühl wie Liebe empfunden hatte, galt es dem Schiff, das er befehligte. Er hatte sich geschworen, niemand werde ihn je von der Osprey trennen, nicht einmal ihre Eigner. Eher würde er die Bark versenken, als sie an einen anderen Kapitän zu verlieren.

David Macintoshs Anwesenheit an Bord würde wohl nicht mehr von langer Dauer sein, überlegte er. Das verschlüsselte Telegramm, das ihm Granville White aus Sydney über Brisbane hatte zukommen lassen und in dem es für Nichteingeweihte um Schifffahrtswege und Schiffsladungen zu gehen schien, ermächtigte ihn, nach eigenem Gutdünken das Nötige zu unternehmen, damit die Bark unter seinem Kommando blieb. Es gab keinen Zweifel, dass White, David Macintoshs Vetter und zugleich sein Schwager, ebenso hart und rücksichtslos war wie Mort.

Als die Osprey kurz nach Mittag in die von Häuptling Tiwi beherrschten Gewässer einlief, stießen schmale Kanus vom Ufer ab. In den ausgehöhlten Baumstämmen mit Auslegern ruderten muskulöse Krieger der Bark entgegen, die in die geschützte Lagune hinter dem Korallenriff strebte.

Aufmerksam behielten der Kapitän und seine Männer die Besatzungen der Einbäume im Auge. Waffen waren an Deck griffbereit: Gewehre, Äxte, Handspaken und Landungshaken. Doch als die Einbäume näher kamen, zeigte sich, dass die Ruderer unbewaffnet waren.

Sie umkreisten die Osprey, deren Segel eingeholt und belegt wurden, während die Anker rasselnd in das ruhige und klare Wasser der Lagune glitten. Mort achtete darauf, dass das Dorf in Reichweite seines Heckgeschützes lag. Als Besatzungsmitglieder billigen Tand ins Wasser warfen, sprangen einige der braunhäutigen Insulaner hinterher, um die Gegenstände heraufzuholen. Andere Männer an Bord der Osprey versuchten, sich mit den Eingeborenen zu verständigen.

Da von diesen keine unmittelbare Bedrohung auszugehen schien, wies Mort den Ersten Steuermann an: »Sorgen Sie dafür, dass sich der Landungstrupp bereit macht, Mister Horton.«

»Kommt Mister Macintosh mit an Land, Käpt'n?«, erkundigte sich Horton mit breitem Grinsen.

»Ich denke, er wird darauf bestehen. Wir haben keine Handhabe, das zu verhindern. Immerhin gehört er der Unternehmensleitung an und kann tun und lassen, was er für richtig hält. Allerdings habe ich ihn mehrfach vor der Heimtücke dieser Leute gewarnt«, gab Mort mit dem Anflug eines Lächelns zurück.

Horton nickte und spie ins klare Wasser der Lagune. Er hatte für den feinen Pinkel nicht das Geringste übrig. Solche Leute waren ihm aus tiefster Seele verhasst. Falls die Inselbewohner tückisch wurden, würde das dem Mistkerl nur recht geschehen.

Mort und seine Männer nahmen Gewehre mit, David hingegen lehnte die ihm angebotene Waffe ab. Zwar hatte Mort auch den Infanteriedegen umgeschnallt, den er fast immer bei sich trug, doch es war kaum wahrscheinlich, dass ihnen der alte Tiwi feindselig begegnen würde. Dem lag mehr an den Musketen, die sie ihm brachten, als an einer unerfreulichen Begegnung mit den Sklavenhändlern.

Die Menschen am Ufer machten sich eilends auf ins Dorf, um ihrem Häuptling die Ankunft des Schiffes mitzuteilen. Anfangs nahm dieser an, der lästige schottische Missionar John Macalister, der mit seiner ebenso lästigen Frau auf der Insel lebte, solle abgeholt werden. Er duldete den eifernden Presbyterianer, dessen Kampf dem altüberkommenen Erdrosseln von Witwen und dem Genuss des berauschenden kawa galt, lediglich deshalb, weil dieser bei seiner Ankunft Wolldecken als Geschenk mitgebracht hatte. Inzwischen hatte Tiwi zudem den Mut des Missionars achten gelernt. Doch diese Entscheidung galt nicht für alle Zeiten, und so hing Macalisters Leben ständig an einem seidenen Faden.

Kaum liefen die Beiboote auf den bleichen Korallensand des Inselstrandes, als sich eine Gruppe halb nackter Männer, Frauen und Kinder aufgeregt schwatzend um die Fremden drängte. Vorsichtshalber hatte Mort den Ersten Steuermann mit einigen Männern an Bord zurückgelassen, damit sichergestellt war, dass sich das mit Schrapnellen geladene Heckgeschütz ständig auf das Dorf richtete. Die Besatzungen der Auslegerboote, denen solche Kanonen und deren verheerende Wirkung von früheren Besuchen ähnlicher Schiffe bekannt waren, hatten ihrem Häuptling Mitteilung davon gemacht, so dass diesem klar war, welche Gefahr den Hütten des Dorfes drohte.

Er kam zur Begrüßung der Weißen an den Strand. Auch der Missionar John Macalister war da, doch sah David ihn erst, als er sich durch die Menge der schönen, bis zu den Hüften hinab unbekleideten Männer und Frauen drängte.

»Am besten kehren Sie gleich zu Ihrem Mörderschiff zurück«, sagte der streitbare Schotte und baute sich vor Mort auf. »Wir brauchen hier keinen Unflat wie Sie und ihresgleichen.« Obwohl der Kapitän ihn um Haupteslänge überragte, wirkte der Missionar nicht im Geringsten eingeschüchtert. Hinter ihm stand mit geradezu königlicher Würde der wohlbeleibte Häuptling Tiwi.

»Offensichtlich wissen Sie, wer ich bin, Sir«, sagte Mort mit frostiger Stimme zu dem Missionar, der dicht vor ihm stand. »Ich aber hatte noch nicht das Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Ich heiße John Macalister, Kapitän Mort, und es überrascht mich, dass Sie mich noch nicht kennen«, gab er entrüstet zurück. Dabei zitterte er wie ein beutehungriger Terrier. »Fast wären wir einander in Sydney begegnet, aber es sieht so aus, als wäre Ihnen das Schicksal günstig gestimmt gewesen.«

»Sie also sind der Mann, der mich am Galgen sehen wollte«, höhnte Mort. »Ich empfehle Ihnen dringend, beiseite zu treten, damit ich meiner Aufgabe nachgehen kann. Sie entspricht ebenso den Gesetzen wie Ihr Treiben hier. Was ich mitbringe, nützt Häuptling Tiwi mit Sicherheit mehr als die frömmlerischen Bibelworte, die Sie den armen Niggern hier um die Ohren hauen.«

Es war deutlich zu sehen, dass der beharrliche Schotte nicht im Traum daran dachte, dem Sklavenhändler den Weg freizugeben und ihn auch nur einen Schritt weiter ans Ufer treten zu lassen. Er war aufs Äußerste gereizt und schien förmlich danach zu gieren, den Kampf aufzunehmen. Wenn er als Blutzeuge seines Glaubens sterben sollte, war das Gottes Wille.

David war der Ansicht, der Missionar sollte Mort besser seinen Geschäften nachgehen lassen, wenn er nicht den Kürzeren ziehen wollte. Auch wenn er den Schneid des kleinen Schotten bewunderte, war ihm klar, dass die Nachricht von einem Zusammenstoß mit dem Missionar bis nach Sydney dringen würde. Um jedes weitere Aufsehen im Zusammenhang mit dem Schiff der Familie Macintosh zu vermeiden, trat er mit den Worten: »Sir, ich bin David Macintosh, einer der Eigner der Osprey«, zwischen Mort und den Inselmissionar. Er streckte ihm die Hand hin. »Können wir beide nicht miteinander reden?«

Schnaubend wandte sich John Macalister David zu. Vor sich sah er einen jungen Mann mit offenem und ehrlichem Gesichtsausdruck. »Ihnen möchte ich lieber nicht die Hand schütteln, Mister Macintosh. Zwar kommt es mir vor, als könnten Sie trotz Ihrer Verbindung zu dieser Satansfratze ein Ehrenmann sein«, gab er zur Antwort, »aber ich würde Ihnen, falls wir miteinander redeten, trotzdem sagen, dass Sie mitsamt Ihrem Kapitän zu Ihrem verfluchten Schiff zurückkehren und auf der Stelle wieder davonsegeln sollten.«

David ließ die Hand sinken.

Recht belustigt beobachtete Häuptling Tiwi das Aufeinandertreffen der Weißen. Doch vor allem wollte er wissen, was der Kapitän für ihn mitgebracht hatte, und wandte sich deshalb an den Missionar. Auch wenn David die Sprache nicht verstand, so merkte er doch, dass die Unterhaltung ziemlich hitzig wurde, und einen schrecklichen Augenblick lang fürchtete er um das Leben des Missionars. Da Macalister aber dem alten Inselhäuptling, wenn auch nur zögernd, zuzustimmen schien, entspannte sich die Lage.

Ohne auf Tiwi zu achten, der ihn zornig anfunkelte, wandte sich Macalister an David. »Es sieht ganz so aus, Mister Macintosh, als bekämen Sie und ich doch Gelegenheit, miteinander zu reden. Häuptling Tiwi möchte, dass ich mich entferne, während er mit Ihrem gottlosen Kapitän über dessen Vorhaben, Arbeitskräfte anzuwerben, verhandelt«, erklärte er in beinahe höflichem Ton. »Er behauptet, er wolle sich anhören, was Mort zu sagen hat, und ihn dann fortschicken. Aber wie üblich lügt der alte Satansbraten. Da mir klar ist, dass er ein Tauschgeschäft abschließen will, habe ich ihm mitgeteilt: ›Keiner deiner Leute verlässt die Insel, es sei denn über meine Leiche.‹ Daraufhin hat er gesagt, das ließe sich einrichten.«

»Mister Macalister, als Angehöriger des Hauses Macintosh gebe ich Ihnen mein Wort, dass ich Ihren Wunsch achten werde«, antwortete David respektvoll. »Ich denke nicht daran, zuzulassen, dass man die großartige Arbeit zunichte macht, die Sie hier leisten, indem Sie diesen armen Menschen Gott nahe bringen. Was mich betrifft, so liegt mir ausschließlich daran, ihre Bräuche kennen zu lernen, und ich würde mich glücklich schätzen, wenn es mir möglich wäre, ihre Lebensweise zu beobachten. Ich werde Kapitän Mort anweisen, lediglich frischen Proviant für die Osprey einzutauschen.«

David rief Mort zu sich, der das Ausladen einer Kiste aus einem der Boote überwachte. »Kapitän Mort, ich habe mein Wort gegeben, dass wir lediglich frische Nahrungsmittel eintauschen werden und sonst nichts«, sagte er. »Es dürfte das Beste sein, wenn wir anschließend fortsegeln und auf anderen Inseln Arbeitskräfte anwerben.«

»Mister Macintosh, die Reise hierher hat viel Geld und Zeit gekostet«, knurrte Mort. »Bei aller Achtung Ihrer Stellung gegenüber halte ich es für meine Pflicht, Sie darauf hinzuweisen, dass ich Anweisungen Mister Whites befolge. Was wir hier tun, wird vom Gesetz gedeckt, wir brauchen uns also nicht nach den Launen eines verdammten Missionars zu richten. Schon gar nicht eines solchen, der kein anderes Ziel verfolgt, als mich an den Galgen zu bringen.«

»In Anbetracht meiner Position im Unternehmen werden Sie tun, was ich sage, Kapitän«, gab ihm David fest zur Antwort, »oder ich werde dafür sorgen, dass Sie die Folgen zu spüren bekommen.«

Die beiden Männer standen einander Auge in Auge gegenüber.

Mort bemühte sich, seine Wut zu unterdrücken, und einen Augenblick lang hatte David Bedenken, ob es klug war, ihm die Stirn zu bieten. Ihn überkam ein Gefühl der Ohnmacht bei der Erkenntnis, wie weit er von zu Hause entfernt war. Seine Position gründete auf den Spielregeln der Zivilisation, und die waren auf einer einsamen Pazifikinsel nicht viel wert. »Falls das, was Sie sagen, Ihrer Überzeugung entspricht, Mister Macintosh«, sagte Mort ruhig, »werde ich mit dem Häuptling über frische Nahrungsmittel verhandeln.« Er wandte sich um und kehrte zu den Booten zurück, um das Ausladen weiterer Kisten zu überwachen.

David fühlte sich unbehaglich. Mort hatte zu rasch klein beigegeben.

Macalister runzelte die Stirn. Er begriff, dass zwischen dem jungen Eigner der Osprey und ihrem Kapitän nicht alles zum Besten stand. »Mister Macintosh, ich denke, wir sollten uns bei einer Tasse Tee und etwas frischem Gebäck unterhalten«, sagte er munter.

Mit dieser gastlichen Einladung hatte David nicht gerechnet.

»Meine Frau hat gerade gebacken, als Ihre Boote an Land kamen«, fuhr der Missionar in gelassenem Ton fort. »Sie ist eine gute Christin und eine begnadete Köchin.«

Während die beiden den Strand entlanggingen, machte sich Macalister Gedanken über David Macintoshs Worte und kam zu dem. Ergebnis, dass es dem jungen Mann ernst damit war. Es erschien ihm sonderbar, dass er dem Eigner eines Sklavenhandelsschiffes beinahe freundschaftliche Gefühle entgegenbrachte.

Anne Macalister, die noch kleiner war als ihr Mann, zeigte sich ein wenig verwirrt angesichts des gut aussehenden jungen Mannes, der da so unerwartet in ihre Hütte trat. Auf den ersten Blick erkannte David, dass die auf den pazifischen Inseln verbrachten Jahre ihrer Gesundheit zugesetzt hatten. Doch obwohl Mrs. Macalister, die er auf knapp vierzig schätzte, am schleichenden Fieber litt, war sie guter Dinge und klagte nicht. Dabei musste ihr das am Hals geschlossene und bis zu den Knöcheln reichende Kleid in der tropischen Hitze ziemlich lästig sein. Offenbar stand ihre stille Entschlossenheit der des Missionars in nichts nach.

»Ich muss für das Teegebäck um Entschuldigung bitten, Mister Macintosh«, sagte sie und wischte sich etwas Mehl von der Wange. »Gewöhnlich leben wir auf Aneityum, und ich komme mit diesem Herd noch nicht besonders gut zurecht.«

David beeilte sich, das Gebäck in den höchsten Tönen zu loben. Er fand es nicht nur köstlich, es war auch eine hoch willkommene Abwechslung nach der eintönigen Kost an Bord der Osprey. Oft hatte er bedauert, entgegen dem Rat seiner Mutter keine eigenen Vorräte mitgenommen zu haben. Sein Bestreben, an Bord des Schiffes das gleiche Leben führen zu wollen wie die Besatzung, erschien ihm jetzt töricht.

John Macalister goss den dampfend heißen Tee in Becher und setzte sich mit David vor der Hütte auf ein glattes, ausgebleichtes Stück Treibholz. Es sah aus wie der Geist eines vor langer Zeit gestorbenen Baumes.

»Ihnen dürfte bekannt sein, dass Schiffe wie das Ihre den Inseln den Tod bringen, Mister Macintosh«, sagte Macalister ohne lange Vorrede. »Wahrscheinlich ist Ihr Kapitän gerade dabei, Musketen gegen Arbeitskräfte einzutauschen. Ich hoffe nur, Sie können dazwischentreten und ihm den Handel untersagen.«

»Ich habe Ihnen mein Wort gegeben, dass ich keinen Bewohner dieser Insel mitnehmen werde«, gab David zur Antwort. »Und daran halte ich mich.«

Sicher irrte der Missionar, überlegte David treuherzig. Nie und nimmer würde Mort wagen, etwas zu tun, was seinem Arbeitgeber eine Handhabe lieferte, ihm das Kommando über die Osprey zu entziehen.

Ein Ausdruck von Ungläubigkeit trat auf das Gesicht des Missionars. Er zweifelte nicht an Davids Redlichkeit – wohl aber daran, dass dieser den Kapitän richtig einschätzte. »Tiwi will auf den anderen Inseln Kopfjägerei betreiben«, sagte er ruhig und sah auf die See hinaus. »Seiner heidnischen Vorstellung nach braucht er die Köpfe seiner Feinde, um den Zorn seiner Götter zu besänftigen. Er und sein Stamm sind Kinder des Satans. Es ist Missus Macalisters und meine Pflicht, sie auf den Weg der Erleuchtung zu führen.«

»Es ist wirklich verdienstvoll von Ihnen, diesen armen Menschen Gottes Wort zu bringen. Aber halten Sie das nicht auch für einen störenden Eingriff in eine Lebensform, die viele Jahre ohne das Christentum überdauert hat?«, fragte David höflich.

»Gewiss, sie hat überdauert, aber auf einem Tummelplatz des Satans. Sir, ich könnte Ihnen Dinge über diese Menschen berichten, die Sie in vornehmer Gesellschaft nie und nimmer erwähnen dürften, ohne in guten Christen die peinlichsten Empfindungen hervorzurufen. Sie ...«

Der Anblick eines jungen Inselbewohners, der über den Strand eilte, lenkte ihn ab. »Ah? Wie es aussieht, hat mir Josiah etwas mitzuteilen.«

Offensichtlich gehörte der gut aussehende junge Mann, der sich der Hütte näherte, zu den von Macalister Bekehrten, denn er trug europäische Kleidung. »Mister Macintosh, das ist Josiah«, stellte ihn der Missionar vor. Der Insulaner lächelte mit weiß blitzenden Zähnen. In seiner Stimme lag ein Anflug von Stolz. »Er kommt von Aneityum und hilft uns, unter Tiwis Leuten das Wort Gottes zu verbreiten.«

Mit schüchternem Lächeln hielt der Eingeborene, der etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein mochte, David die Hand hin. Sein Händedruck war fest, und er sah dem Besucher offen in die Augen. »Mister Macintosh hat versprochen, dass sein Schiff unsere Insel ohne Arbeitskräfte verlässt«, sagte Macalister zu Josiah. »Und auch, dass Tiwi von ihm keine Musketen bekommt.«

Josiahs Lächeln erstarb. Er beugte sich vor und flüsterte Macalister etwas ins Ohr. Dieser erbleichte und sprang auf, wobei er seinen Tee verschüttete. »Mister Macintosh, leider hatte ich Recht«, knurrte er. »Kapitän Mort hat soeben neun Musketen übergeben, doch weiß Josiah nicht, was er dafür bekommen hat. Auf keinen Fall sind es Arbeitskräfte, wie ich vermutet hätte. Ich denke, Sie und ich sollten unverzüglich zu Ihrem Kapitän zurückkehren und mit ihm sprechen.«

David folgte Macalister mit raschen Schritten über den Strand, blieb aber unvermittelt stehen, als er sah, dass die Beiboote der Osprey vom Ufer abgelegt hatten und zum Schiff ruderten. Mort stand im Heck des letzten von ihnen und winkte mit höhnischem Lächeln herüber.

In diesem Augenblick begriff David, dass er weder Mort noch seine Verwandten oder Freunde je wieder sehen würde. Lähmendes Entsetzen durchfuhr ihn. Mit der Klarheit, welche die Gewissheit des unmittelbar bevorstehenden Todes mit sich bringt, ging ihm auf, dass hinter dem Mordkomplott des Kapitäns höchstwahrscheinlich sein tückischer Vetter und Schwager Granville White stand. Dieser würde mit Davids Tod der alleinigen Verfügung über das ungeheure Vermögen der Familie Macintosh einen Schritt näher kommen. Voll Bitterkeit dachte David daran, wie er über die Vorahnung seiner Mutter, die sein Leben in Gefahr sah, gelacht hatte. Ihm hätte klar sein müssen, dass der Kapitän durchaus zu einem Mord fähig war. Seiner Mutter war das offensichtlich bewusst gewesen.

Er wandte sich zu Macalister um, doch der stapfte bereits voll finsterer Entschlossenheit auf Häuptling Tiwi zu. Bevor David einen Warnruf ausstoßen konnte, sah er voll Entsetzen, wie Tiwi eine der soeben erworbenen Musketen hob und auf den Missionar anlegte. Auf den Blitz, mit dem das Pulver auf der Pfanne entzündet wurde, folgte ein lauter Knall. Als die schwere Bleikugel Macalisters Kiefer traf, splitterte der Knochen hörbar. Noch während er die Hände emporriss, stürzten sich Tiwis Krieger mit einem Geschrei auf ihn, das David das Blut in den Adern erstarren ließ. Wahllos schlugen sie mit Steinäxten und Kriegskeulen auf den Missionar ein, der wie zum Gebet auf die Knie stürzte, während sein Blut den weißen Korallensand dunkelrot färbte.

Ohne den geringsten Versuch zu machen, die Hiebe abzuwehren, die auf ihn niederhagelten, betete Macalister für die Seelen seiner Angreifer, bis eine steinerne Kriegskeule dem Leben des tapferen presbyterianischen Missionars ein Ende setzte und sein Körper entseelt zu Boden sank.

Die lärmenden Krieger wandten sich Josiah zu. Zwar versuchte er zu fliehen, doch noch während er ins Wasser der Lagune watete, fielen sie über ihn her. Sein Flehen um Gnade ging unter im wilden Geschrei der Krieger, die von den Frauen am Strand angefeuert wurden.

Wie gelähmt sah David auf die Lagune hinaus. Die Beiboote hatten die Osprey fast erreicht. Wütend stieß er hervor: »Verdammter Schweinehund! Sie und mein Vetter werden in der Hölle schmoren.« Das aber konnte Mort wohl kaum hören, und alles, was die sanfte Brise zu ihm herübertrug, war ein klägliches, leises Seufzen, das vom Knarren der Riemen in den Dollen und deren Eintauchen ins Wasser übertönt wurde.

Das Gemetzel am Strand erfüllte Mort mit tiefer Befriedigung. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Macintosh dasselbe Geschick ereilte wie dem verdammten Missionar. Er kann von Glück sagen, wenn er einen schnellen Tod hat, ging es ihm durch den Kopf. Man munkelte, es bereite Tiwi Freude, seine Opfer zu foltern. Bei Macalisters Frau würde er da bestimmt auf seine Kosten kommen! Wie schade, ging es Mort durch den Kopf, dass er die Qualen nicht mit ansehen konnte, die sie mit größter Wahrscheinlichkeit erleiden würde.

Während die Eingeborenen nicht weit von ihm wie in Trance immer wieder auf Josiahs Leichnam einschlugen, der im seichten Wasser in Ufernähe lag, stand David einen Augenblick lang allein am Strand und hielt verzweifelt Ausschau nach einem brauchbaren Versteck. Ihm wurde immer deutlicher, dass er nichts würde tun können, doch folgte er trotzdem seinem Impuls zu fliehen.

Kaum hatte er sich umgewandt, spürte er einen sengenden Schmerz. Eine Pfeilspitze war ihm tief in den Oberschenkel gedrungen, und er stürzte mit einem Aufschrei zu Boden. Auf Hände und Knie gestützt versuchte er wieder auf die Füße zu kommen, doch das Bein gehorchte ihm nicht. Weitere Pfeilspitzen durchdrangen seine Haut am ganzen Leib, wie Feuer breitete sich der Schmerz in ihm aus. Es war wie eine Erlösung, als ein Pfeil, der ihm durch die Kehle drang, seine Halsschlagader aufriss. In dickem Strahl spritzte sein Blut auf den weißen Sand. Unmittelbar bevor ihn die Dunkelheit umschloss, trat ihm die undeutliche Erscheinung eines Rächers vor Augen, Bilder eines weißen Kriegers, der einen Speer wurfbereit hoch über den Kopf hob.

David, der einzige männliche Erbe des Vermögens der Familie Macintosh, starb vor den Augen der Besatzung der Osprey. Beim Anblick des Gemetzels am Ufer ließ der Erste Steuermann die Anker aufholen, ohne den Befehl des Kapitäns abzuwarten, damit die Osprey die Lagune möglichst rasch verlassen konnte. Als Mort vom Beiboot aus den Fuß auf die Jakobsleiter setzte, trat Horton an die Reling und schrie nach unten: »Was zum Teufel ist da passiert?«

»Die Nigger hatten es sich in den Kopf gesetzt, uns anzugreifen«, schrie Mort zurück. »Geben Sie ihnen das Geschütz zu schmecken.«

Horton schob den eingeborenen Schützen beiseite und richtete die Heck-Kanone aus. Das war nicht schwierig, denn die Bark lag fast reglos im ruhigen Wasser der Lagune. Kurz nachdem der Erste Steuermann mit wildem Lächeln ein Zündholz an die Lunte gehalten hatte, spie das Geschütz Tod und Verderben. Der Geschosshagel mähte Tiwis Leute am Strand nieder, als fielen sie unter der Sense eines Schnitters.

Während sich die Verwundeten unter Schreien des Schmerzes und Entsetzens auf allen Vieren in Sicherheit zu bringen suchten, flohen die anderen in den Dschungel. Unter ihnen befand sich auch Häuptling Tiwi, der sich wütend und verwirrt fragte, wieso der Sklavenhändler sein Dorf beschossen hatte. Hatten sie nicht vereinbart, er solle im Austausch gegen die Gewehre jenen weißen Mann töten lassen?

Wilde Flüche gegen alle Weißen ausstoßend und vor ohnmächtiger Wut bebend, musste er mit ansehen, wie seine am Strand liegenden Kanus von der Osprey aus in Stücke geschossen wurden. Damit war jeder Versuch im Ansatz vereitelt, Vergeltung an dem Schiff zu üben, das sie hochmütig von der Lagune aus mit seiner zerstörerischen Macht verspottete.

Die über und über mit Blut bedeckten verstümmelten Leichen David Macintoshs und John Macalisters lagen am Strand inmitten der verwundeten Inselbewohner, die sich vor Schmerzen wanden und um Hilfe schrien.

Jetzt ließ Horton das Geschütz zum dritten Mal laden und richtete es auf die Hütten des Dorfes. Er wollte nicht unbedingt großen Schaden anrichten, sondern lediglich die Macht der Weißen demonstrieren, und ließ daher keine Explosivmunition verwenden. Mühelos durchdrang die Ladung Schrapnells die aus Bastmatten bestehenden Wände der Palmhütten. Zufrieden mit dem angerichteten Schaden gab Mort seine Befehle. Die Osprey setzte Segel und strebte dem offenen Meer entgegen.

Häuptling Tiwi hatte keine Gelegenheit, seine Wut an Anne Macalister auszutoben, der einzigen überlebenden Weißen auf der Insel. Sie war dem letzten Hagel aus tödlichen Bleigeschossen zum Opfer gefallen.

Mort sah zu, wie die Insel hinter dem Horizont versank. Horton, der neben ihm an der Reling stand, begriff nicht, auf welche Weise sich die Ereignisse mit so großer Geschwindigkeit entwickelt hatten. Obwohl sich die Erklärung des Kapitäns nicht mit dem deckte, was er vom Deck aus beobachtet hatte, war kaum anzunehmen, dass er mehr darüber erfuhr. Jetzt fürchtete er Mort mehr denn je, denn dieser Mann war mit Abstand der gewissenloseste Mörder, dem er je begegnet war – noch gefährlicher als er selbst, wie er sich widerwillig eingestehen musste.

»Es war entsetzlich, Mister Horton«, sagte Mort wie beiläufig, während sie beide zurückblickten auf die Insel, jetzt eine verwundete Schildkröte in der türkisfarbenen See. »Wie die Nigger über Mister Macintosh und den tapferen armen Missionar hergefallen sind! Es tut mir nur Leid, dass wir keine Möglichkeit hatten, die ganze feige Bande für den heimtückischen Mord an Mister Macintosh zu bestrafen. Aber immerhin konnten wir ihnen eine Lektion für ihren Verrat erteilen«, fügte er sardonisch hinzu.

»Das stimmt, Käpt'n«, gab Horton pflichtschuldigst zur Antwort. »Ich hoffe nur, das tröstet Mister Macintoshs Angehörige, wenn Sie den Vorfall in Sydney melden.«

Mort wandte sich seinem Ersten Steuermann zu. Diesen Mann würde er nicht aus dem Weg räumen müssen. Er hatte genug Angst, um den Mund zu halten. »Ich bin überzeugt, dass Sie alles genau so gesehen haben, wie ich es berichten werde, Mister Horton«, sagte er und hielt seine Furcht einflößenden blauen Augen unverwandt auf den Ersten Steuermann gerichtet.

»Absolut, Käpt'n«, gab Horton ohne zu zögern zurück. In den Augen, die ihn ansahen, lag der Wahnsinn, den er nur allzu gut kannte. »Absolut.«

Mit einem Lächeln verschränkte Mort die Hände hinter dem Rücken und sah zu, wie die Männer der Besatzung ihren Aufgaben nachgingen. Er hatte lediglich Mister Granville Whites Anweisungen befolgt, als er einen Angehörigen der Unternehmensleitung dem sicheren Tod ausgeliefert hatte. Doch er würde, ging es ihm durch den Kopf, noch viele andere Menschen töten müssen, um zu verhindern, dass man ihm das Kommando über seine geliebte Osprey nahm.

DIE RÜCKKEHR DES GEIST-KRIEGERS

1874

Kapitel 1

Noch ehe der unheimliche Klageruf des Brachvogels aus den Tiefen des Brigalow-Buschlandes ertönte, tauchte in der Stunde zwischen Tag und Abend ein hoch gewachsener breitschultriger Krieger auf, dem der lange Bart bis auf die Brust fiel.

Außer den Schmucknarben, die an die feierliche Aufnahme des Kriegers in den Stamm erinnerten, war auf der schwarzen Haut des Ureinwohners auch eine Verletzung durch die Kugel eines Weißen zu erkennen. Um den nackten Leib trug er lediglich einen aus Menschenhaar geflochtenen Gürtel, in dem zwei nullahs staken, die Kriegskeulen der Ureinwohner. Die tödlichen Spitzen der drei langen Speere, die er in der linken Hand trug, waren mit Widerhaken versehen, von denen weiße Siedler an der Grenze von Queensland seit Jahren wussten, dass sie Wallaries Kennzeichen waren.

Entschlossen schritt er über die Ebene, der untergehenden Sonne entgegen, die tief über dem Buschland stand. Niemand wusste, wie viele Generationen hindurch die Nerambura aus dem Volk der Darambal dort gelebt hatten, bevor der weiße Mann mit seinen Rinder- und Schafherden gekommen war, um ihre Welt auf alle Zeiten in Stücke zu schlagen.

Obwohl es im Schatten der gezackten Gipfel, die sich am Rande der ausgedörrten Ebene erhoben und die Wallaries Volk einst heilig gewesen waren, bereits kühl war, brannte die rote Erde unter den Fußsohlen des Kriegers. Hinter den nicht besonders hoch aufragenden Bergen erstreckte sich das Buschland bis zum Horizont und fand seine Fortsetzung in der ausgedehnten Wüste, die das verlassene und einsame Herz des alten Kontinents bildete.

Für Wallarie, den letzten reinblütigen Angehörigen des Nerambura-Stammes aus dem Volk der Darambal, war die Sonne nicht nur ein Geist, sondern bestimmte auch jeden Tag seiner stets gefährdeten Freiheit, auf der Flucht vor den weißen Männern, die ihn durch die ganze Kolonie Queensland jagten. Zwölf Mal hatte dieser Feuergeist eine Trockenzeit über das Land gelegt, seit Angehörige der berittenen Eingeborenenpolizei Wallaries Stamm niedergemetzelt hatten, auf Befehl des Teufels, von dem er inzwischen wusste, dass er Morrison Mort hieß. Seit jener Zeit zog der Krieger ruhelos durch das Land. Wohl befehligte der einstige Polizeioffizier Mort inzwischen als Kapitän ein Sklavenschiff, das sich im Besitz der Familie Macintosh befand, doch begleitete ihn das Böse überallhin, und nach wie vor fiel sein Schatten auf die Stelle, an der ein kleiner Trupp schwer bewaffneter Eingeborenenpolizisten eines Dezembermorgens im Jahre 1862 den friedlichen Stamm der Nerambura nahe ihren Wasserstellen überfallen und abgeschlachtet hatte. Der Befehl hatte gelautet, keiner dürfe verschont werden. Die wenigen, denen es gelungen war, vor den Mördern zu fliehen, waren inzwischen dahingegangen, und so war Wallarie der einzige Überlebende jenes blutigen Gemetzels. Niemand außer ihm erinnerte sich an das Grauen jenes Tages: an die Entsetzensschreie, die Frauen und Kinder ausgestoßen hatten, als Gewehrkugeln sie niedermähten, an das Übelkeit erregende Knirschen, mit dem Knochen unter dem Aufprall von Polizeistiefeln brachen, an das Schluchzen derer, die vergeblich um Gnade flehten. Diese Art brutalen Abschlachtens Wehrloser nannte die Polizei der Weißen Vertreibung.

Die Männer, die Jagd auf Wallarie machten, wussten, dass der Nerambura-Krieger einst mit dem berüchtigten irischen Buschklepper Tom Duffy geritten war, den die Kugeln der Eingeborenenpolizei schon vor langer Zeit ereilt hatten.

So stand Wallarie jetzt, ganz auf sich allein gestellt, dem geballten Zorn der britischen Justiz gegenüber. So lange wurde er schon gejagt, und so oft war er denen, die ihn jagten, immer wieder entkommen, dass die jüngeren Angehörigen der berittenen Eingeborenenpolizei allmählich an seiner Existenz zu zweifeln begannen und ihn für eine Fantasiegestalt hielten, mit der altgediente Kollegen ihre Berichte über vergangene Taten ausschmückten. Niemand wusste, wie er aussah, und keiner der Schwarzen, die im Busch lebten, sprach je seinen Namen aus, aus Furcht, Wallaries Geist käme in der Nacht über sie.

Er aber bestand durchaus aus Fleisch und Blut und spürte die Mattigkeit des Gehetzten. Nur noch eines hatte in seinem einsamen Leben Bedeutung: die Rückkehr an die heilige Stätte, die an den Hängen des alten Vulkankegels lag. Dort schlug auf alle Zeiten das eigentliche Herz seines Volkes. Eine gewaltige Felsplatte verbarg den Zugang zu der Höhle, welche die versteinerten Gebeine der aus uralten Vorzeiten stammenden riesigen Geschöpfe enthielt, die einst durch das Land gezogen waren: das Fleisch fressende Känguru und der trotz seiner geringen Größe gefährliche Beutellöwe. Wallarie hatte die Knochen gesehen und über die sonderbaren Geschöpfe gestaunt, die in der Traumzeit gelebt hatten.

An jener heiligen Stätte hatte sein Volk alles festgehalten, was mit seinem Leben und Sterben zusammenhing; Ereignisse, deren Zeuge es geworden war, und Unerklärbares, das sich bis zurück in die Ur-Traumzeit erstreckte. Auch das Auftreten der weißen Siedler und ihrer Hirten war von den Nerambura-Ältesten getreulich aufgezeichnet worden, bevor auch sie unter den Kugeln der Eindringlinge fielen, die das Land zerstörten.

Wallarie zögerte etwas, als er sich dem Berg näherte, denn er sah, wie ihn der böse Geist, der sich vom Tod ernährte, mit seinen Reptilaugen beobachtete. Doch die Krähe stieß angesichts des erschrockenen Kriegers lediglich träge einen herausfordernden Schrei aus, hüpfte hochmütig vom verwesenden Kadaver einer Kuh, schlug mit den schwarz-violett schillernden Flügeln und stieg zum sich verdunkelnden Himmel empor.

Der Krieger senkte den Speer und sandte der Krähe, die den sich in der untergehenden Sonne deutlich abzeichnenden Gebirgskämmen entgegenflog, eine leise Verwünschung nach. Das war kein Aufenthaltsort für die Nacht, denn in den Stunden der Dunkelheit durchstreiften die Geister der Toten rachsüchtig das Buschland. Zwar hatte Tom Duffy ihn davon zu überzeugen versucht, dass die Nacht in Wahrheit ihre Verbündete war, doch mied Wallarie die Stätten der Toten nach wie vor.

Selbst die europäischen Viehhirten auf dem Besitz Glen View hielten sich von diesen Bergen fern. Eine auf Urzeiten zurückgehende abergläubische Furcht, die sich in längst vergessenen Erinnerungen äußerte, gebot ihnen, den unheimlichen Ort zu meiden, an dem man vor sechs Jahren den Eigentümer von Glen View, Sir Donald Macintosh, von einem Speer durchbohrt aufgefunden hatte. Die eingeborenen Viehhirten flüsterten einander zu, dieser Speer habe sich aus dem Leichnam seines auf die gleiche Weise getöteten Sohnes gelöst und den zähen schottischen Siedler gefällt. Es sei der Zauberspeer des Geist-Kriegers Wallarie gewesen. Dieser streifte in der Nacht umher, um Rache an allen zu nehmen, die so töricht waren, die heilige Stätte des Volks der Nerambura zu bedrohen. Diese Geschichten nahmen ihren Weg in die Küche der Viehzuchtstation und gelangten auch den europäischen und chinesischen Arbeitskräften auf dem Besitz zu Ohren.

Hätte Wallarie gewusst, dass man ihn in die mystische Welt der Legende erhoben hatte, wäre wohl ein unsicheres Lächeln auf seine Lippen getreten, und Tom hätte so laut darüber gelacht, dass es von den uralten Bergen widergehallt hätte, durch die sie einst im fernen Burke's Land geritten waren. »Du verdammter schwarzer Schweinehund. Kein Mensch wird später mal wissen, wer Tom Duffy war, aber alte Weiber werden ihre Kinder mit der Drohung ins Bett scheuchen, dass Wallarie kommt und sie holt, wenn sie nicht brav sind. Noch lange, nachdem wir diese Welt verlassen haben, werden sich die Menschen an dich erinnern, aber nicht an mich.«

Und so würde es auch sein.

Tom Duffy war dahin, wie auch seine Frau Mondo aus dem Stamm der Nerambura, die ihm drei Kinder geboren hatte, ging es Wallarie durch den Kopf, während er weiter den uralten Bergen entgegenschritt, die er wegen des roten Staubs in der Luft, den seine Füße aufwirbelten, nur undeutlich sehen konnte.

Er wusste, dass Mondos und Toms Kinder bei dessen Schwester Kate O'Keefe lebten. Das zu wissen war seine Pflicht, denn in den Adern dieser Kinder floss das letzte Blut der Nerambura.

Zwischen jener Weißen, Kate O'Keefe, und dem Geist des weißen Kriegers aus der Höhle bestand eine geheimnisvolle Verbindung, von der Wallarie nicht wusste, wie sie beschaffen war. Vielleicht würden ihm die Geister der Höhle das mitteilen, wenn er vor dem Feuer hockte, das er in der Höhle zu entzünden gedachte. In der Nacht würde er die heiligen Lieder der Ältesten singen, deren sich nur noch er und die Beutelratten entsannen, die in den Bäumen oberhalb der Höhle lebten.

Am frühen Abend stieg Wallarie den alten Pfad empor. Oben angekommen fand er den Eingang zur Höhle wieder. Bevor er eintrat, verharrte er eine Weile und ließ den Blick über die Ebene schweifen, die im silbrigen Glanz des aufgehenden Vollmondes unter ihm lag. Inzwischen lebten auf diesem Land die von ihrem Arbeitgeber Macintosh mit Tabak, Mehl, Zucker und Tee entlohnten schwarzen Viehhirten so wie zuvor die Männer, die über die Herden der für dieses Land ungeeigneten Schafe gewacht hatten. Chinesische Gärtner pflegten die Gemüsegärten hinter dem aus Balken errichteten und mit Wellblech gedeckten Wohngebäude: lauter Hinweise darauf, dass der neue Verwalter des schottischen Siedlers das Land der Darambal dauerhaft mit Beschlag belegt hatte.

Wallarie zögerte. Es kam ihm vor, als liege das Buschland um ihn herum in erwartungsvoller Stille da. War er zu lange von seinem Land fort gewesen, hatte die heilige Stätte ihn womöglich vergessen? Er stimmte ein Lied an, mit dem er die Geister, die sie bewachten, um Erlaubnis bat, näher zu treten, holte tief Luft und überwand sich, in die Dunkelheit der heiligen Höhle einzudringen.

Furcht lähmte sein Herz, und seine Schläfenader pochte. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen. Mit der Abendbrise stieg ihm der Geruch nach Holzasche von längst erloschenen Feuern in die Nase sowie nach dem eingetrockneten Dung von Tieren, die an heißen Tagen nach wie vor die Kühle unter dem Überhang aufsuchten. Als er spürte, wie unter seinen Füßen Knochen zerbrachen, wich er erschrocken zurück. Seine Nerven waren aufs Äußerste gespannt, und er erwartete jeden Augenblick, ein böser Geist werde ihm in den Weg treten. Doch nichts geschah. Wallarie blieb reglos stehen, bis er sein Herz wieder schlagen spürte und er sicher war, dass er sich nach wie vor in der einsamen Welt der Lebenden befand. Er ging tiefer in die Höhle hinein, bis sein Fuß schließlich an trockene Holzstücke stieß.

Aus seinem Gürtel holte er die einzige Erfindung des weißen Mannes hervor, die er bei sich trug – eine kleine Schachtel mit Wachs-Zündhölzern. In der tintenschwarzen Finsternis löste er schmale Streifen von einem der herumliegenden Holzstücke, die trocken wie Zunder waren, und schichtete sie aufeinander. Das Zündholz flammte auf, das Holz fing Feuer.

Er wandte den Blick von den Schatten ab, die über die Wände huschten. Nur in der Sicherheit des hellen Lichtscheins würde er es wagen, die heiligen Bilder seines Volkes zu betrachten.

Flammen tanzten und Feuergeister verschlangen gierig den Geist des Holzes. Der sich ausbreitende Kranz der Glut erhellte das Innere der Höhle, während Wallarie mit gekreuzten Beinen vor der Wand an ihrem hinteren Ende saß.

Da! Da waren sie!

Im Feuerschein gewannen die alten Bilder Leben und fanden sich im Reigen der Feuergeister zusammen. Mystische alte Figuren vermengten sich mit den Umrissen dürrer Krieger, die das Riesenkänguru jagten. Wie immer befand sich unter ihnen der geheimnisvolle weiße Krieger, der mit seinem erhobenen Speer ein Ziel suchte. Ein ockerfarbenes Panorama beschrieb alles, was Wallaries Volk wichtig war – Erde, Gestein, Wasserstellen und die Bäume in den mit Brigalow-Buschland bestandenen und sich weithin ausdehnenden Ebenen im Herzen von Queensland.

Wallarie spürte, wie ihn eine heilige Scheu ergriff. Im Feuerschein, der bis zur Decke reichte, wurden die verstreuten Gebeine des alten Kriegers Kondola sichtbar, der den Geistern als Letzter die heiligen Lieder gesungen hatte. Die Beutelratten berichteten, er sei in Gestalt eines Keilschwanzadlers zur Höhle geflogen, um den weißen Hirten zu entgehen, die ihn vor langer Zeit gejagt hatten.

Der Krieger sah nicht auf die verstreuten Gebeine, fürchtete er doch, Kondolas Geist könne sich für die Störung seiner Totenruhe rächen. Stattdessen begann er, seine beiden Hartholzkeulen gegeneinander schlagend, die Lieder seines Volkes zu singen. Es hallte unheimlich, und schon bald hörte er die Stimmen, die ihm aus den Winkeln der Höhle zuflüsterten.

Seine Angst vor der Ehrfurcht gebietenden Macht der heiligen Stätte war geschwunden. Er spürte nur noch eine unergründliche Trauer um alles, was sein Stamm verloren hatte: das Lachen der Kinder, die munteren Stimmen der alten Leute, die unter dem kühlen Schattendach des Bumbil-Baums miteinander stritten, und das leise Murmeln zufriedener Menschen, die abends mit vollem Magen munter palavernd um das Lagerfeuer saßen und sich unter fröhlichem Lachen an die Ereignisse des Tages erinnerten. Die Asche dieser Feuer hatte das Vieh auf der Suche nach dem Leben spendenden Wasser des nahen Flüsschens längst mit seinen Hufen in alle Winde zerstreut.

Aus der Ferne kam der klagende Ruf des Brachvogels herüber, doch Wallarie hörte ihn nicht. Ihn umhüllte eine Welt jenseits der Traumzeit, in der er Dinge sah, die er nicht vollständig begriff. Sonderbare Dinge, von denen er ahnte, dass sie mit den künftigen Erinnerungen seines Volkes zusammenhingen. Er sang, bis ihn die Kraft verließ, dann rollte er sich auf dem Boden der Höhle zusammen und fiel in einen tiefen Schlaf.

Die Feuergeister sanken in sich zusammen, als sie die Geister des brennenden Holzes verschlungen hatten, und Traumbilder zuckten durch den unruhigen Schlaf des Kriegers, bis das erste Morgenlicht auf die Flanke des Berges fiel.

Wallarie erwachte, stand auf und nahm seine Speere in die Hand. Das Flüstern in der Dunkelheit hatte ihm gesagt, dass sein einsamer Zug noch nicht vorüber sei und er die heilige Stätte verlassen und wieder nach Norden ziehen müsse, in das Land der wilden Krieger des Regenwaldes und der von Eukalyptusbäumen bestandenen Ebenen am Palmer-Fluss. Die Geister der Vorfahren hatten ihm einen heiligen Auftrag erteilt: Er sollte den Aufenthaltsort des letzten lebenden Blutsverwandten seines Volkes ausfindig machen und ihn vor den Gefahren der Zukunft warnen. Wallarie kannte seinen Namen. Es war Peter Duffy, Toms und Mondos Sohn.

Auch hatten ihm die Geister mitgeteilt, dass der Geist des weißen Kriegers unruhig sei. Er sei aufgewacht und habe sich auf die Suche nach dem blauäugigen Teufel Morrison Mort gemacht, um Rache an dem Mann zu nehmen, der für die entsetzliche Vertreibung von Wallaries Stamm verantwortlich war.

Kapitel 2

Anmutig hob und senkte sich der Bug des amerikanischen Klippers Boston, der von der Insel Samoa kam. Unter Vollzeug glitt das Segelschiff zwischen den beiden mit Buschwerk bedeckten Landzungen hindurch, die den Zugang zum Hafen von Sydney bildeten, einem der herrlichsten Naturhäfen der Welt. Kaum lagen die gezackten Sandsteinklippen hinter der Boston, als der Kapitän nach Backbord steuern und Kurs auf das Südufer nehmen ließ, wo geschäftiges Treiben herrschte.

Da sie rasche Fahrt gemacht hatten, war der Kapitän bester Stimmung, winkte ihm doch dafür eine Prämie.

Er hatte nur wenige Passagiere an Bord. Einer von ihnen stand allein an der Backbordreling und nahm die Schönheit des Hafens in sich auf, während das Schiff an den winzigen Buchten mit ihren Sandstränden vorüberglitt. Dieser zur Fülle neigende mittelgroße Mann mit schütterem Haar, der den nicht besonders bemerkenswerten Namen Horace Brown trug und in einer Menschenmenge nicht weiter auffiel, war ziemlich plötzlich von Samoa aufgebrochen. Seine Mitreisenden kannten ihn als einen der »verlorenen Söhne«. Mit diesem Sammelbegriff bezeichnete man allgemein die nicht unbeträchtliche Zahl von Briten, die durch die Kolonien im Pazifik zogen und sich bemühten, ihr Leben mit dem Geld zu fristen, das ihnen ihre meist recht wohlhabenden Familien zukommen ließen. Es waren Familien, die es sich nicht leisten konnten, einen Sohn in ihrer Nähe zu dulden, dessen Name mit einem Skandal verbunden war.

Horace ging auf die Fünfzig zu und trauerte inzwischen nicht nur um seine längst verlorene Jugend, sondern auch um seine Angehörigen, die ihn einst wegen seiner anstößigen Beziehungen zu ähnlich veranlagten jungen Männern aus ihrer Nähe verbannt hatten.

Hätte dieser unauffällige Mann über sein Leben gesprochen, es wäre eine interessante Geschichte geworden. Doch er dachte nicht daran, etwas darüber zu erzählen.

Zwei Jahrzehnte zuvor hatte Hauptmann Horace Brown zu Lord Raglans Einheit auf der Krim gehört. Da es sich das britische Heer nicht gut leisten konnte, einen Mann mit seinen überragenden Fähigkeiten zu verlieren, hatte er dort weder an den großen Reiterattacken gegen die russische Infanterie teilgenommen, noch in der dünnen Linie aus roten Uniformröcken gestanden, deren Träger die Kosaken zurückgeschlagen hatten. Als Spezialist für Sprachen und die verwickelten Abläufe im Gehirn des Menschen hatte er an der Spitze eines der tüchtigsten Geheimdienste auf der russischen Halbinsel gestanden. Auch wenn er für sich weder den Ruhm des schneidigen Kavallerie-Offiziers noch den des unerschütterlichen Infanterie-Befehlshabers beansprucht hatte, war er vermutlich der Vater vieler Siege, denn es ist für jede Krieg führende Partei von entscheidender Bedeutung, dass sie die Absichten des Gegners kennt. Horace hatte sein ganzes Leben mit dem Versuch zugebracht, herauszufinden, was die Feinde seines Landes dachten.

Nachdem er aus dem aktiven Dienst Ihrer Majestät ausgeschieden war und eine Stelle im Außenministerium angetreten hatte, reiste er unter dem Deckmantel eines »verlorenen Sohnes«, was ihn für die von ihm Beschatteten unverdächtig machte. Da er nicht nur Deutsch, Französisch und Russisch fließend sprach, sondern nahezu akzentfrei auch Chinesisch und Hindi, konnte er sich im pazifischen Raum und im Fernen Osten ziemlich frei bewegen.

Hätte er sich nicht für die Laufbahn eines Berufssoldaten entschieden und dabei einen Hang zum Abenteuer und zum Intrigenspiel an den Tag gelegt, wäre ihm höchstwahrscheinlich ein Lehrstuhl für exotische Sprachen an einer der angesehenen englischen Traditionsuniversitäten sicher gewesen. So aber nutzte er seine beachtlichen analytischen und sprachlichen Fähigkeiten dazu, festzustellen, inwieweit die Absichten der Regierungen Deutschlands, Frankreichs und der Vereinigten Staaten von Amerika Großbritanniens strategischen Interessen im Pazifik und im Fernen Osten gefährlich werden konnten.

Im Augenblick konzentrierte sich seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf einen amerikanischen Waffenhändler namens Michael O'Flynn, der auf demselben Schiff reiste wie er. Horace schätzte den hoch gewachsenen, athletischen Mann mit der schwarzen ledernen Augenklappe auf Anfang dreißig. Man konnte sich leicht vorstellen, dass Frauen auf ihn flogen. Jahre des Aufenthalts in der Sonne hatten sein offenes, gut aussehendes, glatt rasiertes Gesicht gebräunt. Es wurde zwar durch ein gebrochenes Nasenbein leicht verunstaltet, doch ließ seine Ausstrahlung über solche unbedeutenden Makel hinwegsehen.

Der englische Agent wischte die dünne Salzkruste von den Gläsern der Brille, die auf seiner Knollennase saß, und spähte mit kurzsichtigen Augen an der Reling entlang dorthin, wo der Amerikaner das mit Bäumen bestandene Ufer betrachtete. Es war ein sehr warmer Tag, wie er in Sydney häufig ist, was Horace von früheren Aufenthalten wusste. Er hoffte, ein Sommergewitter würde ein wenig Abkühlung bringen, denn es war für ihn in dem schwülen Treibhausklima nicht leicht, einem so athletischen Mann wie dem amerikanischen Waffenhändler auf den Fersen zu bleiben. Er musste Mr. O'Flynn unbedingt so lange folgen, bis er wusste, mit wem dieser in Sydney zusammentraf.

Was Horace über diesen Iren aus New York wusste, genügte ihm, sich für ihn zu interessieren. Der Mann hatte vor etwa einem Jahrzehnt im amerikanischen Bürgerkrieg als Hauptmann bei den Unionstruppen gekämpft und im Jahre 1865 bei der Schlacht um Five Forks südwestlich von Petersburgh durch einen Granatsplitter der Konföderierten ein Auge eingebüßt, was aber seine Treffsicherheit beim Schießen in keiner Weise behinderte. Für seinen vor dem Feind bewiesenen Heldenmut hatte ihm der Präsident der Vereinigten Staaten die Tapferkeitsmedaille des amerikanischen Kongresses verliehen, deren Bedeutung sich ohne weiteres mit dem englischen Viktoria-Kreuz vergleichen ließ. Obwohl er ein Glasauge hatte, trug er lieber eine Augenklappe.

Nach dem Bürgerkrieg hatte er sich dann dem großen Zug nach Westen angeschlossen, und es hieß, er habe in Mexiko unter dem Kommando von Benito Juárez als Söldner bei den Aufständischen gedient.

O'Flynn, ein wegen seiner Fähigkeiten gesuchter Spezialist der Kleinkriegführung, war dem britischen Geheimdienst zum ersten Mal aufgefallen, als er in Südamerika als Söldner bei einer der zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen Ärger bekommen hatte. Jetzt vertrat er die Interessen des deutschen Reiches im Pazifik, und so stellte sich unwillkürlich die Frage: Was mochte den Deutschen so wichtig sein, dass dieser Mann dafür den Pazifik von Samoa nach Sydney überquerte? Die Antwort darauf sollte Horace finden.

Von seinen Kontaktleuten auf Samoa hatte er erfahren, dass Mr. O'Flynn für den preußischen Baron Manfred von Fellmann arbeitete. Dieser war im Pazifik einer der besten Geheimdienstleute des einen unübersehbaren Expansionskurs steuernden Reichskanzlers Otto von Bismarck – das wusste Horace. Bislang hatte sich der Ehrgeiz des »Eisernen Kanzlers« auf Europa beschränkt, wo er Krieg gegen die Nachbarländer Dänemark, Österreich und Frankreich geführt hatte. Welche Ziele aber verfolgte er damit, dass er einen seiner besten Männer ins Pazifikgebiet entsandte?

Erneut wandte Horace seine Aufmerksamkeit dem Mann mit der Augenklappe zu, den man auch am Kartentisch ernst nehmen musste, wie er auf der Überfahrt zu seiner Bestürzung gemerkt hatte. Doch hatte er seinen Verlusten nicht lange nachgetrauert, hatte er doch aus Mr. O'Flynns Pokerspiel so manches über ihn erfahren. Seiner festen Überzeugung nach verriet die Art, wie jemand pokerte, viel über das Wesen eines Menschen, und Michael O'Flynn beherrschte das Spiel ungewöhnlich gut.

Auch war Horace aufgefallen, dass verheiratete wie allein stehende Frauen, hingerissen vom guten Aussehen und der altmodischen Höflichkeit O'Flynns, um die Aufmerksamkeit des Amerikaners wetteiferten. O'Flynn aber war allen Verlockungen einer Romanze an Bord unauffällig aus dem Weg gegangen.

Diese Zurückhaltung hatte Horace neugierig gemacht. Hatte der Mann womöglich ähnliche sexuelle Vorlieben wie er selbst? Doch je besser er ihn kennen lernte, desto mehr bezweifelte er, dass sich O'Flynn von Männern angezogen fühlte. Eher musste man annehmen, er könnte es sich nicht leisten, durch ein Verhalten, das geeignet war, einen Skandal auszulösen, Aufmerksamkeit zu erregen.

Michael stand an der Backbord-Reling und richtete den Blick unverwandt auf den Hafen. Begierig suchte er nach den wohl bekannten Wahrzeichen seiner Heimatstadt.

In den Jahren, die er als junger Mann dort zugebracht hatte, wollte er nichts anderes als Maler und Zeichner werden. Seither war viel geschehen. Statt mit Pinseln hantierte er jetzt mit Schusswaffen, und statt seine künstlerische Begabung zu entwickeln, hatte er seine Fertigkeit vervollkommnet, andere Menschen zu töten oder zu verstümmeln.

Seit er vor elf Jahren unter dem angenommenen Namen Michael Maloney auf einem nach Neuseeland bestimmten amerikanischen Handelsschiff aus der Heimat geflohen war, hatte er seine wahre Identität unter vielen falschen Namen verborgen. Auch jetzt musste er unter falschem Namen reisen. Ihm war klar, dass er nie wieder der Träumer sein konnte, den die Welt einst als Michael Duffy gekannt hatte.

Im vergangenen Jahrzehnt hatte er das Entsetzen und die Schrecken des Krieges kennen gelernt und war aus den finsteren und gefährlichen Wäldern Neuseelands um die halbe Welt gezogen bis zum blutigen Gemetzel des amerikanischen Bürgerkrieges. Inzwischen wusste er alles, was man im Krieg wissen musste.

Als die Geschütze auf Amerikas Schlachtfeldern verstummten, war er der neuen Grenze im Westen gefolgt und schließlich als Söldner, der bald diesem, bald jenem Herrn diente, südwärts nach Mexiko gezogen. Dabei wurde er auf seinem Spezialgebiet immer bekannter und immer öfter sah er sich mit internationalen Verwicklungen und, häufig genug, plötzlichem und gewalttätigem Tod konfrontiert.

Jetzt also kehrte er in seine Heimatstadt zurück – wenn auch eher zufällig als absichtlich –, wo man ihn mit Sicherheit nach wie vor wegen Mordes suchte, sofern man annahm, dass er noch am Leben war.

Der Mann, der da an der Reling der Boston stand, war nicht mehr der idealistisch gesonnene junge Mann, der sich einst in die dunkelhaarige Schönheit Fiona Macintosh verliebt hatte. Aus Michael Duffy war Michael O'Flynn geworden, ein in vielen Schlachten erprobter Veteran, Söldner und Waffenhändler, der nun im Auftrag des deutschen Kaisers unterwegs war.

Gelassen an die Reling gelehnt betrachtete Horace das geschäftige Treiben im Hafen, während er genussvoll an seiner Zigarre sog, deren Rauch eine kräftige Brise mit sich riss. Stolze Kriegsschiffe lagen als Symbole für die Macht des britischen Weltreichs vor Anker, und schwarze Rauchwolken entquollen den hohen Schornsteinen der kleinen Dampffähren, die sich ihren Weg zwischen den dem offenen Meer zustrebenden Hafenschonern, Briggs und Barken bahnten.

Nur wenig hatte sich verändert, seit er vor achtzehn Monaten zum letzten Mal in Sydney gewesen war. Gelassen sah er zu, wie zwischen den Landzungen hindurch Schiffe auf das offene Meer hinausfuhren. Auf ihren Decks drängten sich neben den Männern auch allein reisende Frauen und ganze Familien, die sich voll Hoffnung auf den Weg zum Palmer in der Kolonie Queensland aufmachten, denn dort hatte man jüngst Gold entdeckt. Für manchen von denen, die alle miteinander der Traum trieb, an jenem »Goldfluss« ihr Glück zu finden, würde es die letzte Reise sein. Der Tod durch Hunger, Fieber oder bloße Erschöpfung – oder auch durch den Speer eines Ureinwohners – würde diese Unglücklichen ereilen.

Manche gelangten wohl kaum weiter als bis zum Ausschiffungshafen Cooktown, wo eine Unzahl von Huren, gewissenlosen Gastwirten und Gaunern auf die Neuankömmlinge warteten. Noch aber waren alle in ihren Träumen reich, während sie zusahen, wie der amerikanische Klipper anmutig in den Hafen von Sydney einlief.

Horace hatte keinen Gedanken für die nördliche Grenze im Inneren Australiens übrig, als er zu den Schiffen voller Menschen hinübersah. Nach wie vor grübelte er über die Frage nach, welcher Art die Beziehung des amerikanischen Waffenhändlers zur Regierung des deutschen Reiches sein mochte, vor allem aber darüber, welche Ziele die Deutschen in diesem Weltteil wohl verfolgten.

Michael Duffy hingegen dachte im Augenblick an nichts anderes als an seine Heimkehr. Auch wenn er nicht wusste, was ihn erwartete, war ihm doch klar, dass es alte Rechnungen mit den Menschen zu begleichen gab, die seine Träume zunichte gemacht hatten.

»Mister O'Flynn, Sie werden morgen mit der Baronin von Fellmann zusammentreffen, bei einem Empfang, den sie zu Ehren irgendeines Vertreters der französischen Regierung gibt«, sagte der Büchsenmacher und Waffenhändler George Hilary, während er Michael eine weitere großzügig bemessene Portion Rum eingoss. Die gerötete Nase des Mannes wies darauf hin, dass er alkoholische Getränke schätzte. »Er findet um die Mitte des Nachmittags in ihrer Villa hier in Sydney statt.«

»Mein Deutsch ist nicht besonders gut, Mister Hilary«, sagte Michael und nahm den ihm angebotenen Rum entgegen.

Sie saßen im Hinterzimmer von Hilarys Waffenhandlung an einem Tisch, den Dosen mit Waffenfett und Einzelteile zerlegter Gewehre bedeckten. George Hilary hatte sich damit einen Namen gemacht, dass er die Männer, die nach Norden zu den gefährlichen Goldfeldern Queenslands aufbrachen, mit Snider-Büchsen ausstattete. Der Ruf dieser Waffe begann allmählich dem des Winchester-Gewehrs im amerikanischen Westen zu ähneln.

»Machen Sie sich darüber keine Sorgen. Die Baronin ist gebürtige Engländerin«, sagte Hilary und sah Michael abschätzend an. Dieser O'Flynn machte ihm ganz den Eindruck eines Mannes, dem man besser nicht in die Quere kam. Die vielen in Ausübung des Kriegshandwerks zugebrachten Jahre waren seinem Auftreten anzumerken. Er bewegte sich mit der gespannten und wachsamen Anmut eines Jagdleoparden, beständig auf der Hut und bereit, beim geringsten Anlass loszuschlagen.

Michael nahm nur einen winzigen Schluck von dem starken Rum. Solange er nicht genau wusste, warum man ihn so überraschend nach Sydney in Marsch gesetzt hatte, wollte er sich seinen klaren Verstand bewahren. Er wusste lediglich, dass er die ursprünglich für Baron Manfred von Fellmann auf Samoa bestimmten und nach Sydney umgeleiteten Winchester-Gewehre des Modells 1873 an ihren neuen Bestimmungsort begleiten sollte, ohne Fragen zu stellen. Für diese Aufgabe, bei der ihm seine allgemein anerkannten Führungsqualitäten und seine Kenntnis des Dschungelkrieges zustatten kommen würden, hatte man ihm eine großzügige Bezahlung geboten. Da undurchsichtige Situationen schon seit langem Bestandteil seines Lebens waren, wusste er, dass man ihm zu gegebener Zeit mitteilen würde, warum er in Sydney war und was man von ihm sonst noch erwartete.

Von Hilary erfuhr er in dieser Hinsicht so gut wie nichts. Das Gespräch wandte sich hierhin und dorthin, so, als suche jemand seinen Weg aus einem Irrgarten. Zwar hatte sich Michael noch nicht verlaufen, merkte aber, dass er Gefahr lief, einen Schritt in die falsche Richtung zu tun, wenn er nicht auf der Hut blieb. In der Welt, in der er sich hier bewegte, genoss der preußische Adlige, der hinter diesem Auftrag stand, einen Ruf, der seinem eigenen entsprach.

»Ich habe gehört, Sie haben 73er Winchester mitgebracht, Mister O'Flynn«, sagte Hilary. Ihn als Waffenspezialisten interessierte dieses Repetiergewehr, das sich als Konkurrenz für die von ihm verkauften einschüssigen Snider-Büchsen erweisen konnte. »Ich habe gehört, dass die Patronen dafür ein Zündhütchen in der Mitte des Bodens haben.«

»Ja, die Waffen werden gelagert, bis man mir mitteilt, wie ich weiter verfahren soll, und ich habe kein Geld für die Zollgebühren«, knurrte Michael verärgert.